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Der spannende Leipzig-Krimi von Bestsellerautor Marcus Hünnebeck. Pass auf, was du dir wünscht – es könnte in Erfüllung gehen. Sven Albrecht liebt das Scheinwerferlicht. Der smarte Fernsehmoderator tut alles, um im Gespräch zu bleiben, und genießt den Ruhm. Als in Leipzig ein Grundschulkind verschwindet, überschlagen sich die Ereignisse. Die Polizei verhaftet zwar einen Verdächtigen, findet aber keinen Hinweis auf den Verbleib des Kindes. Albrecht greift die verantwortlichen Kriminalkommissare in seiner Fernsehsendung an und wirft ihnen Unfähigkeit vor. Sein Plan, aus der Entführung Kapital zu schlagen, funktioniert. Doch kurz darauf rückt er selbst ins Visier der Moko Leipzig. Albrechts Freundin, die erfolgreiche Sängerin Emmi, wird im Haus des Moderators brutal ermordet. Da ihm ein Alibi fehlt, ist er rasch der Hauptverdächtige. Hat er seine Partnerin eiskalt ausgeschaltet, weil sie lästig wurde? Oder gibt es einen anderen Grund, warum die attraktive Emmi viel zu jung sterben musste? Band 1 der Moko Leipzig: Rampensau Jedes Buch der vierteiligen Reihe behandelt einen eigenständigen Kriminalfall. Die Jagd nach dem Kindesentführer zieht sich über alle Bände, die im Wochenrhythmus erscheinen. Vier Leipziger Autoren geben vier Kommissaren der Leipziger Polizei eine Stimme. Band 2: Hurenball von David Gray Band 3: Straßenköter von Stefan B. Meyer Band 4: Mitgift von Kirsten Wendt
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Seitenzahl: 167
Titelseite
Inhaltsverzeichnis
Über den Autor
Über das Buch
Impressum
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Moko Leipzig
Kriminalroman
TitelseiteÜber den AutorÜber das BuchImpressum
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Moko Leipzig
Marcus Hünnebeck wurde 1971 in Bochum geboren und lebt inzwischen als freier Autor in Leipzig. Er studierte an der Ruhr-Universität Bochum Wirtschaftswissenschaften.
Im März 2001 erschien mit Verräterisches Profil sein erster Thriller, 2003 und 2004 folgten Wenn jede Minute zählt und Im Visier des Stalkers.
Dank der Möglichkeiten, die das E-Book-Publishing bietet, veröffentlichte er im Jahr 2013 seine alten Thriller als überarbeitete E-Books. Im Visier des Stalkers erhielt aus rechtlichen Gründen den Namen Die Rache des Stalkers.
Als Erstausgabe erschien im Juni 2014 Kainsmal bei Edition M. Mit Die Drahtzieherin führte er die Serie um Oberkommissarin Katharina Rosenberg fort.
Im September 2015 veröffentlichte Egmont-Lyx den ersten Band einer neuen Reihe, der den Titel Im Auge des Mörders trägt. Im Mittelpunkt dieser Serie stehen die Journalistin Eva Haller und der Leibwächter Stefan Trapp.
Der zweite Band folgte im September 2016 und heißt Abschaum.
Rampensau - Mordkommission Leipzig war der erste Teil eines neuen Projekt, für das sich Marcus Hünnebeck mit drei anderen Leipziger Autoren zusammengeschlossen hat. Diese Zusammenarbeit setzen die vier Autoren mit der zweiten Staffel fort, für die Hünnebeck den ersten Band Blender beisteuerte.
Pass auf, was du dir wünscht – es könnte in Erfüllung gehen.
