Redewendungen: Episoden 2009 – Episode 73 bis 77 (menschliche Tragödien) - Carsten Both - E-Book

Redewendungen: Episoden 2009 – Episode 73 bis 77 (menschliche Tragödien) E-Book

Carsten Both

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Behandelte Redewendungen: nicht (lange) fackeln / ohne (großes) Gefackel / ohne (lange) zu fackeln / ohne langes Fackeln / nicht (lange/viel/weiter) gefackelt! / Drum prüfe, wer sich ewig bindet / Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang / Wehe, wenn sie losgelassen / Da werden Weiber zu Hyänen / Gefährlich ist's, den Leu zu wecken / Das Auge des Gesetzes / Wo rohe Kräfte sinnlos walten / Wenn die Glock' soll auferstehen, muss die Form in Stücke gehen / magdeburgisieren / Magdeburgisierung / seine Pappenheimer kennen / Ich kenn (doch) meine Pappenheimer! / Spitzbube / Der Krieg ernährt den Krieg / in die Binsen gehen / in die Wicken gehen / hingehen, wo die Binsen wachsen / Allein auf weiter Flur (stehen) / mutterseelenallein

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Seitenzahl: 40

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Episode 73: Niemals (lange) überlegen

Sofort zuschlagen! Wer zu lange überlegt, gar anfängt, zu zweifeln, hat im harten Überlebens- und Fortpflanzungskampf wenig Chancen, im Dschungel und auf der Straße muss alles gehen wie’s Katzenficken [siehe Episode 72] – und dazu braucht das Säugetier bekanntlich lediglich die evolutionär alteingesessenen Gehirnteile. Mit der bedenklichen Reihenfolge „erst denken, dann nachdenken, dann handeln“ konnten Krethi und Plethi [siehe Episode 70] noch nie etwas anfangen. In Stammtischkreisen wird eher fallweise die impulsive Alle-an-die-Wand-stellen-These vertreten, wird dem abrupten handwerklichen Tun und Machen ein weitaus höherer Stellenwert eingeräumt als dem vorherigen Denken und Bedenken. Erst wenn das Kind in den – unbedachten – Brunnen gefallen ist [siehe Episode 60], bricht hysterischer Mach-doch-einer-was!-Aktionismus aus. Dann ist erst recht keine Zeit mehr zum Nachdenken, dann sind Entscheider (keine Denker) gefragt, dann darf man nicht viel Federlesens machen [siehe Episode 56], dann muss irgendetwas getan werden, nur nicht (lange) fackeln – und wenn erstmal nachträglich-notdürftig der Brunnen überdacht wird. Alternativ kann der Spontane ohne (großes) Gefackel, ohne (lange) zu fackeln oder ohne langes Fackeln zuschlagen. Der Leitspruch der Werktätigen heißt nicht zufällig: Starke Hand fackelt nicht – starker Kopf schon. (Darum haben sie die Helmpflicht auf Baustellen auch nie richtig kapiert.) „Fackeln“ bedeutet zögern, zaudern, Umstände machen, (zu) lange überlegen und wird gemeinhin mit der Fackel und ihrer besonderen Brennweise in Verbindung gebracht. In welcher alt- bis mittelhochdeutschen Sprachvorstufe die alternative Bezeichnung fürs Flackern bzw. unruhige Brennen einer Fackel zuerst aufgeflammt sein soll, da gibt es unterschiedliche Lehrmeinungen; neuhochdeutsche Außenseiter vertreten sogar die plausible These, dass „fackeln“ wenig mit dem offenen Feuer am Stiel zu tun hat, sondern schon eher mit dem mitteldeutschen Tuwort „ficken“ verwandt ist, das „schnell hin und her bewegen“ oder „reiben“ bedeutet – und zumindest Katzen „reiben“ ja tatsächlich nicht lange. Das Hin-und-her-Bewegen beim körperlichen Kopulieren entspräche so dem abwägenden (körperlichen) Schwanken bei geistigen Entscheidungen. Das Wiewort „fackelhaft“ steht deshalb für „unentschlossen, wankelmütig“, „fackelig“ für „unbeständig“ und ein „Fackeler“ wäre demnach ein unentschlossener, wankelmütiger und unbeständiger Mensch, der allzu häufig auf (langes) Gefackel setzt.

Damit Sie jetzt nicht langsam fickerig werden, hurtig zurück zu unserer Redewendung, in der das zögerliche Verb zumeist in der Verneinung verwendet wird und zudem nicht selten im Imperativ: Hier wird nicht (lange/viel/weiter) gefackelt!, brüllt da schon einmal der Kapo seine Untergebenen an. Zum Fackeln angestiftet wird dagegen äußerst selten, eher zum Abfackeln, dem teils strafbaren Ab- und Niederbrennen von missliebigen Ob- und Subjekten.

In der heute gängigen Bedeutung ist die Wendung seit Anfang des 18. Jahrhunderts belegbar. So wurde in der später unter dem übersichtlicheren Titel „Die Insel Felsenburg“ (1731-43) herausgegebenen utopischen Robinsonade „Wunderliche Fata einiger See-Fahrer ...“ von Johann Gottfried Schnabel (1692 - um 1746) zahlreich nicht gefackelt, etwa von fleißigen Handwerkern: „die Mäurer arbeiteten hurtig hinter drein, und diejenigen, welche mit der Zimmer-Axt umzugehen wusten, deren denn eine gar starcke Anzahl war, fackelten auch nicht, sondern hieben dergestalt fleißig, daß zu Ende des Jahrs alles Holtz zum Richten (...) fertig lag.“ Sogar unverzüglich morden wollte jemand: „... ich hoffe, daß mir der Himmel doch noch diesen mörderischen Franzosen in die Hände führen wird, da ich denn nicht fackeln werde, ihm durch meine eigene Faust das Lebens-Licht auszublasen, …“ Und beim Eindringen nicht zu zögern, half bereits im ersten Theil von Gisanders Inzucht-Utopie: „... welcher hierauf nicht gefackelt, sondern sich in aller Stille ins Hauß herein practiciret, Licht angeschlagen, und die beyden verliebten Seelen, ich weiß nicht in was vor positur, ertappet hatte.“

Matthias Claudius (1740-1815) traute sich im Wandsbecker Bothen nicht nur an Hinz und Kunz heran [vgl. Episode 70], sondern an noch größere Dichter. Asmus beließ es 1774 aber bei einer wohlwollenden Kritik am Trauerspiel „Emilia Galotti“ (1772) von Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781), denn er „Wollt’s auch für viel nicht mit Herrn Leßing verderben. Er fackelt nicht; zwar er gäb sich auch mit’m schlichten Bothen wohl nicht ab, er ists so mit Geheimden Rähten gewohnt.“

Ansonsten ist seit jeher eher der handwerklich geprägte Mensch ohne Fackelhemmung. So standen etwa bei der deutschen Gartenlaube-Starautorin Eugenie Marlitt (1825-1887) zupackende Leute hoch im Kurs; in ihrer Frauenliteratur wurde hart gearbeitet und wenig gefackelt: „»Potztausend!« rief der Oberförster überrascht, »da wird nicht gefackelt, fort damit! ...«“, hieß es etwa im Roman „Goldelse“ (1866). In der Thüringer Erzählung „Amtmanns Magd“ (1881) wurde das land- und hauswirtschaftliche Personal mehrfach gelobt: „In den Ferien muß sie mir tüchtig mit an die Arbeit – da wird nicht gefackelt. Sie kann perfect backen, einmachen und Geflügel stopfen, und in der Milchwirthschaft ist sie zu Hause wie ich selber, und dabei hat sie rothe Backen wie ein Stettiner Apfel und ist frisch und gesund – Gott behüt’s – wie eine Ecker.“ Sogar das von Gott vergebene Geschlecht war nicht hinderlich: