Rolle und Bedeutung des Romans bei Christian Thomasius und Gotthard Heidegger - Michael Schadow - E-Book

Rolle und Bedeutung des Romans bei Christian Thomasius und Gotthard Heidegger E-Book

Michael Schadow

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Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Germanistik - Gattungen, Note: noch keine, Universität Potsdam (Institut für Germanistik), Veranstaltung: Einführung in die Literatur und Sprache des 17. Jahrhunderts, Sprache: Deutsch, Abstract: Obgleich in Martin Opitz’ „Buch von der Deutschen Poeterey“ aus dem Jahre 1624 noch nicht vom Roman die Rede ist, wird während des 17. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum ein gelehrter Diskurs über die Rolle und Bedeutung des Romans geführt. Mit den romantheoretischen Beiträgen von Christian Thomasius (1655-1728) und Gotthard Heidegger (1666-1711) finden sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts zwei konträre Positionen zum Roman. Anhand zentraler romantheoretischer Texte beider sollen in meiner Arbeit die zeit-genössischen Sichtweisen barocker Prosa-Literatur mit ihren jeweiligen Argumenten, Wertungen und Beispielen vergleichend untersucht werden.

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Inhaltsverzeichnis

I.  Einleitung

II.  Autoren und Erscheinungskontext der romantheoretischen   Positionen

III.  Zur Diskussion um den Roman

III.1. Der Roman zwischen Wahrheit und Fiktion

III.2. Vom Nutzen und Nachteil des Romans

IV.  Zusammenfassung

Quellen- und Literaturverzeichnis (inkl. weiterführender Bibliografie)

 

I.  Einleitung

 

Obgleich in Martin Opitz’ „Buch von der Deutschen Poeterey“[1] aus dem Jahre 1624 noch nicht vom Roman die Rede ist, wird während des 17. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum ein gelehrter Diskurs über die Rolle und Bedeutung des Romans geführt. Mit den romantheoretischen Beiträgen von Christian Thomasius (1655-1728) und Gotthard Heidegger (1666-1711) finden sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts zwei konträre Positionen zum Roman. Anhand zentraler romantheoretischer Texte[2] beider sollen in meiner Arbeit die zeitgenössischen Sichtweisen barocker Prosa-Literatur[3] mit ihren jeweiligen Argumenten, Wertungen und Beispielen vergleichend untersucht werden. Nach einigen kurzen Bemerkungen über Thomasius und Heidegger sowie den Kontext ihrer herangezogenen Äußerungen (II.) wird zu betrachten sein, wie beide den fiktionalen Charakter des Romans beurteilen (III.1.) bzw. welchen Nutzen sie in ihm sehen (III.2.). Abschließend sollen die Ergebnisse kurz zusammengefasst werden (IV.).

II.  Autoren und Erscheinungskontext der romantheoretischen  Positionen

 

Thomasius, ursprünglich Jurist, gilt als „ ‚Vater’ der deutschen Aufklärung“[4]. Nicht zuletzt liegt dies in seinem Wirken als Professor an der Universität Halle, wo er ab 1694 durch seine Arbeiten auf dem Gebiet der Rechts- und Staatsphilosophie als progressiver Geist für Furore sorgte. Seine stetige Auseinandersetzung mit den tief im orthodox-scholastischen Denken verhafteten Autoritäten der Zeit[5] spiegelt sich etwa in Thomasius’ vehementem Einsatz für den Gebrauch der deutschen Sprache in der Wissenschaft wider. Auch die Herausgabe der „Monatsgespräche“, einer der ersten Zeitschriften in deutscher Sprache, im Jahre 1688 ist im Kontext dieser Aktivitäten zu verorten.[6] Aber die „Monatsgespräche“ waren noch mehr: Sie bildeten ein Forum für literarische Kritik. Die Tatsache, dass bereits im ersten Heft eine fiktive Unterredung vierer Bürger über den Roman veröffentlicht wurde, gibt beredtes Zeugnis über die Bedeutung, die der Frühaufklärer jenem Zweig der Prosaliteratur zumaß.[7] Ob nun Thomasius selbst den Roman als „nicht sehr hoch“[8] eingeschätzt und in ihm einzig den „Übermittler philosophischer Lehren für die Masse des Volkes“[9] gesehen habe, wie Rieck meint, oder sein Beitrag zur Theoriediskussion „nichts wesentlich Neues“[10] geliefert habe, wovon Hillebrand überzeugt ist, sei an dieser Stelle dahingestellt. Fakt ist, dass der Frühaufklärer das Thema „Roman“ überhaupt als solches theoretisch reflektiert; noch dazu im Rahmen einer fiktiven Diskussion, womit seine erzählerische Darstellung des Themas selbst ein entscheidendes Merkmal des Romans aufweist.

 

Einen ganz anderen Hintergrund bietet dagegen Heidegger, dessen Position von radikaler Romankritik geprägt ist. So holt der Schweitzer Theologe und reformierte Pfarrer, mithin führendes Mitglied eines schöngeistigen Kreises, der sich in „der Art barocker Gesprächsspiele“[11] mit literarischen Themen beschäftigte, in seiner Schrift „Mythoscopia Romantica“ zur Rundumkritik am Roman aus. Durch die Veröffentlichung von Lohensteins „Arminius“ herausgefordert, gibt er im Vorbericht zu seiner polemischen Schrift freimütig zu, er habe „diese Gattung Bücher schon vor langer Zeit gehasset“[12]. Heideggers Romankritik, die, wie viele seiner anderen Schriften auch, „puritanisch-pädagogische Absichten“[13] erkennen lässt, scheint auch in Deutschland einiges Aufsehen erregt zu haben.[14] Auch ihm kommt das Verdienst einer gewissen Originalität zu, denn wenn heute im literaturhistorischen Diskurs von Heideggers „Mythoscopia Romantica“ die Rede ist, so bleibt dabei nur selten unerwähnt, dass er darin erstmalig das Wort „romantisch“ (im Sinne von „unwahrhaftig“ und „unmoralisch“) gebraucht.[15]

 

Nach diesen einleitenden Vorbemerkungen stellt sich die Frage, wie Thomasius und Heidegger aber nun den Roman genau beurteilen und welche Argumente dabei von ihnen ins Feld geführt werden. 

III.  Zur Diskussion um den Roman

 

III.1. Der Roman zwischen Wahrheit und Fiktion

 

Wie bereits angedeutet bringt Thomasius das Thema ‚Roman’ im Rahmen einer fiktionalen Diskussion, die sich während einer Kutschfahrt zwischen den Fahrgästen entwickelt, zur Sprache. Indem er fragt „was man wohl in teutscher Sprache für Bücher schreiben solle, die wegen ihres Nutzens und ihrer Belustigung anderen den Vorzug streitig machen könten“[16], beginnt der Kaufmann Christoph das Gespräch. Sogleich ist er aufgefordert, auf seine Frage selbst eine Antwort zu formulieren. Dabei erweist sich Christoph als ausgesprochener Befürworter jener „ehrliche(n) Liebes=Geschichten“[17]. Der fiktionale Charakter der Roman-Geschichten stelle sich demnach als deren eigentliche Kunst heraus, denn niemand könne ernsthaft bestreiten, „daß es leichter sey et[…]was wahrhaftiges zu schreiben, als etwas zu dichten, daß der Wahrheit ähnlich sey […]“[18]. In Romanen stecke damit nicht nur mehr Kunst als in „wahrhaftigen Historien“[19], sondern durch die Erfindung von Geschichten sei es vielmehr möglich „auch Politische, Moralische, ja auch sonsten Philosophische und Theologische Discurse gar vielfältig“[20] einzubringen.

 

Der gelehrte Herr Benedict stimmt diesen Ausführungen Christophs zu und führt gleichsam seine Leseerfahrungen mit der „Octavia“ als positives Beispiel an. Einem kritischen Einwand des schulmeisterlichen Konrektors David, wonach gerade in der „Octavia“ einige Charaktere völlig anders gestaltet seien als in den Berichten römischer Historiker begegnet Benedict nochmals mit dem Argument der Kunstfertigkeit des Erfindens von Roman-Geschichten.[21]  Mit dieser Darstellung verkehrt Thomasius den häufig an den Roman gerichteten Vorwurf der Kunstlosigkeit[22] kurzerhand ins Gegenteil, worauf auch die romankritischen Diskussionsteilnehmer nichts entgegnen können. Das Argument besticht und bleibt unwidersprochen.

 

Wie zu erwarten, hat Heidegger indes eine gänzlich andere Meinung. Nach seiner Überzeugung „seyn die Roman ein lauterer Lugen=Kram“[23] und deshalb abzulehnen, denn: „seyn uns nicht die Lügen verbotten […]?“[24] Heidegger versucht damit seine Überzeugung als die den christlichen Moralvorstellungen gemäße darzustellen und diskreditiert die Romanschreiber als Lügner, die ihre Leserschaft betrügen. Statt an Romanen seine Zeit zu verschwenden, sollte man sich lieber im „Historien=lesen“[25] befleißigen. Wenn die Romanschreiber gar „wahrhaffte Geschichten zu Lügen“[26] machten, wie es Thomasius als Kunst postuliert, dann „liegen [sie, M.S.] nicht allein / sondern affrontieren auch höchlich die unschuldige Wahrheit“[27].

 

Im Gegensatz zu Thomasius, der in seiner Argumentation den Vorschein der Aufklärung erkennen lässt und gerade in der Fiktion die eigentliche Kunst des Romans sieht, vertritt Heidegger eine zutiefst orthodoxe Position, die im christlich-scholastischen Weltbild des Barock wurzelt. Deshalb sind Romane für den Kleriker schlichtweg Lügengeschichten, die es zu bekämpfen gelte.

 

III.2. Vom Nutzen und Nachteil des Romans

 

Bei weiterer Lektüre der Texte von Thomasius und Heidegger wird schnell klar, dass der eigentliche Diskussionskern um die Frage der Nützlichkeit des Romans angesiedelt ist. Für Christoph, den vehementesten Romanverteidiger in Thomasius’ Kutschgeschichte, sind die Romane nützlich und anmutig zugleich. In ihnen seien Unterhaltung und Nutzen auf kunstvolle Weise verknüpft; schließlich werde „wegen der artigen inventionen [nicht nur, M.S.] das Gemüthe belustiget, sondern zugleich der Verstand vortrefflich geschärffet“[28]. Dies treffe auf den Roman-Schreiber, der bei der Beschreibung all sein künstlerisches Geschick aufwenden müsse, ebenso zu, wie auf den Leser, da der Mensch gemeinhin „alle Künste und Wissenschaften mehr durch Exempel als [durch, M.S.] Regeln erlernet, und sich imprimiret“[29]. Der Leser ziehe also großen Nutzen aus dem Roman, indem er sich die Kunst, die in ihm stecke, beim Lesen nach und nach einpräge.

 

Freilich lässt Thomasius diese Laudatio auf den Roman nicht unwidersprochen und erteilt erneut den schulmeisterlichen David das Wort, der prompt gegen jene „Lumpen=Sachen“[30] scharfe Einwände erhebt. Demzufolge stünden Lust und Nutzen beim Roman-Lesen in einem äußerst ungesunden Verhältnis, denn er stellt fest, „daß die Lust die man in Lesung des Romans hat, allezeit nach proportion des Nutzens so man daraus schöpffet, zum wenigsten diesen zehnmal übertrifft“[31]. Darum sei die edle Zeit, die der Leser dem Roman widme, verschwendet. Und selbst der welterfahrene Kavalier Augustin findet bei Thomasius den Roman sehr bedenklich. Ihm scheint als das durch ihn der „affect, den wir Liebe zu nennen pflegen, ein wenig zu sehre angefeuret“[32] werde.  

 

Heidegger schlägt in seiner streitbaren Schrift in die selbe Kerbe, denn er räumt zwar ein, „daß die Romanszur Ergetzung / und Erbauwung des Le[…]sers dienten“[33], nicht aber ohne dabei kritisch zu bemerken, „daß die Ergetzung nicht allen Lesern widerfuhre / die Erbauung aber sehr wenigen / und nur zufälliger weis“[34]. Damit stellt Heidegger den Nutzen des Romans von vornherein in Frage. Weil die zur Zeit des Barock mitunter sehr umfängliche Prosa-Literatur die Eigenschaft besäße, den Leser mit ihren erfundenen Geschichten zu fesseln und somit zum weiterlesen zu animieren, ginge von ihr eine besondere Gefahr der Zeitverschwendung aus.[35] Schließlich berichtet Heidegger sogar von gesundheits-schädlichen Folgen des Romanlesens:

 

Denn die Romans setzen das Gemüth […] in Sehnen / Unruh / Lüsternheit und Brunst / nehmen den Kopff gantz als in Arrest / setzen den Menschen in ein Schwitzbad der Pas[…]sionen / verderben folgends auch die Gesundheit / machen Melancholicos und Duckmauser / der Appetit vergeht / der Schlaff wird verhinderet und walzt man sich im Beth herum / als wie die Thür im Angel / den zu anderem tüchtig gewesten Geist machen sie träg und überdrüssig / batauben und belästigen das Gedechtnuß[…][36]

 

Neben theologisch-moralischen hat der Kleriker damit gegenüber dem Roman auch schwere medizinische Bedenken. Beides führt zu einer generellen Ablehnung des Roman-Genres und soll den Leser davon überzeugen, das der Roman nicht nur unnütz, sondern gar schädlich für den menschlichen Geist sei.

IV.  Zusammenfassung

In der Zusammenschau der Texte fällt auf, dass beide kritische Einwände gegen den Roman zur Sprache bringen; der Vorwurf der Nutzlosigkeit und Zeitverschwendung findet sich daher sowohl bei Thomasius als auch bei Heidegger. Indem er die mangelnde Wahrhaftigkeit der Romangeschichten kritisiert, erhebt Heidegger überdies schwere moralische Vorwürfe gegen den Roman, zudem warnt er vor dessen gesundheitsschädlichen Folgen. Thomasius, und das ist der gravierende Unterschied zu Heidegger, stellt in seiner fiktiven Diskussion allerdings mehrere Meinungen dar und überlässt es dem Leser, Substanz und Überzeugungskraft der Argumente zu prüfen und sich - Kraft des eigenen Verstandes - selbst ein Urteil zu bilden. Thomasius’ Beitrag im romantheoretischen Diskurs seiner Zeit zeigt damit, wie weit im letzen Drittel des 17. Jahrhunderts die Tür zur Aufklärung bereits aufgestoßen worden war. Ganz anders dagegen Heidegger: Der Theologe steht fest auf dem totalitären Grund eines christlichen, von scholastischem Denken zeugenden Weltbildes.