4,99 €
Diese Erzählung, Teil 1 von 2, beinhaltet die wissenschaftlichen Aufzeichnungen seiner Reise von Santiago nach Valparaiso mit meteorologischen, botanischen, zoologischen und ethnographischen Details. Dabei berichtet er von seiner Abfahrt von Hamburg bis zu seiner Ankunft in Chile.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 291
Herausgeber
Erik Schreiber
Windrose 13
Reiseerzählungen
Dr. Freiherr Ernst von Bibra
Reise in Südamerika
1
Saphir im Stahl
Reiserzählungen 13
e-book 208
Dr. Freiherr Ernst von Bibra. - Reise in Südamerika 1
Erstveröffentlichung: 1854
Erscheinungstermin 01.11.2023
© Saphir im Stahl Verlag
Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
www.saphir-im-stahl.de
Titelbild: Archiv Andromeda / Frederic Greve
Lektorat Peter Heller
Vertrieb neobook
Herausgeber
Erik Schreiber
Windrose 13
Reiseerzählungen
Dr. Freiherr Ernst von Bibra
Reise in Südamerika
1
Saphir im Stahl
Inhalt.
I. Vom Hause bis zur See
II. Fahrt nach Rio Janeiro
III. Rio de Janeiro
IV. Die Fahrt um Kap Horn nach Chile
V. Valparaiso (Chile)VI. Reise nach Santjago (Chile)
VII. Santjago (Chile)
Biographie
I.
Vom Hause bis zur See.
Im April 1849 verließ ich Nürnberg. Schwer und hart war der Abschied von den Meinen. Hatte doch mein ältester Junge lange Zeit vor meiner Abreise halbe Nächte durchweint im Gedanken an meine Fahrt, und bei Tage sich heiter geberdet um mich nicht zu betrüben. Das war der Typus meines Abschieds überhaupt.
So ging ich aus dem Hause, hinaus in einen kalten und unheimlichen Morgen und vom alten, ehemals weltberühmten Fembo'schen Landkartenhause an, um die halbe Welt bis wieder zurück nach Hamburg, hat mich die Idee nicht verlassen, daß ich die Kinder nicht mehr lebend anträfe. Glücklicher Weise waren meine Ahnungen falsch. Diese wenigstens.
Wir kamen spät des Abends in Leipzig an und fuhren des andern Tages nach Bremen. Man reis't schnell heut zu Tage, doch glaube ich noch schneller diese Reise von Nürnberg nach Bremen beschrieben zu haben. Nur muß ich noch beifügen, daß mich zwei Landsleute begleiteten, W. aus Nürnberg und M. aus Erlangen.
In Bremen stiegen wir im Victoria-Hotel ab. Ich werde auch von jenem Aufenthalte nur Weniges berichten. Die fast fieberhafte Aufregung, die sich meiner bemächtigt hatte, ließ mich nur flüchtig beobachten. Doch sah ich mit Belehrung das Museum und den Dom, und nahm so allegorischen Abschied von deutscher Wissenschaft und Kunst. Eine Notiz über Pyrosoma atlantica und über Fulgurit waren die letzten dahin bezüglichen Bemerkungen in meinem Tagebuch, Taufstein und Schloßverzierungen im Dom die ersten Skizzen in meiner Zeichenmappe. Im Rathhause sind einige gute Holzschnitzereien. Classischer aber ist, was unter dem Rathhause. Hauf hat einen romantischen Schleier über jene Räume gezogen, welche des Guten viel enthalten und in welchen man leicht des Guten zu viel thut. Aber unter den Geistern des Weins fehlten nicht selten die Schauer des Todes. Ein Freund meiner Jugend hatte ein unglückliches Ende genommen vor nicht langer Zeit, an der Stelle, wo ich zechend saß, und solches erfuhr ich eben dort und durch Zufall. Ich hatte Jahre lang nichts von ihm gehört und ihn mir in glücklicher Stellung gedacht.
Es wurden in Bremen die noch nöthigen Einkäufe gemacht und zugleich der Rheder besucht. Es wird sich Letzterer wohl schwerlich mehr meiner erinnern, denn Waarenballen, Menschen d. h. Passagiere, und solche werden doch theilweise immer auch ein wenig als Menschen betrachtet, Fässer, Taue, Zwiebackkisten und Aehnliches wurden dort mit gleicher Hast expedirt. Auf mich aber machte jenes ganze Thun und Treiben einen widerlichen Eindruck.
Endlich erhielten wir die Nachricht, das Schiff liege fertig bei Brake und könne in einigen Tagen in See gehen. Es wurde Abschied genommen von Bremen und auf dem Fluß-Dampfer nach jenem Neste gefahren. Unser Kapitain machte die Fahrt mit uns. Wir hatten ihn indessen schon früher kennen gelernt im Rathskeller, aber dort so wie hier war noch keine Gelegenheit einen Kapitain im eigentlichen Sinne des Worts kennen zu lernen. Erst am Bord seines Schiffes traten die unerläßlichen Untugenden seines Standes hervor. Am Lande ist das Verhältniß Brautstand-artig. Ehestandlich am Bord, sehr stark ehestandlich, flitterwochenlos. Ich komme später auf Kapitain H.....dorf zurück, und auf das gegenseitige Verhältniß zwischen Kapitain und Passagieren überhaupt.
Die Gegend um Brake hatte auf mich einen niederdrückenden Eindruck gemacht. Einen noch langweiligeren aber die Bevölkerung des Fleckens. Freilich kamen wir nur mit den Wirthen des Orts und einigen Krämern in Berührung, deren Unart und Dünkel theilweise dadurch entschuldigt werden mag, daß sie fast einzig mit Auswanderern in Berührung kommen. Mir scheint als trete da eine schlimme Seite der Menschennatur so recht in's wahre Licht. Die fast sichere Aussicht liegt vor, daß sich Wirth und Gäste nie mehr sehen, und so geht man rücksichtslos zu Werke. Alle Prellereien, anderwärts mit obligater Artigkeit ausgeführt, werden hier grob und ohne Maske vorgenommen. Man hat es doch nur mit Gesindel zu thun, und ob erst drüben oder schon hier im alten deutschen Vaterlande diese Parias beraubt werden, -- was liegt daran? Auf der andern Seite paßt leider die Benennung Gesindel nicht selten auf jene auswandernden Massen.
Wir, die zukünftigen Passagiere der Brigg Reform, fanden uns allmälig in Brake zusammen, und schon der Augenschein gab, daß die neue Genossenschaft aus besseren Elementen bestand, als gewöhnlich. Die achtzehn Passagiere der Kajüte gehörten alle den gebildeten Ständen an, und solches war auch theilweise, fast in überwiegender Mehrzahl, bei jenen des Zwischendeckes der Fall. Bei allen aber schien durchzuleuchten, daß man sich nicht in Rohheit gefallen wolle.
Jugendlicher Uebermuth freilich fehlte nicht, und abenteuerlich genug waren wohl Tracht und Waffen der Mehrzahl.
Mancherlei kurze Schwerter hingen da an den Hüften; Büchsen und Doppelflinten waren in jeder Hand; während Dolch und Pistolen (oft von bedrohlicher Construction) halb versteckt, Gefährliches ahnen ließen. Den grauen, jetzt (1854) stark anrüchigen Hut schmückte die rothe Feder. Ach, es hat sich mancher gemausert auf jener Reise!
Gemeinsamer Genuß von faulem Wasser und perpetuirlichem Salzfleisch vereinigen auf merkwürdige Weise politische Meinungen, und wirken nicht günstig auf den erwähnten Federschmuck.
Ich habe dort die Stimmungen studirt, die sich bei den Auswanderern kund gaben und nicht selten die Mühe, die man anwendete, sie zu verbergen. Unter der Maske der Heiterkeit mag doch wohl manches Herz krampfhaft geschlagen haben, denn Keiner, im weitesten Sinne des Worts, Keiner kann sein Vaterland gleichgültig, leichten Herzens für immer verlassen. Freilich ist der Begriff des Wortes Vaterland individuell. Ich habe einen jungen Mann gekannt, und er machte die Reise mit uns, welcher den wöchentlichen Küchenzettel seines väterlichen Hauses als sein Vaterland betrachtete. Das heißt, der Begriff Heimath war bei jenem identisch mit heimischer Speise und Trank. Familie und Freunde sind einem andern, Gesetz und Sitte einem dritten das, woran er hängt, was er schwer verläßt, wonach er sich sehnt in der Ferne, was er unbewußt Vaterland nennt.
Der ganze Geist des Volkes, dem man angehört, sein errungenes Wissen, die Schöpfungen seines Kunstsinnes, die Fortschritte seiner Technik, ist wieder einem andern das Vaterland. Die altera natura, die Gewohnheit, die langjährige, die von der Wiege an unsere Begleiterin war, gießt ihren Zauber aus über all das Genannte, vom Pflaumenmuße an, welches alle Sonnabende im heimlichen Familienkreise genossen wird, bis zu den höchsten Errungenschaften der Wissenschaft, Kunst und Gesittung. --
Aber daß man alles das was lieb und theuer durch Gemüthes-, Verstands- und Gewohnheits-Bande, ungern verläßt, wollte dort in Brake mancher nicht Wort haben, und das perfide »ubi bene ibi patria« wurde nicht selten gehört, wenn wohl bisweilen mit krankem Herzen gesungen.
Auch ich verließ viel des Lieben und Theuern, aber ich wußte, daß ich zurückkehren würde, so hatte ich gut beobachten.
Nach einigen Tagen Aufenthalt in Brake wurden uns endlich die Pforten des Paradieses geöffnet. Wir durften an Bord, von unseren Kojen Besitz nehmen, uns einrichten. In einigen Tagen sollte die Reise beginnen. Mancher fand sich ohne Zweifel da bitter enttäuscht. Man hatte sich Kajüten gedacht mit spiegelhellen Fenstern und erhebender Aussicht auf die »dunkelblauen Wogen.«
Diese Kajüte hatte ohne Zweifel blank gebohnte Wände irgend eines fremdländischen Holzes, diese Wände waren vielleicht eingefaßt mit polirtem Messing, dem Golde ähnlich. Eine Hängematte wiegte sich in dem behaglichen Raume, den eine Cigarre aus der Havanna durchwürzte. --
Als wir mit einiger Beschwerlichkeit an Bord geklettert waren und uns durch ein Chaos von Kisten, Koffern, Ballen, Tonnen und Aehnlichem gewunden hatten, fanden wir etwa folgende Einrichtung: Ein schmaler Gang führte vom Deck aus gegen das Steuer zu, zur Kajüte des Kapitains, und links von diesem Gange eine Oeffnung zu einer leiterartigen, vom Zimmermann zugehauenen Treppe, auf welcher man in die Passagier-Kajüte hinabstieg, nach Umständen auch fiel.
