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Detective Jason de Sanges ist viel zu streng, findet die freche Künstlerin Poppy Calloway. Deshalb passen sie ungefähr so gut zusammen wie Öl- und Wasserfarbe. Nämlich gar nicht! Bis ausgerechnet dieser unbeugsame, aber unbestritten sexy Gesetzeshüter ein Projekt überwacht, das Poppy mit drei verurteilten Sprayern durchführt. Liegt es am Funkeln in Jasons Augen? Am Knistern in der Luft? Am Prickeln unter der Haut? Jedenfalls würde Poppy sich am liebsten eine Dose schnappen und ein fettes rosarotes Herz an die nächste Mauer sprühen! Mit zwei Buchstaben: J & P! Ob Jason dann immer noch nur an Recht und Ordnung denkt - oder sie endlich küsst?
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Seitenzahl: 413
Veröffentlichungsjahr: 2011
Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Susan Andersen
Rosarot in Seattle
Roman
Aus dem Amerikanischen von
Tess Martin
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Cora Verlag GmbH & Co. KG,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Copyright © 2010 by MIRA Taschenbuch
in der CORA Verlag GmbH & Co. KG
Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
Bending The Rules
Copyright © 2009 by Susan Andersen
erschienen bei: Halequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with
HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V/S.àr.l.
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln
Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Stefanie Kruschandl
Titelabbildung: pecher und soiron, Köln
Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz / Studio B Portraits
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN (eBook, PDF) 978-3-86278-273-4 ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-272-7
eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net
www.mira-taschenbuch.de
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Liebes Tagebuch,
ich werde nie verstehen, warum die Leute ihre Wände weiß streichen. Wenn ich könnte, würde ich die ganze Welt bunt malen.
13. Juni 1992
Na, was denkst du?“ Die dreizehnjährige Poppy Calloway hakte sich mit dem Fuß an der oberen Stufe der Leiter fest. Erst dann sah sie zu ihrer Freundin Jane, die die Frage gestellt hatte. Jane versank fast in einem riesigen Malerkittel. Ihr glattes braunes Haar hatte sich aus der Haarspange gelöst. Hinter den Scheiben des zweiflügeligen Fensters, dessen Rahmen sie sorgfältig gestrichen hatte, schoben sich dunkle Regenwolken über den Himmel. Oberhalb der Space Needle aber hatte sich ein purpurblauer Lichthof gebildet.
„Sieht toll aus, Janie.“ Poppy bewunderte das samtige Cremeweiß vor der melonengrünen Wand. „Die Fensterrahmen sind am schwierigsten.“ Sie blies sich eine blonde Locke aus der Stirn und warf Jane ein Grinsen zu. „Darum habe ich dir die Aufgabe überlassen.“
Ein schiefes Lächeln erhellte Janes ernstes Gesicht. „Also bin ich die Dumme in unserer Schwesternschaft?“
„Nö. Ich wusste nur, dass du es gut machen würdest.“ Poppy wandte sich an die Dritte im Bunde. Die rothaarige Ava verspeiste gerade ein Milky Way und tanzte zu Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“. Sie hatten einen Ghettoblaster mit zu Miss Agnes gebracht. „Und? Hast du eigentlich vor, uns irgendwann heute noch mal zu helfen?“
Mit schwingenden Hüften und sich rhythmisch dazu bewegenden Armen warf Ava Poppy einen Blick quer durch den Raum zu. „Gleich. Ich kommuniziere gerade mit Kurt Cobain.“
„Du kommunizierst mit ihm, seit du diese Nevermind-Kassette mitgebracht hast. Wie lange ist das her? Sechs Monate? Mach das doch mit einem Pinsel in der Hand.“
„Ach, Pop. Du weißt doch, dass ich diesen körperlichen Kram nicht so gut drauf habe.“
Poppy beäugte Avas fließende Bewegungen. „Du bist doch diejenige, die gut genug tanzt, um bei einem MTV-Video mitzumachen.“
Tiefe Grübchen zeigten sich auf Avas Wangen, als sie entzückt lächelte. Doch fast gleichzeitig gab sie ein spöttisches Geräusch von sich. „Ja, klar. Als ob die ausgerechnet meinen fetten Hintern in einem ihrer Videos brauchen könnten. Da gibt’s doch nur dünne Mädchen wie dich und Jane.“
„Dann leg den Schokoriegel weg und schnapp dir einen Pinsel – vielleicht verbrennst du so ein paar Kalorien.“
„Poppy“, protestierte Jane.
