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Um den sinnentleerten Vergnügungen des 29. Jahrhunderts zu entfliehen, erklärt sich der Sternfahrer Louis Wu bereit, an der Seite dreier Mitstreiter die legendäre Ringwelt zu erforschen, ein gigantisches, seit Urzeiten vergessen im All rotierendes Gebilde. Bei der Landung wird das Raumschiff der Gruppe beschädigt. Auf sich allein gestellt, machen sich die vier ungleichen Expeditionsteilnehmer daran, die Ringwelt zu erkunden … Doch das künstliche Konstrukt, millionenfach weitläufiger als die Erde, erweist sich als längst nicht so ausgestorben wie angenommen! Der Auftakt zu Larry Nivens weltberühmtem Ringwelt-Zyklus, ausgezeichnet mit dem dem NEBULA AWARD, dem HUGO sowie dem LOCUS AWARD
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Seitenzahl: 530
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Larry Niven
ROMAN
Deutsche Erstauflage
Titel der englischen Originalausgabe:
RINGWORLD
1. Auflage
Veröffentlicht durch den
MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK
Frankfurt am Main 2023
www.mantikore-verlag.de
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe
MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK
Text © Larry Niven 1970
Deutschsprachige Übersetzung: Alfons Winkelmann
Lektorat: Anja Koda
Satz: Karl-Heinz Zapf
Cover- und Umschlaggestaltung: Jelena Begović und Matthias Lück
VP: 361-200-01-02-0623
Printed in the EU
ISBN: 978-3-96188-188-8
Larry Niven
1. Louis Wu
2. Und seine zusammengewürfelte Mannschaft
3. Teela Brown
4. Sprecher-mit-Tieren
5. Rosette
6. Geschenkband
7. Trittscheiben
8. Ringwelt
9. Schattenrechtecke
10. Der Ringboden
11. Der Himmelsbogen
12. Die Faust Gottes
13. Sternsamenköder
14. Zwischenspiel mit Sonnenblumen
15. Traumschloss
16. Der Kartenraum
17. Das Auge des Sturms
18. Die Gefahren der Teela Brown
19. In der Falle
20. Fleisch
21. Das Mädchen von jenseits des Rands
22. Der Sucher
23. Das Gottesspiel
24. Die Faust Gottes
Im nächtlichen Herzen von Beirut tauchte Louis Wu in einer der öffentlichen Transferkabinen in der Wirklichkeit auf.
Sein fußlanger Zopf glänzte ebenso weiß wie künstlicher Schnee. Seine Haut und sein enthaarter Schädel waren chromgelb; die Iris seiner Augen golden; sein Gewand war königsblau, darauf eingeblendet ein stereotyper Drache. Im Augenblick seines Erscheinens lächelte Louis breit und zeigte dabei absolut perfekte Standardzähne, wie Perlen. Er lächelte und winkte. Aber das Lächeln verblasste bereits und war einen Moment später verschwunden, und sein Gesicht fiel in sich zusammen wie eine schmelzende Gummimaske. Das Alter von Louis Wu zeigte sich.
Ein paar Augenblicke lang sah er zu, wie Beirut an ihm vorüberfloss: Von unbekannten Orten tauchten Leute in den Kabinen auf; die Menge strömte zu Fuß an ihm vorüber, nachdem jetzt die Laufbänder für die Nacht abgeschaltet worden waren. Dann schlugen die Uhren dreiundzwanzigmal. Louis Wu straffte die Schultern und trat hinaus, um sich der Welt anzuschließen.
In Rascht, wo seine Party immer noch auf Hochtouren lief, war bereits der Morgen nach seinem Geburtstag angebrochen. Hier in Beirut war es eine Stunde früher. In einem lauschigen Freiluft-Restaurant gab Louis Runden von Raki aus und animierte die Leute zum Singen von Liedern auf Arabisch und Interworld. Er verließ sie vor Mitternacht mit Ziel Budapest.
Hatten sie schon bemerkt, dass er seine eigene Party verlassen hatte? Sie würden davon ausgehen, dass eine Frau mit ihm gegangen war, dass er in ein paar Stunden zurückkehren würde. Aber Louis Wu war allein los, war der Mitternachtslinie davongesprungen, der neue Tag ihm stets dicht auf den Fersen. Vierundzwanzig Stunden reichten nicht für den zweihundertsten Geburtstag eines Mannes aus.
Sie kamen auch ohne ihn zurecht. Louis‘ Freunde konnten für sich selbst sorgen. In dieser Hinsicht war Louis unerbittlich.
In Budapest gab es Wein und athletische Tänze, Einheimische, die ihn als Touristen mit Geld tolerierten, Touristen, die ihn für einen wohlhabenden Einheimischen hielten. Er tanzte die Tänze, und er trank die Weine, und er verschwand vor Mitternacht.
In München ging er zu Fuß.
Die Luft war warm und sauber; sie klärte einige der Nebelwolken in seinem Kopf. Er benutzte die hell erleuchteten Laufbänder, fügte seinen eigenen Schritt ihrer Geschwindigkeit von fünfzehn Kilometern pro Stunde hinzu. Ihm wurde klar, dass jede Stadt auf der Welt über Laufbänder verfügte und dass sie sich alle mit fünfzehn Kilometern pro Stunde bewegten.
Der Gedanke war unerträglich. Nicht neu; einfach nur unerträglich. Louis Wu erkannte, wie sehr München an Kairo und Rascht erinnerte … und an San Francisco und Topeka, London und Amsterdam. Die Geschäfte entlang der Laufbänder verkauften in allen Städten der Welt dieselben Produkte. Diese Einwohner, die heute Nacht an ihm vorüberkamen, sahen alle gleich aus, waren alle gleich gekleidet. Keine Amerikaner oder Deutschen oder Ägypter, sondern einfach Weltbewohner.
In nur dreieinhalb Jahrhunderten hatten die Transferkabinen dies der unendlichen Vielfalt der Erde angetan. Sie überzogen die Welt mit einem Netz für unverzügliche Ortsveränderungen. Der Unterschied zwischen Moskau und Sidney betrug eine winzige Zeitspanne und eine Zehn-Star-Münze. Die Städte waren somit unausweichlich über die Jahrhunderte hinweg ineinander verschmolzen, bis Ortsnamen bloß noch Relikte aus der Vergangenheit waren.
San Francisco und San Diego waren das nördliche und südliche Ende einer einzigen wuchernden Küstenstadt. Aber wie viele Menschen wussten, welches Ende welches war? Tanj wenige heutzutage.
Pessimistische Gedanken für den zweihundertsten Geburtstag eines Mannes.
Aber dass die Städte ineinander verschmolzen, war wirklich. Louis hatte ihnen dabei zugesehen. Sämtliche Irrationalitäten von Ort, Zeit und Gebräuchen mischten sich zu einer großen Rationalität von Stadt, weltweit, wie eine mattgraue Paste. Sprach irgendwer Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch? Alle sprachen Interworld. Gleichzeitig veränderte sich der Stil der Körperfärbung, und zwar auf der ganzen Welt, in einer monströsen Woge.
Zeit für ein weiteres Sabbatjahr? Hinaus ins Unbekannte, allein in einem Ein-Personen-Schiff, Haut, Augen und Haare in ihrer echten Färbung, ein Bart, der sein Gesicht überwucherte …
»Blödsinn«, sagte Louis zu sich selbst. »Ich bin gerade von einem Sabbatjahr zurück.« Vor zwanzig Jahren.
Aber es ging weiter auf die Mitternacht zu. Louis Wu entdeckte eine Transferkabine, steckte seine Kreditkarte in den Schlitz und wählte Sevilla.
Er tauchte in einem sonnendurchfluteten Raum auf.
»Was zum Tanj?«, fragte er sich blinzelnd. Die Transferkabine musste verrückt gespielt haben. In Sevilla hätte es kein Sonnenlicht geben sollen. Louis Wu wandte sich um und wollte erneut wählen, dann drehte er sich zurück und bekam große Augen.
Er befand sich in einem durch und durch anonymen Hotelzimmer: Eine Umgebung, die so prosaisch war, dass sein Bewohner doppelt schockierend wirkte.
Ihm gegenüber, in der Mitte des Raums, war etwas, das weder menschlich noch menschenähnlich war. Es stand auf drei Beinen, und es betrachtete Louis Wu aus zwei Richtungen, aus zwei flachen Köpfen, die auf biegsamen, schlanken Hälsen saßen. Die Haut über der äußerst überraschenden Gestalt war weiß und weich wie ein Handschuh; aber eine dichte raue, braune Mähne verlief zwischen den Hälsen des Tiers über das gesamte Rückgrat und bedeckte die kompliziert aussehenden Hüftgelenke des hinteren Beins. Die beiden Vorderbeine waren weit gespreizt, sodass die kleinen Klauenhufe des Tiers fast ein gleichseitiges Dreieck bildeten.
Louis vermutete, dass das Ding ein außerirdisches Tier war. In jenen flachen Köpfen gäbe es keinen Platz für Gehirne. Aber er bemerkte den Buckel, der zwischen den Hälsen hervorragte, wo die Mähne zu einem dicken, schützenden Wuschel wurde … und eine Erinnerung, die achtzehn Jahrzehnte zurücklag, trieb herauf. Dies war ein Puppenspieler, ein Pierson-Puppenspieler. Sein Gehirn und sein Schädel lagen unter dem Buckel. Er war kein Tier; er war mindestens ebenso intelligent wie ein Mensch. Und seine Augen, eines pro Kopf in tiefen Höhlen, sahen Louis Wu aus zwei Richtungen starr an.
Louis probierte die Tür. Verriegelt.
Er war ausgeschlossen, nicht eingeschlossen. Er konnte wählen und verschwinden. Aber das kam ihm nicht in den Sinn. Man begegnete einem Pierson-Puppenspieler nicht alle Tage. Die Spezies war aus dem bekannten Raum länger verschwunden als Louis Wu am Leben war.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Louis.
»Das können Sie«, erwiderte der Alien …
… mit einer Stimme, die Jugendträume wecken konnte. Hätte Louis sich eine Frau mit dieser Stimme vorgestellt, dann wäre es Kleopatra, Helena von Troja, Marilyn Monroe und Lorelei Huntz in einer Person gewesen.
»Tanj!« Der Fluch erschien mehr als üblich angemessen. Es gibt keine Gerechtigkeit! Dass eine solche Stimme einem zweiköpfigen Alien unbestimmten Geschlechts gehören sollte.
