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Dies ist das vierte und letzte Buch aus der Serie 'Die vier Millionen'. Ein Zeitungsartikel war der Auslöser für O. Henrys 1906 erschienenes Buch mit dem gleichnamigen Titel. Es wurde behauptet, dass es in ganz New York nur 400 Personen von Wichtigkeit gäbe, die es lohnen würde, zu kennen. Doch was ist mit den anderen 3,999,600, deren auf so vielen Hoffnungen basierendes Leben oft nicht einfach war und nicht selten dauerhaft in der Gosse endete? Aber auch diese Menschen sind Teil der Stadt, ohne die es sie überhaupt nicht gäbe. Nach dem großen Erfolg ließ O. Henry weitere Bücher folgen, die sich aber inhaltlich immer mehr von der ursprünglichen Idee entfernten. Im Jahre 1907 folgte das zweite Buch mit dem Titel 'Die getrimmte Lampe und andere Geschichten der Vier Millionen'. In diesem Buch bringt O. Henry wieder neue Geschichten aus dem Leben in New York. Im dritten Buch, 'Die Stimme der Stadt - weitere Geschichten von den vier Millionen' (1908), schweift er noch weiter ab. Das Werk hätte auch ganz allgemein 'Geschichten aus New York' genannt werden können. Das hier vorliegende vierte Buch (1910) zeigt deutlich die Veränderungen, die in O. Henry vorgingen, körperlich und geistig. Er war starker Alkoholiker, häufig im Delirium tremens und verstarb im Jahre der Drucklegung an einer Leberzirrhose. Sein Schreibstil zeigt die gewohnte Überfrachtung des Inhalts mit Redewendungen, Metaphern und Vergleichen aller Art, die oft kaum oder gar nicht verständlich sind. Selbst literarisch geschulte Muttersprachler tun sich hier arg schwer, herauszufinden, was O. Henry eigentlich meint. O. Henry treibt es aber endgültig auf die Spitze und verliert sich in den seltsamsten Gedankengängen, die New York am Schluss zu einer von Kalifen bewohnten Stadt 'Bagdad an der U-Bahn' machen. Für sich allein wäre es das Buch wohl nicht wert, gelesen zu werden. Wer aber den ersten Band genossen und die zwei weiteren schon gelesen hat, kann hier O. Henry auf seinem letzten, schriftstellerisch sehr seltsam gewordenen Weg begleiten. Vielleicht ist er auch in Höhen hinaufgeschwebt, in die der Normalsterbliche nicht mehr folgen kann. Der Übersetzer hat sich auch dieses vierte Buch angetan - schon der Vollständigkeit halber. Er hat selbst einige Zeit im 'Big Apple' gelebt und gearbeitet und versucht wieder, mit zahlreichen Anmerkungen und Endnoten, möglichst viel Licht ins Dunkel zu werfen.
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Vorwort des Übersetzers
Vorwort zu O. Henry
Rein geschäftlich
Das Gold das glitzerte
Anfänger im Dschungel
Der Tag der Wiederauferstehung
Das fünfte Rad
Der Dichter und der Bauer
Das Gewand des Friedens
Das Mädchen und die Mauschelei
Der Ruf der Zähmung
Die unbekannte Menge
Die Sache ist das Stück
Ein Streifzug durch die Aphasie
Ein Stadtbericht
Psyche und der Pskyscaper
Ein Vogel aus Bagdad
Die besten Wünsche zum Fest
Eine Nacht in Neu-Arabien [New York]
Das Mädchen und die Macht der Gewohnheit
Die Puddingprobe
Nach ein Uhr bei Rooney's
Die Waghalsigen
Das Duell
Was du dir wünscht
Endnoten
Dieses letzte Buch aus der vierteiligen Serie, 'Die vier Millionen', begleitet O. Henry in seinem Tod. Wer O. Henry kennt, bemerkt einen veränderten Schreibstil. William Sydney Porter, besser bekannt unter seinem Schriftstellernamen O. Henry war, besonders in den letzten Lebensjahren, ein starker Alkoholiker. Ab 1908 herum beeinflusste seine verschlechterte Gesundheit sein Schreiben. Im Jahre 1910, in dem das Buch erschien, verstarb er an Leberzirrhose, gepaart mit anderen gesundheitlichen Problemen. Eine seiner bekanntesten Kurzgeschichten war 'The Gift of the Magi' (das Geschenk der Weisen). Die ersten Worte beginnen mit dem Geldbetrag 1,87 Dollar – den Della, seine Hauptfigur, gespart hatte. Ein Besucher hatte diesen Betrag später auf sein Grab gelegt, der Jahrzehnte unangetastet blieb.
Nach dem Buch 'Die vier Millionen' (1906) folgten 'Die getrimmte Lampe und andere Geschichten der vier Millionen' (1907), 'Die Stimme der Stadt - weitere Geschichten von den Vier Millionen' (1908) und 'Strictly Business - mehr Geschichten von den vier Millionen (1910). Sie befassen sich mit dem Leben in New York. Die Zahl 'Vier Millionen' bezieht sich auf die damalige Einwohnerzahl der Stadt. Ein Zeitungsartikel war der Auslöser. Darin wurde behauptet, dass es in ganz New York nur 400 Personen von Wichtigkeit gäbe und die es lohnen würden, sie zu kennen. Doch was ist mit den anderen 3,999,600? Das auf so viele Hoffnungen basierende Leben war meist nicht einfach, viele lebten in Armut und bitterer Not, doch auch diese Menschen sind ein Teil der Stadt …
Bereits im zweiten Buch weicht er von seinem engeren Bezug ab, die einfachen Bürger in New York, als Kontrast zu den Superreichen. Dies setzt sich im dritten Buch fort, das man auch als 'Geschichten aus New York' hätte betiteln können. Dies ist nun in diesem vierten Band verstärkt der Fall; dennoch bleibt New York der Mittelpunkt.
Wie dem auch sei, O. Henry bleibt seinem Stil treu und überfrachtet den Inhalt mit Redewendungen, Metaphern und Bezügen aller Art, die oft kaum oder gar nicht verständlich sind. Selbst literarisch geschulte Muttersprachler tun sich hier arg schwer, herauszufinden, was O. Henry eigentlich meint. Ein Kritiker hat das mal so formuliert (jedenfalls ungefähr so, wie ich mich erinnere): 'O. Henry jagt nach schriftstellerischer Abgehobenheit, dass er dabei nicht nur im Kreis läuft, sondern auch so schnell, dass er sich selbst überholt, im Vorbeihuschen auf ein bekanntes Gesicht trifft (sein eigenes), freundlich grüßt, und sich zugleich zum zweiten Mal selbst den Rücken zeigt'.
Einiges ist nur lokal (New York) oder aus zeitlicher Nähe zur Entstehung des Buchs zu verstehen. Er greift tief in die obskurste Ecke der Zitatenkiste und kreiert Zusammenhänge, die manchmal arg hinken, kaum nachvollziehbar oder (selten) auch falsch sind. Der Übersetzer hat selbst einige Zeit im 'Big Apple' gelebt und gearbeitet. Er hat versucht, möglichst viel Licht ins Dunkel zu werfen. Dies geschah durch Endnoten, als Anmerkung direkt beim Text oder wurde in diesen eingearbeitet. Da wo es geboten und vertretbar war, wurde manches in den normalen Sprachgebrauch übertragen, gekürzt oder neu formuliert, besonders, wenn es für die Geschichte ohne Bedeutung blieb.
