Rebellen gegen Arkon - Robert Feldhoff - E-Book

Rebellen gegen Arkon E-Book

Robert Feldhoff

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Beschreibung

Der Atlan: Traversan-Zyklus bekommt ein neues Gewand. "Rebellen gegen Arkon" ist der Auftakt der zweibändige Neuausgabe der beliebten PERRY-RHODAN-Miniserie. Die Milchstraße im Jahr 1290 Neuer Galaktischer Zeitrechnung: Die Nachricht von Traversan, man habe geheimnisvolle Gebäude aus der Vergangenheit entdeckt, lässt dem unsterblichen Arkoniden Atlan keine Ruhe. Er startet sofort mit seinem Raumschiff und nimmt Kurs auf diese Welt. Kurz nach seiner Ankunft gerät er in eine defekte Zeitmaschine, die ihn in die Vergangenheit des Arkon-Imperiums schleudert. Der Unsterbliche muss um die Freiheit des Planeten Traversan und seine Rückkehr in die Gegenwart kämpfen – und um die Liebe zur schönen Prinzessin Tamarena von Traversan ... Sieben Autoren erschufen gemeinsam den Traversan-Zyklus: Frank Borsch, Rainer Castor, Robert Feldhoff, Hubert Haensel, Rainer Hanczuk, Hans Kneifel und Peter Terrid. Hier sind sie zum ersten Mal in einer zweibändigen Buch-Edition vereint.

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Originalausgabe

© ATLAN-Traversan by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt sowie für diese Lizenzausgabe bei Hirnkost KG, Lahnstraße 25, 12055 Berlin; [email protected]; http://www.hirnkost.de/

Alle Rechte vorbehalten

I. Auflage September 2021

Vertrieb für den Buchhandel:

Runge Verlagsauslieferung; [email protected]

Privatkunden und Mailorder:

https://shop.hirnkost.de/

Layout: www.benSwerk.com

ISBN:

PRINT: 978-3-948675-25-7

PDF: 978-3-948675-27-1

EPUB: 978-3-948675-26-4

Dieses Buch gibt es auch als E-Book –

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INHALT

Klaus Frick:

Vorwort

Robert Feldhoff:

Admiral der Sterne

Hubert Haensel:

Sturm auf die PADOM

Peter Terrid:

Die Rebellen von Traversan

Rainer Castor:

Der Fürst von Camlo

Hans Kneifel:

Der Jagdplanet

Rainer Castor:

Der letzte Mann der OSA MARIGA

KLAUS FRICK

VORWORT

Betrachtet man die PERRY-RHODAN-Serie und den Serienkosmos über die Jahrzehnte hinweg, stellt man fest, dass es immer wieder Entwicklungen gibt, mit denen niemand so richtig rechnete. Eine davon ist das »Revival« des Heftromans – und stark dazu beigetragen hat sicher die ATLAN-Serie, bei dieser vor allem der »Traversan«-Kurzzyklus. Von den Erfahrungen, die in den späten 90er-Jahren mit »Traversan« gesammelt wurden, zehrten die Redaktion und das Autorenteam noch Jahrzehnte danach.

Dabei sah es in der ersten Hälfte der 90er-Jahre nicht besonders gut aus. Der Heftroman steckte in einer starken Krise, die sich schon in den 80er-Jahren abgezeichnet hatte. Einige Verlage gaben auf, zahlreiche Serien wurden eingestellt. Zu den Serien, die das Zeitliche segneten, zählte bereits in den 80er-Jahren die ATLAN-Serie. In den 90er-Jahren folgten bei PERRY RHODAN die Nachauflagen und die Taschenbücher. Die Verlagsunion Pabel-Moewig schien sich vom Heftroman zu verabschieden: Verschiedene Zeitschriften wurden gegründet, der Buchverlag stärker ausgebaut.

In diese Phase fiel die Entscheidung, mit ATLAN einen Neustart zu wagen. Dieser Neustart sollte nur zwölf Romane umfassen, und wir wollten uns an amerikanischen Comics orientieren: eine sogenannte Miniserie, die neben einer Hauptserie läuft.

Die Miniserie bildete in vielerlei Hinsicht eine Premiere. Es war der erste Handlungsabschnitt des größten Science-Fiction-Universums der Welt, den Robert Feldhoff allein als Exposéautor gestaltete. Zu der Zeit arbeitete er bei PERRY RHODAN noch mit Ernst Vlcek zusammen, der gewissermaßen sein Mentor war. Darüber hinaus war es der erste Zyklus, für den Rainer Castor die Datenrecherche übernahm. Später sollte seine gründliche Arbeit für den gesamten PERRY-RHODAN-Kosmos von größter Bedeutung sein.

Die zwölf Romane waren in sich abgeschlossen, sie boten aber einen Ausweg am Ende; eine Möglichkeit, weitere Geschichten mit Atlan in der spannenden Zeit des großen Arkon-Imperiums zu erzählen. Dies geschah durch den Roman »Fluchtpunkt Schemmenstern« von Frank Borsch.

Darüber hinaus wurde die Welt des Arkon-Imperiums zum ersten Mal so richtig plastisch dargestellt. Dazu zählten höfische Sitten und Gebräuche ebenso wie das Karaketta-Rennen mit seiner Action oder der Philosophie des Dagor. Viele der Grundlagen, die Rainer Castor vor allem erarbeitete, wurden in zahlreichen Romanen der folgenden Jahre und Jahrzehnte verarbeitet.

Blicke ich heute auf die zwölf »Traversan«-Romane und den nachgeschobenen »Schemmenstern«-Einzelband, fällt mir auf, wie sehr sie in ihrer Zeit verhaftet sind. Es sind typische Heftromane mit schneller Action und flotten Dialogen, sie enthalten viele Ideen, wie sie in der Science Fiction üblich sind. Vor allem aber sind sie – so finde ich immer noch – packendes Lesefutter: abenteuerliche Science Fiction eben.

Ich wünsche viel Vergnügen bei diesem ersten Band der neuen »Traversan«-Ausgabe!

ERSTER ROMAN

ROBERT FELDHOFF:

ADMIRAL DER STERNE

PROLOG

Mit rasender Geschwindigkeit rückte der Planet näher. Die RICO bewegte sich noch mit mehr als der Hälfte der Lichtgeschwindigkeit. Damit waren wir schnell genug, um im Ernstfall sofort in den Hyperraum wechseln und fliehen zu können.

»Syntron!«, forderte ich halblaut. »Was sagt die Ortung?«

»Das Trav-System ist sicher, Atlan«, antwortete der Bordrechner der RICO nüchtern. »Kein einziges Schlachtschiff des Kristallimperiums operiert im Trav-System.«

Das entsprach den Aussagen, die wir von unseren Informanten erhalten hatten. Trotzdem – der Imperator und seine Hintermänner wollten mich lieber heute als morgen tot. Für sie war ich nicht Atlan, der ehemalige Kristallprinz. Für sie war ich Atlan, der Verräter.

Selbst wenn ein Schiff des Imperiums sich sehen lässt, rief ich mir in Erinnerung, was kann denn schon passieren?

Die RICO war ein Modul des Großraumers GILGAMESCH und als solches schwer anzugreifen. Das Kristallimperium musste schon eine halbe Flotte schicken.

Mein Blick fiel auf die Datumsanzeige. 2. August 1290 NGZ. Nach altem terranischem Kalender entsprach das Jahr 1290 Neuer Galaktischer Zeitrechnung dem Jahr 4877 christlicher Zeitrechnung.

Ich erinnerte mich an die alten Zeiten, als Millionen von Transitionsschiffen den Kugelsternhaufen Thantur-Lok und die Umgebung durchkämmt hatten: damals, zu Arkons Blütezeit.

Narr!, tönte mein Extrasinn. Konzentriere dich auf die Gegenwart. Die alten Zeiten sind vorbei. Du agierst unter Zeitdruck.

Das Kristallimperium musste nur einen Tipp bekommen, und das System würde innerhalb kürzester Frist von Schiffen wimmeln. Man konnte nicht auf die Verschwiegenheit von zwei Milliarden Planetariern bauen.

Damit entstand eine wenig angenehme Situation. Das Trav-System und seine Bewohner, die Traversaner, galten traditionell als schwierig. Obgleich Traversan zum Kristallimperium gehörte, verhielt sich Fürst Ligatem freundlich gegenüber Camelot – ein krasser Widerspruch, denn für das Imperium waren meine Freunde und ich Todfeinde ersten Ranges.

In Perry Rhodans Abwesenheit war ich der ranghöchste Camelot-Vertreter. Zudem hatte ich mehrfach gegen die Interessen des Kristallimperiums gehandelt, einige Male in Undercover-Missionen. Kein Wunder, dass ich in diesem Teil der Milchstraße ein gehasster Mann war – der jedoch in vielen Kolonien einen hohen Stellenwert genoss.

Ich wollte nicht, dass Traversan durch mich in Schwierigkeiten geriet. Die Frage war nur, ob es sich noch verhindern ließ. Am liebsten wäre ich inkognito erschienen, ohne die RICO im Hintergrund. Die Anwesenheit des Schiffs war jedoch eine Notwendigkeit.

Traversan barg einen archäologischen Schatz von höchster Bedeutung. Ich hielt es für denkbar, dass eine militärische Rückendeckung nötig sein würde. Die vergessene Technologie, die ich auf Traversan zu finden hoffte, musste unbedingt Camelot zugutekommen.

»Atlan!«, hörte ich die drängende Stimme des Ersten Piloten. »Soll ich den Landeanflug einleiten?«

»Nein … Warte noch. Ich denke nach.«

Travs Stern war 12.002 Lichtjahre von Arkon entfernt, lag am Rand des Brysch-Sektors und galt als wirtschaftlich unbedeutend. Das Große Imperium der Vergangenheit hatte sich ebenso wenig um Traversan geschert wie das Kristallimperium der Gegenwart.

Die Ortung zeigte mir eine gelbe Durchschnittssonne mit insgesamt elf Planeten und nicht weniger als 155 Monden.

Traversan, der vierte Planet, durchmaß etwas mehr als 14.000 Kilometer und wies eine Schwerkraft von 1,15 Gravos auf. In 25 Stunden rotierte die erdähnliche Welt einmal um ihre Achse. Von den zahlreichen Monden kreiste nur ein einziger um Traversan – Travs Nachtauge. Der Himmelskörper barg schwere Festungsanlagen. Er war ein wichtiges militärisches Zentrum des Systems.

Ich erinnerte mich, dass ich Traversan niemals betreten hatte, auch in den alten Zeiten nicht. Fürst Ligatem, der Herrscher des Planeten, war mir nur aus der Datenbank bekannt.