Nun befand man sich in einem Raume der kaum fünf Schritte breit war. Die Wände dieses Raums, der Kajüte, waren aus Brettern zusammengenagelt, mit einer sicher beispiellos billigen Tapete beklebt und mit acht weiteren Oeffnungen versehen, durch welche man in die Kojen gelangte. Das Licht in der Kajüte wurde eingelassen durch ein Loch in der Decke, das sogenannte Skylight, von etwa 4 Fuß Durchmesser.
Die Kojen, die hölzernen an den Wänden des Schiffes unmittelbar befestigten Schlafstellen, hatten einen kleinen Vorraum, in welchem ein mäßiger Koffer Raum fand, und ein Mann sich aus- und ankleiden konnte, und dieser Raum war durch einen Kattun-Vorhang von der gemeinsamen Kajüte getrennt. In sechs dieser kleinen Räume waren je zwei Schlafstellen, eine oberhalb der andern angebracht. In zwei weiteren, davon eine ich bezog, vier Schlafstellen, auf jeder Seite zwei. In Mitte der gemeinschaftlichen Kajüte war ein, fast die ganze Länge derselben ausfüllender Tisch von rauhem Holze befestigt, anfänglich von Feldstühlen umstellt, von etwas zerbrechlicher Construktion, später von zwei festgenagelten langen Bänken. Die dem Vordertheile des Schiffes zugewendete Seite enthielt eine Art Wandschrank, in welchem anfänglich die Gläser aufbewahrt wurden, deren Zahl aber bald bis auf zwei oder drei geschmolzen war. Das vis à vis dieses Schrankes bildete ein Sopha auf welchem vier Personen Platz hatten, und welches gewöhnlich von sechsen besetzt war. Solches war die Kajüten-Herrlichkeit der Reform. Das Zwischendeck war von unserer Kajüte nur durch eine Bretterwand geschieden. Von einer eigentlichen Kajüte war hienach keine Rede. Die Reform war ursprünglich nicht zum Passagier-Schiff bestimmt, sondern zum Waaren-Transport; da sie jetzt Menschen nach Kalifornien bringen sollte, wurde das Zwischendeck durch eine Wand getrennt und die Abtheilung für die, welche etwas mehr bezahlt hatten, mit Papier beklebt. Im Uebrigen war der Raum sowohl uns als den Passagieren des sogenannten Zwischendeckes im Verhältniß der Menschen-Anzahl gleich zugemessen, denn jene, etwa fünfzig an der Zahl, konnten sich ebenfalls kaum rühren.
Wenn man zu diesen Entdeckungen, die vorläufig keine sehr behagliche Fahrt versprachen, das Drängen und Treiben, die Unruhe und Hast des Augenblicks nahm, so war der erste Eindruck, den die Reform hervorbrachte, kein angenehmer zu nennen.
Ich habe dort eine Reminiscenz aus meiner Jugendzeit empfunden, und das zwar an den ersten Tag, welchen ich im Erziehungsinstitute zu Neuberg an der Donau zubrachte. Auch in gastronomischer Beziehung fand ich später mancherlei Aehnlichkeit.
Nach zwei Tagen der Unruhen und Plackereien aller Art, als wir endlich auf dem Punkte waren, so ziemlich eingerichtet zu sein, kam eine Art Supercargo, geschickt vom Rheder, um eine Revision unseres Gepäckes abzuhalten. Neue Scheererei. Ich war dort auf dem Punkte meinen ganzen Vorrath von Rothwein und englischem Biere, welchen ich für die Reise gekauft hatte, in die Weser werfen zu lassen. Der Rheder hatte mir zugesagt, ich hätte für mitzunehmende Victualien und Gepäck Nichts zu zahlen. Mußten doch W. und ich ohnehin schon jeder fünfzig Thaler mehr Passage zahlen, als die andern Passagiere der Kajüte! Der Supercargo forderte jetzt für die freilich ziemlich voluminös verpackten Flaschen dreißig und etliche Thaler Fracht. Ich berief mich auf das mir gegebene Wort. Man verlangte Schriftliches. Als die Sache anfing unangenehm zu werden, bat mich W., ihm das Ordnen der Angelegenheit zu überlassen. Ich willigte ein und kam mit zehn Thalern davon.
Auch der Supercargo hatte endlich die Reform verlassen. Unsere Einrichtungen waren ziemlich beendet, das heißt, es hatte jeder so viel seines Gepäckes als möglich in den ohnehin engen Raum der Kajüte gestaut, man hatte sich in den Kojen ausgetheilt und jeder hatte sich gekleidet wie er es eben passend und wohlanständig hielt. Schon jetzt aber begann die eigenthümliche, indessen großentheils nothwendige Geheimnißkrämerei in Betreff der Unternehmungen des Kapitains, welche wohl auf jedem Passagierschiff herrscht. Niemand wußte etwas Sicheres über die Abfahrt. Dumpfe Gerüchte verbreiteten sich unter den Passagieren, man werde noch am Abend einige Stunden abwärts treiben. Indessen nichts Gewisses. Endlich -- gegen Abend -- wurden die Anker gelichtet und wir fingen an langsam abwärts auf der Weser zu treiben.