New York im Jahre 1900
O. Henry ist ein Pseudonym von William Sydney Porter, der am 11. September 1862 in Greensboro, North Carolina als Sohn eines Arztes geboren wurde. Er war in verschiedenen Berufen tätig – Schäfer, Verkäufer, Cowboy, Babysitter und schließlich Bankangestellter. Hier sah er erstmals Geld auf einem größeren Haufen, was ihn im Jahre 1895 zu einer Unterschlagung verführte.
Für schuldig befunden, verschwand er in Honduras. Dort schrieb er ein Buch, in dem er den Begriff 'Bananenrepublik' für ein fiktives Land in dieser Region prägte Die Krankheit seiner Frau ließ ihn 1897 zurückkommen. Er stellte sich den Behörden. 1898 trat er dann eine langjährige Haftstrafe im Staatsgefängnis von Ohio an.
Am 24. Juli 1901 wurde er aus der Haft entlassen, wollte aber nicht, wie früher, in der Apotheke seines Onkels tätig werden. Stattdessen trat er eine Stelle als Journalist der 'Houston Post' in Texas an und begann seine schriftstellerische Tätigkeit.
Bald danach gehörte er zu den bestbezahlten Schriftstellern in den USA und schrieb mehr als 300 Kurzgeschichten und zahlreiche Bücher. Intensiv studierte er das Leben in New York. Sein besonderer Witz wurde von den Lesern geliebt.
Gerne wird auch über die Entstehung seines Pseudonyms schwadroniert, wobei er selbst für Verwirrung gesorgt hat. Einmal soll es eine Katze namens 'Henry' gewesen sein, verbunden mit dem Ausruf 'O(h), Henry', wenn sie wieder mal was angestellt hatte. Ein anderes Mal soll er den Namen Ossian Henry in einem Apothekerhandbuch gefunden haben, während er sich im Gefängnis zum Apothekergehilfen weiterbildete.
Oder, im gleichen Gefängnis, soll es der richtige Name eines Wärters gewesen sein (ausgeschrieben Orrin Henry), den er mit seinem Pseudonym verewigt hat.
Eine andere Version erzählt, dass er Proben seiner Arbeit verschicken wollte, und dafür einen Autorennamen suchte. Auf einer Gästeliste für einen Ball blieb sein Freund beim Namen Henry hängen, den man vom Vornamen zum Nachnamen machte. Den Vornamen wollte man abkürzen und einfach halten. Das 'O', meinte man, sei am einfachsten zu schreiben und war auch schon in Oliver Henry enthalten, einem seiner vorherigen Pseudonyme, wie S.H. Peters, James L. Bliss, T.B. Dowd und Howard Clark.
Es gibt zahlreiche weitere Deutungen. Sie alle aufzulisten, würde hier zu weit führen. Ohnehin ist man sich in Fachkreisen uneinig und wird es wohl immer bleiben; O. Henry hätte das gefallen.
1887 heiratete er Athos Estel, die bereits sehr krank war. Sie hatten einen Sohn, der im Jahre 1888, Stunden nach seiner Geburt, starb, und eine Tochter Margaret, die im Jahre 1889 geboren wurde.
Seine Frau verstarb 1897. Er selbst hatte bereits im Alter von drei Jahren seine Mutter verloren.
1901 wurde er wegen guter Führung entlassen, und seine Tochter zog wieder zu ihm. Sie hatte nie erfahren, wo er in den vorangegangenen drei Jahren gewesen war. 1907 heiratete er erneut, 1909 verließ ihn seine Frau. Er war zum Trinker geworden und starb 1910 an den Folgen.
Dass er am Ende auch in der Gosse gelandet sein soll, dürfte nicht stimmen.
William Sydney Porter mit Frau Estel und Tochter Margaret, frühe 1890er Jahre
Ich nehme an, Sie wissen alles über die Bühne und die Bühnenleute. Sie sind mit Schauspielern in Berührung gekommen und haben die Zeitungskritiken und Witze in den Wochenzeitschriften über das Rialto [Theaterdistrikt] und die Chormädchen und die langhaarigen 'Tragödianten' gelesen, und ich nehme an, dass eine komprimierte Liste Ihrer Ideen über das geheimnisvolle Bühnenland auf so etwas hinauslaufen würde:
Die Hauptdarstellerinnen haben (hatten) fünf Ehemänner, Strass-Diamanten und eine Figur, die nicht besser ist als der ihrer eigenen (Madam), wenn sie nicht gepolstert wäre. Chormädchen sind untrennbar mit Peroxid, Panhards [Luxusauto] und Pittsburg verbunden. Alle Shows laufen am Schluss auf braunen Oxford-Schuhen und auf Eisenbahnschwellen zurück nach New York. Untadelige Schauspielerinnen reservieren die Rolle der komischen Landlady für ihre Mütter am Broadway und ihre Stieftanten auf der Straße. Kyrle Bellews richtiger Name ist Boyle O'Kelley. Die Tiraden von John McCullough [Schauspieler] auf dem Phonographen wurden aus dem ersten Verkauf der Ellen Terry [Schauspielerin] Memoiren gestohlen. Joe Weber [Schauspieler] ist witziger als E. H. Sothern [Schauspieler]; aber Henry Miller ist älter geworden, als er war.
Alle Theaterleute trinken beim Verlassen des Theaters am Abend Champagner und essen Hummer bis zum Mittag des nächsten Tages. Schließlich haben die bewegten Bilder den ganzen Haufen zu Brei geschlagen [die Konkurrenz des Films].
Nun, nur wenige von uns kennen das wahre Leben der Bühnenleute. Wenn wir es wüssten, wäre der Beruf vielleicht noch überfüllter, als er ist.
Wir betrachten misstrauisch die Schauspieler mit einem Blick voller gönnerhafter Überlegenheit – und wir gehen nach Hause und üben alle möglichen Arten von Reden und Gesten vor unseren Spiegeln.
In letzter Zeit wurde viel über das Volk der Schauspieler in einem neuen Licht geredet. Es scheint sich herumgesprochen zu haben, dass sie keine motorisierten 'Bacchanalisten' [wilde Säufer] und diamanthungrigen Loreleys sind [das die Loreley auf Diamanten scharf war, ist mir neu], sondern geschäftstüchtige Leute, Studenten und Asketen mit Kindern und Häusern und Bibliotheken, die Immobilien besitzen und ihre privaten Angelegenheiten genauso ordentlich und unsensibel regeln wie jeder von uns braven Bürgern, die an die 'Wagenräder' der Gas-, Miet-, Kohle-, Eis- und Wachleute gebunden sind [eine Abhängigkeit von diesen].
Ob der alte oder der neue Bericht über die 'sock-and-buskiners' [bezeichnet die zwei Arten von Schauspielern und Stücken, wie die beiden Masken von 'Komödie-Tragödie'], der wahre ist, ist eine Vermutung, die hier keinen Platz hat.
Ich biete Ihnen lediglich diese kleine Geschichte von zwei Spaziergängern aus dem Metier an; und als Beweis für ihren Wahrheitsgehalt kann ich Ihnen nur den dunklen Fleck über dem Gusseisen der Bühneneingangstür von Keetors altem Varieté-Theater zeigen, der dort durch den launenhaften Stoß von behandschuhten Händen entstanden ist, die zu ungeduldig waren, um den plumpen Türklingendrücker zu betätigen – und wo ich Cherry zuletzt durchhuschen sah, wie eine Schwalbe in ihr Nest, auf die Minute pünktlich, wie immer, um sich für ihren Auftritt umzuziehen.