Sven Albrecht liebt das Scheinwerferlicht. Der smarte Fernsehmoderator tut alles, um im Gespräch zu bleiben und genießt den Ruhm. Als in Leipzig ein Grundschulkind verschwindet, überschlagen sich die Ereignisse. Die Polizei verhaftet zwar einen Verdächtigen, findet aber keinen Hinweis auf den Verbleib des Kindes. Albrecht greift die verantwortlichen Kriminalkommissare in seiner Fernsehsendung an und wirft ihnen Unfähigkeit vor. Sein Plan, aus der Entführung Kapital zu schlagen, funktioniert. Doch kurz darauf rückt er selbst ins Visier der Moko Leipzig. Albrechts Freundin, die erfolgreiche Sängerin Emmi, wird im Haus des Moderators brutal ermordet. Da ihm ein Alibi fehlt, ist er rasch der Hauptverdächtige. Hat er seine Partnerin eiskalt ausgeschaltet, weil sie lästig wurde? Oder gibt es einen anderen Grund, warum die attraktive Emmi viel zu jung sterben musste?
Band 1 der Moko Leipzig: ›Rampensau‹
Jedes Buch der vierteiligen Reihe behandelt einen eigenständigen Kriminalfall. Die Jagd nach dem Kindesentführer zieht sich über alle Bände, die im Wochenrhythmus erscheinen. Vier Leipziger Autoren geben vier Kommissaren der Leipziger Polizei eine Stimme.
Band 2: ›Hurenball‹ von David Gray
Band 3: ›Straßenköter‹ von Stefan B. Meyer
Band 4: ›Mitgift‹ von Kirsten Wendt
Rampensau - Mordkommission Leipzig Band 1
© 2018 Marcus Hünnebeck
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage, April 2018
Covergestaltung: Daniel Morawek und David Gray
unter Verwendung von einem Bild von Shutterstock
www.shutterstock.com (wk1003mike)
Lektorat: Elia van Scirouvsky
Korrektorat: Kirsten Wendt
Herausgeber:
Marcus Hünnebeck
Hegelstraße 11, 40789 Monheim
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit schriftlicher Zustimmung der Autoren zulässig.
Alle in diesem Roman geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
»Langweilig«, stöhnte Cindy.
Sie hatte keine Lust mehr, allein mit ihren beiden Puppen zu spielen. Ohnehin war es doof, wie wenig ihr der Weihnachtsmann gebracht hatte. Hauptsächlich Kleidung, ein bisschen Süßigkeiten und ein einziges Kuscheltier. Nichts von den Spielsachen, die sie sich gewünscht hatte. Vor allem keine neue Puppe.
Cindy trat an das Fenster ihres Kinderzimmers. Regen prasselte gegen die Scheibe. Wenn es wenigstens schneien würde, dann könnte sie hinausgehen und Flocken mit der Zunge fangen. Aber so? Nass werden war blöd.
Ob Mama Zeit hatte, ihr die Fingernägel anzumalen? Am liebsten mit der roten Farbe, die sie letzte Woche gekauft hatte. Cindy kam sich dadurch gleich viel älter vor. Nicht wie eine neunjährige Grundschülerin, sondern eher wie ein Mädchen, das schon zur Mittelschule geht.
Sie lief zu ihrer Tür und öffnete sie.
»Mama?«
Keine Antwort.
Wo steckte ihre Mutter? Cindy schaute zuerst in der Küche nach, doch da war sie nicht. Genauso wenig im Wohnzimmer. Die Badezimmertür stand offen, und das Licht war ausgeschaltet. Also gab es nur noch einen möglichen Ort. Vorsichtig drückte Cindy die Türklinke zum Schlafzimmer hinunter. Der Raum war wegen der heruntergelassenen Jalousie halbdunkel.
»Mama?«, fragte sie.
Das Bettzeug raschelte.
»Was ist, mein Schatz?«, erklang Mamas schwache Stimme.
»Schläfst du?«
»Ich habe Migräne und muss mich hinlegen, bis die Tablette wirkt.«
»Kannst du mir ...«
»Ich komme zu dir, wenn die Kopfschmerzen weg sind. Sei bitte schön leise.«
Cindy zog sich zurück und schloss die Tür. Was sollte sie nun machen? Manchmal dauerte es den ganzen Tag, bis es Mama besser ging.