II.
Fahrt nach Rio Janeiro.
Der großartige erste Eindruck des Anblicks der See geht unbedingt verloren bei der Abfahrt von Bremen. Man treibt abwärts auf der Weser, man sieht stets die beiden Ufer des Flusses, der, wenn gleich ziemlich breit, doch immer noch Fluß ist. Aber allmälig ziehen sich die Ufer zurück, man sieht Bremerhaven, und ist dann auf einmal in die See gekommen, ohne zu wissen, wie.
Ueberhaupt kommt bei der Abfahrt von Bremen oder Hamburg noch hinzu, daß man den Kanal zu durchschiffen hat. Auch der Abschied vom alten Europa wirkt nicht plötzlich ein. Allenthalben noch ein Fleckchen Land, bald Frankreich, bald England.
Ein anderes ist es, wenn der Reisende das Festland von einem Hafen aus verläßt, der sogleich in die See führt. Dort fällt das Große, das Unendliche der Erscheinung plötzlich und massenhaft in's Auge, und Land so wie See erscheint, gegenseitig sich zur Folie dienend, gleich großartig. Solches war bei allen Häfen von Südamerika der Fall, welche ich besuchte. Hat man aber auch die See schon befahren und ist an das Imposante des Anblicks gewöhnt, so macht das unerwartete Hervortreten desselben stets einen überraschenden und in der That unvergeßlichen Eindruck.
So kletterte ich eines Nachmittags durch einige waldige Schluchten unweit Valparaiso, bestieg endlich einige steile Gehäge und glaubte, vermöge meiner jenes Mal noch mangelnden Ortskenntniß, jenseits des erstiegenen Berges in ein ausgedehntes waldiges Thal zu kommen, in welchem ich Colibri wußte, die ich jagen wollte. Aber ich war irre gegangen, und stand nach Ersteigung des Berges an einem steilen Abhange, der den ganzen unbeschränkten Anblick der See gestattete. Dort wußte ich einige Augenblicke lang nicht wie mir geschah, denn wo ich mir grünes, bebuschtes Thal gedacht, lag plötzlich eine endlose Fläche des feurigsten Ultramarin vor mir, klar, hell, glänzend in südlicher Sonne, nebelfrei und spiegelglatt, mit kaum zu bezeichnender Gränze gegen den Himmel, der, wolkenlos, mit der See an Farbenpracht wetteiferte.
Auf hoher See selbst, ohne Blick auf irgend eine Küste, verliert nach meiner individuellen Ansicht wenigstens die Größe des Eindrucks bedeutend.
Ich habe nicht selten Augenblicke gehabt, in welchem mir die Entfernung von Bord aus bis an die sichtbare Gränze der See gegen den Horizont wirklich lächerlich nahe erschien, eine Flintenschuß-Weite etwa. Man glaubt auf einer Scheibe zu stehen, deren Mittelpunkt das Schiff ist. Nicht ich allein erhielt diesen Eindruck, es theilten ihn viele der anderen Passagiere. Aber schon ein schwimmender Vogel zerstört jene unangenehme Täuschung großentheils und ein Segel, welches am Horizonte auftaucht, oder eine ferne Küste stellt den Begriff mächtiger Fernsicht wieder her. --
Nach diesen Abschweifungen über den ersten Anblick der See, kehre ich auf die nicht sehr klaren Wogen der Weser zurück und beeile mich, die welche den Muth haben (figürlich gesprochen, ich meine den Muth die Langeweile zu bekämpfen) mir auf meiner Reise zu folgen, -- ich beeile mich, sage ich, sie von der Weser auf den Kanal, und auch von dort wo möglich baldigst auf hohe See zu bringen.
Ich folge hier einfach den Eindrücken, wie ich sie empfunden, denn Merkwürdiges oder Neues wenigstens ist nicht zu berichten von einer durchschifften Strecke, die schon vielfach beschrieben worden. --
Uns aber, den Passagieren der Reform, war mancherlei fremd, ungesehen wenigstens, wenn gleich schon öfters gehört, gelesen. Unsere erste Fahrt auf der Weser dauerte einige Stunden, dann wurden bei einbrechender Nacht die Anker geworfen. Des anderen Tages schlechter Wind, das heißt, gar keiner, und langsames Treiben auf dem Flusse einem Holzfloße ähnlich. Enten und Möven schwärmten um das Schiff, ich schoß einige derselben, aber wir konnten ihrer nicht habhaft werden.
Endlich wieder bessern Wind; wir sahen Bremerhaven und kamen am 28. April in die Nordsee. Wangerooge wurde uns gezeigt, und auf eine Zeit lang entschwand Europa unseren Blicken.
Auf der Nordsee sah ich die ersten Quallen. Manche derselben wurden gefangen und von mir gezeichnet. Zu wenig aber bewandert in diesem Zweige der Zoologie, darf ich nicht hoffen, Neues den Männern vom Fach bieten zu können, und so mögen jene auf der Reise gesammelten, ziemlich zahlreichen Skizzen in meiner Mappe bleiben, einfach zur Erinnerung für mich allein.
Indessen werde ich später Gelegenheit haben auf diese eigenthümlichen Geschöpfe zurückzukommen und einige Notizen über sie meinen Lesern vorzuführen. Ich war zu jener Zeit nach einigen Tagen des Zusammenlebens schon als »der Naturforscher an Bord« von den Genossen anerkannt worden, und freundlich wurde mir Alles dahin Bezügliche eingehändigt, dessen man habhaft werden konnte.
Hier kann ich nicht umhin einige Worte zur näheren Bezeichnung meiner Reisegefährten einfließen zu lassen, und es gereicht mir, der ich stets lieber gelobt als getadelt habe, zu großer Befriedigung, der Wahrheit getreu, hier nur Freundliches berichten zu dürfen. Die Passagiere der Kajüte waren meist junge Kaufleute, welche in Kalifornien ihr Glück zu machen hofften. Einige gehörten auch, wie ich glaube, keinem besonderen Stande an, und durften einfach als die Söhne ihrer Väter betrachtet werden. Ein älterer Herr, ebenfalls Kajüten-Passagier, hatte früher in preußischen Diensten gestanden und wurde Lieutenant genannt. Ich habe während des viermonatlichen Zusammenlebens mit diesen Leuten fast nie einen Zank oder Streit gehört und kleine Mißhelligkeiten, unvermeidlich auf dem engen uns zugemessenen Raume, blieben stets in den Gränzen des Anstandes. Ein Fall von momentaner Tobsucht, hervorgerufen durch ungewohnten Genuß von Spirituosen kann nicht wohl als Ausnahme betrachtet werden. Ich erwähne dessen vielleicht später. Daß indessen kleine Neckereien mit unterliefen, läßt sich denken, und fast wollte es in der ersten Zeit der Fahrt scheinen, als solle ein oder das andere Individuum zur ständigen Zielscheibe erwählt werden. Ich glaube einigen Theil zu haben, daß dieß nicht wirklich geschah.
Was das Benehmen der Genossen gegen mich betraf, so muß ich wiederholen, daß solches das freundlichste gewesen, und mit dankbarer Anerkennung darf ich aussprechen, daß meine naturwissenschaftlichen Bestrebungen den lebhaftesten Anklang, und wo immer möglich, Hülfe und Beistand erfuhren. Was auch zu fischen und zu haschen war auf der See, brachte man mir, leistete hülfreiche Hand beim Präpariren und Zeichnen, und überließ mir willig den halben Raum der Kajüte zum Lesen und Schreiben. Aber auch in anderen Beziehungen war man gefällig, freundlich und zuvorkommend gegen mich, ich habe nie mit irgend einem der Genossen einen Aerger gehabt, ja ich erinnere mich keines Zwistes.
Das Benehmen der Zwischendeck-Passagiere gegen mich war dasselbe wie das der Kajüten-Passagiere, und ich muß einfach das dort Gesagte wiederholen. Indessen kamen im Zwischendecke wohl einigemal Streitigkeiten vor, doch selten und bald geschlichtet. Da Leute von ziemlich verschiedener Bildung, wohl auch Ansicht und Leidenschaft, dort zusammen leben mußten, und bei noch beengterem Raume als in der Kajüte, waren dort Zwiste wohl unvermeidlich. Indessen waren mehrere recht liebenswürdige Leute im Zwischendecke und ich erwähne als einer auffallenden und angenehmen Erscheinung eines Franzosen, der früher in Algier gefochten hatte und nun im Goldlande sein Glück verfolgen wollte. Ein feiner und gebildeter Mann, der ernst in's Leben schaute, aber dabei, so viel es nur immer thunlich, die Sorgfalt seiner Toilette nicht versäumte. Ich glaube, er war der einzige Passagier der Reform, der sich wöchentlich mehrmal rasirte. Er war offenbar aus guter Familie. Was hatte ihn nach Algier, was nach Kalifornien getrieben? Man wußte es nicht, denn solche Fragen werden nie an Bord gestellt und noch weniger in überseeischen Ländern selbst gethan. Häkchen oder Haken hat es da wohl nicht selten und so mag dort der alte Mantel christlicher Liebe in die gefällige Form moderner Weltanschauung gebracht, gegenseitig ersprießliche Dienste leisten.
Auch musikalische Talente fehlten nicht im Zwischendecke, und wurden mit mehr oder minderem Erfolge anerkannt. Noch muß ich eines Pudels errwähnen, intelligent wie alle seiner Race und vielfach erfahren in hündischen Künsten. Er unterhielt nicht selten die ganze Genossenschaft, hätte aber später fast zu einer Tragödie Anlaß gegeben.
Zu den 18 Passagieren der Kajüte und den etlichen vierzig im Zwischendecke kommen noch zwei weitere Passagiere, die in der oberen Kajüte des Kapitains Platz gefunden hatten. Der Schiffsarzt und seine Frau hatten eine kleine Koje ohnweit der Kapitains-Kajüte inne.