Schulterzuckend wandte Poppy sich wieder ihrer Malerarbeit zu, zugleich reumütig und ungeduldig. Sie wusste, dass sie gemein gewesen war. Doch es war einfach schwer, immer und immer wieder echtes Mitgefühl aufzubringen. Ihr Gewicht war für Ava ein ständiger Quell des Unglücks. Trotzdem tat sie nie etwas dagegen.
Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie Ava zu einer leeren Farbwanne stapfte und dann in die Hocke ging, um Farbe einzufüllen.
„Tanzen verbrennt Kalorien“, murrte Ava, während sie begann, den unteren Teil der Wand zu streichen. Bis hier war Poppy mit ihrem Roller nicht gekommen.
„Das ist wahr. Aber auf diese Weise werden Wände nicht gestrichen.“ Und doch hatte Ava nicht ganz unrecht, daher machte Poppy ihr das erstbeste Friedensangebot, das ihr in den Sinn kam. „Diese Courtney Love ist echt nicht die Richtige für Cobain.“
„Ich weiß!“ Ava rieb die Wange an ihrer Schulter, um eine Haarsträhne wegzuwischen, die sich in ihrem Mundwinkel verfangen hatte. Wieder blitzten Grübchen in ihren prallen Wangen auf, als sie zu Poppy hinaufsah. „Ich glaube, er schlägt mit ihr nur die Zeit tot, bis ich alt genug bin, um ihn zu heiraten.“ Sie nickte weise. „Männer brauchen Sex, weißt du?“
„Ganz bestimmt ist das der Grund.“
„Zweifellos“, stimmte Jane zu.
„Aber du kannst Cobain ruhig haben“, fügte Poppy hinzu. „Ich warte weiter auf meinen Scheich.“
Als sie den Scheich erwähnte, den sie sich letztes Jahr beim Zelten im Garten ausgedacht hatten, kreischten Ava und Jane los. Insgeheim musste Poppy einen Schauder unterdrücken. Denn der dunkle, überlebensgroße schlanke Mann ihrer gemeinsamen Fantasien entsprach tatsächlich ihrer ganz persönlichen Vorstellung vom Traummann. Aber ein stinknormaler Freund wäre erst mal auch nicht zu verachten.
„Seid ihr Mädchen bereit für eine Pause?“
Beim Klang von Agnes Bell Wolcotts dunkler, markanter Stimme drehten sich alle drei zur Tür. Dort stand Miss A., vom todschick frisierten Scheitel bis zu den teuren Schuhen in Haute Couture gekleidet. Sie hatten Miss A. bei einer Feier von Avas Eltern vor zwei Jahren kennengelernt. Kurz darauf waren die drei zum Tee auf das berühmte Wolcott-Anwesen eingeladen worden, als Dankeschön dafür, dass sie etwas Zeit mit einer exzentrischen alten Dame verbracht hatten. In bestimmten Kreisen war Miss Agnes für ihre abenteuerlichen Reisen, wunderschönen Kleider und auserlesenen Sammlungen bekannt. Beim Tee hatte sie den Mädchen ihre ersten Tagebücher geschenkt und erklärt, dass ihre Freundschaft sie an eine Schwesternschaft erinnerte. Seitdem kamen sie mindestens einmal im Monat zum Tee und schauten auch einfach so regelmäßig vorbei – entweder alle zusammen oder jede für sich –, nur um mit Miss A. zu sprechen.
Wenn Poppy mit Miss Agnes allein war, waren ihre Gespräche oft philanthropisch. Die Dame glaubte daran, Gutes „zurückzugeben“, was großen Eindruck auf Poppy machte. Miss A. hatte etwas an sich, das einen dazu brachte, auf eine Art und Weise über Dinge nachzudenken, wie man es nie zuvor gewagt hatte. Poppy vermutete jetzt, dass sie denselben albernen, erfreuten Gesichtsausdruck hatte wie Jane und Ava. Zum Ausgleich – in letzter Zeit war ihr ihre Würde besonders wichtig – sagte sie streng: „Wenn Sie hier reinwollen, müssen Sie einen Kittel anziehen.“ Dabei deutete sie mit dem Kinn auf den Haufen, den ihre Eltern ihr mitgegeben hatten. „Ich will nicht dafür verantwortlich sein, wenn Sie sich Ihre Garderobe ruinieren.“
„Und ich werde den herrlichen Stoff meines Chanel-Kostüms ganz sicher nicht mit einem farbbeklecksten Kittel ruinieren“, erwiderte Miss A. ein wenig scharf. Sie trat einen Schritt zurück, bis sie in Sicherheit vor der feuchten Farbe, aber noch immer zu sehen war.
