Respekt zu diesem Deutsch! - Peter Köhler - E-Book

Respekt zu diesem Deutsch! E-Book

Peter Köhler

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Beschreibung

Schonungslos, aber immer humorvoll entlarvt Peter Köhler unsere täglichen Pannen, Pleiten und Phrasendreschereien im Umgang mit der deutschen Sprache: Wir erfahren, woran wir «noch arbeiten müssen», was man «so stehen lassen» kann und wo «Luft nach oben ist». Alles klar? Kein Stress! Mit diesem Buch sind Sie «auf der sicheren Seite»! Nur ein Druckfehler mag vorliegen, wenn die «Transsexulle Sabine / 43 J.» in einem Reklameblättchen ihre Dienste anbietet. Wenn aber Profis in der Zeitung werben: «Erfahrenes Textbüro ließt Ihre wissenschaftlichen Arbeiten», ein arbeitsuchender Lehrer via Inserat auf sein «1. Staatsegsamen» verweist und eine Gymnasiallehrerin Nachhilfe für «alle Schultüpen und Fächer» anbietet, dann kann man dafür «in keinster Weise» Verständnis haben und muss «ein Zeichen setzen». Peter Köhler «holt die Menschen da ab, wo sie stehen», zeigt, wie man das «Potenzial der deutschen Sprache voll ausschöpft» und gibt dem Leser ein ermutigendes «Da geht noch was!» mit auf den Weg.

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Peter Köhler

Respekt zu diesem Deutsch!

Sprachpannen auf massiv dünnem Eis

C.H.Beck

Zum Buch

Nur ein Druckfehler mag vorliegen, wenn die «Transsexulle Sabine / 43 J.» in einem Reklameblättchen ihre Dienste anbietet. Wenn aber Profis in der Zeitung werben: «Erfahrenes Textbüro ließt Ihre wissenschaftlichen Arbeiten», ein arbeitsuchender Lehrer via Inserat auf sein «1. Staatsegsamen» verweist und eine Gymnasiallehrerin Nachhilfe für «alle Schultüpen und Fächer» anbietet», dann kann man dafür «in keinster Weise» Verständnis haben und muss «ein Zeichen setzen». Peter Köhler «holt die Menschen da ab, wo sie stehen», zeigt, wie man das «Potenzial der deutschen Sprache voll ausschöpft» und gibt dem Leser ein ermutigendes «Da geht noch was!» mit auf den Weg.

Über den Autor

Peter Köhler ist Journalist und Schriftsteller. Er schreibt unter anderem für die taz, den Eulenspiegel und die Titanic und lebt in Göttingen. Bei C.H.Beck erschienen zuletzt Leonardos Fahrrad. Die berühmtesten Fake News von Ramses bis Trump (2018) und Basar der Bildungslücken. Kleines Handbuch des entbehrlichen Wissens (⁴2017).

Der Verfasser dankt für Hinweise Andreas Clages, Birgit Fricke, Ina Lorenz, Sarah Pasquay, Thomas Schaefer, Martin Schröder, Lara Tunnat, Hannelore Ullrich, Reinhard Umbach sowie besonders Harriet Wolff und Michael Ringel.

Die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse.

Antoine de Saint-Exupéry

Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen Wort ist derselbe wie zwischen dem Blitz und dem Glühwürmchen.

Mark Twain

Wörter und Phrasen

Das Bild im Wort

«Auslegeware», antwortete Loriot auf die Frage nach seinem Lieblingswort, weil es «als Charakterisierung des Deutschen in Schlichtheit, Korrektheit, aber auch Großzügigkeit nicht übertroffen werden» könne. Wer genau hinschaut, bemerkt noch etwas: Das Wort ist gewissermaßen selber eine Auslegeware, die Silbe für Silbe ausgelegt wird.

Loriot hatte 2004 an einer Umfrage des Deutschen Sprachrats und des Goethe-Instituts teilgenommen, die sich an In- wie Ausländer richtete. Unter den fast 23.000 Vorschlägen aus über 100 Staaten erkor eine Expertenrunde «Habseligkeiten» zum schönsten deutschen Wort, weil es materiellen Besitz mit überirdischer Seligkeit verknüpfe und die Liebe zu den kleinen Dingen zur Bedingung des Glücks mache.

Viel steckt in einem Wort, man muss nur seine sieben Zwetschgen einschalten. Dann sieht man in der «Schlucht» das u umragt von hohen Konsonanten. Die «Lichtung»: das Licht für das helle Stückchen Wiese und «ung» für den dunklen Wald ringsum. Der «Wirrwarr» spiegelt anschaulich das Durcheinander wider, «behutsam» drückt mit dem langen u, dem langen a und dem bremsenden h vorsichtiges Herantasten, sorgsame Annäherung aus, die im weichen m zum Ziel kommt. «Verrückt» parallelisiert die geistige Unordnung mit der räumlichen und macht sie, auch so ein Wort: begreiflich; «obschon» stößt mit seiner fühlbaren Grenze zwischen den beiden Silben zum Innehalten und Nachdenken an.

Das Deutsche kann, wie die eben paraphrasierten Kommentare einiger Beiträger zu der Umfrage deutlich machen, ziemlich bild-, auch hörbildhaft sein. Aber es entwickelt sich in eine Richtung, auf der solche Zusatzwerte verloren gehen, Assoziationen vermieden und Wörter auf ihre Zeichenfunktion reduziert werden: Sie weisen nicht mehr über ihren Gegenstand hinaus; das Zeichen bezeichnet das Bezeichnete, fertig.

Das «Mitgefühl» wird durch die blassere «Empathie» verdrängt, während das «Mitleid» sogar ersatzlos verschwindet; aus schlechten Gründen, wie Jürgen Roth in seinem Essayroman «Vielleicht Hunsrück» schreibt: «Die zwei Bestandteile des Wortes ‹Mitleid› zeigen hinlänglich, warum es niemand mehr hat.» Rechtens benennt er die Leerstellen: «Gemeinsamkeit? Gespür für Unrecht?»

Gespür für die Sinne ansprechende Wörter? Nein, die bildkräftige «Zeitlupe» weicht einer farblosen «Slow Motion», der umständliche, aber das Wesentliche benennende «Pauschaltarif» der «Flat». Die einen Wörter ruhen wie Nervenzellen in einem dichten Beziehungsgeflecht; andere stehen herum wie Autisten. Oder stellen womöglich eine verkehrte Verbindung her: Früher war ein Patient manisch-depressiv, womit man das Krankheitsbild vor Augen hatte; jetzt leidet er an einer «bipolaren» Störung – eine Fügung, die sich nicht mehr selbst erklärt, sondern eiskalter Aufklärung bedarf.

Wörter haben eine Bedeutung und je nach den Umständen Mitbedeutungen; je konkreter, desto besser, weshalb «Ehemann» und «Ehefrau» mehr sagen als «Person A» und «Person B». Diese Bezeichnungen finden sich in der Steuererklärung, seit die Finanzverwaltungen die Formulare umgearbeitet haben.

Wörter stiften Konnotationen und laden sich mit Atmosphäre auf. Manche gewiss mit einer unpassenden, andere aber – mit keiner. Das Highlight einer entsinnlichten, trockengelegten Sprache ist ebendieses, während Höhepunkt, Spitzenleistung, Meisterstück, Meilenstein, Markstein, Glanzlicht, Knüller, Knaller, Krönung, Hammer, Herzstück («das Highlight dieser Ausgabe ist der Artikel über …») viel sinnfälliger etwas Besonderes bezeichnen, das Beste zum passenden Ausdruck bringen (das «schönste Ferienerlebnis» ist erwachsen geworden und jetzt das «Highlight des Urlaubs»).

