Rauschende Nächte in Monte Carlo - Caitlin Crews - E-Book + Hörbuch

Rauschende Nächte in Monte Carlo Hörbuch

CAITLIN CREWS

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Beschreibung

Seine Augen so dunkel wie die Zartbitter-Schokolade, die Cristiano Cassaras Luxusfirma herstellt. Sein Blick so feurig wie eine extra Portion Chili. Seit Jahren brennt in Julienne die Sehnsucht, den Tycoon zu küssen, wie eine unstillbare Flamme. Jetzt steht sie in Monte Carlo vor ihm, und ihre elegante Erscheinung hat nichts mehr zu tun mit dem mittellosen Mädchen, dem Cristiano einst das Leben rettete. Für einen Abend kann der Milliardär ihren Reizen nicht länger widerstehen. Doch die berauschende Liebesnacht hat pikante Folgen …

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Zeit:5 Std. 11 min

Sprecher:Lena Wolff
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IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2020 by Caitlin Crews Originaltitel: „The Italian’s Pregnant Cinderella“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 2452 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Anike Pahl

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733714314

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Wieder einmal Monaco.

Das war auf jeden Fall angemessen.

Julienne Boucher hatte in den vergangenen zehn Jahren mit zielstrebiger Leidenschaft und felsenfester Entschlossenheit auf diesen Moment hingearbeitet.

Es ergab einen gewissen Sinn, dass sie nun endlich die Ziellinie überquerte, und sie würde es genau hier tun. Im Grand Hotel in Monte Carlo, wo sie vor genau zehn Jahren zum ersten Mal gewesen war.

Um sich zu verkaufen.

Juliennes gefährlich hohe Absätze klickten auf den prächtigen Marmorböden des Hotels, während sie an üppigen Blumenarrangements vorbeiging, die damals für ihre unerfahrenen Augen wie farbenfrohe, exotische Dschungel ausgesehen hatten. In der riesigen Lobby waren alle Blicke auf sie gerichtet gewesen – zumindest hatte sie das so empfunden. Als wüssten die Leute, aus welchem Grund sie hergekommen war. Als könnten sie ihre Scham und Panik deutlich sehen und auch ihre Entschlossenheit, es trotzdem zu tun.

Weil sie es tun musste.

Sie hatte sich gefragt, ob die schrecklichen Männer aus ihrem Heimatdorf, aus dem sie an jenem Tag geflohen war, am Ende recht behielten. Sie hatten behauptet, die Boucher-Frauen wären nur für einen Job zu gebrauchen: als Prostituierte. Enthielt diese gemeine Behauptung vielleicht doch einen Funken Wahrheit?

Heute wusste sie, was die Menschen sahen, denen sie begegnete. Eine elegante, selbstbewusste Frau, die hart dafür gekämpft hatte, genau so zu werden. Tag für Tag. Jahr für Jahr. Eine Frau, die nicht nur anspruchsvoll war, sondern für die exklusive Hotels dieser Sorte ein ganz natürlicher Lebensraum waren.

Weil sie hierher gehörte. Dafür hatte sie gesorgt.

Julienne konnte fast den Geist ihres ehemaligen Ichs erkennen, der neben ihr herging und ihre früheren Gefühle widerspiegelte … Nervosität und tiefe Trostlosigkeit. Ein harter Kontrast zu den vergoldeten, glänzenden Oberflächen, den duftenden Orchideen und den riesigen Kronleuchtern.

Jetzt ging es ihr deutlich besser als damals, gesundheitlich und auch finanziell. Sie war keine mittellose, verängstigte Sechzehnjährige mehr, die wild entschlossen war, alles dafür zu tun, um ihre jüngere Schwester zu retten.

Auch wenn das bedeutete, sich dabei selbst zu verlieren.

Der Gedanke an Fleurette ließ sie kurz innehalten, und sie blieb direkt vor der berühmten Loungebar stehen, in der Prominente aus der ganzen Welt bedient wurden.

Etwas, das sie früher nur vermutet hatte, inzwischen aber mit Sicherheit wusste.

Auch Fleurette war in den letzten zehn Jahren stärker geworden und nicht länger ein zerbrechliches, kränkliches Wesen, um das man sich Sorgen machen musste. Nein, heutzutage konnte man Juliennes jüngere Schwester guten Gewissens als Wildfang bezeichnen: bunte Tattoos, zahlreiche Piercings und grell gefärbte Haare. Sie würde niemals wieder hilflos sein, so viel stand fest.

„Du hast es endlich geschafft“, hatte Fleurette gejubelt, als Julienne sie angerufen hatte. „Allein der letzte Deal muss Milliarden wert gewesen sein. Wir sind uns doch wohl einig, dass du dich für die Freundlichkeit dieses Menschen schon ausreichend revanchiert hast.“

Julienne hatte zwar zustimmend gemurmelt, war sich da aber nicht so sicher wie ihre Schwester. Denn Cristiano Cassara hatte sie gerettet. Nicht im übertragenen Sinne, sondern buchstäblich. Er hatte ihnen an diesem Abend vor zehn Jahren das Leben gerettet, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, die Notlage der Mädchen zu ignorieren oder die Sache einfach anderen zu überlassen.

Er hatte die beiden davor bewahrt, einer dunklen Spirale in den sicheren Tod zu folgen. Wenn nicht in jener Nacht, dann sicherlich kurze Zeit später irgendwo auf der Straße.

Julienne wusste das ganz genau. Aber dieses Schicksal war ihr glücklicherweise erspart geblieben, weil Cristiano ihr und Fleurette ein neues Leben ermöglicht und im Gegenzug absolut nichts von ihnen verlangt hatte.

Seit jenem Tag beschäftigte sie der Gedanke, wie sie sich für seinen Einsatz erkenntlich zeigen könnte.

Sie war ihm hierher gefolgt, zu dem Ort, an dem er angeblich einmal im Jahr Kurzurlaub machte. Obwohl sie sich kaum vorstellen konnte, dass der ehrgeizige Kopf der Cassara Corporation sich jemals irgendwo entspannte.

Fast zehn Jahre lang hatte sie für diesen Mann gearbeitet und nie auch nur das kleinste Lächeln auf seinem attraktiven Gesicht bemerkt. Nicht einmal einen Anflug davon.

Julienne stieß einen langen Atemzug aus und überprüfte ihr Aussehen zum hundertsten Mal in einem der glänzenden Spiegel, die hier fast jede Wand und jede Oberfläche zierten. Dabei war ihr bewusst, wie makellos gepflegt sie aussah.

Das war Teil der Anerkennung gewesen, die sie ihrem Wohltäter von Anfang an zollen wollte, auch wenn ihre Bemühungen gänzlich unbemerkt geblieben waren.

Vor genau zehn Jahren war sie hier in diesem Hotel gewesen, nachdem sie mit ihrer Schwester aus dem bösartigen kleinen Bergdorf geflohen war, aus dem sie stammten. Und wo sie immer wieder von angeblichen Freunden, rachsüchtigen Nachbarn und sogar ihrer eigenen Familie verraten worden waren. Alle hatten gewusst, was später einmal aus ihr und ihrer Schwester werden würde, und sie dementsprechend behandelt.

Sie hatte ihre letzte Handvoll Geld dafür benutzt, Bustickets zu kaufen und diesem ganzen Horror zu entfliehen. Dreist hatte sie ein Kleid vom Außenständer einer Boutique gestohlen und sich im Waschraum eines Cafés so gut wie möglich fertig gemacht. Billige Schuhe mit hohen Absätzen. Ein Lippenstift, den sie noch von ihrer lange verstorbenen Mutter aufbewahrt hatte, obwohl er schon bröckelte. Und genügend Augen-Make-up, um die Schande zu verschleiern, die sie empfand.

Dann hatte sie sich ins Grand Hotel geschlichen, während Fleurette sich so gut sie konnte in einer kleinen Nebenstraße versteckt hielt. Julienne hatte Angst gehabt, jeden Moment gepackt und rausgeworfen zu werden, und trotzdem mutig den Weg bis zu der Bar zurückgelegt, der sie sich auch jetzt gerade näherte.

An diesem Ort waren die Leute versammelt gewesen, auf die sie es abgesehen hatte: reiche Männer. Und man wusste schließlich, dass sich manche von ihnen alles kauften, was ihr Interesse erregte. Auch sechzehnjährige Mädchen, die verzweifelt auf der Suche nach Bargeld waren.

Julienne hatte diese Lektion schon früh in ihrem Heimatdorf gelernt, wo sie das Angebot des Metzgers abgelehnt hatte, ihr ein paar Münzen zu schenken, wenn sie ihn glücklich machte. Es waren nicht nur seine schlechten Zähne gewesen, die sie in Panik versetzt hatten.

Sie wusste bereits, was aus Mädchen wie ihr wurde, die auf dubiose Versprechen älterer Männer in dieser Stadt hörten. Sie selbst war das Ergebnis der Fehlentscheidungen ihrer Mutter, und es stand außer Frage, wo das endete. Zuerst kam die Drogensucht, danach irgendwann der viel zu frühe Tod. Und im schlimmsten Fall hinterließ man zwei Töchter, denen das gleiche Schicksal blühte.

Wenn es wirklich ihr Schicksal war – das hatte Julienne entschieden –, dann würde sie sich dem stellen. Aber nicht in diesem Kaff mit all den Menschen, die keinen Finger gerührt hatten, um ihrer labilen Mutter zu helfen. Sie wollte sich Fleurette schnappen und nach Süden ins glitzernde Monaco reisen, wo die unvermeidliche soziale Spirale nach unten zumindest sehr viel heller leuchtete.

Heute Abend hatte Julienne keine Ähnlichkeit mehr mit der hageren, verängstigten Jugendlichen, die sie gewesen war. Ihr Haar war in einem feinen Karamellton gefärbt und zu einem glänzenden Chignon frisiert. Sie trug außerdem kein gestohlenes Kleid. Schon vor Jahren hatte sie der Boutique ein Entschuldigungsschreiben mit dem Kaufpreis in bar geschickt.

Nein, in ihrem Job war ihr ein professionelles Äußeres wichtig. Sie bevorzugte schmale Bleistiftröcke und das Gefühl von echter Seide auf der Haut, immerhin arbeitete sie in einem multinationalen Unternehmen. Dazu trug sie hohe Pumps, dezente Perlen an den Ohren und eine feine goldene Uhr am Handgelenk.

Auch das hatte Cristiano Cassara für sie getan. Er hatte sie nicht einfach der staatlichen Fürsorge überlassen – wo sie vermutlich von ihrer Schwester getrennt und von Heim zu Heim gereicht worden wäre –, sondern ihr die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt, nicht nur die bestmögliche Version ihrer selbst zu werden, sondern am Ende auch selbst ihre Schulden zurückzuzahlen. Und um ihre Welt zu verändern.

Jetzt war es an der Zeit, die alte Rechnung zu begleichen.

Nach ein paar Schritten blieb Julienne in der schicken, schwach beleuchteten Bar stehen. Sie sah sich um und registrierte die vielen sichtlich erschöpften, älteren Herren an den runden Tischen – zweifellos allesamt unverschämt reich. Dann fiel ihr Blick auf Cristiano Cassara, der genau dort an der Bar wartete, wo sie ihn schon als Sechzehnjährige hatte sitzen sehen … auf einem gepolsterten Hocker mit all diesen auf Hochglanz polierten Flaschen im Spiegelregal hinter ihm, die wie kostbare Juwelen funkelten.

Diesmal schlug ihr Herz wieder heftig gegen ihre Rippen, aber nicht aus Angst, so wie früher. Es war eine berauschende Mischung aus Triumph und Bedauern, vermischt mit einer starken Dosis Vorfreude.

Sie ging auf ihn zu und fühlte sich innerlich für diese Begegnung gewappnet.

Cristiano Cassara war vor zehn Jahren schon unheimlich attraktiv gewesen, auch wenn er einen extrem unnahbaren Eindruck machte. Er schien aus demselben Stein geschnitzt zu sein wie die Statuen, die das großzügige Foyer des Hotels zierten.

Damals war er ein relativ junger, sehr wohlhabender Mann gewesen. Reicher, als Julienne es sich jemals hätte vorstellen können. Als Erbe des Cassara-Schokoladenvermögens führte er ein privilegiertes Leben, und das war ihm bereits an seiner Garderobe und seiner souveränen Haltung anzusehen. Ganz zu schweigen davon, dass er die Welt um sich herum betrachtete, als würde sie ihm allein gehören.

Auch heute Abend strahlte er diese unverkennbare männliche Macht aus. Julienne nahm sich einen Moment Zeit, um ihn gründlich zu betrachten. Denn dies war kein Sitzungssaal der Cassara Corporation, wo sie immer zu sehr damit beschäftigt war, sich zu beweisen. Dort hatte sie keine Zeit, einen Mann anzustarren, von dem sie ziemlich sicher wusste, dass ihn ohnehin nur Zahlen, Gewinne und Verluste der Firma interessierten.

Bei all den Meetings, an denen sie in der Vergangenheit teilgenommen hatte, war Cristiano stählern und fast grimmig gewesen. Er unternahm grundsätzlich keinen Versuch, seine Überlegenheit zu verschleiern, und lobte seine Angestellten fast nie. Und wenn, dann war nicht mehr drin als ein vages, zustimmendes Murmeln.

Er war schon vor zehn Jahren reich gewesen. Aber heute konnte man ihn sogar als einen der oberen Zehntausend bezeichnen – weltweit!

Und wenn sie sich etwas gründlicher in der Bar umsah, würde sie wahrscheinlich auch sein Sicherheitsteam entdecken, das sich überall im Raum postiert hatte. Die Bodyguards behielten ihn unauffällig im Auge, wo immer er auch hinging, und das aus gutem Grund. Denn die Gewinne, die Cristiano jährlich generierte, waren so immens hoch, dass man die Summe mit normalem, gesundem Menschenverstand kaum erfassen konnte. Sie hatte schlicht zu viele Nullen.

Das war neben seinem blendenden Aussehen auch der Anlass für zahllose Frauen, ihm auf Schritt und Tritt zu folgen. Und es war nicht zu übersehen, dass die meisten der anwesenden Herren ihn automatisch als ihren Rivalen betrachteten. Ob sie wohl wussten, wie absolut chancenlos sie gegen ihn waren?

Für Julienne war er als Mann und als Mensch einfach bloß perfekt.

Als Sechzehnjährige hatte sie ihn für ihre zweifelhafte Mission ausgesucht, weil er zufällig ganz in ihrer Nähe gestanden hatte. Und weil er nach ihrem verängstigten Blick quer durch die Bar – auf der unschuldigen Suche nach einem ersten Kunden – der einzige Mann ohne graue Haare gewesen war. Ohne Halbglatze und ohne Bauch.

Sie hatte sich damals gesagt, wenn sie diese Tortur schon über sich ergehen lassen musste, wäre es weitaus besser, es mit einem Mann wie ihm zu tun. Einem attraktiven, anziehenden Fremden, der den Eindruck machte, als könnte er jede Situation beherrschen.

Julienne war auf ihn zugegangen und hatte in ihrer Verzweiflung den Mut aufgebracht, eine Hand auf seinen Arm zu legen. Und sie hatte darauf gewartet, dass er von dem Getränk hochschaute, das scheinbar unberührt vor ihm auf der Theke stand.

Als er endlich seinen Blick auf sie gerichtet hatte, war es ihr vorgekommen, als würde sie den Boden unter den Füßen verlieren. Er war zu intensiv, zu elektrisierend und zu streng … Unnötig grimmig und kalt für einen Mann, der so gutaussehend war.

Aber ihr erster Gedanke nach dem anfänglichen Schock war, dass er den Mund eines Dichters hatte, obwohl er die Lippen zu einer flachen Linie zusammenpresste. Sein dunkles Haar war dicht und ein wenig unordentlich. Und offensichtlich achtete er darauf, fit und in Form zu bleiben, denn seine Figur wirkte durchtrainiert und muskulös. Das ließ ihn noch viel größer und bedrohlicher wirken. Ein Riese in Gestalt eines souveränen Geschäftsmanns. Als ob der Schatten, den er warf, jeden verschlingen könnte, der unachtsam genug war, sich näher zu wagen.

Doch als Julienne dies alles klar geworden war, damals vor zehn Jahren, war es bereits zu spät gewesen.

Ihre Hand hatte längst auf seinem Arm gelegen. Und ihr Herz wäre ihr fast aus der Brust gesprungen.

„Möchten Sie mir vielleicht ein Getränk kaufen?“, hatte Julienne ihn mit weit aufgerissenen Augen gefragt, und ihre Stimme war vor Panik unnatürlich hoch gewesen.

Dies war der Einleitungssatz gewesen, den sie von der abgebrühten Annette gelernt hatte, die noch nie eine richtige Mutter für sie gewesen war.

Jedes Mal, wenn Annette zu ihren Partys ging, kam sie ein bisschen gebrochener und verlebter zurück. Als hätte jemand in sie hineingegriffen und alles Leben herausgekratzt, sodass sie wie eine leere Hülle wirkte.

Sie war gestorben, als Julienne vierzehn war, und jeder im Dorf hatte es einen Segen genannt.

Julienne selbst hatte vorgehabt zu überleben, egal, wie schwer die Bedingungen für sie waren. Und im Gegensatz zu Annette hatte sie nicht vor, ihre Verpflichtungen gegenüber Fleurette zu vergessen, die damals erst zehn Jahre alt war. Sie würde sich um ihre Schwester kümmern, und wenn sie dafür grausame Hindernisse überwinden musste. Und sie würde Fleurette niemals dasselbe Schicksal zumuten.

Zumindest eine von ihnen sollte eine echte Chance auf Glück bekommen.

„Wie alt bist du?“, hatte er auf Französisch geantwortet, das leicht von einem italienischen Akzent durchzogen war. Mit dieser Gegenfrage hatte Julienne nicht gerechnet. Ihre bisherigen Erfahrungen hatten sie gelehrt, dass sich Männer für so nebensächliche Dinge wie das Alter schlicht nicht interessierten.

Sie hatte tief Luft geholt und behaupten wollen, achtzehn Jahre zu sein, obwohl das glatt gelogen war.

Aber seine dunklen Augen blitzten auf, als wüsste er, was sie vorhatte. „Lüg mich nicht an!“

„Alt genug“, erwiderte sie kühn und versuchte, dabei etwas heiser zu klingen. Kehlig. Klangen Frauen in solchen Situationen nicht immer so? „Über das kritische Alter hinaus, wenn Sie das meinen.“

Er hatte sie durchdringend angesehen. Julienne hatte sich in ihrem ganzen Leben zuvor und seitdem nie wieder derart erkannt gefühlt. In diesem Moment war sie sich sicher gewesen, dass Cristiano Cassara alles sehen konnte. Alles. Das, was ihr bisher widerfahren war – und auch das, was sie nun plante. Die Einbahnstraße ihres Lebens schien in all ihrer düsteren Trostlosigkeit vor ihm ausgebreitet zu sein. Fleurette, da draußen in einer Gasse. Die gähnende Leere in Juliennes Brieftasche und in ihrem Bauch. Und das Unaussprechliche, was sie tun wollte, um beides zu ändern.

All die Dinge, zu denen sie bereit war, sollten dort beginnen. Mit ihm.

Darüber hinaus war sie sich sicher, dass er auch die Träume und Hoffnungen sehen konnte, die sie bei ihren engagierten Versuchen, ihre Schwester und sie über Wasser zu halten, längst verworfen hatte. Sie hatte mit Sicherheit eine beklemmende Hoffnungslosigkeit ausgestrahlt.

„Ich denke, eher nicht“, hatte er gesagt, und sein kompromissloser Tonfall hatte keinen Widerspruch geduldet.

Und dann hatte Cristiano Cassara ihr Leben verändert. Quasi mit einer einzigen Handbewegung.

Das Déjà-vu heute Abend war unendlich intensiv. Cristiano saß wieder an der Bar, ein unberührter Drink stand vor ihm. Er spielte mit dem Glas herum und drehte es hin und her, hob es aber nicht an seine Lippen.

Sie kannte inzwischen die Gerüchte über ihn, tatsächlich jedes einzelne. Dass er nie getrunken hatte, weil sein Vater den Schnaps zu sehr geliebt und darüber seine Frau und sein Kind vernachlässigt hatte. Und dass Cristiano dieses besondere Ritual regelmäßig durchführte, wenn er allein war: vor einem unberührten Drink zu sitzen. Eine nüchterne Mahnwache.

Er hatte immer noch den Mund eines Poeten, mit seinem Hauch von Erotik, obwohl Julienne niemals erlebt hatte, dass er diesem Teil seiner Persönlichkeit nachgab. Kein einziges Mal. Nicht einmal, wenn er heimlich von Paparazzi fotografiert wurde. Wenn er sich unbeobachtet fühlte.

Sein Gesicht war im klassischen Sinne schön, hart und kantig, mit Wangenknochen, die eine Frau von Heiligen und Märtyrern träumen ließen. Und diese dunklen, blitzenden Augen, die immer dann aufloderten, wenn er eine Person direkt ansah.

Sie erinnerte sich daran, wie sich sein Arm unter ihrer Hand angefühlt hatte, als wäre ihre Handfläche besonders empfindsam. Diese heiße, betörende Kraft, die von ihm ausging.

Und Julienne war kein Kind mehr. Sie war kein verängstigter Teenager, bereit, sich an den Meistbietenden oder überhaupt an irgendjemanden zu verkaufen, weil sie keine andere Option auf ein selbstbestimmtes Leben sah.

Ganz langsam schob sie ihre mit Juwelen besetzte Abendtasche auf die glänzend polierte Bar und neigte ihren Körper zu seinem. Und sie wusste – obwohl er ihr keinen einzigen Blick zugeworfen hatte –, dass er ihre Anwesenheit schon die ganze Zeit über wahrnahm. Vielleicht sogar schon, bevor sie in diesen dunklen, engen Raum getreten war.

Andererseits war sie sehr gut darin, ihn zu einem Mythos hochzustilisieren. Ihre kleine Schwester beschwerte sich oft darüber. Wie dem auch sei, heute Abend wollte sie sich auf ihn als Mann konzentrieren.

Kurz nach ihrer ersten Begegnung damals war Cristiano zum Geschäftsführer des Unternehmens aufgestiegen, das zuvor sein Großvater geleitet hatte. Was noch viel wichtiger war: Er war ihr Chef. Sie hatte vor zehn Jahren im Mailänder Büro der Firma angefangen. Ein Teilzeitjob neben dem Privatunterricht, den Cristiano für sie und Fleurette arrangiert hatte. Zuerst war sie dort nur Praktikantin gewesen. Und dann, nachdem sie mit achtzehn die Schule beendet hatte, war sie in der niedrigsten Position eingestellt worden und hatte sich stetig nach oben gearbeitet.

Dass sie sozusagen Cristianos Schutzbefohlene war, hatte nie eine Rolle gespielt. Es wurde mit keiner Silbe erwähnt, und Julienne fragte sich oft, ob andere Leute überhaupt wussten, wie großzügig er war oder wie sehr sie persönlich davon profitiert hatte.

Sie hatten auch niemals zusammengewohnt. Er hatte sie in einem seiner Häuser in Mailand untergebracht, zusammen mit einigen seiner Mitarbeiter, die sich um sie gekümmert hatten: Assistenten, Haushälterinnen, Köche. Doch in emotionaler Hinsicht waren sie meistens auf sich gestellt gewesen.

Wir waren schon damals zu alt für unser Alter, sagte Fleurette gern.

Heutzutage lebte Julienne auf der anderen Seite des Atlantiks in New York City. Sie hatte hart für ihre Position als Vizepräsidentin für nordamerikanische Operationen bei der Cassara Corporation gekämpft und war inzwischen Cristiano direkt unterstellt. Und sie kämpfte noch viel härter um entsprechende Deals, die Cristiano immense Summen einbrachten. Auf diese Weise wollte sie ihn für seine Großzügigkeit entschädigen. Nicht nur das, er sollte viel mehr erhalten, als er ihr gegeben hatte.

Es hatte Jahre gedauert …

Endlich sah er sie an.

„Danke, dass Sie gekommen sind“, sagte sie so höflich, als würde sie ihn über einen Konferenztisch hinweg betrachten.

„Sie haben darauf bestanden, Miss Boucher“, erwiderte er, und es schwang eine gewisse Missbilligung in seiner Stimme mit. Als wäre er nicht gerade erfreut darüber, dass sie es gewagt hatte, ihn zu einem Termin zu bestellen. Und das, obwohl seine Sekretärin alles getan hatte, diese Bitte abzuwenden.

Julienne lächelte, immer noch höflich und ruhig. „Du hast mich hier schon einmal getroffen.“

Und sie wusste, während sie diesen höchst persönlichen Satz aussprach, dass sie alle Regeln zwischen ihnen brach. Die unausgesprochenen Grenzen wurden überschritten, die sie alle drei ein Jahrzehnt lang eingehalten hatten.

Sie und Fleurette hatten Cristiano nie erwähnt oder darüber gesprochen, wie sie es geschafft hatten, aus einer traurigen, halb verlassenen französischen Bergstadt zu fliehen, um in einem luxuriös eingerichteten, frei stehenden Stadthaus im Zentrum von Mailand zu leben.

Auch er hatte nie zugegeben, eine von ihnen zu kennen. Manchmal hatte Julienne sich schon Sorgen gemacht, dass er vergessen haben könnte, was er für sie getan hatte. Oder dass es ihm einfach wenig bedeutete, ihr ganzes Leben und auch das von Fleurette grundlegend verändert zu haben.

Aber nein, sie konnte jetzt erkennen, dass er es nicht vergessen hatte. Mehr noch, sie konnte sein Erstaunen sehen – dort in seinen Augen, in deren braunen Tiefen goldene Punkte funkelten.

Er zog die dunklen Brauen hoch und sah fast verblüfft aus.

„Stimmt.“ Sein intensiver Blick ließ sie insgeheim erzittern. „Ein Treffen, das in der vergangenen Dekade mit keiner einzigen Silbe zwischen uns erwähnt worden ist. Wem verdanke ich nun das Vergnügen dieser unerwarteten Reise in die Vergangenheit? Etwa Ihnen selbst, Miss Boucher?“

Seine Stimme war klar und deutlich. Genau wie sein strenger Tonfall, der Julienne recht offensichtlich dazu ermahnte, die Form zu wahren und nicht persönlich zu werden.

Doch davon ließ sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie behielt ihr kühles Lächeln bei und drückte die Schultern nach hinten.

„In diesem Jahrzehnt habe ich genau nachgerechnet, was du insgesamt ausgegeben haben musst, um Fleurette und mich zu retten. Und um uns beiden das Leben zu ermöglichen, das wir geführt haben – auch wenn ich irgendwann eigenes Geld verdient habe.“ Sie nannte ihm eine erstaunlich hohe Summe und sah, dass sich der Ausdruck in seinen Augen veränderte. „Mit dem letzten abgeschlossenen Geschäft und dem Betrag, den ich in einem separaten Fonds angelegt habe, denke ich, dass diese Schuld beglichen ist. Mit Zinsen.“

Er neigte den Kopf etwas nach hinten und verzog kaum merklich die Lippen. „Ich kann mich nicht erinnern, um Rückzahlung gebeten zu haben. Oder um irgendeine Form der Anerkennung.“

„Dennoch.“ Sie holte tief Luft. „Mein Kündigungsschreiben wartet in Mailand auf deinem Schreibtisch.“

Er blinzelte. „Ich bitte Sie um Entschuldigung … Wollen Sie damit sagen, Sie möchten nicht länger für mich arbeiten?“

„Ich habe bereits gekündigt.“

Sie streckte die Hand aus und tat das Gleiche, was sie schon damals in dieser Bar getan hatte. Ihre Finger berührten seinen Arm, aber diesmal meinte sie es wirklich ernst.

Oh, und wie ernst sie es meinte!

„Cristiano“, sagte sie leise und hoffte, es klang nach einer unmissverständlichen Einladung. „Möchtest du mir vielleicht ein Getränk kaufen?“

2. KAPITEL

Cristiano Cassara hielt nicht viel von Überraschungen.

Er plante sein Leben mit großer Präzision durch, um den unangenehmen Schock von Ereignissen zu vermeiden, die sich seiner Kontrolle entzogen. Ihm war Chaos jeglicher Art zuwider, dank seiner schwierigen Kindheit, daher behielt er die Dinge gern im Griff. Berechenbare Ordnung verschaffte ihm innere Sicherheit.

Eigentlich hätte es ihn stören sollen, dass diese Frau hier plötzlich den Boden unter seinen Füßen zum Schwanken brachte. Dass sie nicht auf dem Posten blieb, auf den er sie vor Jahren gesetzt hatte.

Eigentlich.

Aber irgendetwas in ihm hatte sich verändert. Es war anders als sonst. Aus unerklärlichem Grund kam es ihm vor, als hätte er Julienne Boucher zuvor noch nie gesehen.

Als wäre sie eine fremde Schönheit, die er zufällig in einer Bar in Monte Carlo traf … als wären all die anderen Gedanken, die er im Laufe der Zeit gehabt hatte, einfach verschwunden: keine Suche nach Erlösung mehr und auch kein schlechtes Gewissen, das er loswerden wollte, indem er ihr half. Sie war die Verkörperung seiner Schuld gewesen. Und möglicherweise die beste Vizepräsidentin, die sein Unternehmen jemals gehabt hatte.

„Was genau bieten Sie … bietest du mir an?“, fragte er und neigte den Kopf leicht zur Seite, um sie genauer zu mustern. „Und was noch wichtiger ist, warum bietest du es an?“

„Du hättest dir nehmen können, was ich vor zehn Jahren vorgeschlagen habe. Aber das hast du nicht getan.“

Er sah auf ihre Hand hinunter und schüttelte kaum merklich den Kopf.

Trotzdem zog sie sich nicht zurück.