Nach einer Weile beschloss Cindy, zu ihrer Freundin Mila zu gehen, die im dritten Stock wohnte. Vielleicht hatte sie ja Lust, gemeinsam etwas zu spielen. In ihrem Zimmer hob sie die beiden am Boden liegenden Puppen auf und schlich in die Diele. Mama mochte es eigentlich nicht, wenn sie ohne Bescheid zu sagen zu ihrer Freundin verschwand. Doch Cindy wollte nicht noch einmal die Schlafzimmertür öffnen. Beinahe lautlos trat sie deshalb nach draußen und machte die Tür hinter sich zu.
Den engen Aufzug nutzte sie bloß in Begleitung Erwachsener, denn sie fand die Geräusche, die er von sich gab, äußerst unheimlich. Fast wie ein Monster, das Spielzeug in sein Metallmaul schob und lauthals kaputt biss. Lieber lief sie die drei Etagen von der sechsten in die dritte nach unten und zählte dabei die einzelnen Stufen.
Als sie das vierte Stockwerk erreichte, stand ein weiß gekleideter Mann vor einer der Wohnungstüren und schaute sie an. Er lächelte nett.
»Na, kleines Fräulein.«
»Hallo«, erwiderte sie, blieb aber nicht stehen. Ihre Mutter hatte sie oft ermahnt, nicht mit Fremden zu sprechen.
Im gleichen Moment öffnete sich die Tür zu der Wohnung, und Cindy entdeckte den Nachbarn, der dort zusammen mit seinem Vater lebte.
»Hallo, Herr Hain, Sie sind spät dran«, sagte der Nachbar zu dem weiß gekleideten Mann.
»Entschuldigung«, murmelte der Mann. »Bei einem meiner Patienten hat es länger gedauert.«
»Hallo, Cindy«, rief der Nachbar.
»Hallo, Herr Böhme.«
»Du weißt, du darfst mich Ulf nennen.«
»Ja«, sagte sie und beschleunigte ihren Schritt. Es war ihr unangenehm, dass zwei Erwachsene sie beobachteten.
»Kommen Sie rein«, forderte Böhme den anderen Mann auf.
Als Cindy bei Mila ankam, hörte sie, wie die Wohnungstür in der vierten Etage geräuschvoll zugedrückt wurde. Sie klingelte. Rasch öffnete ihr Milas Mutter.
»Cindy!«, sagte sie überrascht.
»Guten Tag, Frau Rohland. Ist Mila da?«
»Sie putzt sich im Badezimmer die Zähne. Habt ihr euch verabredet?«
»Nein. Mir war langweilig. Mama hat Migräne.«
»Die Ärmste. Das passt gerade leider bei Mila gar nicht.« Frau Rohland sah auf ihre Uhr. »Wir müssen in zehn Minuten in die Stadt. Mila hat einen Termin beim Kieferorthopäden.«
»Mist.« Unbewusst verzog sie schmollend ihre Lippen. »Darf ich mit?«, fragte sie schließlich.
»In die Stadt?«
»M-hm.«
»Nein, das geht nicht.«
»Schade.«
»Bestell deiner Mutter gute Besserung.«
»Mache ich.«
Frau Rohland trat zurück und schloss die Tür. Unschlüssig blieb Cindy stehen. Sollte sie trotz des Regens nach draußen? Doch sie hatte nur ihre Puppen und keine Jacke mitgenommen. Also müsste sie ohnehin zuerst nach oben. Deprimiert betrat sie die erste Stufe. Ob es Mama mittlerweile besser ging?
Zum Glück begegnete ihr auf dem Rückweg niemand – weder in der vierten, noch in einer der anderen Etagen. Als sie an ihrer Wohnung ankam, griff sie mit der rechten Hand in die Hosentasche – und erschrak.
»Oh nein«, flüsterte sie.
Hektisch tastete sie die andere Tasche ab.
»Oh nein.«
Tränen schossen ihr in die Augen. Sie hatte den Wohnungsschlüssel vergessen. Was sollte sie jetzt bloß tun? Ihre Mutter würde wütend werden, falls sie durchs Klingeln geweckt würde. Bei Migräne war sie besonders lärmempfindlich.