»Haben Sie keine Angst«, sagte der Alien. »Sie müssen wissen, dass Sie fliehen können, falls es nötig ist.«
»Auf dem College gab es Bilder von Dingern wie Ihnen. Sie sind seit langer Zeit verschwunden … haben wir zumindest gedacht.«
»Als meine Spezies aus dem bekannten Raum floh, war ich nicht unter ihnen«, erwiderte der Puppenspieler. »Ich verblieb im bekannten Raum, denn meine Spezies benötigte mich hier.«
»Wo haben Sie sich versteckt gehalten? Und wo auf Erden sind wir?«
»Das muss Sie nicht interessieren. Sind Sie Louis Wu MMGREWPLH?«
»Das haben Sie gewusst? Sie waren speziell hinter mir her?«
»Ja. Wir fanden heraus, dass es möglich ist, das Netzwerk von Transferkabinen dieser Welt zu manipulieren.«
Das ließe sich einrichten, wurde Louis klar. Es würde ein Vermögen an Bestechungsgeldern erfordern, aber es ließe sich einrichten. Aber … »Warum?«
»Das wird einige Erklärungen erfordern …«
»Werden Sie mich nicht hier rauslassen?«
Der Puppenspieler überlegte. »Ich vermute, ich muss es tun. Zunächst sollten Sie wissen, dass ich Schutz habe. Meine Bewaffnung würde Sie aufhalten, sollten Sie mich angreifen.«
Louis Wu stieß einen angeekelten Laut aus. »Warum sollte ich das tun?«
Der Puppenspieler gab keine Antwort.
»Jetzt fällt’s mir wieder ein. Ihr seid Feiglinge. Euer gesamtes ethisches System basiert auf Feigheit.«
»So falsch dies ist, so sehr wird uns diese Einschätzung dienen.«
»Na ja, es könnte schlimmer kommen«, gab Louis zu. Jede intelligente Spezies hatte ihre Macken. Bestimmt ließe sich mit dem Puppenspieler leichter umgehen als mit den rassisch paranoiden Trinocs oder den Kzinti mit ihren ausgeprägten Killer-Instinkten oder den festgewachsenen Grogs mit ihrem … beunruhigenden Ersatz für Hände.
Der Anblick des Puppenspielers hatte einen ganzen Dachboden voll an verstaubten Erinnerungen losgerüttelt. Vermischt mit Daten über die Puppenspieler und ihr Handelsimperium, ihren Umgang mit der Menschheit, ihrem jähen und schockierenden Verschwinden – vermischt damit waren der Geschmack von Louis‘ erster Tabakzigarette, das Gefühl der Schreibmaschinentasten unter ungeschickten, ungeübten Fingern, Listen von Interworld-Vokabeln, die zu lernen waren, das Geräusch und der Geschmack von Englisch, die Unsicherheiten und Peinlichkeiten der extremen Jugend. Er hatte die Puppenspieler während eines Uni-Seminars in Geschichte studiert und sie dann für einhundertachtzig Jahre vergessen. Unglaublich, dass das Bewusstsein eines Mannes so viel bewahren konnte!
»Ich bleibe hier«, sagte er zu dem Puppenspieler, »wenn Ihnen dabei wohler ist.«
»Nein. Wir müssen uns persönlich treffen.«
Muskeln wölbten sich und zuckten unter seiner cremigen Haut, als sich der Puppenspieler wappnete. Dann öffnete sich klickend die Tür zur Transferkabine. Louis Wu betrat den Raum.
Der Puppenspieler wich ein paar Schritte zurück.
Louis ließ sich in einen Sessel fallen, mehr zur Beruhigung des Puppenspielers als zu seiner eigenen. Im Sitzen würde er harmloser wirken. Der Sessel war von üblicher Beschaffenheit, ein sich selbst einstellender Massagesessel nur für Menschen. Louis bemerkte jetzt einen schwachen Duft, der sowohl an ein Gewürzregal als auch einen Chemiekasten erinnerte, eher angenehm als alles andere.
Der Alien setzte sich auf das eingeknickte Hinterbein. »Sie fragen sich, warum ich Sie hergebracht habe. Dies wird einige Erklärungen benötigen. Was wissen Sie von meiner Spezies?«
»Es ist einige Zeit her seit dem College. Sie hatten einmal ein Handelsimperium, nicht wahr? Was wir den ‚bekannten Raum‘ zu nennen belieben, war nur ein Teil davon. Wir wissen, dass die Trinocs bei Ihnen eingekauft hatten, und wir sind den Trinocs erst vor zwanzig Jahren begegnet.«
»Ja, wir haben mit den Trinocs Handel getrieben. Größtenteils über Roboter, wie ich mich erinnere.«
»Sie hatten ein Handelsimperium, das mindestens Tausende von Jahren alt war und Dutzende von Lichtjahren maß, mindestens. Und dann sind Sie verschwunden, Sie alle. Sie haben alles hinter sich zurückgelassen. Warum?«
»Kann dies vergessen worden sein? Wir flohen vor der Explosion des galaktischen Kerns!«
»Das weiß ich.« Louis erinnerte sich sogar schwach daran, dass die Kettenreaktion von Novae im Zentrum der Galaxis tatsächlich von Aliens entdeckt worden war. »Aber warum jetzt davonrennen? Die Sonnen des Kerns sind vor Zehntausenden von Jahren zur Nova geworden. Das Licht wird erst in weiteren zwanzigtausend Jahren hier eintreffen.«
»Menschen«, sagte der Puppenspieler, »sollten nicht frei umherlaufen dürfen. Ihr werdet euch gewiss selbst verletzen. Erkennt ihr nicht die Gefahr? Strahlung entlang der Wellenfront wird diese ganze Region der Galaxis unbewohnbar machen!«
»Zwanzigtausend Jahre sind eine lange Zeit.«
»Aussterben in zwanzigtausend Jahren bedeutet trotzdem Aussterben. Meine Spezies floh in Richtung der Magellanschen Wolken. Aber einige von uns sind zurückgeblieben, falls die Migration der Puppenspieler auf etwas Gefährliches trifft. Das ist jetzt geschehen.«
»Oh? Was für eine Gefahr?«
»Mir steht es noch nicht frei, diese Frage zu beantworten. Aber Sie können einen Blick auf das hier werfen.« Der Puppenspieler griff nach etwas auf dem Tisch.
Und Louis, der sich gefragt hatte, wo der Puppenspieler seine Hände verbarg, sah, dass die Münder des Puppenspielers dessen Hände waren.
Noch dazu gute Hände, erkannte er, als der Puppenspieler zaghaft über den Tisch langte, um Louis einen Holoausdruck zu überreichen. Die losen, gummiartigen Lippen des Puppenspielers erstreckten sich einige Zentimeter über seine Zähne. Sie waren so trocken wie menschliche Finger, und sie waren gesäumt von kleinen, fingerähnlichen Knubbeln. Hinter den quadratischen Zähnen eines Vegetariers erhaschte Louis einen Blick auf eine zuckende, gegabelte Zunge.
Er nahm den Holoausdruck entgegen und warf einen Blick hinein. Zunächst ergab er überhaupt keinen Sinn, aber Louis betrachtete ihn weiter, wartete darauf, dass er sich auflöste. Da war eine kleine, intensiv-weiße Scheibe, die vielleicht eine Sonne sein konnte. G0, K9 oder K8, von der ein kleiner Teil entlang einer geraden schwarzen Kante abgeschnitten war. Aber das strahlende Objekt hätte keine Sonne sein können. Dahinter, vor dem schwarzen Hintergrund des Alls, gab es einen Streifen Himmelsblau. Der blaue Streifen war vollkommen gerade, scharfkantig, fest und künstlich und breiter als die erleuchtete Scheibe.
»Sieht aus wie ein Stern mit einem Reifen drum herum«, sagte Louis. »Was ist das?«
»Sie können es behalten und studieren, wenn Sie es wünschen. Ich kann Ihnen jetzt den Grund dafür sagen, weshalb ich Sie hergebracht habe. Ich beabsichtige, ein Forschungsteam aus vier Mitgliedern zusammenzustellen, mich selbst eingeschlossen und Sie.«
»Um was zu erforschen?«
»Ich bin noch nicht so frei, Ihnen dies zu sagen.«
»Oh, jetzt kommen Sie schon. Ich müsste völlig verrückt sein, mich blind auf den Weg zu machen.«
»Herzlichen Glückwunsch zum zweihundertsten Geburtstag«, sagte der Puppenspieler.
»Danke«, erwiderte Louis verwirrt.
»Warum haben Sie Ihre Geburtstagsparty zum Zweihundertsten verlassen?«
»Das geht Sie nichts an.«
»Aber ja doch. Seien Sie nett zu mir, Louis Wu. Warum haben Sie Ihre eigene Geburtstagsparty verlassen?«
»Ich bin bloß zu dem Entschluss gekommen, dass vierundzwanzig Stunden nicht für einen zweihundertsten Geburtstag ausreichen. Also bin ich losgezogen und habe ihn dadurch verlängert, dass ich der Mitternachtslinie voraus bin. Als Alien würden Sie das nicht verstehen …«
»Dann waren Sie begeistert darüber, wie gut die Dinge liefen?«
»Nein, nicht genau. Nein …«
Nicht begeistert, erinnerte sich Louis. Ganz im Gegenteil. Obwohl die Party schon ziemlich gut gelaufen war.
Er hatte um eine Minute nach Mitternacht an diesem Morgen angefangen. Warum nicht? Er hatte Freunde in jeder Zeitzone. Es gab keinen Grund, auch nur eine einzige Minute dieses Tages zu vergeuden. Im ganzen Haus gab es Schlafgelegenheiten für rasche, tiefe Nickerchen. Für diejenigen, die absolut nichts verpassen wollten, gab es Wachdrogen, einige mit interessanten Nebeneffekten, andere ohne.
Es gab Gäste, die Louis seit hundert Jahren nicht mehr gesehen hatte, und andere, die er täglich traf. Einige waren Louis Wus Todfeinde gewesen, vor langer Zeit. Es gab Frauen, die er völlig vergessen hatte, sodass er wiederholt erstaunt darüber war, wie sich sein Geschmack verändert hatte.
Wie vorauszusehen, wurden zu viele Stunden seines Geburtstags mit dem Vorstellen von Leuten verbracht. Die Listen von Namen, die er sich zuvor hatte einprägen müssen! Zu viele Freunde waren zu Fremden geworden.
Und wenige Minuten vor Mitternacht hatte Louis Wu eine Transferkabine betreten, gewählt und war verschwunden.
»Ich habe mich zu Tode gelangweilt«, erklärte Louis Wu. »›Erzähl uns von deinem letzten Sabbatjahr, Louis‹. ›Aber wie hältst du es aus, so viel allein zu sein, Louis? Wie schlau von dir, den Botschafter der Trinoc einzuladen, Louis! Lange nicht gesehen, Louis‹. ›He, Louis, warum braucht man drei Jinxianer, um einen Wolkenkratzer anzustreichen?‹«
»Warum denn?«
»Warum denn was?«
»Die Jinxianer.«
»Oh. Es braucht einen, der die Farbsprühdose festhält und zwei, um den Wolkenkratzer rauf- und runterzuschütteln. Den habe ich schon im Kindergarten gehört. All das Totholz meines Lebens, all die alten Witze, alles in einem riesigen Haus. Ich hab’s nicht ausgehalten.«
»Sie sind ein rastloser Mann, Louis Wu. Ihre Sabbatjahre – Sie waren es, der diesen Brauch eingeführt hat, nicht wahr?«
»Ich erinnere mich nicht, wann das losging. Es hat ziemlichen Anklang gefunden. Die meisten meiner Freunde nehmen jetzt eins.«
»Aber nicht so oft wie Sie. Alle vierzig Jahre oder so sind Sie der menschlichen Gesellschaft müde. Dann verlassen Sie die Welt der Menschen und nehmen Ziel zum Rand des bekannten Raums. Sie bleiben außerhalb des bekannten Raums, völlig allein in einem Ein-Personen-Schiff, bis sich Ihr Bedürfnis nach Gesellschaft wieder einstellt. Sie sind vor zwanzig Jahren von ihrem letzten Sabbatjahr, ihrem vierten, zurückgekehrt. Sie sind rastlos, Louis Wu. Sie haben auf jeder der Welten des menschlichen Raums genügend Jahre gelebt, um als Einheimischer bekannt zu sein. Heute Abend haben Sie Ihre eigene Geburtstagsparty verlassen. Werden Sie wieder rastlos?«
»Das wäre mein Problem, nicht wahr?«
»Ja. Mein Problem besteht lediglich in der Rekrutierung. Sie wären eine gute Wahl als Mitglied meines Forschungsteams. Sie nehmen Risiken in Kauf, kalkulieren sie jedoch zunächst. Sie fürchten sich nicht davor, mit sich allein zu sein. Sie sind genügend vorsichtig und genügend schlau, um nach zweihundert Jahren immer noch am Leben zu sein. Weil Sie Ihre medizinischen Erfordernisse nicht vernachlässigt haben, ist ihre Physis diejenige eines Mannes von zwanzig. Zu guter Letzt, und das ist das Wichtigste: Sie genießen anscheinend wirklich die Gesellschaft von Aliens.«
»Gewiss.« Louis kannte ein paar Xenophobe und betrachtete sie als Trottel. Das Leben wurde schrecklich langweilig, wenn es nur Menschen zum Reden gab.
»Aber Sie wollen nicht blindlings losstürmen. Louis Wu, reicht es nicht, dass ich, ein Puppenspieler, bei Ihnen sein werde? Was könnten Sie denn fürchten, das ich nicht zuerst fürchten würde? Die intelligente Vorsicht meiner Spezies ist sprichwörtlich.«
»Allerdings«, bestätigte Louis. Hinsichtlich dieser Tatsache hing er am Haken. Xenophilie, Rastlosigkeit und Neugier vereint: Wohin der Puppenspieler auch ginge, Louis Wu würde ebenfalls dorthin gehen. Aber er wollte mehr hören.
Und seine Position in diesem Handel war ausgezeichnet. Ein Alien würde nicht freiwillig in einem solchen Raum leben. Dieses gewöhnlich aussehende Hotelzimmer, dieser beruhigend normale Raum, aus Sicht eines irdischen Mannes, musste speziell zum Rekrutieren ausgestattet worden sein.
»Sie wollen mir nicht sagen, was Sie erforschen wollen«, sagte Louis. »Werden Sie mir sagen, wo es liegt?«
»Es liegt zweihundert Lichtjahre von hier entfernt in Richtung der Kleinen Magellanschen Wolke.«
»Aber das würde uns annähernd zwei Jahre kosten, um mit Hyperdrive-Geschwindigkeit dorthin zu gelangen.«
»Nein. Wir haben ein Schiff, das beträchtlich schneller als ein konventionelles Hyperdrive-Fahrzeug fliegt. Es legt ein Lichtjahr in fünf Viertelminuten zurück.«
Louis öffnete den Mund, aber nichts kam heraus. Eineinviertel Minuten?
»Dies sollte keine Überraschung für Sie sein, Louis Wu. Wie sonst hätten wir einen Agenten zum galaktischen Kern aussenden und von der Kettenreaktion der Novae erfahren können? Sie hätten die Existenz eines solchen Schiffes herleiten können. Wenn meine Mission erfolgreich ist, plane ich, das Schiff meiner Mannschaft zu übergeben, dazu Blaupausen, um damit weitere zu bauen. Dieses Schiff ist dann Ihr … Ihre Belohnung, Ihr Gehalt, wie Sie wollen. Sie können seine Flugeigenschaften beobachten, wenn wir uns der Migration der Puppenspieler anschließen. Dort werden Sie erfahren, was wir erforschen wollen.«
Der Migration der Puppenspieler anschließen … »Rechnen Sie mit mir«, sagte Louis Wu. Die Gelegenheit, eine gesamte intelligente Spezies auf der Flucht zu sehen! Riesige Schiffe, jedes mit Tausenden von Millionen von Puppenspielern, ganze funktionierende Ökologien …
»Gut.« Der Puppenspieler erhob sich. »Unsere Mannschaft zählt vier. Wir werden jetzt unser drittes Mitglied auswählen.« Und er trabte in die Transferkabine.
Louis steckte das rätselhafte Holo in die Tasche und folgte. In der Kabine versuchte er, die Nummer auf der Wählscheibe mitzubekommen; denn das hätte ihm gesagt, wohin auf der Welt er gehen würde. Aber der Puppenspieler wählte zu schnell, und sie waren weg.
Louis Wu folgte dem Puppenspieler aus der Kabine in das dämmrige, luxuriöse Innere eines Restaurants. Er erkannte es an dem schwarz-goldenen Dekor und der verschwenderischen Konfiguration der hufeisenförmig angelegten Kabinen. Krushenko’s, in New York.
Ungläubiges Geflüster folgte dem Weg des Puppenspielers. Ein menschlicher Oberkellner, ungerührt wie ein Roboter, führte sie zu einem Tisch. Einer der Stühle an diesem Tisch war entfernt und durch ein großes, quadratisches Kissen ersetzt worden, das sich der Alien zwischen Hüfte und Hinterfuß schob, als er sich hinsetzte.
»Sie wurden erwartet«, schloss Louis.
»Ja. Ich habe vorher angerufen. Krushenko’s ist daran gewöhnt, außerirdische Gäste zu bedienen.«
Jetzt bemerkte Louis andere außerirdische Gäste: Vier Kzinti am Nachbartisch und einen Kdatlyno auf halbem Weg durch den Raum. Es passte, weil das Gebäude der Vereinten Nationen so nahe war. Louis wählte einen Tequila Sour und nahm ihn, als er eintraf. »Das war eine gute Idee«, sagte er. »Ich bin halb verhungert.«
»Wir sind nicht zum Essen hergekommen. Wir sind hergekommen, um unser drittes Mitglied zu rekrutieren.«
»Oh? In einem Restaurant?«
Der Puppenspieler hob die Stimme, um zu antworten, aber was er sagte, war keine Antwort. »Sie sind niemals meinem Kzin begegnet, Kchula-Rrit? Ich halte ihn als Haustier.«
Louis‘ Tequila wollte den falschen Abzweig nehmen. Am Tisch hinter dem Puppenspieler waren vier Mauern aus orangefarbenem Fell, jede Einzelne davon ein Kzin; und als der Puppenspieler sprach, wandten sie sich alle mit entblößten nadelscharfen Zähnen um. Es sah wie ein Lächeln aus, aber bei einem Kzin war dieses starre Lächeln keines.
Der Name der Rrit gehört zur Familie des Patriarchen der Kzin. Louis kippte den Rest seines Drinks herunter und entschied, dass es keine Rolle spielte. Die Beleidigung wäre auf jeden Fall eine tödliche, und man könnte nur einmal gefressen werden. Der am nächsten sitzende Kzin erhob sich. Reiches orangefarbenes Fell mit schwarzen Zeichnungen über den Augen bedeckten etwas, das eine sehr fette Tigerkatze von zwei Meter fünfzig Größe hätte sein können. Das Fett waren Muskeln, geschmeidig und kräftig, eigenartig angeordnet über einem gleichermaßen seltsamen Skelett. An Händen wie schwarze Lederhandschuhe glitten geschärfte und polierte Krallen aus ihren Scheiden.
Eine Vierteltonne intelligenter Fleischfresser beugte sich über den Puppenspieler und fragte: »Erzähl mir doch, warum du glaubst, dass du den Patriarchen der Kzin beleidigen und weiterleben kannst?«
Der Puppenspieler gab sogleich Antwort, und das ohne Beben in der Stimme. »Ich war es, der auf einer Welt, welche Beta Lyrae umkreist, einen Kzin namens Chuft-Captain mit meinem Hinterhuf in den Bauch trat und ihm dadurch drei Streben seiner endoskelettalen Struktur brach. Ich brauche einen Kzin mit Mut.«
»Fahr fort«, sagte der Kzin mit den schwarzen Augen. Trotz der Grenzen, welche die Struktur seines Mundes ihm zogen, war das Interworld des Kzin ausgezeichnet. Aber seine Stimme zeigte keinerlei Anzeichen der Wut, die er empfunden haben musste. Denn bei all den Emotionen, die der Kzinti oder der Puppenspieler nicht zeigten, hätte Louis auch einem langweiligen Ritual beiwohnen können.
Aber das Fleisch, das vor dem Kzinti stand, war roh und blutig und dampfte; es war kurz vor dem Servieren auf Körpertemperatur schnellerhitzt worden. Und alle Kzinti lächelten.
»Dieser Mensch und ich«, sagte der Puppenspieler, »werden einen Ort erforschen, wie ihn kein Kzin jemals erträumt hat. Wir werden einen Kzin in unserer Mannschaft benötigen. Wagt es ein Kzin, dorthin zu folgen, wohin ein Puppenspieler führt?«
»Es hat geheißen, dass Puppenspieler Pflanzenesser seien, dass sie vom Kampf wegführen würden und nicht dorthin.«
»Das sollst du beurteilen. Deine Belohnung, wenn du überlebst, werden die Pläne für einen neuen und wertvollen Typ von Raumschiff sein, dazu ein Modell des Schiffs selbst. Du kannst diese Belohnung als eine Zulage wegen extremer Gefahr betrachten.«
Der Puppenspieler, dachte Louis, gab sich wirklich alle Mühe, die Kzinti zu beleidigen. Man bietet einem Kzin niemals eine Gefahrenzulage. Der Kzin sollte die Gefahr nicht einmal bemerkt haben!
Aber die einzige Bemerkung des Kzin war: »Ich akzeptiere.«
Die andere drei Kzinti knurrten ihn an.
Der erste Kzin knurrte zurück.
Ein Kzin allein klang wie ein Katzenkampf. Vier Kzinti in hitzigem Streit klangen wie ein größerer Katzenkrieg, mit Atonie. Einige Schalldämpfer im Restaurant schalteten sich automatisch ein, und das Knurren klang fern, aber es ging weiter.
Louis bestellte einen weiteren Drink. In Anbetracht dessen, was er von der Geschichte der Kzinti wusste, mussten diese vier bemerkenswert zurückhaltend sein. Der Puppenspieler war immer noch am Leben.
Der Streit erstarb, und die vier Kzinti wandten sich wieder ihnen zu. Der mit der schwarzen Augenzeichnung fragte: »Wie heißt du?«
»Ich trage den menschlichen Namen Nessus«, erwiderte der Puppenspieler. »Mein wahrer Name lautet …« Für einen Moment lang floss Orchestermusik aus den bemerkenswerten Kehlen des Puppenspielers.
»Schön und gut, Nessus. Du musst verstehen, dass wir vier eine Kzinti-Botschaft auf der Erde bilden. Dies ist Harch, das ist Ftanss, der mit den gelben Streifen ist Hroth. Ich bin bloß ein Lehrling und ein Kzin aus einer niedrig gestellten Familie und trage keinen Namen. Ich werde nach meinem Beruf genannt: Sprecher-mit-Tieren.«
Louis fuhr auf.
»Unser Problem ist, dass wir hier gebraucht werden. Heikle Verhandlungen … aber die gehen dich nichts an. Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass ich allein ersetzt werden kann. Wenn sich deine neue Art von Schiffen als wertvoller Besitz erweist, werde ich mich dir anschließen. Ansonsten muss ich meinen Mut auf andere Art beweisen.«
»Zufriedenstellend«, sagte der Puppenspieler und stand auf.
Louis blieb sitzen. Er fragte: »Wie lautet die Kzinti-Form deines Titels?«
»In der Heldensprache …« Der Kzin stieß ein ansteigendes Knurren aus.
»Warum hast du dann nicht dies als deinen Titel angegeben? War es eine absichtliche Beleidigung?«
»Ja«, erwiderte Sprecher-mit-Tieren. »Ich war wütend.«
An seine eigenen Maßstäbe von Takt gewöhnt, hatte Louis erwartet, dass der Kzin lügen würde. Dann hätte Louis so tun können, als würde er ihm glauben, und der Kzin wäre in Zukunft höflicher gewesen … zu spät, um jetzt einen Rückzieher zu machen. Louis zögerte den Bruchteil einer Sekunde, bevor er sagte: »Und was ist der Brauch?«
»Wir müssen mit bloßen Händen kämpfen – sobald du die Herausforderung aussprichst. Oder einer von uns muss sich entschuldigen.«
Louis stand auf. Er beging Selbstmord; aber er hatte tanj gut gewusst, was der Brauch war. »Ich fordere dich heraus«, sagte er. »Zahn um Zahn, Klaue um Fingernagel, da wir nicht in Frieden ein Universum teilen können.«
Ohne den Kopf zu heben, ergriff der Kzin, der Hroth genannt worden war, das Wort. »Ich muss mich für meinen Kameraden, Sprecher-mit-Tieren, entschuldigen.«
»Hm?«, machte Louis.
»Dies ist meine Funktion«, erwiderte der gelb gestreifte Kzin. »Sich in Situationen wiederzufinden, wo sich einer entschuldigen oder kämpfen muss, liegt in der Natur der Kzinti. Wir wissen, was geschieht, wenn wir kämpfen. Heute beträgt unsere Anzahl weniger als ein Achtel dessen, wie sie war, als die Kzin zum ersten Mal dem Menschen begegnet sind. Unsere Kolonialwelten sind eure Kolonialwelten, unsere Sklavenspezies sind befreit, und ihnen wird menschliche Technologie und menschliche Ethik gelehrt. Wenn wir uns entschuldigen oder kämpfen müssen, ist es meine Funktion, sich zu entschuldigen.«
Louis setzte sich. Anscheinend würde er weiterleben. »Ich hätte um nichts in der Welt deine Aufgabe gewollt«, sagte er.
»Offensichtlich nicht, wenn du mit bloßen Händen gegen einen Kzin kämpfen würdest. Aber der Patriarch beurteilt mich als nutzlos für jeden anderen Zweck. Meine Intelligenz ist niedrig, meine Gesundheit ist schlecht, meine Koordination schrecklich. Wie sonst kann ich meinen Namen behalten?«
Louis nippte an seinem Drink und wünschte sich, jemand möge das Thema wechseln. Er fand den bescheidenen Kzin peinlich.
»Lasst uns essen«, sagte derjenige, der Sprecher-mit-Tieren genannt wurde. »Es sei denn, deine Mission ist dringend, Nessus.«
»Ganz und gar nicht. Unsere Mannschaft ist noch nicht vollständig. Meine Kollegen werden mich anrufen, wenn sie ein viertes qualifiziertes Mannschaftsmitglied entdeckt haben. Lasst uns auf jeden Fall essen.«
Sprecher-mit-Tieren äußerte sich ein letztes Mal, bevor er sich zu seinem Tisch umwandte. »Louis Wu, ich fand deine Herausforderung langatmig. Bei der Herausforderung eines Kzin reicht ein schlichtes Wutgeschrei aus. Du schreist und springst.«
»Du schreist und springst«, wiederholte Louis. »Großartig.«
Louis Wu kannte Leute, die die Augen schlossen, wenn sie eine Transferkabine benutzten. Der Sprung in die Landschaft verursachte ihnen ein Schwindelgefühl. Für Louis war das Blödsinn; dann wiederum waren seine Freunde weitaus seltsamer.
Er hielt die Augen offen, während er wählte. Die zuschauenden Aliens verschwanden. Jemand rief: »Hi! Er ist zurück!«
Eine Menge bildete sich um die Tür. Louis drückte sie auf. »Verdammte Blödmänner, ihr alle! Ist keiner von euch nach Hause gegangen?« Er breitete die Arme aus, wie um sie alle zu umarmen, dann schob er sich wie ein Schneepflug voran und zwang sie dadurch, zurückzuweichen. »Macht die Türen frei, ihr Flegel! Es kommen noch mehr Gäste.«
»Klasse!«, schrie ihm eine Stimme ins Ohr. Anonyme Hände nahmen seine Hand und bogen die Finger um einen Trinkkolben. Louis drückte die sieben oder acht seiner geladenen Gäste an sich und begrüßte sie mit einem Lächeln.
Louis Wu. Aus der Entfernung wirkte er orientalisch mit der blassgelben Haut und dem fließenden weißen Haar. Sein reiches blaues Gewand war achtlos drapiert, sodass es seine Bewegungen hätte behindern sollen; aber das tat es nicht.
Aus der Nähe war das alles eine Täuschung. Seine Haut war nicht von einem blassen Gelb-Braun, sondern von einem glatten Chromgelb, der Farbe des Fu Manchu aus einem Comic. Sein Zopf war zu dick; er war nicht weiß wegen seines Alters, sondern zeigte ein völlig sauberes Weiß mit einem untergründigen Stich ins Blau, die Farbe eines blauen Zwergs. Wie bei allen Weltbewohnern war die Haut von Louis Wu kosmetisch getönt.
Ein Weltbewohner. Das bemerkte man auf den ersten Blick. Seine Züge waren weder europäisch noch mongoloid, auch nicht negroid, obwohl es Spuren von allen dreien gab: Eine uniforme Mischung, deren Entstehung Jahrhunderte erfordert haben musste. Bei einer Schwerkraft von 9,98 Metern pro Sekunde war seine Haltung unbewusst natürlich. Er ergriff einen Trinkkolben und lächelte seine Gäste der Reihe nach an.
Zufällig blickte er lächelnd in zwei spiegelnde, silbrige Augen, etwa zwei Zentimeter von den eigenen entfernt.
Eine Teela Brown war irgendwie Nase an Nase und Brust an Brust mit ihm gelandet. Ihre Haut war blau mit einem Netz aus silbrigen Fäden; ihre Haare waren strömende feurige Flammen; ihre Augen konvexe Spiegel. Sie war zwanzig Jahre alt. Louis hatte zuvor schon mit ihr gesprochen. Ihre Konversation war flach, voller Klischees, und sie war leicht zu begeistern; aber sie war sehr hübsch.
»Ich musste dich fragen«, sagte sie atemlos. »Wie ist es dir gelungen, einen Trinoc zu bekommen?«
»Sag nicht, dass er immer noch hier ist.«
»Oh, nein. Ihm ging die Luft aus, und er musste nach Hause zurück.«
»Eine kleine, harmlose Lüge«, teilte Louis ihr mit. »Ein trinocischer Lufterzeuger hält wochenlang. Nun ja, wenn du es wirklich wissen willst: Dieser spezielle Trinoc war einmal für ein paar Wochen mein Gast und Gefangener. Sein Schiff und seine Mannschaft gingen am Rand des bekannten Raums hinüber, und ich musst ihn nach Margrave transportieren, damit sie eine Umgebungsbox für ihn anfertigen konnten.«
In den Augen des Mädchens stand entzückte Verwunderung. Louis fand es merkwürdig angenehm, dass sie auf einer Ebene mit den eigenen Augen waren; denn Teela Browns zerbrechliche Schönheit ließ sie kleiner erscheinen, als sie in Wirklichkeit war. Ihre Augen glitten über Louis‘ Schulter und wurden noch größer. Louis grinste, als er sich umwandte.
Nessus, der Puppenspieler, trottete aus der Transferkabine.
Louis hatte daran gedacht, als sie Krushenko’s verlassen hatten. Er hatte versucht, Nessus davon zu überzeugen, ihnen etwas über ihr vorgesehenes Ziel zu berichten. Aber der Puppenspieler hatte Angst vor Spionstrahlen.
»Dann kommen Sie doch mit zu mir«, hatte Louis vorgeschlagen.
»Aber Ihre Gäste!«
»Nicht in meinem Büro. Und mein Büro ist absolut abhörsicher. Abgesehen davon, denken Sie an das Aufsehen, das Sie auf der Party erregen! Vorausgesetzt, es sind inzwischen nicht alle nach Hause gegangen.«
Einen besseren Eindruck hätte Louis sich nicht wünschen können. Das Tapp-Tapp-Tapp der Hufe des Puppenspielers war plötzlich das einzige Geräusch im Raum. Hinter ihm flackerte Sprecher-mit-Tieren ins Dasein. Der Kzin überblickte abschätzend das Meer menschlicher Gesichter, das die Kabine umgab. Dann bleckte er langsam die Zähne.
Jemand goss die Hälfte seines Getränks in eine eingetopfte Palme. Eine großartige Geste. Aus einem der Zweige schnatterte ein gummiartiges Orchideen-Ding wütend. Menschen drückten sich von der Kabine weg. Es gab Bemerkungen wie: »Alles in Ordnung. Ich sehe sie auch.« »Ausnüchterungspille? Lass mich mal in meinem Sporan nachsehen.« »Gibt ‘ne verdammt gute Party, nicht?« »Der gute alte Louis.« »Wie nennt man dieses Ding?«
Sie wussten nicht, was sie mit Nessus anfangen sollten. Sie ignorierten den Puppenspieler größtenteils; sie hatten Angst, Bemerkungen über ihn zu machen, hatten Angst, sich wie Dummköpfe anzuhören.
Sie reagierten sogar noch neugieriger auf Sprecher-mit-Tieren. Einstmals der gefährlichste Feind der Menschheit, wurde der Kzin mit ehrfurchtsvoller Hochachtung behandelt, wie eine Art Held.
»Folgen Sie mir«, wies Louis den Puppenspieler an. Mit etwas Glück würde der Kzin ihnen beiden folgen. »Entschuldigt bitte«, brüllte er und schob sich durch die Menge. Als Reaktion auf die vielen verschiedenen aufgeregten und/oder verwirrten Fragen grinste er bloß geheimnistuerisch.
Sicher in seinem Büro angekommen, verriegelte Louis die Tür und schaltete die Abhörsicherung ein. »Okay. Wer benötigt eine Erfrischung?«
»Wenn du etwas Bourbon erwärmen kannst, kann ich ihn trinken«, erwiderte der Kzin. »Wenn du ihn nicht erwärmen kannst, kann ich ihn trotzdem trinken.«
»Nessus?«
»Jede Art von Gemüsesaft wird dienlich sein. Haben Sie warmen Karottensaft?«
»Bäh«, machte Louis; aber er instruierte die Bar, und sie stellte Kolben mit warmem Karottensaft her.
Während Nessus auf seinem abgewinkelten Hinterbein ruhte, warf sich der Kzin schwer auf ein aufblasbares Sitzkissen. Unter seinem Gewicht hätte es explodieren sollen wie ein kleinerer Ballon. Der zweitälteste Feind des Menschen wirkte neugierig und lächerlich zugleich, wie er da auf einem Sitzkissen balancierte, das zu klein für ihn war.
Die Kriege zwischen Menschen und Kzin waren zahlreich und schrecklich gewesen. Hätten die Kzin die ersten davon gewonnen, so wären die Menschen Sklaven und Fleischtiere für alle Ewigkeit geworden. Aber die Kzinti hatten schrecklich in den darauffolgenden Kriegen gelitten. Sie neigten zum Angriff, bevor sie bereit waren. Sie hatte nur wenig Vorstellung von Geduld und keine Vorstellung von Gnade oder eines begrenzten Krieges. Jeder Krieg hatte sie einen beträchtlichen Batzen Bevölkerung gekostet und als Strafe die Konfiszierung einiger Kzinti-Welten.
Zweihundertfünfzig Jahre lang hatten die Kzinti keinen menschlichen Raum angegriffen. Sie hatten nichts, mit dem sie hätten angreifen können. Zweihundertfünfzig Jahre hatten die Menschen die Kzinti-Welten nicht angegriffen; und kein Kzin konnte das verstehen. Die Menschen verwirrten sie schrecklich.
Sie waren rau, und sie waren zäh, und Nessus, ein bekannter Feigling, hatte vier voll ausgewachsene Kzinti in einem öffentlichen Restaurant beleidigt.
»Erzählen Sie mir noch mal«, sagte Louis, »von der sprichwörtlichen Vorsicht der Puppenspieler. Ich hab’s vergessen.«
»Vielleicht war ich nicht völlig aufrichtig Ihnen gegenüber, Louis. Meine Spezies hält mich für wahnsinnig.«
»Oh, wunderbar.« Louis saugte an dem Kolben, den ein anonymer Spender ihm gereicht hatte. Er enthielt Wodka, Droobleberrysaft und Shaved Ice.
Der Schwanz des Kzin zuckte rastlos hin und her. »Warum sollten wir mit einem bekannten Verrückten fliegen? Du musst verrückter sein als die meisten, dass du mit einem Kzin fliegen willst.«
»Du erschreckst dich zu leicht«, erwiderte Nessus mit seiner sanften, überzeugenden, unerträglich sinnlichen Stimme. »Die Menschen sind niemals einem Puppenspieler begegnet, der nicht dem Urteil seiner eigenen Spezies nach wahnsinnig war. Kein fremdes Wesen hat jemals die Welt der Puppenspieler gesehen, und kein geistig gesunder Puppenspieler würde sein eigenes Leben dem störanfälligen Lebenserhaltungssystem eines Raumschiffs anvertrauen oder den unbekannten und möglicherweise tödlichen Gefahren einer fremden Welt.«
»Ein verrückter Puppenspieler, ein voll ausgewachsener Kzin und ich. Unser viertes Mannschaftsmitglied sollte besser ein Psychiater sein.«
»Nein, Louis, keiner unserer Kandidaten ist Psychiater.«
»Nun ja, warum nicht?«
»Ich habe nicht zufällig ausgewählt.« Der Puppenspieler sog mit einem Mund an seinem Kolben und sprach mit dem anderen. »Zuerst war da ich selbst. Unser vorgesehener Flug soll meiner Spezies dienen; daher müssen wir einen Repräsentanten mit an Bord haben. Ein solcher sollte verrückt genug sein, sich einer unbekannten Welt zu stellen, dennoch geistig genügend gesund, um seinen Intellekt zum Überleben zu nutzen. Ich bin zufällig nur an der Grenze. Wir hatten Grund dazu, einen Kzin mitzunehmen. Sprecher-mit-Tieren, was ich dir jetzt sage, ist geheim. Wir haben eure Spezies eine beträchtliche Zeit lang beobachtet. Wir haben von euch gewusst, noch bevor ihr die Menschen angegriffen habt.«
»Gut, dass ihr euch nicht gezeigt habt«, polterte der Kzin.
»Zweifellos. Anfangs haben wir gefolgert, dass die Spezies der Kzinti sowohl nutzlos als auch gefährlich war. Untersuchungen wurden anberaumt, um zu entscheiden, ob eure Spezies sicher ausgelöscht werden könnte.«
»Ich werde dir die Hälse verknoten.«
»Du wirst keine Gewalt anwenden.«
Der Kzin stand auf.
»Er hat recht«, sagte Louis. »Setz dich, Sprecher. Du hast nichts davon, wenn du einen Puppenspieler ermordest.«
Der Kzin setzte sich. Erneut platzte sein Sitzkissen nicht.
»Das Projekt wurde aufgegeben«, sagte Nessus. »Wir fanden, dass die Kriege zwischen Menschen und Kzin der Expansion der Kzin genügend Schranken setzten, euch weniger gefährlich machten. Wir setzten unsere Beobachtung fort. Sechsmal während mehrerer Jahrhunderte habt ihr die Welten der Menschen angegriffen. Sechsmal seid ihr geschlagen worden, habt annähernd zwei Drittel eurer männlichen Bevölkerung bei jedem Krieg verloren. Muss ich noch eine Bemerkung zum Stand der gezeigten Intelligenz machen? Nein? Auf jeden Fall wart ihr niemals in echter Gefahr der Auslöschung. Eure unintelligenten Weibchen sind vom Krieg größtenteils verschont geblieben, sodass die nächste Generation geholfen hat, die verlorengegangenen Zahlen zu ersetzen. Dennoch habt ihr unentwegt ein Reich verloren, das ihr über Tausende von Jahre aufgebaut habt. Für uns wurde offensichtlich, dass die Kzinti sich in wahnwitziger Geschwindigkeit entwickelten.«
»Entwickelten?«
Nessus knurrte ein Wort in der Heldensprache. Louis machte einen Satz. Er hatte nicht erwartet, dass die Kehlen der Puppenspieler das vollbringen könnten.
»Ja«, erwiderte Sprecher-mit-Tieren, »ich glaubte, dass du das gesagt hast. Aber ich verstehe den Zweck nicht.«
»Evolution hängt vom Überleben des Tüchtigsten ab. Mehrere Hundert Kzin-Jahre lang waren die Tüchtigsten eurer Spezies jene Mitglieder mit dem Verstand oder der Langmut, nicht gegen die Menschen zu kämpfen. Die Ergebnisse sind offensichtlich. Fast zweihundert Kzin-Jahre lang hat es Frieden zwischen Mensch und Kzin gegeben.«
»Aber das hätte keinen Sinn! Wir konnten einen Krieg nicht gewinnen!«
»Was deine Vorfahren nicht daran gehindert hat, einen zu führen.«
Sprecher-mit-Tieren verschluckte sich an seinem warmen Bourbon. Sein Schwanz, nackt, rosa und rattengleich, peitschte aufgeregt umher.
»Deine Spezies ist dezimiert worden«, fuhr der Puppenspieler fort. »Alle heute lebenden Kzinti stammen von denjenigen ab, die dem Tod in den Kriegen zwischen Mensch und Kzinti entgangen sind. Einige von uns glauben, dass die Kzinti jetzt über die Intelligenz verfügen, mit Spezies umzugehen, die ihnen fremd sind.«
»Und daher riskierst du dein Leben auf einer Fahrt mit einem Kzin.«
»Ja«, erwiderte Nessus, am ganzen Leib zitternd. »Meine Motivation ist stark. Damit verbunden ist, dass ich mich fortpflanzen darf, falls ich den Wert meines Mutes zeigen kann, indem ich ihn einsetze, meiner Spezies einen wertvollen Dienst zu erweisen.«
»Kaum eine feste Zusage«, bemerkte Louis.
»Dann gibt es einen weiteren Grund, einen Kzin mitzunehmen. Wir werden uns einer fremden Umgebung gegenübersehen, die unbekannte Gefahren birgt. Wer wird mich beschützen? Wer wäre besser dazu ausgestattet als ein Kzin?«
»Um einen Puppenspieler zu beschützen?«
»Klingt das verrückt?«
»Allerdings«, sagte Sprecher-mit-Tieren. »Es spricht ebenfalls meinen Sinn für Humor an. Was ist mit dem da, diesem Louis Wu?«
»Für uns hat es sehr viel gewinnbringende Zusammenarbeit mit Menschen gegeben. Natürlich wählen wir mindestens einen Menschen. Louis Gridley Wu ist auf seine lässige, verwegene Art erwiesenermaßen ein Überlebenstyp.«
»Lässig ist er, und verwegen auch. Er hat mich zum Zweikampf herausgefordert.«
»Wäre nicht Hroth da gewesen, hättest du angenommen? Hättest du ihn verletzt?«
»Um unehrenhaft heimgeschickt zu werden, nachdem ich einen größeren Zwischenfall zwischen zwei Spezies verursacht hätte? Aber das ist nicht der Punkt«, beharrte der Kzin. »Oder?«
»Vielleicht. Louis ist am Leben. Du bist dir jetzt bewusst, dass du ihn nicht mit Furcht dominieren kannst. Glaubst du an Ergebnisse?«
Louis verharrte in diskretem Schweigen. Wenn der Puppenspieler ihm kühle Überlegung zugestehen wollte, dann war es Louis Wu nur recht.
»Du hast von deinen eigenen Motiven gesprochen«, sagte der Sprecher. »Sprich jetzt von meinen. Welchen Profit kann ich erringen, wenn ich mich deinem Flug anschließe?«
Und sie kamen zum Geschäft.
Für die Puppenspieler war der Quantum-II-Hyperdrive-Shunt ein nutzloser Besitz. Er würde ein Schiff in eineinviertel Minuten ein Lichtjahr weit bringen, wo ein konventionelles Fahrzeug für diese Entfernung drei Tage benötigte. Aber konventionelle Fahrzeuge hatten Platz für Fracht.
»Wir haben den Antrieb in eine General-Products-Nummer-Vier-Hülle eingebaut, die größte von unserer Firma hergestellte. Als unsere Wissenschaftler und Ingenieure ihre Arbeit beendet hatten, war der größte Teil des Innenraums mit der Maschinerie des Hyperdrive-Shunt ausgefüllt. Unser Ausflug nach draußen wird beengt ablaufen.«
»Ein experimentelles Fahrzeug«, sagte der Kzin. »Wie gründlich ist es getestet worden?«
»Das Fahrzeug hat eine Reise zum Kern der Galaxis und zurück unternommen.«
Aber das war sein einziger Flug gewesen! Die Puppenspieler konnten es selbst nicht testen, auch konnten sie keine andere Spezies finden, um die Arbeit zu erledigen; denn sie waren inmitten einer Migration.
Das Schiff würde praktisch keine Fracht befördern, obwohl es über einen Kilometer Durchmesser hatte. Darüber hinaus konnte es nicht verlangsamen, ohne zurück in den normalen Raum zu stürzen.
»Wir brauchen es nicht«, sagte Nessus. »Aber ihr. Wir haben vor, das Schiff unserer Besatzung zu übergeben, zusammen mit den Kopien von Plänen, um weitere herzustellen. Ihr könnt das Design zweifellos selbst verbessern.«
»Das wird mir einen Namen kaufen«, sagte der Kzin. »Einen Namen. Ich muss das Schiff in Aktion sehen.«
»Während unserer Fahrt nach draußen.«
»Der Patriarch würde mir für ein solches Schiff einen Namen verleihen. Da bin ich mir sicher. Welchen Namen sollte ich wählen? Vielleicht …« Der Kzin knurrte in aufsteigendem Tonfall.
Der Puppenspieler gab in derselben Sprache Antwort.
Louis rückte gereizt hin und her. Er konnte der Heldensprache nicht folgen. Er überlegte, es dabei zu belassen, hatte dann jedoch eine bessere Idee. Er holte das Holo des Puppenspielers aus seiner Tasche und schleuderte es quer durch den Raum in den pelzigen Schoß des Kzin.
Der Kzin hielt es zierlich in seinen gepolsterten schwarzen Fingern. »Sieht aus wie ein Stern mit Ring«, bemerkte er. »Was ist das?«
»Es betrifft unser Ziel«, erklärte der Puppenspieler. »Mehr kann ich dir nicht sagen, jetzt nicht.«
»Wie rätselhaft. Nun ja, wann können wir los?«
»Ich schätze, binnen weniger Tage. Meine Agenten sind sogar jetzt auf der Suche nach einem qualifizierten vierten Mitglied für unser Forschungsteam.«
»Und daher warten wir auf ihr Wohlgefallen. Louis, sollen wir zu deinen Gästen gehen?«
Louis stand auf und streckte sich.
»Sicher, verschaffen wir ihnen einen Nervenkitzel. Sprecher, bevor wir da rausgehen, habe ich einen Vorschlag zu machen. Nimm das jetzt nicht als Angriff auf deine Würde. Es ist nur eine Idee …«
Die Party hatte sich in mehrere Teile aufgeteilt: Drei-D-Zuschauer, Bridge- und Pokerspieler, Sex zu zweit oder in größeren Gruppen, Geschichtenerzähler, Opfer von Langeweile. Draußen auf dem Rasen, unter einer dunstigen, frühmorgendlichen Sonne, befand sich eine gemischte Gruppe aus Opfern der Langeweile und Xenophilen; denn unter ihnen befanden sich auch Nessus und Sprecher-mit-Tieren. Sie umfasste ebenfalls Louis Wu, Teela Brown und einen überforderten Barkeeper.
Der Rasen war einer jener, der entsprechend der uralten britischen Formel gepflegt wurde: Säen und fünfhundert Jahre lang walzen. Fünfhundert Jahre hatten in einem Börsencrash geendet, danach hatte Louis Wu Geld gehabt und eine gewisse ehrwürdige freiherrliche Familie nicht. Das Gras war grün und glänzte und war offensichtlich echt; niemand hatte auf der Suche nach zweifelhaften Verbesserungen mit seinen Genen herumgepfuscht. Am Grund des hügeligen grünen Abhangs lag ein Tennisplatz, wo winzige Gestalten rannten, herumsprangen und ihre übergroßen Fliegenklatschen mit großer Energie schwangen.
»Trainieren ist etwas Wunderbares«, sagte Louis. »Ich könnte den ganzen Tag dasitzen und zuschauen.«
Teelas Gelächter überraschte ihn. Er dachte müßig an die Millionen von Witzen, die sie niemals gehört hatte, die alten, alten Witze, die niemand jemals mehr erzählte. Von den Millionen von Witzen, die Louis in- und auswendig kannte, mussten 99 Prozent veraltet sein. Vergangenheit und Gegenwart mischten sich schlecht.
Der Barkeeper trieb leicht geneigt zu Louis heran. Louis‘ Kopf lag in Teelas Schoß, und dass er die Tastatur erreichen wollte, ohne sich aufzurichten, war verantwortlich für die Neigung des Barkeepers. Er tippte eine Bestellung für zwei Mokkas ein, fing die Kolben auf, als sie aus dem Schlitz fielen, und reichte einen an Teela weiter.
»Du siehst aus wie ein Mädchen, das ich mal kannte«, sagte er. »Je von einer Paula Cherenkov gehört?«
»Die Cartoonistin? Gebürtig aus Boston?«
»Ja. Lebt heutzutage auf We Made It.«
»Meine Ur-Urgroßmutter. Wir haben sie einmal besucht.« »Sie hat mir mal einen heftigen Peitschenhieb aufs Herz versetzt. Lange her. Du könntest ihre Zwillingsschwester sein.«
Teelas Kichern schickte Schwingungen aus, die angenehm über Louis Wirbelsäule liefen. »Ich verspreche, dir keinen Peitschenhieb aufs Herz zu versetzen, wenn du mir sagst, was das ist.«
Darüber dachte Louis nach. Der Ausdruck war von ihm, erschaffen, um für sich selbst zu beschreiben, was ihm zu dieser Zeit zugestoßen war. Er hatte ihn nicht oft verwendet, aber er hatte ihn niemals erklären müssen. Man hatte stets gewusst, was er meinte.
Ein ruhiger, friedlicher Morgen. Wenn er jetzt schlafen ginge, würde er zwölf Stunden lang schlafen. Ermüdungsgifte verschafften ihm ein Erschöpfungshoch. Teelas Schoß war ein bequemer Ruheort für seinen Kopf. Die Hälfte von Louis‘ Gästen waren Frauen, und viele von ihnen waren in anderen Jahren seine Ehefrauen oder Geliebte gewesen. Während der ersten Phase der Party hatte er seinen Geburtstag privat mit drei Frauen gefeiert, drei, die ihm einmal sehr wichtig gewesen waren und umgekehrt.
Drei? Vier? Nein, drei. Und wie es jetzt schien, war er immun gegen Peitschenhiebe aufs Herz. Zweihundert Jahre hatten zu viel Narbengewebe auf seiner Persönlichkeit hinterlassen. Und jetzt ließ er seinen Kopf müßig und bequem im Schoß einer Fremden ruhen, die das Ebenbild von Paula Cherenkov war.
»Ich hatte mich in sie verliebt«, erklärte er. »Wir kannten uns bereits seit Jahren. Wir sind sogar miteinander gegangen. Dann sind wir eines Abends ins Gespräch gekommen, und wamm!, ich hatte mich verliebt. Ich dachte, sie würde mich ebenfalls lieben. Wir sind in jener Nacht nicht ins Bett gegangen – zusammen, meine ich. Ich bat sie, mich zu heiraten. Sie wies mich ab. Sie arbeitete an einer Karriere. Sie hatte keine Zeit, sich zu verheiraten, sagte sie. Aber wir planten einen Ausflug zum Amazonas-Nationalpark, eine Art einwöchige Ersatz-Flitterwochen. Die folgenden Wochen waren ein einziges Auf und Ab. Zunächst das Hoch. Ich hatte die Tickets und die Hotelreservierung. Hast du dich jemals so heftig in jemanden verknallt, dass du zum Schluss gekommen bist, du wärst seiner nicht wert?«
»Nein.«
»Ich war jung. Zwei Tage verbrachte ich damit, mich davon zu überzeugen, dass ich Paula Cherenkov wert war. Ich war’s auch. Dann rief sie an und sagte den Ausflug ab. Ich erinnere mich nicht mal mehr an den Grund dafür. Sie hatte einen guten Grund. In dieser Woche führte ich sie ein paarmal zum Essen aus. Nichts geschah. Ich versuchte, keinen Druck auf sie auszuüben. Die Chancen stehen gut, dass sie nie etwas von dem Druck erriet, unter dem ich stand. Mit mir ging es auf und ab wie bei einem Jo-Jo. Dann senkte sie den Baum. Sie mochte mich. Wir hatten Spaß miteinander. Wir sollten gute Freunde sein. Ich war nicht ihr Typ«, sagte Louis. »Ich dachte, wir wären ineinander verliebt. Vielleicht dachte sie das auch, etwa eine Woche lang. Sie war nicht grausam. Sie wusste bloß nicht, was los war.«
»Aber was war der Peitschenhieb?«
Louis blickte zu Teela Brown auf. Silbrige Augen erwiderten ausdruckslos seinen Blick, und Louis wurde klar, dass sie kein Wort verstanden hatte.
Louis hatte Umgang mit Aliens gehabt. Durch Instinkt oder Übung hatte er gelernt zu spüren, wenn irgendeine Idee zu fremdartig war, um aufgenommen oder vermittelt zu werden. Hier gab es eine ähnliche, fundamentale Kluft bei der Übersetzung.
Was für ein gewaltiger Strom trennte Louis Wu und ein zwanzigjähriges Mädchen! Konnte er wirklich so drastisch gealtert sein? Und war Louis Wu in diesem Fall noch menschlich? Teela, mit leerem Blick, wartete auf Erleuchtung.
»Tanj!«, fluchte Louis, und er wälzte sich auf die Füße. Matsch glitt langsam an seinem Gewand herab und tröpfelte vom Saum.
Nessus, der Puppenspieler, salbaderte über das Thema der Ethik. Er unterbrach sich selbst (ganz wörtlich, da er mit beiden Mündern sprach, sehr zum Entzücken seiner Bewunderer), um Louis‘ Frage zu beantworten. Nein, von seinen Agenten war kein Wort gekommen.
Sprecher-mit-Tieren, ähnlich umzingelt, breitete sich wie prächtiger orangefarbener Hügel über das Gras aus. Zwei Frauen kraulten ihm das Fell hinter den Ohren. Die seltsamen Kzinti-Ohren, die sich ausdehnen konnten wie rosige chinesische Sonnenschirme, oder sich flach am Kopf zusammenfalten konnten, waren weit gespreizt; und Louis sah das Muster der Tätowierung auf jeder Oberfläche.
»Also«, rief ihm Louis zu. »War ich nicht brillant?«
»Allerdings«, polterte der Kzin, ohne sich zu rühren.
Louis lachte in sich hinein. Ein Kzin ist ein furchterregendes wildes Tier, nicht wahr? Aber wer kann einen Kzin fürchten, dem die Ohren gekrault werden? Das beruhigte Louis‘ Gäste, und es beruhigte den Kzin ebenfalls. Alles oberhalb der Ebene einer Feldmaus mochte es, wenn ihm die Ohren gekrault wurden.
»Sie haben sich abgewechselt«, polterte der Kzin schläfrig. »Ein Männchen nähert sich dem Weibchen, das mich krault, und bemerkt, dass er dieselbe Aufmerksamkeit genießen möchte. Die beiden gehen gemeinsam weg. Ein weiteres Weibchen kommt als Ersatz. Wie interessant muss es sein, einer Spezies mit zwei intelligenten Geschlechtern anzugehören.«
»Manchmal macht es die Dinge schrecklich kompliziert.«
»Wirklich?«
Das Mädchen neben der linken Schulter des Kzin – raumschwarz war ihre Haut, verziert mit Sternen und Galaxien, und ihr Haar war der kalte, weiße Schweif eines Kometen – sah von ihrem Werk auf. »Teela, übernimmst du?«, fragte sie fröhlich. »Ich hab‘ Hunger.«
Gehorsam kniete Teela neben dem prächtigen orangefarbenen Kopf nieder. »Teela Brown«, sagte Louis, »dies ist Sprecher-mit-Tieren. Vielleicht seid ihr beide …«
In der Nähe erklang misstönende Musik.
»… sehr glücklich miteinander. Was war das? Oh, Nessus. Was …?« Die Musik war aus den bemerkenswerten Kehlen des Puppenspielers gekommen. Jetzt drängelte sich Nessus grob zwischen Louis und das Mädchen. »Sie sind Teela Jandrova Brown, ID-Nummer IKLUGGTYN?«
Das Mädchen war überrascht, jedoch nicht erschrocken. »Das ist mein Name. An meine ID-Nummer erinnere ich mich nicht. Was ist das Problem?«
»Wir haben fast eine Woche lang die Erde nach Ihnen durchkämmt. Jetzt finde ich Sie bei einer Versammlung, in die ich nur zufällig geraten bin! Ich werde ein paar heftige Worte mit meinen Agenten sprechen.«
»Oh, nein«, sagte Louis leise.
Teela erhob sich irgendwie ungeschickt. »Ich habe mich nicht versteckt, nicht vor Ihnen und nicht vor irgendeinem anderen – Außerirdischen. Nun, was ist das Problem?«
»Moment!« Louis trat zwischen Nessus und das Mädchen. »Nessus, Teela Brown ist offensichtlich keine Forscherin. Suchen Sie sich jemand anders.«
»Aber, Louis …«
»Einen Moment mal.« Der Kzin richtete sich auf. »Louis, lass den Kräuteresser sich doch seine eigenen Teammitglieder wählen.«
»Aber sieh sie dir an!«
»Sieh dich selbst an, Louis. Kaum zwei Meter groß, schlank sogar für einen Menschen. Bist du ein Forscher? Ist Nessus einer?«
»Was zum Tanj geht hier eigentlich vor?«, verlangte Teela zu wissen.
»Louis, ziehen wir uns für einen Augenblick in Ihr Büro zurück«, drängte Nessus.
»Teela Brown, wir müssen Ihnen einen Vorschlag machen. Sie haben keinerlei Verpflichtung, ihn anzunehmen, nicht einmal, ihn sich anzuhören, aber Sie könnten unseren Vorschlag interessant finden.«
Der Streit fand in Louis‘ Büro seine Fortsetzung. »Sie passt zu meinen Qualifikationen«, beharrte Nessus. »Wir müssen sie in Betracht ziehen.«
»Sie kann nicht die Einzige auf Erden sein!«
»Nein, Louis. Ganz und gar nicht. Aber wir waren außerstande, einen von den anderen zu kontaktieren.«
»Wofür werde ich eigentlich in Betracht gezogen?«
Der Puppenspieler machte sich daran, es ihr zu erklären. Es zeigte sich, dass Teela Brown kein Interesse am Raum hatte, niemals auch nur so weit wie bis zum Mond gekommen war, und keinerlei Absicht hatte, über die Grenzen des bekannten Raums hinauszugehen. Der Quanten-II-Hyperdrive erregte nicht ihre Begierde. Als sie anfing, erschöpft und verwirrt auszusehen, ging Louis erneut dazwischen.
»Nessus, was sind eigentlich die Qualifikationen, zu denen Teela so gut passt?«
»Meine Agenten haben Nachkommen von Gewinnern der Geburtsrechtslotterie gesucht.«
»Ich gebe auf. Sie sind von Grund auf wahnsinnig.«
»Nein, Louis. Meine Anweisungen kommen vom Hintersten persönlich, von demjenigen, der uns alle führt. Seine geistige Gesundheit steht außer Frage. Darf ich es erklären?«
Für Menschen war die Geburtenkontrolle seit Langem eine einfache Sache gewesen. Heutzutage wurde ein winziger Kristall unter die Haut am Unterarm des Patienten eingepflanzt. Es dauerte ein Jahr, bis sich der Kristall aufgelöst hatte. Während dieses Jahres war der Patient außerstande, ein Kind zu empfangen.
In früheren Jahrhunderten waren plumpere Methoden angewendet worden.
Die Erdbevölkerung hatte sich etwa zur Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts stabilisiert und lag bei achtzehn Milliarden. Der Fruchtbarkeitsausschuss, eine Unterabteilung der Vereinten Nationen, entwarf die Gesetze zur Geburtenkontrolle und setzte sie durch.
Mehr als ein halbes Jahrtausend waren jene Gesetze dieselben geblieben: Zwei Kinder für ein Paar, abhängig von der Beurteilung des Fruchtbarkeitsausschusses. Der Ausschuss entschied, wer wie viele Male Elternteil werden konnte. Der Ausschuss konnte einem Paar ein zusätzliches Kind gewähren, anderen Paaren überhaupt Kinder verwehren, und das alles auf Basis erwünschter oder unerwünschter Gene.
»Unglaublich«, sagte der Kzin.
»Warum? Alles wurde ziemlich tanj eng mit achtzehn Milliarden Menschen, die in einer primitiven Technologie gefangen waren.«
»Wenn der Patriarch versuchen würde, ein solches Gesetz bei den Kzinti durchzusetzen, würden wir das Patriarchat wegen seiner Anmaßung auslöschen.«
Aber Menschen waren keine Kzinti. Ein halbes Jahrtausend lang waren die Gesetze in Kraft gewesen. Dann, vor zweihundert Jahren, waren Gerüchte über Täuschungsmanöver seitens des Fruchtbarkeitsausschusses aufgekommen. Der Skandal hatte letztlich zu drastischen Veränderungen beim Gesetz zur Geburtenkontrolle geführt.
Jeder Mensch hatte jetzt das Recht auf einmalige Elternschaft, ungeachtet des Status seiner Gene. Zusätzlich konnten die Geburtsrechte zwei und drei automatisch kommen: Für einen hohen IQ, oder für eine bewiesene nützliche psychische Kraft, wie Plateau-Augen oder absolute Orientierung, oder für Überlebensgene, wie Telepathie oder natürliche Langlebigkeit oder perfekte Zähne.
Man konnte die Geburtsrechte zu einer Millionen Stars pro Versuch erwerben. Warum nicht? Das Händchen dafür, Geld zu machen, war ein erprobter, bewiesener Überlebensfaktor. Abgesehen davon machte er Bestechungsversuche zunichte.
Man konnte für die Geburtsrechte in der Arena kämpfen, wenn man sein erstes Geburtsrecht noch nicht aufgebraucht hatte. Der Gewinner verdiente sich Geburtsrecht zwei und drei; der Verlierer verlor sein erstes Geburtsrecht und sein Leben. Es glich sich aus.
»Ich habe solche Kämpfe in euren Unterhaltungsshows gesehen«, sagte der Sprecher. »Ich dachte, sie würden zum Spaß kämpfen.«
»Nein, das ist Ernst«, erwiderte Louis. Teela kicherte.
»Und die Lotterien?«
»Das reicht alles nicht«, sagte Nessus. »Selbst mit Boosterkräutern, um das Altern des Menschen zu verhindern, sterben auf der Erde in jedem Jahr mehr, als geboren werden …«
Und daher summierte der Fruchtbarkeitsausschuss die jährlichen Todesfälle und Emigranten auf, zog die Geburten des Jahres und die Einwanderungen ab und stellte die resultierende Zahl an Geburtsrechten der Lotterie am Neujahrstag zur Verfügung.
Jeder konnte teilnehmen. Mit etwas Glück konnte man zehn oder zwanzig Kinder haben – wenn das ein Glück war. Selbst verurteilte Verbrecher konnten nicht von der Geburtsrechtslotterie ausgeschlossen werden.
»Ich hatte selbst vier Kinder«, berichtete Louis Wu. »Eines durch die Lotterie. Ihr hättet drei davon treffen können, wenn ihr zwölf Stunden früher gekommen wäret.«
»Es hört sich sehr seltsam und kompliziert an. Wenn die Bevölkerung von Kzin zu sehr anwächst, …«
»… greift ihr die nächstgelegene menschliche Welt an.«
»Ganz und gar nicht, Louis. Wir kämpfen gegeneinander. Je mehr wir werden, desto mehr Gelegenheit ergibt sich für einen Kzin, einen anderen zu beleidigen. Unser Bevölkerungsproblem löst sich von selbst. Wir sind niemals in die Größenordnung eurer zwei Mal acht bis zehn Milliarden Menschen auf einem einzigen Planeten gekommen!«
»Ich glaube, ich kapier’s allmählich«, sagte Teela Brown. »Meine Eltern waren beide Lotteriegewinner.« Sie lachte ein wenig nervös. »Ansonsten wäre ich nicht mal geboren worden. Da fällt mir ein, mein Großvater …«
»Alle Ihre Vorfahren seit fünf Generationen wurden geboren, weil sie Lotterielose gewonnen haben.«
»Wirklich? Das habe ich nicht gewusst.«
»Die Aufzeichnungen sind ziemlich eindeutig«, versicherte ihr Nessus.
»Die Frage bleibt«, warf Louis ein. »Was soll’s?«
»Die-die-herrschen in der Flotte der Puppenspieler haben darauf spekuliert, dass die Menschen der Erde sich fortpflanzen und immer mehr Glück haben.«
»Huch!«
Teela Brown beugte sich, neugierig geworden, in ihrem Stuhl vor. Zweifellos war sie nie zuvor einem wahnsinnigen Puppenspieler begegnet.
»Denken Sie an die Lotterien, Louis. Denken Sie an die Evolution. Siebenhundert Jahre lang sind Ihre Leute an Zahl gewachsen: Zwei Geburtsrechte pro Person, zwei Kinder pro Paar. Hier und dort konnte jemand ein drittes Geburtsrecht gewinnen, oder es konnte ihm aus angemessenen Gründen verwehrt werden: Diabetische Gene oder so etwas. Aber der größte Teil der Menschen hatte zwei Kinder. Dann wurde das Gesetz geändert. Während der letzten beiden Jahrhunderte sind zwischen zehn und dreißig Prozent jeder menschlichen Generation durch den Gewinn eines Lotterieloses geboren worden. Was bestimmt, wer überleben und sich fortpflanzen wird? Auf Erden das Glück. Und Teela Brown ist die Tochter von sechs Generationen an Spielern, die Gewinner waren …«
Teela kicherte hilflos.
»Jetzt kommen Sie schon«, sagte Louis Wu. »Man kann das Glück nicht züchten, wie man struppige Augenbrauen züchten kann.«
»Dennoch züchten Sie auf Telepathie.«
»Das ist nicht dasselbe. Telepathie ist keine psychische Kraft. Die Mechanismen im rechten Parietallappen sind gut zugeordnet. Sie funktionieren bloß nicht bei den meisten Menschen.«
»Telepathie hielt man einmal für eine Art von Psi. Jetzt behaupten Sie, das Glück dies nicht ist.«
»Glück ist Glück.« Die Situation wäre komisch gewesen, so komisch, wie Teela glaubte; aber Louis begriff, was sie nicht begriff. Der Puppenspieler meinte es ernst. »Das Gesetz des Durchschnitts schwingt hin und zurück. Die Chancen stehen schlecht, und du bist aus dem Rennen, wie die Dinosaurier. Der Würfel fällt zu deinen Gunsten, und …«
»Manche glauben, dass einige Menschen den Fall eines Würfels dirigieren können.«
»Also habe ich eine schlechte Metapher gewählt. Der Punkt ist der …«
»Ja«, polterte der Kzin.
Er hatte eine Stimme, die Mauern erzittern lassen konnte, wenn er sie so einsetzen wollte. »Der Punkt ist der, dass wir akzeptieren werden, wen Nessus auswählt. Du besitzt das Schiff, Nessus. Wo ist dann das vierte Besatzungsmitglied?«
»Hier in diesem Raum.«
»Also, jetzt mal eine tanj Minute!« Teela stand auf. Das silbrige Netz blitzte wie echtes Metall auf ihrer blauen Haut; ihr Haar wehte wie eine Flamme im Zug der Klimaanlage. »Diese ganze Sache ist lächerlich. Ich gehe nirgendwohin. Warum sollte ich?«
»Suchen Sie jemand anderen, Nessus. Es muss Millionen geeigneter Kandidaten geben. Was hindert Sie daran?«
»Nicht Millionen, Louis. Wir haben ein paar Tausend Namen und Telefonnummern oder private Transferkabinennummern. Jeder kann fünf Generationen von Vorfahren für sich in Anspruch nehmen, die ihre Geburt dem Gewinn bei der Lotterie zu verdanken haben.«
»Nun?«
Nessus schritt auf und ab. »Viele disqualifizieren sich selbst durch offensichtliches Pech. Von den übrigen ist anscheinend niemand verfügbar. Wenn wir anrufen, sind sie weg. Wenn wir zurückrufen, gibt uns der Telefoncomputer eine falsche Verbindung. Wenn wir nach irgendeinem Mitglied der Familie Brandt fragen, klingelt jedes Telefon in Südamerika. Es hat Beschwerden gegeben. Es ist sehr frustrierend.« Tapptapptapp, tapptapptapp.
»Sie haben mir nicht mal gesagt, wohin Sie wollen«, sagte Teela.
»Ich kann Ihnen unser Ziel nicht mitteilen, Teela. Sie können jedoch …«
»Bei Finagles roten Klauen! Sie wollen uns nicht mal das mitteilen?«
»Sie können das Holo untersuchen, das Louis Wu bei sich hat. Das ist die einzige Information, die ich Ihnen zurzeit geben kann.« Louis reichte ihr das Holo, dasjenige, das einen babyblauen Streifen zeigte, der einen schwarzen Hintergrund hinter einer Scheibe von blendendem Weiß überquerte. Sie ließ sich Zeit mit der Betrachtung; und nur Louis fiel auf, wie ihr vor Wut das Blut ins Gesicht strömte.
Als sie sprach, spie sie zugleich die Worte aus wie die Samen einer Mandarine. »Das ist die lächerlichste Sache, die ich je gehört habe. Sie erwarten, dass Louis und ich mit einem Kzin und einem Puppenspieler als Gesellschaft jenseits des bekannten Raums hinausjagen, und alles, was wir von unserem Ziel wissen, ist, dass es ein blaues Gummiband und einen Lichtflecken gibt. Das ist … lächerlich.«
»Dann verstehe ich Sie richtig, dass Sie sich weigern, sich uns anzuschließen.«
Die Augenbrauen des Mädchens gingen in die Höhe.
»Ich muss eine direkte Antwort bekommen. Meine Agenten könnten bald einen anderen Kandidaten orten.«
»Ja«, sagte Teela Brown. »Ja. Ich weigere mich.«
»Dann vergessen Sie nicht, dass Sie laut dem Gesetz der Menschen die Dinge, die Sie hier gehört haben, geheim halten müssen. Sie haben ein Beraterhonorar erhalten.«
»Wem sollte ich es sagen?« Teela lachte dramatisch. »Wer würde mir glauben? Louis, gehst du wirklich auf diese lächerliche …«
»Ja.« Louis war mit den Gedanken bereits woanders, zum Beispiel, wie er sie taktvoll aus dem Büro befördern konnte. »Aber nicht gleich jetzt. Da läuft immer noch eine Party. Sieh mal, tu mir einen Gefallen, ja? Schalte den Musicmaster von Band vier auf Band fünf um. Dann sag jedem, der fragt, dass ich gleich draußen bin.«