Ich kann nicht wohl dem freundlichen Leser meine Reise und Begebnisse erzählen, ohne daß ich ihnen eben die erhaltenen Eindrücke vorführe, wie sie sich mir einprägten. Werde ich auch häufig den Ort anzugeben genöthigt sein, so mag doch die Tagbuchform nur im Nothfalle zu Hülfe genommen werden. So melde ich denn jetzt, daß wir am 28. April gegen Mittag in den Kanal einfuhren. Wir hatten abwechselnd gutes und schlechtes Wetter, das heißt frischen Wind oder flauen, wie nämlich die Seeleute das Wetter betrachten, nach unseren Begriffen wurde ein kalter Regen, der häufig fiel, auch zum schlechten Wetter gerechnet.
Am 2. Mai hatten wir den Kanal passirt. Die Fahrt durch den Kanal ist mannichfach geschildert worden, und ich will die Freunde und mich nicht damit ermüden, Dinge zu wiederholen, die wohl besser beschrieben worden sind, als ich es vermöchte, nach den flüchtigen Skizzen in Zeichenmappe und Tagebuch. Daß der Kanal belebt ist, was man in diesem Sinne belebt nennt, nämlich mit Hunderten von Fahrzeugen bedeckt, weiß jedermann und auch wir sahen Schiffe jeder Art in Nähe und Ferne. Ohnweit Dover, welches ich der Nähe halber erträglich zeichnen konnte, kamen Fischer an Bord, weniger in der Absicht Fische an uns zu verkaufen, als Briefe nach Europa von uns, gegen eine Vergütung, zu befördern. Ich weiß nicht, ob sie Geschäfte machten, und kann mich nur erinnern, daß ich in einem Anfalle von Sparsamkeits-Laune ihre Forderung zu hoch fand, und keinen Brief nach Hause sendete, was ich später bereute.
Quallen und allerlei anderes Seegethier wurde auch während der Fahrt durch den Kanal häufig aufgefischt und mir überbracht. Aber auch Landbewohner kamen an Bord; Sperlinge nämlich und ein finkenähnlicher Vogel. Sie verließen uns wieder, nachdem sie im Tauwerk sich hinlänglich ausgeruht.
An der Stelle des Kanals, von welcher man die französische und englische Küste zugleich in Sicht hat, hing sich endlich das Gespinnst von Tetragnatha extensa an Taue und Segel. Da ich bescheidene Zweifel hege, daß alle meine freundlichen Leser genau wissen, wer oder was Tetragnatha extensa ist, so nehme ich mir die Freiheit zu bemerken, daß es die Spinne ist, deren fliegendes Gewebe man Sommerfäden, oder alten Weibersommer nennt. Da wir Seitenwind von der englischen Küste her hatten und mithin die Fäden ohne Zweifel in England gesponnen worden waren, so nahm ich Gelegenheit den Reisegefährten zu erzählen, daß ein Engländer Chaucer im 14. Jahrhundert zuerst der Sommerfäden Erwähnung thut, und sie in einem Gedichte besang.
Man bewunderte meine Gelehrsamkeit und einige Stunden darauf eben so die Virtuosität, welche ich in der Konsumtion von Portwein an den Tag legte. Zu jener anfänglichen Zeit der Reise bestand zwischen dem Kapitain und den Reisenden noch ein freundliches Vernehmen, und ersterer hatte mehrere von uns eingeladen mit ihm ein Glas Wein in seiner Kajüte zu trinken. Es blieb nicht bei einem Glase, und mancher wurde todtenähnlich vom Schlachtfelde gebracht. Dort habe ich Süddeutschland glänzend vertreten.
Aber während ich mannichfacher Besuche erwähnte, die wir von See und Land aus erhielten, habe ich noch mit keiner Sylbe von jenem schlimmsten Gaste gesprochen, der dem beginnenden Seefahrer schon am Lande Angst und Schrecken einjagt, auf der See aber directe Verzweiflung bringt. Jedermann weiß, daß ich die Seekrankheit meine. -- Schon auf der Weser wurde einigen der Passagiere übel zu Muthe. Als wir in die Nordsee eingelaufen waren, war der größte Theil derselben seekrank. Aber während bei einigen das Unwohlsein kaum einige Tage dauerte, und dann selbst beim stärksten Sturme später nicht wiederkehrte, hatten andere während der ganzen Reise zu kämpfen, und waren nur bei vollständiger Windstille verschont. So z. B. W. aus Nürnberg, welcher nur selten seine Koje verlassen konnte und dessen Ausdauer ich stets bewundert habe.
Aber es giebt noch eine dritte Modifikation der Seekrankheit, jene welche jedesmal bei schlimmem Wetter, bei hoher See wiederkehrt, und mit mehr oder weniger Heftigkeit sich Jahre lang, Jahrzehente und selbst länger wiederholt.
Ich habe einen alten sehr tüchtigen Seemann, einen ächten »Seebären«, gekannt, der dreißig Jahre lang alle Meere der Erde befahren und wahrlich nicht aus weichlichem Stoffe geformt war. Aber bei hoher See wurde ihm unheimlich zu Muthe. Ich habe später eine längere Fahrt mit ihm bestanden, und als wir jene unangenehmen Stellen besuchten, wo fast fortwährend 20 bis 25 Fuß hohe Wellen ihre Tücke übten, habe ich nicht selten mit Bedauern das leidige »mich ist flau« aus seinem Munde vernommen.