Poppy grinste über den herben Ton der alten Dame. Ganz besonders schätzte sie an Miss A., dass die ältere Frau niemals die Intelligenz der Mädchen beleidigte. „Auf dem Sideboard im Esszimmer steht ein Teller mit selbst gebackenen Hafer-Schokoladen-Rosinen-Plätzchen für Sie“, verkündete Poppy. „Mom meinte, wenn ich Sie schon zwinge, uns diesen Raum streichen zu lassen, dann würde sie gern etwas Zucker zum Ausgleich beisteuern.“
„Wie lieb von ihr. Und offenbar kennt sie dich gut.“ Der zweite Satz kam ziemlich trocken über Miss A.’s Lippen. „Ich sage Evelyn, dass sie ein paar für euch auf einen Teller legen soll. Wo wir gerade übers Essen sprechen, seid ihr bereit für eine Mittagspause, oder wollt ihr erst eure Wand streichen?“ Mit einem anerkennenden Nicken musterte sie die bereits gestrichene Wand, die in einem tieferen, dramatischeren Ton leuchtete als die Wand, die Poppy und Ava gerade mit einem blassen Melonengrün ausmalten. „Göttliche Farbe, übrigens. Das wird mit den Vorhängen fantastisch aussehen. Du hast ein sehr gutes Auge für solche Dinge, nicht wahr?“
„Sie hat das beste Auge“, bestätigte Ava. „Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, Miss. A., dann streichen wir die Wand erst noch fertig.“
Prompt verpasste Poppy ihrer Freundin einen freundschaftlichen Tritt. Sie wusste, wie sehr Ava Miss A.’s Mittagessen liebte und dass sie es nur Poppy zuliebe verschob. „Sollte nicht länger als zehn oder fünfzehn Minuten dauern, wenn das okay ist“, erklärte Poppy entschuldigend.
„Liebling, ich bekomme wunderschöne neue Wände ganz umsonst. Nehmt euch also so viel Zeit, wie ihr wollt. Ich sag nur schnell Evelyn Bescheid.“
Als sie im Flur verschwunden war, wandte Poppy sich mit neuer Energie ihren Malerarbeiten zu. Sie wusste, dass die alte Dame ihr einen Gefallen tat, indem sie ihr erlaubte, das Zimmer zu streichen. Wenn sie wollte, könnte sie das Haus halbjährlich von Profis renovieren lassen. Doch genau da lag ja der Hund begraben. Miss A. scheute die Mühe. Ihr waren ihre Sammlungen wichtig, nicht die Zimmer, in denen sie sie aufbewahrte.
„Ich werde sie dazu überreden, als Nächstes den Salon streichen zu dürfen“, murmelte Poppy zufrieden.
„Viel Glück“, erwiderte Jane, die auf dem Boden kniete und die Fußbodenleisten strich. Sie stand auf und streckte sich. „Dort steht der Großteil von Miss A.’s Sammlungen. Was für ein mörderischer Aufwand, das alles auszuräumen.“
„Trotzdem. Ich schaffe das. Ich mache sie mürbe – warte es nur ab. Dad sagt, dass es das ist, was ich am besten kann. Und wenn es so weit ist ...“ Sie lächelte verträumt. „... streichen wir es in einem hübschen hellen Gelb.“
Jane und Ava wechselten einen Blick. „Wir?“, fragte Jane. „Was sind wir nur für Glückspilze.“
„Ich kann euch sagen“, murrte Ava. „Dieses ganze Schwesternschaftsding hat echt einige Nachteile.“
Und doch nahmen Poppys beste Freundinnen wieder ihre Pinsel in die Hand und fuhren mit ihrer Arbeit fort.
Von allen Räumen in allen Sporthallen in ganz Seattle musste er ausgerechnet in diesen reinspazieren?
Was zum Teufel hat er hier zu suchen? Poppy bemühte sich, ihr Gespräch mit dem Inhaber vom Ace Eisenwarenladen fortzuführen. Doch der Mann neigte dazu, äußerst eintönig zu sprechen, was die Sache nicht gerade erleichterte. Außerdem schlängelte der Neuankömmling sich durch die Menschenmenge, als ob die Sporthalle ihm gehörte. Ihr Blick wanderte immer wieder zu ihm. Das war doch de Sanges, oder nicht?
Angestrengt unterdrückte sie ein Zischen, das hinten in ihrem Hals kitzelte. Denn dies war der letzte Ort, an dem sie ihn erwartet hätte – aber natürlich war er es.
Wenn sie allerdings an ihr bisher einziges Aufeinandertreffen dachte, fand sie es durchaus verständlich, dass sie versuchte sich einzureden, ihn nicht zu erkennen.
In Wahrheit aber hatte ein Blick gereicht, um den großen, schlanken, muskulösen Körper wiederzuerkennen. Sie hatte sich diese knochige Nase eingeprägt, die scharfen Wangenknochen und das kohlrabenschwarze Haar. Kannte die langen Finger und die olivbraune Haut.
Und.
Oh.
Mein.
Gott!
Besonders gut erinnerte Poppy sich an die dunklen kühlen Augen. Genau diese Augen hatte sie letzten Herbst, als sie sich in Miss A.’s Salon direkt gegenüberstanden, ein paar Sekunden lang erregt aufglühen sehen.
Halt! Entschlossen schob sie die Gedanken zur Seite. Fang nicht einmal damit an, Mädchen. Okay, vielleicht war er Detective Scheich, wie Janie ihn nannte. Na und. Doch ihr Gesicht wurde heiß und ihr Mund trocken, und sie musste sich äußerst zusammenreißen, um nicht zu erschaudern. Damals hatte Ava befürchtet, dass Poppy und de Sanges – ein Mann, den keine von ihnen vor diesem Nachmittag je gesehen hatte – direkt im Salon übereinander herfallen würden.
Ihre Freundin hatte recht gehabt. Noch nie im Leben hatte Poppy eine so irrationale Anziehungskraft verspürt wie bei der Begegnung mit dem großen dunklen Polizisten.
„Nun scheinen alle hier zu sein“, sagte Garret Johnson, der Vorsitzende der Einzelhandelsvereinigung, über das Geplapper im Konferenzraum hinweg. „Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein, dann können wir anfangen.“
Sie stieß einen erleichterten Seufzer aus, weil sie aus ihrer Erinnerung gerissen wurde. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie de Sanges einen Stuhl an den rechteckigen Tisch heranzog. Poppy wählte einen Platz am anderen Ende. Noch besser wäre es gewesen, wenn sie sich einen Platz auf derselben Seite hätte sichern können. Doch Penny, die Besitzerin von Slice of Heaven Pies, schnappte ihr den letzten Stuhl auf de Sanges’ Seite weg. Tja, zu blöd, wirklich schade.
„Okay, wie alle wissen, sind wir hier, um zu entscheiden, was wir mit den drei Jungs machen, die beim Taggen unserer Geschäfte erwischt wurden, wie man das in der Graffiti-Szene nennt“, begann der Vorsitzende, kaum dass das letzte Gespräch verstummt war. „Aber bevor ich weiter darauf eingehe, möchte ich Ihnen Detective Jason de Sanges vom Seattle Police Department vorstellen. Er arbeitet für das vom Bürgermeister ins Leben gerufene Einsatzkommando gegen Einbrüche und Überfälle. Mr. de Sanges war so freundlich, heute hierherzukommen. Detective.“ Damit wandte er sich an den Polizisten. Auch Poppy drehte sich automatisch auf ihrem Sitz herum, um de Sanges anzusehen. „Erlauben Sie, dass ich Ihnen unsere bunt gemischte Gruppe vorstelle.“ Johnson ging der Reihe nach vor, und als er zu Poppy kam, sagte er: „Das ist Poppy Calloway. Sie ist zwar keine Ladenbesitzerin, arbeitet aber mit so vielen von uns zusammen, dass wir sie als ehrenamtliches Mitglied betrachten.“
De Sanges nickte und musterte sie einen Moment mit seinen dunklen ernsten Augen. „Ms. Calloway und ich kennen uns bereits.“
Alle Anwesenden starrten sie an. Ihre Neugier stand ihnen in die Gesichter geschrieben. „Stieren Sie mich nicht an, als ob ich eine Verdächtige in einem seiner Fälle wäre“, bemerkte Poppy trocken. „Sie alle haben von dem Einbruch vor ein paar Monaten in der Wolcott-Villa gehört. Detective de Sanges hat damals den Fall übernommen, weil wir mit der ersten Polizistin am Tatort nicht glücklich waren.“
De Sanges war ebenfalls nicht glücklich gewesen, denn er war nicht freiwillig gekommen. Ava hatte ihre Kontakte spielen lassen, damit er den Fall bekam. Erst kurz zuvor hatten die drei Freundinnen die Villa von Miss Agnes geerbt. Wie wenig den Polizisten der Einbruch in die Villa ganz offensichtlich kümmerte, ärgerte Poppy damals maßlos. Und das konnte man ihr auch kaum vorwerfen. Schließlich behauptete de Sanges von einem richtigen Fall abgezogen worden zu sein, nur um sich ihrer geklauten Silberlöffel anzunehmen.
Die Bemerkung des Polizisten war ein echter Witz, wenn man bedachte, dass nur Ava aus einer wohlhabenden Familie stammte. Die drei Mädchen hatten sich in der vierten Klasse der Country Day School kennengelernt. Janie bekam damals ein Stipendium. Poppys Schulgeld zahlte Grandma Ingles, die selbst früher dort zur Schule gegangen war. Auch heute noch war Ava die Einzige von ihnen, die Geld besaß. Denn Miss Agnes’ Erbe umfasste weniger Bargeld als unschätzbar wertvolle Sammlerstücke und eine teure Immobilie. Jane war noch immer dabei, die Sammlung zu sichten. Und die Villa war noch weit davon entfernt, verkäuflich zu sein.
Erst viel später hatten die Freundinnen herausgefunden, dass de Sanges sich tatsächlich um den Fall gekümmert hatte. Er hatte Janes Kollegen im Metropolitan Museum befragt – vor allem Gordon Ives. Und da Gordon Ives am Ende für den Einbruch in der Villa ins Gefängnis gewandert war, war Poppy jetzt nachsichtiger mit dem Detective und konnte anerkennen, dass er gute Arbeit geleistet hatte.
„Ich würde gern die Diskussionsrunde eröffnen“, sagte Garret. „Ich weiß, dass jeder hier erstaunt darüber ist, wie jung unsere sogenannten Graffiti-Künstler sind. Nicht zuletzt darum wollen wir besprechen, ob wir sie anzeigen sollen oder nicht. Jeder, dessen Laden getagged wurde, kann das natürlich jederzeit sowieso tun. Hier geht es um keinen Mehrheitsbeschluss. Aber wir sind hier, um uns alle vernünftigen Vorschläge anzuhören, die Pros und die Kontras. Also lassen Sie uns mit der Diskussion loslegen.“
Einen Moment sagte niemand etwas, dann meldete sich Jerry Harvey zu Wort, dessen H & A am meisten betroffen war: „Ich würde gern wissen, wer die Fassade meines Ladens reinigt.“ Er hatte die Kids eines Abends beim Sprühen erwischt, als er gerade seinen schicken Einrichtungsladen schließen wollte.
Einige der Ladenbesitzer grummelten zustimmend. Der Ace-Hardware-Besitzer wollte Anzeige erstatten. Poppy holte Atem, bevor sie sich einschaltete. „Ich habe einen Vorschlag“, sagte sie. „Ich weiß, dass für mich nicht so viel vom Ergebnis dieser Diskussion abhängt wie für Sie alle. Aber ich war dabei, als Jerry die Kids geschnappt hat. Ehrlich gesagt, war ich erstaunt darüber, wie jung sie sind. Und von der Polizei wissen wir, dass sie zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. Statt sie jetzt also dem Rechtssystem zu überlassen, würde ich Ihnen lieber eine andere Lösung vorschlagen, die sich direkt auf Ihre Frage bezieht.“
Alle betroffenen Ladenbesitzer schenkten ihr nun ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. De Sanges kniff die Augen zusammen.
„Ich denke, es könnte für alle Läden von Vorteil sein, wenn wir die Kids auf andere Weise beschäftigen“, fuhr Poppy fort. „Indem wir ihnen die Möglichkeit geben, sich auf eine Weise künstlerisch auszudrücken, die wir alle sehr viel schöner finden als diese Tags. Gleichzeitig können wir ihnen beibringen, Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen.“
„Wie soll das funktionieren?“, fragte Garret.
„Zunächst lassen wir sie die Tags mit frischer Farbe übermalen, die sie entweder selbst kaufen oder abarbeiten müssen. Sie könnten beispielsweise fegen oder andere kleinere Arbeiten in den Läden übernehmen, die sie verunstaltet haben.“
„Bis dahin gefällt mir der Vorschlag“, sagte Penny nachdenklich. „Außer dass Marlenes Laden aus Backstein ist. Was hätte sie also davon?“
„Es gibt Gels und Pasten, die Farbe von Backsteinen entfernen. Auch in dem Fall müssten die Kids für die Reinigungsmittel selbst aufkommen.“
Fast alle nickten – auch Jerry. Aber er durchbohrte sie trotzdem mit einem argwöhnischen Blick. „Und was ist das mit der Möglichkeit, sich ‚künstlerisch auszudrücken‘?“
Nun könnte alles den Bach runtergehen, das wusste Poppy. Aber nicht umsonst war sie von Eltern großgezogen worden, die sich beinahe täglich irgendwo einmischten. Ganz zu schweigen davon, dass ihre Idee eng mit ihrer eigenen Leidenschaft zusammenhing: gefährdeten Kindern Kunst nahezubringen. Noch einmal holte sie tief Luft und schenkte Jerry ihr vertrauenerweckendstes Lächeln. „Ich schlage vor, dass wir sie von der Straße holen, indem wir sie ein Wandbild auf die südliche Mauer Ihres Hauses malen lassen.“
Um Himmels willen! Jase lehnte sich in seinem Stuhl zurück und fixierte die Frau, die er insgeheim „das Babe“ nannte. Zugegebenermaßen war diese Musterung nicht gerade unangenehm, denn das ganze Paket – der schlanke Körper, die exotischen braunen Augen und die Wolke von lockigem nordisch hellem Haar – war durchaus sehenswert.
Allerdings wusste er aus Erfahrung, dass sie ein schrecklicher Quälgeist war. Und obendrein war sie auch noch eine verdammte und unbelehrbare Liberale. Als er sie bei seiner Ankunft gesehen hatte, hatte ihn fast der Schlag getroffen.
Nach der Begegnung im letzten Herbst verspürte er kein gesteigertes Bedürfnis, sich wieder mit dieser Frau anzulegen. Sie und ihre beiden reichen Freundinnen hatten ihre Beziehungen genutzt, um ihn von einem Fall abzuziehen, bei dem eine alte Dame von einem Einbrecher schwer verletzt worden war. Und das alles nur, um sich um ein paar geklaute Geschirrtücher zu kümmern.
Gut, wie sich herausgestellt hatte, war es um mehr gegangen – sogar um viel mehr.
Was alles überhaupt nichts mit der momentanen Situation zu tun hatte. Einen Moment hörte er zu, wie Calloway ihre verrückte Idee skizzierte. Ganz selbstverständlich wartete er darauf, dass jemand sie abschmettern würde. Als er jedoch sah, dass einige der Ladenbesitzer mit den Köpfen nickten, hielt er es nicht länger aus. „Das soll ein Scherz sein, richtig?“, unterbrach er Poppy.
Langsam drehte sie den Kopf in seine Richtung. „Wie bitte?“
„Das können Sie unmöglich ernst meinen. Diese Kids haben das Gesetz gebrochen. Und dafür wollen Sie sie noch belohnen?“
Ihre Augen sprühten Funken. Exakt so hatte sie ihn angesehen, als sie sich damals über den Stuhl im Salon gebeugt hatte, als er die Aussagen aufnahm. In dem Moment hatte es ernsthaft zwischen ihnen gefunkt. Aber er wollte verdammt sein, wenn er sich davon noch einmal beeindrucken ließ.
Vielleicht dachte sie etwas Ähnliches, denn sie kletterte nicht wie beim letzten Mal auf den Tisch, um ihm ins Gesicht zu springen, sondern erwiderte nur kühl: „Nein, Detective, ich scherze nicht. Ich meine es sogar verdammt ernst, um genau zu sein. Hier handelt es sich nicht um Schwerkriminelle, sondern um Jugendliche. Der Älteste ist gerade mal siebzehn.“
„Tja, die fangen heutzutage früh an“, stimmte er ihr zu.
„Sie haben doch keine Gewalttat begangen. Sie haben keine alte Dame überfallen oder jemandem am Geldautomaten eine Pistole in den Rücken gedrückt.“ Ihre Augen wurden schmal. „Oder einen wie auch immer gearteten Einbruch verübt“, fuhr sie fort.