Das Vaudeville-Team von Hart & Cherry war eine Inspiration. Bob Hart war vier Jahre lang mit einer gemischten Nummer durch die östlichen und westlichen Theater gezogen, die einen Monolog, drei blitzschnelle Wechsel mit Liedern, ein paar Imitationen berühmter Imitatoren und einen Stepptanz umfasste, der in mehr als einem Haus den anerkennenden Blick des Bassgamben-Spielers auf sich gezogen hatte – so, wie noch kein Künstler je einen zufriedenstellenderen Beweis für gute Arbeit erhalten hat.
Das größte Vergnügen, das ein Schauspieler haben kann, ist es, die erbärmliche Leistung zu sehen, mit der alle anderen Schauspieler die Bühne entweihen. Um sich dieses Vergnügen zu gönnen, verlässt er oft die sonnigste Ecke des Broadways zwischen der Vierunddreißigsten und der Vierundvierzigsten, um einer Matinee beizuwohnen, die von seinen weniger begabten Brüdern angeboten wird. Nur einmal im Leben eines Bühnensängers kommt einer vorbei, um zu spotten, und bleibt, um die schwierigste Übung eines Thespianers [Schauspielers] zu vollziehen – den hörbaren Kontakt der Handfläche der einen Hand mit der Handfläche der anderen.
Eines Nachmittags präsentierte Bob Hart sein solventes, ernstes, wohlbekanntes Varietégesicht am Kassenschalter einer konkurrierenden Attraktion und erhielt seinen 'd. h.' [besondere Ehre] Coupon für einen Orchesterplatz.
A, B, C und D leuchteten nacheinander auf den Anzeigeflächen auf und gerieten in Vergessenheit, wobei Mr. Hart jedes Mal tiefer in die Finsternis stürzte.
Doch andere im Publikum kreischten, zappelten, pfiffen und applaudierten, aber Bob Hart, welcher 'die ganze Würze und die ganze Show in sich selbst' war, saß mit einem langen Gesicht da, unwillig zu klatschen, und mit den Händen so weit auseinander, wie ein Junge, der für seine Großmutter einen Strang Garn zum Aufwickeln zu einem Knäuel hält.
Aber als der Buchstabe H auftrat, setzte sich 'Der Senf'* plötzlich aufrecht hin.
H war die glückliche alphabetische Ansage von Winona Cherry, mit Charakter-Liedern und Personifikation. Cherry hatte kaum mehr als zwei Bissen der Aufführungen, aber sie lieferte die Ware mit einer rosa Kordel verschnürt ab und lud die alten Männer auf.
[* [engl. 'the mustard'. Wenn jemand 'der Senf' ist, speziell in einem bestimmten Bereich, spricht man von einer wichtigen Persönlichkeit, das 'A und O' kommt dem nahe]
Zuerst zeigte sie Ihnen ein köstlich taufrisches und in Baumwollstoff gekleidetes Landmädchen mit einem Korb voller Gänseblümchen, das Sie fantasievoll darüber informierte, dass es im alten Blockschulhaus noch andere Dinge zu lernen gab als Zahlen und Substantive, insbesondere als sie sang 'When the Teach-er Kept Me in' [als der Lehrer mich drinnen behalten hat].
Sie verschwand wieder mit einem schnellen Flirt mit den karierten Schürzenbändern und tauchte in weniger als einer Minute als flauschige 'Parisienne' [Pariserin] wieder auf – so nahebringt die Kunst die 'Old Red Mill'* an das 'Moulin Rouge'**. Und dann –
[* alte rote Mühle, ein altes Mühlengebäude in New Jersey, heute Museum. Es gibt auch eine berühmte 'old red mill' in Vermont, ebenfalls eine historische Stätte. Die ist aber nicht gemeint. ** Das berühmte Varieté in Paris]
Aber den Rest kennen Sie ja. Und Bob Hart tat das auch, aber er sah jemand anderen.
Er glaubte zu sehen, dass Cherry der einzige Profi auf der Fast-Food Bühne war, den er gesehen hatte, und die genau auf die Rolle der 'Helen Grimes' in dem Sketch zu passen schien, den er geschrieben und in der Schublade seines Koffers verstaut hatte.
Natürlich hat Bob Hart wie jeder andere normale Schauspieler, Lebensmittelhändler, Zeitungsmann, Professor, Bordsteinmakler [curb-broker, auch curbstone-broker, Aktienbroker, die ihre Geschäfte am Straßenrand machen] und Bauer irgendwo ein Stück versteckt. Sie verstecken sie in Koffern, Baumstämmen, Schreibtischen, Heuhaufen, Taubenlöchern, Innentaschen, Tresoren, Handkisten und Kohlenkellern und warten auf den Anruf von Mr. Frohman [Agent]. Sie gehören zu den siebenundfünfzig verschiedenen Arten, aber Bob Harts Sketch sollte nicht in einem Gurkenglas[1] enden.
Er nannte den Sketch 'Mice Will Play' [Mäuse werden spielen]. Seit er ihn geschrieben hatte, hatte er ihn still und heimlich aufbewahrt und darauf gewartet, einen Partner zu finden, der zu seiner Vorstellung von 'Helen Grimes' passte. Und hier war sie nun, 'Helen' selbst, mit all der unschuldigen Unbekümmertheit, der Jugend, der Lebhaftigkeit und der makellosen Bühnenkunst, die sein kritischer Geschmack verlangte.
Nach dem Ende der Aufführungen suchte Hart den Manager an der Theaterkasse auf und ließ sich Cherrys Adresse geben; und um fünf Uhr am nächsten Nachmittag besuchte er das muffige alten Haus in den West Forties und schickte seine Visitenkarte nach oben.
Bei Tageslicht, in einem weltlichen Hemd und einem schlichten Voile-Rock und mit ihrem gekräuselten Haar und den Augen einer Schwester der Nächstenliebe, hätte Winona Cherry die Rolle der Prudence Wise, der Tochter des Diakons, in dem großen (ungeschriebenen) Drama aus Neuengland spielen können, das noch keinen Titel trägt.
»Ich kenne Ihre Darbietung, Mr. Hart«, sagte sie, nachdem sie sich seine Karte genau angesehen hatte. »Weshalb wollten Sie mich sprechen?«
»Ich habe Sie gestern Abend bei der Arbeit gesehen«, sagte Hart. »Ich habe einen Sketch geschrieben, den ich mir aufgespart habe. Er ist für zwei; und ich denke, Sie können den anderen Teil übernehmen. Ich dachte, ich spreche mit Ihnen darüber.«
»Kommen Sie mit ins Wohnzimmer«, sagte Miss Cherry. »Ich habe mir etwas in dieser Art gewünscht. Ich glaube, ich würde gerne schauspielern, anstatt immer nur etwas anderes zu tun.«
Bob Hart zog sein geliebtes 'Mice Will Play' aus der Tasche und las es ihr vor.
»Lesen Sie es bitte noch einmal vor«, sagte Miss Cherry.
Und dann wies sie ihn deutlich darauf hin, wie man es verbessern könnte, indem man einen Boten anstelle eines Telefonanrufs einbaut und den Dialog kurz vor dem Höhepunkt kürzt, während sie mit der Pistole kämpfen, und den Text und die Aktivitäten von Helen Grimes an dem Punkt völlig verändert, wo die Eifersucht sie überkommt.
Hart fügte sich ohne Widerspruch allen ihren Forderungen. Sie hatte sofort den Finger auf die schwachen Punkte des Sketches gelegt. Das war ihr weibliches Gespür, was ihm gefehlt hatte. Am Ende ihres Gesprächs war Hart bereit, sein Urteilsvermögen, seine Erfahrung und die Ersparnisse aus vier Jahren Varieté darauf zu verwetten, dass 'Mice Will Play' zu einer immerwährenden Blume im Garten der Theaterbühnen erblühen würde.
