Römische Geschichte, Band 3 - Theodor Mommsen - E-Book

Römische Geschichte, Band 3 E-Book

Theodor Mommsen

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Beschreibung

Römische Geschichte: Mommsens berühmtestes Werk erschien von 1854 bis 1856 in drei Bänden und schilderte die Geschichte Roms bis zum Ende der römischen Republik und der Herrschaft Caesars, den Mommsen als genialen Staatsmann darstellte. Die politischen Auseinandersetzungen vor allem der späten Republik werden auch in der Terminologie mit den politischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts (Nationalstaat, Demokratie) verglichen. Das engagiert geschriebene Werk gilt als Klassiker der Geschichtsschreibung. (aus wikipedia.de) Dies ist Buch 3, Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der griechischen Staaten Inhalt: Karthago Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen Hamilkar und Hannibal Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg Der Krieg gegen Antiochos von Asien Der Dritte Makedonische Krieg Regiment und Regierte Boden- und Geldwirtschaft Glaube und Sitte Literatur und Kunst

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Römische Geschichte

Theodor Mommsen

Inhalt:

Theodor Mommsen – Biografie und Bibliografie

Drittes Buch - Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der griechischen Staaten

Karthago

Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago

Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen

Hamilkar und Hannibal

Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae

Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama

Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode

Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg

Der Krieg gegen Antiochos von Asien

Der Dritte Makedonische Krieg

Regiment und Regierte

Boden- und Geldwirtschaft

Glaube und Sitte

Literatur und Kunst

Römische Geschichte Buch 3, Theodor Mommsen

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849614935

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Theodor Mommsen – Biografie und Bibliografie

Altertumsforscher und Geschichtschreiber, geb. 30. Nov. 1817 zu Garding in Schleswig, gest. 1. Nov. 1903 in Charlottenburg, studierte in Kiel Philologie und die Rechte, bereiste 1844–47 mit Unterstützung der Berliner Akademie Frankreich und Italien für archäologische Studien, redigierte 1848 in Rendsburg die »Schleswig-holsteinische Zeitung«, ward im Herbst 1848 Professor der Rechte in Leipzig, aber wegen seiner Teilnahme an der politischen Bewegung 1850 entlassen. Im Frühjahr 1852 wurde er Professor des römischen Rechts in Zürich, ging 1854 in gleicher Eigenschaft nach Breslau und erhielt, nachdem drei Bände seiner »Römischen Geschichte« erschienen waren, 1858 eine Professur der alten Geschichte in Berlin, wo er mit der Leitung des »Corpus inscriptionum latinarum« (s. Inschriften, S. 859) betraut wurde. 1873–95 war M. auch ständiger Sekretär der Akademie der Wissenschaften, übernahm später die Redaktion eines Teiles der »Monumenta Germaniae historica«, der »Auctores antiquissimi« und gab selbst die »Chronica minora saec. IV, V, VI, VII« (1894 ff.) heraus. Seine »Römische Geschichte«, bis 46 v. Chr. (Bd. 1–3, Leipz. 1854–55; 9. Aufl., Berl. 1902–04; Bd. 5, das. 1885; 5. Aufl. 1904; Bd. 4 ist nicht erschienen), sein mehrfach übersetztes Hauptwerk, sprach durch die Lebendigkeit der Darstellung und die Kühnheit seiner Ideen an, fand aber auch mancherlei Widerspruch wegen des oft ungerechten Urteils über hervorragende Personen der römischen Geschichte und wegen des allzu sehr hervortretenden Anklanges an moderne Verhältnisse. Außerdem sind von seinen Arbeiten hervorzuheben: »De collegiis et sodaliciis Romanorum« (Kiel 1843); »Die römischen Tribus in administrativer Beziehung« (Altona 1844); »Oskische Studien« (Berl. 1845; Nachträge, 1846); »Die unteritalischen Dialekte« (Leipz. 1850); »Corpus inscriptionum neapolitanarum« (das. 1851); »Inscriptiones confoederationis helveticae« (Zürich 1854); »Inscriptiones regni neapolitani latinae« (Leipz. 1852); »Über den Chronographen vom Jahre 354« (das. 1850); »Das Edikt Diokletians de pretiis rerum venalium vom Jahre 301« (das. 1851, Nachtrag 1852); »Die römische Chronologie bis auf Cäsar« (Berl. 1858; 2. Aufl., das. 1859); »Die Rechtsfrage zwischen Cäsar und dem Senat« (Bresl. 1857); »Geschichte des römischen Münzwesens« (das. 1860); »Römische Forschungen« (1. Bd., 2. Aufl., Berl. 1865; 2. Bd. 1879); »Die Stadtrechte der latinischen Gemeinden Salpensa und Malaca« (Leipz. 1855, mit Nachtrag); »Die Chronik des Cassiodorus Senator vom J. 519 n. Chr.« (das. 1861); »Über die Zeitfolge der Verordnungen Diokletians und seiner Mitregenten« (Berl. 1861); »Zwei Sepulkralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians« (das. 1864); die Ausgabe der sogen. vatikanischen Fragmente vorjustinianischen Rechts (Bonn 1861) sowie der »Res gestae divi Augusti ex monumentis Ancyrano et Apolloniensi« (Berl. 1865, 2. Aufl. 1883) und die der Pandekten (»Digesta Justiniani Augusti«, das. 1866–70, 8. Abdruck 1899); »Die Örtlichkeit der Varusschlacht« (das. 1885) u.a. Von besonderm Wert ist sein »Römisches Staatsrecht« (1. Abteil. des mit Marquardt herausgegebenen »Handbuchs der römischen Altertümer«, Bd. 1 u. 2, Leipz. 1871–76; 3. Aufl. 1887–88; Bd. 3, 1887–88); in Bindings »Systematischem Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft« erschien sein »Abriß des römischen Staatsrechts« (das. 1893) und »Römisches Strafrecht« (das. 1899). Mit Krüger und Studemund gab er heraus: »Collectio librorum juris antejustianini« (Bd. 1–3, Berl. 1877–1890), mit Studemund ferner: »Analecta Liviana« (Leipz. 1873). Endlich begann er noch mit P. Meyer eine neue Ausgabe des »Codex Theodosianus« (Bd. 1, Berl. 1905). Nicht zu vergessen ist seine dichterische Ader, die ihn schon 1843 anläßlich der schleswig-holsteinschen Frage zu patriotischen Gesängen begeisterte; noch 1879 ließ er mit Ulrich v. Wilamowitz-Möllendorf zehn Gedichte Carduccis in deutscher Übertragung drucken. Nach seinem Tod erschienen Mommsens »Reden und Aufsätze« (Berl. 1905) und »Gesammelte Schriften« (das. 1905, Bd. 1 u. 2). Als Mitglied des Abgeordnetenhauses 1873–1882, in dem er zur liberalen Partei gehörte, trat er wie Virchow als Gegner Bismarcks hervor. Beim Brande seiner Villa (12. Juli 1880) gingen kostbare Handschriften auswärtiger Bibliotheken (namentlich die »Getica« des Jordanis) zugrunde. M. war seit 1896 Ehrenbürger der Stadt Rom, seit 1897 auch von Charlottenburg. Im Vorgarten der Berliner Universität soll ihm ein Denkmal errichtet werden. Vgl. Zangemeister, Th. M. als Schriftsteller (ein Verzeichnis seiner Schriften, Heidelb. 1887; fortgesetzt von Jacobs, Berl. 1905); Bardt, Theodor M. (das. 1903); Hirschfeld, Gedächtnisrede auf Theodor M. (das. 1904); Gradenwitz, Th. M. (in der »Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte«; Sonderdruck, Weim. 1904).

Drittes Buch - Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der griechischen Staaten

arduum res gestas scribere

arg beschwerlich ist es, Geschichte zu schreiben

Sallust

1. Kapitel

Karthago

Der semitische Stamm steht inmitten und doch auch außerhalb der Völker der alten klassischen Welt. Der Schwerpunkt liegt für jenen im Osten, für diese am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die Grenze verschoben und die Stämme durcheinanderwarfen, immer schied und scheidet ein tiefes Gefühl der Fremdartigkeit die indogermanischen Völker von den syrischen, israelitischen, arabischen Nationen. Dies gilt auch von demjenigen semitischen Volke, das mehr als irgendein anderes gegen Westen sich ausgebreitet hat, von den Phönikern. Ihre Heimat ist der schmale Küstenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen Hochland und Ägypten, die Ebene genannt, das heißt Kanaan. Nur mit diesem Namen hat die Nation sich selber genannt – noch in der christlichen Zeit nannte der afrikanische Bauer sich einen Kanaaniter; den Hellenen aber hieß Kanaan das "Purpurland" oder auch das "Land der roten Männer", Phönike, und Punier pflegten auch die Italiker, Phöniker oder Punier pflegen wir noch die Kanaaniter zu heißen. Das Land ist wohl geeignet zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Häfen und der Reichtum an Holz und Metallen dem Handel günstig, der hier, wo das überreiche östliche Festland hinantritt an die weithin sich ausbreitende insel- und hafenreiche Mittelländische See, vielleicht zuerst in seiner ganzen Großartigkeit dem Menschen aufgegangen ist. Was Mut, Scharfsinn und Begeisterung vermögen, haben die Phöniker aufgeboten, um dem Handel und was aus ihm folgt, der Schiffahrt, Fabrikation, Kolonisierung, die volle Entwicklung zu geben und Osten und Westen zu vermitteln. In unglaublich früher Zeit finden wir sie in Kypros und Ägypten, in Griechenland und Sizilien, in Afrika und Spanien, ja sogar auf dem Atlantischen Meer und der Nordsee. Ihr Handelsgebiet reicht von Sierra Leone und Cornwall im Westen bis östlich zur malabarischen Küste; durch ihre Hände gehen das Gold und die Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das Elfenbein, die Löwen- und Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische Weihrauch, das Linnen Ägyptens, Griechenlands Tongeschirr und edle Weine, das kyprische Kupfer, das spanische Silber, das englische Zinn, das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen die phönikischen Schiffer, was es brauchen kann oder doch kaufen mag, und überall kommen sie herum, um immer wieder zurückzukehren zu der engen Heimat, an der ihr Herz hängt. Die Phöniker haben wohl ein Recht, in der Geschichte genannt zu werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewährt es sich, daß das Altertum die Kräfte der Völker einseitig entwickelte. Die großartigen und dauernden Schöpfungen, welche auf dem geistigen Gebiete innerhalb des aramäischen Stammes entstanden sind, gehören nicht zunächst den Phönikern an; wenn Glauben und Wissen in gewissem Sinn den aramäischen Nationen vor allen anderen eigen und den Indogermanen erst aus dem Osten zugekommen sind, so hat doch weder die phönikische Religion noch die phönikische Wissenschaft und Kunst, soviel wir sehen, jemals unter den aramäischen einen selbständigen Rang eingenommen. Die religiösen Vorstellungen der Phöniker sind formlos und unschön, und ihr Gottesdienst schien Lüsternheit und Grausamkeit mehr zu nähren als zu bändigen bestimmt; von einer besonderen Einwirkung phönikischer Religion auf andere Völker wird wenigstens in der geschichtlich klaren Zeit nichts wahrgenommen. Ebensowenig begegnet eine auch nur der italischen, geschweige denn derjenigen der Mutterländer der Kunst vergleichbare phönikische Tektonik oder Plastik. Die älteste Heimat der wissenschaftlichen Beobachtung und ihrer praktischen Verwertung ist Babylon oder doch das Euphratland gewesen: hier wahrscheinlich folgte man zuerst dem Lauf der Sterne; hier schied und schrieb man zuerst die Laute der Sprache; hier begann der Mensch über Zeit und Raum und über die in der Natur wirkenden Kräfte zu denken; hierhin führen die ältesten Spuren der Astronomie und Chronologie, des Alphabets, der Maße und Gewichte. Die Phöniker haben wohl von den kunstreichen und hoch entwickelten babylonischen Gewerken für ihre Industrie, von der Sternbeobachtung für ihre Schiffahrt, von der Lautschrift und der Ordnung der Maße für ihren Handel Vorteil gezogen und manchen wichtigen Keim der Zivilisation mit ihren Waren vertrieben; aber daß das Alphabet oder irgendein anderes jener genialen Erzeugnisse des Menschengeistes ihnen eigentümlich angehöre, läßt sich nicht erweisen, und was durch sie von religiösen und wissenschaftlichen Gedanken den Hellenen zukam, das haben sie mehr wie der Vogel das Samenkorn als wie der Ackersmann die Saat ausgestreut. Die Kraft die bildungsfähigen Völker, mit denen sie sich berührten, zu zivilisieren und sich zu assimilieren, wie sie die Hellenen und selbst die Italiker besitzen, fehlte den Phönikern gänzlich. Im Eroberungsgebiet der Römer sind vor der romanischen Zunge die iberischen und die keltischen Sprachen verschollen; die Berber Afrikas reden heute noch dieselbe Sprache wie zu den Zeiten der Hannos und der Barkiden. Aber vor allem mangelt den Phönikern, wie allen aramäischen Nationen im Gegensatz zu den indogermanischen, der staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke der sich selber regierenden Freiheit. Während der höchsten Blüte von Sidon und Tyros ist das phönikische Land der ewige Zankapfel der am Euphrat und am Nil herrschenden Mächte und bald den Assyrern, bald den Ägyptern untertan. Mit der halben Macht hätten hellenische Städte sich unabhängig gemacht; aber die vorsichtigen sidonischen Männer, berechnend, daß die Sperrung der Karawanenstraßen nach dem Osten oder der ägyptischen Häfen ihnen weit höher zu stehen komme als der schwerste Tribut, zahlten lieber pünktlich ihre Steuern, wie es fiel nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es nicht anders sein konnte, mit ihren Schiffen die Schlachten der Könige mit. Und wie die Phöniker daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren sie auch draußen keineswegs geneigt, die friedlichen Bahnen der kaufmännischen mit der erobernden Politik zu vertauschen. Ihre Niederlassungen sind Faktoreien; es liegt ihnen mehr daran, den Eingeborenen Waren abzunehmen und zuzubringen, als weite Gebiete in fernen Ländern zu erwerben und daselbst die schwere und langsame Arbeit der Kolonisierung durchzuführen. Selbst mit ihren Konkurrenten vermeiden sie den Krieg; aus Ägypten, Griechenland, Italien, dem östlichen Sizilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdrängen und in den großen Seeschlachten, die in früher Zeit um die Herrschaft im westlichen Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217 537) und Kyme (280 474), sind es die Etrusker, nicht die Phöniker, die die Schwere des Kampfes gegen die Griechen tragen. Ist die Konkurrenz einmal nicht zu vermeiden, so gleicht man sich aus, so gut es gehen will; es ist nie von den Phönikern ein Versuch gemacht worden, Caere oder Massalia zu erobern. Noch weniger natürlich sind die Phöniker zum Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der älteren Zeit offensiv auf dem Kampfplatze erscheinen, in der großen sizilischen Expedition der afrikanischen Phöniker, welche mit der Niederlage bei Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274 480), sind sie nur als gehorsame Untertanen des Großkönigs und um der Teilnahme an dem Feldzug gegen die östlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellepen des Westens ausgerückt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der Tat in demselben Jahr sich mit den Persern bei Salamis mußten schlagen lassen.

Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten Gewässern und mit bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und daß diese unter den Phönikern zu finden waren, haben sie oft bewiesen. Es ist noch weniger Mangel an Zähigkeit und Eigenartigkeit des Nationalgefühls; vielmehr haben die Aramäer mit einer Hartnäckigkeit, welche kein indogermanisches Volk je erreicht hat und welche uns Okzidentalen bald mehr, bald weniger als menschlich zu sein dünkt, ihre Nationalität gegen alle Lockungen der griechischen Zivilisation wie gegen alle Zwangsmittel der orientalischen und okzidentalischen Despoten mit den Waffen des Geistes wie mit ihrem Blute verteidigt. Es ist der Mangel an staatlichem Sinn, der bei dem lebendigsten Stammgefühl, bei der treuesten Anhänglichkeit an die Vaterstadt doch das eigenste Wesen der Phöniker bezeichnet. Die Freiheit lockte sie nicht und es gelüstete sie nicht nach der Herrschaft; "ruhig lebten sie", sagt das Buch der Richter, "nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemut und im Besitz von Reichtum".

Unter allen phönikischen Ansiedlungen gediehen keine schneller und sicherer als die von den Tyriern und Sidoniern an der Südküste Spaniens und an der nordafrikanischen gegründeten, in welche Gegenden weder der Arm des Großkönigs noch die gefährliche Rivalität der griechischen Seefahrer reichte, die Eingeborenen aber den Fremdlingen gegenüberstanden wie in Amerika die Indianer den Europäern. Unter den zahlreichen und blühenden phönikischen Städten an diesen Gestaden ragte vor allem hervor die "Neustadt", Karthada oder, wie die Okzidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht die früheste Niederlassung der Phöniker in dieser Gegend und ursprünglich vielleicht schutzbefohlene Stadt des nahen Utica, der ältesten Phönikerstadt in Libyen, überflügelte sie bald ihre Nachbarn, ja die Heimat selbst durch die unvergleichlich günstige Lage und die rege Tätigkeit ihrer Bewohner. Gelegen unfern der (ehemaligen) Mündung des Bagradas (Medscherda), der die reichste Getreidelandschaft Nordafrikas durchströmt, auf einer fruchtbaren noch heute mit Landhäusern besetzten und mit Oliven- und Orangenwäldern bedeckten Anschwellung des Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und an der Seeseite als meerumflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des großen Hafens von Nordafrika, des Golfes von Tunis, da wo dies schöne Bassin den besten Ankergrund für größere Schiffe und hart am Strande trinkbares Quellwasser darbietet, ist dieser Platz für Ackerbau und Handel und die Vermittlung beider so einzig günstig, daß nicht bloß die tyrische Ansiedlung daselbst die erste phönikische Kaufstadt ward, sondern auch in der römischen Zeit Karthago, kaum wiederhergestellt, die dritte Stadt des Kaiserreichs wurde und noch heute unter nicht günstigen Verhältnissen und an einer weit weniger gut gewählten Stelle dort eine Stadt von hunderttausend Einwohnern besteht und gedeiht. Die agrikole, merkantile, industrielle Blüte einer Stadt in solcher Lage und mit solchen Bewohnern erklärt sich selbst; wohl aber fordert die Frage eine Antwort, auf welchem Weg diese Ansiedlung zu einer politischen Machtentwicklung gelangte, wie sie keine andere phönikische Stadt besessen hat.