Das rotierende Hologramm in der Zentrale der RICO zeigte Details der Oberfläche: fünfzig Prozent Ozean, drei Kontinente, die Hauptstadt Erican lag in den klimatisch gemäßigten Zonen der Nordhalbkugel.

»Zoomt mir diese Stadt heran!«, bat ich.

Statt einer Antwort erhielt ich ein neues Hologramm. Erican erschien nicht als realistische Aufnahme – das war auf die Entfernung unmöglich –, sondern als Ergebnis einer syntronischen Simulation. Rings um die Stadt breitete sich ein Industriegürtel aus. Siebzig Kilometer vom Stadtkern entfernt erstreckte sich ein Raumhafen.

Besonders fiel mir jedoch ein Krater ins Auge, der von den Datenbanken der RICO als sogenannter Himmelskrater bezeichnet wurde. Der Krater musste durch eine furchtbare Explosion vor sehr langer Zeit entstanden sein.

Vergeude nicht deine Zeit, mahnte der Extrasinn, die Stimme in meinem Kopf. Wenn sie da unten wirklich eine uralte Geheimstation der Meister der Insel entdeckt haben, dann ist jede Sekunde kostbar.

Ich erhob mich ruckartig.

»Die RICO bleibt im Orbit«, verkündete ich. »Transmitter bereitmachen! Ich werde auf den Planeten hinunterspringen.«

1.

DER STOLZ VON TRAVERSAN

Vergangenheit5772 v. Chr. / 12.402 da Ark

Nert Kuriol da Traversan machte sich klar, dass in dieser Stunde das Schicksal seines Volkes entschieden wurde. Er war 89 Arkonjahre alt und damit kein junger Mann mehr. Aber er war jung genug, um Angst vor dem Tod zu empfinden.

Mit Sorgfalt legte er seine Raumrüstung an. Wenn er seinem Feind gegenübertrat, dann wollte er angemessen gekleidet sein, seinem Stand entsprechend. Er war der Baron von Traversan, ein Nert, und er wollte seinem Besucher zeigen, dass er Stolz besaß.

»Einen Spiegel!«, kommandierte er barsch.

Zwei Bedienstete hielten ihm ein Kristallglas vor, das einen hochgewachsenen Mann in blauschwarzem Panzer zeigte, mit weißblondem wallendem Haar und einem kurzgestutzten, silbrigen Vollbart. Der polierte Harnisch zeigte eingeätzte Szenen aus der Mythologie der She‘Huhan-Sternengötter. Ein knielanger Cape-Umhang ergänzte das Bild, hellblau mit da-Traversan-Wappen in Gold und Silber.

»In Ordnung«, entschied er, eine Spur milder gestimmt als noch Sekunden zuvor. »Also! Wo ist Pyrius Bit?«

»Der Sonnenkur wartet nebenan auf der Schattenterrasse, Erhabener.«

»Wie lange schon?«

»Eine halbe Stunde. Er wirkt bereits sehr ungeduldig.«

Ein feines Lächeln stahl sich in Kuriols Gesicht.

»Das scheint mir zwar keineswegs lange genug – aber nun denn.«

Nert Kuriol da Traversan durchschritt die Wandelhalle, die zur sonnenabgewandten Seite des Palastes führte. Er hätte gern seine Tochter dabeigehabt, Prinzessin Tamarena, die jeden Gedanken erahnen konnte, oder Irakhem, den höchsten Kommando-Offizier des Systems. Er wollte jedoch nicht, dass Pyrius Bit ihn für schwach hielt. Alles hing davon ab, ob er eine Stärke vortäuschen konnte, die Traversan in Wahrheit nicht besaß.

Psychologie … eine letzte, kaum reale Möglichkeit.

Kuriol öffnete die Tür. In seinem Blick stand eine kaum verhohlene Verachtung; exakt jenes Maß, von dem er sich einen Vorteil erhoffte.

»Pyrius Bit. Wie schön, Euch zu sehen.«

Seine Stimme troff vor Sarkasmus.

»Ich grüße Euch ebenfalls, Kuriol. Und ich hoffe, Ihr habt die richtige Entscheidung getroffen. Nicht diesen …«, Bit schien nach Worten zu suchen, »… diesen Unsinn, den man mir übermittelt hat.«

Nert Kuriol da Traversan registrierte, dass Pyrius Bit die ihm zustehende Anredeform Erhabener verweigerte. Über Höflichkeit ließ sich streiten; Kuriol entstammte immerhin einem alten Adelsgeschlecht. Dafür war Bit von Imperator Reomir IX. zum Kur, zum Verwalter, des Brysch-Sektors erhoben worden. Und dazu gehörte auch der Planet Traversan. Da er außerdem ein Sonnenträger war, was einem hohen militärischen Rang entsprach, nannte er selbst sich Sonnenkur Pyrius Bit.

Kuriol musterte den fetten, kleinen Mann voller Abscheu. Er war ein degenerierter Adliger der übelsten Sorte, vollgestopft mit Drogen und ungesunder Nahrung, genusssüchtig und ohne Rückgrat. Vor dem Gesetz des Imperators besaß Pyrius Bit jedoch die Befehlsgewalt. Wenn es sein Wille war, Traversan zu ruinieren, dann stand das Recht auf seiner Seite.

Kuriol hätte die Richter des Imperiums anrufen können. Bevor aber auf dem fernen Gerichtsplaneten Celkar ein Urteil gefallen war, würde sein Volk in Hunger leben. Der alte Nert von Traversan hatte viel gesehen; doch er war fest entschlossen, eine solche Katastrophe niemals zuzulassen. Arkonidische Kugelraumer hatten die halbe Milchstraße unterworfen. Es war nicht recht, wenn im Schatten der stählernen Riesen Elend regierte.

»Eure Entscheidung, Kuriol!«, drängte Pyrius Bit. »Ich muss es wissen!«

»Meine Entscheidung steht fest. Ich sehe keinen Grund, meine Aussagen zu korrigieren.«

»Der Imperator fordert zusätzliche dreißig Prozent Steuern. Traversan muss bezahlen. Daran kann niemand etwas ändern.«

»Wir bezahlen dieses Geld nicht. Traversan ist nicht arm. Aber dann werden wir es sein.«

»Nert Kuriol … Ihr wollt Euer Volk doch nicht mit dieser entsetzlichen Naivität in den Tod treiben?«

Traversan verfügte über neunzig militärisch gerüstete Raumschiffe. Pyrius Bit konnte dagegen jederzeit das Doppelte mobilisieren; außerdem brauchte er nur den Imperator um Hilfe zu rufen. Das ferne Arkon pflegte einen rüden Umgang mit seinen Kolonien. Kuriol hatte Widerstand schon oft im Feuer der Impulskanonen ersterben sehen.

Der alte Nert gab sich einen Ruck, dann erklärte er: »Es bleibt dabei. Wir werden unsere Abgaben nicht um diesen Satz erhöhen.«

»Euch sind doch die Konsequenzen klar?«

Pyrius Bit drehte sich wie zufällig um und blickte auf die Trichtertürme und Parklandschaften der Hauptstadt Erican hinaus. Hinter den modern anmutenden Zentrumsvierteln ragten drei Kugelgebirge auf: die 500-Meter-Schlachtkreuzer der Fusufklasse, mit denen Bit gekommen war. Als Demonstration der Macht benutzten sie nicht den siebzig Kilometer entfernten Raumhafen, sondern standen direkt am Stadtrand.

»Natürlich kenne ich die Konsequenzen. Ihr dürft Euch dessen gewiss sein. Und nun geht. Ich werde Euch nicht aufhalten.«

Nert Kuriol hatte einen Moment lang daran gedacht, den Sonnenkur festzusetzen. Mit ihm als Geisel hätte er vielleicht noch einmal verhandeln können.

Doch er war ein Mann von Ehre, ein Traversaner, und er wusste, dass er im Namen seines Volkes handelte.

Pyrius Bit wurde plötzlich wütend.

»Kuriol! Ich befehle Euch …«

Der alte Nert holte aus. Er versetzte dem fetten, unfähigen Kerl, der vor ihm stand, eine schallende Ohrfeige.

Bit verstummte. Sein Gesicht wurde so weiß wie sein Haar. Seine Augen fingen vor Erregung an zu tränen.

»Nert Kuriol«, stammelte er fassungslos. »Das hat Folgen.«

2.

DIE MEISTER DER INSEL

Gegenwart2. August 1290 NGZ

Endlich!«, empfing mich Fürst Ligatem da Traversan mit unwilliger Stimme. Er war ein Mann mittleren Alters, gewiss von hoher Bildung und gutem Charakter, im Augenblick jedoch sichtbar angespannt. Die Hände hielt er tief in den Taschen seines grünen Mantels vergraben. Es schien mir, als habe er sie zu Fäusten geballt.

Sein Blick fixierte mich.

»Du bist tatsächlich Atlan. Man trifft nicht jeden Tag Berühmtheiten dieser Klasse. Bist du wirklich mehr als dreizehntausend Jahre alt?«

»Natürlich.«

»Dann hast du die Imperatoren des alten Reiches alle noch persönlich kennengelernt?«

»Zumindest einige«, schränkte ich ein.

Das Thema war mir nicht angenehm, und der Fürst schien das zu spüren. Ligatem führte mich durch den Palast bis auf eine Aussichtsplattform. Von hier überblickte ich halb Erican; unter anderem den Himmelskrater im Westen der Stadt, der sich als dicht besiedeltes Gebiet erwies.

»Unser Ziel ist die Yssods-Wüste«, erklärte Ligatem. »Dort wurde die Station entdeckt.«

»Um was für eine Station handelt es sich genau?«

»Du siehst es bald«, blockte Ligatem meine Frage ab. »Allerdings ist eine gewisse Vorsicht nötig. Wir haben bereits siebzehn Tote zu beklagen. Mehr müssen es nicht werden.«

Ein undefinierbarer Seitenblick des Fürsten traf mich.

»Leider haben auch deine Camelot-Wissenschaftler nichts bewirkt. Deswegen haben wir einen Unsterblichen zu Hilfe gerufen. Wir hoffen, dass du uns entscheidende Hinweise liefern kannst. Du hast die Meister der Insel selbst getroffen, Atlan. Wir kennen sie nur aus den Geschichtsbüchern.«

Ligatem winkte einen Gleiter heran, ein komfortables, offenbar gepanzertes Fahrzeug für längere Strecken. Bald rasten wir mit hoher Geschwindigkeit über die Trichtertürme der Stadt, südlich in Richtung Yssods-Wüste.

Er hält dich anscheinend für eine Art Wunderheiler, kommentierte mein Extrasinn.

Soll er, antwortete ich trocken. Ligatem wird das Gegenteil früh genug merken.

Wir überquerten einen unbewohnten Landstrich. Kaum eine Pflanze gedieh, offenes Wasser entdeckte ich nirgendwo. Kein Wunder, dass bis dato niemand die Station entdeckt hatte.

Es dauerte eine knappe Stunde, dann sah ich zwischen den Felsen ein ausgedehntes Lager liegen. Ligatem landete das Fahrzeug am Rand der kleinen Zeltstadt.

»Ich habe ein schlechtes Gefühl«, hörte ich den Fürsten sagen, bevor er ausstieg. »Ich weiß, dass es naiv klingt, aber – wir dürften dies hier nicht tun. Es steht uns nicht zu.«

Ich begrüßte die Archäologen, Historiker und Hochenergie-Techniker, deren Gesichter ich von Camelot kannte. Die Leitung hatte Cinthia Taubenflug übernommen, eine dunkelhaarige Terranerin, die seit etwas mehr als zehn Jahren in den Diensten von Camelot stand.

Gemeinsam mit Ligatem führte mich Cinthia durch die Fundstätte. Die Station bestand aus fünf eiförmigen, vierzig Meter hohen Kuppeln. Die seltsamen Gebilde durchmaßen an der Basis zwanzig Meter. Sie waren gleichschenklig fünfeckig angeordnet und schimmerten rötlich. Sie hatten eine ausgesprochen seltsame, rau scheinende Oberfläche.

Angenommen, die Station war wirklich ein Produkt der Meister der Insel, dann mussten die Gebäude mindestens fünfzigtausend Jahre alt sein.

»Diese Wände«, murmelte ich unbehaglich, »sie sehen aus wie Sandstein.«

»Sandstein?«, fragte Cinthia zurück. Sie schien einen Moment lang ernsthaft nachzudenken. »Ich denke, wir können das guten Gewissens verneinen. Es dürfte sich um ein exotisches Metall handeln. Aber das ist nur eines von mehreren Rätseln. Sämtliche Einrichtungen hier erscheinen beispielsweise energetisch vollkommen inaktiv. Andererseits weisen gewisse Details darauf hin, dass einige Geräte dennoch aktiv sein müssen.«

»Erklärung?«

»Keine. Ich gebe zu, dass wir das noch nicht verstehen. Unser technologisches Niveau steht theoretisch sehr hoch über allem, was hier in der Yssods-Wüste existiert. Auf der anderen Seite kommen wir an den größten Teil der Geräte nicht heran, mit allen Tricks nicht. Die Erbauer der Station haben sie so perfekt isoliert, dass man die Leistung nur bewundern kann.«

»Die Erbauer – das führt uns gleich zum Kern. Was bringt euch auf den Gedanken, es könnten die Meister der Insel gewesen sein?«

Cinthia lächelte.

»Du glaubst doch nicht, wir rufen dich umsonst, Atlan?«

Sie führte mich einmal halb um die Anlage. Der Abstand von Kuppel zu Kuppel betrug fünfzig Meter. Es war ein Fußmarsch von einigen Minuten.

»Wir könnten natürlich auch direkt zwischen den Kuppeln hindurchgehen«, erklärte die Archäologin. »Aber Ligatem hat es vielleicht schon erwähnt, wir hatten hier bereits Todesopfer. Die Anlage war von versteckten Thermokanonen beschützt, als sie gefunden wurde. Wir wissen nicht, ob wir alle entdeckt und ausgeschaltet haben. Deshalb meiden wir überflüssige Wege am Altar entlang und natürlich unnötige energetische Vorgänge.«

Cinthia geleitete mich vor eine Platte, die aussah wie eine altägyptische Schrifttafel. Die Schriftzeichen besaßen einen eigentümlichen, seltsam vertrauten Charakter. Ich musterte die Zeichen sorgfältig.

Andromeda, konstatierte mein Extrasinn unhörbar. Erinnere dich an die Lemurer und die Meister der Insel. Das hier ist alt. Sehr, sehr alt. Cinthia hatte recht.

Mein photographisches Gedächtnis ließ mich den Sinn jener uralten Schriftzeichen erfassen:

Die Hoffnung geht nicht verloren.

Das Glück kann man zwingen.

Die Zeit muss nicht ein Gegner sein,

wenn du sie zu deinem Freund machen kannst.

»Was bedeutet das?«, wollte ich wissen.

»Eigentlich war das unsere Frage an dich, Atlan!«, meinte Cinthia Taubenflug.

»Zumindest handelt es sich um einen uralten Dialekt. Damals stand das Reich der Lemurer vor der Vernichtung durch die Haluter. Diese Schrifttafel wurde vermutlich zu einem Zeitpunkt geschrieben, als auch die Sonnentransmitter entstanden. Maximal tausend Jahre danach.«

Ich dachte eine Weile über die Zeilen nach. Dann zuckte ich mit den Schultern, eine typisch menschliche Geste, die ich mir im Lauf der Jahrhunderte unter Terranern angewöhnt hatte.

»Ist das der Altar, von dem du gesprochen hast?«, fragte ich.

»Keineswegs«, meinte sie lakonisch. »Der steht weiter hinten.«

»Zeig ihn mir«, forderte ich sie auf.

Cinthia führte mich in die Mitte der Anlage, zwischen den Kuppeln hindurch. Ich registrierte, dass Fürst Ligatem jenseits der Kuppelgrenze zurückblieb.

Er fürchtet sich, wisperte mein Extrasinn. Ligatem da Traversan ist kein Dummkopf und kein Feigling. Du solltest das ernst nehmen.

Soll ich wieder nach Hause fliegen?, fragte ich unwillig.

Vielleicht wäre das klüger. Cinthia hat ausgesagt, dass ihre Geräte die Geheimnisse der Station nicht enträtseln können. Niemand gibt sich eine solche Mühe, wenn es nicht unbedingt notwendig ist; wenn die Geheimhaltung nicht einen wichtigen Sinn macht. Gehe besser davon aus, dass in der Station noch unentdeckte Gefahren lauern.

Versteckte Waffensysteme?

Kaum anzunehmen, dass es so einfach ist.

Cinthia zeigte auf einen schmucklosen, aus blankem Fels gehauenen Stein.

»Der Altar. Wir haben ihn natürlich nur aus einer Laune so genannt. Seine wahre Funktion dürfte mit Religion nichts zu tun haben.«

Die obere Fläche war eine Plattform. Sie durchmaß acht Meter und wirkte im Gegensatz zu den Seiten wie glattpoliert. Ich fühlte mich an ein gigantisch vergrößertes Mikroskop erinnert, und der Altar diente als Objektträger.

»Der Altar befindet sich exakt im geometrischen Zentrum der Anlage«, erläuterte die Archäologin. »Wir haben das nachgeprüft. Und es gibt keine weiteren Schriftzeichen. So etwas wie eine Funktion ist nicht erkennbar.«

Von Westen fegte ein Windstoß durch die Anlage. Die Luft trug den typischen verbrannten Duft der Wüste mit sich. Sandkörner fingen sich in meinem Haar. Unwillkürlich hielt ich einen gewissen Abstand zum Altar ein. Mit den Meistern der Insel hatte ich schlechte Erfahrungen gemacht. Plötzlich wünschte ich mir, ich hätte einen SERUN mitgenommen und nicht diese Standard-Kombination.

»War das jetzt alles, Cinthia?«, fragte ich.

»Natürlich nicht. Dafür hätten wir dich nicht nach Traversan gerufen. Unser Problem sind die fünf Kuppeln. Wir konnten nur eine öffnen. Und das, obwohl wir mit den modernsten Apparaturen graben. Wir können nicht einmal sicher feststellen, ob die Kuppeln hohl oder massiv sind. – Ich meine, wäre es wirklich Sandstein, dann könnten wir das Material bis auf einzelne Moleküle genau abbilden. Aber hier – gar nichts.«

Als wir gegen die Meister der Insel gekämpft hatten, war von deren Technik nichts geblieben. Die kümmerlichen Reste hatten sich andere einverleibt. Mit einem Mal sah es so aus, als bekämen wir hier eine zweite Chance.

Cinthias Auskunft nährte meine geheime Hoffnung. Wenn es sich wirklich um eine Station der Meister handelte, dann bargen die Kuppeln möglicherweise ein wertvolles technologisches Erbe: Multiduplikatoren, um nur ein Beispiel zu nennen.

Camelot hätte damit den letzten Schritt getan, hin zur führenden Techno-Macht der Milchstraße. Umgekehrt konnten die Geheimnisse der Anlage aber auch Imperator Bostich zum mächtigsten Mann der Galaxis erheben.

»Ich will diese eine offene Kuppel sehen.«

»Dahinten ist der Eingang.«

Cinthia führte mich zu einer Art Schott, das man nicht nebeneinander, sondern nur hintereinander passieren konnte.

»Auf welche Weise habt ihr den Zugang entdeckt?«, wollte ich wissen. Cinthia lachte leise; ein Geräusch, das sich in der Wüste dumpf und kraftlos anhörte.

»Ich weiß, dass das schwer zu glauben ist, aber die Tür stand offen. Als wir es merkten, mussten wir zuerst tonnenweise Flugsand beseitigen. – Sieh es dir selbst an, Atlan!«

Die Kuppel war praktisch leer.

Nicht leer, korrigierte mein Logiksektor, sondern ausgeräumt. Das ist ein Unterschied.

Der eiförmig aufragende Innenraum barg eine Fülle von Regalen. Einige zeigten Schrammen, andere wiesen deutlich sichtbar Standspuren sehr schwerer Gegenstände auf.

»Habt ihr irgendwelche Fundstücke von ihrem Platz entfernt?«

»Nein. Es gab keine Fundstücke.«

In der Kuppelmitte gähnte ein Loch im Boden. Es handelte sich um ein Luk, das den Weg nach unten freigab.

»Besitzt deine Kombination einen Antigrav?«, hörte ich Cinthia fragen.

»Natürlich. Antigrav, Funkgerät und Schutzschirmprojektor.« Ich klopfte auf meinen Gürtel. »Aber was ist mit Licht?«

»Keine Sorge. Es sind überall Lampen angebracht.«

Wir ließen uns schwerelos durch das Loch nach unten tragen. Die Archäologin führte mich durch einen Kammerkomplex. Jedes der Gewölbe, die man von hier aus erreichen konnte, erwies sich als leer.