»Ich bin so dumm«, schluchzte Cindy und setzte sich auf die oberste Stufe.
Um sich selbst für ihre Dummheit zu bestrafen, zog sie an ihren langen, blonden Haaren und bekam eine der violetten Soy-Luna-Haarklammern zu fassen.
Traurig betrachtete sie die Haarklammer, auf der in einem kleinen Herz Luna abgebildet war – das Mädchen, das so aufregende Abenteuer erlebte. Ihr wäre es bestimmt nicht passiert, dass sie die Wohnungsschlüssel vergaß.
Cindy legte die Klammer neben sich ab, stützte die Arme auf die Oberschenkel und verbarg ihr Gesicht darin. Seit ihrem letzten Geburtstag im März ging einfach alles schief. Kurz danach war Papa verschwunden, weil er laut Mama eine Hexe kennengelernt hätte. Er meldete sich kaum noch. Am Nikolaustag war er vorbeigekommen, um Mama mitzuteilen, dass er bald wegen eines neuen Babys weniger Unterhalt bezahlen würde. Mama hatte ihn angeschrien, weshalb er schnell wieder gegangen war und sich nicht einmal zu Weihnachten gemeldet hatte. Fast jeden Tag meckerte Mama am Frühstückstisch oder beim Mittagessen über ihn und die Hexe.
Außerdem ...
»Hey, wieso weinst du?«, erklang plötzlich eine Stimme.
Cindy hob den Kopf und wischte mit den Handrücken die Tränen aus den Augen.
Ein paar Stufen unter ihr stand Herr Böhme und schaute sie irritiert an.
»Nichts«, murmelte sie.
»Du weinst also grundlos. Das glaube ich nicht. Was ist geschehen?«
Der Nachbar kam ein bisschen höher und nahm drei Stufen unter ihr Platz.
Ob Mama schimpfen würde, falls sie das bemerkte? Immerhin war Herr Böhme ein Nachbar und kein Fremder.
»Ich habe meinen Wohnungsschlüssel vergessen«, bekannte sie. Irgendwie tat es ihr gut, das laut auszusprechen. Vielleicht lag es daran, dass Herr Böhme ihr sofort den Eindruck vermittelte, als ob ein solches Versehen jedem passieren könnte.
»Und jetzt kommst du nicht rein, weil deine Mutter nicht da ist«, vermutete er.
»Nein. Sie ist da.«
»Warum klingelst du dann nicht?«
»Mama liegt im Bett. Sie ist krank.«
»Oh. Hat sie etwas Schlimmes?«
»Migräne.«
»Und du willst sie nicht wecken.«
Cindy nickte.
»Das verstehe ich«, sagte der Nachbar. »Mein Vater liegt auch krank im Bett.«
»Was hat er? Kopfschmerzen, wie meine Mama?«
»Er hatte in den letzten Monaten schnell hintereinander zwei Schlaganfälle. Davon hat er sich bislang nicht erholt.«
»Das tut mir leid.« Sie wusste, was das bedeutete, denn der Großvater einer Schulfreundin war im Sommer an einem Schlaganfall gestorben. »Machen Sie ihn wieder gesund?«
»Das hoffe ich. Mir hilft der Mann, den du vorhin gesehen hast. Erinnerst du dich?«
»Ja«, erwiderte sie.
»Das ist ein Krankenpfleger. Er oder eine Kollegin von ihm helfen mir zweimal am Tag. Sonst würde ich das nicht schaffen.«
»Ich würde meiner Mama auch gern helfen.«
»Das machst du doch schon«, stellte der Nachbar fest.
Überrascht sah sie ihn an. »Wieso?«
»Zum Beispiel, indem du momentan nicht klingelst. Sie kann ein bisschen schlafen, und wenn sie aufwacht, ist der Kopfschmerz bestimmt verschwunden.«
»Hoffentlich.«
»Ich finde übrigens, du hast dir eine Belohnung verdient, weil du so rücksichtsvoll bist.«
»Eine Belohnung?«, wiederholte Cindy.
