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Wie konnte der alljährliche Familienurlaub so aus dem Ruder laufen? Sammy, eine erfolglose Autorin und Mutter einer Großfamilie, hat ja schon einiges erlebt, von schönen Tagen bis hin zur Frustration. Doch es kommt noch dicker. Im Sommerurlaub muss sich die optimistische, lebensbejahende Frau mit Kriminellen herumschlagen. Die Situation bleibt völlig im Dunkeln. Sammy weiß nicht, wer Freund oder Feind ist. Wie soll sie diese Riesen-Herausforderung meistern? Dieses Buch ist ein Statement für die Familie. Sie kann Dich nerven, frustrieren und Dir alles abverlangen. Und doch werden Deine Lieben diejenigen sein, die Dir zur Seite stehen, wenn es hart auf hart kommt.
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Seitenzahl: 323
Riskanter
Familienurlaub
Samantha Mary Lynn
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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© 2023 -Verlag, Altheim
Buchcover: Germancreative
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Vorwort
Familie kann so schön sein. Und dennoch gibt es auch diese herausfordernden Momente. Probleme über Probleme und man sieht das Gute an der Familie nicht mehr.
So ging es mir. Ich liebte meine Familie, aber manchmal wollte ich sie alle auf den Mond schießen. Dann gab es wieder die Momente, in denen ich froh war, nicht allein zu sein. Zum Beispiel an Feiertagen. Innerlich war ich ständig hin- und hergerissen zwischen meinen Gefühlen.
Ich heiße Samantha, meine Freundinnen nennen mich „Sammy“, meine Kinder „Mama“ und mein Mann „Schatziiiiii!“ Dies ist ein Stück meiner Lebensgeschichte. Ich bin die Mutter von vielen Kindern und kenne keine Einsamkeit. Manchmal möchte ich gerne allein sein, nur für einige Tage, um mal meine Bedürfnisse zu erfüllen.
Dennoch bin ich froh, dass ich nicht ganz allein lebe, denn ich bin nun mal ein Familienmensch. Stets umgeben von einer Großfamilie, die reichlich Krach macht und die sich im Hotel Mama immer noch wohl fühlt.
Eigentlich könnte ich sehr glücklich sein, wären da nicht die vielen kleinen Auseinandersetzungen. Warum ist es nicht möglich, dass alle Familienmitglieder liebe-voll miteinander umgehen, sich in ihrer Verschiedenheit gegenseitig ergänzen und eigene Wünsche zum Wohle der Anderen zurückstecken?
Das wäre der Himmel auf Erden! Aber obwohl ich von meinem Jüngsten einmal naiv genannt wurde, wusste ich, wie Familien wirklich funktionieren. Oft war ich diejenige, die zurücksteckte und versuchte, alle Bedürfnisse zu erfüllen, außer meinen eigenen.
Daher war ich häufig antriebslos, frustriert oder mir fehlte der Hoffnungsstreifen am Horizont. Gerade in den Jahren, als sich meine Jugendlichen in ihre Zimmer verkrümelten und Schilder an die Tür hingen mit der Aufschrift: „Zutritt für Eltern verboten!“
Ich fühlte mich abgemeldet und das belastete mich am meisten.
Doch es sollte noch dicker kommen.
Ich war so sehr im Geschäft Familie eingespannt, dass ich dachte, ich hätte schon alles erlebt und nichts könnte mich mehr überraschen. Aber dann kam dieser gefährliche Sommerurlaub, der ganz andere Herausforderungen brachte. Zu siebt fuhren wir nach Kroatien, fünf Erwachsene und zwei Kleinkinder.
Das Wetter war mies, es regnete fast ununterbrochen, durch das Mobilheim krochen die Ameisen und die bei-den Kleinen waren kaum zu bändigen. Als wäre das noch nicht genug, wurde ich von Kriminellen bedrängt, entführt und bedroht. Nie wusste ich, wem ich trauen konnte.
Außer meiner Familie, die selbstverständlich auf meiner Seite war. Aber was konnte sie ausrichten? Wir waren in einem fremden Land, verstanden die Sprache nicht und hatten kein Geld mehr zur Verfügung.
Hier war eine große Portion Optimismus gefragt!
Wie alles begann
Mit 19 Jahren hatte ich an Familienplanung noch keinen Gedanken verschwendet. Ich wollte zwar einen Mann haben, so ein Musterstück, das mich auf den Händen trägt, aber keine Kinder.
»Kinder sind laut, ungehorsam und machen eine Menge Dreck!« Das waren meine Erfahrungen als ehemalige Babysitterin.
Auf den Stress hatte ich keine Lust. Ich wollte mein Leben genießen und vieles nachholen, was mir als Kind armer Eltern versagt geblieben war. So war ich niemals mit der Familie im Urlaub gewesen, ich kannte weder Spanien, Italien, Frankreich, Österreich noch die deutsche See. Ich träumte in jedem Sommer von gewaltigen Berggipfeln und dem tosenden Meer, von Palmen und Hotelklötzen. All das, was ich im Fernsehen bestaunen konnte, wollte ich mit eigenen Augen sehen und mit meinen Händen befühlen.
In Armut geboren und aufgewachsen fehlten mir auch in den kommenden Jahren die Ressourcen, um mein Leben zu verbessern. Doch das Fernweh und die Abenteuerlust trieben mich an. Ich träumte davon, mich aus einem Hubschrauber über dem Dschungel abzuseilen und dann ganz allein durchzuschlagen. Es wurde Zeit, eigenes Geld zu verdienen.
Mit 19 Jahren hatte ich meine einfache Ausbildung beendet und alles Geld gespart, das ich locker machen konnte. Dann ging ich in ein Reisebüro (es gab damals noch kein Internet!) und wählte die günstigste Fernreise aus, die es gab. Das waren zwei Wochen Urlaub im 3-Sterne-Hotel in Calafell, einem kleinen Fischerort an der Costa Dorada mit Halbpension und Fahrt im Reisebus für 800,-- Deut-sche Mark.
Ich war überglücklich. Zwei Wochen Sonne, Strand und Meer. Mein langgehegter Traum würde endlich in Erfüllung gehen. Jung, frei und völlig unbesorgt startete ich mit nur wenig Taschengeld, einem einzigen Bikini und zwei Sommerkleidern. Aber was machte das aus? Ich fuhr nach Spanien!
Ich wusste gar nicht, was auf mich zukommen würde. Wie sollte ich mich in einem Hotel benehmen oder wie konnte ich Geld umtauschen? Meine Spanisch-Kenntnisse beschränkten sich auch nur auf »gracias« und »Dove el omnibus a Tarragona?«.
Glückliche Jugend!
In diesem Urlaub erlebte ich die wunderbarste Zeit meines ganzen Lebens. Ich ging am Strand spazieren, ließ meine Füße vom Meer umspülen, lief durch die Sonne mit einem Eis in der Hand oder saß am Hotelpool und trank Sangria. Völlig mit mir zufrieden war ich nicht auf der Suche nach einem Freund und stellte dennoch fest, dass sich mehrere Männer für mich interessierten.
Das war ein zusätzlicher Bonus. Plötzlich war ich für das andere Geschlecht interessant geworden. Ich wünschte mir, dass mein Leben fortan genauso weiterlaufen sollte: jung, schön, begehrt und glücklich.
Mehrmals im Jahr wünschte ich mir Spaß und Entspannung in südlichen Gefilden, um meinen starken Freiheitsdrang kompromisslos auszuleben. Stattdessen gründete ich mit 24 Jahren eine Familie, suchte täglich Pfandflaschen, ausgeliehene Bücher, Schulhefte und Stifte und lebte von der Hand in den Mund.
Ich tat das, was ich eigentlich niemals tun wollte. Und ich landete dort, wo ich niemals sein wollte. Nämlich wieder in einer Familie, in der das Geld superknapp war.
Ich wählte die große Liebe und vervielfältigte sie. Tag für Tag umsorgte ich meine Kinder, bis sie alt genug waren, um eigene Entscheidungen zu treffen. Erst danach be-merkte ich die Identitätskrise, in der ich steckte. Ich war 45 Jahre alt und schrieb an meiner Biografie.
Damals wusste ich nicht mehr, wer ich war. Als Mutter hatte ich mich total verausgabt, natürlich auch Fehler gemacht, aber stets alles gegeben, was ich zu geben hatte. Doch nun wurde ich nicht mehr benötigt. Und was ich noch mit meinem Leben anfangen wollte, das wusste ich noch nicht. Ich war ratlos und planlos.
Ich hatte Fragen über Fragen und mir fehlten die Antworten. Also ging ich Stück für Stück in meinem Leben zurück, forschte nach Anhaltspunkten und begann, mei-ne Vergangenheit aufzuarbeiten. Alles angeregt durch mein Schreiben. Ich wollte wissen, wer ich wirklich war und was mich antrieb. Ich tat diese persönliche Bestandsaufnahme weinend, selbstkritisch und ehrlich, weil ich auf der Suche nach der Wahrheit war.
Wie konnte es geschehen, dass mein Mut, meine Abenteuerlust und mein Vertrauen in mich selbst auf der Strecke geblieben waren? Einst kannte ich keine Vorsicht. Ich warf mich mitten ins Leben hinein, ohne Rücksicht auf Verluste. Hatte ich meine persönliche Integrität im bewegten Familienalltag verloren? Oder war ich einfach nur reifer geworden? Das war die große Frage.
Es folgte eine Sinnsuche, die monatelang anhielt. Ich betrachtete mein Leben und kam zu dem Schluss, dass es an der Zeit war, einiges zu ändern. Ich musste mich wie-der selbst finden und auch mal daran denken, meine Wünsche zu verwirklichen, bevor es zu spät war.
Es tat mir nicht leid, dass ich mich für meine Familie 20 Jahre lang aufgeopfert hatte. Das war aus echter, tiefer Liebe heraus geschehen. Meine Kinder wuchsen zu star-ken Persönlichkeiten heran, die furchtlos ihren Weg gehen. Mehr konnte ich ihnen nicht mitgeben und damit war mein Job als Mutter erst einmal erledigt.
Nun sollte es wieder um mich gehen. Um die Freiheit, eigene Hobbys auszuprobieren, neue Freunde zu finden, einen Verein zu gründen oder soziale Projekte ins Leben zu rufen, was immer mir auch einfiel.
Es wurde Zeit, wieder neu ungezwungen und integer zu handeln!
Doch diese späte Selbstfindung wurde mir nicht leicht gemacht. Da war zum Beispiel mein Ehemann, der rein gar nichts verändern wollte und den ich erst mal übrzeugen musste, dass man mich wieder auf diese Welt loslassen konnte. Es war Zeit, wieder die spontane, lusti-ge, etwas verrückte Sammy zu werden, die ich in den Jahren verloren hatte.
Höre ich da Töne von Bitterkeit?
Nur ganz leicht!
Johannes und ich, wir hatten eine gute Zeit miteinander, bis die Kinder in die Pubertät kamen. Dann konnte man wirklich verzweifeln, denn plötzlich stand unsere Welt auf dem Kopf. Die lieben Kleinen verzogen sich in ihre Zimmer und kreischten ständig: »Tür zu, wir wollen nicht gestört werden!«
Mein Traummann war zu dieser Zeit müde geworden. Wollte ich etwas unternehmen, dann hatte er keinen Bock darauf. Mit Antworten wie »Das geht nicht!« oder »Können wir uns nicht leisten!« oder der Klassiker »Ist gar nicht möglich!« kam er nicht lange bei mir durch.
Wenn ich da an die IT´ler dachte, mit denen ich mal zusammengearbeitet hatte, dann durfte man den Satz »Das geht nicht!« gar nicht in den Mund nehmen. Die Informa-tionstechniker waren der Meinung, dass es bis dato nur noch keiner versucht hatte.
Also hinterfragte ich die Antworten meines Gatten: »Was ist das Problem, warum soll das nicht möglich sein?« Und ganz schnell wird klar: »Geht schon, wenn man will!«
Auch seine Aufmerksamkeitsspanne mir gegenüber war beträchtlich geschrumpft. Beim gemeinsamen Frühstück redeten wir entweder über Geld, die Probleme der Kin-der, wir schwiegen uns an oder er checkte ständig sein Handy.
Der Ehe-Alltag gab mir zu dieser Zeit keine Bestätigung mehr. Ich fühlte mich im Gegenteil ständig entkräftet durch viele kleine zwischenmenschliche Konflikte.
Ich dachte an den tollen Typen zurück, den ich in Spanien kennenlernte und der mich und nur mich haben wollte. Waren das schon unsere guten Jahre gewesen?
Als ich zu jener Zeit mit meinem Bus in dem kleinen Fischerort an der Costa Dorada angekommen war und nur an den Strand dachte, da stand Johannes schon in der Lobby und sah mich interessiert an. Wen wunderte es, dass er beim Abendessen bereits an meinem Tisch saß? Und es wäre sicherlich beim gepflegten Smalltalk geblieben, wenn mir nicht der Nachtisch vom Teller gerutscht wäre.
Die Blamage war gewaltig. Alle Leute im Speiseraum sahen auf die glitschige Dosenfrucht, die auf dem Tischtuch lag, und warteten auf meine Reaktion. Es war mucksmäuschenstill und man konnte eine Nadel fallen hören. Ich sah überhaupt keinen Anlass, mich peinlich berührt zu fühlen, und lachte laut los.
Sofort widmeten sich die anderen Besucher wieder ihren Tellern, während ich kaum aufhören konnte, zu lachen.
Johannes lächelte sympathisch und beugte sich zu mir. Er legte die Dosenfrucht zurück auf meinen Teller und zerkleinerte sie mit den Worten: »Komm, ich helfe Dir mal!«
Später, als wir gemeinsam zum Strandcafé bummelten, den ersten abendlichen Sonnenuntergang genossen und intensive Blicke tauschten, da gestand er mir: »Dein La-chen hat mir so gut gefallen!«
Stundenlang konnte er erzählen und sehr, sehr lange konnte er mir zuhören. Alles, was ich sagte, war ihm wichtig. Jeden Wunsch las er mir von den Lippen ab. Wenn ich Appetit auf gebratene Hähnchen hatte, dann fuhr er mit dem Rad kilometerweit zum nächsten Grillstand. Alles war möglich und nichts war zu viel.
Seine Bereitschaft, mich zu lieben, war überdimensional.
Wir heirateten und das erste Kind machte sich bald be-merkbar. Ich kündigte meinen Job, denn für dieses kleine Wesen wollte ich mir alle Zeit der Welt nehmen. In diesem Sinne waren wir uns einig. Unsere Familie war das Wichtigste für uns und täglich erkannte ich, wie gut wir uns ergänzten.
Sobald mein Mann abends nach Hause kam und sein «Hallo Familie!« ertönte, ging er zielstrebig in die Küche, um die Spülmaschine einzuräumen. Dann sammelte er im Nu das herumliegende Spielzeug in eine Kiste und fragte erst danach: »Was gibt es zum Abendessen?«.
Sogar Erbrochenes konnte Johannes ohne Würge-Reiz aufwischen, was mir so gar nicht gelang.
Da ich den ganzen Tag mit den Kindern verbrachte, stimmten wir uns ab, dass mein Mann die Abendbelustigung übernehmen sollte. Ich ging in die Sprachenschule und lernte Spanisch, auch mal Italienisch und etwas Französisch, um für alle gemeinsamen Urlaube gerüstet zu sein. Mein Mann ging währenddessen mit den Klei-nen zu McDonalds, wo sie im Spielbereich tobten.
Ich fühlte mich während dieser Zeit geliebt und umsorgt, meine Tätigkeiten als Familienmanagerin waren anerkannt und obwohl die Nächte oft recht kurz waren, schöpfte ich die Kraft für den Alltag aus der Liebe zu meiner Familie und aus meinen persönlichen Aktivitäten.
Das Einzige, was uns als junge Eltern belastete, war das fehlende Geld. Mit nur einem Verdienst mussten wir den Gürtel sehr eng schnallen. Ich kochte gesund, mit wenig Fleisch und viel Gemüse und verlängerte jedes Hauptgericht um eine Menge Soße. So kamen wir zu sechst mit einem Pfund Hackfleisch zurecht. Manchmal aßen wir nur Reis mit Erbsen oder knusprige Bratkartoffeln, aber wir waren glücklich. Wir liebten uns und jedes Mal, wenn ein Kleinkind strahlend auf uns zugerannt kam, zog es unser Herz zusam-men und wir wollten ein weiteres Baby haben.
Das ging so weit, bis ich mir eines Tages verbot, kleine Kinder überhaupt anzusehen. Damit zog ich den Schluss-Strich. Wir hatten mit unserer Bande wirklich genug zu tun und es gab Tage, die mehr als stressig, hektisch und arbeitsintensiv waren, so dass ich mich oft überlastet fühlte.
Zu dieser Zeit las ich alles, was es an hilfreichen Fachbüchern gab. Zeitmanagement, Psychologie, Erziehungsratgeber und ich behielt nur das, was unseren Alltag überstand. Mit vielen guten Ratschlägen vereinfachte ich unser Leben. Von Montag bis Freitag standen sowieso Kindergarten und Schule auf der Tagesordnung, Elternabende, tägliche Spielplatz-Zeiten und feste Ruhephasen. Den Samstag wollten wir als Familie richtig feiern. Das begann mit dem Kuscheln im großen Familienbett, in dem wir alle übereinander lagen, kreuz und quer. Das war sehr lustig und wenn ich etwas vermisse, dann diese gemütliche Zeit am Samstagmorgen.
Wurden die lieben Kleinen dann nach einiger Zeit hungrig, bereitete ich ein grandioses Frühstück zu. Den morgendlichen Kakao und für die Milchverächter den Saft, Brötchen und alles, was dazugehörte. Ein besonderes Highlight war, wenn Papa frische Wurst beim Metzger holte und jeweils ein Kind ihn begleiten durfte.
Auch wenn täglich ein Becher umfiel und sich der Saft über den ganzen Tisch ergoss, so haben wir an diese Zeit nur schöne Erinnerungen. Wir sparten die ganze Woche für unseren Erlebnis-Samstag. Denn nach dem Super-Frühstück gab es einen grandiosen Ausflug.
Wir waren in jedem Tierpark der Umgebung und kannten alle Freizeiteinrichtungen und Schwimmbäder. Wo-hin wir auch fuhren, es war allezeit schön. Ich denke gerne an einen Zoo-Besuch zurück, bei dem ein Pony genüsslich begann, meinen langen, dunkelgrünen Rock zu verspeisen. Ich begutachtete den Riss und warf in die Runde: »So kann ich doch nicht rumlaufen!«, als der drei-jährige Alex mir aus vollem Herzen seine Zoo-Aufkleber reichte, die er gerade erst am Eingang geschenkt bekommen hatte. »Da Mama, kannst du es wieder kleben!«
Hunderte solcher Geschichten werden immer wieder hervorgekramt und erzählt.
Es ist unsere Geschichte!
Das Leben einer Familie, die füreinander da war, sich gegenseitig ergänzte und die mit den unterschiedlichen Charakterzügen, Ansichten und Meinungen umgehen konnte.
Einer für alle und alle für einen! Die gute alte Musketier-Praxis, so stellte ich mir Familien vor und das war unser Leben.
Sonntags besuchten wir den Gottesdienst. In der Kinderstunde konnte ich meine Kleinen für einige Zeit abgeben, so dass mal andere für den Spaß sorgen mussten. Das war wunderbar, doch bald wurde ich in die Arbeit integriert und zur Gruppen-Leiterin ausgebildet. Fachkräfte waren rar und ich stellte bereits eine große Kinderschar. Es blieb mir nichts anderes übrig, ich musste auch hier mitarbeiten und tat mein Bestes. Selbst im Beten wurde ich stark. Es war mir schon immer ein Anliegen, meine Kinder zu beschützen, doch da ich selbst so klein und unbedeutend war, befahl ich sie dem Schutz des Höchsten an.
Das war auch kurz vor knapp.
Wenn ich an die Geschichte mit Mathilda denke, dann bekomme ich heute noch Gänsehaut. Meine Tochter ging in die Grundschule und war angeblich im Schulbus die Rädelsführerin für starken Lärm gewesen. Nun, das ließ sich hinterher schlecht feststellen, da alle Zeugen anderer Meinung waren. Aber leider wurde meine Tochter vom Busfahrer hinausgeworfen und verlief sich auf dem Heimweg.
Die Zeit war schon fortgeschritten und Mathilda war noch nicht zu Hause angekommen. Ich überlegte gerade, ob ich mit den Kleinen zur Schulbus-Haltestelle laufen sollte, da klingelte das Telefon. Eine fremde Frau fragte: »Sind Sie die Mutter von Mathilda? Sie hat mir Ihre Tele-fonnummer gegeben!« Mir fiel ein Stein vom Herzen.
Als ich meine Tochter abholte, saß sie vergnügt am Tisch in einer Gaststätte und trank Fanta. Die nette Dame, die sie aufgelesen hatte, wollte nicht mal meinen Dank haben. Sie betonte: »Es war eine Selbstverständlichkeit. Alle Mütter hätten so gehandelt!«
Neben Sorgen gab es auch einige Unfälle. Die sechsjährige Nele war dafür bestens geeignet. Sie hatte ein neues Sprungseil erhalten und sollte es vor dem Haus testen. Da sie nicht bis unten warten wollte, hopste sie bereits im Treppenhaus herum. Es tat einen mächtigen Schlag, als die schwere Lampe von der Decke fiel und auf Neles Kopf traf. Ich packte mein Kind und fuhr zum Kinderarzt.
Doch auch in dieser Situation war nichts Schlimmes passiert. Wir sollten darauf achten, dass Nele sich einige Tage ruhiger benahm als üblich, das war schon schwer für uns. Nele konnte man nicht ruhigstellen. Sie war so neugierig und aktiv, probierte auch alles aus, was ihr in den Sinn kam. Oft hatte ich Bedenken, dass sie ihre eigene Kindheit nicht überleben würde.
Unser Kinderarzt war ein Glücksgriff und immer für uns da. Auch wenn meine Anrufe manchmal sonderbar waren: »Meine Tochter hat in die weihnachtliche Beleuch-tungskette gebissen. Kann da etwas passieren?« Ja, sie haben manchmal komische Sachen gemacht, die lieben Kleinen. Ich habe keine Ahnung, wo sie das herhaben. Und sicherlich hat man in der Arztpraxis auch hin und wieder über uns geschmunzelt. Dennoch wurde ich gelobt, wenn ich den Kleinen im Wartezimmer jedes vorhandene Buch vorlas. Wenn es nötig war, stundenlang und mit den unterschiedlichsten Stimmen. »So wird Sprache gebildet, das machen Sie sehr gut!«
Wir hatten die ganze Kinderzeit hindurch einen herzlichen Kontakt zu diesem Arzt, der mich unterstützte, indem ich Sammeltermine bekam, wenn alle Kinder krank waren und sogar einen Geschwister-Bonus auf Kindergarten-Atteste.
Neben Sorgen und Unfällen gab es aber auch die Dinge, über die wir noch lange lachen konnten.
Während ich mittags mal kurz eingenickt war, büxte Alex als Zweijähriger aus. Er stand in Unterhosen mitten auf dem Weg vor unserem Haus, sperrte mit seinen ausgestreckten Armen den Durchgang ab und rief fröhlich lachend: »Ich lass hier keinen durch!«
Die Nachbarn klingelten Sturm. »Was denn?«, lachte Alex. »Ich spiel doch nur Polizei!«
Ach, hätte ich doch damals ein Foto gemacht. Diese niedlichen Sachen gerieten sehr schnell in Vergessenheit.
Obwohl ich mich heute oft frage, wo die Zeit geblieben ist, so weiß ich doch, dass wir damals sehr glücklich waren. Tausend Dinge hätten schiefgehen können, das war mir bewusst. Und ich war meinem Gott von Herzen dankbar, dass nichts Schlimmes passierte. Ich betete jedes Mal um himmlischen Schutz, bevor ich aus dem Haus ging, weil Nele stets in die eine Richtung lief und Vince, der Kleinste, in die entgegengesetzte. Ich wusste gar nicht, wem ich zuerst hinterherlaufen sollte.
Auch wir Eltern haben Fehler gemacht, das blieb leider gar nicht aus. Doch fast alle Kinder sind zufrieden mit ihrer Kindheit. Dieses Gespräch ergab sich eines Tages, als wir mit unseren jungen Erwachsenen gemütlich am großen Esstisch saßen.
Mathilda konnte es nicht nachvollziehen, warum ich nicht arbeiten gegangen war. Ihr fehlten tolle Kleider und Schuhe und ein ordentliches Taschengeld. Auch die ständigen Bratkartoffeln, unseren Familienbus oder die einfachen Zelt-Urlaube, die fand sie gar nicht gut.
Unser Sohn Alex, der drei Jahre nach Mathilda geboren wurde, liebte unsere Ausflüge und Urlaube. Er möchte es bei seinen Kindern genauso machen. Schöne Kleider und viel Geld waren seiner Meinung nach für ein Kind nicht notwendig. Nele, die wiederum drei Jahre nach Alex geboren wurde und die eigentlich der ersehnte Bruder werden sollte, war ebenfalls mit der Familiensituation zufrieden. Sie liebte es, zwischen den Jungs aufzuwachsen und mit ihnen Blödsinn zu machen.
Vince, der Jüngste, ein Jahr nach Nele geboren und als Baby ein Schrei-Kind, meinte, ihm hätte als Kind nur ein Handy gefehlt, sonst war er ganz zufrieden. Außer, dass man bei uns nicht von Erziehung sprechen konnte, er hätte sich komplett selbst erzogen.
Dass wir daraufhin alle gelacht hatten, scheint klar.
Die Sache mit Mathilda schmerzte mich jedoch sehr. Doch ich wusste nicht, wo ich zu dieser arbeitsintensiven Zeit noch einen Job hätte unterbringen sollen.
Darüber hinaus war ich selbst nicht wohlhabend aufgewachsen und mein Mann auch nicht. Sein Vater war früh gestorben und die Mutter musste vier Kinder allein erziehen. Johannes und ich, wir konnten sparen, aber den-noch war unsere Kindheit glücklich.
Ich war ein Dorf-Kind und spielte mit allem, was ich draußen fand. Kein hoher Baum war vor mir sicher und jede Dummheit, die man sich vorstellen konnte, artete zur Mutprobe aus. Überlebensqualitäten wurden gefordert, wenn wir reißende Bäche überquerten oder Festungen verteidigten. Ich war stets die Anführerin einer Kinderschar und dachte mir die spannendsten Spiele aus.
Mit einem Mindestmaß an Materialien konnte ich tolle Dinge tun. Zum Beispiel Papierschiffchen basteln und diese in einer großen Pfütze schwimmen lassen. So etwas kam bei uns zum Einsatz, wenn es tagelang regnete. Meist dauerte es nicht lange und die Kleinen saßen mit den Regenhosen direkt in der Pfütze und spielten mit den Schiffchen.
„Krokodile fangen“ war auch so ein Spiel für strömenden Regen. Dann pirschten wir uns durch den Urwald (ein Waldstück in der Nähe) und schlugen mit unseren Stöcken auf jeden Krokodil-Arm ein, der sich vorwitzig aus dem Gebüsch heraus schlängelte. Danach ging es in die warme Badewanne und anschließend gab es heiße Schokolade und Kekse.
Was sollte man sonst tun, wenn es tagelang regnete und die Kinder nervten? Ober wenn man in den Ferien nicht wegfahren konnte, weil das Geld fehlte? »Macht doch auf Balkonien Urlaub!», empfahl uns meine Schwiegermutter. »Da ist es auch schön!«
Hat schon mal jemand mit vier kleinen gelangweilten Kindern auf einem Balkon gesessen?
Nein, wir waren bei jeder Gelegenheit draußen, das war zehnmal angenehmer. Bereits Anfang März eines jeden Jahres aßen wir im Freien und selbst an Silvester wurde noch gegrillt. Für die Zeit im Grünen dachte ich mir interessante Spiele aus, voller Spaß und Fantasie.
Auf einem kargen Spielplatz spielten wir fangen und ich jagte die Kinder umher, auch der Fuchs geht herum war mit unserer Menge an Leuten möglich und Verstecken war sowieso der Knaller.
Für Geschichten habe ich meine Kinder früh begeistert. Jeden Abend wurde vorgelesen, bis sie selbst lesen konnten. Spannende Detektiv-Geschichten, die Geheimnis- und die Abenteuer-Serie. Alles, was es an guter Kinderliteratur gab. Ich hatte stundenlang an ihrem Bett gesessen und gesungen, wenn sie nicht einschlafen konnten, Bauchweh hatten oder sonstige Sorgen. Papa hatte sich sogar eine neue Geschichten-Reihe ausgedacht, die bei langweiligen Autofahrten zum Einsatz kam.
Wir liebten uns und die Familie ergänzte sich. Auch die Geschwister verstanden sich untereinander recht gut. Tagsüber wurde zusammen gespielt und abends räumten die Kinder oft alle Matratzen aus den Betten, um gemeinsam darauf zu schlafen.
Es sollte immer so sein. Ich wollte schon ein Loblied auf die Familie singen, als sich ganz plötzlich, fast über Nacht der Wind änderte. Er wehte uns entgegen und versuchte, uns wegzupusten. Wir Eltern standen da und verstanden gar nichts.
Unsere geliebten Kinder begannen, gegen uns zu kämpfen, je nach Temperament in unterschiedlicher Stärke. Gemeinsam boten sie ein starkes Bollwerk.
Die Pubertät! Die lieben Kleinen hatten sich viel zu schnell zu kratzbürstigen Jugendlichen entwickelt und zickten uns bei jeder Gelegenheit an.
Ab dieser Zeit gab es nur noch wenig Harmonie in unseren Räumen. Schon beim gemeinsamen Essen ging es los mit endlosen Diskussionen, immerwährenden Streitgesprächen und dem lästigen Herumhacken auf ein und demselben Thema.
Wehe, man sagte etwas über die Freunde von Nele, dann schrie sie los: »So darfst du nicht über meine Freunde reden!«Oder mein Mann versuchte mal wieder, altmodische Weisheiten anzubringen, die er als Kind gelernt hatte. Dann begann die ganze Tischgesellschaft zu lachen. »Warst du schon dabei, als Noah die Arche baute?« Mein Mann wurde respektlos behandelt, das hatte er nicht verdient. Dem ungeachtet erkannte er nicht, dass Benimm-Vorschriften im Moment nicht ankamen. Als er dann noch versuchte, die Ausgehzeiten einzugrenzen, gab es einen kräftigen Gegenwind. »Warum soll ich schon um 22.00 Uhr zuhause sein, während alle anderen noch feiern?« Dieses Geschrei hatten wir jeden Freitagabend.
Statt etwas nachzugeben, setzte Papa auf stur. »Du bist pünktlich um 22 Uhr draußen, sonst klingel ich bei den Leuten!«
Das war natürlich eine Kampfansage und seitdem hatte Johannes nichts mehr zu lachen. Es war unmöglich, ihn zu einem Kompromiss zu bewegen. Er wankte keinen Millimeter von seiner neuen Linie ab und verspielte dabei viele Sympathien.
Zwischen Papa und den Kindern wurde gekämpft, wie in einer Arena und immer ging es um die gleichen Themen: Ausgehzeiten oder Geld. Vor allem Mathilda konnte so wütend werden, dass die Türen fast aus den Angeln fielen. Die armen Nachbarn taten mir ständig leid.
Ich hasste diese wöchentlich wiederkehrenden lautstarken Diskussionen und konnte mich noch gut daran erinnern, wie ich mit 14 Jahren in unsere Dorfdisko gegangen war. Natürlich war ich damals noch viel zu jung dafür gewesen und man hätte mich auch nicht hineinlassen dürfen. Ich mogelte mich jedes Mal durch und fühlte mich gut dabei. Meine Eltern warnten mich vor Gefahren, hielten mich aber nie mit Verboten ab. Und ich hatte genug Verstand, um die wirklich gefährlichen Dinge nicht zu tun, zum Beispiel Drogen zu nehmen oder bei fremden Männern ins Auto zu steigen. Manchmal war ich am Wochenende sogar früh wieder zurück, wenn so gar nichts in der Disko los war.
Schließlich hatte ich bei einem meiner abendlichen Ausflüge in der nahen Stadt eine Teestube gefunden, in der man mir den christlichen Glauben nahebrachte. Es war so eine Art Studententreff und einer meiner Freunde hatte ihn mir empfohlen. Wir saßen auf Matratzen, tran-ken Tee, aßen Schmalzbrote und hörten von einem liebenden Gott, der sich für interessiert. Das hatte ich bis dahin noch nie gehört.
Ich hätte diesen freundlichen Gott nicht finden können, hätte ich um 22.00 Uhr zuhause sein müssen. Nein, es war stets kurz vor Mitternacht, als ich mit dem letzten Stadtbus ins Nachbardorf fuhr und die dunkle Landstraße allein nach Hause lief.
Auch Johannes war in seiner Jugendzeit abends Unter-Wegs gewesen, deshalb verstand ich seine Sturheit nicht. „Ich kann erst schlafen, wenn alle Kinder zuhause sind!“ Klar, das Problem haben alle Eltern, müssen deshalb die Kinder aufs Erwachsenwerden verzichten?
Ich stand Tag für Tag mittendrin im Chaos und versuchte, zu vermitteln. Den Schrei meiner Kinder nach Freiheit und Selbstbestimmung konnte ich gut verstehen, ich war ja genauso gestrickt. Dennoch konnte ich meinem Mann nicht in den Rücken fallen. Ich versuchte so lange beruhigend zwischen den Fronten auszugleichen, bis mir mein Mann vorwarf, ein »Tauchsieder« zu sein, der sich in alles einmischt.
Das war wirklich die Höhe! Ich sollte an seiner Seite stehen und zu ihm halten in einem aussichtslosen Kampf? Und dann nannte Johannes meine Versuche, allen gerecht zu werden, Einmischung?
Seit dieser Zeit ließ ich meinen lieben Mann seine Kämpfe allein austragen und leider stand er seitdem auch ziemlich isoliert da.
Mir blieb nur die Rolle der Zuschauerin und wenn es besonders ernst wurde, ging ich dazwischen. Den Kindern riet ich, das Problem zu umschiffen, bei Freunden zu übernachten und dann mit ihnen auszugehen.
Während dieser schwierigen Jahre hatte ich keinen Spaß mehr an der Familie. Ich dachte auch, es würde nie wie-der besser werden. Ich litt darunter, dass täglich die Fetzen flogen und unser harmonisches Familienleben immer mehr verschwand.
Unsere Wohnung kam mir vor wie ein Minenfeld, auf dem unzählige Kämpfe tobten und kleine Feuer immer wieder aufflammten.
Das war der Zeitpunkt, wo ich mich gefühlsmäßig ständig erschöpft fühlte. Es stresste mich mehr, zwischen den Kampfteilnehmern zu stehen, als die schlaflosen Nächte, die man mit Babys hatte.
Nur aus diesem Grund freute ich mich bereits auf die Zeit, wenn die Kinder das Elternhaus verließen.
Mein Streben nach innerer Freiheit
Als die Kinder in die Pubertät kamen, schnell nacheinander, begann ich, mein Leben infrage zu stellen. Es war die Zeit, als ich nur noch Zerwürfnisse sah und nicht weiterwusste. Es waren die vielen Streitereien, die sich in unserer Familie entwickelten, die mir täglich die Kraft raubten. Es waren auch negative Verhaltensmuster, die mir Tag für Tag immer wieder begegneten.
Ich begann meine Autobiographie zu schreiben, weil ich viel freie Zeit hatte und mir danach war, jemandem mei-ne Gefühle zu erklären. Das Schreiben erleichterte mich und ich schrieb mir alles von der Seele, doch es warf auch neue Fragen auf, die ich noch nicht beantworten konnte. Etwa: »Warum machen mich Konflikte fertig?«, »wie sehr habe ich mich verändert?« oder »warum ließ ich mich im Berufsleben unterdrücken?« Ich durchforstete mein Leben und meine Erfahrungen, bis ich Antworten hatte.
Mit einem Mal hatte ich einen schriftlichen Überblick über mein Leben in der Hand, der viele meiner Gefühle und Handlungen verdeutlichte. Ich sah auch die falschen Entscheidungen in meinem Leben und sagte zu mir selbst: »Das kann es doch nicht gewesen sein, dass der Kontakt zu meinen Kindern so abbricht!« Ich geriet in einen Zwischenstand, eine Neufindungs-Phase und stellte mir vor, wie ein selbstbestimmtes glückliches Leben für mich und meine Kinder aussehen könnte.
Mit welcher Leidenschaft könnte ich meine Ideen verwirklichen, wenn die Feuerlöscher der Familie sie nicht gleich im Keim ersticken würden? Und wie geliebt würde ich mich fühlen, wenn ich nicht ständig kritisiert wer-den würde?
Als ob das nicht genug wäre, drang in dieser schwierigen Lebensphase auch noch meine schriftstellerische Gabe ans Licht. Zwar noch nicht ausgeprägt, aber sie wollte betätigt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nicht einmal gewusst, dass ich schreiben kann. Ich las zwar sehr gerne, kam aber schnell an meine Grenzen. Und nun schrieb ich einfach alles nieder, was mich bewegte und das tat mir gut.
Es war das erste zarte Selbsterkennen und Selbstverstehen meiner Fähigkeiten. Bisher war mir dieses Talent gar nicht bewusst gewesen und ich konnte damit in keinster Weise umgehen. Ich schrieb und schrieb, als ob mein Leben davon abhängen würde, bis mein Mann meinte, ich könnte auch mal wieder aufhören.
Von nun an gab es Tage, an denen ich grübelte über Einfälle, die plötzlich da waren. Mit diesen Bildern und Szenen konnte ich gar nichts anfangen. Dazu kamen all die herausfordernden Familiensituationen, die mich fertig machten. Als ich sie aufschrieb und es wieder und wie-der las, da klang es leichter, nachvollziehbar und teilweise sogar lustig.
So fügte sich alles zusammen, als hätte es einen Sinn. Am schwierigsten Punkt in meinem Leben wurde mir etwas gereicht, das ich bis dahin nicht vermisst hatte. Ich musste zugreifen, denn es war für mich lebenswichtig, so fühlte es sich jedenfalls an.
Mein Leben kam mir vor, wie ein Flickenteppich, der sich wie durch ein Wunder zusammenfügte und ich merkte, als ich die Papierform meiner eigenen Biografie in der Hand hielt, dass mein Leben nicht bunt durcheinander gewürfelt war, sondern dass alles einen Sinn ergab. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, als ich das erkannte! Ich freute mich wie ein Kind und wäre am liebsten hin- und her gerannt, auf- und niedergehüpft. Ich musste dieser Freude Raum geben. Mein Leben hatte einen Weg und einen Sinn! Ich würde künftig wissen, wer ich war und was ich mit meinem Leben noch anfangen wollte.
Doch zuerst hatte ich noch viele negative Gefühle. Ich dachte, wer mein Schreiben kritisierte, würde mich ablehnen. Und so war ich oft verletzt, wenn sich jemand lieblos über meine Geschichten äußerte. Auch das musste ich lernen, mit vielfältiger Kritik umzugehen. Mein erstes Buch war Mist, das war nun mal so. Sogar die ganz Großen haben mal klein angefangen.
Und das wollte ich jetzt richtig machen. Ich absolvierte in meinem fortgeschrittenen Alter ein literarisches Fernstudium, um mir das Handwerkszeug anzueignen. Doch trotz aller guten Lektionen, die ich erlernte, hatte ich noch Angst vor diesem Roman.
Wird dieses Buch auch gut genug sein? Sind meine Gedanken und Gefühle nachvollziehbar? Ich habe gelernt und geschrieben und noch einmal gelernt und geschrieben. Und immer noch habe ich Furcht vor lieblosen Kritiken. Es geht mir in meinem Buch nicht um den großen Erfolg, sondern ich möchte meine Leserinnen und Leser von Herz zu Herz ansprechen und ermutigen, weil ich glaube, dass auch meine Erfahrungen helfen können.
Ich hätte selbst Ermutiger gebraucht, denn es sah bei mir lange Zeit so aus, als wären die guten Tage vorbei. Dabei war ich so eingespannt in den Alltag und so beschäftigt mit dem Schimpfen über die Dinge, die nicht liefen, dass ich all die schönen Dinge nicht mehr wahrnehmen konnte. Erst durch die Reise zu meinem wahren Ich wurde ich zu einer Art Beobachter meines eigenen Lebens und mit diesem Abstand sah ich das allumfassende Bild zum ersten Mal.
Und trotzdem hätte ich mir einen Mentor gewünscht, der mich an die Hand nimmt und durch den ganzen Wirrwarr mit dem Schreiben hindurchführt. Doch ich musste selbst klarkommen, als Gesprächspartner hatte ich nur meinen Mann, den meine neuen Ideen zutiefst verwirrten.
Johannes verstand das am Anfang nicht. Meine Lust zum Schreiben, das folgende Studium, das Anmieten eines Büros. Wie konnte er auch? Ich ging meinen Weg rücksichtslos, obwohl ich das Ziel noch gar nicht kannte. Da war nur ein Ruf und ich wollte ihm folgen. Ich bewegte meinen Fuß auf einem riesigen Puzzle, bei dem ich das nächste Teil nur schemenhaft erkennen konnte. Der Weg war gebahnt, die Richtung stimmte, aber ansonsten wählte ich oft die falsche Abzweigung. Dennoch war alles besser, als stehenzubleiben, obwohl es noch mehr Fragen als Antworten gab.
Mein Mann beäugte das Ganze kritisch und wollte lieber, dass alles so blieb, wie es war. Dadurch erfuhr ich, wie verschieden wir doch waren, und das führte zu weiteren Spannungen.
Ich wollte Verständnis für meine kreativen Einfälle, das konnte er mir aber nicht geben. Sprach ich spontan und ohne groß nachzudenken über meine neueste Idee, so kam Johannes gleich mit der Auflistung der Dinge, die schiefgehen konnten. Ich hätte es lieber gehabt, er würde meine teilweise verrückten Ideen unterstützen, denn mit der Zeit ließ ich die unmöglichen oder unwirtschaftlichen Eingebungen sowieso fallen. Etwas Vertrauen in mich hätte mir viel gebracht.
Seine Form der Sachlichkeit zerstörte jede noch so flüchtige Idee, die ich noch nicht recht fassen konnte. Leise Eingebungen schwirrten manchmal um meinen Kopf herum, so wie emsige Bienen und benötigten meine sofortig Aufmerksamkeit. Wenn ich diese Gedanken nicht gleich aufschrieb, waren sie verschwunden wie Dunst, einfach hin weggeweht. Geistesblitze waren unwiederbringlich verloren, wenn sie zerredet wurden.
Daher musste ich künftig abwägen, was ich erzählte, um meine Ideen zu schützen. Das fiel mir natürlich sehr schwer, da ich offen war und redete, wie mir der Schnabel eingab. Ich ging also auf Distanz und als mein Mann merkte, dass ich immer schweigsamer wurde, war ihm das auch nicht recht.
Mit der Zeit erkannte ich, dass ich auch Fehler gemacht hatte. Seit ich mich für die ungewohnte Kreativität geöffnet hatte, fühlte ich tausend Ideen in mir. Eine nach der anderen teilte ich Johannes fröhlich mit, der damit schlichtweg überfordert war.
Ich musste lernen, meine Einfälle erst zu strukturieren, weil sonst niemand mit diesem Tempo mitkam.
Ich legte also Sparten an (1. Diese Ideen kann ich für Geschichten gebrauchen, 2. Das Szenario ist machbar, 3. Wunderbare Idee, aber leider noch Zukunftsmusik). Es sollte noch einige Zeit dauern, bis ich Johannes nicht mehr täglich mit einer neuen Idee konfrontierte, seitdem bekam ich auch weniger Pessimismus zu hören. Und eines Tages verteidigte mich mein Mann sogar gegen-über unserem Hauskreisleiter. In dieser Gruppe ließ ich mich in einem schwachen Moment darüber aus, dass in meinem Leben nichts funktionierte. Die Antwort, die ich daraufhin erhielt, stellte Johannes gar nicht zufrieden. Er sah mich an und sagte: »Was redet der denn? Du hast doch schon so viel erreicht!«
In diesem Moment verbesserte sich unsere Beziehung. Seine Sachlichkeit half mir zu erkennen, dass ich auf dem Weg war, sicher noch nicht angekommen, aber unterwegs und stellenweise schon wirksam. Und das tat mir so gut. Ich fühlte mich endlich von meinem Mann angenommen und sagte ihm das auch. Johannes freute sich, dass er helfen konnte. Ab diesem Moment sprachen wir wieder über kreative Ideen, ihre Entstehung, die realistische Einschätzung und erkannten beide, dass wir uns trotz unserer Verschiedenartigkeit noch immer ergänzten.
Erlebnisse mit den Kindern
Des Weiteren wollte ich mich von meinen Kindern nicht länger an den Rand drängen lassen. Sie sollten sehen, dass Mama immer noch cool genug war und stolz auf mich sein.
Deshalb setzte ich mich eines Tages einfach zu meinen Jugendlichen. Ich ließ mir ihre Computerspiele erklären, hörte ihre Musik und lernte Ausdrücke kennen, die in keinem Lexikon standen. Meine Kinder trieben seitdem ihre Scherze mit mir und sagten: »Mama, du gehörst dazu, deshalb dissen wir dich.«
Sie hatten so viel zu bieten und darauf wollte ich nicht verzichten. Man musste sie nur mal aus dem Zimmer herauslocken. Während sie mit 15 Jahren nur für Medien begeisterungsfähig waren, wurde ihnen das einige Jahre später viel zu langweilig. Die jungen Erwachsenen ließen sich wieder im Wohnzimmer blicken und wollten reden, gemeinsam spielen oder einen Ausflug machen. Seitdem hatten wir wieder Spaß an der Familie.
Alex war der Sohn, den ich anrief, wenn mein Auto schlappmachte. Er kam sofort und kümmerte sich da-rum, dass ich weiterfahren konnte. Er erklärte mir auch, wie ich ein Scheinwerfer-Birnchen selbst wechseln konnte, für alle Fälle.
Mit Nele fuhr ich gerne zum Wellness. Wir redeten, schwammen, ließen uns massieren und aßen etwas Le-ckeres. Wenn wir dann im brusthohen warmen Wasser an der Poolbar standen und überlegten, wer den alkoholischen Cocktail nehmen durfte und wer fahren musste, dann war die Welt wieder in Ordnung. Vince war der Sohn, mit dem ich gemeinsam kochte. Obwohl er einer der Coolen war, kochte er gerne Gerich-te berühmter Köche nach. Beim Gemüse-Schnippeln in der Küche redeten wir über Gott und die Welt, wissen-schaftliche Dokumentationen, Musik, Bücher, Filme und Computerspiele. Wir verglichen friedlich unsere konträ-ren Ansichten.
Solche Momente mit meinen Kindern gaben mir etwas. Da kam sehr viel Liebe zurück, Anerkennung und liebe-volles Necken, vor allem von Vince mit erhobenem Zeigefinger: »Hast du mich angelogen, Mama? Sag es! Nur immer heraus mit der Wahrheit!«
Ich war sehr froh über diesen guten Kontakt zu meinen Kindern, aber dafür musste ich selbst etwas tun. Ich ließ mich auf meine Jugendlichen und die moderne Welt ein.