Das eigentliche Erbrechen, -- nennen wir es beim rechten Namen, ohne die bei dieser Gelegenheit üblichen Umschreibungen zu gebrauchen, -- ist aber nicht allein der Ausdruck der Seekrankheit. Ich habe Passagiere gesehen, welche lange Zeit bleich und still umherschlichen, so bald ein wenig Wind die See bewegte, ohne sich zu erbrechen, und diese behaupteten nicht seekrank zu sein. Aber ich glaube nicht, daß sie um Vieles besser daran waren, als die übrigen.
Unter den Reisenden auf der Reform befanden sich, wie ich glaube, kaum mehr als vier oder fünf Personen, welche verschont blieben, und ich hatte das Glück zu diesen Bevorzugten zu gehören.
Allerdings hatte ich in den ersten Tagen der Fahrt einigemal das Gefühl leichten Schwindels, nie aber irgendwie ein weiteres Unwohlsein, mit dem bekannten unangenehmen Anhängsel. Durch ein Glas irgend eines geistigen Getränks waren jene unbedeutenden Anfälle indessen leicht gehoben.
Einigermaßen mag durch ein keckes Entgegentreten und festen Willen immerhin der Seekrankheit zu begegnen sein. Ich meine nämlich die leichteren Modifikationen derselben, deren erste Motive gewiß im Nervensystem zu suchen sind. Aber es ist schwierig, hierauf näher einzugehen.
Uebrigens gestehe ich, daß ich überzeugt war seekrank zu werden, und mich nicht eben besonders auf die neuen Erfahrungen freute, welche ich zu machen fürchtete. Aber als bereits schon ein Theil der Reisenden in verdächtigen Situationen zu sehen waren, während ich mich vollkommen gesund befand, schöpfte ich frischen Muth.
Unsere Fahrt durch den atlantischen Ocean bot keine eigentlichen Abenteuer dar. Wir hatten keine Gefechte mit Piraten, wir litten nicht Schiffbruch und hatten keinen Schiffsbrand. Aber doch sahen wir Allerlei, was dem Binnenländer neu, seltsam, und nach Umständen erheiternd oder bedrohlich erscheinen mochte.
Allein auf sich beschränkt und eingeschlossen von jener unendlichen Wasserwüste, wird den Passagieren sowohl wie der Mannschaft die kleinste Neuigkeit zum Ereignisse. Ein Fisch, der dem Schiffe folgt, Seevögel, ein fernes Segel, oder irgend eine Erscheinung am Himmel, alles weckt das gemeinschaftliche Interesse. So war das erste Schiff, welches wir am 8. Mai außerhalb des Kanales trafen, für uns ein Gegenstand, der großes Interesse erweckte. Es wurde mit jenem Schiffe geflaggt, d. h. der seemännische Gruß gegeben, durch mehrmaliges Aufziehen und Herablassen der Flagge. Der Spanier, denn das Schiff war ein spanisches, erwiederte den Gruß mit Artigkeit und so zogen wir an einander vorüber wie zwei höfliche Männer, die sich mehrfach mit dem Hute grüßen, wohl auch noch mit der Hand bewinken, ehe sie gänzlich scheiden. Alle Nationen ziehen die Flagge gegenseitig auf und geben so ein Zeichen der Höflichkeit von sich, mit Ausnahme des Nordamerikaners, welcher, aus Artigkeit wenigstens, vor einem Schiffe gleichen Ranges keine Flagge aufzieht. Bei amerikanischen Kauffahrern ist dies immer der Fall und so oft wir später einem Yankee begegneten, habe ich unwillkürlich an einen Gentleman gedacht, der die Hände in den Taschen, den Hut auf dem Kopfe und die beiden Füße auf dem Tische liegen hat.
Den ersten Zug von Delphinen sahen wir Tags darauf, den 9. Mai, unter 14° 14' westlicher Länge und 35° 58' nördlicher Breite. Tümmler (Delphinus phocaena) hatten wir in der Nordsee und am Eingange des Kanals mehrere gesehen. Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß die Thiere, welche der Seefahrer überhaupt Delphin, oder eigentlich Schweinfisch nennt, sehr verschiedenen Arten angehören, von welchen viele den Zoologen nicht genau bekannt sind; denn diejenigen Arten, welche nur auf hoher See, oder an unbewohnten Küsten sich aufhalten, kommen nur durch Zufall in kundige Hände, wird gleichwohl hie und da auf der See einer gefangen. Die Fabeln, welche sich die Alten von den Delphinen erzählten, werden theilweise gerechtfertigt durch die Lebhaftigkeit und Intelligenz, welche diese Thiere beweisen. Jener erste Zug, welcher uns entgegenkam, wohl etwa dreißig bis vierzig Individuen, begleitete das Schiff längere Zeit, spielend um das Bugspriet, bald vorauseilend, bald zurückbleibend und wieder dann in verdoppelter Eile nachkommend. Es scheint dieses Begleiten der Schiffe, welches die Delphine fast immer thun, keineswegs zu geschehen, um irgend eine Nahrung zu erhaschen, sondern es hat den Anschein als geschehe es allein aus Heiterkeit oder um einen Weltlauf zu veranstalten.
Der Kapitain warf mit einer Harpune nach einem der Thiere und traf es auch wirklich; als man es aber herausholen wollte, riß die Harpune aus, und das Thier gieng, schwer verwundet, verloren. Dies geschah übrigens fast immer, da die Widerhaken der Harpunen zu klein sind, um das Gewicht des Thieres, sobald es aus dem Wasser ist, tragen zu können.
Wir haben auf der ganzen Fahrt bis nach Valparaiso nicht einen einzigen Delphin bekommen, während wir sicher acht bis zehn Stücke schwer verwundeten. Erst auf der Rückreise wurden wir einiger habhaft, und ich schmeichle mir, dort etwas dazu beigetragen zu haben; indessen davon später.
Unter jenen Breitegraden trafen wir überhaupt häufig Delphine und schon Tags darauf kam wieder ein Zug in die Nähe der Reform. Es schienen die Thiere diesesmal eine Art Vorposten ausgeschickt zu haben, denn der Hauptzug, etwa 50 Thiere, folgte langsam und dicht geschlossen, während fünf oder sechs derselben voraus und auf das Schiff zueilten. Als sie hierauf an der Steuerbord-Seite angelangt, sich wie gewöhnlich anschickten, das Schiff zu begleiten, harpunirte der Kapitain einen derselben, welcher, schwer getroffen, aber noch im Wasser, so heftige Bewegungen machte, daß er losriß und verloren gieng, während das Eisen der Harpune durch die Anstrengungen des Thieres fast im rechten Winkel gebogen an Bord gezogen wurde. Ich stand neben dem Kapitain, und half ihm die Leine fixieren, da die Mannschaft noch an einigen Stellen ebenfalls auf der Lauer stand. Das auffallende und wirklich Intelligenz verrathende Benehmen der Kameraden des Verwundeten setzte mich dort höchlich in Erstaunen. Sobald das Thier getroffen war und sich, die See mit Blut färbend, wieder losgerissen hatte, waren die nächsten an Bord mit der Schnelligkeit des Blitzes verschwunden. Bei jenem großen, in beiläufiger Entfernung von zwei oder drei Schiffslängen nachkommenden Zuge konnte man aber die deutlichen Zeichen der Mißbilligung und Entrüstung beobachten. Die Thiere sprangen knurrend und eigenthümliche Töne von sich gebend über das Wasser empor, schlugen augenblicklich eine der unseren entgegengesetzte Richtung ein, und in dem vorher wohlgeordneten Haufen war ersichtlich Verwirrung und Schrecken eingetreten. Mir schien, als wollten uns jene Delphine ihren Zorn und ihre Kränkung zu erkennen geben, daß wir sie mörderisch empfangen, sie, die gekommen, uns als Fremdlinge zu begrüßen, und uns eine Strecke weit freundlich zu begleiten.
Die Matrosen hatten eine andere Lesart. Sie sagten, wenn ein Schweinfisch geschossen ist und geht, d. h. wenn der Harpunirte schwer verwundet sich losreißt, so freuen sich die anderen, schwimmen ihm nach, beißen ihn vollends todt und fressen ihn auf. -- Man sieht, daß die Seeleute die Sache von menschlichem Standpunkte aus auffaßten. Aber ich hatte mir meine Poesie nicht nehmen lassen. Einige Tage später, am 12. Mai, 16° Länge und 30° 51' Breite, ließ sich die Nähe des Landes spüren, ohne daß wir solches in Sicht bekamen. Wir segelten nämlich mit gutem Ostwind zwischen der afrikanischen Küste und den kanarischen Inseln durch. Schwalben schwirrten auf See und Bienen kamen an Bord, auch wurde mir ein kleiner Käfer gebracht. Bald zeigte sich auch ein Falke, der auf die Schwalben Jagd machte.
Aber alle schienen Flüchtlinge und Verschlagene zu sein, des Ostwinds halber wohl afrikanische. Die Schwalben kamen an Bord, und eine fiel bald todt auf das Verdeck. Es war unsere kleine blaue Hausschwalbe (Hirundo urbica), wenigstens sah sie ihr täuschend ähnlich.
Ich frage bei dieser Gelegenheit: wo ist der Instinkt dieser Thiere geblieben, welche im Frühjahr und Herbst so weite Reisen machen, und hier, einige Stunden vom Lande entfernt, ihre Küste nicht mehr finden konnten? Ich kann mir hierüber keine Rechenschaft geben, und auch darüber nicht, daß ihnen so bald die Kräfte ausgegangen waren. Unsere Entfernung von der Küste konnte kaum mehr als vier oder fünf Stunden betragen. Auch der Falke kam an Bord, gieng wieder und wurde endlich von den Passagieren des Zwischendeckes gefangen, als er zum zweitenmale, vollständig entkräftet auf Deck sich niederließ. Man suchte ihn in einer Art improvisirtem Bauer lebend zu erhalten und ich habe nicht erfahren, was aus ihm geworden ist, denn er war in einigen Tagen verschwunden.
In jenen Breitegraden fing die Nähe der Tropen bereits an, sich kund zu geben. Das Wasser, dessen Temperatur ich, so wie jene der Luft, täglich nahm, hatte + 18° R., die Luft frühe 9 Uhr ebenfalls + 18° R. Ach, mit welcher Behaglichkeit habe ich diese + 18° R. verglichen mit der Temperatur des Kanales. In Betreff der Wärme befand ich mich dort auf das Vortrefflichste.