»Magst du Schokolade?«
»Klar!«
»Ich habe in meiner Küche eine große Auswahl verschiedener Süßigkeiten. Ich würde dir geben, was du willst. Du müsstest bloß mitkommen.«
Genau in diesem Moment knurrte ihr Magen. Der Gedanke an einen leckeren Schokoriegel klang verlockend. Aber Mama hatte sie nicht nur gewarnt, mit Fremden zu reden, sondern vor allem ihr ausdrücklich verboten, Süßigkeiten von Fremden anzunehmen. Ob Herr Böhme als Nachbar jemand war, dem sie vertrauen konnte?
»Ich weiß nicht«, murmelte sie. »Mama ...«
»Ich werde es ihr nicht verraten. Und du könntest eine Weile bei mir in der Wohnung mit deinen Puppen spielen. Ist ja besser, als hier im Hausflur zu sitzen.«
»Dann kriege ich nicht mit, wann Mama wach wird.«
»Du musst ja nicht lange bleiben«, schlug er vor. »Wir verdrücken beide einfach jeder so viel Schokolade, wie wir mögen, und anschließend ist deine Mutter aufgestanden.«
»Meinen Sie?«
»Ganz sicher.« Er hob einen Zeigefinger. »Außerdem würdest du damit auch mir helfen.«
»Warum?«
»Also eigentlich eher meinem kranken Vater als mir. Er freut sich über den Anblick eines hübschen Mädchens. Vielleicht macht ihn das sogar gesund.«
Cindy dachte angestrengt nach. Wenn sie es geschafft hätte, den Großvater ihrer Klassenkameradin gesund zu machen, wäre Lisa damals nicht so traurig gewesen. Und sie hatte wirklich großen Hunger.
»Okay«, sagte sie, griff zu ihren Puppen und stand auf.
Der Nachbar streckte ihr eine Hand entgegen. Statt sie anzufassen, klammerte sie sich jedoch an den Handlauf.
***
Marleen Busch wachte im beinahe vollständig dunklen Schlafzimmer auf. Der zuvor unerträgliche Schmerz hatte sich in ein sanftes Pochen verwandelt – ein deutlich angenehmerer Zustand.
Wie lange war sie weggetreten gewesen? Sie drehte leicht den Kopf und schaute zum Radiowecker. Überrascht stellte sie fest, dass es halb sechs war.
»Super«, flüsterte sie. »Bestimmt hat Cindy ein totales Chaos in der Küche angerichtet.«
Sie schlug die Bettdecke beiseite und schwang die Beine aus dem Bett. Da sie bei Migräneanfällen manchmal mit Schwindelattacken kämpfte, setzte sie sich vorsichtig auf und wartete ein paar Sekunden, ehe sie sich hinstellte.
Mit wackligen Beinen ging sie zur Tür und öffnete sie. »Hey, mein Schatz. Ich bin wach. Danke, dass du mich hast schlafen lassen.«
Cindy antwortete nicht. Hatte sie die Kinderzimmertür geschlossen? Marleen schaltete das Dielenlicht ein. Komisch, dass es überall dunkel war, denn Cindy fürchtete sich in der Dunkelheit.
Sie klopfte gegen die Tür und drückte die Klinke hinunter.
»Hallo, mein ...«
Niemand war in dem Zimmer.
»Cindy?«, rief sie nun lauter. Unbehagen kroch in ihr Herz. »Kleines?«
Sie rannte in die Küche, wo nichts darauf hindeutete, dass ihre Tochter seit dem Mittagessen etwas gegessen hatte.
»Cindy?«
Marleens Handy lag auf dem Küchentisch. Doch es war keine Nachricht und kein Anruf eingegangen.
Krampfhaft überlegte sie. Draußen war es, von der Straßenbeleuchtung abgesehen, stockfinster. Außerdem regnete es noch immer, und Cindys Anorak hing an der Garderobe. Sie musste hier irgendwo im Haus sein. Und das ließ nur eine Möglichkeit zu: Cindy war zu ihrer Freundin Mila spielen gegangen.
Marleens Schlüsselbund befand sich in einer herzförmigen, tönernen Schüssel auf dem Dielenschrank. Als sie nach dem Bund griff, hielt sie irritiert inne. Wieso hatte Cindy ihren eigenen Schlüssel nicht mitgenommen? Hatte sie ihn vergessen und harrte deshalb stundenlang im Hausflur aus?
Ruckartig öffnete sie die Wohnungstür. Auch im Flur war es dunkel. Sie betätigte den Schalter und sofort sprang das Deckenlicht an. Im nächsten Moment sah sie einen Gegenstand auf der obersten Stufe. Marleen bückte sich. Das war zweifelsohne eine von Cindys Haarklammern.
»Cindy?«, schrie sie.
Hektisch stürzte sie die drei Etagen bis zu den Rohlands hinunter. Sie klingelte und hämmerte gegen die Tür. Am Spion erkannte sie, dass jemand in der Diele das Licht einschaltete.
»Marleen!«, begrüßte sie Frederike Rohland überrascht. »Was soll der Krach?«
»Ist Cindy bei Mila?«
»Momentan?«
»Ja!«
»Sie war hier. Ist aber ein paar Stunden her.«
»Wann genau?«
»Gegen halb zwei. Wollte mit Mila spielen. Was allerdings nicht ging, weil wir in die Stadt zum Kieferorthopäden mussten.«
»Danach hast du sie nicht mehr gesehen?«
»Nein. Ist sie nicht in ihrem Zimmer?«
»Würde ich dann fragen?«
Marleen drehte sich um. »Cindy!«, brüllte sie verzweifelt. »Cindy!«
Vier Wochen später.
Sven Albrecht schloss die Augen, damit die Maskenbildnerin den letzten Schliff anbringen konnte. Die heutige Sendung war wichtig, denn sie würde in den nächsten Tagen in Leipzig und Umgebung das beherrschende Thema sein – davon war er überzeugt.
»Wunderbar«, gurrte die Frau. »Ich bin froh, dass du den Bart nicht mehr trägst. Männer und ihre Bärte, das ist eine ganz schreckliche Mode aktuell.«
Sven lächelte. Er hatte eine Zeit lang versucht, sein jungenhaftes Aussehen zu verändern, doch die Zuschriften der weiblichen Fans auf seiner Facebook-Seite und seinem Instagram-Profil waren in ihrem Urteil eindeutig gewesen. Manche hatten ihn förmlich angefleht, die Veränderung rückgängig zu machen. Das Foto, auf dem er sich mit Bartschaum im Gesicht und nacktem Oberkörper präsentiert hatte, war unzählige Male gelikt worden.
»Fertig«, sagte die Maskenbildnerin.
Er öffnete die braunen Augen und betrachtete sich im Spiegel. Das dunkelblonde Haar trug er seit Wochen etwas länger als früher. Die Maskenbildnerin hatte es perfekt frisiert und einige Strähnen mit Haarspray und Gel betont.
»Wie viel hast du abgenommen?«, fragte sie ihn.
»Gewichtsmäßig nichts«, bekannte er. »Allerdings habe ich nach einer Massephase das Krafttraining umgestellt und Fett in Muskelmasse umgewandelt. Ich wiege noch immer fünfundachtzig Kilo.« Was er bei seiner Größe von einem Meter siebenundachtzig ideal fand.
»Ich erinnere mich an deine Schnappschüsse aus dem Fitnessstudio.«
»Das mache ich alles nur für die Fans«, behauptete er. »Wäre ich kein Promi, hätte ich kein einziges Profil in den Netzwerken.«
Sie zwinkerte ihm zu und zog schwungvoll den Umhang von seiner Kleidung. Offensichtlich glaubte sie ihm nicht. »Heute trägst du Jackett und schwarze Jeans?«
»Ja«, bestätigte Sven. »Es wird eine ernste Sendung. Da will ich seriös wirken.«
***
Einer der Assistenten zählten mit seinen Fingern stumm den Countdown herunter. Als er nur noch den Zeigefinger in die Luft streckte, setzte Sven Albrecht ein Lächeln auf, das er vor dem Spiegel geübt hatte. Es sollte freundlich, doch zugleich betrübt aussehen.
»Guten Abend, liebe Zuschauer, und willkommen bei einer neuen Ausgabe von Albrecht ermittelt. Ich bin Sven Albrecht, und das ist unser heutiges Thema.« Er drehte sich zu einer anderen Kamera um, unterdessen wurde ein kurzer Film eingespielt, in dem verschiedene Nachrichtenschnipsel der vergangenen Wochen zusammengeschnitten waren. Nach den letzten Szenen war jedes Lächeln aus seinem Gesicht verschwunden.
»Vor genau dreißig Tagen veränderte sich das Leben der Alleinerziehenden Marleen Busch auf tragische Weise. Wegen fürchterlicher Kopfschmerzen hatte sie sich nach dem Mittagessen hingelegt und ihre neunjährige Tochter Cindy gebeten, ein bisschen Rücksicht zu nehmen. Das brave Mädchen verhielt sich absolut leise. Irgendwann beschloss es, eine Freundin, die im gleichen Haus im Leipziger Stadtteil Grünau wohnt, zu besuchen. Leider hatte die Freundin keine Zeit zum Spielen. Die Mutter des anderen Mädchens ist wahrscheinlich die letzte Person, die Cindy lebend gesehen hat. Vom Entführer abgesehen.« Er legte eine sekundenlange Pause ein. »Dreißig Tage ohne Lebenszeichen«, sagte er mit Grabesstimme. »Selbst aus Polizeikreisen ist wenig Hoffnungsvolles zu hören. Da stellt sich also zwangsläufig die Frage, was die Leipziger Polizei unternommen und erreicht hat.«
Betont bedächtig ging Albrecht zu seinem Stehpult, auf dem einige Zettel mit zuvor notierten Stichwörtern lagen.
»Erinnern wir uns. Zunächst einmal hat es nach dem verzweifelten Anruf der Mutter bei der Notrufzentrale über zwei Stunden gedauert, bis endlich die erste Streifenwagenbesatzung eintraf. Zwei Stunden! Sogar für Leipziger Verhältnisse ein Armutszeugnis. Oft genug beklagt sich unser Bürgermeister bei der Landesregierung, dass zu viele Stellen im Rahmen diverser Sparrunden gestrichen und nun lediglich zögerlich wieder aufgebaut werden. Die Landesregierung widerspricht dem in schöner Regelmäßigkeit vehement. Doch wenn nach einem solchen Notruf zwei Stunden vergehen, bin ich geneigt, dem Bürgermeister zuzustimmen. Die eingetroffenen Schutzpolizisten taten das einzig Richtige, nachdem sie mit Frau Busch gesprochen hatten: Sie forderten Verstärkung an. Abends um neun Uhr begannen insgesamt acht Beamte in der Nachbarschaft nach Cindy zu suchen. Niemand hatte sie gesehen. Sie war bei keiner ihrer Freundinnen. Die erste schlaflose Nacht für Frau Busch verging – einerseits voller Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang, andererseits mit der schlimmstmöglichen Befürchtung. Am nächsten Morgen übernahm das Kriminalkommissariat unter Leitung des Ersten Kriminalhauptkommissars Frank Starke die Ermittlungen. Vom LKA in Dresden bekam das Team um Starke Unterstützung durch einen mit Wärmebildkameras ausgestatteten Hubschrauber, der das Gebiet des nahe gelegenen Kulkwitzer Sees abflog. Erfolglos, wenn man von dem aufgescheuchten Liebespaar absieht, das sich trotz frostiger Temperaturen zu einem Schäferstündchen im Wald verabredet hatte. Am Nachmittag, und damit ziemlich genau vierundzwanzig Stunden nach Cindys Verschwinden, kam die Soko auf die glorreiche Idee, Spürhunde einzusetzen. Nach! Vierundzwanzig! Stunden!«
Sven betonte jedes Wort und schlug dabei dreimal gegen das Stehpult, um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen.