Queen Charlotte – Bevor es die Bridgertons gab, veränderte diese Liebe die Welt - Julia Quinn - E-Book
BESTSELLER

Queen Charlotte – Bevor es die Bridgertons gab, veränderte diese Liebe die Welt E-Book

Julia Quinn

0,0
10,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Buch zur neuen Netflix-Serie An einem sonnigen Septembertag im Jahr 1761 begegnen sie sich zum ersten Mal. Innerhalb weniger Stunden heiraten sie, und sie werden Geschichte schreiben. Die als deutsche Prinzessin geborene Charlotte von Mecklenburg-Strelitz ist schön, eigensinnig und äußerst intelligent – nicht gerade das, was der britische Hof für den jungen König gesucht hat. Ihr wird es nicht leicht gemacht, sich in der komplizierten Politik des Hofs zurechtzufinden. Und sie muss ihr Herz hüten, denn sie verliebt sich in George, auch wenn er sie wegstößt und erschütternde Geheimnisse verbirgt. Sie aber hat die Macht, die Gesellschaft neu zu gestalten. Deshalb darf ihre Ehe nicht scheitern. Charlotte muss kämpfen – für sich, für ihren Mann und für all ihre neuen Untertanen. Denn sie wird nie wieder nur Charlotte sein. Stattdessen muss sie ihr Schicksal erfüllen – als Königin.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 497

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zum Buch:

Agatha kann kaum glauben, dass sie zur königlichen Hochzeit eingeladen ist. Doch die Mutter des Königs hat sie ausgewählt. Als Agatha sich in der Chapel Royal umsieht, erkennt sie sofort, warum sie und andere reiche Familien in den neuen Stand erhoben werden: damit nicht länger nur Weiße zum ton gehören. Als Hofdame von Königin Charlotte darf Agatha sich fortan Lady Danbury nennen. Die neue Rolle birgt große Chancen und Risiken zugleich. Denn je besser Agatha die Königin und auch die Mutter des Königs kennenlernt, desto mehr begreift sie, worauf es ankommt am Hof: Frauen müssen zusammenhalten, solange Männer das Sagen haben.

Zu den Autorinnen:

Julia Quinn wird als zeitgenössische Jane Austen bezeichnet. Sie studierte zunächst Kunstgeschichte an der Harvard Universität, ehe sie die Liebe zum Schreiben entdeckte. Ihre überaus erfolgreichen historischen Romane präsentieren den Zauber einer vergangenen Epoche und begeistern durch ihre warmherzigen, humorvollen Schilderungen.

Shonda Rhimes ist eine preisgekrönte Fernsehproduzentin und Autorin sowie CEO des globalen Medienunternehmens Shondaland. Im Laufe ihrer Karriere wurde Rhimes’ Arbeit mit zahlreichen Auszeichnungen gefeiert, einschließlich der Aufnahme in die Television Academy Hall of Fame. Sie hat die Unterhaltungsindustrie und das Gesicht des Fernsehens verändert.

Weitere Titel von Julia Quinn:

Bridgerton – Der Duke und ich (Bridgerton 1)

Bridgerton – Wie bezaubert man einen Viscount? (Bridgerton 2)

Bridgerton – Wie verführt man einen Lord? (Bridgerton 3)

Bridgerton – Penelopes pikantes Geheimnis (Bridgerton 4)

Bridgerton – In Liebe, Ihre Eloise (Bridgerton 5)

Bridgerton – Ein hinreißend verruchter Gentleman (Bridgerton 6)

Bridgerton – Mitternachtsdiamanten (Bridgerton 7)

Bridgerton – Hochzeitsglocken für Lady Lucy (Bridgerton 8)

Bridgerton – Neues von Lady Whistledown

Rokesby – Der Earl mit den eisblauen Augen (Rokesby 1)

Rokesby – Tollkühne Lügen, sinnliche Leidenschaft (Rokesby 2)

Rokesby – Miss Bridgerton und der geheimnisvolle Verführer (Rokesby 3)

Rokesby – Wie heiratet man eine Bridgerton? (Rokesby 4)

Smythe-Smith – Der Earl, der mir zu Füßen liegt (Smyhte-Smith 1)

Smythe-Smith – Spiel mit dem Feuer (Smythe-Smith 2)

Smythe-Smith – Die gewiefte Lady Sarah (Smythe-Smith 3)

Smythe-Smith – Die Geheimnisse von Sir Richard (Smythe-Smith 4)

Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem TitelQueen Charlotte bei AVON BOOKS, an imprint of HarperCollins Publishers, US.

© 2023 by Julie Cotler Pottinger and Shonda Rhimes © 2023 für die deutschsprachige Ausgabe in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg Coveradaption von FAVORITBUERO, München in Anlehnung an das englische Original Coverabbildungen von Drunaa / Trevillion Images; Shutterstock; Movie art provided by Netflix © Netflix 2023. Used with permission. E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783749906529

www.harpercollins.de

Für Lyssa Keusch. Ich werde dich nicht vermissen, weil wir immer Freundinnen bleiben.

Und für Paul. Ich sage es gleich hier und jetzt:DASWARALLESDEINEIDEE.

J. Q.

Für meine Töchter. Jede von euch ist eine Königin.

S. R.

Geneigte Leserschaft,

dies ist die Geschichte der Königin Charlotte aus »Bridgerton«.

Es handelt sich um keine Geschichtsstunde.

Sondern um fakteninspirierte Fiktion.

Alle künstlerischen Freiheiten seitens der Autorinnen sind beabsichtigt.

Viel Vergnügen!

Geneigte Leserschaft,

diese kälteste Zeit des Jahres ist durch die traurige Nachricht vom Tod der Königlichen Prinzessin noch viel kälter geworden. Die Enkelin unseres guten Königs George III. und unserer geliebten Königin Charlotte verstarb im Kindbett, zusammen mit ihrem Baby.

Und während unsere Herzen in Trauer um die Prinzessin versinken, die hinter ihrem Vater an zweiter Stelle der Thronfolge stand, überwiegt in unseren Köpfen Furcht um die Zukunft unserer Monarchie. Denn die Krone befindet sich in einer tiefen Krise. Einer Krise, die für Königin Charlotte besonders ärgerlich sein muss, nachdem sie jahrelang mit eiserner Faust über die Eheanbahnungen des ton und den Heiratsmarkt geherrscht hat.

Die Verfasserin und ganz England können nur hoffen, dass Königin Charlotte sich nunmehr dazu durchringt, ihre kupplerischen Energien endlich auf die eigene Familie zu richten. Immerhin hat Ihre Majestät dreizehn Kinder – doch leider keinen weiteren royalen Nachwuchs. Zumindest keinen legitimen.

Dies wirft vor allem eine Frage auf: Ist das viel gerühmte Talent der Königin, gute Ehen zu schließen, am Ende nichts als leeres Gerede?

LADYWHISTLEDOWNSGESELLSCHAFTSKOLUMNE, 10. November 1817

SECHSUNDFÜNFZIG JAHRE ZUVOR …

CHARLOTTE

Essex, England, The London Road 8. September 1761

Wie alle Mitglieder der deutschen Aristokratie verfügte Prinzessin Sophia Charlotte zu Mecklenburg-Strelitz über eine erkleckliche Anzahl von Namen. Sophia hieß sie nach ihrer Großmutter mütterlicherseits, Sophia Albertine von Erbach-Erbach, Gräfin von Geburt und Herzogin durch Heirat. Charlotte nach ihrem Vater, Karl Ludwig Friedrich zu Mecklenburg-Strelitz, der als zweiter Sohn geboren worden war und starb, bevor er die Position des Regenten hätte einnehmen können. Hinzu kamen die unterschiedlichsten Herzogtümer und Grafschaften mit Doppelnamen, aus denen sich das Familienerbe zusammensetzte. An erster Stelle natürlich Mecklenburg-Strelitz und Erbach-Erbach, aber auch Sachsen-Hildburghausen, Schwarzburg-Sondershausen und, wenn man noch weiter zurückblicken wollte, Waldeck-Eisenberg.

Sie mochte all ihre Namen und war stolz auf jeden einzelnen, aber am besten gefiel ihr Lottie.

Lottie. Zweifellos der schlichteste des illustren Bündels, aber das war nicht der Grund, warum sie ihn bevorzugte. Schließlich konnte man ihr wahrlich keinen Hang zur Schlichtheit nachsagen. Sie liebte riesige Perücken und prachtvolle Kleider und war ziemlich sicher, dass niemand in ihrem Haushalt die Feinheiten von Musik und Kunst so leidenschaftlich zu schätzen wusste wie sie.

Nein, sie war gewiss kein schlichtes Gemüt.

Ganz bestimmt nicht.

Aber sie mochte es, wenn man sie Lottie nannte. Es gefiel ihr, weil es so gut wie niemand tat. Man musste sie schon wirklich gut kennen, um sie Lottie zu nennen.

Zum Beispiel musste man wissen, dass ihr Lieblingsdessert im Frühling Himbeer-Aprikosen-Torte war und im Winter Apfelstrudel und dass sie sowohl Obst als auch Süßwaren liebte, weshalb jegliches Konfekt oder Gebäck aus Früchten zu ihren absoluten Favoriten zählte.

Menschen, die sie Lottie nannten, wussten auch, dass sie als kleines Mädchen gern im See beim Schloss schwimmen gegangen war (wenn, was selten genug vorkam, das Wetter mitspielte). Sie wussten auch, dass sie drei Wochen lang nicht mit ihrer Mutter gesprochen hatte, nachdem sie ihr dieses Vergnügen verboten hatte (mit der Begründung, dass Charlotte zu alt für derlei Frivolitäten sei). Der Frieden war erst wiederhergestellt worden, nachdem Charlotte einen überraschend gründlich erarbeiteten Schriftsatz vorgelegt hatte, in dem sie die Rechte und Pflichten aller beteiligten Parteien umriss. Zwar hatte ihre Mutter sich zunächst nicht von den Argumenten ihrer Tochter überzeugen lassen, doch Charlottes älterer Bruder Adolphus war eingeschritten. Er hatte unterstrichen, dass sie ihren Fall gut vertreten habe, mit Logik und Intelligenz, und das müsse angemessen gewürdigt werden.

Adolphus war derjenige gewesen, der den Kosenamen Lottie geprägt hatte. Und das war der wahre Grund, warum sie diesen Namen allen anderen vorzog. Er war ihr von ihrem Lieblingsbruder verliehen worden.

Pardon, ihrem ehemaligen Lieblingsbruder.

»Du hältst dich steif wie eine Statue«, bemerkte Adolphus und lächelte ihr so unbeschwert zu, als hätte Charlotte ihn nicht die vergangenen drei Wochen hindurch angefleht, sie nicht an einen Wildfremden zu verheiraten.

Am liebsten würde sie ihn ignorieren, jetzt und für alle Ewigkeit. Nichts käme ihr mehr zupass, als für den Rest ihres Lebens kein einziges Wort mehr an ihn zu richten, doch selbst ihr war klar, dass solche Dickköpfigkeit nichts nützte. Zumal sie sich gerade in einer Kutsche im Südosten Englands befanden, eine lange Reise hinter sich hatten und noch ein ganzes Stück vor ihnen lag.

Charlotte war wütend und gelangweilt – immer eine gefährliche Kombination.

»Statuen sind Kunstwerke«, erwiderte sie eisig. »Kunst ist etwas Schönes.«

Das entlockte ihrem Bruder ein noch breiteres Lächeln. Verflixter Kerl. »Ein Kunstwerk kann eine wahre Augenweide sein«, räumte er amüsiert ein. »Du hingegen bietest einen eher lächerlichen Anblick.«

»Worauf willst du eigentlich hinaus?«, zischte Charlotte schnippisch.

»Du hast dich seit sechs Stunden keinen Zentimeter bewegt.«

Oh. Oh. Das hätte er lieber nicht ansprechen sollen. Charlotte funkelte ihn so finster an, dass er eigentlich vor Angst hätte zittern müssen. »Ich trage ein Kleid aus Lyoner Seide. Besetzt mit indischen Saphiren. Überzogen mit zweihundert Jahre alter Spitze.«

»Und du siehst wunderschön aus«, versicherte er ihr und streckte eine Hand aus, um ihr Knie zu tätscheln, zog sie jedoch nach einem Blick in ihr Gesicht hastig zurück.

Ihre Miene war zweifellos mörderisch.

»Offenbar könnten die Saphire die Spitze zerreißen, wenn ich mich zu viel bewege«, knurrte Charlotte. Sie knurrte buchstäblich. »Willst du, dass ich die Spitze zerreiße? Willst du das?«

Sie wartete nicht darauf, dass er antwortete. Sie wussten beide, dass er lieber nichts erwiderte. »Und als wäre das nicht schon schlimm genug«, fuhr sie fort, »befindet sich unter dem Gewand eine maßgeschneiderte Verstärkung aus Fischbein.«

»Fischbein?«

»Ja. Fischbein, Bruder. Die Knochen von Walen. Wale mussten sterben, damit ich so vor dir sitzen kann.«

Adolphus lachte hell auf. »Lottie …«

»Nicht«, unterbrach sie ihn warnend. »Wag es ja nicht, mich Lottie zu nennen, als ob dir was an mir liegen würde.«

»Nun komm schon, Liebste, du weißt doch, dass mir sehr viel an dir liegt.«

»Ach ja? Das kommt mir durchaus gar nicht so vor. Mir kommt es eher so vor, als hätte man mich zusammengeschnürt wie eine gemästete Sau, die auf irgendeinem Altar geopfert werden soll.«

»Charlotte …«

Wütend zeigte sie ihre Zähne. »Vielleicht solltest du mir noch einen Apfel in den Mund schieben.«

»Hör auf, Charlotte. Du bist von einem König auserwählt worden. Das ist eine große Ehre.«

»Siehst du«, blaffte sie. »Das regt mich auf. Diese Lügen. Du hörst nicht auf zu lügen.«

Und sie konnte die endlosen Lügen nicht ertragen. Das hier war keine Ehre. Sie wusste zwar nicht genau, was es war, aber ganz bestimmt keine Ehre.

Aus heiterem Himmel war König George III. von Großbritannien und Irland bei ihnen aufgetaucht (beziehungsweise einige Abgesandte, er selbst hatte sich nicht dazu herabgelassen zu erscheinen) und zu der unerklärlichen Entscheidung gelangt, dass sie, Sophia Charlotte zu Mecklenburg-Strelitz, seine Königin werden sollte.

Mecklenburg-Strelitz. Die Gesandten des Königs waren den weiten Weg ausgerechnet nach Mecklenburg-Strelitz gekommen. Charlotte liebte ihre Heimat, die bekannt für die vielen beschaulichen Seen und grünen Wiesen war, aber ihr war durchaus bewusst, dass Mecklenburg-Strelitz als einer der unbedeutendsten Teilstaaten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation galt.

Hinzu kam die Entfernung. Die Gesandten mussten auf ihrer Reise an Dutzenden Herzog- und Fürstentümern vorbeigekommen sein, wo Dutzende Herzoginnen und Prinzessinnen lebten, bevor sie Mecklenburg-Strelitz erreicht hatten.

»Ich belüge dich nicht, Charlotte«, versicherte Adolphus ihr. »Es stimmt. Du wurdest auserwählt.«

Hätte Charlotte sich in ihrem Fischbein-Korsett bewegen können, hätte sie sich zu ihrem Bruder gedreht, um ihm direkt ins Gesicht funkeln zu können. Da ihr das nicht möglich war, musste sie sich mit einem frostigen Blick begnügen. »Soll das etwa eine Auszeichnung sein?«, versetzte sie. »Was brauchen diese Leute denn? Nichts Besonderes. Eine Frau, die viele Babys gebären kann. Eine Frau, die lesen kann und die Regeln der Etikette beherrscht. Und über einen königlichen Stammbaum verfügt. Das ist alles.«

»Das ist nicht nichts, Liebste.«

»Es ist jedenfalls keine nennenswerte Ehre. Und du hättest ihnen sagen können, dass sie sich eine andere suchen sollen. Eine, die dämlich genug ist, es auch zu wollen.«

»Sie wollten keine dämliche Person. Sie wollten dich.«

Du lieber Himmel, war er wirklich so begriffsstutzig? »Denk doch mal nach, Adolphus«, beschwor sie ihn. »Warum ich? Er könnte jede haben. Wirklich jede. Und doch haben sich seine Leute durch halb Europa gequält, um mich zu bekommen. Dafür muss es irgendeinen Grund geben.«

»Weil du etwas Besonderes bist.«

»Etwas Besonderes?«, wiederholte sie, fassungslos über so viel Naivität. Nein, das war es nicht. Ihr Bruder war nicht naiv, er versuchte einfach nur, sie zu beschwichtigen, als wäre sie ein törichtes Kind, zu blind oder zu blöd, das Netz aus Verrat und Heimtücke zu erkennen, das man um sie gesponnen hatte. »Ich bin eine Fremde für sie«, fuhr sie fort. »Sie sind Fremde für uns. Hältst du mich tatsächlich für so dumm? Ich weiß, dass es einen ganz bestimmten Grund gibt, aus dem sie mich, eine völlig Fremde, für ihren König ausgesucht haben. Und das kann kein guter Grund sein. Denn seit du es mir mitgeteilt hast, vermagst du mir nicht mehr in die Augen zu schauen.«

Adolphus antwortete nicht sofort. Und als er es tat, waren seine Worte nutzlos. »Dies ist eine gute Sache, Lottie. Du wirst glücklich sein.«

Schweigend starrte sie ihn an, diesen Mann, den sie besser zu kennen glaubte als jeden anderen Menschen. Er war ihr Bruder, seit dem Tod ihres Vaters vor neun Jahren das Oberhaupt der Familie. Er hatte geschworen, sie zu beschützen. Er hatte ihr Respekt und höchste Wertschätzung zugesichert, und sie hatte ihm geglaubt. Sie hätte es besser wissen müssen. Am Ende war er doch nur ein Mann, und wie alle Männer betrachtete er Frauen als Schachfiguren, die man ohne Rücksicht auf ihr persönliches Glück nach Belieben quer durch Europa hin und her schieben konnte.

»Du hast überhaupt keine Ahnung«, sagte sie leise.

Er schwieg.

»Du behauptest, dass ich glücklich werde, als ob du das irgendwie wissen könntest. Als ob deine Worte es wahr werden lassen. Hast du mich auch nur ein einziges Mal gefragt, was ich will? Nein, das hast du nicht.«

Adolphus schnaubte verärgert. Sie strapazierte seine Geduld, das war nicht zu verkennen. Doch Charlotte kümmerte sich nicht darum, ihr Zorn machte sie leichtsinnig.

»Lass die Kutsche wenden«, forderte sie ihn auf. »Ich werde ihn nicht heiraten.«

Adolphus’ Miene verhärtete sich. »Ich habe den Verlobungskontrakt unterzeichnet. Du wirst ihn heiraten.«

»Nein.«

»Doch.«

»Bruder.« Sie schenkte ihm ein trügerisch süßes Lächeln. »Lass die Kutsche wenden, oder ich werde auf meinem Sitz herumhüpfen. Möchtest du wissen, was dann passiert?«

»Du wirst es mir zweifellos erklären.«

»Dieses Korsett, das ich trage, gefertigt aus dem feinsten und teuersten Fischbein, ist ziemlich filigran. Und sehr, sehr spitz. Und da ich selbstverständlich nach der neuesten Mode gekleidet bin, ist es außerdem extrem eng.« Um ihre Worte zu unterstreichen, schnippte Charlotte mit einem Finger gegen ihre Taille, überraschte sich damit jedoch selbst. Denn sie hatte rund um ihren Brustkorb jegliches Empfindungsvermögen eingebüßt und hätte ebenso gut gegen eine Wand klopfen können.

»Sollten wir es vielleicht lockern?«, schlug Adolphus vor.

»Nein, wir sollten es nicht lockern«, zischte sie. »Ich muss mich bei meiner Ankunft wie ein Ausstellungsstück präsentieren, was bedeutet, dass ich weiter in dieses monströsen Ding eingeschnürt bleiben muss. Und wenn ich wie eine Statue aussehe, was in deinen Augen lächerlich wirkt, dann liegt es daran, dass ich mich nicht bewegen kann. Oder vielmehr – ich wage es nicht, mich zu bewegen. Meine Aufmachung ist so hochelegant, dass ich, wenn ich zu sehr herumzappele, von meinem eigenen Untergewand erstochen werde.«

Adolphus blinzelte peinlich berührt.

»Wie freudvoll ist es doch, eine Dame zu sein«, bemerkte sie leise.

»Du bist aufgebracht.«

Am liebsten hätte sie ihm den Hals umgedreht.

»Charlotte …«

Sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Das wäre eine praktikable Möglichkeit«, fuhr sie fort. »Herumzuzappeln. Ich habe es in Erwägung gezogen. Mich von meinem Untergewand ermorden zu lassen. Was vermutlich einer gewissen Ironie nicht entbehren würde, auch wenn ich zugeben muss, dass ich sie noch nicht erkenne. Humor, ja. Ironie – da bin ich mir nicht so sicher.«

»Hör auf, Charlotte, ich meine es ernst.«

Sie konnte nicht aufhören, es war, als ob in ihr ein Feuer loderte. Ihr Zorn war gerechtfertigt, und sie hatte Angst. Und mit jeder Meile raste sie schneller einer Zukunft entgegen, die sie nicht verstand. Sie wusste natürlich, was passierte, aber sie wusste nicht, warum es geschah. Daher fühlte sie sich dumm und klein.

»Wir haben noch ungefähr eine Stunde Fahrt vor uns«, fuhr sie zornig fort. »Wenn ich mich fleißig bewege, könnte ich verblutet sein, bevor wir London erreichen.«

Adolphus schien ein Stöhnen zu unterdrücken. »Wie ich sagte, du bist aufgebracht. Von deinen Gefühlen überwältigt. Das verstehe ich …«

»Ach ja? Das verstehst du? Wirklich? Dann würde ich mir gerne mal deine Erklärung anhören. Denn ich bin weder aufgebracht noch von Gefühlen überwältigt. Ich bin wütend. Und ich kriege keine Luft. Und beides habe ich dir zu verdanken, Bruder.«

Er verschränkte die Arme vor der Brust.

»Ich werde es tun«, drohte sie. »Ich werde hüpfen und mich an diesem albernen Korsett aufspießen und verbluten.«

»Charlotte!«

Das brachte sie schließlich zum Schweigen. Nur äußerst selten sprach Adolphus in diesem Ton mit ihr. Tatsächlich war sie nicht sicher, ob er es überhaupt jemals getan hatte.

Vor ihren Augen verwandelte sich ihr leutseliger Bruder in den strengen und mächtigen Herzog zu Mecklenburg-Strelitz. Das war beunruhigend. Ärgerlich. Und es brachte das kleine Mädchen, das noch immer tief in ihrem Herzen wohnte, den Tränen nah.

»Mir ist klar, dass ich dir gegenüber nach dem Tod von Mama und Papa mehr Strenge hätte walten lassen sollen«, sagte er. »Ich habe dir erlaubt, zu viel zu lesen, und jeder deiner Launen und Leichtfertigkeiten nachgegeben. Daher übernehme ich die volle Verantwortung für die Tatsache, dass du jetzt außerordentlich eigensinnig bist und dem Irrtum unterliegst, du könntest Entscheidungen treffen. Aber das kannst du nicht. Ich habe das Sagen. Und ich sage, dass diese Heirat stattfindet.«

»Ich sehe nicht ein, warum du ihnen nicht einfach …«

»Weil sie das Britische Weltreich sind und wir eine winzige Provinz in Deutschland«, brüllte er.

Charlotte sank in sich zusammen. Aber nur ein kleines bisschen.

»Uns blieb keine Wahl«, zischte er. »Mir blieb keine Wahl. Du willst einen Grund hören? Na schön. Ich habe keinen. Es gibt keinen guten Grund. Tatsächlich könnte es einen schrecklichen Grund geben. Ich weiß, dass niemand, der aussieht wie du oder ich, jemals einen dieser Leute geheiratet hat. Das ist noch niemals vorgekommen. Aber ich darf es nicht infrage stellen! Weil ich mir nicht die mächtigste Nation auf Erden zum Feind machen darf. Es ist beschlossene Sache.« Seine Stimme bebte vor Zorn und Ungeduld und vielleicht sogar Resignation. »Also halte den Mund, erfülle die Pflicht unserem Land gegenüber und werde gefälligst glücklich!«

Charlotte zuckte zurück. Denn endlich belog Adolphus sie nicht mehr. Seine Haut war braun. Ihre Haut war braun. Braun wie Schokolade, wie warmes, samtiges Holz. Und sie brauchte keinen einzigen Blick auf George III. von Großbritannien und Irland geworfen zu haben, um zu der sicheren Überzeugung zu gelangen, dass das bei ihm nicht der Fall war.

Warum also? Warum wollte er sie zur Frau? Charlotte wusste, was hellhäutige Europäer über Menschen wie sie sagten. Warum wollte er seine Blutlinie mit einem Mädchen von maurischer Herkunft »beflecken«? Ihr Stammbaum führte nach Afrika, und dafür musste man nicht mal besonders viele Generationen zurückgehen.

Warum wollte er sie?

Was hatte er zu verbergen?

»Liebste.« Adolphus seufzte, sein Blick wurde sanfter, und plötzlich war er wieder einfach nur ihr großer Bruder. Er nahm ihre Hände zwischen seine. »Es tut mir leid. Aber es gibt schlimmere Schicksale, als den König von England zu heiraten.«

Charlotte schluckte und schaute durchs Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft. Alles war grün und barst vor Leben. Wiesen und Wälder, dazwischen kleine Dörfer mit idyllischen Kirchen und belebten Hauptstraßen. Im Grunde sah es hier gar nicht so anders aus als in ihrer Heimat, allerdings hatte sie noch keinen einzigen See entdeckt.

War es denn wirklich so vermessen, sich einen See zu wünschen?

»Werde ich jemals nach Schloss Mirow zurückkehren?«, fragte sie leise.

Das Gesicht ihres Bruders nahm einen wehmütigen, vielleicht sogar traurigen Ausdruck an. »Wahrscheinlich nicht«, gab er zu. »Du wirst gar nicht den Wunsch danach verspüren. Schon in einem Jahr dürften wir viel zu bäurisch für deinen Geschmack sein.«

Charlotte überkam das seltsame Gefühl, dass sie, wenn sie an einem anderen Ort oder ein anderer Mensch gewesen wäre, jetzt geweint hätte. Noch gestern wären ihre Tränen geflossen, heiß und zornig, mit dem ganzen Ungestüm ihrer Jugend.

Doch nun würde sie Königin sein. Sie weinte nicht. Was auch immer im Inneren eines Menschen Tränen erschuf und Schluchzer formte – es war ausgeschaltet worden.

»Setz dich wieder richtig hin«, sagte sie, entzog Adolphus ihre Hände und faltete sie energisch im Schoß. »Sonst bringst du noch mein Kleid in Unordnung. Ich muss bei meiner Ankunft schließlich perfekt aussehen, nicht wahr?«

Ihr Palast erwartete sie.

GEORGE

St. James’s Palace, London 8. September 1761

Meistens machte es George nichts aus, König zu sein.

Die Vorteile waren offensichtlich. Er besaß mehr Geld, als ein einzelner Mensch ausgeben konnte, diverse Paläste, die er als Wohnsitz nutzen konnte, und ein veritables Heer an Dienstboten und Beratern, die sich darum rissen, jede seiner Launen zu befriedigen.

Morgens eine heiße Schokolade mit exakt drei Löffeln Zucker und einem Tropfen Milch? Kommt sofort, Eure Majestät, auf einer Untertasse mit Silberrand.

Eine Ausgabe von Richard Bradleys »Geschichte der Sukkulenten«? Kein Problem, die wurde zwar bereits 1739 veröffentlicht, wir werden aber umgehend ein Exemplar für Euch auftreiben!

Ein kleiner Elefant? Den zu beschaffen könnte ein paar Monate dauern, aber wir machen uns sofort daran.

Wohlgemerkt, George hatte noch nie nach einem Elefanten verlangt, welcher Größe auch immer. Aber es erheiterte ihn zu wissen, dass er es könnte.

Also ja, König zu sein war überwiegend erfreulich. Aber keineswegs immer, und man durfte sich grundsätzlich nicht beschweren, weil man wie ein Esel wirkte, wenn man sich darüber beschwerte, König zu sein.

Doch es gab Nachteile. So wurde einem, zum Beispiel, nur bestürzend wenig Privatsphäre zugestanden. Wie gerade in diesem Moment. Während ein normaler Mann, während der Kammerdiener ihn rasierte, allenfalls den durchs geöffnete Fenster hereindringenden Gesang der Vögel zu hören bekam, waren seine Mutter und einer seiner Berater ins Ankleidezimmer eingedrungen.

Und keiner der beiden machte auch nur die geringsten Anstalten, den Mund zu halten.

»Als ich hereinkam, probierte sie gerade das Kleid an«, sagte Prinzessin Augusta.

»Alles ist so, wie es sein sollte«, murmelte Lord Bute.

»Sie wollte irgendeine Monstrosität aus Paris tragen. Paris!«

Bute nickte, eine diplomatische Geste, die weder Zustimmung noch Widerspruch ausdrückte. »Ich glaube, die französische Hauptstadt ist bekannt als Zentrum der Mode.«

George schloss die Augen. Es war zwar merkwürdig, aber die Leute schienen in seiner Gegenwart freier zu reden, wenn seine Lider geschlossen waren, als ob er dann aus irgendeinem Grund nicht mehr hören könnte.

Es war kein Trick, den er oft anwenden konnte. Schließlich ging es nicht an, dass man die Augen schloss, während man auf einem Thron saß oder Staatsoberhäupter empfing. Doch in Momenten wie diesem, wenn er sich mit einem angewärmten Handtuch um Wangen und Kehle zurücklehnte, um darauf zu warten, dass sein Kammerdiener mit Schaum und Rasiermesser anrückte, konnte es recht erhellend sein.

Denn die Diskussion seiner Mutter mit Lord Bute drehte sich um Georges Verlobte, was nicht weiter bemerkenswert gewesen wäre – abgesehen von der Tatsache, dass er besagte Verlobte bislang noch nicht kennengelernt hatte und die Trauung in sechs Stunden stattfinden sollte.

So war das Leben eines Königs. Man sollte meinen, dass es einem Monarchen von Gottes Gnaden vergönnt sein sollte, vor der Hochzeit einen Blick auf seine Braut zu werfen. Aber nein, ein König heiratete für sein Land, nicht für sein Herz oder seine Lenden. Es spielte keine Rolle, dass er Sophia Charlotte zu Mecklenburg-Strelitz erst sehen würde, wenn sie ihre Gelübde sprachen. Alles in allem war es womöglich sogar besser so.

Trotzdem war er neugierig.

»Sie heiratet einen englischen König«, sagte seine Mutter. »Da muss sie ein englisches Kleid tragen. Haben Sie mitbekommen, was sie heute Morgen anhatte, als man sie mir präsentierte?«

»Ich fürchte, das ist mir nicht aufgefallen, Ma’am.«

»Rüschen und Firlefanz. Viel zu überladen für einen Vormittagsbesuch. Saphire. Mitten am Tag. Und von Nonnen geklöppelte Spitze. Nonnen! Hält sie uns für Katholiken?«

»Ich bin sicher, sie wollte nur einen guten Eindruck auf ihre künftige Schwiegermutter machen«, wandte Bute ein.

Prinzessin Augusta schnaubte abfällig. »Diese Kontinentaleuropäer nehmen sich einfach viel zu wichtig.«

George gestattete sich ein Schmunzeln. Seine Mutter war als Augusta von Sachsen-Gotha-Altenburg zur Welt gekommen. Man konnte der Mitte von Kontinentaleuropa kaum näher kommen als in Gotha.

Doch Augusta war seit fünfundzwanzig Jahren eine Prinzessin Großbritanniens. Mehr als ihr halbes Leben lang. Sie hätte Königin werden sollen, doch diese Ehre war ihr verwehrt, nachdem Georges Vater, damals Prince of Wales, von einem Cricketball an der Brust getroffen worden und kurz darauf gestorben war. Die Krone übersprang eine Generation und ging vom Großvater direkt auf den Enkel über, und ohne einen königlichen Gemahl konnte Augusta nicht Königin werden.

Dennoch war sie dem Land tief ergeben. Sie hatte neun Prinzen und Prinzessinnen zur Welt gebracht, deren Muttersprache Englisch war. Daher ist es wohl nachvollziehbar, dass meine Mutter sich nunmehr als rein britisch betrachtet, dachte George.

»Aber sie ist wirklich attraktiv«, erwiderte Bute. »Ihre Züge sind sehr reizvoll. Und sie hält sich exzellent. Man könnte sagen, dass ihre Haltung königlich war.«

»Ja, das stimmt«, räumte Augusta ein. »Aber sie ist sehr braun.«

Das war unerwartet. George öffnete die Augen. »Die Erde ist braun«, sagte er.

Seine Mutter wandte sich ihm zu und blinzelte überrascht. »Wie, auf Gottes Er…« Sie unterbrach sich, bevor ein Wortspiel daraus werden konnte, was George bedauerte. Er mochte Kalauer, beabsichtigt oder unfreiwillig. Ihm gefiel, wie Worte sich zusammenfanden, und wenn das mitunter dazu führte, dass seine Sätze vierhundertdreiundsechzig Wörter enthielten, dann war das nicht sein Problem, sondern das der anderen.

Er war der König. Lange Sätze waren sein Geburtsrecht.

»Wie«, begann seine Mutter erneut, nach einer Pause, die bei Weitem nicht lang genug war, um Georges vollständigen Gedankengang aufzunehmen, »kommst du denn jetzt darauf?«

»Ich liebe die Erde«, erwiderte George. Das schien ihm eine ausreichende Erklärung zu sein.

»Tun wir das nicht alle«, murmelte Bute.

George ignorierte ihn. Er hatte nichts gegen Bute. Der Mann war meist hilfreich, und sie beide verband ein lebhaftes Interesse an Naturphilosophie und Wissenschaften. Aber gelegentlich ging er ihm auf die Nerven.

»Die Erde ist braun«, verkündete George noch einmal. »Das, woraus alles Leben, alle Hoffnung entspringt, ist braun. Wie entzückend.«

Seine Mutter starrte ihn an. Bute starrte ihn an. George zuckte mit den Schultern.

»Wie auch immer«, beharrte Augusta. »Niemand hat uns darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie derartig braun ist.«

»Ist das ein Problem?«, fragte George. Er schloss die Augen wieder. Reynolds war mit dem Rasiermesser eingetroffen, und es war viel entspannter so. Wobei man sich mit einem Rasiermesser an der Kehle niemals zu sehr entspannen sollte.

»Natürlich nicht«, antwortete sie rasch. »Mir ist es gewiss gleichgültig, welche Hautfarbe sie hat.«

»Es würde dir schon was ausmachen, wenn sie lila wäre.«

Schweigen. George lächelte in Gedanken.

»Wenn du so weitermachst, kriege ich eine Migräne«, sagte seine Mutter schließlich.

»Wir haben jede Menge Ärzte im Palast«, erwiderte George hilfsbereit. Das stimmte. Sie beschäftigten weit mehr Ärzte, als irgendein Mensch brauchte.

Außer, offenbar, bei besagtem Menschen handelte es sich um einen König. Ein König benötigte reihenweise Ärzte. Vor allem dieser spezielle König.

»Du weißt, dass ich nicht wirklich Migräne kriege«, erwiderte seine Mutter verärgert. »Aber ernsthaft, George, würdest du mich wohl ausreden lassen?«

Er wedelte mit der rechten Hand. Das war eine irgendwie majestätische Geste, wie er in jungen Jahren gelernt hatte, und sie kam ihm immer wieder äußerst gelegen.

»Wir waren nicht darauf vorbereitet, dass sie so braun ist«, fuhr seine Mutter fort.

»In der Tat«, bemerkte Lord Bute und trug damit absolut nichts zur Konversation bei.

»Und es geht nicht ab.«

George riss die Augen auf. »Was?«

»Es geht nicht ab«, wiederholte seine Mutter. »Ich habe über ihre Wange gerieben, um sicherzugehen.«

»Großer Gott, Mutter!« George fuhr halb aus seinem Sessel hoch. Reynolds sprang gerade noch rechtzeitig zurück, um zu verhindern, dass er seinem Herrn mit dem Rasiermesser die Kehle aufschlitzte.

»Bitte sag mir, dass du nicht versucht hast, der mir zugedachten Braut die Haut abzureiben.«

»Ich habe nicht beabsichtigt, sie zu beleidigen«, gab Augusta schnippisch zurück.

»Mag sein, aber trotzdem hast du …« Er hielt inne und kniff sich in den Nasenrücken. Nicht schreien, nicht schreien. Es war wichtig, dass er ruhig blieb. Dann war er in Bestform. Wann immer er die Ruhe verlor, begannen sich seine Gedanken in fieberhafter Geschwindigkeit zu überschlagen, und was er jetzt überhaupt nicht gebrauchen konnte – was er überhaupt nie gebrauchen konnte –, waren sich fieberhaft überschlagende Gedanken.

Ruhig. Ruhig.

Er holte tief Luft. »Du bist keine unintelligente Frau, Mutter. Sicher erkennst du, welche grobe Unhöflichkeit du dir hast zuschulden kommen lassen.«

Prinzessin Augustas ohnehin stocksteife Haltung wurde noch steifer. »Ich bin die Mutter des Königs. Du bist der Einzige, der über mir steht. Daher kann ich zu niemandem außer dir unhöflich sein.«

»Das ist kein sehr tragfähiges Argument«, gab George zurück. »Hast du vergessen, dass sie heute bei Sonnenuntergang Königin sein wird? Und damit ganz gewiss über dir steht.«

»Pah. Im Rang vielleicht.«

»Ging es dir eben nicht genau darum?«

Doch seine Mutter war noch nie eine Freundin der Logik gewesen, wenn die ihre Argumente schlug. »Sie ist noch ein Kind.«

»Sie ist siebzehn. Darf ich dich daran erinnern, dass du meinen lieben Vater mit sechzehn geheiratet hast?«

»Daher weiß ich auch ganz genau, wovon ich rede. Ich war zum Zeitpunkt meiner Hochzeit noch kein bisschen erwachsen.«

Dieser Einwurf gab George zu denken. Es sah seiner Mutter überhaupt nicht ähnlich, so abwertend über sich selbst zu sprechen.

»Sie wird Führung benötigen«, fuhr Augusta fort. »Die ich ihr geben werde.«

»Dafür wird sie Ihnen sehr dankbar sein«, warf Lord Bute ein, hilfreich wie immer.

George ignorierte ihn und wandte sich erneut an seine Mutter. »Ich bin sicher, dass sie entzückt von deiner Unterstützung sein wird, nachdem du sie wie eine lebende Kuriosität behandelt hast.«

Augusta schniefte. »Du bist doch derjenige, der stets Forschung und Wissenschaft anpreist. Da kannst du mir wohl kaum meine Neugier verübeln. Ich bin noch nie jemandem von ihrem Aussehen begegnet. Ich weiß nicht, wie das funktioniert. Vielleicht würde ja schon eine doppelt dosierte Arsenik-Maske reichen, um ihren Teint so weit auszubleichen, dass er ungefähr meinem eigenen Hautton entspricht.«

George schloss die Augen. Du lieber Gott.

»Ich wusste, dass sie ein bisschen dunkel ist«, sagte Augusta.

»In der Tat«, murmelte Lord Bute.

Augusta drehte sich zu ihm um. »Warum hat Harcourt es nicht näher erläutert? Er hat sie doch gesehen, als er den Vertrag unterschrieb, nicht wahr?«

»Er erwähnte ein wenig Mauren-Blut«, räumte Bute ein.

»Ein wenig«, bekräftigte Augusta. »Das kann alles Mögliche bedeuten. Ich dachte, sie hätte die Farbe von Milchkaffee.«

»Einige würden sagen, dass das zutrifft.«

»Aber nicht so, wie ich meinen Kaffee trinke.«

»Nun, wir alle geben unterschiedliche Mengen Milch in uns…«

»Aufhören!«, brüllte George.

Sofort herrschte Stille. Einer der Vorteile, wenn man König war.

»Ihr werdet nicht von meiner Braut sprechen wie von einer verdammten Tasse Kaffee«, zischte er.

Die Augen seiner Mutter weiteten sich ob seiner Wortwahl, doch sie hielt den Mund.

»Eure Majestät«, sagte Bute.

Mit einer knappen Handbewegung brachte George ihn zum Schweigen. »Mutter …« Er wartete, bis sie ihm ins Gesicht sah, bevor er seine Frage vollendete. »Findet diese Heirat deine Billigung, oder billigst du sie nicht?«

Sie presste die Lippen zusammen. »Es spielt keine Rolle, ob ich sie billige«, erwiderte sie dann.

»Hör auf zu heucheln. Billigst du sie?«

»Ja«, antwortete seine Mutter fest. Sie klang tatsächlich überzeugt. »Ich glaube, das Mädchen ist gut für dich. Oder zumindest nicht schlecht.«

»Nicht schlecht?«, wiederholte George.

»Für dich. Sie ist nicht schlecht für dich.« Sie seufzte. »Ich gehe nicht davon aus«, fügte sie hinzu, als ob nicht alle Anwesenden wüssten, was sie meinte, »dass sie deinen … Zustand verschlimmern wird.«

Da war es. Diese Sache, über die sie nie sprachen. Außer wenn es passierte und sie keine andere Wahl hatten.

Das letzte Mal war besonders schrecklich gewesen. George konnte sich nicht an alle Details erinnern, das konnte er nie, er wachte einfach irgendwann später verwirrt und erschöpft auf. Doch er wusste noch, dass sich die Diskussion um sie gedreht hatte, seine künftige Braut. Sie war bereits auf dem Weg nach England gewesen, ihr Schiff hatte in Cuxhaven abgelegt, aber eine Stimme in seinem Kopf hatte ihn gewarnt, dass jetzt nicht die richtige Zeit dafür war. Es war keine sichere Zeit für eine Reise.

Sie würde den Mond verlieren.

Was zum Teufel bedeutete das? Nicht mal er hatte die leiseste Ahnung, und die Worte waren über seine Lippen gekommen.

Er war nicht sicher, was danach passiert war. Wie üblich fehlten gewaltige Teile seiner Erinnerung. Ein Phänomen, das George sich immer wie eine Art Bodennebel vorstellte, der im Schlaf aus seinem Mund entwich und immer dünner und transparenter wurde, je höher er stieg, bis der Wind ihn schließlich davontrug.

Erinnerungen als Nebel. Er hätte es für poetisch gehalten, hätte es sich nicht um seine Erinnerungen gehandelt.

Sein Gedächtnis hatte erst wieder eingesetzt, als er im Royal College of Physicians aufgewacht war, was sich für ihn so angefühlt hatte, als hätte man ihn aus einem Nickerchen wach gerüttelt. Seine Mutter war da gewesen, mit einer kleinen Ärzteschar.

Von denen sich einer tatsächlich als hilfreich erwiesen hatte.

Was eine erfreuliche Abwechslung gewesen war.

»Darf ich fortfahren, Eure Majestät?«

George schaute Reynolds an, der die ganze Zeit ruhig danebengestanden hatte, das Rasiermesser in der Hand. Er hob einen Finger, um anzudeuten, dass er noch einen Moment benötigte, und wandte sich wieder seiner Mutter zu. »Du sagst also, dass du diese Heirat befürwortest, wirkst aber dennoch besorgt. Dafür hätte ich gerne eine Erklärung.«

»Wir müssen Maßnahmen treffen«, erwiderte sie nach kurzem Zögern. »Und zwar schnell.«

»Die Leute werden reden«, ergänzte Lord Bute.

»Die Leute werden reden«, stimmte sie zu. »Das ist ein Problem. Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass wir es nicht wussten.«

»Dass ihre Haut braun ist?«, fragte George.

»Exakt. Sie müssen glauben, dass wir es genauso wollten. Vielleicht versuchen wir, ein Zeichen zu setzen. Wir wünschen, die Gesellschaft zu vereinen.«

»Die Handelsabkommen sind bereits geschlossen«, warf Lord Bute ein. »Aber natürlich könnte man sie für nichtig erklären …«

»Wir können die königliche Hochzeit nicht am Tag der Trauung absagen«, wandte Augusta scharf ein.

»Guter Gott, nein«, murmelte George. Er mochte sich nicht mal vorstellen, welche Art Gerüchte das auslösen würde.

»Der ton akzeptiert sie womöglich nicht«, gab Bute zu bedenken. »Das ist ein Problem.«

Davon wollte Augusta nichts hören. »Wir sind der Palast. Ein Problem ist nur dann ein Problem, wenn der Palast sagt, es ist ein Problem. Das ist eine unerschütterliche Tatsache, nicht wahr?«

Bute räusperte sich. »Jawohl.«

»Und der König ist das weltliche Oberhaupt der Church of England und Herrscher dieses großartigen Landes. Daher kann nichts, was er tut, jemals ein Problem für den Palast sein. Oder etwa doch, Lord Bute?«

»Niemals.«

»Nun denn. Dann muss diese Heirat also voll und ganz den Wünschen des Palasts entsprechen. Oder sehen Sie das anders, Lord Bute?«

»Auf keinen Fall.«

»Gut«, fuhr Augusta in geschäftigem Ton fort. »Dann hat der König seine Wahl mit voller Absicht so getroffen. Um dies unmissverständlich klarzumachen, werden wir die Gästeliste für die Hochzeit erweitern. Und den Hofstaat der neuen Königin aufstocken.«

Bute starrte sie erstaunt an. »Wollt Ihr damit sagen …«

»Der König will damit etwas sagen.« In gespielter Bescheidenheit legte sie sich eine Hand aufs Herz, die Verkörperung weiblicher Zurückhaltung. »Ich bin nur seine Mutter. Ich sage gar nichts.«

George lachte laut auf.

Nur ein leichtes Zucken um ihren Mund verriet, dass Augusta es gehört hatte. Sie redete ohne wahrnehmbare Pause weiter. »Der König wünscht, die Gästeliste für die Hochzeit zu erweitern und den Hofstaat der neuen Königin aufzustocken.«

George lächelte. Endlich begriff er, worauf sie hinauswollte. Seine Mutter war brillant.

»Selbstverständlich, Königliche Hoheit.« Lord Bute schaute erst Augusta an, dann George, dann wieder Augusta. »Nur … Ist dem König bewusst, dass die Trauung in sechs Stunden stattfindet?«

»Durchaus«, bestätigte George grinsend.

»Die Danburys, würde ich vorschlagen«, sagte Augusta. »Dein Großvater hat sie des Öfteren erwähnt, nicht wahr?«

»Keine Ahnung«, bekannte George.

»Doch, das hat er«, erklärte Augusta bestimmt. »Natürlich nicht die aktuellen Danburys, die dürfte er kaum gekannt haben. Aber den Vater kannte er. Unfassbar reich. Diamanten, glaube ich. Aus Afrika.« Sie warf Bute einen strengen Blick zu. »Machen Sie sich Notizen?«

»Ja«, erwiderte er hastig und sah sich suchend nach Papier um. Dabei konnte George ihm nur Glück wünschen, denn in seinem Ankleidezimmer würde er höchstwahrscheinlich nichts dergleichen finden.

»Wer sonst?«, fragte Augusta. »Die Bassets?«

»Eine ausgezeichnete Wahl«, bemerkte Bute, während er nach wie vor nach einem Bogen Papier Ausschau hielt. Und einer Feder. »Darf ich die Kents vorschlagen?«

Augusta nickte. »Ja, die passen auch. Und ich bin sicher, es gibt noch mehr. Ich überlasse es Ihnen und Lord Harcourt, festzulegen, welche Familien für unsere Zwecke die geeignetsten sind.«

»Selbstverständlich, Königliche Hoheit. Ich werde umgehend die Einladungen zustellen lassen.« Bute räusperte sich. »Allerdings ist es sehr kurzfristig. Sie könnten andere Pläne haben.«

Augusta wedelte mit einer Hand. George war ziemlich sicher, dass seine Mutter diese ausnehmend hoheitsvolle Geste genauso praktisch fand wie er. »Andere Pläne?«, wiederholte sie ungläubig. »Wer würde nicht zu einer königlichen Hochzeit gehen wollen?«

AGATHA

St. James’s Palace, Chapel Royal 8. September 1761

Hätte Agatha Danbury geahnt, dass sie eine königliche Hochzeit besuchen würde, hätte sie ein schöneres Kleid getragen.

Natürlich war an ihrer gegenwärtigen Aufmachung nichts auszusetzen. Im Gegenteil, ihr Gewand entsprach der allerneuesten Mode. Es war ein Entwurf von Madame Duville, die zu den drei gefragtesten Schneiderinnen Londons zählte. Es war aus Jacquard-Seide, in einem satten, schimmernden Gold, von dem Agatha wusste, dass es ihr schmeichelte. Auch ihr Mieder war ein Meisterwerk, dem modischen Gebot der Stunde folgend mit einer einzelnen Schleife über dem Busen und zusätzlich verziert mit silberfarbener Stickerei und einem prachtvollen nigerianischen Topas.

Objektiv betrachtet war ihr Kleid also zweifellos hinreißend.

Das Problem war nur, dass es nicht eigens für eine königliche Hochzeit entworfen worden war. Und jeder, der auch nur über einen Funken Verstand verfügte, wusste, dass man, wenn man einer königlichen Hochzeit beiwohnte, gefälligst tief in die Schatulle zu greifen hatte, um sich eine dem Anlass angemessene Robe auf den Leib schneidern zu lassen.

Doch als Agatha an diesem Morgen die Augen geöffnet hatte, war sie noch nicht im Besitz einer Einladung zu den Trauungsfeierlichkeiten von König George III. und seiner deutschen Braut gewesen. Und hegte auch keinerlei Erwartung, sich jemals in unmittelbarer Nähe der königlichen Familie wiederzufinden. Ihre Kreise und deren Kreise vermischten sich nicht.

Niemals.

Dennoch ignorierte man keine königliche Ladung, und so saßen Agatha und ihr Ehemann nun in einer erstaunlich weit vorn gelegenen Reihe der Chapel Royal und wechselten nervöse Blicke mit den anderen Mitgliedern ihrer Gruppe.

Genau genommen wechselte Agatha nervöse Blicke. Ihr Gatte schlief tief und fest.

Leonora Smythe-Smith, die immer zehn Worte benutzte, wenn fünf ausgereicht hätten, drehte sich zu ihr um. »Warum sind wir hier?«, flüsterte sie.

»Keine Ahnung«, erwiderte Agatha.

»Haben Sie gesehen, wie sie uns anstarren?«

Agatha widerstand dem Impuls, natürlich sehe ich, wie sie uns anstarren zu zischen. Man müsste schon ein vollkommener Trottel sein, um die irritierten Blicke zu verkennen, die ihnen aus den mit Aristokraten gefüllten Sitzreihen zugeworfen wurden.

Aristokraten, die allesamt porzellanhelle Haut hatten.

Die Danburys und die Smythe-Smiths – sowie die Bassets, die Kents und noch etliche andere bekannte Familien – mochten zwar reich sein und ein privilegiertes Leben führen, aber es handelte sich um eine gänzlich andere Art von Privileg und Reichtum als beim traditionellen britischen Adel. Agathas dunkle Haut bedeutete, dass sie niemals als passende Gesellschaft für die Töchter der Aristokratie in Betracht käme und schon gar nicht als potenzielle Braut für einen ihrer Söhne.

Das machte ihr nichts aus. Nun ja, oder nur selten. In Wahrheit nur bei Gelegenheiten wie dieser, wenn sie einen Raum mit Dukes, Duchesses und dergleichen teilen musste. Dann war sie jedes Mal versucht, der allgemeinen Verachtung mit dem Hinweis entgegenzutreten, dass auch sie von Königen und Königinnen abstammte, dass ihr Geburtsname Soma lautete und in ihren Adern das royale Blut der Gbo Mende aus Sierra Leone floss.

Aber welchen Sinn hätte das? Die meisten Leute hier könnten Sierra Leone nicht mal auf der Landkarte finden. Die Hälfte würde wahrscheinlich glauben, dass Agatha sich das komplette Land nur ausgedacht hatte.

Idioten. Die Welt war bevölkert von Idioten. Das war ihr schon vor langer Zeit klar geworden, zusammen mit der deprimierenden Tatsache, dass man nur sehr, sehr wenig dagegen tun konnte.

Frauen hatten es nicht leicht im Leben, unabhängig von ihrer Hautfarbe.

Agatha warf einen verstohlenen Seitenblick auf ihren Ehemann. Der immer noch schlief. Sie stieß ihn mit dem Ellbogen an.

»Was?«, stammelte er.

»Du hast geschlafen.«

»Das stimmt nicht.«

Da sieht man es doch. Alles Idioten.

»Ich würde doch niemals in der Chapel Royal schlafen.« Er wischte einen Fussel von seiner Samtweste.

Agatha schüttelte den Kopf. Wie hatte er es geschafft, zwischen ihrem Zuhause und St. James’s Palace Fusseln auf seine Weste zu bekommen?

Ihr Ehemann war … nicht ihr Lieblingsmensch. Was vermutlich die freundlichste Wortwahl war, wenn sie ihn beschreiben sollte. Seit ihrem dritten Lebensjahr war er Teil ihres Lebens, damals hatten ihre Eltern sie ihm versprochen.

Während sie herangewachsen und zur perfekten Gattin für ihn erzogen worden war, hatte sie sich oft gefragt, was für ein Mann einen Verlobungs-Kontrakt mit einer Dreijährigen schloss. Herman Danbury war bereits über dreißig gewesen, als er das Dokument unterschrieben hatte. Wenn er auf Erben erpicht gewesen wäre, hätte er sich doch gewiss eine Braut gesucht, die ihm etwas schneller Nachwuchs geschenkt hätte.

Nach der Hochzeit hatte sie ihre Antwort bekommen. Nun ja, zumindest eine Art Antwort. Es ging ihm um die Reinheit seines Stammbaums. In Danburys Adern floss ebenfalls königliches Blut, das er ausschließlich mit der Elite der afrikanisch-britischen Gesellschaft zu vermischen wünschte. Außerdem hatte er auf diese Weise, wie er ihr fröhlich mitgeteilt hatte, vierzehn weitere Junggesellenjahre gewonnen. Und welcher Mann wäre nicht begeistert von einer solchen Option?

Agatha hegte den Verdacht, dass es im Südosten Englands eine ganze Reihe von Danbury-Bastarden gab. Und sie war ziemlich sicher, dass ihr Gatte wenig oder gar nichts zu deren Unterhalt beitrug.

Derlei sollte als Verbrechen geahndet werden, das sollte es wirklich.

Aber wie dem auch sei, nach ihrer Heirat hatte er damit aufgehört, uneheliche Kinder zu produzieren. Das wusste Agatha, weil er ihr reichlich unverblümt verkündet hatte, dass sie all seine diesbezüglichen Bedürfnisse befriedigte. Und da sie besagte Bedürfnisse sehr häufig befriedigte, glaubte sie ihm.

Agatha rutschte leicht auf ihrem Sitz herum. Sie hatte an diesem Morgen ebenjene Bedürfnisse befriedigt, als die königliche Einladung eingetroffen war. Mit der Folge, dass sie nicht dazu gekommen war, ihr übliches postkoitales warmes Bad zu nehmen. Sie war wund, und es brannte.

Nun, jedenfalls mehr als sonst.

Doch sie war bereit, ihr Unbehagen zu ignorieren, weil ihr erstens nichts anderes übrig blieb und weil sie zweitens auf der royalen Hochzeit war.

Solche Überraschungen widerfuhren einem nicht oft im Leben. Ihr war noch nie dergleichen passiert.

»Hätten sie nicht längst schon anfangen sollen?«, fragte Mrs. Smythe-Smith.

»Keine Ahnung«, flüsterte sie, hauptsächlich weil es unhöflich gewesen wäre, nicht zu antworten.

»Der König wird eintreffen, wenn der König eintreffen will«, sagte Danbury. »Er ist der König.«

Er verkündete das in so pompösem Ton, dass man glauben könnte, Danbury hätte tatsächlich Erfahrungen mit Königen.

Was nicht zutraf. Dessen war Agatha sich sehr sicher.

Doch in einem Punkt hatte ihr Gatte wohl recht. Ein König machte, was ein König wollte, einschließlich zu spät zu seiner eigenen Hochzeit zu kommen.

Oder die gesamte Schwarze Elite Londons zur Zeremonie einzuladen.

Sie wagte einen weiteren Blick auf die gegenüberliegenden Sitzreihen. Nicht alle Aristokraten starrten sie irritiert an. Einige wirkten einfach nur neugierig.

Seht nicht mich an, hätte sie ihnen am liebsten zugerufen. Ich weiß genauso wenig wie ihr, was los ist.

Wenigstens gab es viel zu gucken, während man wartete. Die Chapel Royal war genauso exquisit gestaltet, wie sie es sich vorgestellt hatte, jedoch nicht im aktuellen Rokoko-Stil, was sie verwunderte. Agatha hätte angenommen, dass der Palast mehr au courant wäre.

Doch die schlichtere Architektur war hübsch und, wenn sie ehrlich war, mehr nach ihrem Geschmack. Vor allem die Kassettendecke war wundervoll. Sie bestand aus vielen kompliziert angeordneten Paneelen, die von Hans Holbein persönlich bemalt worden waren, zumindest hatte Agatha das einmal irgendwo gelesen. Sie war schon immer an Architektur und Gestaltung interessiert gewesen. Die in die Decke eingelassenen Holzrahmen erinnerten sie an Honigwaben, und jedes einzelne Bild war …

»Hör auf, so zu glotzen«, fuhr Danbury sie leise an.

Agatha riss ihren Blick von der Decke los.

»Du führst dich auf wie eine Bäuerin«, tadelte er. »Versuch, dich so zu benehmen, als ob du schon mal hier warst.«

Sobald er sich abwandte, verdrehte sie die Augen. Als ob irgendwer glauben würde, dass einer von ihnen vor dem heutigen Tage jemals einen Fuß in den Palast gesetzt hatte.

Doch sie wusste, was dies hier Herman bedeutete. Sein Leben war voller Beinahes gewesen. Beinahe dazugehören. Beinahe akzeptiert werden. Er war in Eton gewesen, aber hatte er in einer der Mannschaften spielen dürfen? Er hatte in Oxford studiert, aber hatte man ihm Zugang zu einer dieser speziellen Verbindungen gewährt?

Nein, natürlich nicht. Er war vermögend, er war gebildet, er entstammte sogar einer afrikanischen Königsfamilie. Aber seine Haut war Schwarz, daher würde der ton ihn niemals als einen der ihren akzeptieren.

Und darin lag der große Widerspruch ihres Lebens. Agatha mochte ihren Ehemann nicht. Überhaupt nicht. Aber sie empfand Mitgefühl für ihn, wegen all der Demütigungen, die an seinem Herzen nagten. Mitunter fragte sie sich, ob ein anderer Mensch aus ihm geworden wäre, wenn man ihm erlaubt hätte, sein volles Potenzial auszuschöpfen. Wenn er nicht, wann immer er sich seinen Zielen genähert hatte, weggestoßen oder übergangen worden wäre.

Wenn die Gesellschaft ihn als den Mann wahrnahm, der er wirklich war, könnte er sie vielleicht auch als die Frau sehen, die sie wirklich war.

Vielleicht aber auch nicht. In der vornehmen Gesellschaft wimmelte es nur so vor Männern, die in Frauen nichts anderes sahen als Schmuckstücke oder Zuchtvieh.

Trotzdem stellte Agatha sich diese Frage immer wieder.

»Oh!«, quiekte Mrs. Smythe-Smith, und Agatha folgte ihrem Blick zum hinteren Teil der Kapelle. Anscheinend traf gerade eine bedeutende Person ein.

»Ist es der König?«, fragte Danbury.

Agatha schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht genau erkennen, aber ich glaube nicht.«

»Es ist die Prinzessin«, sagte Mrs. Smythe-Smith.

»Welche?«, flüsterte Agatha. Die Braut? Oder eine der Schwestern des Königs?

»Prinzessin Augusta.«

Die Mutter des Königs. Unwillkürlich hielt Agatha den Atem an. Prinzessin Augusta war ohne Frage die einflussreichste Frau im Land, eine Königin in allem, was zählte, nur der Titel selbst fehlte ihr. Schon lange wurde gemunkelt, dass sie die eigentliche Macht hinter dem Thron darstellte.

Alle erhoben sich von ihren Plätzen. Agatha verrenkte sich fast den Hals, um besser sehen zu können. Zum Teufel damit, dass sie sich wie eine Bäuerin aufführte, sie wollte einen Blick auf die Prinzessin erhaschen. Außerdem wandte Danbury ihr gerade den Rücken zu und glotzte höchstwahrscheinlich selbst.

Prinzessin Augusta bewegte sich wie eine Königin, oder zumindest so, wie Agatha sich die Bewegungen einer Königin vorstellte: anmutig und zielbewusst, der Fächer eine elegante Verlängerung ihrer rechten Hand. Den Rücken hielt sie kerzengerade. Falls das offensichtliche Gewicht ihrer Robe – der Stoff allein musste knapp sieben Kilo wiegen – ihr zu schaffen machte, ließ sie es sich nicht anmerken.

Was war es für ein Gefühl, wenn so viele Augen auf einen gerichtet waren? Agatha konnte es sich nicht vorstellen. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, vermutlich jeden Tag. Das musste erschöpfend sein.

Aber die Macht. Das Potenzial, zu tun, was immer man wollte, zu sehen, wen man wollte, und, viel wichtiger, jene, die man zu meiden wünschte, nicht zu sehen.

Traurigerweise konnte Agatha sich auch das nicht vorstellen.

Prinzessin Augusta schritt den Mittelgang entlang, daher konnte Agatha sie nun besser beobachten. Sie schien niemanden anzuschauen und doch alle gleichzeitig, als wollte sie sagen: Ich sehe euch wohl, bin aber zu erhaben, euch zu bemerken. Sie ließ den Blick über die Menge gleiten, jedoch nirgendwo verweilen, bis sie ihn …

… auf Agatha richtete.

Ihr stockte der Atem. Das konnte nicht wahr sein.

Prinzessin Augusta setzte ihren majestätischen Marsch fort, kam dabei sogar noch näher, und Agatha konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was sie und ihr Ehemann getan haben könnten, um den Unmut der Prinzessin auf sich zu ziehen. Aber warum sonst würde sie sie so anstarren?

Oder bildete sie sich das nur ein? Vielleicht fixierte die Prinzessin ja tatsächlich die Smythe-Smiths. Wobei das genauso unglaublich wäre.

Noch eineinhalb Meter, noch ein halber Meter …

Sie blieb stehen. Direkt vor den Danburys.

Agatha knickste. Tief. Als sie sich wieder aufrichtete, sprach die Prinzessin bereits mit Danbury.

»Ihr Vater war seiner verstorbenen Majestät, dem Großvater meines Sohns, gut bekannt, nicht wahr?«, erkundigte sie sich.

Das stimmte. Danburys Vater hatte König George II. persönlich gekannt. Agatha war nicht sicher, ob ihre Verbindung die Bezeichnung Freundschaft verdiente, doch Seine Majestät hatte die Diamanten, die aus den Danbury-Minen in Kenema kamen, sehr zu schätzen gewusst.

Die Prinzessin schien keine Antwort zu erwarten, denn sie redete ohne Pause weiter. »Ich freue mich sehr, Sie heute bei diesem familiären Anlass dabeizuhaben, Lord Danbury.«

Unwillkürlich beugte Agatha sich vor. Hatte sie das richtig verstanden?

»Lord?«, stammelte Danbury. »Ich … Ich weiß nicht, was ich …«

»Die offizielle Ernennung werden Sie nach seiner Hochzeit vom König erhalten«, fiel Prinzessin Augusta ihm unbeirrt ins Wort. »Sie haben die Ehre, von nun an Lord und Lady Danbury zu sein.«

Lady Danbury? Sie, Agatha Danbury, war nun Lady Danbury. Und diese wundersame Verwandlung hatte sich vor Dutzenden von Zeugen in der Chapel Royal des St. James’s Palace zugetragen.

Das war nicht … Es konnte nicht wahr sein.

Und doch entsprach es den Tatsachen. Prinzessin Augusta stand direkt vor ihr. »Alle Mitglieder des ton müssen einen Titel tragen«, fuhr sie fort.

»Des ton, Königliche Hoheit?«, wiederholte Agatha.

Prinzessin Augusta würdigte sie eines winzigen Senkens des Hauptes. »Es ist an der Zeit, dass wir eine vereinte Gesellschaft werden, nicht wahr?«

Agatha öffnete den Mund, aber selbst wenn sie über genug Geistesgegenwart verfügt hätte, um etwas zu erwidern, wäre es ohne Bedeutung geblieben, denn Prinzessin Augusta war bereits zur nächsten Reihe weitergegangen und begrüßte Lord und Lady Smythe-Smith.

Was zum Teufel war hier gerade passiert?

Neben ihr platzte ihr Ehemann fast vor Stolz. »Lord Danbury«, flüsterte er ehrfürchtig. »Stell dir das vor.«

»Ich stelle es mir vor«, entgegnete Agatha leise. Sie beobachtete, wie die frisch gekürte Lady Smythe-Smith in einen tiefen Knicks sank, in welchem sie so lange verharrte, dass Prinzessin Augusta sie zum Aufstehen auffordern musste.

»Tut mir leid, Königliche Hoheit«, sagte Lady Smythe-Smith. »Ich meine, vielen Dank, Königliche Hoheit, ich …«

»Eine Sache noch«, unterbrach Prinzessin Augusta den sich anbahnenden Redefluss, wandte sich dabei aber wieder an die Danburys. »Wie lautet Ihr voller Name?«, fragte sie Agatha.

»Meiner?« Agatha deutete auf sich selbst.

Prinzessin Augusta nickte knapp.

»Agatha Louisa Aminata Danbury.«

»Das ist ein guter Name.«

»Vielen Dank, Königliche Hoheit.«

Die Prinzessin musterte sie mit bohrendem Blick. »Was bedeutet Aminata? Ich nehme an, Louisa heißen Sie zu Ehren unserer großen Prinzessinnen.«

»Selbstverständlich, Königliche Hoheit.« Das stimmte. Agathas Eltern hatten sich einen royalen Namen für ihre Tochter gewünscht, der zu ihren beiden Kulturen passte, daher hatten sie den in der britischen Königsfamilie beliebten Namen Louisa als zweiten Vornamen gewählt. Was den dritten betraf …

»Aminata heißt …« Agatha räusperte sich. Sie war nicht daran gewöhnt, mit so hochrangigen Personen wie Prinzessin Augusta zu reden, und, wenn sie ehrlich war, in heller Panik. Doch dann fiel ihr etwas ein, was ihr Kindermädchen ihr einmal geraten hatte.

Sei Furcht einflößend.

Und auch wenn sie nicht Furcht einflößend war, auch wenn sie sich gerade selbst schrecklich fürchtete …

Konnte sie sich doch zumindest ausmalen, dass sie Furcht einflößend war. Sie konnte sich vorstellen, dass sie die Stärke und die Macht hatte, Männer und Frauen in die Knie zu zwingen. Und vielleicht würde ihr ja ein Hauch dieser Fantasie in Fleisch und Blut übergehen.

Sie schaute Prinzessin Augusta fest an. »Aminata ist ein Name unserer Familie. Er bedeutet vertrauenswürdig, loyal und ehrlich.«

»Sind Sie vertrauenswürdig, loyal und ehrlich?«

»Das bin ich, Königliche Hoheit.«

Einen Moment länger, als noch angenehm gewesen wäre, starrte Prinzessin Augusta sie eindringlich an. »Gut«, sagte sie schließlich. »Sie werden der Königin als Mitglied ihres Hofstaats dienen.«

»Ich …« Was? Ein paar Sekunden lang verschlug es Agatha die Sprache. »Ja«, brachte sie schließlich heraus. »Ja, Königliche Hoheit. Es wird mir eine sehr große Ehre sein.«

»Das versteht sich von selbst.« Prinzessin Augusta bedachte Danbury, dem vor lauter fassungsloser Gafferei fast die Augen aus dem Kopf zu fallen schienen, mit einem knappen Nicken und ging weiter.

»Was ist gerade passiert?«, flüsterte Agatha.

»Warum du?«, fragte Danbury.

»Keine Ahnung.«

»Es ist Ihr Name«, warf Lady Smythe-Smith ein. »Animata.«

»Aminata«, korrigierte Agatha. »Und es ist nicht mein Name.«

»Sie sagten doch gerade, dass Sie so heißen.«

Ungeduldig schüttelte Agatha den Kopf. Du lieber Himmel, war die Frau dämlich. »Das ist nicht der Grund, warum sie mich ausgewählt hat.«

»Warum denn dann?«

»Ich weiß es nicht. Warum hat sie uns überhaupt ausgewählt? Plötzlich sind wir alle Adelige.«

»Wir anderen sind jetzt Adelige«, erklärte Danbury verdrießlich. »Du bist etwas Besseres. Du gehörst zum Hofstaat.«

»Darüber bin ich ebenso erstaunt wie du«, versicherte sie ihm.

»Meine Familie hatte eine Verbindung zum verstorbenen König.«

»Ich weiß.«

»Warum also wollen sie dich?«

»Keine Ahnung. Ich kenn diese Leute nicht.«

»Sie werden Sie kennenlernen«, bemerkte Lady Smythe-Smith, was ihnen in Erinnerung rief, dass sie ihnen immer noch zuhörte.

»Mein Lieber«, Agatha tätschelte den Arm ihres Ehemanns. »Ich bin sicher, dass sie mich nur deinetwegen und aufgrund deiner Reputation erkoren haben. Schließlich konnten sie ja schlecht dich für den Hofstaat der Königin auswählen. Du bist ein Mann. Und da sie dich nicht haben konnten, fragten sie mich an deiner Stelle.«

»Schon möglich«, murmelte Danbury.

»Ohne dich bin ich nichts, mein Lieber.« Obwohl ihr diese Worte schon so oft über die Lippen gekommen waren, hatten sie nichts von ihrer Wirksamkeit verloren. Danbury richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den vorderen Teil der Kirche, und Agatha nahm ihre Inspektion der Decke erneut auf. Ihr gefiel wirklich, wie die Achtecke und Schweizerkreuze ein komplexes Muster bildeten, und die …

Aus dem Augenwinkel erhaschte sie eine Bewegung. Jemand befand sich auf der Galerie. Rasch schaute sie um sich. Hatte es sonst niemand bemerkt?

Nein. Keiner außer ihr blickte nach oben.

Es war eine junge Frau. Deren Haut dieselbe Farbe hatte wie Agathas, vielleicht einen Ton heller oder dunkler, das war bei dem gedämpften Licht nicht zu erkennen. Doch sie war definitiv nicht weiß, und sie befand sich definitiv in einem abgesperrten Bereich.

Wieder betrachtete Agatha die Leute um sich herum. Alle beobachteten einander, und manche begannen, sich Luft zuzufächeln, da der dicht besetzte Raum sich immer mehr aufheizte.

Dann blickte sie erneut nach oben. Das Mädchen war verschwunden.

Merkwürdig.

Aber nicht so merkwürdig wie alles andere, was sich heute zugetragen hatte.

Lady Danbury. Hofdame der Königin.

Gahhh.

BRIMSLEY

St. James’s Palace, Chapel Royal 8. September 1761

Bartholomew Brimsley würde seine Stellung verlieren.

Oder man würde ihn hängen.

Oder beides, was durchaus wahrscheinlich schien. Man würde ihn erst aus seiner Position als Königlicher Begleiter entfernen und dann aufknüpfen. Und anschließend – da er nun mal für das Haus Hannover tätig war, das die halbe Welt beherrschte und tun und lassen konnte, was es wollte – würden sie vermutlich einen Trupp italienischer Weinleser anheuern und auf seinem Leichnam herumtrampeln lassen.

Von ihm würde nichts übrig bleiben als ein Paar Klumpen aus Haaren und Eingeweiden, und das geschah ihm nur recht.

»Du hattest einen Auftrag«, murmelte er vor sich hin. »Einen. Einzigen. Auftrag.«

Zu Brimsleys Unglück hatte dieser eine Auftrag darin bestanden, Prinzessin Sophia Charlotte zu Mecklenburg-Strelitz zur Chapel Royal im St. James’s Palace zu geleiten, wo sie Seine Majestät König George III. von Großbritannien und Irland ehelichen sollte.

Und zwar in diesem verdammten Moment.

Und er hatte sie verloren.

Wenn man sich vorstellte, dass er das Ganze auch noch als Beförderung betrachtet hatte. Erst vergangene Woche hatte Prinzessin Augustas oberste Zofe Sophronia Pratt ihn beiseitegenommen. »Man hat Ihnen die ehrenvolle Aufgabe übertragen, unserer neuen Königin zu dienen«, hatte sie gesagt und weitergeredet, während Brimsley die verblüffende Entwicklung überhaupt erst zu verdauen begonnen hatte. »Als Erstes müssen Sie sich merken, dass sie Prinzessin Charlotte genannt wird, nicht Prinzessin Sophia.«

»Wird das auch ihr Name als Königin sein? Charlotte?«

»Das wissen wir nicht. Man kann nur vermuten. Und wenn es um die königliche Familie geht, sollte man grundsätzlich davon absehen, Vermutungen anzustellen.«

»Jawohl, Ma’am«, erwiderte Brimsley. Er überlegte, was für eine Livree man ihm wohl geben würde. Wohl kaum eine hellrote wie den Dienern und Kutschern. Als Mitglied des Hofstaats stand ihm gewiss etwas Distinktiveres zu. Das Gefolge des Königs trug Marineblau, aber Brimsley gefiel Scharlachrot besser.

»Sie wird nächste Woche eintreffen«, fuhr Pratt fort. »Wir kennen noch nicht das exakte Datum, doch man hat mich wissen lassen, dass die Hochzeit im unmittelbaren Anschluss stattfinden wird.«

»Im unmittelbaren Anschluss, Ma’am?«, wiederholte Brimsley, leicht perplex.

»Binnen Stunden. Auf jeden Fall noch am selben Tag.«

»Gibt es einen Grund für diese Eile, Ma’am?«

Pratt durchbohrte ihn mit eisigem Blick. »Falls es einen gibt, dürfte er Sie wohl kaum etwas angehen.«

»Natürlich nicht, Ma’am«, versicherte Brimsley hastig, sich innerlich ohrfeigend. Pratt konnte ihm die Beförderung genauso schnell wieder entziehen, wie sie sie gewährt hatte. Also senkte er respektvoll den Kopf. »Ich werde mich bereit halten, Ma’am.«

»Gut. Sie werden fünf Schritte hinter ihr gehen. Immer. Sie werden immer bei ihr sein. Sie werden ihre Fragen beantworten …«

»Immer?«, warf Brimsley ein.

»Manchmal.« Die Miene, mit der Pratt ihn musterte, vermittelte zu gleichen Teilen Strenge und Geringschätzung. »Sie werden ihre Fragen manchmal beantworten.«

Brimsley war nicht ganz sicher, wie er das verstehen sollte.

»Sie wird die hiesigen Abläufe nicht kennen«, erklärte Pratt, wobei die Geringschätzung in ihrer Miene einen raschen Sieg über die Strenge davontrug. »Ihr dabei zu helfen, sie zu lernen, wird eine unserer vordringlichsten Pflichten sein.«

»Aber wäre es zu diesem Zweck nicht angebracht, dass ich all ihre Fragen beantworte?«

Pratt verdrehte die Augen, und obwohl Brimsley nicht über besondere Kenntnisse im Bereich des Lippenlesens verfügte, glaubte er zu erkennen, wie sie lautlos die Worte Gott helfe mir ausstieß.

Möge Gott ihnen beiden helfen. Schließlich wusste sie genauso gut wie er, dass man ihn mit seiner neuen Position den Wölfen zum Fraß vorwarf.

»Die deutsche Prinzessin muss lernen, sich unseren Gepflogenheiten anzupassen«, erklärte Pratt.

Er nickte ernst. »Ich verstehe, Ma’am.«

»An diesem Hof.«

»Selbstverständlich, Ma’am.«

»Prinzessin Augustas Hof.«

Brimsley öffnete den Mund, um etwas einzuwenden. Gewiss würde es doch der Hof der neuen Königin sein, nicht der von Prinzessin Augusta.

Pratt hob eine Augenbraue zu einem verblüffend hoheitsvollen Bogen. »Ja?«

Brimsley war kein Dummkopf. Ein eitler Fatzke vielleicht, das ja, aber nicht dumm. »Ich verstehe vollkommen, Ma’am.«

»Das dachte ich mir«, erwiderte Pratt. »Daher habe ich Sie für diese Position empfohlen.«

»Vielen Dank, Ma’am.«

Pratts Blick ließ keinen Zweifel daran, dass sein Dank ihrer nicht würdig war. »Wollen Sie den zweiten Grund erfahren, aus dem ich Sie empfohlen habe?«

Da war Brimsley sich nicht so sicher.

»Wegen Ihres Gesichts«, erläuterte Pratt. »Es erinnert ein wenig an einen Fisch.«

»Danke?« Er räusperte sich. »Ma’am.«

»Das wäre dann ein weiterer Grund für Ihre Eignung, nehme ich an. Ich habe Sie gerade beleidigt, und Sie bedanken sich. Solche Situationen dürften sich mit der Königin des Öfteren ergeben.«

Das klang nicht gerade ermunternd. »Dann haben Sie wohl schon viel über sie gehört?«

»Keine Silbe«, erwiderte Pratt. »Aber in dieser Hinsicht sind alle Königlichen Hoheiten gleich. Jedenfalls verleiht Ihr Fischgesicht Ihnen eine Aura steter Herablassung. Sie machen generell einen ziemlich selbstgefälligen Eindruck, obwohl wir doch beide wissen, dass dazu nicht der geringste Anlass besteht.«

Brimsley konnte sich nicht erinnern, jemals so eingehend niedergemacht worden zu sein. Wäre er nicht das Opfer, hätte er sie wahrscheinlich dafür bewundert. Es war wirklich außerordentlich gekonnt.

»Noch ein letzter Hinweis«, sagte Pratt. »Die Fragen, die die neue Königin stellt, könnten womöglich nicht jene sein, die sie auf ihrem Weg, sich unserer Lebensweise anzupassen, am effizientesten voranbringen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«

»Jawohl, Ma’am«, antwortete Brimsley, einfach weil die Frau furchterregend war. Außerdem wollte er die Position. Die, wie er annahm, mit einer Lohnerhöhung einherging.