Miss Cherry war langsamer in ihrer Entscheidung. Nachdem sie ihre glatte, junge Stirn in Falten gelegt und mit dem Ende eines Bleistifts auf ihre kleinen, weißen Zähne geklopft hatte, verkündete sie ihr Diktum: »Mr. Hart«, sagte sie, »ich glaube, Ihr Sketch wird den Sieg davontragen. Die Grimes-Rolle passt mir wie ein schrumpeliger Flanell nach dem ersten Besuch in einer 'handlosen Handwäscherei'. Ich kann sie so herausstechen lassen, wie einen Oberst des vierundvierzigsten Regiments auf einem Kleinmütter-Basar. Und ich habe Sie arbeiten sehen. Ich weiß, was Sie aus dem anderen Part machen können. Aber Geschäft ist Geschäft. Wie viel bekommen Sie pro Woche für den Stunt, den Sie jetzt machen?«
»Zweihundert«, antwortete Hart.
»Ich bekomme einhundert für meinen«, sagte Cherry. »Das ist ungefähr der natürliche Rabatt für eine Frau. Aber ich lebe davon und lege jede Woche ein paar Simoleons[2] unter den losen Ziegelstein im alten Küchenherd. Die Bühne ist in Ordnung. Ich liebe sie, aber es gibt etwas, das ich noch mehr liebe – ein kleines Landhaus, eines Tages, mit Plymouth-Rock-Hühnern und sechs Enten, die im Garten herumlaufen.«
»Nun, lassen Sie mich Ihnen sagen, Mr. Hart«, fuhr sie fort, »ich verhalte mich REIN GESCHÄFTLICH.«
»Wenn Sie wollen, dass ich in Ihrem Sketch den Counterpart spiele, werde ich es tun. Und ich glaube, dass wir das hinkriegen können. Und da ist noch etwas, was ich sagen möchte: Es wird keinen Unsinn mit meinem Make-up geben; ich bin auf dem Niveau, und ich bin auf der Bühne für das, was sie mir bezahlt, genauso wie andere Mädchen in Geschäften und Büros arbeiten. Ich werde mein Geld sparen, um mich zu unterstützen, wenn ich meine Stunts nicht mehr mache. Kein Altersheim für Frauen oder ein Heim für unbesonnene Schauspielerinnen für mich.«
»Wenn Sie daraus eine geschäftliche Partnerschaft machen wollen, Mr. Hart, ohne jeden Unsinn, bin ich dabei. Ich weiß etwas über Varietéteams im Allgemeinen; aber dies müsste eines von Besonderheit sein. Ich möchte, dass Sie wissen, dass ich auf der Bühne bin, um das zu bekommen, was ich an jedem Zahltag in einem kleinen Umschlag aus Manila-Papier wegtragen kann, mit Nikotinflecken, wo der Kassierer die Klappe abgeleckt hat. Es ist eine Art Hobby von mir, mich für viele verregnete Tage in der Zukunft zu wappnen. Ich möchte, dass Sie wissen, wie ich bin. Ich weiß nicht, wie ein Nachtlokal aussieht; ich trinke nur schwachen Tee; ich habe noch nie in meinem Leben mit einem Mann an einem Bühneneingang gesprochen, und ich habe Geld auf fünf Sparkassen.«
»Miss Cherry«, sagte Bob Hart in seinem sanften, ernsten Ton, »Sie kommen zu Ihren eigenen Bedingungen. Auf meinem Hut steht 'rein geschäftlich', und auf meinem Schminkkasten ist 'rein geschäftlich' aufgedruckt.«
»Wenn ich nachts träume, sehe ich immer einen Fünf-Zimmer-Bungalow an der Nordküste von Long Island, mit einem Japsen, der Muschelsuppe und Entenküken in der Küche kocht, und mich, mit den Besitzurkunden für das Haus in der Tasche meines Pongé-Mantels, wie ich in einer Hängematte auf der seitlichen Veranda schaukele und Stanleys 'Erkundungen in Afrika' lese, mit niemandem anders um mich herum. Sie haben sich nie für Afrika interessiert, das stimmt doch, Miss Cherry?«
»Nein«, sagte Cherry. »Was ich mit meinem Geld machen werde, ist es zur Bank zu bringen. Man kann vier Prozent auf Einlagen bekommen. Selbst bei dem Gehalt, das ich verdiene, habe ich mir ausgerechnet, dass ich in zehn Jahren ein Einkommen von etwa 50 Dollar pro Monat haben werde, allein durch die Zinsen. Nun, ich könnte einen Teil des Kapitals in ein kleines Geschäft investieren – zum Beispiel in eine Hutschneiderei oder einen Schönheitssalon – und mehr verdienen.«
»Nun«, sagte Hart, »Sie haben auf jeden Fall die richtige Idee. Es gibt nur sehr wenige gute Schauspieler, die sich für die kommenden nassen Tage wappnen, weil sie ihr Geld sparen, anstatt es zu verprassen. Ich bin froh, dass Sie das Geschäft richtig einschätzen, Miss Cherry. Ich denke genauso; und ich glaube, dieser Sketch wird mehr als das Doppelte von dem einbringen, was wir beide jetzt verdienen, wenn wir ihn richtig in Form bringen.«
Die weitere Geschichte von 'Mice Will Play' ist die Geschichte aller erfolgreichen Bühnenstücke. Hart & Cherry haben es gestutzt, zusammengesetzt, umgestaltet, chirurgische Eingriffe an den Dialogen und der Handlung vorgenommen, den Text geändert, wiederhergestellt, mehr hinzugefügt, herausgeschnitten, umbenannt, ihm den alten Namen zurückgegeben, es umgeschrieben, die Pistole durch einen Dolch ersetzt, die Pistole wiederhergestellt – die Sketche durch alle bekannten Prozesse der Verdichtung und Verbesserung geführt. Sie probten es bei der altmodischen Pensionsuhr in der selten benutzten Stube, bis ihr warnendes Klicken um fünf Minuten vor der vollen Stunde jedes Mal genau eine halbe Sekunde vor dem Klicken des ungeladenen Revolvers ertönte, mit dem Helen Grimes den spannenden Höhepunkt des Sketches probte.
Ja, das war ein Thriller und eine hervorragende Arbeit. In dem Stück wurde ein echter 32-Kaliber-Revolver verwendet, der mit einer echten Patrone geladen war.
Helen Grimes, ein Westernmädchen von ausgesprochen 'buffalo-billyischer' Geschicklichkeit und Kühnheit, ist stürmisch in einen angeblichen Frank Desmond verliebt, den Privatsekretär und insgeheim zukünftigen Schwiegersohn ihres Vaters.
Der Vater ist 'Arapahoe' Grimes, ein Viertelmillionen-Dollar-Viehkönig, der eine Ranch besitzt, die, der Landschaft nach zu urteilen, entweder in den Bad Lands oder in Amagansett, Long Island [3], liegt.
Desmond (im Privatleben Mr. Bob Hart) trägt Wickelgamaschen und Meadow Brook Hunt-Reithosen und gibt als Adresse New York an. Man fragt sich, warum er in die Bad Lands oder nach Amagansett kommt (je nachdem), und stellt gleichzeitig die leise Vermutung an, warum ein Viehzüchter auf seiner Ranch Wickelgamschen haben wollte, mit einem Sekretär, der darin steckt.
Jedenfalls wissen Sie so gut wie ich, dass wir alle diese Art von Stücken mögen, ob wir es zugeben oder nicht – irgendetwas zwischen 'Blaubart jr.' und Cymbeline' [Stück aus antiker römischer Zeit], das auf Russisch aufgeführt wird.