»Wir glauben, dass hier unten alles mit altlemurischer Hightech vollgestopft war. Wo das Zeug hin ist? Keine Ahnung … Warte, Atlan! Dahinten ist ein kleiner Hangar, in dem wohl ein Kleinraumschiff untergebracht war. Wir haben Verbrennungen an den Wänden entdeckt, vermutlich Spuren eines Korpuskulartriebwerks. Natürlich ist auch dieser Hangar leergeräumt. – Und übrigens, von oben lässt sich das Kavernensystem ortungstechnisch nicht nachweisen. Wir können das Phänomen nicht erklären. Normalerweise orten wir Hohlräume wie diesen auf ein halbes Lichtjahr Entfernung.«

Typisch für die Meister, wisperte mein Extrasinn. Uneinheitlich entwickelte Technologie. Auf der einen Seite ein rückständiges Korpuskulartriebwerk, auf der anderen Seite Zeitmaschinen und Sonnentransmitter.

»Tatsache ist, dass uns vier der fünf Kuppeln verschlossen bleiben. Wir hoffen, dass du uns helfen kannst, Atlan. Wir haben nicht ewig Zeit. Traversan ist arkonidisches Territorium. Wir können nur auf den Faktor Geschwindigkeit setzen.«

Cinthia führte mich hinauf ans Tageslicht. Unwillkürlich kniff ich die Augen zusammen. Travs Stern leuchtete so kräftig wie Sol um die Mittagszeit, grell und kaum erträglich.

Mein Blick fiel zum zweiten Mal auf den Altar. Und diesmal ignorierte ich die instinktive Scheu, die mich eben noch bewogen hatte, Abstand zu halten. Wie in Trance bewegte ich mich auf die Plattform zu. Es war, als habe ein suggestiver Einfluss Macht über mein Handeln erlangt; dies war natürlich ausgeschlossen, da ich durch den aktivierten Logiksektor nicht psionisch beeinflusst werden konnte.

»Atlan? – Atlan! Was ist mit dir?«

Ich nahm Cinthias Stimme als ein leises, entferntes Wispern wahr. Dabei stand sie nur wenige Meter hinter mir.

Bleib stehen, Narr!

Ich schenkte dem inneren Aufschrei keine Beachtung. Der Altar konnte nicht gefährlich sein. Die Archäologen hätten es sonst längst herausgefunden.

Halt, Arkonide! Cinthias Leute hätten nicht einmal die Kavernen gefunden, hätte die Tür nicht offengestanden! Du weißt nichts über dieses Objekt!

Kurz vor Erreichen des Altars verzögerte ich meinen Schritt. Einen Meter weiter, das ahnte ich plötzlich, und eine unsichtbare Grenze wäre überschritten.

Travs Stern brannte von hinten in meinen Nacken. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter – es war Fürst Ligatem! –, die ich jedoch abschüttelte.

Mit einem weiten Satz sprang ich auf die Plattform.

Nichts geschah. Die Bedenken der anderen schienen mir mit einem Mal kindisch, und ich konnte im Nachhinein nicht erklären, weshalb ich anfangs eine solche Scheu empfunden hatte.

Da erscholl eine Stimme:

»Na Maghan! Na Tha‘genem par atha ke!«

Ich erstarrte. Mit allen Sinnen versuchte ich, den Ursprung der Worte festzustellen. Doch die Stimme schien von überall zugleich zu kommen. Ich ahnte, dass der Altar selbst die Schwingungsmembran eines gigantischen Lautsprechers war.

»Na Maghan! Na Tha‘genem par atha ke!«

Die Sprache war Alt-Tefroda, das sich von der alten lemurischen Sprache kaum unterschied. Ich kannte den Dialekt! Gehört hatte ich ihn ausschließlich in Situationen allerhöchster Lebensgefahr.

Fürst Ligatem und Cinthia fingen an zu schreien. Sie stießen Worte aus, deren Sinn ich nicht verstehen konnte. In ihr Geschrei mischte sich ein umfassendes Dröhnen, das aus den Tiefen der Wüste entsprang.

Es dauerte drei, vier weitere Sekunden, dann verstand ich nichts mehr außer dem Satz in Alt-Tefroda:

»Na Maghan! Na Tha‘genem par atha ke!«

Unwillkürlich übersetzte ich:

»Maghan! Schaltung Sternentau wurde soeben aktiviert!«

Die Botschaft wurde endlos wiederholt. Was bei allen Göttern war unter Schaltung Sternentau zu verstehen? Den Ausdruck Maghan kannte ich jedoch sehr gut; die Meister der Insel hatten sich damals so titulieren lassen. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen hatte mein Sprung auf den Altar einen uralten Mechanismus aktiviert.

Eben wollte ich wieder auf den Boden zurück, wollte den Mechanismus zum Halten bringen, da sackte Cinthia vor meinen Augen leblos zusammen.

Flieh, Narr!

Es war zu spät. Ich konnte mich nicht mehr bewegen.

3.

SIEG?

Vergangenheit5772 v. Chr. / 12.402 da Ark

Ein gellender Signalton riss Kommandeur Irakhem aus dem Schlaf. Er war sich darüber im Klaren, dass damit der Anfang vom Ende eingeleitet wurde.

Salziges Tränensekret überströmte seine Wangen; ein Zeichen der übermächtigen Erregung, die ihn erfasste.

Mit einem Satz war er aus dem Bett. Er aktivierte das Visiphon. Dass sein weißes Haar wirr in alle Richtungen hing, nur nicht in den Nacken, kümmerte ihn nicht. Er diente dem Nert und seiner Heimat Traversan. Sein persönliches Erscheinungsbild hatte zurückzustehen, jedenfalls für den Augenblick.

Auf der anderen Seite salutierte ein Orbton. Irakhem kannte ihn als Offizier von niedrigem Rang. Er kannte alle Offiziere in seinem Umfeld, die meisten mit Namen. An der Galaktonautischen Akademie hatte man ihn gelehrt, wie man Untergebene führte: Es war wichtig, durch scheinbare Kleinigkeiten stets Überlegenheit zu dokumentieren.

Mit 23 Jahren war Irakhem viel jünger als der Orbton. Dennoch wurde er als Befehlshaber der Traversan-Flotte von allen anerkannt.

Er war der einzige Kapitän zweiter Klasse des Systems. Kapitäne erster Klasse – oder gar Admiräle! – hatte es auf den Welten von Travs Stern nie gegeben.

»Also! Was ist geschehen, Orbton?«

Du kennst doch die Antwort, Narr!, kritisierte sein aktivierter Logiksektor. Es ist Pyrius Bit!

Irakhem hätte beinahe laut geantwortet. Ärgerlich biss er auf seine Unterlippe. Er musste sich an die Stimme in seinem Inneren, die zu allem und jedem Kommentare abgab, erst noch gewöhnen. Der Logiksektor verschaffte ihm Überlegenheit. Die ARK SUMMIA wirkte wie ein innerer, stets gegenwärtiger Schulmeister.

»Also?«, wiederholte er scharf. »Ich erwarte deine Auskunft, Orbton!«

»Nun, ich … ich dachte … Jawohl!«

Der Mann schien verwirrt, wahrscheinlich über Irakhems Verhalten.

»Ein Verband von Imperiumsschiffen, Erhabener! Sie sind kurz jenseits der zehnten Planetenbahn aus dem Hyperraum gestürzt. Der Transitionsschock hat eine unserer Beobachtungsstationen vernichtet. Zwanzig Männer sind dabei gestorben.«

Kommandeur Irakhem presste die Lippen zusammen. Transitionen innerhalb eines Systems galten als lebensgefährlich und wurden selten vorgenommen. Zum Ethos der Raumfahrer gehörte, grundsätzlich das planetengebundene Leben nicht zu gefährden. Ausnahmen gab es auch im Kriegsfall nicht.

Wer spricht von einem Krieg?, ergänzte sein Logiksektor. Traversan wird nicht mehr sein als eine blutige, bestenfalls tragische Randnotiz der Geschichte.

Irakhem ignorierte die Stimme. Er fragte knapp:

»Welchen Kurs fliegen die Imperiumsschiffe?«

»Sie halten Kurs Traversan, Erhabener!«

»Anzahl?«

»Wir haben noch Orterprobleme durch den Transitionsschock. Unsere Geräte müssen neu kalibriert werden. Die Anzahl der Schiffe werde ich Euch bald nennen können, Pal‘athor. Habt einige Minuten Geduld.«

Pal‘athor – Zweiplanetenträger.

Er lachte bitter. Der militärische Rang, den er in jungen Jahren erreicht hatte, würde ihm nichts mehr nützen. Auf der Prüfungswelt Alassa hatte er die ARK SUMMIA absolviert. Er besaß seinen aktivierten Extrasinn seit diesem Tag, so wie die hochgestellten Adligen und erhabenen Flottenkommandeure.

Irakhem fühlte einen brennenden Ehrgeiz. In wenigen Jahren, so die Planung, hätte er die Weiterbildung zu einer höheren Offizierslaufbahn in Angriff genommen. Das Volk von Traversan hätte voller Stolz auf seinen ersten Admiral geblickt; und den meisten Stolz von allen hätte Nert Kuriol da Traversan empfunden, Irakhems väterlicher Förderer. Und nun war alles vorbei. Bevor es noch richtig begonnen hatte.

»Wann wird der Imperiumsverband eintreffen, Orbton?«

»Unveränderte Sublichtwerte vorausgesetzt, in sieben Stunden.«

»Nehmen wir an, sie beschleunigen maximal?«

»Dann schaffen sie es in fünf Stunden«, bekundete der Mann irritiert. »Aber warum sollten sie das tun, Erhabener? Sie würden doch nur unnötig ihre Triebwerks-Stützmasse verschwenden.«

Irakhem warf dem Mann einen scharfen Blick zu.

»Wenn wir etwas nicht verstehen, so heißt das nicht, dass es nicht geschehen kann.«

Die Gesichtszüge des Offiziers wurden starr.

»Ich verstehe, Kommandeur.«

»Gut. Nachrichten werden bitte unverzüglich an mich weitergereicht. Ich werde mich in spätestens fünfzehn Minuten an Bord meines Flaggschiffs einfinden. Danke.«

Irakhem schaltete das Visiphon ab. Fünf Stunden, das ließ ihm noch etwas Zeit. Er konnte seine Vorbereitungen treffen. Nicht, dass er einen großen Sinn darin gesehen hätte; aber es lag nicht in der Mentalität der Traversaner, aufzugeben. Pyrius Bit konnte sie vernichten. Er würde den Sieg allerdings sehr, sehr teuer erkaufen.

Irakhem erwartete seinen Tod. Ob der Tod heute schon kommen würde oder ob er mit Intelligenz und Kampfmoral das Ende noch einmal verzögern konnte, das war noch unklar.

Der Kommandeur duschte kurz. Er kaute Konzentrate, trank Wasser mit einem belebenden Langzeitaufputscher, dann band er sein Haar mit einer Spange aus Arkonstahl im Nacken zusammen. Zur blaugrauen Standarduniform wählte er einen dunkelroten Umhang.

Einen Moment lang überlegte er, ob er Nert Kuriol von dem nahenden Verband in Kenntnis setzen musste. Dann aber sagte er sich, dass der Fürst von Traversan dieselben Informationen besaß wie er selbst; wenn nicht die besseren. Kuriol war der eigentliche Oberkommandierende der Streitkräfte von Traversan, Irakhem nur sein Stellvertreter.

Irakhem trat ins Freie, hinaus auf eine der Palast-Terrassen. Ein Antigravstrahl erfasste ihn und zog ihn schwerelos in die Luft.

Der Leka-Diskus, ein LE-20-05 für den interplanetarischen Shuttle-Verkehr, katapultierte ihn binnen weniger Minuten zum siebzig Kilometer entfernten Raumhafen.

Irakhem starrte nicht ohne Wehmut durch die Luken hinab. Erican, die Hauptstadt des Planeten … eine Perle des Brysch-Sektors. Würde er jemals zurückkehren? Und wenn er heimkehrte, würde es Erican noch geben?

Auf dem Raumhafen standen sechs Schiffe; sechs von den neunzig, die Traversan besaß. Jedes einzelne stellte ein riesengroßes, unüberwindliches Gebirge aus modernster Technik dar. Sie trugen die stärksten Energiekanonen, die man sich vorstellen konnte, die schnellsten Positroniken, die besten Transitionstriebwerke.

Ihre Kugelzellen bestanden aus beschussverdichtetem Arkonstahl, dem nachweislich stabilsten Baumaterial der Galaxis. Und Irakhem sah die sechs Einheiten nur als ionisierte, auseinanderdriftende Gaswolken vor sich.

Narr! Kannst du deinen Puls noch fühlen? Oder bist du schon tot?

Irakhem antwortete lautlos: Ich habe keine Hoffnung.

Wenn eine Schlacht auf der Kippe steht, dozierte der Extrasinn, wird diejenige Partei gewinnen, die durch positives Denken rechtzeitig ihre mentalen Kräfte gestärkt hat.

Irakhem fand, dass das ein wertvoller Hinweis war. Der Logiksektor hatte recht. In den furchtbaren Schlachten gegen die Methanatmer hatte Irakhem manche aussichtslose Situation überstanden. Solange er lebte, besaß er eine Chance.

Ein zweifellos verrückter Teil seiner selbst machte sich bemerkbar; er hegte mit einem Mal die vollständig irrationale Hoffnung, irgendetwas Unvorhergesehenes möge eintreten.

»Pal‘athor!«

Ein Orbton kam eilig von der Seite heran. Irakhem fixierte den Mann kurz.

»Was gibt es?«

»Pal‘athor, wir sind in wenigen Sekunden wieder vollständig ortungsfähig. Die Kalibrierungen sind abgeschlossen.«

»Danke.«

Irakhem starrte gespannt auf den Orterschirm, der ihm vorerst nicht mehr als ein schematisches Abbild des Trav-Systems zeigte. Dann flackerten der Reihe nach glimmende rote Punkte auf. Jeder der Punkte stand für einen Imperiumsraumer. Es waren insgesamt nicht mehr als zwölf.

Drei sehr helle Reflexe zeigten Schlachtkreuzer der Fusufklasse an, so groß wie die TRAVERSANS EHRE, die anderen neun waren Schwere Kreuzer von je 200 Metern Durchmesser. Ihre Formation wies darauf hin, dass sie den drei Schlachtkreuzern als Flankenschutz dienen sollten. Sie flogen eindeutig in Gefechtsformation.

Nur zwölf, überlegte Irakhem.

Er fragte sich, ob das bereits der unerwartete Umstand war, den er sich erhoffte.

Die Impulstriebwerke erwachten mit einem urwelthaften Gebrüll zum Leben. Die Schiffe konnten noch so riesig sein, ihre Dämpfung noch so aufwändig, es war immer wieder dieselbe Sorte von Weltuntergang.

In diesem Fall handelte es sich um 18 getrennt steuerbare Aggregate. Im freien Raum konnten sie das Schiff mit 500 km/s2 beschleunigen. Am Boden wären jedoch verheerende Schäden die Folge gewesen, was dem Startmanöver natürliche Grenzen setzte. Irakhem nahm seinen Platz in der Mitte der Zentrale ein. Er stand breitbeinig, als wolle er den Imperator grüßen, und starrte auf die Galerie der Panoramaschirme.

Die TRAVERSANS EHRE war ein Kugelraumer von einem halben Kilometer Durchmesser. Die Besatzung bestand aus sechshundert traversanischen Elite-Raumfahrern.

Von hier aus wurde die einheimische Flotte zentral befehligt. Irakhem verfügte über alle Möglichkeiten moderner arkonidischer Kommandotechnik: eine Fülle von Bildschirmen, größenvariabel und von einer Positronik angesteuert, dazu kamen Hologramme zur optimierten räumlichen Darstellung, Flussdiagramme, dreidimensionale Vektorgrafiken.

»Landestützen einfahren!«, kommandierte er laut.

Man konnte seiner Stimme nicht anhören, was er in Wahrheit dachte.

»Antigravs auf einhundert Prozent Schwerkraftkompensierung schalten.«

Es dauerte wenige Augenblicke, dann hörte er die Meldung:

»Landestützen eingefahren. TRAVERSANS EHRE startbereit.«

Einen Moment lang hing das Schiff schwerelos in der Luft. Die scheinbare Stille dauerte nicht lange an: Irakhem gab Befehl, in den Orbit durchzustarten.

Bis zum Eintreffen des Imperiumsverbands würde es eine halbe Stunde dauern. Bislang hatte kein Funkkontakt stattgefunden. Absicht und Identifikation waren strenggenommen also unklar. Geschwindigkeit und Kursvektor ließen jedoch darauf schließen, dass der Verband direkt von BRY 24 stammte, dem 87 Lichtjahre entfernten Stützpunkt der Sektorenflotte. Dort residierte Pyrius Bit.

Die TRAVERSANS EHRE schwenkte in einen weiten Orbit ein. Travs Nachtauge, der Mond ihrer Heimat, befand sich auf der anderen Seite des Planeten, noch einen halben Tag lang außer Reichweite. Für ein eventuelles Gefecht bedeutete das, der Mond konnte nicht als Deckung benutzt werden. Die oberflächengestützten Forts konnten nicht auf Seiten der Traversaner in den Kampf eingreifen.

Irakhem hatte ohnehin nicht vor, es soweit kommen zu lassen. Keiner der Imperiumskreuzer durfte auf Feuerreichweite an Traversan oder Travs Nachtauge heran.

»Hyperkom-Verbindung herstellen«, ordnete er an. »Ich will den Kommandanten dieses Verbandes sprechen.«

Die zwölf Einheiten bremsten ab. Ihr Kurs war so berechnet, dass sie etwa über Traversan zum Stillstand kommen würden.

»Keine Antwort, Pal‘athor!«, meldete der Funkoffizier nach einer Weile.

Irakhem fluchte leise. Er befahl:

»Sperrkordon bilden! Jedem gegnerischen Schlachtkreuzer ordnen sich fünfundzwanzig Einheiten zu. Der Geleitschutz wird damit automatisch gebunden. Fünfzehn Leichte Kreuzer sichern den Rückraum gegen durchgebrochene Einheiten ab! Ich will nicht, dass plötzlich ein verirrtes Imperiumsschiff über Erican auftaucht.«

Rings um die TRAVERSANS EHRE flammten die superschweren Schutzschirme auf; schimmernde Kugeln aus Energie, die mehrere Treffer aus Thermokanonen absorbieren konnten.

»Feindkontakt! Geschützreichweite für schweres Feuer in dreißig Sekunden!«

Irakhem ließ die Schiffe seines Verbandes abbremsen und auf Kurs Richtung Traversan bringen.

Wären sie auf Kollisionskurs geblieben, das Gefecht hätte nur wenige Sekunden gedauert. Das lag nicht in Irakhems Interesse. Um einen Imperiumsraumer abzuschießen – oder ihn wirksam aufzuhalten –, brauchte es mehr als ein paar Sekunden.

»Kurs synchronisiert!«, meldete ein kosmonautischer Offizier. Ein anderer fügte hinzu: »Feuerpositronik klar!«

Irakhem schickte einen letzten Funkspruch los:

»Pal‘athor Irakhem im Namen von Nert Kuriol da Traversan. An nicht identifizierten Verband: Stoppen Sie, oder wir eröffnen das Feuer! Ich wiederhole: Wir eröffnen sonst das Feuer.«

Plötzlich flammte vor ihm ein Bildschirm auf. Irakhem schaute auf ein brutal wirkendes, breites Gesicht mit tief zerfurchter Stirn.

»Mein Leben für Arkon!«, grüßte der Fremde vorschriftsmäßig. »Hier Vere‘athor Tereagh! Geben Sie den Weg frei, Kapitän! Dies ist Territorium des Großen Imperiums und des Imperators Reomir IX. Sonnenkur Pyrius Bit sendet uns, um auf Traversan eine offizielle Strafaktion des Imperiums zu vollstrecken.«

Irakhem wusste, dass ein Vere‘athor im Rang über ihm stand. Dennoch, seine Befehle stammten von Kuriol, und Kuriol hatte sich mehr oder weniger deutlich vom Imperium losgesagt. Der Vere‘athor war damit Irakhem gegenüber nicht mehr weisungsbefugt.

»Wir geben den Weg nicht frei, Vere‘athor Tereagh.«

Der Fremde mit dem Schlägergesicht schien zu lächeln.

»Dann tragen Sie die Konsequenzen, Pal‘athor.«

Der Bildschirm erlosch.

Irakhem gab Befehl, die Pneumosessel aufzusuchen und sich anzuschnallen. Rotalarm gellte durch die TRAVERSANS EHRE. Auf den Projektorflächen der Panoramagalerie erschienen Irakhems neunzig Einheiten grün, Tereaghs Schiffe rot, und die Himmelskörper des Systems wurden als dreidimensionale Körper dargestellt.

Irakhem definierte eine Feuerlinie, zehn Lichtminuten von Traversan entfernt. Es dauerte nur wenige Sekunden. Er nahm Blickkontakt zu seinen wichtigsten Leuten auf. Der Feuerleitoffizier hatte seine Finger schon auf den Kontrollen liegen.

Als die roten Punkte die Linie überschritten, sagte Irakhem laut:

»Schwere Thermogeschütze 1 bis 8, Feuer frei.«

Die Welt schien um ihn herum unterzugehen.

Man wusste auf der anderen Seite, dass die traversanische Flotte nicht über hochrangige Kommando-Offiziere verfügte. Ein einziger Pal‘athor reichte nicht aus, um neunzig Schiffe sinnvoll zu befehligen. Tereagh schien das genau zu wissen, sonst hätte er nicht in so deutlicher Unterzahl den Angriff gewagt.

Die Impulstriebwerke rissen das Schiff vorwärts. Einige Gravos Restbeschleunigung schlugen durch, trotz der aktivierten Andruckabsorber.

Die Thermokanonen nahmen mit furchtbarer, körperlich fühlbarer Gewalt ihre Arbeit auf. Vor dem Schlachtkreuzer, der ihnen am nächsten stand, kreuzten sich die Bahnen aus Energie.

Irakhem war aus irgendeinem Grund sicher, dass sich genau dort Vere‘athor Tereagh an Bord befand.

Die Feueroffiziere korrigierten selbständig die Schussweite. Als sich die Bahnen ein zweites Mal kreuzten, erwartete Irakhem, den Schlachtkreuzer explodieren zu sehen.

Aber nichts dergleichen geschah. Das Schiff war plötzlich fort. Es hatte sich mit einem unerwarteten Manöver nicht von der TRAVERSANS EHRE entfernt, sondern war nahe herangerückt!

Ein donnerndes Geräusch lief durch das Schiff. Irakhem fühlte sich herumgerissen und in die Gurte gepresst. Dann erwiderten sie das Feuer.

»Auf die Nahortung achten!«, brüllte er. »Sie sind an uns dran! Unsere Flankeneinheiten können nicht feuern, ohne dass wir getroffen werden!«

Vor Irakhems Augen platzte ein Bildschirm. Ein Splitterregen ergoss sich über die Zentrale.

»Schirmauslastung 120 Prozent!«, hörte Irakhem einen Offizier schreien. »Steigend! 145 … 150 …!«

Wir müssen aus dem Feuer heraus, kommentierte sein Extrasinn nüchtern. Eigene Treffer sind im Moment zweitrangig.

Irakhem kommandierte:

»Feuer einstellen! Eingesparte Energie auf die Schutzschirme leiten! Triebwerke volle Kraft Gegenschub!«

Noch einmal schien es, als gehe die Welt unter – als die Impulstriebwerke das riesenhafte Kugelschiff auf Gegenkurs rissen.

Irakhem sah den feindlichen Raumer in kurzer Entfernung auf dem Schirm erscheinen.

Und im selben Augenblick eröffnete ihr Flankenschutz das Wirkungsfeuer. Der 500-Meter-Raumer der Fusufklasse, der eben noch um ein Haar ihr Ende herbeigeführt hätte, verging in einer lautlosen, optisch wunderbaren Explosion, die sechshundert Arkoniden der Gegenseite das Leben kostete.

»Pal‘athor? Sind Sie in Ordnung?«

Er spürte, dass zwei Sorten Flüssigkeit seine Wangen hinabrannen. Die erste war das typisch arkonidische Tränensekret der Erregung, und die zweite war Blut. Er hatte eine Schnittwunde an der Stirn, durch die herumfliegenden Splitter des geplatzten Monitors.

»Gefechtsfähig!«, erklärte er knapp. »Machen Sie sich keine Sorgen, Orbton.«

Irakhem versuchte, sich zu beruhigen. Solange er im Kopf nicht klar war …

Den Luxus der Ruhe kannst du dir nicht leisten, Narr! Triff Entscheidungen! Du wirst damit leben müssen, dass du Fehler begehst!

Irakhem kniff die Lippen zusammen. Er versuchte, von nun an auf alles gefasst zu sein. Wenn sie Glück hatten, war mit Vere‘athor Tereagh der intelligenteste Gegner bereits tot.

Die Panoramagalerie zeigte Abschüsse und Opfer an. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hatte der Feind – denn nichts anderes war dieser Verband vom Stützpunkt BRY 24 – zwei Schiffe verloren. Von Irakhems Verband waren dagegen nur noch achtzig Schiffe übrig.

Er verstand mit einem Mal, warum Tereagh sich eine Chance ausgerechnet hatte. Es war eine furchtbare Erkenntnis. Der Mangel an Kommando-Offizieren wirkte sich mit einem brutalen Blutzoll aus.

Irakhem verzichtete dennoch darauf, die Beiboote auszuschleusen. Ihr Einsatz stellte ein potentielles Opfer dar, das er als unnötig ansah; er war sicher, dass sie es noch schaffen würden.

Eine Raumschlacht war ein seltsames, schwer zu durchschauendes Ereignis. Zwei Schiffe gegeneinander antreten zu lassen erforderte bereits Fingerspitzengefühl. Die physikalischen Werte der Ortung in eine konkrete Vorstellung umzusetzen war eine Sache des Abstraktionsvermögens.

Drei Schiffe erforderten das Neunfache, vier Schiffe bereits das Sechzehnfache an Konzentration. So lehrte es die Galaktonautische Akademie – und Irakhem hielt diese Werte für eher untertrieben.

Neunzig Schiffe gegen zwanzig schien auf den ersten Blick ein leichtes Unterfangen zu sein. Aber das war es nicht. Pyrius Bit hatte einen Eliteverband geschickt.

Die Schlacht dauerte zehn Minuten, und am Ende hatte Irakhem zwanzig unersetzliche Einheiten verloren. Von den Raumern der Gegenseite war nichts mehr übrig.

Die TRAVERSANS EHRE ging leicht beschädigt auf dem Raumhafen von Erican nieder. Irakhem betrachtete die Hülle aus beschussverdichtetem Arkonstahl, die ein Dutzend frische Narben davongetragen hatte.

In einem offenen Gleiter wartete am Rand des Landefeldes eine hochgewachsene Gestalt. Nert Kuriol trug seine blauschwarze, mit Protectorschalen verstärkte Raumrüstung.

»Irakhem! Ich beglückwünsche Sie!«, hörte er die sonore Stimme des Nert. »Ihr erster Sieg als Flottenführer!«

Irakhem kam mit hängenden Schultern heran.

»Ihr wisst genau, Nert, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Ich habe zwanzig Verluste erlitten.«

Kuriol sagte hart:

»Niemand konnte es anders erwarten. Enttäuschen Sie mich nicht durch unrealistische Erwartungen. Ich erinnere mich, als ich selbst jung war … Sie sind ein junger Heißsporn, Irakhem. Risikofreudig, fachlich kompetent, jedoch zwangsläufig nicht mit der taktischen und strategischen Erfahrung eines altgedienten Kommandanten ausgestattet.«

Die beiden Männer schwiegen eine Weile. Leka-Disken donnerten über sie hinweg; Mannschaftstransporter und Reparaturpersonal wurden zu den gelandeten Einheiten gebracht.

»Was ich nicht verstehe, Nert Kuriol: Was hat Pyrius Bit bewogen, uns nur zwölf Schiffe zu schicken? Musste er nicht wissen, dass wir dieses Scharmützel gewinnen würden?«

»Zweifellos, Pal‘athor … Dem Sonnenkur bedeuten zwölf verlorene Schiffe nichts. Er kann sie verschmerzen. Bit hat die Mannschaften in den Tod geschickt, um vor dem Imperator eine umso bessere Legitimation zu besitzen. Nun muss er Traversan vernichten, er hat gar keine andere Wahl. Wenn es nachher noch Überlebende gibt, die auf dem Gerichtsplaneten Celkar Klage erheben könnten, dann haben sie ab jetzt keine Aussichten mehr auf juristischen Erfolg.«

Wieder herrschte eine Weile Schweigen. Irakhem dachte an die Besatzungen der zwanzig verlorenen Schiffe.

»Die zweite Welle wird bald folgen«, sagte er tonlos.

»Ja, Pal‘athor.«

»Dann werden sie uns vernichten.«

»Zweifellos.«

Nert Kuriol da Traversan blinzelte in die tiefstehende Sonne. Seine schulterlange, wallende Mähne wurde von einem Windstoß aufgewirbelt.

»Ich bin alt. Es ist ohne Belang. Aber vielleicht finden wir noch eine Möglichkeit, wie wir unsere jungen Leute retten können.«

»Ich kann nur …«

»Warten Sie, Pal‘athor!«

Ein durchdringendes Geräusch drang aus Kuriols Cape. Der Fürst zog einen Interkom mit handtellergroßem Display hervor.

»Kuriol«, meldete er sich ungehalten. »Was gibt es?«

Irakhem konnte über Kuriols Schulter das verwirrte Gesicht eines Adjutanten erkennen. »Erhabener, ich habe eine seltsame Ortung zu melden! Wir fangen aus der Yssods-Wüste Signale auf, die für unsere Spezialisten nicht zu deuten sind!«

Kuriols Kopf ruckte herum.

Irakhem fühlte sich von den tiefroten Augen des alten Nert fixiert.

»Kann es sein, dass einem Schiff des Gegners die Landung gelungen ist?«

»O nein!«, entgegnete Irakhem im Brustton der Überzeugung. »Ausgeschlossen. Was immer da los ist, es hat mit unserem Gefecht nichts zu tun!«

Der alte Nert dachte eine Weile konzentriert nach. Irakhem vermutete, dass er mit seinem Extrasinn stumme Zwiesprache hielt. Dann kündigte Kuriol an:

»Ich werde Prinzessin Tamarena schicken. Das Phänomen muss untersucht werden.«

»Ist das nicht zu …«

Irakhem unterbrach sich mitten im Satz.

»Zu gefährlich?«, wollte Kuriol wissen. »Sie enttäuschen mich, Irakhem. Tamarena kann besser auf sich aufpassen als wir alle.«

4.

MAGHAN!

Gegenwart2. August 1290 NGZ

Mein Blick ruhte auf der Frau, die vor dem Altar zusammengebrochen war. Cinthia schien zu sterben.

Unternimm etwas, Narr!

Ich versuchte, meine Hände zu bewegen. Doch die Lähmung reichte bis in die Fingerspitzen. Dasselbe mit den Füßen, den Nackenmuskeln, nicht einmal die Lippen konnte ich öffnen.

Es war keine typische Paralyse; ansonsten wäre ich zusammengebrochen und hätte möglicherweise das Bewusstsein verloren. Ich vermutete einen unbekannten Einfluss, der auf normale Menschen so wirkte wie auf Cinthia. Für mich sah die Sache anders aus, ich war ein Unsterblicher.

Mein Zellaktivator pochte so stark, dass ich glaubte, die Ströme von Vitalenergie wie dicke Taue fassen zu können. Ohne den Chip in meiner Schulter, so machte ich mir klar, wäre ich innerhalb weniger Sekunden gestorben.

Aus den Augenwinkeln erblickte ich plötzlich eine Gestalt. Ein Arkonide in einem grünen Mantel näherte sich im Zeitlupentempo. Es war Fürst Ligatem! Im ersten Augenblick dachte ich noch, Ligatem wolle mich vom Altar ziehen.

Verschwinde! Du schaffst es nicht!, versuchte ich zu rufen. Aber kein Wort kam über meine Lippen.

Dann bemerkte ich, dass der Blick des Fürsten in eine andere Richtung ging. Ligatem schaffte ein paar Meter. Dann sanken seine Arme hinab. Seine Hände öffneten sich, und er ging in die Hocke.

Als er wieder hochkam, hatte er die Archäologin im Griff. Der Fürst versuchte, die Frau wegzuschleppen. Meter für Meter kämpfte er sich vorwärts – während ich nur untätig zusehen konnte.

Ich bewunderte seine Willenskraft. Ligatem gab nicht auf, auch nicht, als er für Sekunden scheinbar entkräftet zu Boden ging. Die Zeitlupen-Flucht lief zunehmend zügiger ab. Mit jedem Meter Entfernung zum Altar gewann Ligatem an Tempo.

Zum Schluss hob er Cinthia auf seine Schultern. Er trug sie wankend, aber rasch davon.

In meiner Sichtweite befanden sich lediglich noch Maschinen, keine Lebewesen mehr.

Ich war allein. Solange mein Aktivator arbeitete, konnte der lähmende Einfluss mich nicht töten.

Ich erkenne eine Querverbindung, wisperte mein Zellaktivator. Die Stimme gerade eben wandte sich an einen Maghan. Die einzig anwesende Person auf dem Altar bist du, Arkonide. Ich nehme daher an, dass der Urheber der Stimme dich als einen Maghan identifiziert hat – als einen Meister der Insel.

Was für ein Unsinn!, entfuhr es mir lautlos. Die Meister sind seit einigen tausend Jahren tot. Das letzte Mal, dass einer von ihnen diese Anlage betreten hat – wenn überhaupt! –, muss vor 50.000 Jahren gewesen sein!

Der Extrasinn erklärte: Eine wichtige Eigenschaft der Meister war ihre relative Unsterblichkeit. Die Maghane trugen Zellaktivatoren, so wie du! Und heute betrittst du diesen Altar, eine Stimme nennt dich Maghan, und alle anderen Personen außer dir werden in die Flucht geschlagen.

Was willst du andeuten?

Du befindest dich nicht in Lebensgefahr, Arkonide. Diese Station hat dich automatisch als Meister der Insel identifiziert. Etwas Wichtiges wird geschehen. Etwas, das sich Schaltung Sternentau nennt. Aber zuvor wird man mit dir Kontakt aufnehmen. Du darfst dich keinesfalls als Unbefugter zu erkennen geben. Sei ein Meister der Insel, wenn du leben willst.

Die Kuppeln in meinem Sichtfeld glommen plötzlich in einem dunklen, roten Licht. Im selben Moment verblasste die gesamte Umgebung, die ich dahinter erkennen konnte. Die Felsen der Yssods-Wüste, der blaue Himmel von Traversan, das alles verschwand wie hinter einem Deflektorschirm. Die Anlage hatte sich anscheinend in ein Feld unbekannter Natur gehüllt.

Ich ballte die Hände – und es dauerte einige Momente, bis mir klar wurde, dass es eine willentlich gesteuerte Bewegung war. Ließ die Lähmung nach?

Im selben Augenblick spürte ich drei heftige Schläge an meiner Hüfte. Es wurde brennend heiß, wenn auch nur für Sekunden.

Ich versuchte, den Kopf zu neigen. Meine Bewegungsfähigkeit war nicht weit genug wiederhergestellt, um einen Blick auf die Hüftregion zu erhaschen.

Das ist auch unnötig, sprach die Stimme in meinem Inneren sarkastisch. Offensichtlich sind soeben dein Antigrav, das Funkgerät und der Schutzschirmprojektor explodiert. Deine gesamte technische Ausrüstung …

Was immer die Schaltung Sternentau bedeutete, es wirkte sich weder auf Geräte noch auf menschliches Leben ohne Aktivator besonders günstig aus.

Das rote Leuchten der Kuppeln intensivierte sich.

»Maghan?«

Ich neigte den Kopf. Die Bewegung kostete mich alle Kraft.

»Maghan, hörst du mich?«

Es war dieselbe Stimme, die bereits den Satz Na Maghan, na Tha‘genem par atha ke gesprochen hatte.

»Maghan, ich messe unzweifelhaft die Existenz eines Lebensspenders an. Um deine Identität weiß ich also.«

Es war anzunehmen, dass mit dem Ausdruck Lebensspender mein Zellaktivator gemeint war.

Ich fasste den Entschluss, der Stimme zu antworten:

»Ich höre dich gut«, formulierte ich auf Alt-Tefroda.

Die wenigen Worte kosteten mich sehr viel Kraft.

»Du wurdest aufgrund der Emissionen deines Lebensspenders als befugte Person identifiziert. Der Sternentau-Vorgang wurde automatisch eingeleitet.«

»Ich bin selbstverständlich befugt«, bestätigte ich matt, »allerdings bin ich nicht mit den Details der Schaltung Sternentau vertraut. Dieser Besuch diente lediglich der Inspektion. Ich benötige sämtliche Informationen, die du mir geben kannst.«

Einen Moment lang hörte es sich so an, als ertöne eine Art Gelächter.

Du hast es höchstwahrscheinlich mit einem 50.000 Jahre alten Steuergehirn zu tun, behauptete die Stimme in mir. Anzunehmen, dass es nicht mehr vollständig intakt ist.

Eine irre Positronik?

Der Begriff scheint mir nicht sehr präzise, im Kern könnte er jedoch treffend sein.

Unruhig blickte ich mich um. Von der Wüstenumgebung war noch immer nichts zu sehen, und ein Gefühl sagte mir, dass sich dieser Zustand so einfach auch nicht ändern würde. Als die Stimme mir nicht antwortete, schlug ich vor:

»Du könntest zunächst einmal erklären, wer du bist und wo du dich befindest.«

»Ich bin das Gehirn«, lautete die prompte Antwort. »Meine zentrale positronische Prozessoreinheit befindet sich in Kuppel D.«

»Wo ist Kuppel D?«

Eines der Sandsteingebäude schien einen Moment lang zu pulsieren. Doch ich war nicht sicher, ob meine Beobachtung den Tatsachen entsprach.

»Hör zu, Gehirn, es kommt darauf an, unsere unterschiedlichen Informationsstände abzugleichen. Ich will sichergehen, dass meine Anweisungen an dich auch adäquat umgesetzt werden können.«

Kurz entschlossen fügte ich hinzu:

»Ich muss sichergehen, dass meine Informationen über dich den Tatsachen entsprechen und vollständig sind. Der letzte Kontakt zwischen der Station und einem Maghan liegt immerhin sehr lange Zeit zurück.«

»Sehr lange …«

Das Rechenhirn schien nachzudenken, obwohl ich wusste, dass das nicht möglich war. Selbst eine veraltete Positronik erledigte ihre Denkprozesse in einer Geschwindigkeit, bei der ein Arkonide so etwas wie eine Verzögerung nicht wahrnehmen konnte.

»Die Station wurde zum Zweck der Waffenbeschaffung von einem Maghan errichtet, dessen Namen ich nicht kenne. Er ließ sich als Faktor 7 ansprechen. Faktor 7 benötigte Waffenmaterial, das sich speziell gegen extrem resistente Lebensformen einsetzen ließ. Diese Lebensformen wurden als Bestien bezeichnet. Außerdem definierte Faktor 7 die Raumschiffe der Bestien als problematisch, da sie über sogenannte Paratronschirme verfügen.«

»Diese Station ist eindeutig nicht für die Waffenproduktion oder Forschung ausgelegt«, stellte ich fest. »Woher wollte Faktor 7 diese Waffen also nehmen?«

»Die Waffen sollten aus der Vergangenheit beschafft werden.«

Einen Moment lang stockte mir der Atem. Ich wusste genug über alle Experimente mit der Zeit, um mich plötzlich wie ein Mann an einem steilen Abgrund zu fühlen. Ich war noch nicht gefallen – aber es brauchte nur einen winzigen Stoß, einen Lufthauch.

»Wie … wie weit in der Vergangenheit, Gehirn?«

»Als Zielzeit wurde X minus 1,2 Millionen Jahre definiert.«

Verdammt!

»Wie kommt dieser Wert zustande?«

»Faktor 7 verfügte über Anhaltspunkte, dass vor 1,2 Millionen Jahren in diesem Sektor der Galaxis ein schwerer Krieg stattgefunden hat. Nach Informationen des Maghans prallten zwei Parteien aufeinander, deren technologischer Standard sehr weit über dem heute üblichen Niveau gelegen haben muss. Mit den Waffen von damals, so Faktor 7, wäre die Vernichtung eines Paratronschirms entschieden leichter möglich als heute. Auch eine einzelne Bestie wäre dann leichter zu besiegen.«

Ich fragte mich, ob ich der Station reinen Wein einschenken sollte.

Die Wahrheit war, dass die Meister der Insel längst nicht mehr existierten. Der Krieg gegen die Bestien, wie die Meister der Insel die Haluter genannt hatten, war längst zu Ende. Und die Lemurer, die diesen Krieg damals geführt hatten, waren aus der Milchstraße nach Andromeda ausgewandert, um den Halutern zu entkommen. Dort hatten die Meister der Insel die Macht übernommen.

Anzunehmen, dass eine ganze Weile nach der Machtübernahme in Andromeda ein Meister in die Milchstraße zurückgekehrt ist, erklärte der Extrasinn. Diesen Krieg vor 1,2 Millionen Jahren gab es tatsächlich. Auch wir verfügen über einige rudimentäre Hinweise darauf. Der Meister ließ diese Station erbauen – und dann gab es offenbar Gründe, den Plan nicht weiterzuverfolgen. Versuche, diese Gründe herauszufinden, Arkonide!

Ich fragte mich, ob ich wirklich alles richtig verstanden hatte. Doch meine Kenntnisse des Alt-Tefroda waren gut genug, um einen Irrtum auszuschließen.

»1,2 Millionen Jahre …«, wiederholte ich fassungslos. »Das ist doch nicht möglich …«

Das Stationsgehirn stimmte bei:

»Du hast vollkommen recht – unmöglich. Allerdings befinden wir uns direkt auf dem Weg dahin. Unsere relative temporale Position liegt bei X minus 1440 Jahre. Der kritische Punkt wird bald erreicht sein.«

»Was für ein kritischer Punkt?«

»Der Punkt, an dem es gewöhnlich zur Katastrophe kommt. Die Fehlversuche Nummer 1 bis Nummer 37 haben das belegt.«

»Wie viele Versuche haben bisher funktioniert?«

»Keiner«, bekundete das Gehirn.

Da hörst du es. Hier sind schon die guten Gründe, die Faktor 7 hatte.

»Sofort alle Maschinen anhalten!«, kommandierte ich. Nur um mich sofort zu verbessern: »Nicht anhalten, sondern umkehren. Wir müssen sofort zurück in die Gegenwart.«

»Das ist leider nicht möglich, Maghan«, antwortete das Gehirn mit einer hörbaren Spur von Bedauern.

»Aus welchem Grund nicht?«

»Seit meiner letzten Aktivierung sind 47.002 Jahre verstrichen. Aufgrund der langen Inaktivität haben Teile meiner Programmierung Schaden genommen. Darüber hinaus existieren einige maschinelle Schäden, die ich aus eigener Kraft nicht beheben kann.«

Ich versuchte, Punkt für Punkt vorzugehen.

»Was bedeutet Schaden in der Programmierung?«

»Wir werden Fehlversuch Nummer 38 vor dem Erreichen der Zielzeit nicht mehr beenden können. Ich kann keinen Programmabbruch herbeiführen.«

»Das heißt, eine Rückkehr ist erst möglich, wenn das Programm komplett ausgeführt wurde?«

»Oder wenn ein Programmabbruch von außen stattfindet. Allerdings handelt es sich dabei lediglich um eine theoretische Möglichkeit. Die Energiereserven reichen leider nicht bis zum Eintritt in die Zielzeit aus.«

Einen Moment lang weigerte ich mich, die Konsequenzen der maschinellen Logik zu durchdenken. Dann konnte ich mich nicht mehr wehren. Ich stieß einen erstickten Laut aus. Gern wäre ich nach vorn gesprungen, hätte mir Einlass in die Kuppeln verschafft und den Programmabbruch selbst herbeigeführt. Das einzige, was ich zustande brachte, war ein kurzer Schritt nach vorne. Entkräftet holte ich Atem.

»Wir werden demnach in die Vergangenheit reisen, bis uns die Energie ausgeht?«, vermutete ich.

»Das ist korrekt.«

»Und anschließend können die Anlagen der Station aus Mangel an Energie nicht mehr betrieben werden.«

»Ebenfalls korrekt.«

»Befindet sich eine Apparatur zur Produktion von Energie unter den Anlagen?«

»Nein. Aus emissionstechnischen Gründen konnte lediglich ein leistungsfähiges Speichersystem integriert werden.«

»Bedeutet das, wir werden in der Vergangenheit stranden?«

»Ja, Maghan. Fehlversuch Nummer 38 kehrt nicht mehr in die Gegenwart zurück. – Ich hoffe, du hattest eine komfortable Reise. Der Austritt aus dem Zeitsprung steht in wenigen Sekunden bevor.«

»Warte!«, rief ich verzweifelt.

»Das geht leider nicht.«

Ich hatte selbst eine Expedition mit einem terranischen Nullzeitdeformator mitgemacht. Wir hatten die Technologie niemals wieder ausgegraben, nachdem sie einmal in der Versenkung verschwunden war. Und das aus gutem Grund: Jede Manipulation in der Vergangenheit konnte furchtbare Folgen für die Gegenwart nach sich ziehen.

Im Extremfall verhinderte eine scheinbar nebensächliche, in Wahrheit jedoch katastrophale Handlung die eigene Geburt. Die Wissenschaftler nannten solche Gedankenspiele ein Zeitparadoxon.

Niemand konnte wirklich vorhersagen, wie ein Aufenthalt in der Vergangenheit sich auswirken würde. Ein gängiges mathematisches Modell der Zeit ging von unendlich vielen parallelen Zeitströmen aus. Jede Manipulation erzeugte neue Zeitströme, neue Kausalitäten, neue Alternativen.

In diesem Fall kam ein spezielles Problem hinzu. Ich war nicht in der Lage, dieses Problem logisch zu lösen. Wahrscheinlich deshalb, weil es keine auch nur ansatzweise logisch klingende Lösung gab: Die Station stand seit etwa 50.000 Jahren mitten in der Yssods-Wüste. Was passierte, wenn der Zeitsprung über weniger als 50.000 Jahre in die Vergangenheit führte?

Wo ein Körper war, konnte kein zweiter sein – so lautete eine Grundregel der Physik. Banal, in meinem Fall unter Umständen jedoch tödlich. Wenn der Sprung beendet war, prallten die beiden Zeitmaschinen vielleicht aufeinander. Vielleicht wurde dieser ganze Zeitstrom auch ausgelöscht und mit ihm Perry Rhodan, die Terraner, dieser ganze Planet Traversan und überhaupt das ganze Universum.

Sieh nicht zu schwarz, Arkonide. Vielleicht passiert auch gar nichts. Vielleicht verdrängt eine Zeitmaschine die andere in den Hyperraum, bis normale Verhältnisse wiederhergestellt sind. Oder es entsteht tatsächlich ein paralleler Zeitstrom, der nach einigen hundert Jahren in den alten Strom zurückmündet.

Ich versetzte lautlos: Von einem Logiksektor erwarte ich eine nüchterne Analyse. Keine Durchhalteparolen.

Du wirst begreifen müssen, dass die Gesetze der Logik hier nur beschränkt anzuwenden sind.

Ärgerlich presste ich die Lippen zusammen.

Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich wirklich wissen wollte, was sich über meinem Kopf zusammenbraute. Wie es auch kam, ich konnte offensichtlich nichts am Ergebnis ändern.

Schwelge nicht in Selbstmitleid, Arkonide!, kritisierte der Logiksektor hart. Bereite dich lieber auf den Fall deines Überlebens vor.

Noch einmal versuchte ich, einen Schritt zu tun. Aber auch diesmal kam ich nicht weit. Der Logiksektor hatte recht. Ich musste Informationen sammeln, für den Fall, dass es am Ende von Fehlversuch Nummer 38 noch einmal weiterging.

»Gehirn, hörst du mich?«, erhob ich die Stimme.

»Ja.«

»Dann beantworte mir noch eine Frage: In welcher Zeit werden wir stranden?«

»Das ist leicht. Es handelt sich voraussichtlich um das Jahr …«

Die Stimme des Gehirns verstummte.

Die Kuppeln hörten zu leuchten auf.

Der Hintergrund, den ich die ganze Zeit vermisst hatte, tauchte wie aus einem sich hebenden Dunstschleier wieder auf. Es war immer noch die Yssods-Wüste. Einige Felsbrocken schienen anders zu liegen, als ich es in Erinnerung hatte. Aber das war auch schon alles.

In mir erwachte der Verdacht, dass ich auf eine noch unbekannte Weise hereingelegt worden war. Ich hatte den Eindruck, dass eine tödliche Gefahr drohte. Nur wusste ich nicht, welche.

Vergangenheit5772 v. Chr. / 12.402 da Ark

»Seid ihr bereit?«, schrie Prinzessin Tamarena.

»Jawohl, Erlauchte!«, schrien die Soldaten zurück.

Ein kurzes Kommando nur, und sie würden in die Gleiter springen und die Galaxis für sie auseinandernehmen.

Ihre mandelförmigen, hellroten Augen erfassten jede Kleinigkeit. Es schien unmöglich zu sein, dass ihr etwas entging, nicht einmal Ereignisse in ihrem Rücken. Die Prinzessin hatte das oft gezeigt. Ihre Auffassungsgabe galt als übernatürlich entwickelt.

Die einsam zugebrachten Jahre in einer Dagor-Abtei befähigten sie zu erstaunlichen Dingen. Im Zentralmassiv von Masskyr hatte sie gelernt, wie man die ungenutzten Ressourcen des Körpers und des Geistes zugänglich machte. Den Rest hatte ihr Vater sie gelehrt; Nert Kuriol verdankte sie kosmonautische Ausbildung und Kenntnisse in Truppenführung. Den meisten Arkoniden war sie weit überlegen, auch wenn sie es selten zeigte.

Ihr platinblondes Haar trug sie im halblangen Pagenschnitt. Sie hatte eine schlanke, hochgewachsene Figur, und sie wusste genau, dass sie eine attraktive Frau war.

In diesem Augenblick zählten jedoch andere Dinge: Nert Kuriol hatte sie nicht umsonst in die Wüste geschickt.

Tamarena trug klobige Kampfausrüstung. Dazu gehörten Protectorschalen aus Arkonstahl, die die Gelenke schützten, Energieschirm, Thermostrahler, Flugaggregat und Funkgerät.

Sie musterte die schwer bewaffneten Männer ihres Greiftrupps: eine bestens ausgebildete, schlagkräftige kleine Einheit. Keiner von ihnen erlaubte sich bedeutungsvolle Seitenblicke. Die Männer dachten nicht einmal an sie, jedenfalls nicht in dieser Weise. Tamarena wusste das genau.

Traversaner wie sie waren daran gewöhnt, erst zu schießen und dann zu fragen; aber auch das lag diesmal in ihrem Interesse. Was immer sich in der Yssods-Wüste abspielte, es geschah zu einer ausgesprochen ungünstigen, für alle Beteiligten höchst gefährlichen Zeit.

Von einer erhöhten Position aus starrten sie auf die fünf seltsamen Kuppeln hinab, die sich mitten in der Yssods-Wüste erhoben.

Diese Kuppeln hätten eigentlich nicht existieren dürfen. Ihre Existenz stellte ein Rätsel dar. Wer hatte sie erbaut?

Sie waren nicht groß genug, um eine ernsthafte Gefahr für den Planeten Traversan bereitzuhalten. Was, wenn sich im Inneren Truppen des Stützpunktes BRY 24 befanden? Es konnten niemals genug sein, um damit Erican zu gefährden.

Tamarena glaubte nicht, dass sie es wirklich mit einem Hinterhalt des Sonnenkurs zu tun hatte. Eine Station dieser Art taugte nicht als Geheimdienstbasis. Was hätte Bit auf Traversan ausspionieren sollen, das er nicht bereits wusste?

Außerdem pflegten Einrichtungen der Geheimdienste sich nicht durch seltsame Wellenfronten zu verraten. Geheime Stationen blieben gewöhnlich auch geheim. Diese hier hatte dagegen ein wahres Leuchtfeuer abgestrahlt – ein Leuchtfeuer aus Energie, das allerdings seit wenigen Minuten erloschen war.