Die Synonyme erfüllen denselben Zweck wie die Allzweckvokabel. Doch was sie zugleich leisten, geht über den Mitteilungswert hinaus. Unter einem «Highlight» lässt sich nichts Rechtes vorstellen, unter einem «Glanzlicht» schon. Auch beim «Meilenstein», mit dem man etwa eine Erfindung bezeichnet, entsteht etwas vor dem geistigen Auge: Er markiert im buchstäblichen Sinn eine räumliche Entfernung. Folglich wird auch bei übertragener Verwendung die Vorstellung einer langen Strecke aufgerufen: Der sprichwörtliche Meilenstein weist statt in die geographische Ferne in die fernere Zukunft, er weist den Weg in der Zeit. Das «Highlight» kann nichts davon.

Dafür lässt sich das «Highlight», weil es weiter nichts besitzt, ohne Verlust in den binären Code übersetzen. Arm an Assoziationen, ist es armselig und passt in eine vom digitalen Kapitalismus verwüstete, sinnlich entleerte Welt, in der es nichts mehr gibt, was Auge und Ohr anspricht, und aus der eines Tages das analoge Leben vertrieben worden sein wird.

Gleichsam deglasiert

Wer kennt schon alle Wörter? Niemand. Kennen Sie zum Beispiel das Verb «deglasieren»? Die Leser der Passauer Neuen Presse lernten es kennen, als es im Sportteil hieß: «Deutschland-Achter wird seiner Favoritenrolle gerecht und deglasiert England.» Auch das schöne Substantiv «Schweigstelle» ist Ihnen vielleicht unbekannt, im Unterschied zu den Lesern des Reklameblättchens Blitz: «Das Amtsgericht Neustrelitz soll eine Schweigstelle des Amtsgerichts Waren werden.»

Während im Dschungel «ein Eingeborener an Tuberkolese stirbt» (Hessische/Niedersächsische Allgemeine), leiden in Deutschland manche Schreiber bloß an der Orthographie. Oder haben es an den Ohren: Man schreibt, wie man hört, und deshalb war vor einiger Zeit ein internationales Beratergremium in der Ukraine tätig, das «für Unabhängigkeit und Expertise birgt» (taz) statt für das richtige Verb.

Die Verwechslung phonetisch ähnlicher, aber semantisch grundverschiedener Wörter ließe sich durch «das allmähliche Verschwinden der Gedanken beim Schreiben» (F. W. Bernstein) erklären, vielleicht auch durch einen Anfall von Geistesabwesenheit infolge Überlastung, Müdigkeit, Eile. So schrieb die taz vor einiger Zeit über die Proteste gegen ein brutales Vorgehen der Polizei in Frankfurt am Main: «Unterstützt wurden die Demonstranten von dem Kabarettisten Urban Priol, der Zustände ‹wie in Bayern› widmete» – womit dem Verfasser in der Eile ein Wort in den Bericht rutschte, das nur so ähnlich klingt wie «witterte».

In anderen Fällen ist der Geist zwar anwesend, schwebt jedoch in höheren Bewusstseinssphären. Dann wird eine simple Urteilsverkündung zur fast religiösen «Urteilsverkündigung» (hr1) erhoben, während Jonathan Franzen, der seinen neuen Roman «einen Monat nach der Erscheinung in deutscher Sprache» (so die nordhessische Reklamezeitung Extra Tip) auf einer Lesereise präsentiert, seinen Besuchern womöglich übersinnliche Erlebnisse zuteilwerden lässt.

Dass der Redakteur, nachdem er aus spirituellen Höhen auf dem Boden der Tatsachen gelandet ist, in einer auf Eigentum gegründeten Gesellschaft einen «Machthaber» als «Machtinhaber» (taz) bezeichnet, ist nur zu begrüßen. Wenn aber ein Bürgermeister laut Hamburger Abendblatt «in seiner launischen Gastrede die Gemeinsamkeiten hervorhob» (gewiss nicht die mit dem Adjektiv «launig»), dann könnte man das Verfahren «Humpty-Dumpty-Prinzip» nennen nach der Figur in Lewis Carrolls Roman «Alice hinter den Spiegeln», die den Wörtern nach Lust und Laune die Bedeutung gibt, die ihr gerade passt. Manchmal aus Versehen die richtige! Das hintergründige Wortspiel, mit dem die Sächsische Zeitung über Schulen berichtete, wo «Kinder mit Handycap» integrativ unterrichtet werden, ist der Beweis.

Für Sigmund Freud waren Versprechen und Verschreiben keine einfachen Fehlleistungen, sondern Ausdruck jener «Psychopathologie des Alltagslebens», der er sich 1904 in einem Buch widmete. Da Freud so ziemlich jedes Geschehen auf eine Ursache in tieferen seelischen Schichten zurückführte, ähneln seine Erklärungen freilich der Rechtfertigung eines Handwerkers, der nur einen Hammer hat und deshalb jedes Problem als Nagel betrachtet. Statt im Vor-, Un- oder Unterbewussten zu gründen, könnten die Fehler schlicht auf Unkenntnis oder Schusseligkeit beruhen.

Zwar kann man aus einem Bericht des Göttinger Tageblatts über Mozarts Grabmusik (KV 42), in dem es heißt: «Die Kantate ist reich an barocken Affekten», allerlei herauslesen; nur muss man dazu erst was hineingeheimnissen. Ein geübter Psychoanalytiker schafft das gewiss auch bei dieser Kontaktanzeige in den Westfälischen Nachrichten: «Für eine flüchtige Bekanntschaft völlig ungeeignet, suche ich auf diesem Wege das passende Pondon.»

Bei Fremdwörtern liegt es nahe, Unbildung zu vermuten (wissen Sie, wie «Pendant» geschrieben wird?); warum sollte es bei aus anderen Sprachen eingewanderten Wörtern anders sein als bei deutschen! Nur fällt es bei diesen nicht sofort auf, wenn die Leute von «Sippenhaft» schreiben, aber «Sippenhaftung» meinen, oder fremdsprachige Sendungen als «fremdsprachliche» bezeichnen; während man es bei jenen, den eingewanderten, gleich merkt, wenn sogar Journalisten ihre Branche arglos als «Journaille» titulieren. Vielleicht hat Freud manchmal doch recht.

Wörter verändern im Lauf der Zeit ihre Bedeutung; das ist eine Binse und «muss in Wahrheit niemandem appelliert werden» (taz). Stattdessen darf applaudiert werden: «Beeindruckt von den Leistungen der Teilnehmer haderte das Publikum nicht mit Beifall», berichtet die Lausitzer Rundschau, während die Rheinische Post die «kurzweilige Inhaftierung» einer Bloggerin hadert, pardon: meldet. ZDFinfo schließlich fragt: «War Nero wirklich blutrünstig und machtbesessen? Oder verklärten antike Chronisten posthum seine Biografie?»

Die Urheber solcher Fehlgriffe müssen nicht als Dummköpfe verklärt werden, wiewohl ihr «Eigenstellungsmerkmal» (taz) sprachliches Unvermögen zu sein scheint. Stattdessen seien sie als Komiker verklärt, die «für alle eingeschweißten Fans» (abendkurier.de) des unfreiwillig Lächerlichen etwas parat haben. Unfreiwillig heißt allerdings zugleich freiwillig, weil die Fehler aus einer selbstverschuldeten Lücke im Sprachschatz resultieren. Ob es um die «Stammbesatzung eines Theaters» beziehungsweise den «Sohn eines Milch- und Käsebauers» geht oder «der Lebensmittellieferservice Amazon Fresh deutschen Firmen das Onlinegeschäft strittig macht» (dreimal taz), der Grund liegt an der Oberfläche statt in psychischen Abgründen: Es ist schlichte Unkenntnis des richtigen Wortes.

Mal geht es haarscharf daneben, dann gibt es «systemgetreue Sportgerichte» und «staatsgetriebene Unternehmen» (taz); mal schießt man weit vorbei: «Adeligen war es verwehrt, Bürgerliche zu heiraten. Und das Gesindel auf ihrem Hof durfte auch nicht heiraten.» (Süddeutsche Zeitung) Da zeigt der Journalist aus der Mittelschicht, wofür er die Welt unter sich hält. Freud scheint wirklich richtigzuliegen!

Indes, Wörter können alles Mögliche bedeuten, und manchmal ist kaum festzustellen, was. Hier gebührt dem Adverb «gleichsam» gleichsam die Poleposition: Der ehemalige Bayern-München-Trainer Guardiola «hat, um gleichsam erfolgreich zu bleiben, seine Elf stets verändert und die Taktik immer am Gegner ausgerichtet» (taz). Gleichsam noch besser kann es Christian Kracht. Von einem Seemann schreibt er in seinem Roman «Imperium», er trachte, «sein Kapitänspatent zu erwerben, und überlege, gleichsam der Kaiserlichen Marine beizutreten»; und dass Einstein bald «das gesamte Wissen der Menschheit auf den Kopf stellen würde, war Engelhardt», dem Helden des Anfang des 20. Jahrhunderts spielenden Romans, «gleichsam unbekannt». Gleichsam ins Schwarze trifft keines dieser Gleichsams, sie meinen irgendwie irgendwas oder nichts. Oder wissen Sie es gleichsam?

Hier freilich ist mit dem Seelendoktor Freud nicht mehr zu helfen. Darin darf man «mit der halben Welt verständig» (taz) sein.

Bohei um den Nebbich

Können Sie Deutsch? Dann wissen Sie ja, was «dahlen» und «finkeln» bedeuten, was «pimpeln» ist (nein, nicht «pimpern»!) und was «boll» sein kann, was man einen «Kinkel» nennt und was unter einer «Pfülbe» zu verstehen ist; und weil Sie wissen, dass Schnepfen quorren, wissen Sie selbstverständlich auch, was Elche tun: möhren.

Nur mit «toll», «geil» und «okay» kommt man nicht überall durch. Dölmern, Doofmutzen und Deppos mag ihr nicht gerade bomfatzinöser Wortschatz genügen. Die Lackel und Tussis, Knispel und Schlunzen, Hachos und Siftel, Nulpen und Dussel sind halt luschi – sollen sie sich doch ihre Zeit mit Bunga-Bunga vertreiben! Wir Piesepampel mit zu viel Grips im Nischel machen deshalb keinen Bohei … Stattdessen müssen wir nebbich seriös sein und uns ratzfatz mit Blabla befassen:

Viele, sehr viele Wörter hat die deutsche Sprache, darunter kurze («na?») und lange («Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitän»), laute («Donnerlittchen») und lustige («Krambambuli»), neue («Bufdi») und alte («mölke»), kindliche («eiapopeia») und erwachsene («Vollhete»). Wie viele es sind, weiß niemand. An die 300.000 dürften es sein, wenn man Ortsbezeichnungen, Flurnamen, Fachbegriffe, Fremdwörter und, jo mei, auch Dialektausdrücke fei mitzählt. Auch kann niemand vorhersagen, welche beim Sprechen oder Schreiben aus der Lamäng zusammengesetzten Wörter – für die das Deutsche weltberühmt ist – nicht bloß rammpamm gebildet und ruckzuck wieder vergessen werden, sondern eines Tages als feste Komposita den Wortschatz schnurzpiepegal bereichern wie der in den Verkehrsmeldungen zu hörende «Spanngurt», der nicht nur ständig auf der Autobahn verloren wird, sondern sich endlich auch im Duden befindet. Um andere Komposita aber wird das Deutsche ärmer, der «Buschklepper» wurde aus der jüngsten Ausgabe gestrichen; der «Strauchdieb» blieb jedoch erhalten.

Ist, was weg ist, weg, also «futsch», ja «futschikato» (vom italienischen «fuggito»)? Nö. Denn was nicht im Duden steht, ist deshalb nichts weniger als ratzekahl verloren.

Kapito? Dann lesen Sie weiter, denn dieser Artikel will jetzt nichts mehr, als etwas Bohei machen und ein wenig Etymologie treiben: Manche schreiben den «Bohei» ja «Buhei», weil der aus «buh!» und «hey!» zusammengefummelt sein soll. Oder das Wort könnte aus dem Niederländischen eingewandert sein, wo es «poeha», früher «boeha» geschrieben, Lärm, Tumult, Aufsehen bezeichnet. Nur, woher hat es das Niederländische? Vielleicht aus dem Jiddischen: Das auch «Behei» geschriebene Wort hätte dann mit «behelo» zu tun, was «Schrecken» bedeutet und von hebräisch «bohu» abstammt, der «Leere», die den sprichwörtlichen Horror Vacui auslöst und unter Umständen ein Tohuwabohu entfesselt.

Womöglich ist der Ursprung tatsächlich im Orient zu suchen, wobei außer den Israeliten die Kopten infrage kommen, deren Ritualsprache das Boheirische ist. In der Religion wird ja aus Prinzip viel Lärm um nichts gemacht.

Das Wort hätte demnach einen langen, ungewöhnlichen Weg zurückgelegt. Etymologie ist eben nicht pillepalle – ein Wort, das ebenfalls eine Verwandlung durchgemacht hat. Zugrunde liegt das hebräische Wort für Pfeffer, «pilpul». Im übertragenen Sinn bezeichnet man damit eine kluge Interpretation der Bibel oder des Talmud – aber der Rabbi konnte seine Analyse auch mit zu viel Scharfsinn würzen, sodass sie unbrauchbar, nutzlos, pillepalle war.

Im Duden steht großes «Pillepalle» als Substantiv und bedeutet «Kleinkram, Gleichgültiges», obwohl das Wort nebbich nur ein Substantiv ist. «Nebbich» wiederum wird mit der Bedeutung «wenn schon!; was macht das!» geführt, was aber nebbich ausreicht. «Nebbich» kann außerdem «schade», «leider», «keineswegs», aber auch «fürwahr» und schier alles und nichts bedeuten. Seine Herkunft war lange unklar. Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch und Tschechisch waren die Favoriten. Inzwischen sieht man klarer und deutet auf jiddisch «nebech» («armes Ding») aus gleichbedeutend polnisch «nieboga». Als Substantiv hatte der Nebbich («unbedeutender Mensch») im Deutschen ebenfalls seinen Platz; und die Interjektion besagt ja unter anderem, dass etwas nebbich unwichtig ist. Schade eigentlich, dass das kleine Wort selber nebbich, das heißt unwichtig geworden ist!

Große Theorien gab es auch für die kleinen Kinkerlitzchen. Man wies aufs Französische («quincaillerie»: Haushaltswarengeschäft) und Sorbische («kónturlica»: Stechmücke). Dabei liegen das mitteldeutsche Dialektwort «ginggeln» («baumeln») und die «Litze» viel näher: Einen Kopfputz, der «mit Ginkerlitzgen behangen» war, beschrieb 1775 der Teutsche Merkur.

Alles paletti? Dieser Ausdruck hat nichts mit Paletten zu tun, sondern stammt aus der Welt der Schausteller. Wenn der Wanderzirkus sein Zelt aufschlägt, verankert er es im Erdboden mit Heringen, Pflöcken, Pfosten: Pflock heißt italienisch «paletto». Erst wenn alle «paletti», so der Plural, in den Boden gerammt sind und das Zelt aufgespannt ist, geht der Zirkus los. Oder auch: der ganze Bohei.

Und damit: Basta!

Soldaten zu verkosten

Similia similibus curantur, so lautet das Grundgesetz der Homöopathie: Ähnliches werde mit Ähnlichem geheilt. In der Sprache gilt das Gegenteil. Wenn F. C. Delius in seinem Roman «Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde» von Gott behauptet, dass «der jede Lüge verbat», oder wenn die «Tagesschau» berichtet, Chinas Regierende «verbieten sich die Einmischungen in die inneren Angelegenheiten Chinas», dann wird beide Male Ähnliches mit Ähnlichem verwechselt und die Rede krank.

Indes, verböte man solche Missgriffe und verbäte es sich, sie zu zitieren, die Glosse wäre zu Ende, ehe sie begonnen hätte. Nie erführen Sie, dass ein «Hotel im benachbarten São Brás de Alportel im Namen christliche und arabische Kultur vereinbart» oder dass ein Raumfahrtunternehmen bald «die ersten Kolonialisten auf den Roten Planeten schicken», ein anderes sogar «zigtausende Kolonialisten losschicken» will, um – statt durch Kolonisten den Mars urbar zu machen – erst mal die grünen Marsmännchen der Herrschaft des weißen Mannes zu unterwerfen.

Knapp vorbei ist auch daneben. Das gilt im zivilen Geschäftsleben, wo Verkäufer eine «Weihnachtsgravitation» erhalten, wie beim Militär, dessen Berufsrisiko groß ist: «Soldaten mussten verkostet werden».

Hingegen «entspannt sich» einem Rezensenten zufolge in Tex Rubinowitz’ Roman «Irma» eine Lovestory, bei deren Lektüre sich die Leser dann wohl entspinnen werden. Wer nun meint, mit derlei Verwechslungen würde ein Durcheinander geschaffen, irrt, weil es geschöpft wird. «Sechs Tage hatte Gott geschuftet, die Erdbeere und die Rose geschöpft», während David Bowie die Figur des «Major Tom geschöpft hat» und eine Autorin «eine Tragödie in fünf Aufzügen zu schöpfen» anregt. Ein großer Schöpfer ist auch «der mazedonische Schriftsteller Vlada Urošević», der «in den vergangenen Jahrzehnten ein großes Werk erschaffen» hat, das nur mit «dem von CDU-Kanzler Helmut Kohl erschaffenen Privatfernsehen» zu vergleichen ist. Bei so viel gottgleichem Tun verbittet, verbetet oder verbietet sich jede von Menschenhand geschaffene Kritik.

Nicht jedoch an phonetisch oder semantisch ähnlich unähnlichen Wörtern, von denen es teuflisch viele gibt, weshalb in einer Berghütte der Wirt «scharfes Essen ausschenkt» oder nach einem Massaker nur ein kümmerlicher Rest an «Verbliebenen» übrig bleibt. Ein Mann, so steht es in einer Traueranzeige, «ist eingeschlafen», und die Überlebenden, nein: die Verbliebenen, ach so: die Hinterbliebenen danken «für die nahen Worte und Gesten». Doch siehe, die Hoffnung bleibt, wenn sogar Gegenstände lebendig werden, wie es der Reklametext für eine «Terra X»-Folge verheißt: Es geht um «die Geschichte eines Schatzfundes, der gleich darauf verloren geht und gegen alle Voraussagen wieder aufersteht.»

«Fass dich kurz!», heischt der Volksmund, doch der Schnabel manches Journalisten macht es zu kurz. «Adolf Hitlers Geburtshaus wird enteignet», meldet die Presse; «Weinzierl hat die nötigen Tore eingewechselt», behauptet das Fernsehen über den Fußballtrainer. Wo aber Schatzfunde, Häuser und Tore zu Menschen, womöglich zu wiederauferstandenen Gottmenschen werden, müssen Menschen ausgleichshalber zu Sachen werden. «Laut niederländischem Recht müssen die Ausbeuter von Bodenschätzen Personen kompensieren, die durch ihre Aktivitäten zu Schaden kommen», weiß die Tageszeitung; «der wohlhabende Przepiorka verlagerte sich mit Familie an den Genfer See», heißt es im Schachmagazin über das Exil eines Meisterspielers im Ersten Weltkrieg.

Mensch und Maschine wachsen zusammen: In der Sprache, wo sich die Leute bei einer Firma «verdingen» oder Philologen einen Dichter zum «Gegenstand» ihrer Forschung machen, ist das nicht neu. Neu ist eher, dass die Beispiele für die Verwandlung von Leben in totes Material mehr und mehr werden. Ein Wissenschaftspublizist sieht den Philosophen «Günther Anders als Scharnier zwischen Existenzialismus und Kritischer Theorie», ein anderer weiß: Der Politologe und Strippenzieher «Franz Leopold Neumann war ein wichtiger Knotenpunkt im Netzwerk zwischen deutschen Exilanten und US-amerikanischen Institutionen.» Da kann der Sportjournalist nicht abseits stehen und jubelt: Der Kicker «Messi reifte zur Perfektion des Spiels»!

Hingegen imperfekt, wie sie ist, kennt die Zeitung «das facettenhafte Denken Karl Kraus». Der hätte wohl nicht nur ob des Fehlens der Präposition «von» oder des Genitivartikels «des» oder auch des Apostrophs, um Kraus’ Denken zu beschreiben – drei Möglichkeiten, die eine facettenreiche Sprache wie das Deutsche bietet –, seiner Fassungslosigkeit Ausdruck verliehen, allerdings kaum «in der fassungslosen Diktion von Jason Schwartzmann», was immer das sein mag.

Kraus’ Diktion war nicht formlos, sondern formvollendet, und damit die Glosse nicht fassungslos endet, sei zum versöhnlichen Schluss ein Aphorismus von Kraus zitiert: «Das Wort Familienbande hat einen Beigeschmack von Wahrheit.» Und siehe da, schreiben die Journalisten auch schlecht, so sagen sie doch die Wahrheit: «Die Familienbanden sind hier so fest wie der katholische Glaube», berichtet der Rundfunk über eine italienische Stadt, während das lokale Käseblättchen weiß: «Zugleich ist die familiäre Bande im Jesidentum sehr stark.»

Positiv verklärte Rückerinnerungen

Vorprogrammieren, aufoktroyieren, zusammenaddieren, ausextrahieren und abscannen – dass das sogenannte weiße Schimmel sind wie die «unbemannte Drohne», die «steigende Erderwärmung» oder die «zunehmende Eskalation», dürfte vielleicht bekannt sein. Selbstredend gibt es natürlich viel mehr solcher «potenziellen Möglichkeiten». «Zurückerinnert» sei bloß an ebendie häufig zu lesenden und hörenden «Rückerinnerungen», die manchmal sogar «ins Positive verklärt» werden. «Rückerinnerungen» beschwört auch Horst Fuhrmann in seinem Buch «Überall ist Mittelalter»; Vorauserinnerungen hingegen wären der Traum jedes Historikers.

«Potenzielle Chancen», zu viel Überflüssiges zu sagen, dürfte es vermutlich genug geben. Gewöhnlich pflegt es einem nicht aufzufallen wie in ebendiesem Satz und dem folgenden: «Die personifizierte Dominanz hat bei den Paralympics einen Namen: Anna Schaffelhuber.» Nicht nur jene Zeitung, die weiß, «welche Schätze das ehemalige Persien in sich birgt», außerdem «akustisch instrumentierte Lieder» kennt und berichtet, dass in Griechenland zwei Parteien «zusammen koalieren», birgt in Sachen Pleonasmus mancherlei Schätze. Und ob in einem Nachrichtenmagazin eine Schriftstellerin von einer «persönlichen Biografie» labert, eine Tageszeitung einen üblen Wind «Richtung stadteinwärts» ziehen lässt oder der Radiosender spekuliert, «was möglicherweise passiert sein kann», und eine «unausgegorene Kurzschlussreaktion» befürchtet – man wird überall erfolgreich fündig und sieht Gleichbedeutendes jene «Symbiose miteinander» eingehen, die mehr als eine «komplementäre Ergänzung» ist.