Daß der phönikische Stamm seine politische Passivität auch in Karthago nicht verleugnet hat, dafür fehlt es keineswegs an Beweisen. Karthago bezahlte bis in die Zeiten seiner Blüte hinab für den Boden, den die Stadt einnahm, Grundzins an die einheimischen Berber, den Stamm der Maxyer oder Maxitaner; und obwohl das Meer und die Wüste die Stadt hinreichend schützten vor jedem Angriff der östlichen Mächte, scheint Karthago doch die Herrschaft des Großkönigs wenn auch nur dem Namen nach anerkannt und ihm gelegentlich gezinst zu haben, um sich die Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern.

Aber bei allem guten Willen, sich zu fügen und zu schmiegen, traten doch Verhältnisse ein, die diese Phöniker in eine energischere Politik drängten. Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich unaufhaltsam gegen Westen ergoß, der die Phöniker schon aus dem eigentlichen Griechenland und von Italien verdrängt hatte und eben sich anschickte, in Sizilien, in Spanien, ja in Libyen selbst das gleiche zu tun, mußten die Phöniker doch irgendwo standhalten, wenn sie nicht gänzlich sich wollten erdrücken lassen. Hier, wo sie mit griechischen Kaufleuten und nicht mit dem Großkönig zu tun hatten, genügte es nicht, sich zu unterwerfen, um gegen Schoß und Zins Handel und Industrie in alter Weise fortzuführen. Schon waren Massalia und Kyrene gegründet; schon das ganze östliche Sizilien in den Händen der Griechen; es war für die Phöniker die höchste Zeit zu ernstlicher Gegenwehr. Die Karthager nahmen sie auf; in langen und hartnäckigen Kriegen setzten sie dem Vordringen der Kyrenäer eine Grenze und der Hellenismus vermochte nicht sich westwärts der Wüste von Tripolis festzusetzen. Mit karthagischer Hilfe erwehrten ferner die phönikischen Ansiedler auf der westlichen Spitze Siziliens sich der Griechen und begaben sich gern und freiwillig in die Klientel der mächtigen stammverwandten Stadt. Diese wichtigen Erfolge, die ins zweite Jahrhundert Roms fallen und die den südwestlichen Teil des Mittelmeers den Phönikern retteten, gaben der Stadt, die sie erfochten hatte, von selbst die Hegemonie der Nation und zugleich eine veränderte politische Stellung. Karthago war nicht mehr eine bloße Kaufstadt; sie zielte nach der Herrschaft über Libyen und über einen Teil des Mittelmeers, weil sie es mußte. Wesentlich trug wahrscheinlich bei zu diesen Erfolgen das Aufkommen der Söldnerei, die in Griechenland etwa um die Mitte des vierten Jahrhunderts der Stadt in Übung kam, bei den Orientalen aber, namentlich bei den Karern weit älter ist und vielleicht eben durch die Phöniker emporkam. Durch das ausländische Werbesystem ward der Krieg zu einer großartigen Geldspekulation, die eben recht im Sinn des phönikischen Wesens ist.

Es war wohl erst die Rückwirkung dieser auswärtigen Erfolge, welche die Karthager veranlaßte, in Afrika von Miet- und Bitt- zum Eigenbesitz und zur Eroberung überzugehen. Erst um 300 Roms (450) scheinen die karthagischen Kaufleute sich des Bodenzinses entledigt zu haben, den sie bisher den Einheimischen hatten entrichten müssen. Dadurch ward eine eigene Ackerwirtschaft im großen möglich. Von jeher hatten die Phöniker es sich angelegen sein lassen, ihre Kapitalien auch als Grundbesitzer zu nutzen und den Feldbau im großen Maßstab zu betreiben durch Sklaven oder gedungene Arbeiter; wie denn ein großer Teil der Juden in dieser Art den tyrischen Kaufherren um Tagelohn dienstbar war. Jetzt konnten die Karthager unbeschränkt den reichen libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der heutigen Plantagenbesitzer verwandt ist: gefesselte Sklaven bestellten das Land – wir finden, daß einzelne Bürger deren bis zwanzigtausend besaßen. Man ging weiter. Die ackerbauenden Dörfer der Umgegend – der Ackerbau scheint bei den Libyern sehr früh und wahrscheinlich schon vor der phönikischen Ansiedlung, vermutlich von Ägypten aus, eingeführt zu sein – wurden mit Waffengewalt unterworfen und die freien libyschen Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren Herren den vierten Teil der Bodenfrüchte als Tribut entrichteten und zur Bildung eines eigenen karthagischen Heeres einem regelmäßigen Rekrutierungssystem unterworfen wurden. Mit den schweifenden Hirtenstämmen (νομάδες) an den Grenzen währten die Fehden beständig; indes sicherte eine verschanzte Postenkette das befriedete Gebiet und langsam wurden jene zurückgedrängt in die Wüsten und Berge oder gezwungen, die karthagische Oberherrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzug zu stellen. Um die Zeit des Ersten Punischen Krieges ward ihre große Stadt Theveste (Tebessa, an den Quellen des Medscherda) von den Karthagern erobert. Dies sind die "Städte und Stämme (έθνη) der Untertanen", die in den karthagischen Staatsverträgen erscheinen; jenes die unfreien libyschen Dörfer, dieses die untertänigen Nomaden.

Hierzu kam endlich die Herrschaft Karthagos über die übrigen Phöniker in Afrika oder die sogenannten Libyphöniker. Es gehörten zu diesen teils die von Karthago aus an die ganze afrikanische Nord- und einen Teil der Nordwestküste geführten kleineren Ansiedelungen, die nicht unbedeutend gewesen sein können, da allein am Atlantischen Meer auf einmal 30000 solcher Kolonisten seßhaft gemacht wurden, teils die besonders an der Küste der heutigen Provinz Constantine und des Beylik von Tunis zahlreichen altphönikischen Niederlassungen, zum Beispiel Hippo, später regius zugenannt (Bona), Hadrumetum (Susa), Klein-Leptis (südlich von Susa) – die zweite Stadt der afrikanischen Phöniker –, Thapsus (ebendaselbst), Groß-Leptis (Lebda westlich von Tripolis). Wie es gekommen ist, daß sich all diese Städte unter karthagische Botmäßigkeit begaben, ob freiwillig, etwa um sich zu schirmen vor den Angriffen der Kyrenäer und Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr nachzuweisen; sicher aber ist es, daß sie als Untertanen der Karthager selbst in offiziellen Aktenstücken bezeichnet werden, ihre Mauern hatten niederreißen müssen und Steuer und Zuzug nach Karthago zu leisten hatten. Indes waren sie weder der Rekrutierung noch der Grundsteuer unterworfen, sondern leisteten ein Bestimmtes an Mannschaft und Geld, Klein-Leptis zum Beispiel jährlich die ungeheure Summe von 465 Talenten (574000 Taler); ferner lebten sie nach gleichem Recht mit den Karthagern und konnten mit ihnen in gleiche Ehe treten. Einzig Utica war, wohl weniger durch seine Macht als durch die Pietät der Karthager gegen ihre alten Beschützer, dem gleichen Schicksal entgangen und hatte seine Mauern und seine Selbständigkeit bewahrt; wie denn die Phöniker für solche Verhältnisse eine merkwürdige, von der griechischen Gleichgültigkeit wesentlich abstechende Ehrfurcht hegten. Selbst im auswärtigen Verkehr sind es stets "Karthago und Utica", die zusammen festsetzen und versprechen; was natürlich nicht ausschließt, daß die weit größere Neustadt der Tat nach auch über Utica die Hegemonie behauptete. So ward aus der tyrischen Faktorei die Hauptstadt eines mächtigen nordafrikanischen Reiches, das von der tripolitanischen Wüste sich erstreckte bis zum Atlantischen Meer, im westlichen Teil (Marokko und Algier) zwar mit zum Teil oberflächlicher Besetzung der Küstensäume sich begnügend, aber in dem reicheren östlichen, den heutigen Distrikten von Constantine und Tunis, auch das Binnenland beherrschend und seine Grenze beständig weiter gegen Süden vorschiebend; die Karthager waren, wie ein alter Schriftsteller bezeichnend sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die phönikische Zivilisation herrschte in Libyen ähnlich wie in Kleinasien und Syrien die griechische nach den Zügen Alexanders, wenn auch nicht mit gleicher Gewalt. An den Höfen der Nomadenscheichs ward phönikisch gesprochen und geschrieben und die zivilisierteren einheimischen Stämme nahmen für ihre Sprache das phönikische Alphabet an; sie vollständig zu phönikisieren lag indes weder im Geiste der Nation noch in der Politik Karthagos.

