Regency Games - Wie verzaubert man einen Earl? - Catherine Coulter - E-Book
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Regency Games - Wie verzaubert man einen Earl? E-Book

Catherine Coulter

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Beschreibung

Plötzlich eine Lady: Das Romantik-Highlight »Regency Games – Wie verzaubert man einen Earl?« von Catherine Coulter jetzt als eBook bei dotbooks. Als uneheliche Tochter des Earls von Wyndham weiß sie nur zu genau, dass alle sie hinter ihrem Rücken nur einen »Bastard« nennen. Umso erstaunter ist die junge Josephine, als sie sich plötzlich als alleinige Erbin des herrschaftlichen Anwesens Chase Park wiederfindet. Wird auch der Rest des Adels sie nun endlich als rechtmäßige Nachfolgerin ihres Vaters akzeptieren? Fast beginnt Josephine schon zu hoffen – doch sie hat die Rechnung ohne den ebenso stolzen wie attraktiven Neffen des Earls gemacht: Marcus Wyndham ist erzürnt, als er erfährt, dass die »Bastardstochter« ihn um sein rechtmäßiges Erbe gebracht hat. Schon bald fliegen die Fetzen zwischen den beiden … aber wieso lassen Marcus‘ dunkle Blicke ihr Herz plötzlich immer höher schlagen? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Das historische Highlight »Regency Games – Wie verzaubert man einen Earl?« der New-York-Times-Bestsellerautorin Catherine Coulter ist der Auftakt der romantischen »Regency Games«-Serie. Die Einzelbände können unabhängig voneinander gelesen werden – für alle Fans von Julia Quinns »Bridgerton»-Serie und Abbi Glines. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 561

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Über dieses Buch:

Als uneheliche Tochter des Earls von Wyndham weiß sie nur zu genau, dass alle sie hinter ihrem Rücken nur einen »Bastard« nennen. Umso erstaunter ist die junge Josephine, als sie sich plötzlich als alleinige Erbin des herrschaftlichen Anwesens Chase Park wiederfindet. Wird auch der Rest des Adels sie nun endlich als rechtmäßige Nachfolgerin ihres Vaters akzeptieren? Fast beginnt Josephine schon zu hoffen – doch sie hat die Rechnung ohne den ebenso stolzen wie attraktiven Neffen des Earls gemacht: Marcus Wyndham ist erzürnt, als er erfährt, dass die »Bastardstochter« ihn um sein rechtmäßiges Erbe gebracht hat. Schon bald fliegen die Fetzen zwischen den beiden … aber wieso lassen Marcus‘ dunkle Blicke ihr Herz plötzlich immer höher schlagen?

Über die Autorin:

Catherine Coulter wurde 1942 in Texas geboren. Schon früh begeisterte sie sich für die Regency-Bestseller von Georgette Heyer, die sie schließlich dazu inspirierten, selbst historische Liebesromane zu schreiben. Inzwischen ist Catherine Coulter erfolgreiche Autorin zahlreicher historischer und zeitgenössischer Liebesromane, sowie vieler Thriller, mit denen sie immer wieder auf der New-York-Times-Bestsellerliste stand.

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin die historischen Liebesromane:

»Regency Brides – Eine skandalöse Hochzeit, Band 1«

»Regency Brides – Eine unerwartete Liebe, Band 2«

»Regency Brides – Eine Lady auf Abwegen, Band 3«

»Regency Brides – Eine geheimnisvolle Lady, Band 4«

»Regency Games – Wie verzaubert man einen Earl? Band 1«

»Regency Games -Wie küsst man einen Viscount? Band 2«

»Regency Beaus – Wie verführt man einen Baron?«

Die Website der Autorin: catherinecoulter.com/

Die Autorin bei Facebook: facebook.com/CatherineCoulterBooks/

Die Autorin auf Instagram: instagram.com/catherinecoulterauthor/

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eBook-Neuausgabe September 2023

Dieses Buch erschien bereits 2001 unter dem Titel »Rivalen des Glücks« bei Wilhelm Heyne Verlag.

Copyright © der Originalausgabe 2001, Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München.

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Karolina Michałowska unter Verwendung von Bildmotiven von Shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ys)

ISBN 978-3-98690-821-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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blog.dotbooks.de/

Catherine Coulter

Regency Games – Wie verzaubert man einen Earl?

Roman

Aus dem Amerikanischen von Christa von Hadeln

dotbooks.

Rivalen des Glücks

Prolog

Im Alter von neun Jahren – es war im Juni 1804, am zweiten Tag ihres ersten Besuches in Chase Park – hörte sie, wie eins der Zimmermädchen aus dem oberen Stockwerk Tweenie verkündete, sie sei ein »Bankert«.

»Ein Bankert? Was erzählst du da? Du bindest mir einen Bären auf, Annie! Das Püppchen ein Bankert? Alle erzählen doch, sie sei eine Cousine aus Holland oder aus Italien, was weiß ich.«

»Eine Cousine aus Holland oder Italien, meiner Treu! Ihre Mutter lebt in der Nähe von Dover – und das ist alles, was sie von der Welt gesehen hat. Seine Lordschaft besucht sie, sooft er kann, das habe ich jedenfalls von Mrs. Emory gehört, als sie es dem Koch erzählte. Ja, ja, sie ist die uneheliche Tochter seiner Lordschaft. Ja! Sieh dir doch nur ihre Augen an, blauer als die Punkte auf einem Rotkehlchenei.«

»Daß seine Lordschaft die Stirn besitzt, seine Brut unmittelbar vor ihrer Ladyschaft Nase aufkreuzen zu lassen!«

»So ist das nun einmal in diesen Kreisen. Seine Lordschaft hat wahrscheinlich eine Handvoll Bankerte. Was ist schon einer mehr oder weniger? Aber diese hier, diese Kleine, ist etwas Besonderes. Ja. Sie ist süß und fröhlich. Ein kleiner Sonnenschein. Mir kommt es so vor, als ob sie schon immer hiergewesen wäre. Ihre Ladyschaft wird das kleine Püppchen links liegenlassen, du wirst schon sehen. Wie ich gehört habe, bleibt sie nur vierzehn Tage zu Besuch.«

Annie schniefte und schob den nun geleerten Nachttopf auf die andere Hüfte. »Das hat er noch nie getan. Hat der Mensch Töne, bringt der Graf seinen Bastard nach Chase!«

»Aber sie ist bildhübsch, die Kleine.«

»Ja, und seine Lordschaft sieht so prächtig aus wie sein Großvater. Meine Großmutter erzählte immer, seine blendende Erscheinung habe einem den Atem genommen, also ist es ganz natürlich, daß die Kleine keine Vogelscheuche ist, und ich wette, ihre Mom ist auch keine graue Maus. Zwölf Jahre, habe ich von Mrs. Emory gehört, waren sie zusammen, wie ein verheiratetes Paar, nur daß sie nicht verheiratet waren. Ein Jammer ist das.«

Das Zimmermädchen und Tweenie entfernten sich und tuschelten hinter vorgehaltener Hand weiter. Sie stand da, im Schatten einer der vielen kleinen Nischen im Korridor des ersten Stockwerks, und fragte sich, was wohl ein Bankert war. Bestimmt nichts Gutes, soviel hatte sie mitbekommen.

Der Graf von Chase war ihr Vater? Allein bei diesem Gedanken schüttelte sie heftig den Kopf. Nein, er war ihr Onkel James, der ältere Bruder ihres richtigen Vaters, der sie und ihre Mutter mehrere Male im Jahr besuchte, um sich von ihrem Wohlergehen zu überzeugen. Nein, ihr richtiger Vater wurde im Februar 1797 von den Franzosen umgebracht, als die französischen Truppen auf englischem Boden landeten. Von ihrer Mutter konnte sie die Geschichte nicht oft genug hören: von den zweitausend Franzosen, die keine Soldaten waren, sondern französische Verbrecher, denen man Straferlaß versprochen hatte, wenn sie den Avon hinauffuhren und Bristol in Brand setzten. Dann sollte Liverpool an die Reihe kommen. Ah, pflegte ihre Mutter dann immer zu sagen, aber diese französischen Verbrecher landeten in Pencaern und wurden von den Pembrokeshire Yeomen in Schach gehalten und besiegt. Und ihr Vater hatte diese tapfere Schar Engländer angeführt, die die nichtswürdigen Franzosen schlugen, weil sie es gewagt hatten, den Fuß auf britischen Boden zu setzen. Nein, ihr richtiger Vater war Captain Geoffrey Cochrane, und er starb den Heldentod für England.

Die Augen ihrer Mutter verschwammen und wurden tiefblau, wenn sie sagte: »Dein Onkel James ist ein Edelmann, mein Liebes, ein sehr mächtiger Mann, ein Mann mit viel Verantwortung, der sich stets um uns kümmern wird. Er hat eine eigene Familie und kann daher nicht sehr oft zu uns kommen: so liegen die Dinge nun einmal, und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Aber vergiß nicht, er liebt uns und wird uns nie im Stich lassen.«

Als sie neun Jahre alt war, hatte ihre Mutter sie für vierzehn Tage auf Besuch zu Onkel James in sein prachtvolles Haus geschickt, das Chase Park hieß und bei Darlington im Norden von Yorkshire lag. Sie hatte die Mutter angefleht, sie solle sie begleiten, aber die Mutter hatte ihr diesen Wunsch mit einem energischen Kopfschütteln abgeschlagen. Dabei wippten ihre wunderschönen goldenen Locken, die das ebenmäßige, zarte Gesicht umrahmten. »Nein, mein Herz, die Frau deines Onkel James ist nicht gut auf mich zu sprechen. Halte dich von ihr fern, versprichst du mir das? Du hast dort genügend Cousins und Cousinen und wirst dich mit ihnen anfreunden. Aber meide Onkel James’ Frau. Und vergiß nicht, mein Liebes, erzähl niemals etwas über dich. Das ist viel zu langweilig. Das verstehst du doch? Es ist viel besser, nicht alles auszuplaudern und Geheimnisse zu haben.«

Es war nicht sehr schwierig, der Gräfin von Chase aus dem Weg zu gehen, denn bei ihrer ersten Begegnung wurde sie stocksteif, wandte sich mit einem verächtlichen Blick jäh ab und verließ das Zimmer. Da weder sie noch die Kinder des Hauses mit dem Grafen und der Gräfin zu Abend aßen, erübrigte sich die Ermahnung ihrer Mutter.

Hier, in seinem Haus mit den ständig hin- und hereilenden Dienstboten, war Onkel James anders als sonst. Das grün-blau livrierte Personal schien überall zu sein, hinter jeder Ecke, hinter jeder Tür. Immer anwesend, immer beobachtend, aber niemals redend. Mit Ausnahme von Annie und Tweenie.

Onkel James war sehr aufmerksam, wenn er sie und ihre Mutter in Rosebud Cottage besuchte, aber nicht hier in diesem riesigen, weitläufigen Gemäuer, das man Chase Park nannte. Sie zog die Stirn in Falten, als sie daran dachte, daß er sie hier nicht ein einziges Mal in den Arm genommen hatte. Nicht ein einziges Mal. Er hatte sie in seine Bibliothek gerufen, einen Raum, der fast so groß wie ihr Zuhause war. Drei der überaus hohen Wände waren mit Bücherregalen vollgestellt. Mehrere schier endlose Leitern ließen sich auf Rollen an den Wänden entlang bewegen. Alles kam ihr bedrückend und düster vor. Beim Eintreten hatte sie zuerst nichts als tiefe Schatten wahrgenommen, da die Vorhänge am Spätnachmittag teilweise bereits zugezogen waren. Dann hatte sie ihren Onkel entdeckt und lächelte.

»Hallo, Onkel James. Vielen Dank für deine Einladung.«

»Hallo, mein liebes Kind. Komm herein. Ich möchte dir ein paar Dinge erklären, die du hier beachten solltest.«

Seine Kinder seien für sie Cousins und Cousinen, erklärte er, aber das wußte sie ja bereits, schließlich war sie nicht auf den Kopf gefallen. Sie würde mit ihren Cousins und Cousinen unterrichtet werden, sollte sie beobachten, ihren Manieren und ihrem Betragen nacheifern, abgesehen allerdings von Cousin Marcus, dem Neffen ihres Onkels, der sich nur für kurze Zeit in Chase Park aufhielt. Er sei der Sohn des Teufels, meinte Onkel James und lächelte. Ein seltsames Lächeln, in das sich Nachsicht und Stolz mischten.

»Ja«, wiederholte er langsam, »der leibhaftige Sohn des Teufels, so hat sich mein Bruder ausgedrückt. Er ist bereits vierzehn, fast erwachsen und daher sehr gefährlich. Folge weder ihm noch deinen anderen Cousins, wenn sie etwas Unartiges im Schilde führen. Aber es ist eher wahrscheinlich, daß die Jungen dich bald nicht mehr beachten werden, denn für sie bist du nur ein kleines Mädchen.«

»Ich habe noch einen Onkel?« fragte sie, und ihre Augen leuchteten begeistert auf.

Er runzelte die Stirn und ging nicht näher auf diese Frage ein. »Ja, aber darüber wirst du nicht mit deinem Cousin Marcus sprechen. Achte darauf, wie sich die Leute benehmen. Wenn sie sich gut betragen, wirst du ihnen nacheifern, wenn nicht, dann schließ die Augen, und wende dich ab. Hast du verstanden?«

Sie nickte. Dann trat er hinter seinem mächtigen Schreibtisch hervor und tätschelte ihr den Kopf. »Du wirst ein braves Mädchen sein, und ich werde dir erlauben, mich einmal im Jahr hier zu besuchen. Sprich nie von deiner Mutter, von mir oder von dir. Du wirst nichts Persönliches von dir erzählen. Aber vermutlich hat dir deine Mutter das bereits gesagt.«

»Ja, Onkel, sie sagte, ich soll Geheimnisse haben, und je besser ich sie für mich behalte, desto lustiger ist es für mich, und du und sie, ihr seid dann sehr stolz auf mich.«

Ein Lächeln huschte ihm über das Gesicht. »Bess hat recht, es wird ein lustiges Spiel. Beherzige ihren und meinen Rat. Jetzt geh, und lern deine Cousinen kennen.« Er zögerte ein wenig und fügte dann hinzu: »Für sie bist du auch eine Cousine.«

»Aber genau das bin ich doch, Onkel James.«

»Tja, also, wie man es nimmt.«

Das verstand sie nicht. Aber sie war nicht dumm und liebte ihre Mutter über alles. Sie wußte, daß es darauf ankam, folgsam, nett und freundlich zu sein. Sie würde nichts von Mutter erzählen. Wer wollte schon langweilig sein?

An diesem ersten Tag waren die Jungen höflich zu ihr gewesen und nahmen ab dann keine Notiz mehr von ihr. Nur ihre beiden Cousinen, die Zwillinge, wie sie alle nannten, waren selig über den neuen Hausgast.

Alles war traumhaft schön gewesen, bis zu diesem Augenblick.

Was war ein Bankert?

Ihren Onkel James fragte sie nicht. Sie wandte sich vielmehr ohne Umschweife an die Person, die sie nicht mochte – an Onkel James’ Frau.

Sie klopfte an die Tür des Morgenzimmers und hörte ein ungehaltenes »Herein, herein!«

Sie stand in der Tür und erblickte die hochschwangere Frau, die an einem Tischchen saß und an einem weißen, schmalen und langen Etwas nähte. Es war ihr unbegreiflich, wie die Gräfin nähen konnte, denn ihre Finger waren sehr dick. Ihr Gesicht war nicht schön, aber vielleicht war es einmal schön gewesen, als sie noch jung war. Sie hatte nichts mit ihrer Mutter gemeinsam, die schlank, graziös und überaus anmutig war. Nein, die Gräfin sah alt und müde aus, und jetzt sah sie gemein und böse aus und machte keine Anstalten, dies zu verhehlen.

»Was willst du?«

Die kalte, barsche Antwort der Countess verhieß nichts Gutes. Ihr Mund schien ausgetrocknet zu sein, als sie einen Schritt in das Zimmer tat und hervorstieß: »Ich habe gehört, wie eins der Dienstmädchen zum anderen sagte, ich sei ein Bankert. Ich weiß nicht, was das ist, aber so, wie sie darüber sprachen, weiß ich, daß es etwas Schlimmes ist. Sie mögen mich nicht, und so dachte ich, Sie sagen mir die Wahrheit.«

Die Countess lachte. »Tja, dann ist es bereits heraus, und du bist erst zwei Tage hier. Ich sage ja immer, wenn einer etwas wissen will, dann braucht er nur die Dienstboten zu fragen. Die wissen über alles Bescheid. Tja, mein Kind, ein Bankert heißt im richtigen Sprachgebrauch Bastard, und genau das bist du tatsächlich.«

»Ein Bastard«, wiederholte sie langsam.

»Ja. Das heißt, deine Mutter ist eine Hure und wird von meinem Mann – deinem sogenannten Onkel James – bezahlt, um ihm zu Diensten zu sein, und du bist das Produkt eines dieser Dienste.« Und sie lachte auf, warf den Kopf zurück und lachte, lachte und lachte und sah noch abstoßender aus, weil es ein gemeines Lachen war.

»Ich verstehe nicht, Ma’am. Was ist eine Hure?«

»Das ist eine Weibsperson ohne Moral. Onkel James ist dein Vater, nicht dein verdammter Onkel. Aber ich bin seine Frau, und deine vielgeliebte Mutter ist nichts anderes als die Mätresse eines reichen Mannes, eine Frau, die er sich hält, um ... tja, das verstehst du auch nicht. Aber wenn ich dein knospendes Äußeres betrachte, dann wirst du eines Tages sogar deine Mutter übertreffen. Hast du dir keine Gedanken darüber gemacht, warum dein lieber Onkel James ein Wyndham ist und du eine Cochrane? Nein? Dann bist du also auch nicht schlauer als diese Dirne, deine Mutter. Und jetzt verläßt du dieses Zimmer und kommst mir nicht mehr unter die Augen, es sei denn, es läßt sich nicht umgehen.«

Sie floh, ihr Herz raste, und ihr Magen rebellierte vor Angst und Übelkeit.

Von diesem Tage an war sie sehr still, sagte nur etwas, wenn sie angesprochen wurde, brachte keinen Laut, kein Lachen, keinen Seufzer über die Lippen, um nicht auf sich aufmerksam zu machen, wenn sie sich in Gesellschaft anderer befand. Gegen Ende ihres Besuches gab ihr Cousin Marcus den Spitznamen »Duchess«.

Ihre Cousine Antonia, kaum sechs Jahre alt, meinte daraufhin stirnrunzelnd zu Marcus: »Warum nennst du sie so, Marcus? Sie ist ein kleines Mädchen wie ich und Fanny. Wir sind Wyndhams. Warum ist sie eine Duchess und wir nicht?«

Marcus, der Sohn des leibhaftigen Teufels, betrachtete sie von oben herab und antwortete Antonia mit ernstem Gesichtsausdruck: »Weil sie nicht lächelt, nicht lacht und kühl und abweisend ist. Zurückhaltender als ein Kind ihres Alters. Sie verteilt ein flüchtiges Lächeln und geizt mit einem lobenden Kopfnicken, als ob es Goldmünzen wären, von denen sie nur wenige besitzt. Ist dir nicht aufgefallen, wie beflissen die Dienstboten ihr gegenüber sind und wie sie ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen? Wie sie dahinschmelzen, wenn sie ihnen freundlich zunickt? Und«, fügte er vielsagend hinzu, »eines Tages wird sie verdammt schön sein.«

Sie schwieg, blickte ihn nur an und hätte am liebsten geweint, aber das verkniff sie sich. Sie streckte nur das Kinn vor und sah durch ihn hindurch.

»Die Duchess«, sagte er und lachte laut auf sie herab, als er mit ihren beiden anderen Vettern ausritt.

Sie trug den Titel Duchess mit Fassung, denn ihr blieb keine andere Wahl. Wenn ihr jemand nachsagte, sie sei womöglich ein wenig zu stolz, dann verneinte dies ein anderer und meinte, sie sei nur sehr zurückhaltend. Jedenfalls war ihr Betragen eine Freude für jeden, der sich in ihrer Gesellschaft befand.

Als sie Chase Park im Juni 1808 im Alter von dreizehn Jahren besuchte, war Marcus auch da. Er kam aus Oxford, um seine Cousins zu besuchen. Als er sie sah, lachte er, schüttelte den Kopf und sagte: »Hallo, Duchess! Wie ich höre, ist dir der Name geblieben. Hat man dir schon gesagt, daß er ausgezeichnet zu dir paßt?«

Er lächelte sie an, aber für sie war es nur ein bedeutungsloses, oberflächliches Lächeln, das er für sie übrig hatte, weil ihm im Augenblick nichts Besseres einfiel.

Sie blickte ihn kühl an, reckte das Kinn ein wenig höher und sagte kein Wort.

Er hob eine schwarze Augenbraue und wartete. Aber sie schwieg eisern und haßte seinen spöttischen Blick, seinen spöttischen, flapsigen Tonfall. Dann sagte er schließlich: »Ah, wie arrogant du geworden bist, Duchess, und wie hochmütig! Vielleicht weil ich es vorausgesagt habe, als du noch ein kleines Mädchen warst? Ich glaube nicht. Jedenfalls habe ich dir schon damals prophezeit, daß du einmal sehr schön würdest. Und jetzt bist du auf dem besten Wege dazu. Du bist dreizehn, habe ich gehört. Nicht auszudenken, wenn du erst sechzehn bist.« Er schwieg und fügte dann kaum hörbar hinzu: »Bei Gott, ich möchte dich sehen, wenn du erwachsen bist.« Er lachte wieder, tätschelte ihr die Schulter und schlenderte aus der Diele, um sich Charlie und Mark anzuschließen.

Da stand sie nun mit den beiden Koffern rechts und links, bis Mr. Sampson lächelnd auf sie zukam, wie er es immer tat, gefolgt von Mrs. Emory, die ebenfalls lächelte und laut ausrief: »Willkommen, Miss, willkommen!«

Und jeder nannte sie Duchess, sogar ihr Vater, Onkel James, und Tweenie, die sie vor vier Jahren unbeabsichtigt davon in Kenntnis gesetzt hatte, daß sie ein illegitimes Kind war. Und jeder wußte jetzt, daß sie ein Bastard war. Warum waren sie so nett zu ihr? Das begriff sie nie. Sie war James Wyndhams Bastard, und da gab es nichts zu beschönigen.

Auf die entsprechende Frage hätte sie ohne Zögern geantwortet, sie habe ihre Unschuld im Alter von neun Jahren verloren. Als ihr Onkel James in Rosebud Cottage zu Besuch war, entging ihr nicht, daß er im Schlafzimmer ihrer Mutter schlief, daß beide sich berührten und lachten, die Köpfe zusammensteckten wie der Teufel und ein Engel: sein dunkler Schopf und ihre goldenen Locken. Zwei wunderschöne Menschen, heiter und fröhlich. Einmal wurde sie Zeugin, wie sie sich im schmalen Gang des ersten Stocks küßten und der Rücken der Mutter an der Wand lehnte, während Onkel James die Finger in ihrem Blondhaar vergrub und seinen Mund auf den ihren preßte.

Drei Monate vor ihrem jährlichen Besuch in Chase Park verkündete Onkel James und nicht ihre Mutter, daß sie seine Tochter sei. Sie schwieg und blickte ihn nur an. In dem gemütlichen kleinen Salon im Haus ihrer Mutter saß sie ihm auf einem zierlichen hellblauen Brokatsessel gegenüber. Ohne einleitende Worte sagte er: »Du bist meine Tochter, und wir wollen dich nicht länger darüber im unklaren lassen, jedenfalls nicht hier. Du bist alt genug, um das zu verstehen, nicht wahr, Duchess? Ja, ich sehe es deinen Augen und deinem Mund an, daß du es bereits weißt. Tja, es überrascht dich nicht. Ich erwähnte deiner Mutter gegenüber, daß du es wüßtest, schließlich bist du weder blind noch dumm.« Er hob die Schultern und fügte hinzu: »Leider muß in Chase Park der Anschein weiterhin gewahrt werden. Meine Frau wünscht es, und ich habe mich damit einverstanden erklärt.« Er sprach noch weitere Sätze, an die sie sich nicht mehr erinnerte, weil sie die ganze Zeit nur daran dachte, daß sich dieser Mann ihr, seiner Tochter, gegenüber schuldig fühlte. Liebte er sie überhaupt? Sie wußte es nicht. Sie bezweifelte, ob sie es jemals erfahren würde. Sie hatte ihre Mutter. Sie brauchte ihn nicht.

Sie nickte nur und sagte: »Ja, Onkel James. Ich bin ein Bastard. Das weiß ich schon seit Jahren. Mach dir deswegen bitte keine Gedanken. Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt.«

Er wollte etwas auf ihre Antwort erwidern, die ihr so ungerührt und lakonisch über die Lippen kam, aber dann unterließ er es. Er war erleichtert. Was sollte er noch sagen? Er blickte in die eigenen tiefblauen Augen, auf das eigene rabenschwarze Haar, das ihr Köpfchen in dichten glänzenden Flechten umgab. Aber ihre Mutter brachte sich auch in Erinnerung. Ein paar widerspenstige, gelockte Strähnen ringelten sich an ihren Ohren herab. Oh, und dann hatte sie Bess’ Mund, voll und kühn geschwungen, und ihre edle Nase, schmal und gerade. Er schüttelte den Kopf und betrachtete seine Tochter, die ihm unbeweglich gegenübersaß. Sie war so stumm, so gefaßt, wie eine Statue. Sie war beunruhigend, seine Tochter, die kaum lachte oder scherzte und niemals zu Späßen und Albernheiten aufgelegt war wie die Zwillinge.

Er dachte ungern daran, daß er sie am Anfang nicht gewollt, daß er Bess nahegelegt hatte, sich das Kind nehmen zu lassen. Aber Bess hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, daß sie das Kind zur Welt bringen werde und daß er tun könne, was ihm gefalle. Und es gefiel ihm, beide zu behalten, denn er liebte Bess über alles und wollte sie nicht verlieren. Und jetzt saß ihm seine Tochter gegenüber, blickte ihn mit seinen Augen an, unnahbar und gelassen wie eine Duchess. Sein eigen Fleisch und Blut.

Die Duchess erinnerte sich noch genau an die beiden Wochen von 1808. Ihr Cousin Marcus hatte sie mit seinen spöttischen Reden noch mehr in die Enge getrieben. Sie waren nicht böse gemeint, waren nur aus Übermut entstanden und bedeuteten nichts, aber sie hatten ihr sehr weh getan. Dann, an jenem zweiten Mittwoch, ertranken vor den entsetzten Augen mehrerer hundert Zuschauer, die vom Ufer aus Zeugen eines Unglücks wurden, als zwei Segelboote bei einer Regatta auf dem Derwent zusammenstießen, ihre beiden Cousins Charlie und Mark. Über ein Dutzend junger Leute sprang von den eigenen Segelbooten in den Fluß, um zu helfen. Aber jede Hilfe kam zu spät. Als Charlie vom Mast am Kopf getroffen wurde, war er sofort tot und stürzte über Bord. Sein jüngerer Bruder Mark hatte mit anderen Jungen versucht, Charlie unter dem Schiffswrack hervorzuziehen, und fand dabei selbst den Tod, als er sich in den Fallleinen des Klüvers verfing und unter Wasser gedrückt wurde.

Die Jungen wurden auf dem Friedhof der Familie Wyndham beerdigt. Chase Park war verzweifelt. Der Vater der Duchess schloß sich im Bibliothekszimmer ein, und das Weinen der Gräfin war die ganze Nacht lang zu hören. Marcus war schneeweiß und wie versteinert und sprach mit keinem. Er hatte überlebt und seine Cousins nicht. Er war nicht einmal mit ihnen auf dem Segelboot gewesen. Er hatte im Rothermere-Gestüt ein Reitpferd gekauft. Die Duchess reiste zu ihrer Mutter nach Winchelsea zurück.

In den folgenden fünf Jahren war die Gräfin von Chase jedes Jahr schwanger, um einem neuen Stammhalter und Erben das Leben zu schenken, aber leider überlebte keines der Kinder das erste Jahr. Alle waren männlichen Geschlechts gewesen. Der Graf von Chase brütete dumpf vor sich hin und entwickelte sich bis auf die schier endlosen Nächte, in denen er seiner Frau beiwohnte, immer mehr zum Einzelgänger. Für beide war es eine unangenehme Pflicht, die von Jahr zu Jahr unangenehmer wurde, bis er seinen Neffen Marcus allmählich mit Argwohn betrachtete. Marcus war zwar von seinem Blut, gewiß, aber nicht sein eigener Sohn, nicht sein eigen Fleisch und Blut, und er wünschte, daß seine Linie durch sein eigenes Blut weiterlebte und nicht durch das seines Bruders.

Er kam jetzt oft nach Rosebud Cottage. Er war still geworden, und sein Lachen erklang so selten wie das seiner Tochter. Es schien, als ob er die Nähe ihrer Mutter suchte und sich an sie klammerte. Sie ließ ihn gewähren, in Liebe und anspruchsloser Hingabe.

Als der Graf nach Chase Park zurückkehrte, was letztendlich nicht zu umgehen war, blieb ihm nichts anderes übrig, als zuzusehen, wie seine Frau ein Kind nach dem anderen gebar und wie ein Kind nach dem anderen starb.

Marcus Wyndham war der Erbe von Chase.

Kapitel 1

Rosebud Cottage, Winchelsea Januar 1813

»Ich bedaure, Ihnen das mitteilen zu müssen, Miss Cochrane, aber da kommt noch mehr, und es ist nicht angenehm.«

Mr. Jollis, der Anwalt ihrer Mutter, zeigte durchaus kein Bedauern, sondern schien eher ungemein erfreut zu sein, was sie natürlich verwunderte, aber sie enthielt sich jeglichen Kommentars, teils aus Schmerz über den Tod der Mutter, teils aus Gewohnheit. Sie war mit der Zeit eine schweigsame Zuhörerin geworden, die Gesten und Mimik ihres Gegenübers genau beobachtete und sich dadurch eine beträchtliche Menschenkenntnis aneignete. In dem Augenblick, da Mr. Jollis eine bedeutungsvolle Pause einlegte, wurde ihr klar, daß der Vater noch nichts vom Ableben ihrer Mutter wußte. Der unerwartete Tod der Mutter hatte sie in eine so tiefe Benommenheit gestürzt, daß sie es versäumte, den Vater zu benachrichtigen. Es gab niemanden, der ihn davon in Kenntnis setzte, also würde ihr die Aufgabe zufallen. Sie sah ihn vor sich, wie er ihre Zeilen las, sah seine Fassungslosigkeit und wie er vor Schmerz zusammensank, als er endlich begriffen hatte, daß es Wirklichkeit war. Sie schloß für einen Moment die Augen, weil sie wußte, welche Qualen er durchmachen würde. Sein Schmerz würde unendlich sein, denn er liebte ihre Mutter mehr als alles auf der Welt. Ihre heißgeliebte Mutter, die vor Leben und Übermut sprühte, war tot. Ihr Tod war so sinnlos: ein Unfall mit einer Kutsche. Aus einem nicht ersichtlichen Grund sprang die Gabel des Einspänners aus der Halterung. Das Gefährt raste die gewundene Straße oberhalb der Kalkfelsen der South Downs Cliffs entlang und stürzte beim Leuchtturm von Ditchling achtzehnhundert Fuß tief auf den einsamen Strand. Ihre Mutter war sofort tot. Der Leichnam wurde von der Flut weggespült und konnte noch nicht geborgen werden. Seitdem waren bereits anderthalb Tage vergangen. Sie blickte auf, als Mr. Jollis sich räusperte und offensichtlich anschickte, seinen Gedankengang zu Ende zu bringen.

»Wie ich schon sagte, Miss Cochrane«, fuhr Mr. Jollis fort, und der selbstgefällige Ton wurde noch deutlicher, »ich bedaure es sehr, aber Rosebud Cottage ist gemietet, und der Mieter ist Ihr Vater, Lord Chase.«

»Das wußte ich nicht.« Sie war immer der Meinung gewesen, ihrer Mutter gehöre das Haus. Aber das war vielleicht so üblich, wenn ein Mann eine Frau aushielt. Alles blieb sein Eigentum, und er sicherte dadurch seine Macht und seine Vorrechte. Das war ein weiterer unerwarteter Schlag, dessen Tragweite sie im Augenblick nicht begriff. Schweigend beobachtete sie ihr Gegenüber. Sein Gesicht veränderte sich jetzt. Er blickte sie mit verändertem Ausdruck an, der nichts mit einem Mann gemein hatte, der für eine verwaiste Tochter Mitleid empfand, sondern mit einem Mann, der eine Frau mit eindeutigen Absichten taxierte.

Sie kannte diesen Blick bereits und hatte ihn einige Male in den Gesichtern der Männer gesehen. Damals war sie beschützt gewesen, aber jetzt, dessen wurde sie sich plötzlich deutlich bewußt, war sie diesem Blick schutzlos ausgeliefert. Ihr Vater war in Yorkshire, und sie war hier, allein, bis auf den treuen Badger.

»Ich muß meinem Vater schreiben«, sagte sie, und ihre Stimme klang schroffer als beabsichtigt, aber die Nähe des Mannes war ihr unerträglich geworden, und sie wollte, daß er ging. »Da der Mietvertrag bald auslaufen wird, werde ich nach Chase Park übersiedeln müssen.«

»Da gäbe es vielleicht noch eine zweite Möglichkeit«, sagte Mr. Jollis und beugte sich zu ihr herüber. Wie ein Hund, der eine Spur aufgenommen hat, dachte sie und blickte ihn mit unverhohlener Feindseligkeit an.

»Nein, eine andere Möglichkeit kommt nicht in Frage«, erklärte sie, und ihre Stimme war so kalt wie im Winter die Eiszapfen an der Dachrinne.

»Vielleicht«, sagte er, immer noch nach vorn gebeugt, und streckte ihr die rechte Hand entgegen, »vielleicht möchte seine Lordschaft nicht, daß Sie in Chase Park wohnen.«

»Seine Frau ist vor sieben Monaten gestorben, kurz vor meinem jährlichen Besuch. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er etwas dagegen einzuwenden hätte. Sie war die einzige, die meine Anwesenheit in Chase Park nicht schätzte, und das, würde ich meinen, aus verständlichen Gründen. Er war ihr Ehemann, ohne daß sie seine Liebe besaß. Ich habe ihre Verbitterung verstanden. Aber jetzt ist sie tot.«

»Ah, aber jetzt muß seine Lordschaft sehr vorsichtig sein, verstehen Sie, Miss Cochrane? Seine Lordschaft ist in Trauer, in tiefer Trauer. Seine Nachbarn werden ihn nicht aus den Augen lassen, ebenso alle jene Angehörigen der Gesellschaft, deren Meinung ihm wichtig ist.«

»Warum? Er wird bestimmt nicht wieder heiraten, jedenfalls nicht so schnell. Ich bin nur seine uneheliche Tochter. Wen kümmert es, ob ich in Chase Park wohne oder nicht?«

»Es kümmert mehr Menschen, als Sie denken, und so etwas ist schnell in aller Munde. Es würde als eine tiefe Respektlosigkeit seiner verstorbenen Frau gegenüber angesehen, Miss Cochrane. Sie müssen mir glauben, denn ich kenne die Gepflogenheiten der Gesellschaft sehr genau und Sie nicht.«

Sie glaubte ihm nicht, wollte sich aber nicht weiter mit ihm auseinandersetzen. »Ich glaube nicht, daß man Männer so genau unter die Lupe nimmt. Nur die Frauen«, sagte sie. »Und ich glaube auch nicht, daß Männer so tief und so lange um eine Frau trauern.« Ihr Körper wurde noch starrer, als sie innerlich vor seiner Hand zurückwich, die er ihr immer noch entgegenhielt.

Sie erinnerte sich daran, als die Frau ihres Vaters nach einer Entbindung gestorben war. Er war, so empfand sie damals, über den Tod seiner Frau zutiefst erleichtert. Wenn seine Augen tränenfeucht wurden, dann aus Kummer über den Verlust des kleinen Sohnes, der nur zwei Stunden überlebte, und nicht über das Hinscheiden seiner Frau.

»Das ist möglich«, sagte er. »Aber es ist niemand da, der sich um Sie kümmert, Miss Cochrane. Vielleicht sollten Sie sich nach einer wohlsituierten Person umsehen, die Sie beschützt und weiter in diesem reizenden Häuschen wohnen läßt.«

Sie lächelte ihn an. Mr. Jollis war wie jeder hingerissen, der ihr Lächeln einmal erlebt hatte. Ein bezaubernder Charme ging von ihr aus, der ihn bis in die Zehenspitzen erwärmte. Sie hatte zwei Grübchen, und ihre Zähne waren klein und weiß und so vollkommen wie ihr Lächeln. Er erinnerte sich nicht, daß sie jemals gelächelt hätte. »Wenn ich mich entscheiden sollte, hier in dem Haus zu bleiben, würden Sie mir dann sagen, wem dieses Haus gehört?«

»Squire Archibald. Da Sie aber sowenig Geld zur Verfügung haben, werden Sie doch nicht erwägen, den Mietvertrag zu verlängern. Es wäre absurd ...«

Sie erhob sich, ohne ihm die Hand zu reichen. »Ich möchte Sie bitten, jetzt zu gehen, Mr. Jollis. Wenn Sie mir noch mehr mitzuteilen haben, bitte ich Sie, dies schriftlich zu tun.«

Wohl oder übel erhob er sich ebenfalls und blickte auf sie herab. Das entzückende Lächeln war vergessen. »Sie schätzen sich sehr hoch ein, Miss Cochrane. Aber Sie sind ein Bastard und nichts weiter, und das werden Sie immer sein. Sie können hier nicht bleiben. Der Mietvertrag läuft am fünfzehnten des nächsten Monats aus, und Sie haben kein Geld, um ihn zu erneuern. Squire Archibald ist über siebzig und für Ihren Charme nicht mehr empfänglich. Nein, er wird Geld verlangen und sich in seinem alten Bett nicht von Ihnen wärmen lassen. Sie werden ausziehen müssen. Wenn Ihr geschätzter Vater Interesse an Ihnen hat, wird er Ihnen ein Zuhause geben, aber für wie lange? Vergessen Sie nicht, Ihre schöne Mutter ist tot. Glauben Sie wirklich, daß ihm etwas an Ihnen gelegen war? Nein, er liebte Ihre Mutter, nur Ihre Mutter, aber nicht Sie. Ich könnte es in Erwägung ziehen, Ihr Beschützer zu werden, Miss Chochrane ...«

Ihr Gesicht war jetzt sehr blaß geworden, und die Augen verschleierten sich vor Zorn, aber er sah nur ihren verschwommenen Blick, nicht die Wut, denn sie blickte ihn nur an, wandte sich um und verließ wortlos den kleinen Salon.

Mr. Jollis wußte nicht, was er tun sollte. Würde sie über seinen wohlformulierten Vorschlag nachdenken? Er hielt sie für arrogant und hochmütig, aber das würde sich ändern. Ob sie wohl noch Jungfrau war? überlegte er, aber viel Zeit blieb ihm nicht dazu, denn Badger, der treue Diener, der zum Schutz von Mrs. Cochrane und der Duchess eingestellt worden war, erschien in der Tür. Er war sehr groß, muskulös und häßlich wie eine Zaunlatte. Sein voller weißer Haarschopf erinnerte an einen Propheten. Ein blutunterlaufenes Auge vervollkommnete die Erscheinung.

Mr. Jollis trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

»Sir«, sagte Badger freundlich, zu freundlich, »es ist Zeit, daß sich Ihr knöchernes Gestell von diesem Anwesen entfernt. Wenn das nicht binnen weniger Sekunden geschieht, werde ich dafür sorgen, daß seine Lordschaft von Ihrem höchst bedauerlichen Betragen erfährt. Seine Lordschaft dürfte darüber nicht sehr erbaut sein.«

»Ha!« rief Mr. Jollis, denn er wußte, daß dieser Mann keine Ahnung hatte, wovon er sprach. »Seine Lordschaft dürfte froh sein, diesen kleinen Bastard recht bald loszuwerden. Und sehr bald, Badger, werden Sie selbst ohne Geld dastehen, denn sie besitzt keinen Penny, um Sie zu bezahlen. Dann, würde ich sagen, werden Sie sich diesen Ton mir gegenüber nicht mehr erlauben dürfen, auch wenn Sie mehr Verstand haben, als man Ihnen zutraut. Sie verstehen es, sich exzellent auszudrücken – wer hat Ihnen beigebracht, wie ein Gentleman zu sprechen? Aber das ist auch gleichgültig, Sie sind nur ein Dienstbote – und bald einer ohne Lohn.«

Badger lächelte nur müde, schüttelte den Kopf und trat einen Schritt auf Mr. Jollis zu, dann hob er ihn sanft in die Höhe, klemmte ihn sich unter den mächtigen Arm, beförderte ihn zur Haustür und ließ ihn auf den gefrorenen Boden fallen, auf dem in fünf Monaten die roten, gelben und weißen Rosen der Duchess in üppiger Pracht erblühen würden. Badger kehrte in das Haus zurück, erblickte die Duchess und grinste breit, wobei eine gewaltige Lücke zwischen den Vorderzähnen sichtbar wurde. »Er wird noch eine Weile im Schnee liegen, aber er ist wohlauf, keine Sorge.« Er nahm ihre Hand und ballte sie zu einer Faust. »Duchess, ich habe Ihnen doch beigebracht, wie man mit der Faust zuschlägt und dabei den Daumen unter die Finger steckt. Warum haben Sie ihm keinen Hieb auf den Adamsapfel versetzt?«

Sie versuchte ein Lächeln, aber ihr Gesicht war gefroren wie die Erde im Garten. »Ich möchte ihn nicht wiedersehen, Badger.«

»Kein Wunder«, sagte er und gab ihre Hand frei. »Aber vergessen Sie nicht: Wenn ein Mann die Grenzen überschreitet, dann versetzen Sie ihm einen Faustschlag ins Gesicht oder heben das Knie mit voller Wucht nach oben.«

»Das tue ich, versprochen. Danke, Badger.«

Er stieß einen grunzenden Laut aus und verschwand in der Küche, um die Currysauce für das Hühnchen vorzubereiten, das schon eine Weile über dem offenen Grill brutzelte. Die Köchin, die zugleich als Dienstmädchen fungierte – von Badger Miss Priss genannt –, war vor zwei Jahren nach Welford-on-Avon gezogen, um sich um ihre altersschwache Tante zu kümmern. Seitdem hatte Badger ihre Pflichten übernommen. Er war ein ausgezeichneter Koch und wünschte sich nur, die Duchess würde mehr von seinen Köstlichkeiten verspeisen.

Badger hörte, wie die Tür zum kleinen Salon geschlossen wurde, und sah gerade noch, wie sie an ihren zierlichen Schreibtisch trat und anmutig Platz nahm, um seiner Lordschaft den gemeinsamen Verlust mitzuteilen.

Der Earl of Chase las von dem Tod ihrer Mutter, bevor sie es ihm schriftlich mitteilen konnte, und benachrichtigte sie durch seinen Sekretär, Mr. Crittaker, daß sie ihre Sachen packen und auf die Kutsche warten solle, die sie nach Chase Park bringen werde. Sie könne Badger zu ihrem Schutz mitbringen. Er gab ihr zwei Wochen Bedenkzeit, um seinem Wunsche nachzukommen.

Die beiden Wochen kamen und vergingen. Keine Kutsche hielt vor Rosebud Cottage, um sie abzuholen. Sie wußte nicht, was sie tun sollte. Ratlos stand sie am Fenster ihres kleinen Wohnzimmers und wartete. Sie überlegte, ob sie ihrem Vater schreiben sollte, um ihn an seine Anweisung zu erinnern. Aber nein, dazu konnte sie sich nicht überwinden. Es war zu erniedrigend. Sie würde warten. Vier weitere Tage verstrichen. Und sie dachte: Er trauert um meine Mutter und möchte mich nicht mehr haben. Er hat mich vergessen. Ich bin allein. Was soll ich nur tun?

Dann wurde ihr bewußt, daß sie die jährlichen Besuche in Chase Park immer gefürchtet hatte. Bereits beim Betreten der prunkvollen italienisierten Eingangshalle mit der fünfhundert Jahre alten dunklen Holztäfelung und den ebenso alten Gemälden in den schweren verschnörkelten Goldrahmen und der bombastisch breiten, geschwungenen Treppe, die weitere grimmige dunkle Ahnenbilder säumten, fröstelte sie innerlich, und der Magen zog sich ihr zusammen. Kaum hatten sich die hohen schweren Eichentüren hinter ihr geschlossen, da zählte sie bereits die Tage, die sie hier verbringen mußte, und tat so, als ob diese edlen Menschen, die Kinder dieser edlen Menschen und die Dienerschaft dieser edlen Menschen sie liebten und sie mit echter Herzlichkeit begrüßten, während doch jeder insgeheim wünschte, sie wäre nie geboren worden.

Wenigstens war in diesem Jahr die Countess of Chase nicht in der Lage gewesen, sie mit kalten, abwertenden Blicken und bitterer Verachtung einzuschüchtern. Die Countess war eine Woche vor ihrer Ankunft in Chase gestorben. Das ganze Haus war mit schwarzem Kreppapier verkleidet. Die Frauen trugen Schwarz und die Männer schwarze Armbinden. Sie hörte die Dienstboten tuscheln, daß die Countess zu alt gewesen sei, um Kinder zu bekommen. Man habe ja gesehen, was daraus geworden sei – die Arme mußte sterben und verfluchte ihren Mann, der sie zu diesem allerletzten Mal gezwungen hatte, sich ihr so lange aufgezwungen hatte, bis sie empfing. So hatte es sich jedenfalls in den Augen der Dienstboten zugetragen; man sah ja, welch böses Ende die Sache genommen hatte. Was konnte die Ärmste dafür? Dabei hatte sie dem Earl zwei gesunde Jungen und zwei Töchter, die Zwillinge, geschenkt. Alle in Chase Park warteten jetzt darauf, daß der Earl sich eine neue Frau nähme, eine sehr junge Frau, die ihm jedes Jahr ein Kind gebären würde, so daß sich mehrere Unfälle ereignen konnten und immer noch ein Sohn übrigblieb, um den Titel und die Ländereien von Wyndham zu erben. Für den Ehemann betrug die Trauerzeit nur sechs Monate. Das hatte sie mitgehört und Mr. Jollis erzählt, dieser elenden Kreatur.

Sie zog die Stirn kraus. Vielleicht war das der Grund, warum er sie jetzt nicht in Chase Park haben wollte. Der Earl hatte eine Countess gefunden und wollte seinen Bastard nicht in Chase Park haben. Ja, das war es. Natürlich wollte er seiner neuen Frau gefallen und ihr nicht gleich einen Bastard vorstellen, der die Harmonie der neuen Verbindung nur mit Mißklängen stören würde. Aber warum schrieb er ihr nicht einfach die Wahrheit und erklärte ihr die neue Situation? Sie traute ihrem Vater einiges zu, aber ein Feigling war er nicht. Das Ganze ergab keinen Sinn.

Es fing zu regnen an, im Augenblick war es nur ein Tröpfeln, aber die Duchess kannte die Anzeichen. Nach dem Tröpfeln würden sich bald die Schleusen des Himmels öffnen, und ein stürmischer Wind würde graue Wassermassen gegen die Fenster klatschen.

Auch wenn er sie jetzt im Stich gelassen hatte, mußte sie ihm zugestehen, daß er sie beide achtzehn Jahre unterstützt hatte und Mutter bereits zwei Jahre vor ihrer Geburt. Ihre Mutter war seine Frau gewesen, besser gesagt natürlich, seine Geliebte. Ohne Rechte, ohne Anspruch auf Versorgung, mit nichts und gar nichts. Aber jetzt, da Mutter nicht mehr lebte, war sie, die Duchess, für ihn nicht mehr vorhanden, so spann sie ihre Gedanken weiter. Vielleicht fühlte er sich ihr gegenüber nicht mehr verantwortlich und brauchte die Zuneigung zu ihr nicht mehr vorzutäuschen. Wahrscheinlich war er der Meinung, daß sie jetzt, im Alter von achtzehn Jahren, für sich allein sorgen könne. Aber warum sollte er sie dann absichtlich belügen? Warum hatte er sie aufgefordert, nach Chase Park zu kommen? Das war gelogen. Aber warum? Sie wußte sich keinen Reim darauf zu machen. Sie wußte nur eins: Sie war mutterseelenallein. Mama hatte niemanden, soweit ihr bekannt war; jedenfalls trafen zu Weihnachten weder Briefe noch Geschenke von Verwandten ein. Sie nahm an, daß sie Chochranes waren, das war schließlich der Name ihrer Mutter und kein angenommener Phantasiename. Nein, anscheinend gab es keine Brüder, Schwestern oder Tanten. Es hatte immer nur sie beide gegeben und die häufigen Besuche des Earls.

Der Regen klatschte gegen das Fenster. Sie wußte nicht, was sie tun sollte. Der Anwalt ihrer Mutter hatte mit einem unangenehmen verhaltenen Kichern durchblicken lassen, daß er über ihre Mutter informiert war. Sie war keine Witwe, wie sie vorgab, sondern die Geliebte eines Adligen, die er sich in diesem kleinen Liebesnest hielt, aber das Liebesnest war gemietet, und der Vertrag lief am fünfzehnten des kommenden Monats aus. Die Art, wie er mit ihr umgegangen war, hatte sie als demütigend empfunden, und jetzt verspürte sie einen unbeschreiblichen Zorn. Er hatte zu ihr gesagt, sie sei nicht besser als ihre Mutter. Aber, so fragte sie sich, was war schlecht an ihrer wunderschönen, liebenswerten Mutter? Natürlich wußte sie die Antwort, sie verdrängte sie nur, wie sie es immer getan hatte. Jedenfalls hatte sie sein unverschämtes Angebot abgeschmettert, sich als zahlender Nachfolger in dem Liebesnest einzunisten.

Sie erhob sich langsam und fröstelte plötzlich in der feuchten Kühle des Spätnachmittags. Das Feuer im Kamin war heruntergebrannt, und sie legte ein paar große Holzscheite nach. Dann ging sie in dem kleinen Zimmer auf und ab und schlug die Hände gegen die Oberarme, um sie zu erwärmen. Sie mußte etwas tun, aber was? Sie hatte nichts gelernt, sie konnte sich weder als Gouvernante noch als Gesellschafterin einer alten Dame vorstellen. Sie hatte die Erziehung einer höheren Tochter genossen, und ihr Talent, einem Mann zu gefallen, war darauf ausgerichtet, einen Ehemann zu finden, der ihre nicht so lupenreine Abstammung übersähe.

Unruhig ging sie auf und ab. Sie war verbittert und traurig und wollte am liebsten weinen. Ihre Mutter war tot, ihre wunderschöne Mutter, die den Earl wahrscheinlich mehr geliebt hatte als die eigene Tochter, sie hatte ihn so geliebt, daß sie ihm die Lage verzieh, in die er sie gebracht hatte.

Mr. Jollis hatte geprahlt, daß er sich in der Gesellschaft besser auskenne als sie. Seit sie zehn Jahre alt war, hatte sie sich auf die London Times und die Gazette gestürzt und jeden Artikel über die gesellschaftlichen Ereignisse in den Klatschspalten verschlungen. Sie amüsierte sich über die endlosen Tollheiten und den Blödsinn der oberen Zehntausend und die lässige Art, mit der sie sich über den guten Ton und jegliche Anstandsregeln hinwegsetzten. Ja, sie kannte die Gesellschaft und ihre Gepflogenheiten, und als sie eingehender darüber nachdachte, wurde ihr klar, daß sie eine Begabung hatte, mit der sie ihren Lebensunterhalt verdienen konnte.

Sie blieb unvermittelt stehen und starrte blicklos auf den Regen, der in dicken Schlieren an den Fenstern hinablief. Ja, eine Begabung hatte sie, eine ungewöhnliche Begabung. Eine Begabung, die wahrscheinlich noch nie bei einer Frau zutage getreten war. Konnte das möglich sein? Sie würde es mit Badger besprechen müssen. Wenn man damit Geld verdienen konnte, dann wußte er, wie man das anstellte.

Als sie die schmale, aber sehr hübsche Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinaufstieg, lächelte sie zum ersten Mal seit dem Tod ihrer Mutter.

Kapitel 2

Chase Park bei Darlington, Yorkshire März 1813

Mr. Crittaker führte sein Vorhaben nur ungern aus, aber ihm blieb keine andere Wahl. Überhaupt keine. Er war sichtlich blaß, und sein Atem ging stoßweise. Langsam hob er die Hand, hielt für einen Augenblick in der Bewegung inne, als ob er die verheerenden Folgen überdächte, riß sich wieder zusammen und klopfte endlich an die Tür des Bibliothekzimmers. Es war spät, sehr spät, und Mr. Crittaker wußte, daß es eine Zumutung für seine Lordschaft war, aber er mußte ihm sagen, was er getan – oder besser, was er vergessen – hatte.

Keine Antwort. Mr. Crittaker klopfte wieder, dieses Mal lauter.

Endlich ertönte eine verärgerte Stimme: »Schon gut, kommen Sie herein, bevor Sie sich Ihre verdammten Knöchel aufschlagen.«

Der Earl of Chase stand vor dem rosafarben gemaserten Kamin aus Carrara-Marmor, der neben den drei über zweiundzwanzig Fuß hohen Bücherwänden, die mehr als zehntausend Bände enthielten, das Prunkstück der Wyndhamschen Bibliothek darstellte. Der Raum war nicht so groß, daß sich die Stimme verlor, aber immer noch beeindruckend in seiner dunklen Pracht. Mr. Crittaker blickte zum Schreibtisch, der vor der Wand mit den beiden riesigen Glastüren stand. Eine Kerze brannte auf dem Tisch, aber der Stuhl war leer. Mr. Crittaker erblickte den Earl vor dem Kamin. Er schien nichts anderes zu tun, als nur dazustehen und sich am Feuer zu wärmen, obwohl es kurz vor Mitternacht war.

»Was gibt es, Crittaker? Haben Sie mich heute nicht bereits genug strapaziert? Ich mußte mir die Finger mit einer Bürste schrubben, um die verdammte Tinte von den vielen Unterschriften abzuwaschen. Also, Mann, reden Sie! Was steht mir jetzt bevor?«

»Mylord«, begann Mr. Crittaker und wußte nicht recht, wie er seine Sünde beichten sollte und ob der Earl ihn gehörig abkanzeln oder in den Märzschneesturm hinausjagen würde. Er räusperte sich und begann von neuem. »Mylord, bei allem, was mir heilig ist, ich habe Miss Cochrane vergessen!«

Der Earl starrte ihn an, als ob er nicht verstanden habe. Schließlich fragte er bedächtig: »Miss Cochrane?«

»Ja, Mylord. Miss Cochrane.«

»Wer ist Miss Chochrane?«

»Die Duchess, Mylord. Ich habe sie vergessen, Sir. Ihre Mutter starb und, nun, dann starb Ihr Onkel, und ich, nun, ich hatte alle Vorkehrungen für Ihre Ankunft vorzubereiten, und so, ah, habe ich die junge Dame vergessen.«

Der Achte Earl of Chase starrte weiter auf den Sekretär, den er nach dem Tod seines Onkels übernommen hatte. »Sie haben die Duchess vergessen? Ihre Mutter ist gestorben? Wann, Mann? Mein Gott, wann war das?« Dann wies er auf einen Stuhl. »Setzen Sie sich, erzählen Sie mir die ganze Geschichte der Reihe nach. Vergessen Sie keine Einzelheiten.«

Mr. Crittaker schöpfte Hoffnung. Die tiefe Stimme des Earls hatte ihren gleichmäßigen Ton behalten. Vielleicht würde ihn der Earl doch nicht in die kalte Nacht hinausjagen. »Ihr Onkel hatte eine, ehm ...«

»Geliebte,« sagte der Earl scharf. »Sie war einundzwanzig Jahre lang seine Mätresse. Ja, was ist mir ihr?«

»Ja, Mrs. Cochrane, seine Geliebte, kam bei einem Kutschenunfall ums Leben. Ihr Onkel trug mir sofort auf, ihrer Tochter, Miss Cochrane, schriftlich mitzuteilen, sie solle die Koffer packen und nach Chase Park ziehen. In zwei Wochen sollte sie abgeholt werden.«

»Ich verstehe,« sagte der Earl. »Wie viele Wochen sind seit diesen zwei Wochen vergangen, Crittaker?«

»Acht, Mylord.«

Der Earl starrte seinen Sekretär weiterhin nur an. »Wollen Sie damit sagen, daß ein achtzehnjähriges Mädchen zwei Monate lang allein gelassen wurde?«

Mr. Crittaker nickte. Er fühlte sich so elend, daß er am liebsten im Erdboden unter dem kostbaren Aubussonteppich versunken wäre. »Ein Dienstbote war bestimmt bei ihr, Mylord.«

Der Earl wischte dieses Argument fort und meinte nachdenklich: »Warum hat sie meinem Onkel nicht geschrieben und gefragt, warum er keine Kutsche geschickt hat?«

Mr. Crittaker blieb auch nichts erspart, und ihm wurde noch elender zumute. »Sie mußte annehmen, ihr Onkel wolle sie nach dem Tod ihrer Mutter nicht mehr sehen. Er hat sie nie besonders liebevoll behandelt, wenn sie uns hier ihren jährlichen Besuch abstattete. Wie er mit ihr in Rosebud Cottage umging, wenn er ihre Mutter besuchte, entzieht sich meiner Kenntnis. Sie ist sehr stolz, Mylord. Das wissen Sie. Sie ist die Duchess.«

»Oder ihr Brief ist nie angekommen, oder er kam an, und Sie haben ihn verlegt, Crittaker.«

Mr. Crittaker hörte draußen den heulenden Wind und sah sich bereits im naßkalten Schneegestöber stehen, mit nichts als einem dünnen Mantel bekleidet. »Es ist möglich, Mylord, aber ich bin sicher, daß so etwas nicht passiert ist.«

Der Earl ließ eine Suada kräftiger Flüche vom Stapel. Sehr bildhaft und einfallsreich. Mr. Crittaker war beeindruckt, aber klug genug, um die Eloquenz seines Herrn nicht zu loben. Seine Lordschaft hatte als Major in der Armee gedient und seinen Abschied genommen, um das Erbe als Achter Earl of Chase anzutreten.

Endlich gingen dem Earl die Worte aus, und er verstummte für eine Weile. Dann fragte er: »Warum erinnern Sie sich ausgerechnet jetzt an die Duchess?«

Mr. Crittaker zupfte nervös an seinem Halstuch, einer dunkelgemusterten Kreation, dessen Knoten sich daraufhin löste. »Mr. Spears ist es eingefallen.«

»Spears«, wiederholte der Earl, »der Kammerdiener meines Onkels und jetzt der meine, hat sich an die Duchess erinnert?«

»Mr. Spears hat sie in sein Herz geschlossen, als sie noch ein Püppchen war; so nannte er sie«, erklärte Mr. Crittaker. »Mr. Spears meinte, ›etwas sei durch das Netz geschlüpft‹. So drückte er sich wortwörtlich aus, Mylord. Er war der Meinung gewesen, Miss Cochrane halte sich auf Geheiß seiner Lordschaft in London auf, aber da war sie natürlich nicht, was Mr. Spears nicht wissen konnte.«

»Ich verstehe«, murmelte der Earl und dachte nach. Mr. Crittaker rührte sich nicht von der Stelle. Er wollte sich am Ohr ziehen, eine Gewohnheit, die er bereits als kleiner Junge hatte, und verwandte seine ganze Energie darauf, die Hände an der Hosennaht zu halten.

Endlich sagte der Earl: »Wie die Dinge liegen, werde ich eine kurze Reise nach Sussex unternehmen müssen. Ich werde morgen in aller Frühe aufbrechen und Miss Cochrane abholen.«

»Sehr wohl, Mylord.«

»Oh, Crittaker, Ihr Halstuch ist in Unordnung geraten. Und« – seine Stimme wurde merklich streng – »wenn Miss Cochrane etwas zugestoßen ist, dann werden Sie sich nach einer neuen Stellung umsehen müssen.«

Der Earl stieß mit der Stiefelspitze ein glühendes Holzscheit in den Kamin.

Vergessen! Großer Gott, Mr. Crittaker hatte sie einfach vergessen. Das Blut gerann ihm bei der Vorstellung, daß die Duchess zwei verdammt lange Monate allein und schutzlos in Rosebud Cottage leben mußte. Andererseits hatte auch er nicht eine Sekunde lang an sie gedacht. Niemand außer Spears. Marcus hatte sie seit fünf Jahren nicht mehr gesehen, seit jenem Sommer, als seine beiden Cousins bei einer Regatta ertrunken waren. Er fragte sich, ob sie so schön geworden war, wie er es vorausgesagt hatte.

Aber so wichtig war das nicht, schließlich war sie eine uneheliche Cousine. Aber er war es seinem Onkel schuldig, sich ihrer anzunehmen. Was sollte er mit ihr anstellen? Nun, das war eine schwierige Frage.

Am folgenden Nachmittag war die Duchess das Hauptgesprächsthema in dem behaglichen Grünen Salon auf Chase Park.

»Die Duchess«, erklärte Tante Gweneth und blickte in Richtung der Zwillinge, bevor sie fortfuhr und jede Silbe deutlich artikulierte, »ist das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe.«

»Aber viele Mädchen hast du nicht gesehen, ob schön oder nicht schön, Tante Gweneth«, meinte Antonia und ließ ihr Buch, einen Radcliffe-Roman, auf den Schoß sinken. »Du bist nie über York hinausgekommen. Trotzdem hoffe ich, es geht ihr gut. Wie schrecklich, einfach vergessen zu werden! Das muß sie sehr gekränkt haben.«

»Marcus wird sich um sie kümmern«, sagte Fanny. »Er bringt alles ins reine. Ja, er wird ihr das Gefühl nehmen, daß sie vergessen wurde. Ich wollte ... ich hätte ihn begleiten sollen.«

»Es wäre wirklich wünschenswert, du würdest diese unselige Vernarrtheit in deinen Cousin ablegen«, meinte Tante Gweneth, an Fanny gewandt. Sie dachte an den neuen Earl. Reed Wyndhams einziger Sohn, jetzt der Earl of Chase. Und er hatte auf der Pyrenäenhalbinsel mitgekämpft! Wie leicht hätten diese elenden Franzosen oder die Freischärler ihn niedermetzeln können, von denen es überall wimmelte, wie er es in den wenigen Briefen erwähnte, die Marcus seinem Onkel in den letzten drei Jahren geschrieben hatte. Aber, Gott sei Dank, er lebte, obwohl sie bezweifelte, daß James einen Dank gen Himmel gerichtet hatte. So viele tote Kinder, so viele, und alle männlich. Sie hätte jeden Eid geschworen, daß ihr Bruder sich wieder verheiraten würde, nachdem die Countess mit allen Ehren in der Familiengruft der Wyndhams beigesetzt worden war, und daß es ihm bei der neuen Frau in erster Linie darauf ankäme, daß sie ihm viele Kinder gebäre. Aber trotz mehrfacher Gelegenheit hatte er sich zu ihrer großen Überraschung nicht wieder verheiratet. Und jetzt war er tot.

Sie mußte Marcus’ Rücksichtnahme ihr und seinen Zwillingscousinen gegenüber loben. Das hatte sie, wenn sie ehrlich war, sehr erstaunt, denn erfahrungsgemäß besaßen Männer die Empfindsamkeit einer Kröte. Außerdem mußte sie sich eingestehen, daß Marcus ein schöner Mann war. Mit dem vollen dunkelbraunen Haar und den dichtbewimperten tiefblauen Augen hatte er viel vom Aussehen seines Onkels. Ah, und dann dieses Kinn, eigenwillig und störrisch wie ein Esel. Jedenfalls hatte es diese Eigenschaft bei James unterstrichen. Und bei Marcus? James hatte oft gesagt, daß Marcus der leibliche Sohn des Teufels sei.

Sie seufzte. Er war größer als sein Onkel. Er überragte sogar Spears, den Kammerdiener seines Onkels, der sich einverstanden erklärt hatte, und das mit trockenster Stimme, in die Dienste des neuen Earl zu treten. Spears, so hatte Gweneth von Sampson erfahren, hielt die neue Lordschaft für höchst intelligent, fähig und umsichtig, Eigenschaften, die man auf Chase Park dringend benötigte.

Der neue Earl war erst seit vier Wochen auf Chase Park und hatte seine verwitwete Mutter in Lower Slaughter zurückgelassen, da sie sich weigerte, aus Cranford Manor fortzuziehen. Er war jetzt das Oberhaupt der Familie Wyndham. Das Leben ist unberechenbar, so sinnierte Gweneth, und tischt einem höchst Unerwartetes auf.

»Ich bin nicht in ihn vernarrt«, sagte Fanny und sah von ihrer Kreuzstichstickerei auf, deren höchst sinnige Platitüde vom »Sich Regen bringt Segen« bereits in groben Lettern zu lesen war. »Er ist eben einfach wunderbar. Er ist sehr freundlich und zuvorkommend zu uns, Tante, das gestehst sogar du ihm zu, und du weißt auch, daß Papa oft genug wiederholte, Marcus habe kein reines Blut, was immer er damit meinte.«

»Marcus hat reines Blut, Fanny«, erwiderte Gweneth scharf. »Nur daß es nicht das Blut deines Vaters ist. Schade.«

»Hoffentlich ist der Duchess nichts zugestoßen«, sagte Antonia und blickte kurz von ihrer spannenden Lektüre auf, die sie geschickt mit einem Band von Dr. Edwards Morgenpredigten getarnt hatte. »Zwei Monate allein. Glaubst du, sie ist wieder nach Holland zurückgegangen, Tante Gweneth?«

Ihre Zwillingsschwester Fanny, identisch bis zum gespaltenen Daumennagel der rechten Hand, legte ihr Stickzeug auf den Schoß und sagte: »Wenn Papa noch lebte, hätte er sie zur Ballsaison nach London geschickt und ihr einen netten Ehemann gesucht. Und sie hätte eine anständige Mitgift bekommen. Oder glaubst du, sie ist nach Italien zurückgekehrt, Tante Gweneth? Übrigens, sie kommt nicht aus Holland, Antonia.«

Tante Gweneth schüttelte den Kopf und fuhr nach einer Weile mit verbitterter, zorniger Stimme fort. »Euer Vater hatte bei der Auswahl seiner Reitpferde nie eine gute Hand. Dieses Biest hat ihn getötet.«

»Dieses Biest war seit acht Jahren sein einziges Reitpferd, Tante«, belehrte sie Fanny, und ihre Unterlippe zitterte ein wenig, als sie hinzufügte: »Papa liebte dieses Pferd. Ich weiß noch, wie er sich nach einem Platzregen zuerst um das Tier kümmerte und dann um Antonia und mich.«

Gweneth bezweifelte nicht eine Sekunde lang, daß ihr Bruder so gehandelt hatte. Er nahm an allen Fuchsjagden teil, nahm Hindernisse, die sogar Spears zu einem Stirnrunzeln veranlaßten, aber es war ihm nie etwas passiert, nicht der kleinste Sturz, bis vor sechs Wochen. Er drehte sich im Sattel zurück, um einem alten Jagdfreund, der etwas zu langsam hinter ihm ritt, ein Schimpfwort zuzurufen, als sein Kopf gegen den tiefhängenden Ast einer Eiche stieß und er vom Pferd gerissen wurde. Er war sofort tot.

Drei Wochen nach diesem tragischen Unglücksfall wurde Marcus – gerade dreiundzwanzig Jahre alt und auf der Pyrenäenhalbinsel mit seinem Bataillon stationiert – davon in Kenntnis gesetzt, daß er der neue Earl of Chase sei, genauer gesagt, der Achte Earl of Chase. Gweneth fragte sich, ob Marcus das Gefühl hatte, er trete in die Fußstapfen seines Onkels, wenn er die prunkvolle Mitteltreppe im Schloß seines Onkels hinunterstieg und über seine weichen, kostbaren türkischen Teppiche schritt, kurz, ob er sich nicht wie ein Eindringling vorkam.

»Ich weiß nicht, ob Marcus die Duchess zur Ballsaison nach London schickt, damit sie sich einen Mann sucht, und ob er ihr eine Mitgift gibt«, sagte Fanny, als sie aufstand, den Rock glattstrich und sich von einem reichverzierten Silbertablett ein Stück Gebäck holte.

Antonia schnaubte. »Sie braucht keine Mitgift, sondern nur die Gesellschaft junger Männer. Jeder, der sie erblickt, wird ihr sofort zu Füßen liegen, um ihre Hand bitten und ihr einen feurigen Heiratsantrag machen. Die Heldin in Mrs. Radcliffs Roman ist nämlich wunderschön und freundlich, liebreich und gut, aber arm wie eine Kirchenmaus, und sie hat bereits drei Verehrer, die schmachtend die Hand auf das Herz legen, wenn sie vorbeigeht.«

Welch ein Unsinn, dachte Gweneth. Wenn ein Mann die Hand auf den Brustkorb legt, dann bestimmt nicht aus Liebeskummer, sondern vor Magenschmerzen durch den übermäßigen Genuß von Brandy. »Fanny, iß bitte nur ein Stück von diesem Gebäck, und solange man kaut, spricht man nicht. Maggie verriet mir neulich, deine Kleider würden um die Taille spannen. Du kommst mit Antonia in ein Alter, wo man seinen Babyspeck verbergen und nicht vermehren sollte. Und was dich anbetrifft, Antonia, so bezweifle ich, daß in Dr. Edwards Predigten junge Herren vorkommen, die jungen Damen schöne Augen machen. Das paßt eher zu Mrs. Radcliffe. Deiner Mutter hätte das sehr mißfallen.«

Antonias Unterlippe zitterte wieder. Gweneth seufzte. »Du kannst Fanny und mir ja ein Kapitel aus deinem Buch vorlesen.«

Kapitel 3

Pipwell Cottage, Smarden, Kent Juni 1813

Marcus brachte seinen kräftigen rotbraunen Hengst vor Pipwell Cottage, wie das Haus im Dorf genannt wurde, zum Stehen, stieg ab und band die Zügel an einem eisernen Pfosten fest. Er war hundemüde, über die Verzögerung verärgert und gleichzeitig so sehr erleichtert, die Duchess endlich gefunden zu haben, daß er sich auf die Erde werfen und sie küssen wollte, um dann die Duchess zu schütteln, weil sie allen, besonders ihm, soviel Sorgen bereitet hatte.

Vor ungefähr drei Monaten traf er in Winchelsea ein, um sie abzuholen, fand aber Rosebud Cottage verlassen vor. Sie war fort, schon lange fort – keiner wußte, wohin. Wenigstens hatte sie einen Dienstboten bei sich, einen Mann, was höchst verwunderlich war. Ein achtzehnjähriges Mädchen reist allein und lebt allein, und das in Begleitung eines Mannes, ob Diener oder nicht, ob alt oder nicht.

Es dauerte drei Monate, bis er sie aufgespürt hatte. Wahrscheinlich hätte es drei Jahre gedauert, wenn Spears sich nicht eingemischt hätte. Für Marcus blieb es rätselhaft, wieso Spears auf eigene Faust nach Winchelsea fuhr, wo Marcus bereits jeden Bewohner des kleinen Nestes nach dem Verbleib der Duchess gefragt hatte und dabei mit Bestechungen und Drohungen nicht gespart hatte. Dann fuhr Spears nach London, hielt sich auch hier wie in Winchelsea zwei Tage auf und kehrte anschließend nach Chase Park zurück, verbeugte sich förmlich vor Marcus und reichte ihm ein kleines Blatt Papier, auf dem nichts anderes stand als: Pipwell Cottage, Smarden, Kent.

Sie war fast sechs Monate lang allein gewesen, wenn man von der Gesellschaft des Dieners absah.

Marcus beruhigte sich. Er hatte sie gefunden. Wenigstens wirkte Pipwell Cottage nicht heruntergekommen. Im Gegenteil, es sah unter dem frühsommerlichen Laub der Eichen, Ahornbäume und Lärchen recht einladend aus. Die Buchsbäumchen, die den Weg zum Hauseingang säumten, waren ordentlich geschnitten, und der säuberlich gerechte Kieselweg war fest und leicht begehbar. Myriaden von Blüten leuchteten hinter der niedrigen Hecke. In symmetrisch angeordneten Beeten blühten Rosen und Dahlien, daß es eine wahre Pracht war. Das Häuschen selbst war weiß getüncht, und die Fenster waren rot umrandet. Es war ein ansehnliches, gepflegtes Anwesen. Zu ansehnlich, zu gepflegt.

Wie konnte sie das bezahlen? Wieder verdrängte er den Gedanken, daß sie wie ihre Mutter einen Beschützer hatte. Nein, dachte er, nicht die Duchess. In dem Mädchen steckte zuviel Stolz, viel zuviel Stolz.

Als er auf die Haustür zuging, vor der rechts und links Töpfe mit herrlichen Hortensien standen, so blau wie das Auge, das er vor achtzehn Jahren Jimmy Watts verpaßt hatte, wurde ihm bewußt, daß er sich nichts anderes wünschte, als sie gesund und wohlbehalten wiederzusehen.

Er klopfte und betete.

Badger öffnete die Tür und starrte den jungen Mann an, der zurückstarrte.

Marcus zwinkerte mit den Augen und fragte langsam: »Sie wohnen hier, Sir? Gehört Ihnen das Haus? Die Duch ... Miss Cochrane ist weggezogen?«

»Aye, ich wohne hier,« antwortete Badger und wich keinen Schritt von der Türschwelle.