„Sie haben keinen Einbruch verübt“, wiederholte sie und sah die anderen Anwesenden der Reihe nach an. Um ihm gleich darauf gerade in die Augen zu schauen. „Warum genau sind Sie überhaupt hier?“
Das allerdings war eine sehr gute Frage. Als Greer angeboten hatte, seinen Namen auf die Sonderkommandoliste des Bürgermeisters zu setzen, hatte Jason umgehend und fest „Sehr schmeichelhaft, aber nein danke“ entgegnet. Und dann hatte er sich wie ein Idiot von Murphy überreden lassen. Der alte Cop hatte ihn vor Jahren unter seine Fittiche genommen, bevor die de-Sanges-Gene Jasons Leben endgültig verpfuschten. Murph fand, dass zu einer steilen Karriere bei der Polizei gehörte, dass die entsprechenden Stellen wussten, wer man war. Zu einer Sondereinheit zu gehören, hielt er dabei für einen guten Schachzug. Auch wenn diese spezielle wohl eher der Werbung für die diesjährigen Wahlen und weniger der Verbrechensbekämpfung diente.
Darum also saß er hier: als lebender Beweis dafür, dass keine gute Tat jemals ungestraft blieb.
Doch er ließ sich von alledem nichts anmerken, sondern begegnete ihrem misstrauischen Blick mit seiner üblichen kühlen Direktheit. Damit verbarg er, dass er überhaupt keine Lust auf diesen ganzen Zirkus hatte. „Weil es häufig genau so anfängt. Babystraßenpunks wachsen sich zu vollwertigen Straßenpunks aus. Heute sprühen sie ihre Tags oder klauen einem anderen Schüler das Geld fürs Pausenbrot – wenn sie überhaupt in der Schule auftauchen, versteht sich.“
„Dann sollten wir das vielleicht zu einer Bedingung unseres Angebots machen. Keine Schule, keine Teilnahme an dem Kunstprojekt“, warf Poppy ein.
Clever, dachte er mit unfreiwilligem Respekt, fuhr jedoch fort, als ob sie nichts gesagt hätte: „Morgen überfallen sie dann eine alte Dame auf dem Parkplatz von Northgate.“ Er riss den Blick vom Babe los und bezog nun den ganzen Tisch in das Gespräch ein. „Oder direkt hier bei Ihnen.“
Darauf begannen die Ladenbesitzer gleichzeitig durcheinander zu reden. Lautstark diskutierten sie, welche Auswirkungen es haben könnte, wenn man knallharte Kriminelle in die Nachbarschaft ließ.
Moment mal. Er kniff die Augenbrauen zusammen. Hatte er vielleicht den Eindruck erweckt, dass diese Jungs knallharte Kriminelle waren? Himmel, de Sanges, das Babe hat zumindest in dieser Hinsicht recht. Es sind Kids, die vorher noch nie etwas angestellt haben.
Als ob sie seine Gedanken lesen könnte, rief sie in die Runde: „Es sind Jugendliche. Pubertierende Teenager ohne jeglichen kriminellen Hintergrund. Bitte bedenken Sie das.“
„Ich bedenke, was Detective de Sanges gesagt hat. Nämlich, dass alle Verbrecher so anfangen“, konterte der Besitzer von Ace Hardware.
„Ich sagte nicht alle“, protestierte Jase. „Aber ich sehe genug jugendliche Gewalttäter, um diesen Punkt zumindest anmerken zu wollen.“
„Aber ganz bestimmt sind die meisten Jugendlichen, die Sie erwischen, in einen Überfall oder etwas in der Art verwickelt“, rief Poppy.
„Das ist wahr. Die meisten – aber nicht alle – räumen eher Läden aus“, gab Jason zu.
„Hat noch jemand ein Argument dafür oder dagegen, das er gern in die Diskussion einbringen würde?“, fragte Garret.
„Ich möchte nur noch einmal betonen, dass diese Jugendlichen noch nie Probleme mit dem Gesetz hatten“, bemerkte Poppy. „Und ich sage auch nicht, dass man sie aus der Verantwortung entlassen soll. Aber wir sollten nicht daran schuld sein, dass sie eine Vorstrafe bekommen.“
„Sonst noch jemand?“, fragte Garret. Als niemand antwortete, fuhr er fort: „Hat irgendjemand vor, Anzeige zu erstatten?“
Als auch jetzt sich niemand äußerte, sagte er: „Das nehme ich als ein einstweiliges Nein.“ Er wandte sich an Poppy. „Können Sie mir einen offiziellen Vorschlag machen?“
„Ich schlage vor, dass wir den drei Jungs Verantwortungsgefühl beibringen, indem wir sie ihre Tags entfernen oder überstreichen lassen. Die Farbe oder den Farbentferner müssen sie aus der eigenen Tasche zahlen. Weiterhin schlage ich vor ...“
„Moment, ein Schritt nach dem anderen“, unterbrach Garret sie und sah sich um. „Wer unterstützt diesen Vorschlag?“
„Sie können diesen Kids nicht einfach Farbeimer und ein paar Pinsel in die Hand drücken und das Beste hoffen“, wandte Jerry sich an Poppy. „Wären Sie bereit, das Projekt zu betreuen?“
Insgeheim vermutete Jason, dass ihr Idealismus an dieser Stelle mit der Realität zusammenprallte, die in ihrem Fall aus Partys und Benefizveranstaltungen oder woraus auch immer bestand.
Gespannt setzte er sich zurück und wartete darauf, wie sie sich herausreden würde.
Doch sie nickte nur feierlich.
„Dann unterstütze ich diesen ersten Schritt“, bemerkte Jerry.
Garret sah Jason an. „Da wir Sie und Poppy eingeladen haben, um mit zu entscheiden, können auch Sie Ihre Stimme abgeben.“
Doch Jase war noch zu erstaunt darüber, dass Poppy Calloway seine Erwartungen so ganz und gar enttäuscht hatte, und enthielt sich.
Der Vorsitzende konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Gruppe. „Wer ist dafür?“
Poppy und sieben der elf Ladenbesitzer hoben die Hand.
„Wer ist dagegen?“
Die übrigen vier meldeten sich.
„Die Jastimmen überwiegen also.“ Garret schenkte Poppy, deren Lächeln so strahlend war, dass Jase am liebsten seine Sonnenbrille aus der Tasche gezerrt hätte, einen aufmunternden Blick. „Ich nehme an, Sie haben noch mehr zu sagen?“
„Ja. Ich schlage außerdem vor, dass wir diese Gelegenheit nutzen, um den Jungs einen konstruktiveren Weg zu zeigen, die Gebäude in ihrer Nachbarschaft zu schmücken. Einen Weg, von dem wir alle profitieren, weil am Ende ein Kunstwerk entsteht, das man gern anschaut. Gleichzeitig werden wir ihnen das Selbstbewusstsein geben, ihre kreativen Ideen in eine akzeptablere Richtung zu lenken.“
„Würden Sie auch diese Arbeit betreuen?“, vergewisserte sich Garret.
„Ja.“
„Wer ist dafür?“
Poppy und fünf Ladenbesitzer – darunter auch Jerry, dessen Gebäude die Kids bemalen sollten – hoben die Hände.
„Dagegen?“
Die sechs übrigen Ladenbesitzer hoben die Hand, woraufhin alle Augen sich auf Jase richteten.
Was zum Teufel interessierte es ihn, ob sie die Kids auch noch belohnten? Er sollte sich der Stimme enthalten, damit die Ladenbesitzer die Sache unter sich ausmachen konnten.
Nur ...
Er wusste aus persönlicher Erfahrung, welch ein Chaos entstehen konnte, wenn man die Regeln dermaßen verbog. Früher hatte er selbst Tag für Tag gegen solche Verführungen ankämpfen müssen. Jason vertrat die Ansicht, dass man Jugendlichen so früh wie möglich beibringen musste, den rechten Weg nicht zu verlassen.
Er hob die Hand.
Na, und so löst sich mal wieder eine großartige Idee in Wohlgefallen auf.
Ich kann nicht fassen, dass ich mich zu diesem Stock auch nur eine Sekunde lang hingezogen gefühlt habe!“ Poppy schleuderte ihre große Tragetasche auf den Boden des Brouwer’s Café. Sie zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor, den Ava in der Nähe der langen Holztheke ergattert hatte, und ließ sich darauf sinken.
„Was für ein Stock?“, fragte Ava über das laute Stimmengewirr der Gäste hinweg.
„Poppy!“ Jane, die ihrer Freundin auf den Fersen gefolgt war, warf ihr einen ungläubigen Blick zu. „Du bist vor mir hier gewesen! Was ist passiert? Du bist doch pünktlich.“
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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