Die Epoche, in der diese Umwandlung Karthagos in die Hauptstadt von Libyen stattgefunden hat, läßt sich um so weniger bestimmen, als die Veränderung ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwähnte Schriftsteller nennt als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies derselbe ist, der zur Zeit des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann er nur als Vollender des neuen Systems angesehen werden, dessen Durchführung vermutlich das vierte und fünfte Jahrhundert Roms ausgefüllt hat.

Mit dem Aufblühen Karthagos Hand in Hand ging das Sinken der großen phönikischen Städte in der Heimat, von Sidon und besonders von Tyros, dessen Blüte teils infolge innerer Bewegungen, teils durch die Drangsale von außen, namentlich die Belagerungen durch Salmanassar im ersten, Nabukodrossor im zweiten, Alexander im fünften Jahrhundert Roms zugrunde gerichtet ward. Die edlen Geschlechter und die alten Firmen von Tyros siedelten größtenteils über nach der gesicherten und blühenden Tochterstadt und brachten dorthin ihre Intelligenz, ihre Kapitalien und ihre Traditionen. Als die Phöniker mit Rom in Berührung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste kanaanitische Stadt wie Rom die erste der latinischen Gemeinden.

Aber die Herrschaft über Libyen war nur die eine Hälfte der karthagischen Macht; ihre See- und Kolonialherrschaft hatte gleichzeitig nicht minder gewaltig sich entwickelt.

In Spanien war der Hauptplatz der Phöniker die uralte tyrische Ansiedlung in Gades (Cadiz); außerdem besaßen sie westlich und östlich davon eine Kette von Faktoreien und im Innern das Gebiet der Silbergruben, so daß sie etwa das heutige Andalusien und Granada oder doch wenigstens die Küste davon innehatten. Das Binnenland den einheimischen kriegerischen Nationen abzugewinnen war man nicht bemüht; man begnügte sich mit dem Besitz der Bergwerke und der Stationen für den Handel und für den Fisch- und Muschelfang und hatte Mühe auch nur hier sich gegen die anwohnenden Stämme zu behaupten. Es ist wahrscheinlich, daß diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzählte unter den tributpflichtigen Städten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen Phöniker tatsächlich unter karthagischer Hegemonie, wie die von Karthago den Gaditanern gegen die Eingeborenen gesandte Hilfe und die Anlegung karthagischer Handelsniederlassungen westlich von Gades beweist. Ebusus und die Balearen wurden dagegen von den Karthagern selbst in früher Zeit besetzt, teils der Fischereien wegen, teils als Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von hier aus die heftigsten Kämpfe geführt wurden.

Ebenso setzten die Karthager schon am Ende des zweiten Jahrhunderts Roms sich fest auf Sardinien, welches ganz in derselben Art wie Libyen von ihnen ausgebeutet ward. Während die Eingeborenen sich in dem gebirgigen Innern der Insel der Verknechtung zur Feldsklaverei entzogen wie die Numidier in Afrika an dem Saum der Wüste, wurden nach Karalis (Cagliari) und anderen wichtigen Punkten phönikische Kolonien geführt und die fruchtbaren Küstenlandschaften durch eingeführte libysche Ackerbauern verwertet.

In Sizilien endlich war zwar die Straße von Messana und die größere östliche Hälfte der Insel in früher Zeit den Griechen in die Hände gefallen; allein den Phönikern blieben unter dem Beistand der Karthager teils die kleineren Inseln in der Nähe, die Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter denen namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und blühend war, teils die West- und Nordwestküste Siziliens, wo sie von Motye, später von Lilybäon aus die Verbindung mit Afrika, von Panormos und Soloeis aus die mit Sardinien unterhielten. Das Innere der Insel blieb in dem Besitz der Eingeborenen, der Elymer, Sikaner, Sikeler. Es hatte sich in Sizilien, nachdem das weitere Vordringen der Griechen gebrochen war, ein verhältnismäßig friedlicher Zustand hergestellt, den selbst die von den Persern veranlaßte Heerfahrt der Karthager gegen ihre griechischen Nachbarn auf der Insel (274 480) nicht auf die Dauer unterbrach und der im ganzen fortbestand bis auf die attische Expedition nach Sizilien (339-341 415-413). Die beiden rivalisierenden Nationen bequemten sich, einander zu dulden, und beschränkten sich im wesentlichen jede auf ihr Gebiet.

Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig genug; allein noch von weit größerer Bedeutung insofern, als sie die Pfeiler der karthagischen Seeherrschaft wurden. Durch den Besitz Südspaniens, der Balearen, Sardiniens, des westlichen Sizilien und Melites in Verbindung mit der Verhinderung hellenischer Kolonisierung, sowohl an der spanischen Ostküste als auf Korsika und in der Gegend der Syrten machten die Herren der nordafrikanischen Küste ihre See zu einer geschlossenen und monopolisierten die westliche Meerenge. Nur das Tyrrhenische und gallische Meer mußten die Phöniker mit andern Nationen teilen. Es war dies allenfalls zu ertragen, solange die Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; mit den ersteren als den minder gefährlichen Nebenbuhlern trat Karthago sogar gegen die Griechen in Bündnis. Indes als nach dem Sturz der etruskischen Macht, den, wie es zu gehen pflegt bei derartigen Notbündnissen, Karthago wohl schwerlich mit aller Macht abzuwenden bestrebt gewesen war, und nach der Vereitelung der großen Entwürfe des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand als die erste griechische Seemacht, fingen begreiflicherweise nicht nur die Herren von Syrakus an, nach der Herrschaft über Sizilien und Unteritalien und zugleich über das Tyrrhenische und Adriatische Meer zu streben, sondern wurden auch die Karthager gewaltsam in eine energischere Politik gedrängt. Das nächste Ergebnis der langen und hartnäckigen Kämpfe zwischen ihnen und ihrem ebenso mächtigen als schändlichen Gegner Dionysios von Syrakus (348-389 406-365) war die Vernichtung oder Schwächung der sizilischen Mittelstaaten, die im Interesse beider Parteien lag und die Teilung der Insel zwischen den Syrakusanern und den Karthagern. Die blühendsten Städte der Insel: Selinus, Himera, Akragas, Gela, Messana, wurden im Verlauf dieser heillosen Kämpfe von den Karthagern von Grund aus zerstört; nicht ungern sah Dionysios, wie das Hellenentum hier zugrunde ging oder doch geknickt ward, um sodann, gestützt auf die fremden, aus Italien, Gallien und Spanien angeworbenen Söldner, die verödeten oder mit Militärkolonien belegten Landschaften desto sicherer zu beherrschen. Der Friede, der nach des karthagischen Feldherrn Mago Sieg bei Kronion 371 (383) abgeschlossen ward und den Karthagern die griechischen Städte Thermae (das alte Himera), Egesta, Herakleia Minoa, Selinus und einen Teil des Gebietes von Akragas bis an den Halykos unterwarf, galt den beiden um den Besitz der Insel ringenden Mächten nur als vorläufiges Abkommen; immer von neuem wiederholten sich beiderseits die Versuche, den Nebenbuhler ganz zu verdrängen. Viermal – zur Zeit des älteren Dionysios 360 (394), in der Timoleons 410 (344), in der des Agathokles 445 (309), in der pyrrhischen 476 (278) – waren die Karthager Herren von ganz Sizilien bis auf Syrakus und scheiterten an dessen festen Mauern; fast ebenso oft schienen die Syrakusaner unter tüchtigen Führern, wie der ältere Dionysios, Agathokles und Pyrrhos waren, ihrerseits ebenso nahe daran, die Afrikaner von der Insel zu verdrängen. Mehr und mehr aber neigte sich das Übergewicht auf die Seite der Karthager, von denen regelmäßig der Angriff ausging und die, wenn sie auch nicht mit römischer Stetigkeit ihr Ziel verfolgten, doch mit weit größerer Planmäßigkeit und Energie den Angriff betrieben als die von Parteien zerrissene und abgehetzte Griechenstadt die Verteidigung. Mit Recht durften die Phöniker erwarten, daß nicht immer eine Pest oder ein fremder Condottiere die Beute ihnen entreißen würde; und vorläufig war wenigstens zur See der Kampf schon entschieden: Pyrrhos' Versuch, die syrakusanische Flotte wiederherzustellen, war der letzte. Nachdem dieser gescheitert war, beherrschte die karthagische Flotte ohne Nebenbuhler das ganze westliche Mittelmeer; und ihre Versuche, Syrakus, Rhegion, Tarent zu besetzen, zeigten, was man vermochte und wohin man zielte. Hand in Hand damit ging das Bestreben, den Seehandel dieser Gegend immer mehr sowohl dem Ausland wie den eigenen Untertanen gegenüber zu monopolisieren; und es war nicht karthagische Art, vor irgendeiner zum Zwecke führenden Gewaltsamkeit zurückzuscheuen. Ein Zeitgenosse der Punischen Kriege, der Vater der Geographie Eratosthenes (479-560 275-194), bezeugt es, daß jeder fremde Schiffer, welcher nach Sardinien oder nach der Gaditanischen Straße fuhr, wenn er den Karthagern in die Hände fiel, von ihnen ins Meer gestürzt ward; und damit stimmt es völlig überein, daß Karthago den römischen Handelsschiffen die spanischen, sardinischen und libyschen Häfen durch den Vertrag vom Jahre 406 (348) freigab, dagegen durch den vom Jahre 448 (306) sie ihnen mit Ausnahme des eigenen karthagischen sämtlich schloß.

Die Verfassung Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fünfzig Jahre vor dein Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als übergegangen aus der monarchischen in eine Aristokratie oder in eine zur Oligarchie sich neigende Demokratie; denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung der Geschäfte stand zunächst bei dem Rat der Alten, welcher gleich der spartanischen Gerusia bestand aus den beiden jährlich von der Bürgerschaft ernannten Königen und achtundzwanzig Gerusiasten, die auch, wie es scheint, Jahr für Jahr von der Bürgerschaft erwählt wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen die Staatsgeschäfte erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege trifft, die Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm eine Anzahl Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmäßig die Unterbefehlshaber genommen werden; an ihn werden die Depeschen adressiert. Ob neben diesem kleinen Rat noch ein großer stand, ist zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu bedeuten. Ebensowenig scheint den Königen ein besonderer Einfluß zugestanden zu haben; hauptsächlich funktionierten sie als Oberrichter, wie sie nicht selten auch heißen (Schofeten, praetores). Größer war die Gewalt des Feldherrn; Isokrates, Aristoteles' älterer Zeitgenosse, sagt, daß die Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten und so mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von römischen Schriftstellern als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die ihm beigegebenen Gerusiasten tatsächlich wenigstens seine Macht beschränken mußten, und ebenso nach Niederlegung des Amtes ihn eine den Römern unbekannte ordentliche Rechenschaftslegung erwartete. Eine feste Zeitgrenze bestand für das Amt des Feldherrn nicht, und es ist derselbe also schon deshalb vom Jahrkönig unzweifelhaft verschieden gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdrücklich unterscheidet; doch war die Vereinigung mehrerer Ämter in einer Person bei den Karthagern üblich, und so kann es nicht befremden, daß oft derselbe Mann zugleich als Feldherr und als Schofet erscheint.

Aber über der Gerusia und über den Beamten stand die Körperschaft der Hundertvier-, kürzer Hundertmänner oder der Richter, das Hauptbollwerk der karthagischen Oligarchie. In der ursprünglichen karthagischen Verfassung fand sie sich nicht, sondern sie war gleich dem spartanischen Ephorat hervorgegangen aus der aristokratischen Opposition gegen die monarchischen Elemente derselben. Bei der Käuflichkeit der Ämter und der geringen Mitgliederzahl der höchsten Behörde drohte eine einzige durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen hervorleuchtende karthagische Familie, das Geschlecht des Mago, die Verwaltung in Krieg und Frieden und die Rechtspflege in ihren Händen zu vereinigen; dies führte ungefähr um die Zeit der Dezemvirn zu einer Änderung der Verfassung und zur Einsetzung dieser neuen Behörde. Wir wissen, daß die Bekleidung der Quästur ein Anrecht gab zum Eintritt in die Richterschaft, daß aber dennoch der Kandidat einer Wahl unterlag durch gewisse sich selbst ergänzende Fünfmännerschaften; ferner daß die Richter, obwohl sie rechtlich vermutlich von Jahr zu Jahr gewählt wurden, doch tatsächlich längere Zeit, ja lebenslänglich im Amt blieben, weshalb sie bei den Römern und Griechen gewöhnlich Senatoren genannt werden. So dunkel das einzelne ist, so klar erkennt man das Wesen der Behörde als einer aus aristokratischer Kooptation hervorgehenden oligarchischen; wovon eine vereinzelte, aber charakteristische Spur ist, daß in Karthago neben dem gemeinen Bürger- ein eigenes Richterbad bestand. Zunächst waren sie bestimmt zu fungieren als politische Geschworene, die namentlich die Feldherren, aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die Schofeten und Gerusiasten nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen und nach Gutdünken, oft in rücksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem Tode bestraften. Natürlich ging hier wie überall, wo die Verwaltungsbehörden unter Kontrolle einer anderen Körperschaft gestellt werden, der Schwerpunkt der Macht über von der kontrollierten auf die kontrollierende Behörde; und es begreift sich leicht, teils daß die letztere allenthalben in die Verwaltung eingriff, wie denn zum Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den Richtern vorlegt und dann dem Volke, teils daß die Furcht vor der regelmäßig nach dem Erfolg abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie den Feldherrn in Rat und Tat lähmte.

Die karthagische Bürgerschaft scheint, wenn auch nicht wie in Sparta ausdrücklich auf die passive Assistenz bei den Staatshandlungen beschränkt, doch tatsächlich dabei nur in einem sehr geringen Grade von Einfluß gewesen zu sein. Bei den Wahlen in die Gerusia war ein offenkundiges Bestechungssystem Regel; bei der Ernennung eines Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber wohl erst, wenn durch Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung erfolgt war; und in anderen Fällen ging man nur an das Volk, wenn die Gerusia es für gut fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte kannte man in Karthago nicht. Die Machtlosigkeit der Bürgerschaft ward wahrscheinlich wesentlich durch ihre politische Organisierung bedingt; die karthagischen Tischgenossenschaften, die hierbei genannt und den spartanischen Pheiditien verglichen werden, mögen oligarchisch geleitete Zünfte gewesen sein. Sogar ein Gegensatz zwischen "Stadtbürgern" und "Handarbeitern" wird erwähnt, der auf eine sehr niedrige, vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schließen läßt.

Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die karthagische Verfassung als ein Kapitalistenregiment, wie es begreiflich ist bei einer Bürgergemeinde ohne wohlhabende Mittelklasse und bestehend einerseits aus einer besitzlosen, von der Hand in den Mund lebenden städtischen Menge, anderseits aus Großhändlern, Plantagenbesitzern und vornehmen Vögten. Das System, die heruntergekommenen Herren auf Kosten der Untertanen wieder zu Vermögen zu bringen, indem sie als Schatzungsbeamte und Fronvögte in die abhängigen Gemeinden ausgesendet werden, dieses unfehlbare Kennzeichen einer verrotteten städtischen Oligarchie, fehlt auch in Karthago nicht; Aristoteles bezeichnet es als die wesentliche Ursache der erprobten Dauerhaftigkeit der karthagischen Verfassung. Bis auf seine Zeit hatte in Karthago weder von oben noch von unten eine nennenswerte Revolution stattgefunden; die Menge blieb führerlos infolge der materiellen Vorteile, welche die regierende Oligarchie allen ehrgeizigen oder bedrängten Vornehmen zu bieten imstande war und ward abgefunden mit den Brosamen, die in Form der Wahlbestechung oder sonst von dem Herrentisch für sie abfielen. Eine demokratische Opposition konnte freilich bei solchem Regiment nicht mangeln; aber noch zur Zeit des Ersten Punischen Krieges war dieselbe völlig machtlos. Späterhin, zum Teil unter dem Einfluß der erlittenen Niederlagen, erscheint ihr politischer Einfluß im Steigen und in weit rascherem, als gleichzeitig der der gleichartigen römischen Partei: die Volksversammlungen begannen in politischen Fragen die letzte Entscheidung zu geben und brachen die Allmacht der karthagischen Oligarchie. Nach Beendigung des Hannibalischen Krieges ward auf Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt, daß kein Mitglied des Rates der Hundert zwei Jahre nacheinander im Amte sein könne und damit die volle Demokratie eingeführt, welche allerdings nach der Lage der Dinge allein Karthago zu retten vermochte, wenn es dazu überhaupt noch Zeit war. In dieser Opposition herrschte ein mächtiger patriotischer und reformierender Schwung; doch darf darüber nicht übersehen werden, auf wie fauler und morscher Grundlage sie ruhte. Die karthagische Bürgerschaft, die von kundigen Griechen der alexandrinischen verglichen wird, war so zuchtlos, daß sie insofern es wohl verdient hatte, machtlos zu sein; und wohl durfte gefragt werden, was da aus Revolutionen für Heil kommen solle, wo, wie in Karthago, die Buben sie machen halfen.

In finanzieller Hinsicht behauptet Karthago in jeder Beziehung unter den Staaten des Altertums den ersten Platz. Zur Zeit des Peloponnesischen Krieges war diese phönikische Stadt nach dem Zeugnis des ersten Geschichtschreibers der Griechen allen griechischen Staaten finanziell überlegen und werden ihre Einkünfte denen des Großkönigs verglichen; Polybios nennt sie die reichste Stadt der Welt. Von der Intelligenz der karthagischen Landwirtschaft, welche Feldherren und Staatsmänner dort wie später in Rom wissenschaftlich zu betreiben und zu lehren nicht verschmähten, legt ein Zeugnis ab die agronomische Schrift des Karthagers Mago, welche von den späteren griechischen und römischen Landwirten durchaus als der Grundkodex der rationellen Ackerwirtschaft betrachtet und nicht bloß ins Griechische übersetzt, sondern auch auf Befehl des römischen Senats lateinisch bearbeitet und den italischen Gutsbesitzern offiziell anempfohlen ward. Charakteristisch ist die enge Verbindung dieser phönikischen Acker- mit der Kapitalwirtschaft; es wird als eine Hauptmaxime der phönikischen Landwirtschaft angeführt, nie mehr Land zu erwerben, als man intensiv zu bewirtschaften vermöge. Auch der Reichtum des Landes an Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen, worin Libyen infolge seiner Nomadenwirtschaft es nach Polybios' Zeugnis vielleicht allen übrigen Ländern der Erde damals zuvortat, kam den Karthagern zugute. Wie in der Ausnutzung des Bodens die Karthager die Lehrmeister der Römer waren, wurden sie es auch in der Ausbeutung der Untertanen; durch diese floß nach Karthago mittelbar die Grundrente "des besten Teils von Europa" und der reichen, zum Teil, zum Beispiel in der Byzakitis und an der Kleinen Syrte, überschwenglich gesegneten nordafrikanischen Landschaft. Der Handel, der in Karthago von jeher als ehrenhaftes Gewerbe galt, und die auf Grund des Handels aufblühende Reederei und Fabrikation brachten schon im natürlichen Laufe der Dinge den dortigen Ansiedlern jährlich goldene Ernten, und es ist früher schon bezeichnet worden, wie man durch ausgedehnte und immer gesteigerte Monopolisierung nicht bloß aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland allen Handel des westlichen Mittelmeeres und den ganzen Zwischenhandel zwischen dem Westen und Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu konzentrieren verstand. Wissenschaft und Kunst scheinen in Karthago, wie späterhin in Rom, zwar wesentlich durch hellenischen Einfluß bestimmt, aber nicht vernachlässigt worden zu sein; es gab eine ansehnliche phönikische Literatur und bei Eroberung der Stadt fanden sich reiche, freilich nicht in Karthago geschaffene, sondern aus den sizilischen Tempeln weggeführte Kunstschätze und beträchtliche Bibliotheken vor. Aber auch der Geist stand hier im Dienste des Kapitals; was von der Literatur hervorgehoben wird, sind vornehmlich die agronomischen und geographischen Schriften, wie das schon erwähnte Werk des Mago und der noch in Übersetzung vorhandene, ursprünglich in einem der karthagischen Tempel öffentlich aufgestellte Bericht des Admirals Hanno von seiner Beschiffung der westafrikanischen Küste. Selbst die allgemeine Verbreitung gewisser Kenntnisse und besonders der Kunde fremder Sprachen, worin das Karthago dieser Zeit ungefähr mit dem kaiserlichen Rom auf einer Linie gestanden haben mag, zeugt von der durchaus praktischen Richtung, welche der hellenischen Bildung in Karthago gegeben ward. Wenn es schlechterdings unmöglich ist, von der Kapitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in diesem London des Altertums zusammenströmte, so kann wenigstens von den öffentlichen Einnahmequellen einigermaßen einen Begriff geben, daß trotz des kostspieligen Systems, nach dem Karthago sein Kriegswesen organisiert hatte, und trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts dennoch die Beisteuern der Untertanen und die Zollgefälle die Ausgaben vollständig deckten und von den Bürgern direkte Steuern nicht erhoben wurden; ja daß noch nach dem Zweiten Punischen Kriege, als die Macht des Staates schon gebrochen war, die laufenden Ausgaben und eine jährliche Abschlagszahlung nach Rom von 340000 Talern ohne Steuerausschreibung bloß durch eine einigermaßen geregelte Finanzwirtschaft gedeckt werden konnten und vierzehn Jahre nach dem Frieden der Staat zur sofortigen Erlegung der noch übrigen sechsunddreißig Termine sich erbot. Aber es ist nicht bloß die Summe der Einkünfte, in der sich die Überlegenheit der karthagischen Finanzwirtschaft ausspricht; auch die ökonomischen Grundsätze einer späteren und vorgeschritteneren Zeit finden wir hier allein unter allen bedeutenderen Staaten des Altertums: es ist von ausländischen Staatsanleihen die Rede, und im Geldsystem finden wir neben Gold- und Silber- ein dem Stoff nach wertloses Zeichengeld erwähnt, welches in dieser Weise sonst dem Altertum fremd ist. In der Tat, wenn der Staat eine Spekulation wäre, nie hätte einer glänzender seine Aufgabe gelöst als Karthago.

Vergleichen wir die Macht der Karthager und der Römer. Beide waren Acker- und Kaufstädte und lediglich dieses; die durchaus untergeordnete und durchaus praktische Stellung von Kunst und Wissenschaft war in beiden wesentlich dieselbe, nur daß in dieser Hinsicht Karthago weiter vorgeschritten war als Rom. Aber in Karthago hatte die Geld- über die Grundwirtschaft, in Rom damals noch die Grund- über die Geldwirtschaft das Übergewicht, und wenn die karthagischen Ackerwirte durchgängig große Guts- und Sklavenbesitzer waren, bebaute in dem Rom dieser Zeit die große Masse der Bürgerschaft noch selber das Feld. Die Mehrzahl der Bevölkerung war in Rom besitzend, das ist konservativ, in Karthago besitzlos und dem Golde der Reichen wie dem Reformruf der Demokraten zugänglich. In Karthago herrschte schon die ganze, mächtigen Handelsstädten eigene Opulenz, während Sitte und Polizei in Rom wenigstens äußerlich noch altväterische Strenge und Sparsamkeit aufrecht erhielten. Als die karthagischen Gesandten von Rom zurückkamen, erzählten sie ihren Kollegen, daß das innige Verhältnis der römischen Ratsherren zueinander alle Vorstellung übersteige; ein einziges silbernes Tafelgeschirr reiche aus für den ganzen Rat und sei in jedem Haus, wo man sie zu Gaste geladen, ihnen wieder begegnet. Der Spott ist bezeichnend für die beiderseitigen wirtschaftlichen Zustände.

Beider Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten die Richter in Karthago und beide nach dem gleichen Polizeisystem. Die strenge Abhängigkeit, in welcher die karthagische Regierungsbehörde den einzelnen Beamten hielt, der Befehl derselben an die Bürger, sich des Erlernens der griechischen Sprache unbedingt zu enthalten und mit einem Griechen nur vermittels des öffentlichen Dolmetschers zu verkehren, sind aus demselben Geiste geflossen wie das römische Regierungssystem; aber gegen die grausame Härte und die ans Alberne streifende Unbedingtheit solcher karthagischen Staatsbevormundung erscheint das römische Brüchen- und Rügesystem mild und verständig. Der römische Senat, welcher der eminenten Tüchtigkeit sich öffnete und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte ihr auch vertrauen und brauchte die Beamten nicht zu fürchten. Der karthagische Senat dagegen beruhte auf einer eifersüchtigen Kontrolle der Verwaltung durch die Regierung und vertrat ausschließlich die vornehmen Familien; sein Wesen war das Mißtrauen noch oben wie nach unten und darum konnte er weder sicher sein, daß das Volk ihm folgte, wohin er führte, noch unbesorgt vor Usurpationen der Beamten. Daher der feste Gang der römischen Politik, die im Unglück keinen Schritt zurückwich und die Gunst des Glückes nicht verscherzte durch Fahrlässigkeit und Halbheit; während die Karthager vom Kampf abstanden, wo eine letzte Anstrengung vielleicht alles gerettet hätte, und, der großen nationalen Aufgaben überdrüssig oder vergessen, den halbfertigen Bau einstürzen ließen, um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Daher ist der tüchtige Beamte in Rom regelmäßig im Einverständnis mit seiner Regierung, in Karthago häufig in entschiedener Fehde mit den Herren daheim und gedrängt, sich ihnen verfassungswidrig zu widersetzen und mit der opponierenden Reformpartei gemeinschaftliche Sache zu machen.

Karthago wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche stammfremde Gemeinden. Aber Rom hatte einen Distrikt nach dem andern in sein Bürgerrecht aufgenommen und den latinischen Gemeinden selbst gesetzlich Zugänge zu demselben eröffnet; Karthago schloß von Haus aus sich ab und ließ den abhängigen Distrikten nicht einmal die Hoffnung auf dereinstige Gleichstellung. Rom gönnte den stammverwandten Gemeinden Anteil an den Früchten des Sieges, namentlich an den gewonnenen Domänen, und suchte in den übrigen untertänigen Staaten durch materielle Begünstigung der Vornehmen und Reichen wenigstens eine Partei in das Interesse Roms zu ziehen; Karthago behielt nicht bloß für sich, was die Siege einbrachten, sondern entriß sogar den Städten besten Rechts die Handelsfreiheit. Rom nahm der Regel nach nicht einmal den unterworfenen Gemeinden die Selbständigkeit ganz und legte keiner eine feste Steuer auf; Karthago sandte seine Vögte überall hin und belastete selbst die altphönikischen Städte mit schwerem Zins, während die unterworfenen Stämme faktisch als Staatssklaven behandelt wurden. So war im karthagisch-afrikanischen Staatsverband nicht eine einzige Gemeinde mit Ausnahme von Utica, die nicht durch den Sturz Karthagos politisch und materiell sich verbessert haben würde; in dem römisch-italischen nicht eine einzige, die bei der Auflehnung gegen ein Regiment, das die materiellen Interessen sorgfältig schonte und die politische Opposition wenigstens nirgend durch äußerste Maßregeln zum Kampf herausforderte, nicht noch mehr zu verlieren gehabt hätte als zu gewinnen. Wenn die karthagischen Staatsmänner meinten, die phönikischen Untertanen durch die größere Furcht vor den empörten Libyern, die sämtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das karthagische Interesse geknüpft zu haben, so übertrugen sie einen kaufmännischen Kalkül dahin, wo er nicht hingehört; die Erfahrung bewies, daß die römische Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren Fügung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie eine Mauer aus Felsenstücken, die karthagische dagegen wie Spinneweben zerriß, sowie ein feindliches Heer den afrikanischen Boden betrat. So geschah es bei den Landungen. von Agathokles und von Regulus und ebenso im Söldnerkrieg; von dem Geiste, der in Afrika herrschte, zeugt zum Beispiel, daß die libyschen Frauen den Söldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum Kriege gegen Karthago. Nur in Sizilien scheinen die Karthager milder aufgetreten zu sein und darum auch bessere Ergebnisse erlangt zu haben. Sie gestatteten ihren Untertanen hier verhältnismäßige Freiheit im Handel mit dem Ausland und ließen sie ihren inneren Verkehr wohl von Anfang an und ausschließlich mit Metallgeld treiben, überhaupt bei weitem freier sich bewegen, als dies den Sarden und Libyern erlaubt ward. Wäre Syrakus in ihre Hände gefallen, so hätte sich freilich dies bald geändert; indes dazu kam es nicht, und so bestand, bei der wohlberechneten Milde des karthagischen Regiments und bei der unseligen Zerrissenheit der sizilischen Griechen, in Sizilien in der Tat eine ernstlich phönikisch gesinnte Partei – wie denn zum Beispiel noch nach dem Verlust der Insel an die Römer Philinos von Akragas die Geschichte des großen Krieges durchaus im phönikischen Sinne schrieb. Aber im ganzen mußten doch auch die Sizilianer als Untertanen wie als Hellenen ihren phönikischen Herren wenigstens ebenso abgeneigt sein wie den Römern die Samniten und Tarentiner.

Finanziell überstiegen die karthagischen Staatseinkünfte ohne Zweifel um vieles die römischen; allein dies glich zum Teil sich wieder dadurch aus, daß die Quellen der karthagischen Finanzen, Tribute und Zölle weit eher und eben, wenn man sie am nötigsten brauchte, versiegten als die römischen, und daß die karthagische Kriegführung bei weitem kostspieliger war als die römische.

Die militärischen Hilfsmittel der Römer und Karthager waren sehr verschieden, jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen. Die karthagische Bürgerschaft betrug noch bei Eroberung der Stadt 700000 Köpfe mit Einschluß der Frauen und Kinder und mochte am Ende des fünften Jahrhunderts wenigstens ebenso zahlreich sein; sie vermochte im fünften Jahrhundert im Notfall ein Bürgerheer von 40 000 Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein ebenso starkes Bürgerheer hatte Rom schon im Anfang des fünften Jahrhunderts unter gleichen Verhältnissen ins Feld geschickt; seit den großen Erweiterungen des Bürgergebiets im Laufe des fünften Jahrhunderts mußte die Zahl der waffenfähigen Vollbürger mindestens sich verdoppelt haben. Aber weit mehr noch als der Zahl der Waffenfähigen nach war Rom in dem Effektivstand des Bürgermilitärs überlegen. So sehr die karthagische Regierung auch es sich angelegen sein ließ, die Bürger zum Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie doch weder dem Handwerker und Fabrikarbeiter den kräftigen Körper des Landmanns geben noch den angeborenen Widerwillen der Phöniker vor dem Kriegswerk überwinden. Im fünften Jahrhundert focht in den sizilischen Heeren noch eine "heilige Schar" von 2500 Karthagern als Garde des Feldherrn; im sechsten findet sich in den karthagischen Heeren, zum Beispiel in dem spanischen, mit Ausnahme der Offiziere nicht ein einziger Karthager. Dagegen standen die römischen Bauern keineswegs bloß in den Musterrollen, sondern auch auf den Schlachtfeldern. Ähnlich verhielt es sich mit den Stammverwandten der beiden Gemeinden; während die Latiner den Römern nicht mindere Dienste leisteten als ihre Bürgertruppen, waren die Libyphöniker ebensowenig kriegstüchtig wie die Karthager und begreiflicherweise noch weit weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den Heeren, indem die zuzugspflichtigen Städte ihre Verbindlichkeit vermutlich mit Geld abkauften. In dem eben erwähnten spanischen Heer von etwa 15000 Mann bestand nur eine einzige Reiterschar von 450 Mann und auch diese nur zum Teil aus Libyphönikern. Den Kern der karthagischen Armeen bildeten die libyscher. Untertanen, aus deren Rekruten sich unter tüchtigen Offizieren ein gutes Fußvolk bilden ließ und deren leichte Reiterei in ihrer Art unübertroffen war. Dazu kamen die Mannschaften der mehr oder minder abhängigen Völkerschaften Libyens und Spaniens und die berühmten Schleuderer von den Balearen, deren Stellung zwischen Bundeskontingenten und Söldnerscharen die Mitte gehalten zu haben scheint; endlich im Notfall die im Ausland angeworbene Soldateska. Ein solches Heer konnte der Zahl nach ohne Mühe fast auf jede beliebige Stärke gebracht werden und auch an Tüchtigkeit der Offiziere, an Waffenkunde und Mut fähig sein, mit dem römischen sich zu messen; allein nicht bloß verstrich, wenn Söldner angenommen werden mußten, ehe dieselben bereit standen, eine gefährlich lange Zeit, während die römische Miliz jeden Augenblick auszurücken imstande war, sondern, was die Hauptsache ist, während die karthagischen Heere nichts zusammenhielt als die Fahnenehre und der Vorteil, fanden sich die römischen durch alles vereinigt, was sie an das gemeinsame Vaterland band. Dem karthagischen Offizier gewöhnlichen Schlages galten seine Söldner, ja selbst die libyschen Bauern ungefähr soviel wie heute im Krieg die Kanonenkugeln; daher Schändlichkeiten, wie zum Beispiel der Verrat der libyschen Truppen durch ihren Feldherrn Himilko 358 (396), der einen gefährlichen Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher jener zum Sprichwort gewordene Ruf der "punischen Treue", der den Karthagern nicht wenig geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und Söldnerheere über einen Staat bringen können, hat Karthago in vollem Maße erfahren und mehr als einmal seine bezahlten Knechte gefährlicher erfunden als seine Feinde.

Die Mängel dieses Heerwesens konnte die karthagische Regierung nicht verkennen und suchte sie allerdings auf jede Weise wieder einzubringen. Man hielt auf gefüllte Kassen und gefüllte Zeughäuser, um jederzeit Söldner ausstatten zu können. Man wandte große Sorgfalt auf das, was bei den Alten die heutige Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in welcher Waffe wir die Karthager den Sikelioten regelmäßig überlegen finden, und die Elefanten, seit diese im Kriegswesen die älteren Streitwagen verdrängt hatten; in den Kasematten Karthagos befanden sich Stallungen für 300 Elefanten. Die abhängigen Städte zu befestigen, konnte man freilich nicht wagen und mußte es geschehen lassen, daß jedes in Afrika gelandete feindliche Heer mit dem offenen Lande auch die Städte und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu Italien, wo die meisten unterworfenen Städte ihre Mauern behalten hatten und eine Kette römischer Festungen die ganze Halbinsel beherrschte. Dagegen für die Befestigung der Hauptstadt bot man auf, was Geld und Kunst vermochten; und mehrere Male rettete den Staat nichts als die Stärke der karthagischen Mauern, während Rom politisch und militärisch so gesichert war, daß es eine förmliche Belagerung niemals erfahren hat. Endlich das Hauptbollwerk des Staats war die Kriegsmarine, auf die man die größte Sorgfalt verwandte. Im Bau wie in der Führung der Schiffe waren die Karthager den Griechen überlegen; in Karthago zuerst baute man Schiffe mit mehr als drei Ruderverdecken, und die karthagischen Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit meistens Fünfdecker, waren in der Regel bessere Segler als die griechischen, die Ruderer, sämtlich Staatssklaven, die nicht von den Galeeren kamen, vortrefflich eingeschult und die Kapitäne gewandt und furchtlos. In dieser Beziehung war Karthago entschieden den Römern überlegen, die mit den wenigen Schiffen der verbündeten Griechen und den wenigeren eigenen nicht imstande waren, sich in der offenen See auch nur zu zeigen gegen die Flotte, die damals unbestritten das westliche Meer beherrschte.

Fassen wir schließlich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der beiden großen Mächte ergibt, so rechtfertigt sich wohl das Urteil eines einsichtigen und unparteiischen Griechen, daß Karthago und Rom, da der Kampf zwischen ihnen begann, im allgemeinen einander gewachsen waren. Allein wir können nicht unterlassen hinzuzufügen, daß Karthago wohl aufgeboten hatte, was Geist und Reichtum vermochten, um künstliche Mittel zum Angriff und zur Verteidigung sich zu erschaffen, aber daß es nicht imstande gewesen war, die Grundmängel des fehlenden eigenen Landheers und der nicht auf eigenen Füßen stehenden Symmachie in irgend ausreichender Weise zu ersetzen. Daß Rom nur in Italien, Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, ließ sich nicht verkennen; und ebensowenig, daß Karthago auf die Dauer einem solchen Angriff nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit der Kindheit der Schiffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen, sondern ließen sich herstellen, wo es Bäume, Eisen und Wasser gab; daß selbst mächtige Seestaaten nicht imstande waren, den zur See schwächeren Feinden die Landung zu wehren, war einleuchtend und in Afrika selbst mehrfach erprobt worden. Seit Agathokles den Weg dahin gezeigt hatte, konnte auch ein römischer General ihn finden, und während in Italien mit dem Einrücken einer Invasionsarmee der Krieg begann, war er in Libyen im gleichen Fall zu Ende und verwandelte sich in eine Belagerung, in der, wenn nicht besondere Zufälle eintraten, auch der hartnäckigste Heldenmut endlich unterliegen mußte.

2. Kapitel

Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago

Seit mehr als einem Jahrhundert verheerte die Fehde zwischen den Karthagern und den syrakusanischen Herren die schöne sizilische Insel. Von beiden Seiten ward der Krieg geführt einerseits mit politischem Propagandismus, indem Karthago Verbindungen unterhielt mit der aristokratisch-republikanischen Opposition in Syrakus, die syrakusanischen Dynasten mit der Nationalpartei in den Karthago zinspflichtig gewordenen Griechenstädten; anderseits mit Söldnerheeren, mit welchen Timoleon und Agathokles ebensowohl ihre Schlachten schlugen wie die phönikischen Feldherren. Und wie man auf beiden Seiten mit gleichen Mitteln focht, ward auch auf beiden Seiten mit gleicher, in der okzidentalischen Geschichte beispielloser Ehr- und Treulosigkeit gestritten. Die unterliegende Partei waren die Syrakusier. Noch im Frieden von 440 (314) hatte Karthago sich beschränkt auf das Drittel der Insel westlich von Herakleia, Minoa und Himera und hatte ausdrücklich die Hegemonie der Syrakusier über sämtliche östliche Städte anerkannt. Pyrrhos' Vertreibung aus Sizilien und Italien (479 275) ließ die bei weitem größere Hälfte der Insel und vor allem das wichtige Akragas in Karthagos Händen; den Syrakusiern blieb nichts als Tauromenion und der Südosten der Insel. In der zweiten großen Stadt an der Ostküste, in Messana, hatte eine fremdländische Soldatenschar sich festgesetzt und behauptete die Stadt, unabhängig von den Syrakusiern wie von den Karthagern. Es waren kampanische Landsknechte, die in Messana geboten. Das bei den in und um Capua angesiedelten Sabellern eingerissene wüste Wesen (I, 368) hatte im vierten und fünften Jahrhundert aus Kampanien gemacht, was später Ätolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen Werbeplatz für die söldnersuchenden Fürsten und Städte. Die von den kampanischen Griechen dort ins Leben gerufene Halbkultur, die barbarische Üppigkeit des Lebens in Capua und den übrigen kampanischen Städten, die politische Ohnmacht, zu der die römische Hegemonie sie verurteilte, ohne ihnen doch durch ein straffes Regiment die Verfügung über sich selbst vollständig zu entziehen – alles dies trieb die kampanische Jugend scharenweise unter die Fahnen der Werbeoffiziere; und es versteht sich, daß der leichtsinnige und gewissenlose Selbstverkauf hier wie überall die Entfremdung von der Heimat, die Gewöhnung an Gewalttätigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgültigkeit gegen den Treuebruch im Gefolge hatte. Warum eine Söldnerschar sich der ihrer Hut anvertrauten Stadt nicht für sich selbst bemächtigen solle, vorausgesetzt nur, daß sie dieselbe zu behaupten imstande sei, leuchtete diesen Kampanern nicht ein – hatten doch die Samniten in Capua selbst, die Lucaner in einer Reihe griechischer Städte ihre Herrschaft in nicht viel ehrenhafterer Weise begründet. Nirgend luden die politischen Verhältnisse mehr zu solchen Unternehmungen ein als in Sizilien; schon die während des Peloponnesischen Krieges nach Sizilien gelangten kampanischen Hauptleute hatten in Entella und Aetna in solcher Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 (284) setzte ein kampanischer Trupp, der früher unter Agathokles gedient hatte und nach dessen Tode (465 289) das Räuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb, sich fest in Messana, der zweiten Stadt des griechischen Siziliens und dem Hauptsitz der antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen beherrschten Teile der Insel. Die Bürger wurden erschlagen oder vertrieben, die Frauen und Kinder und die Häuser derselben unter die Soldaten verteilt und die neuen Herren der Stadt, die "Marsmänner", wie sie sich nannten, oder die Mamertiner wurden bald die dritte Macht der Insel, deren nordöstlichen Teil sie in den wüsten Zeiten nach Agathokles' Tode sich unterwarfen. Die Karthager sahen nicht ungern diese Vorgänge, durch welche die Syrakusier anstatt einer stammverwandten und in der Regel ihnen verbündeten oder untertänigen Stadt einen neuen und mächtigen Gegner in nächster Nähe erhielten; mit karthagischer Hilfe behaupteten die Mamertiner sich gegen Pyrrhos und der unzeitige Abzug des Königs gab ihnen ihre ganze Macht zurück.

Es ziemt der Historie weder, den treulosen Frevel zu entschuldigen, durch den sie der Herrschaft sich bemächtigten, noch zu vergessen, daß der Gott, der die Sünde der Väter straft bis ins vierte Glied, nicht der Gott der Geschichte ist. Wer sich berufen fühlt, die Sünden anderer zu richten, mag die Menschen verdammen; für Sizilien konnte es heilbringend sein, daß hier eine streitkräftige und der Insel eigene Macht sich zu bilden anfing, die schon bis achttausend Mann ins Feld zu stellen vermochte und die allmählich sich in den Stand setzte, den Kampf, welchem die trotz der ewigen Kriege sich immer mehr der Waffen entwöhnenden Hellenen nicht mehr gewachsen waren, zu rechter Zeit gegen die Ausländer mit eigenen Kräften aufzunehmen.

Zunächst indes kam es anders. Ein junger syrakusanischer Offizier, der durch seine Abstammung aus dem Geschlechte Gelons und durch seine engen verwandtschaftlichen Beziehungen zum König Pyrrhos ebenso sehr wie durch die Auszeichnung, mit der er in dessen Feldzügen gefochten hatte, die Blicke seiner Mitbürger wie die der syrakusanischen Soldateska auf sich gelenkt hatte, Hieron, des Hierokles Sohn, ward durch eine militärische Wahl an die Spitze des mit den Bürgern hadernden Heeres gerufen (479/80 275/74). Durch seine kluge Verwaltung, sein adliges Wesen und seinen mäßigen Sinn gewann er schnell sich die Herzen der syrakusanischen, des schändlichsten Despotenunfugs gewohnten Bürgerschaft und überhaupt der sizilischen Griechen. Er entledigte sich, freilich auf treulose Weise, des unbotmäßigen Söldnerheeres, regenerierte die Bürgermiliz und versuchte, anfangs mit dem Titel als Feldherr, später als König, mit den Bürgertruppen und frischen und lenksameren Geworbenen die tiefgesunkene hellenische Macht wiederherzustellen. Mit den Karthagern, die im Einverständnis mit den Griechen den König Pyrrhos von der Insel vertrieben hatten, war damals Friede; die nächsten Feinde der Syrakusier waren die Mamertiner, die Stammgenossen der verhaßten, vor kurzem ausgerotteten Söldner, die Mörder ihrer griechischen Wirte, die Schmälerer des syrakusanischen Gebiets, die Zwingherren und Brandschatzer einer Menge kleinerer griechischer Städte. Im Bunde mit den Römern, die eben um diese Zeit gegen die Bundes-, Stamm- und Frevelgenossen der Mamertiner, die Kampaner in Rhegion, ihre Legionen schickten, wandte Hieron sich gegen Messana. Durch einen großen Sieg, nach welchem Hieron zum König der Sikelioten ausgerufen ward (484 270), gelang es, die Mamertiner in ihre Städte einzuschließen, und nachdem die Belagerung einige Jahre gewährt hatte, sahen die Mamertiner sich aufs äußerste gebracht und außerstande, die Stadt gegen Hieron länger mit eigenen Kräften zu behaupten. Daß eine Übergabe auf Bedingungen nicht möglich war und das Henkerbeil, das die rheginischen Kampaner in Rom getroffen hatte, ebenso sicher in Syrakus der messanischen wartete, leuchtete ein; die einzige Rettung war die Auslieferung der Stadt entweder an die Karthager oder an die Römer, denen beiden hinreichend gelegen sein mußte an der Eroberung des wichtigen Platzes, um über alle anderen Bedenken hinwegzusehen. Ob es vorteilhafter sei, den Herren Afrikas oder den Herren Italiens sich zu ergeben, war zweifelhaft; nach langem Schwanken entschied sich endlich die Majorität der kampanischen Bürgerschaft, den Besitz der meerbeherrschenden Festung den Römern anzutragen.