In 'Mice Will Play' gab es nur zwei Rollen und eine halbe. Hart und Cherry waren natürlich die beiden Hauptakteure; und die halbe Rolle war eine Nebenrolle, die immer von einem Bühnenarbeiter gespielt wurde, der nur einmal in einem Smoking und in Panik hereinkam, um zu verkünden, dass das Haus von Indianern umzingelt war, und um auf Anweisung des Managers hinter der Bühne das Gasfeuer im Kamin herunterzudrehen.
Es gab noch ein anderes Mädchen in dem Sketch – eine feine Dame der Fifth Avenue – die die Ranch besuchte und einen Jack Valentine (den falschen Desmond) umgarnt hatte, als er ein reicher Clubbesitzer in der unteren Third Avenue war, bevor er sein Geld verlor. Dieses Mädchen erschien auf der Bühne aber nur im fotografischen Zustand – Jack hatte ihr Sarony[4] auf den Kaminsims des Amagan … des Bad Lands Empfangszimmers geklebt. Helen war natürlich eifersüchtig.
Und nun zum Thriller. Der alte 'Arapahoe' Grimes stirbt eines Abends an Angina pectoris – so informiert uns Helen in einem Bühnenflüstern über die Scheinwerfer hinweg – während nur sein Sekretär anwesend war. Und am selben Tag soll er in seiner (Ranch-)Bibliothek 647.000 Dollar in bar gehabt haben, die er gerade für den Verkauf einer Herde von Rindern im Osten erhalten hatte (das ist der Grund für den Preis, den wir für ein Steak zahlen!). Das Bargeld verschwindet zur gleichen Zeit. Jack Valentine (der falsche Desmond) war die einzige Person, die bei dem Rancher war, als dieser (angeblich) abkratzte.
»Gott weiß, dass ich ihn liebe; aber wenn er diese Tat begangen hat – « Sie wissen es, nicht wahr?
Und dann werden einige gemeine Dinge über das Fifth-Avenue-Girl gesagt, das nicht selbst auf der Bühne erscheint – und können wir ihr Letzteres verübeln, da der Vaudeville-Trust die Preise drückt, bis man tatsächlich von einem Hotelpagen hinten zugeknöpft werden muss, weil Dienstmädchen so viel kosten?
Warten Sie! Hier ist der Höhepunkt.
Helen Grimes, 'chaparralisch' [entsprechend der Western-Landschaft] wie sie nur sein wie sie sein kann, wird bis zur Unvernunft getrieben. Sie ist davon überzeugt, dass Jack Valentine nicht nur ein 'falsetto' [mit einer Fistelstimme] ist, sondern auch ein Finanzier. Auf einen Schlag 647.000 Dollar und einen Liebhaber in Reithosen mit Winkeln an den Seiten wie die Variationen auf dem Diagramm eines Typhus-Patienten zu verlieren, reicht aus, um jede perfekte Dame verrückt zu machen. Also, dann!
Sie stehen in der (Ranch-)Bibliothek, die mit montierten Elchköpfen ausgestattet ist (hatte die Famile Elk (Elch) nicht einmal eine Fischbraterei in Amagensett?), und das Dénouement [Auflösung der Geschichte] beginnt. Ich kenne keinen interessanteren Zeitpunkt im Verlauf eines Theaterstücks, es sei denn, es ist das Ende des Prologs.
Helen glaubt, dass Jack das Geld genommen hat. Wer sonst war da, um es zu nehmen? Der Manager der Kasse war vorne bei seiner Arbeit, das Orchester hatte seine Plätze nicht verlassen, und niemand kam an 'Old Jimmy', dem Bühneneingangsmann, vorbei, es sei denn, er konnte einen Skye-Terrier [alte schottische Hunderasse] oder ein Auto als Garantie für die Berechtigung vorweisen.
Über alle Maßen angestachelt (wie schon erwähnt), sagt Helen zu Jack Valentine: »Räuber und Dieb« – und schlimmer noch, 'Dieb von vertrauensvollen Herzen, das wird dein Schicksal!«
Dabei holt sie natürlich den zuverlässigen Revolver Kaliber 32 hervor.
»Aber ich werde gnädig sein«, fährt Helen fort. »Du sollst leben – das wird deine Strafe sein:«
»Ich werde dir zeigen, wie leicht ich dich in den Tod hätte schicken können, den du verdient hast. Da dort ist ihr Bild auf dem Kaminsims. Ich werde die Kugel durch ihr schöneres Gesicht schicken, die dein feiges Herz hätte durchbohren sollen.«
Und sie tut es. Und es gibt keine unechten Platzpatronen oder Assistenten, die die Fäden ziehen. Helen feuert. Die Kugel – die echte Kugel – durchschlägt die Vorderseite des Fotos und trifft dann die verborgene Feder des Schiebepaneels in der Wand – und siehe da, das Paneel schiebt sich, und da sind die fehlenden 647.000 Dollar in überzeugenden Geldstapeln und Gold voller Gold.
Das ist großartig. Sie wissen ja, wie das ist. Cherry hat zwei Monate lang auf eine Zielscheibe auf dem Dach ihrer Pension geübt. Sie musste gut schießen können. In dem Sketch musste sie eine Messingscheibe mit einem Durchmesser von nur drei Zoll treffen, die von der Tapete im Paneel verdeckt war; und sie musste jeden Abend an genau derselben Stelle stehen, und das Foto musste genau an derselben Stelle sein, und sie musste jedes Mal ruhig und genau schießen.
Natürlich hatte der alte 'Arapahoe' die Gelder an einem geheimen Ort versteckt; und natürlich hatte Jack nichts außer seinem Gehalt genommen (was eigentlich unter die Rubrik 'sonstige Geldbeschaffung' hätte fallen können); aber das ist egal; und natürlich war das New Yorker Mädchen in Wirklichkeit mit einem Betonhaus-Bauunternehmer in der Bronx verlobt; und zwangsläufig endeten Jack und Helen in einem 'Halb-Nelson' [Nelson, eigentlich ein Nackenhebel beim Ringen, hier eine enge Umarmung] – und das wars.
Nachdem Hart und Cherry 'Mice Will Play' fehlerfrei hinbekommen hatten, machten sie eine Probeaufführung in einem Varietéhaus, wo sie unterkommen konnten. Der Sketch war ein echter Knaller. Es war einer dieser seltenen Momente von Talent, die ein Theater von oben bis unten in Aufregung bringen. Die Tribüne weinte, und die Orchestersitze, die für das Ereignis überzogen worden waren, schwammen in Tränen.
Nach der Show unterschrieben die Agenten Blankoschecks und drückten Hart und Cherry Füllfederhalter in die Hand. Fünfhundert Dollar pro Woche war die Summe, die sie bekamen.
An diesem Abend um 23.30 Uhr nahm Bob Hart seinen Hut ab und wünschte Cherry an der Tür ihrer Pension eine gute Nacht.
»Mr. Hart«, sagte sie nachdenklich, »kommen Sie nur ein paar Minuten herein. Wir haben jetzt die Chance, etwas Gutes zu tun und Geld zu verdienen. Wir wollen die Ausgaben um jeden Cent reduzieren und so viel wie möglich sparen, auch für uns beide.«
»Richtig«, sagte Bob. »Auch für mich ist das ein Geschäft.«
»Sie haben ihren Plan für die Bank, und ich träume jede Nacht von dem Bungalow mit dem japanischen Koch und niemandem, der Ärger macht. Alles, was die Nettoeinnahmen erhöht, wird meine Aufmerksamkeit erregen.«
»Kommen Sie doch ein paar Minuten herein«, wiederholte Cherry nachdenklich. »Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen, der unsere Ausgaben erheblich reduzieren und Ihnen helfen wird, ihre eigene Zukunft zu planen und gleichzeitig auch meine – und das alles nach geschäftlichen Grundsätzen.«
'Mice Will Play' lief in New York zehn Wochen lang mit großem Erfolg – ziemlich ordentlich für einen Varieté-Sketch – und ging dann auf Tournee. Ohne es weiter zu verfolgen, kann man sagen, dass es zwei Jahre lang eine solide Zugnummer war, ohne ein Zeichen nachlassender Popularität.
Sam Packard, Manager eines der New Yorker Häuser von Keetor, sagte über Hart & Cherry:
'Ein so harmonisches und gut gelauntes kleines Team wie es noch nie auf der Bühne stand. Es ist eine Freude, ihre Namen auf der Buchungsliste zu lesen. Ruhige, harte Arbeiter, kein Johnny- und Mabel-Unsinn [Beziehungsdrama mit tragischem Ausgang], auf die Minute genau bei der Sache, nach ihrem Auftritt direkt nach Hause, und jeder von ihnen so 'gentlemanlike' wie eine Dame. Ich glaube nicht, dass ich Attraktionen managen kann, die mir weniger Ärger machen oder mehr Respekt für den Beruf bieten.'
Und nun, nach so viel Herumstochern, hier der Kern der Geschichte:
Am Ende der zweiten Spielzeit kehrte 'Mice Will Play' nach New York zurück, um erneut in den Dachgärten und Sommertheatern zu laufen. Es gab nie Probleme, das Stück zu einem erstklassigen Preis unterzubringen. Bob Hart hatte seinen Bungalow so gut wie abbezahlt, und Cherry hatte so viele Sparbücher, dass sie begonnen hatte, dafür Bücherregale auf Ratenzahlung zu kaufen.
Ich erzähle Ihnen diese Dinge, um Ihnen zu versichern, auch wenn Sie es nicht glauben können, dass viele, sehr viele der Bühnenleute Arbeiter mit bleibendem Ehrgeiz sind – genauso wie der Mann, der Präsident werden will, oder der Lebensmittelverkäufer, der ein Haus in Flatbush will, oder eine Dame, die unbedingt aus der Pfanne eines Grafen in das Feuer eines Prinzen springen will. Und ich hoffe, dass ich sagen darf, ohne in den Spendentopf zu greifen, dass sie sich oft auf geheimnisvolle Weise bewegen, um ihre Wunder zu vollbringen.
Aber, hören Sie.
Bei der Uraufführung von 'Mice Will Play`' in New York im Westphalia Theatre (keine Anspielung auf Westfälischen Schinken) war Winona Cherry nervös. Als sie auf das Foto der Schönheit von der Ostküste auf dem Kaminsims schoss, durchschlug die Kugel nicht das Foto und traf dann die Scheibe, sondern die linke untere Seite von Bob Harts Hals. Da er nicht damit gerechnet hatte, dass sie ihn dort treffen würde, brach Hart regelrecht zusammen, während Cherry auf höchst kunstvolle Weise in Ohnmacht fiel.
Das Publikum, das dachte, dass es sich um eine Komödie und nicht um eine Tragödie handelte, in der die Hauptpersonen heiraten und sich versöhnen, applaudierte mit großem Vergnügen; der 'Kühle Kopf', der bei solchen Anlässen immer zugegen ist, ließ den Vorhang fallen, und zwei Mannschaftszüge von Kulissenschiebern entfernten Hart & Cherry mehr oder weniger respektvoll von der Bühne. Die nächste Runde ging weiter, und alles war so fröhlich, wie eine Glocke die Alimentenzahlungen ankündigt.
Die Bühnenarbeiter fanden am Bühneneingang einen jungen Arzt, der auf eine 'Patientin' mit einer Dekoration amerikanischer Beauty Rosen wartetet. Der Arzt untersuchte Hart sorgfältig und lachte herzhaft.
»Keine Schlagzeilen für dich, alter Sportsmann, lautete seine Diagnose. »Wenn es zwei Zentimeter weiter links gewesen wäre, hätte es die Halsschlagader bis zum Red Front Drug Store in Flatbush und wieder zurück spritzen lassen. So wie es aussieht, müssen Sie nur den Requisiteur bitten, es mit einem Stück Stoff zu verbinden, den er von einem der Valencienne-Spitzen der Mädchen abgerissen hat.«
»Gehen Sie dann nach Hause und lassen es von einem Arzt in Ihrem Viertel verbinden. Sie werden wieder gesund. Entschuldigen Sie mich; ich muss mich draußen um einen ernsten Fall kümmern.«
Danach blickte Bob Hart auf und fühlte sich besser. Und dann kam Vincente, der herumreisende Jongleur, ein Großer seiner Zunft, zu ihm. Vincente, ein feierlicher Mann aus Brattleboro, Vermont, und zu Hause Sam Griggs genannt, schickte aus jeder Stadt, in der er auftrat, Spielzeug und Ahornzucker an zwei kleine Töchter nach Hause. Vincente war auf denselben Strecken wie Hart & Cherry unterwegs und war ihr umherziehender Freund.
»Bob«, sagte Vincente in seiner ernsten Art, »ich bin froh, dass es nicht schlimmer ist. Die kleine Dame ist ganz verrückt nach dir.«
»Wer?«, fragte Hart.
»Cherry«, sagte der Gaukler. »Wir wussten nicht, wie schwer du verletzt warst, und haben sie ferngehalten. Es braucht den Manager und drei Mädchen, um sie festzuhalten.«
»Es war natürlich ein Unfall«, sagte Hart. »Cherry ist in Ordnung. Sie hat sich nicht gut gefühlt, sonst wäre ihr das nicht passiert. Es gibt keine bösen Gefühle. Es geht ihr nur ums Geschäft. Der Arzt sagt, dass ich in drei Tagen wieder einsatzbereit bin. Sie soll sich keine Sorgen machen.«
»Mann«, sagte Sam Griggs ernst und verzog sein altes, glattes, faltiges Gesicht, »bist du ein Schachautomat oder ein menschliches Nadelkissen? Cherry weint sich die Seele aus dem Leib – sie ruft jede Sekunde 'Bob, Bob', während sie ihre Hände festhalten und sie daran hindern, zu dir zu kommen.«
»Was ist denn mit ihr los?«, fragte Hart mit weit aufgerissenen Augen. »Der Sketch wird in drei Tagen weitergehen. Ich bin nicht schwer verletzt, sagt der Arzt. Sie wird nicht mehr als den Lohn einer halben Woche verlieren. Ich weiß, dass es ein Unfall war. Was ist denn mit ihr los?«
»Du scheinst blind zu sein, oder eine Art Narr«, sagte Vincente. »Das Mädchen liebt dich und ist fast wütend über deine Verletzung. Nein, was ist denn mit dir los? Ist sie nichts für dich? Ich wünschte, du könntest hören, wie sie nach dir ruft.«
»Sie liebt mich?«, fragte Bob Hart und erhob sich von dem Stapel der Kulissen, auf dem er lag. »Cherry liebt mich? Das ist doch unmöglich.«
»Ich wünschte, du könntest sie sehen und hören«, sagte Griggs.
»Aber, Mann«, sagte Bob Hart und setzte sich auf, »das ist unmöglich. Es ist unmöglich, das sage ich dir. So etwas hätte ich mir nie träumen lassen.«
»Kein Mensch«, sagte der Tramp Gaukler, »könnte es missverstehen. Sie ist wild vor Liebe zu dir. Wie konntest du nur so blind sein?«
»Aber, mein Gott«, sagte Bob Hart und stand auf, »es ist zu spät. Es ist zu spät, sage ich dir, Sam; es ist zu spät.«
»Es kann nicht sein. Du musst dich irren. Das ist unmöglich. Da liegt ein Irrtum vor.«
»Sie weint um dich«, sagte der herumreisende Gaukler. »Aus Liebe zu dir kämpft sie gegen drei und ruft deinen Namen so laut, dass sie sich nicht trauen, den Vorhang zu heben. Wach auf, Mann.«
»Aus Liebe zu mir?«, sagte Bob Hart mit starren Augen. »Habe ich dir nicht gesagt, dass es zu spät ist? Es ist zu spät, Mann – Cherry und ich sind doch schon seit zwei Jahren verheiratet!«
Eine Geschichte mit einer angehängten Moral ist wie der Schnabel einer Mücke. Sie langweilt dich und injiziert dir dann einen Stachel, der dein Gewissen reizt. Deshalb lasst uns zuerst die Moral betrachten und diese dann vergessen.
Es ist nicht alles Gold, was glänzt, aber es ist ein kluges Kind, das den Stöpsel auf seiner Flasche mit der Prüfsäure lässt.
Dort, wo der Broadway an der Ecke des Platzes vorbeiführt, über den 'George der Wahrhaftige' wacht [die George-Washington-Statue], liegt das 'Kleine Rialto' (Theaterviertel). Hier stehen die Schauspieler des Viertels, und das ist ihr Schibboleth [Erkennungszeichen]: 'Nit', sag ich zu Frohman, 'für eine Kopeke weniger als zwei fünfzig pro … kannst du mich nicht haben, und ich gehe hinaus.'
Westlich und südlich des 'Thespian-Glanzes' [Glanz der Schauspieler] gibt es ein oder zwei Straßen, in denen sich eine spanisch-amerikanische Kolonie für ein wenig tropische Wärme im stechenden Norden zusammengefunden hat. Das Zentrum des Lebens in diesem Viertel ist 'El Refugio', ein Café und Restaurant, das die flüchtigen Exilanten aus dem Süden beherbergt. Aus Chile, Bolivien, Kolumbien, den hügeligen Republiken Mittelamerikas und den zornigen Inseln Westindiens strömen die vermummten und sombrerotragenden Señores herbei, die durch die politischen Eruptionen in ihren Ländern wie brennende Lava verstreut worden sind.
Sie kommen hierher, um Gegenpläne zu schmieden, Zeit zu gewinnen, Geldmittel zu beschaffen, Mitstreiter anzuwerben, Waffen und Munition zu schmuggeln und das Spiel aus der Ferne zu betreiben. In 'El Refugio' finden sie die Atmosphäre, in der sie gedeihen.
Im Restaurant von 'El Refugio' werden Zusammenstellungen serviert, die dem Gaumen des Menschen sowohl im Sternzeichen Steinbock als auch Krebs [Sternzeichen mit gegensätzlichen Eigenschaften die sich aber dennoch anziehen sollen] schmeicheln.
Der Altruismus [Selbstlosigkeit] muss die Geschichte so lange unterbrechen. Auf du Dinierender, müde von den kulinarischen Täuschungen des gallischen Kochs, eile ins El Refugio! Nur dort findest du einen Fisch – Blaufisch, Maifisch oder Pompano aus dem Golf – der nach spanischer Art gebacken wurde.
Tomaten geben dem Gericht Farbe, Individualität und Seele; Chili Colorado verleiht ihm Schärfe, Originalität und Inbrunst. Unbekannte Kräuter verleihen ihm Würze und Geheimnis, und …
… aber seine Krönung verdient einen neuen Satz. Um ihn herum, über ihm, unter ihm, in seiner Nähe – aber niemals in ihm – schwebt eine ätherische Aura, ein Erguss, der so exklusiv und zart ist, dass nur die Gesellschaft für übernatürliche Forschung seinen Ursprung feststellen könnte.
Man kann es nicht anders nennen – man hat das Gefühl, als ob der Geist des Knoblauchs im Vorbeiflug einen Kuss auf die mit Petersilie gekrönte Schale geworfen hat, der so eindringlich ist, wie jene Küsse im Leben, die 'von einer hoffnungslosen Fantasie auf Lippen vorgetäuscht werden, die für andere bestimmt sind'.
Und dann, wenn Conchito, der Kellner, Ihnen einen Teller mit braunen Frijoles und eine Karaffe Wein bringt, die zwischen Porto und dem El Refugio nie stillgestanden hat – oh, Dio!
Eines Tages setzte ein hamburgisch-amerikanisches Linienschiff am Pier Nr. 55 General Perrico Ximenes Villablanca Falcon ab, einen Passagier aus Cartagena.
Der General hatte einen Teint zwischen einer Tonschicht und einem Braunen [Pferd], hatte eine Taille von 42 Zoll und war mit seinen Du Barry-Absätzen 1,60 m groß. Er hatte den Schnurrbart eines Schießbudenbesitzers, trug die volle Kleidung eines texanischen Kongressabgeordneten und hatte das wichtige Aussehen eines uninformierten Delegierten.
General Falcon hatte genug Englisch unter seinem Hut, um sich nach dem Weg zu der Straße zu erkundigen, in der das El Refugio lag. Als er dieses Viertel erreichte, sah er vor einem respektablen roten Backsteinhaus ein Schild mit der Aufschrift 'Hotel Español'. Im Fenster hing eine Karte in Spanisch: 'Aqui se habla Español' [hier spricht man Spnaisch]. Der General trat ein, in der Gewissheit, eine sympathische Unterbringung vorzufinden.
In dem gemütlichen Büro saß Mrs. O'Brien, die Eigentümerin. Sie hatte blondes – oh, unbestritten blondes Haar. Ansonsten war sie liebenswürdig und recht mollig.
General Falcon strich mit seinem großen, breitkrempigen Hut über den Boden und spuckte eine Menge Spanisch aus, wobei die Silben wie Feuerwerkskörper klangen, die sanft an der Schnur eines Bündels herunter knallten.
»Spanier oder Dago [Italiener]?«, fragte Mrs. O'Brien freundlich.
»Ich bin Kolumbianer, Madam«, sagte der General stolz. »Ich spreche die spanische Sprache. Die Anzeige in Ihrem Fenster sagt, dass hier Spanisch gesprochen wird. Was ist damit?«
»Nun, Sie haben es eben gesprochen, nicht wahr?«, sagte die Frau. »Ich bin aber sicher, dass ich es nicht kann.«
General Falcon nahm sich im Hotel Español ein Zimmer und richtete sich ein. Später, in der Abenddämmerung, schlenderte er durch die Straßen, um sich die Wunder dieser brüllenden Stadt des Nordens anzusehen.
Während er ging, dachte er an das wunderbare goldene Haar von Mrs. O'Brien. »Hier«, sagte der General zu sich selbst, zweifellos in seiner eigenen Sprache, »findet man die schönsten Señoras der Welt. Ich habe in meinem Kolumbien noch nie eine so schöne Frau gesehen. Aber nein, es ist nicht General Falcons Sache, an die Schönheit zu denken. Es ist mein Land, das meine Ergebenheit fordert.«
An der Ecke Broadway und Little Rialto wurde der General in das Getümmel hineingezogen. Die Straßenwagen verwirrten ihn, und der Kotflügel einer von ihnen schleuderte ihn gegen einen mit Orangen beladenen Schubkarren. Ein Taxifahrer verfehlte ihn mit einer Radnabe nur um Zentimeter und warf ihm barbarische Schimpfworte an den Kopf.
Er kletterte auf den Bürgersteig und hüpfte erschrocken weiter, als der Pfiff eines Erdnussrösters ihm einen heißen Schrei ins Ohr blies.
»Válgame Dios! [mein Gott!] Was für eine Teufelsstadt ist das?«
Als der General wie eine verwundete Schnepfe aus dem Luftstrom der Passanten heraus flatterte, wurde er gleichzeitig von zwei Jägern als Wild markiert.
Der eine war 'Bully' McGuire, dessen Sportart den Einsatz eines starken Arms und den Missbrauch eines acht Zoll langen Bleirohrs erforderte. Der andere Nimrod [Jäger] des Asphalts war 'Spider' Kelley, ein Sportsmann mit raffinierteren Methoden.
Als sie sich auf ihre offensichtliche Beute stürzten, war Mr. Kelley eine Spur schneller. Sein Ellbogen wehrte den Ansturm von Mr. McGuire präzise ab.
»G'wan!«, rief er barsch. »Ich habe es zuerst gesehen.«
McGuire schlich davon, ehrfürchtig vor der überlegenen Intelligenz.
»Verzeihen Sie«, sagte Mr. Kelley zum General, »Sie haben sich wohl in dem Durcheinander verheddert, nicht wahr? Lassen Sie mich Ihnen helfen.« Er hob den Hut des Generals auf und wischte den Staub von ihm.
Die Methoden von Mr. Kelley konnten nicht übertroffen werden. Der General, verwirrt und bestürzt durch die lärmenden Straßen, begrüßte seinen Retter als caballero [Gentleman] mit einem sehr uneigennützigen Herzen.
»Ich habe den Wunsch«, sagte der General, »in das Hotel von Mrs. O'Brien zurückzukehren, in dem ich übernachte. Caramba! Señor, in der Stadt 'Nueva York' herrscht ein lautes und schnelles Kommen und Gehen.«
Mr. Kelleys Höflichkeit ließ es nicht zu, dass der ranghohe Kolumbianer die Gefahren der Rückkehr ohne Begleitung auf sich nahm.
An der Tür des Hotels Español hielten sie inne. Etwas weiter unten, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, leuchtete das bescheidene Leuchtschild von El Refugio. Mr. Kelley, dem nur wenige Straßen unbekannt waren, kannte das Lokal von außen als 'Dago-Lokal' [Italiener-Lokal]. Mr. Kelley ordnete alle Ausländer unter den beiden Begriffen 'Dagos' und Franzosen ein. Er schlug dem General vor, sich dorthin zu begeben und seine Bekanntschaft mit einer flüssigen Grundlage zu untermauern.
Eine Stunde später saßen General Falcon und Mr. Kelley an einem Tisch in der konspirativen Ecke des El Refugio.
Flaschen und Gläser standen zwischen ihnen. Zum zehnten Mal vertraute der General den Estados Unidos [Vereinigte Staaten] das Geheimnis seiner Mission an. Er sei hier, um Waffen für die kolumbianischen Revolutionäre zu kaufen – 2.000 Stück Winchester-Gewehre. In seiner Tasche hatte er einen von der Bank von Cartagena auf ihren New Yorker Korrespondenten gezogene Wechsel über insgesamt 25.000 Dollar [so billig waren die nicht, aber egal].
An anderen Tischen riefen andere Revolutionäre ihren Mitstreitern ihre politischen Geheimnisse zu, aber keiner war so laut wie der General. Er schlug auf den Tisch, schrie nach Wein und brüllte seinem Freund zu, dass sein Auftrag geheim sei und keiner Menschenseele angedeutet werden dürfe. Mr. Kelley selbst wurde zu mitfühlender Begeisterung angeregt. Er ergriff die Hand des Generals über den Tisch hinweg.
»Monseer« [Monsieur], sagte er ernsthaft, »ich weiß nicht, wo Ihr Land ist, aber ich bin dafür. Es muss wohl ein Zweig der Vereinigten Staaten sein, denn die Dichter und die Schulmädchen nennen uns auch manchmal Columbia. Sie haben Glück, dass Sie heute Abend in mich hineingeraten sind. Ich bin der Einzige in New York, der diesen Waffendeal für Sie durchsetzen kann. Der Kriegsminister der Vereinigten Staaten ist mein bester Freund. Er ist gerade in der Stadt, und ich werde ihn morgen für Sie aufsuchen.«
»In der Zwischenzeit, Monseer, stecken Sie die Wechsel in Ihre Innentasche. Ich hole Sie morgen ab und bringe Sie zu ihm. Sagen Sie, das ist doch nicht etwa der District of Columbia?« [die Hauptstadt Washington D. C., die ein eigener Distrikt ist], den Sie meinen, schloss Mr. Kelley mit einem plötzlichen Unbehagen. »Den kann man selbst mit 2.000 Kanonen nicht einnehmen – man hat es schon mit mehr versucht.«
»Nein, nein, nein!«, rief der General aus. »Es ist die Republik Kolumbien – es ist eine g-r-große Republik auf der oberen Seite Amerikas im Süden. Ja. Ja.«
»In Ordnung«, sagte Mr. Kelley beruhigt. »Lassen Sie uns nach Hause wandern und uns verabschieden. Ich werde heute Abend an den Minister schreiben und einen Termin mit ihm vereinbaren. Es ist eine heikle Aufgabe, Waffen aus New York herauszubringen. Selbst ein Mr. McClusky [George W. McClusky, hochrangigerer Polizeioffizier in New York] schafft das nicht.«
Sie trennten sich an der Tür des Hotels Español. Der General rollte mit den Augen zum Mond gerichtet und seufzte.
»Es ist ein großartiges Land, euer Nueva York«, sagte er. »Wahrhaftig, die Autos in den Straßen vernichten einen, und die Maschine, die die Nüsse kocht, macht ein furchtbares Quietschen im Ohr. Aber, ach, Señor Kelley – die Señoras mit dem goldenen Haar und der bewundernswerten Fettigkeit - sie sind magnificas! Muy magnificas!«
Kelley ging zur nächsten Telefonzelle und rief in McCrary's Café an, weit oben auf dem Broadway. Er fragte nach Jimmy Dunn.
»Ist das Jimmy Dunn?«, fragte Kelley.
»Ja«, kam die Antwort.
»Du bist ein Lügner«, rief Kelley freudig zurück. »Du bist der Kriegsminister. Warte dort, bis ich hochkomme. Ich habe hier unten die tollste Sache von einem Fisch, auf den du je deine Angel ausgeworfen hast. Es ist eine Colorado-Maduro [teure Zigarre], mit einem goldenen Band drumherum und Gutscheinen, die ausreichen, um eine rote Flurlampe und eine Statuette von Psyche zu kaufen, die sich im Bach windet. Ich bin mit dem nächsten Wagen da.«
Jimmy Dunn war ein echter Mann des Gaunertums. Er war ein Künstler im Bereich der Hochstapelei. Er hatte noch nie in seinem Leben einen Knüppel in der Hand und verachtete K. O.-Tropfen. In der Tat hätte er seinem Opfer nichts anderes als den reinsten Drink vorgesetzt, wenn es möglich gewesen wäre, so etwas in New York zu bekommen. 'Spider' Kelley hatte den Ehrgeiz, sich in Jimmys Klasse zu erheben.
Die beiden Herren hielten an diesem Abend eine Konferenz im McCrary's ab. Kelley erklärte: