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Als der ehemalige Hochleistungssportler Steve Moralee im Oktober 2017 mit unerträglichen Schmerzen und Bewegungsstörungen ins Krankenhaus eingeliefert wird, sind die Ärzte erstmal ratlos. Kurze Zeit später ist er bis auf seinen rechten Arm gelähmt und kämpft um sein Leben. Zehn Wochen später kehrt er, unheilbar krank und schwerbehindert nach Hause zurück, muss sein Leben komplett ändern und neue Wege finden, um die einfachsten Alltagstätigkeiten zu meistern. Obwohl er teilweise monatelang mehrere Stunden täglich schwer arbeiten muss, um die kleinsten Fortschritte zu erzielen, bleibt er positiv, gibt nicht auf und entdeckt dabei, dass das Leben eines Hochleistungssportlers und das eines schwerbehinderten Menschen gar nicht so unterschiedlich sind.
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Seitenzahl: 82
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Die mir Tag für Tag in allem was sie tut, das Wort „bedingungslos“ immer wieder vorlebt.
Danke an die Neurologische Abteilung des Evangelischen Krankenhaus Unna, an die Celenus Klinik für Neurologie in Hilchenbach, an die Ergotherapie Hoffmann in Bönen und auch an die Praxis Soebel in Kamen.
Insbesonderer Dank geht an meine Therapeuten, die es immer wieder schaffen, aus einem einfachen Therapie Termin, ein Hochleistungstraining zu gestalten.
Und an Melanie für deine Hilfe.
In the bleak midwinter
Prolog
Kapitel 1 Seefeld Österreich 1986
Kapitel 2 Ein perfekter Tag
Kapitel 3 OP? Nein Danke!
Kapitel 4 Krankenhauskaffee
Kapitel 5 Der erste Schnee
Kapitel 6 Träume
Kapitel 7 Ab nach Hause
Kapitel 8 Therapeuten
Kapitel 9 Endspurt
(Christina Rosetti 1830 – 1984)
In the bleak midwinter
Frosty wind made moan,
Earth stood hard as iron,
Water like a stone;
Snow had fallen,
Snow on snow,
Snow on snow,
In the bleak midwinter,
Long ago.
Mitten im kalten Winter
bei klirrend kaltem Wind,
die Erde hart wie Eisen,
das Wasser wie ein Stein,
Schnee war gefallen,
Schnee auf Schnee,
Schnee auf Schnee,
mitten im kalten Winter
vor langer Zeit.
Manchmal, wenn du versuchst ein Ziel zu erreichen, Stellt dir das Leben Hindernisse im Weg. Menschen werden nicht an dich glauben und dir sagen, dass du es nicht schaffen kannst. Aber Du kannst diese Hindernisse aus dem Weg schaffen und allen Zeigen was du drauf hast. Du wirst aber dafür hart arbeiten müssen, jeden Tag aufstehen und weitermachen, bis du es dann endlich schaffst – so ist das Leben(Steve Moralee)
Es war eigentlich viel zu warm für die Jahreszeit. Wir waren an Temperaturen zwischen minus acht und minus fünfzehn Grad gewöhnt und der mit Wolken bedeckte Himmel gefiel uns ganz und gar nicht. Wir vermissten den strahlenden Sonnenschein und die knackige kalte Luft von St. Moritz.
Ich schaute kurz auf meine Uhr. „In fünfzehn Minuten muss ich am Start sein“, dachte ich. Dann hörte ich, wie der Wind durch die Tannen fegte. Ganz oben saßen ein paar Krähen und beschwerten sich ebenfalls über das Wetter.
Ich schaute skeptisch nach oben und beobachtete, wie die dichten Schneewolken bedrohlich über uns schwebten. Ein paar Schneeflocken wurden vom Wind durch die Bäume gefegt und Jock, einer meiner Teamkollegen, schaute mich ängstlich an.
Ich zog ein Gesicht als ob ich gerade an einem Paar stinkenden Socken gerochen hatte. „Es gibt gleich Schnee, ich kann es riechen.“, sagte ich. Er nickte seine Zustimmung, ohne was zu sagen, während wir unser die Skier anschnallten und uns langsam auf den Weg in Richtung des Startbereichs machten.
Ein paar Minuten später standen wir am Start. Es waren fünf Läufer vor mir, also hatte ich noch ein bisschen Zeit, bevor es losging. Wie immer - kurz vor meinen Rennen - wurde ich ganz ruhig und machte mir ein paar Gedanken über das, was gleich passieren würde.
Das monatelange Training und die bis ins letzte Detail berechnete Ernährung hatten mich optimal auf diesen Tag vorbereitet. Ich war in absoluter Top-Form für das erste Rennen der Saison. Es hätte bisher nicht besser laufen können, aber ich wusste auch, dass mir die nächsten 90 Minuten alles höllisch wehtun würde und ich konnte nichts mehr dagegen unternehmen. Irgendwann, im Laufe des Rennens, würden meine Lungen nicht mehr genug Sauerstoff aufnehmen können, um meine Muskeln zu versorgen. Ich würde Atemnot bekommen und alles würde wehtun. Mein Körper würde nach Ruhe schreien, während ich nach Luft schnappe und eine Mischung aus Schaum und Nasensekret unkontrolliert über mein Gesicht fließen würde.
Aber mein Kopf und eiserner Wille würden meinem Körper diese Ruhe erst gönnen, wenn die Ziel-Linie erreicht wurde. Im Endspurt würde die Luftnot noch schlimmer, die Schmerzen kaum zu ertragen werden; ein blutiger Geschmack im Mund und schwarze Punkte vor meinen Augen würden mich bis ins Ziel begleiten.
Der Trainer würde - wie immer neben der Loipe - ein paar hundert Meter vor der Ziellinie stehen und das einzige, was ihm einfallen würde, würde „Hopp, hopp, hopp!“, „Weiter so!“, Gas, Gas, Gaaas!“ sein. So oft habe ich kurz vor dem Ziel gedacht, wenn er noch einmal „Hopp!“ oder „Gas!“ sagt, schnalle ich mir die Skier ab und haue ihm eins auf die Fresse. Zu seinem Glück war ich aber zu diesem Zeitpunkt körperlich nie in der Lage dazu.
Das wäre auch nicht gut gegangen. Er war nicht nur mein Trainer, sondern außerdem einer meiner besten Freunde und wie ein Vater für mich. Er hatte als Skilangläufer viel geschafft in seinem Leben; den Engadin Skimarathon dreimal gewonnen, war auch mehrmals Schweizer Meister über die 90 Kilometer und hatte Top Fünf-Platzierungen im Wasalauf und König Ludwigslauf gelaufen. Vor solchen Leuten hatte ich Respekt, so einer durfte mich ruhig anschreien.
Nur noch zwei Läufer waren vor mir; der Schneefall wurde intensiver. Skilanglauf während eines Schneesturms ist nicht lustig und kaum machbar. Stelle dir vor, du müsstest - so schnell wie du kannst - 30 Kilometer Barfuß ein weichen Strand entlanglaufen, denn so fühlt sich ein Skilanglaufrennen im Schneesturm an.
Der Läufer vor mir legt los und ich rutsche ein paar Metern nach vorne bis meine Schienbeine die Startsperrstange berührten.
„Dreißig Sekunden.“, hörte ich.
Die Stimme war zwar nur einen Meter neben mir von meiner rechten Seite entfernt, aber die Worte nahm ich kaum wahr. Ich war irgendwo ganz weit weg, in einer anderen Welt, in der nur zwei Dinge existieren… Mein Ziel… und ich.
„Zehn Sekunden.“
„Die schlimmsten zehn Sekunden meines Lebens haben gerade angefangen“, dachte ich - wie immer kurz vor dem Start. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich rutsche noch mal ganz kurz mit meinen Skiern hin und her und hole noch einmal tief Luft.
„Beep, Beep, Beep, Beep, Beeeeeeep!“ Beim fünften „Beep“ des Startsignals hörte ich gleichzeitig ein „Klick“ als sich die Startsperrstange nach rechts schwang und die Loipe vor mir frei gab. Jetzt war jede Körperzelle eingestellt auf das, was ich zu tun hatte und ich spürte wie mein Körper den eingeatmeten Sauerstoff aufnahm und mir Energie gab. Ich hörte meinen Herzschlag und wie das Blut an meinen Ohren rhythmisch vorbei sauste, wie ein immer wieder vorbeifahrender Express-Zug … „whoosh … whoosh … whoosh … whoosh“. Es war ein Geräusch das Ähnlichkeiten mit einem ganz anderen Geräusch hatte, welches ich erst viel später in meinem Leben kennenlernen würde…
Alles, was ich über die nächsten 90 Minuten machen würde, war nicht mit dem normalen Leben zu vergleichen. Ich würde mehrmals in die Hölle gehen und wieder zurückkommen, bis ich über die Ziellinie fallen und vor Schmerzen und Erschöpfung - wie eine frisch gefangene Forelle - erstmal liegen bleiben würde.
Meine Augen waren weit offen in einer Mischung aus kontrollierter Aggression und purer Angst vor dem, was auf mich zukam, und auf meinem Mund war ein breites Lächeln.
Das Rennen entpuppte sich als einer meiner erfolgreichsten Tage als Sportler überhaupt. Meine Zeit für die 30 Kilometer war zwar nicht so berauschend, aber meine Platzierung schon. Da viele Läufer das Rennen wegen der Bedingungen abgebrochen oder überhaupt nicht angetreten waren, wurde sogar überlegt, das Rennen komplett abzubrechen, aber eine Handvoll Läufer haben es tatsächlich geschafft.
Aus Respekt haben alle anderen Läufer, Trainer und Streckenhelfer neben der Loipe im Schlussbereich gestanden und haben uns ins Ziel gejubelt. Damals war Skilanglauf nicht wirklich ein Zuschauersport wie heute und das war für mich fast unangenehm. Mein Trainer stand - wie immer - ein paar hundert Meter vor dem Ziel. Heute schrie er nicht „Gas“ oder „Hopp“. Er hatte nur eine Hand zur Faust geballt und nickte. „Gut Steve, sehr gut!“, sagte er, als ich ihn anschaute. Sein Blick war voll vor Respekt für meine Leistung.
Durch meine Zeit als Hochleistungssportler ist mir die Disziplin ins Blut übergegangen, alles andere habe ich wie an diesem Tag mit harter Arbeit geschafft. Dass ich viel später im Leben genau diese Disziplin und harte Arbeit brauchen würde, um die einfachsten Dinge im Alltag meistern zu können, hätte ich mir damals in 1986 als zwanzigjähriger Skilangläufer niemals vorstellen können.
Hamm, Nordrhein-Westfalen, 14 Oktober 2017
„Wir müssen ein MRT-Bild vom Gehirn und der Halswirbelsäule machen, um einen Tumor aus zu schließen.“, hörte ich einen Arzt zum anderen sagen, als ob es die normalste Sache der Welt war. Zuerst fand ich das ärgerlich, behandelt zu werden, wie ein Möbelstück, das repariert werden musste, dann dachte ich nach...
Natürlich, für ihn ist das völlig normal, er macht sowas mehrmals täglich und denkt nicht großartig darüber nach, wie er sich ausdrückt. Dass ich querschnittsgelähmt im Krankenhaus lag, war aber für mich dagegen nicht normal. Absolut gar nichts mehr war normal, dachte ich, als ich wieder versuchte, die Finger in meiner rechten Hand zu bewegen. Denn das war das Einzige, was noch funktionierte.
Mein ganzes Leben nach dem 14 Oktober 2017 würde alles andere als normal sein.
Vierzehn Tage vorher
Es war ein Samstagmorgen, Anfang Oktober 2017, man könnte sagen ein perfekter Tag. So fing das Ganze jedenfalls an…
Es wurde langsam hell draußen, als ich von Vogelgezwitscher und dem Zuknallen einer Autotür wach geworden bin. Bis auf einen ungefähr dreißig Zentimeter großen Spalt im Fensterrollo, war das Zimmer ziemlich dunkel. Der Schlitz reichte aus, um unserer Katze Happy eine Ausblickmöglichkeit zu geben. Ohne Angelika zu wecken, versuchte ich, im Halblicht die Uhrzeit zu ermitteln.
Irgendwas vor acht, dachte ich, ohne es wirklich zu wissen und überlegte mir, ob ich noch eine Weile liegen bleibe. Aber ich war wach. Daher ging ich dann doch nach unten in die Küche, um uns einen Kaffee zu kochen. Das war eins unserer Rituale am Wochenende. Kaffee trinken im Bett und schön langsam wach werden, bevor der Tag anfängt.