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C. R. Scott

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Beschreibung

**Das Herz einer Hexe ist unergründlich** Die zweitgeborene Rosenprinzessin Lina steht seit jeher im Schatten ihrer Schwester. Obwohl auch sie über magische Kräfte verfügt, bestimmen andere über ihr Leben. Allein David, der ansehnliche Kronprinz aus dem Kristallreich, schätzt ihren Wunsch nach Unabhängigkeit. Schnell knüpft sich zwischen den beiden ein besonderes Band. Doch nun soll er ihre ältere Schwester heiraten, um den Frieden zwischen den Reichen zu wahren. In Lina entbrennt eine unbändige Wut, die ihr Herz mit schwarzer Magie erfüllt und alles zu verschlingen droht … Einst versprach sie ihm ihr Herz. Jetzt verlangt das Schicksal von ihm, es sich zu holen. Packende Romantasy-Märchenadaption von »Dornröschen« über die wahre Liebe und die Grenze zwischen Gut und Böse. Leserstimmen: »Die Geschichte hat mich ganz tief berührt.« »Hier habe ich wirklich alles an Gefühlen durchleben dürfen.« »Märchenhaft schön« Textauszug: »Menschen neigen dazu, diejenigen zu fürchten, die anders sind als sie. Und Hexen werden zweifellos als anders angesehen.« //»Rosen und Kristalle« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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C. R. Scott

Rosen und Kristalle

**Das Herz einer Hexe ist unergründlich**Die zweitgeborene Rosenprinzessin Lina steht seit jeher im Schatten ihrer Schwester. Obwohl auch sie über magische Kräfte verfügt, bestimmen andere über ihr Leben. Allein David, der ansehnliche Kronprinz aus dem Kristallreich, schätzt ihren Wunsch nach Unabhängigkeit. Schnell knüpft sich zwischen den beiden ein besonderes Band. Doch nun soll er ihre ältere Schwester heiraten, um den Frieden zwischen den Reichen zu wahren. In Lina entbrennt eine unbändige Wut, die ihr Herz mit schwarzer Magie erfüllt und alles zu verschlingen droht …

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© privat

C. R. Scott, bürgerlich Carina Regauer, wurde 1984 in Schleswig-Holstein geboren und hat Literatur studiert. Egal ob fantastisch, prickelnd oder verträumt – ihre Liebesromane begeistern ihre Leser*innen. Sie ist als Bestseller-Autorin Mitglied im Montségur Autorenforum und in der Jury für den Selfpublishing-Buchpreis. Wenn sie mal nicht schreibt, geht sie am liebsten mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Hund im Wald spazieren und lässt sich für neue Geschichten inspirieren.

Da lag sie und war so schön, dass er die Augen nicht von ihr abwenden konnte. Und er bückte sich und gab ihr, was sie verdiente.

Gebrüder Grimm, frei zitiert. Sehr frei zitiert.

Prolog

David

Nicht zu fassen. Selbst jetzt noch raubt mir ihr Anblick den Atem. Mit makelloser Haut liegt sie vor mir auf der Bahre, als wäre sie eine Puppe. Schon zieht die perfekte Form ihrer Lippen wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie sind bei Weitem nicht so gut durchblutet wie früher, doch selbst in diesem blassen Roséton laden sie mich dazu ein, sie mit meinen aufzusuchen und einen Kuss einzufordern. Wie ist es nur möglich, dass ihr Mund ein leichtes, kaum merkliches Lächeln andeutet, welches mich gerade mit seiner Zurückhaltung zu verzaubern droht? Ist das ein weiterer gemeiner Hexentrick, um mich zu quälen oder sogar handlungsunfähig zu machen? Vielleicht bilde ich mir dieses Lächeln nur ein, weil ich in meiner Zerrissenheit allmählich den Verstand verliere.

Lina.

Noch immer kann ich kaum glauben, dass wir uns hier und jetzt in dieser bizarren und fürchterlichen Situation wiederfinden. Ausgerechnet sie und ich. Sie liegt hier und ist in einem magischen Schlaf gefangen. Und ich? Ich soll den Bann, dem sie unterliegt, schamlos ausnutzen und sie töten.

Ausgerechnet ich.

Ausgerechnet sie.

Ja, Linas Antlitz, so lieblich und verstörend zugleich, lässt meine Atmung wieder und wieder aussetzen. Dabei ist es nie wichtiger für mich gewesen als genau jetzt, eine ruhige Atmung beizubehalten und höchste Konzentration zu bewahren. Und nicht zu zögern.

Nicht … zu zögern …

»David!«, höre ich Maro verzweifelt flehen.

Doch ich kann meinen Blick nicht von Lina abwenden. Dass ich der beste Mann für diese grausame Tat sein soll, kommt mir wie ein mieser Verrat des Schicksals vor.

Ich weiß, Maro. Um uns herum tost der Kampf gegen die Schatten, die wir Solks nennen. Aber verstehe bitte auch mich. Ich stehe kurz davor, deiner Schwester das Leben zu nehmen. Und die Methode, die der Zaubermeister dafür auserkoren hat, ist alles andere als sanft.

O Lina … Hoffentlich wirst du davon nicht allzu viel spüren.

Zitternd strecke ich die freie Hand nach ihrer aus und berühre sie fast. Ihr dunkelblondes, schulterlanges Haar schimmert im Licht der zwei Sonnen, die durchs Fenster scheinen, und schmiegt sich perfekt an ihre Wangen. Kein anderer Anblick könnte es mir schwerer machen, meine Pflicht zu erfüllen, als eben dieser, den ich vor mir habe: Lina in ihrer Perfektion und Lieblichkeit. Welch hinterlistiges Trugbild. Instinktiv umgreife ich meinen Dolch, den legendären Tafur, fester und atme durch.

»David!«, brüllt Aldrin voller Verzweiflung, ehe er den nächsten Zauberspruch sagt, mit dem er die finsteren Schattengestalten weiter zurückzuhalten versucht. »Worauf wartest du noch? Mach schon, na los!«

Wie gebannt starre ich weiter auf Lina und setze meine scharfen Sinne ein, um ihren bezaubernden Anblick als bittersüße Erinnerung abzuspeichern. Noch ist ihr Puls langsam und schwach, doch ich weiß, dass sich das jeden Moment ändern kann. Dass sie inzwischen überhaupt wieder in der Lage ist, ihre düsteren Kreaturen auf uns zu hetzen, ist schon erschreckend genug. Jeden Augenblick könnte sie aus dem magischen Schlaf erwachen und uns alle töten. Eigentlich müsste ich längst mit dem Dolch ausholen und zustoßen.

Eigentlich müsste ich das.

»David, verflucht noch mal!«, schimpft Aldrin keuchend, nachdem ihm ein Schatten auf den Rücken gesprungen zu sein scheint – so deute ich die Geräuschkulisse, die meinen tragischen Abschied von Lina stört. »Ich wusste, dass du zu nichts taugst! Du bringst uns in größte Gefahr, du hoffnungsloser Narr! Verdammt seist du, wenn du nicht endlich den Mut aufbringst loszulassen!«

Ja, hacke nur auf mir herum, werter Aldrin. Ich weiß, du willst mir damit helfen. Auf deine Art.

»Welch Unglück!«, fährt er ächzend fort. »Wir können die Solks nicht länger zurückhalten! Los, tue es endlich! Uns bleibt keine Zeit mehr! Tue es, David! Sonst sind wir alle verloren!«

Auch die Laute weiterer Zauberer und Schattengestalten, die erbittert gegeneinander kämpfen, dringen an meine Ohren. Die einen sind gekommen, um mich zu beschützen, bis ich meine blutige Pflicht erfüllt habe. Die anderen sind hier, um mich genau davon abzuhalten und zu töten. Lina hat sie in ihrem magischen Schlaf auf mich gehetzt.

Und dennoch …

Ihr bezauberndes, warmes Lachen. Ihre frechen Bemerkungen. Ihre Neugier. Ihr Spieltrieb. Ihr Sturkopf. Ihre Zerrissenheit. Das Kribbeln, das sie in mir ausgelöst hat, wann immer sich unsere Blicke gekreuzt haben.

Ich kann es nicht vergessen.

»David, bitte!«, fleht Maro. »Es ist für uns alle nicht leicht, ganz besonders nicht für mich. Aber es muss sein, das weißt du! Nur du kannst die Prophezeiung erfüllen!«

Ja. Das weiß ich.

Ich schließe die Augen und zwinge mich zu einer ruhigeren Atmung.

Plötzlich kommen weitere Erinnerungen in mir hoch, die jetzt nicht sein dürften. Daran, wie ansehnlich sich Linas Körper im Ballsaal bewegt hat, eng an meinem. An ihre süßen Sommersprossen. Ihren verunsicherten Blick, als wir uns zum ersten Mal wieder begegnet sind. Daran, wie wir uns berührt haben, als ich ihr gezeigt habe, wie man einen Pfeil richtig in den Bogen spannt. An den Geruch ihrer Haut. An den Klang ihrer Atmung. An den Anblick der kleinen Härchen auf ihrem Arm, wenn sie sich meinetwegen aufgestellt haben. Daran, wie es war, sie weinen zu sehen. Sie in den Arm zu nehmen und an mich zu drücken.

Einatmen.

Ausatmen.

Dein Lachen, Lina. Niemals werde ich es vergessen. Dein Lachen und dein Weinen.

Weiteratmen.

»David!« Maros und Aldrins verzweifelte Rufe schellen regelrecht in meinem Kopf.

Da reißen die Solks das Dach vom Haus und fluten die Ruine! Schon reißen sie Maro und Aldrin zu Boden. Wenn ich jetzt nicht zustoße, überrennen sie auch mich und alles ist vorbei.

Verdammt!

Deine Verbitterung, Lina. Dein Hass auf die Welt. Deine verlorene Seele. Dein verdorbenes Herz. Deine unfassbare Macht. Deine ungeahnte Stärke. Alles, was du uns angetan hast. Deiner und meiner Familie. Unseren Völkern.

Niemals. Darf. Ich. Das. Vergessen.

»David!«

Atmen.

Meine Sinne schärfen sich weiter, fahren zur Höchstleistung auf. Längst spielt sich alles vor meinen Augen verlangsamt ab. Jede Bewegung, jedes Geräusch, jeder Geruch – nicht zuletzt dieser blumige Duft, der von Linas zartem Hals her strahlt – alles nehme ich für sich stehend und bewusst wahr, sauge es in mir auf, verarbeite es innerhalb einer Sekunde.

Atmen.

Es ist so weit.

Leb wohl, Lina.

Endlich stehle ich ihr einen Kuss. Flüchtig. Zitternd. Von ihren kalten Lippen.

Atmen.

Mein Dolch schnellt nach unten und rast auf ihr verdorbenes Herz zu.

1. Kapitel

David – Einige Wochen zuvor

Bewusst atme ich in aller Ruhe weiter und lege den Bogen an. Unter höchster Konzentration bringe ich den Pfeil auf Spannung. Meine wachsamen Augen fixieren einen beliebigen Punkt in der Ferne, sie entscheiden sich für eine Einkerbung in einer stämmigen Buche. Da das Ziel, auf das ich gleich schießen werde, noch gar nicht da ist, muss mir ein wehrloser Baum als Fixpunkt herhalten.

Meine Ohren vernehmen ein Zischen. Für gewöhnliche Menschenohren mag dieses Geräusch noch gar nicht wahrnehmbar sein – für mich hingegen ist es bereits deutlich zu hören und zuzuordnen. Längst weiß ich, aus welcher Richtung es kommt und welchen Ursprung es hat. Das Geräusch wird lauter. Darauf habe ich gewartet. Deswegen bin ich hier.

Eisern halte ich mein Augenmerk auf die Kerbe in der großen Buche gerichtet. Aus dem Zischen wird ein lauteres Sausen. Dann gerät das Zielobjekt in mein Blickfeld. Mit hoher Geschwindigkeit rast es durchs Dickicht und droht, an mir vorbei zu jagen.

Nicht mit mir. Ich erwarte dich nicht nur bereits zwischen all den Bäumen, sondern ich habe auch schon deine weitere Flugbahn berechnet, jämmerliches Ding.

Atmen. Halten. Zuschlagen.

Der Pfeil, den ich loslasse, prescht los und trifft sein Ziel genau. Rasend schnell durchbohrt er es und drückt es gegen die alte Buche, spießt es regelrecht an ihr auf.

Ich ziehe einen Mundwinkel hoch und erlaube mir, den Kopf etwas zurückzulegen, bis ich am Nacken meine dunkelbraune, hinuntergeklappte Kapuze spüre. Ich will gerade tiefer einatmen, doch plötzlich vernehme ich ein weiteres Zischen.

Da kommt noch etwas.

Als das Zischen lauter wird und sich erneut in ein Sausen verwandelt, wird mir klar, dass es sich diesmal sogar um zwei Flugobjekte handelt, die ich abschießen soll. Kurzerhand greife ich nach hinten in meinen Beutel, um den nächsten Pfeil hervorzuholen und in den Bogen zu spannen. Ohne zu zögern, setze ich zum Schuss an und suche mir oberhalb meines ersten aufgespießten Opfers einen neuen Fixpunkt an der Buche. Den Geräuschen nach zu urteilen, sind die beiden neuen Zielobjekte nicht zur selben Zeit abgefeuert worden. Kein Wunder, wie hätte Stu das auch hinbekommen sollen? Mental stelle ich mich schon mal darauf ein, unmittelbar einen zweiten Pfeil hinterherzuschicken, sobald ich den ersten losgelassen habe.

Tatsächlich habe ich die Töne richtig gedeutet – in der nächsten Sekunde tauchen zwei Ziele in meinem Blickfeld auf. Diesmal kommen sie von rechts. Wieder rasend schnell. Wieder wollen sie ungeschoren an mir vorbeiziehen und sich im Dickicht des Endenwaldes verlieren, der für seine Bäume mit geschwungenen bis eingedrehten Ästen bekannt ist.

Meine Nerven und der Pfeil bleiben auf Spannung. Ohne die alte Buche aus den Augen zu lassen, warte ich ab. Dann lasse ich los. Sofort greife ich erneut nach hinten in den Beutel und schnappe mir den nächsten Pfeil, um ihn zu spannen und abzufeuern.

Es klappt.

Beide Pfeile durchbohren die Ziele und spießen sie am großen Baum auf.

Zufrieden betrachte ich mein Werk und presse die Lippen aufeinander.

Im darauffolgenden Moment kann ich Stu durchs Gebüsch tapsen hören. Eine Minute später könnten selbst gewöhnliche Menschenohren seine Schritte vernehmen. Er weiß, dass er nicht erst zu versuchen braucht, sich an mich heranzuschleichen – es würde ihm sowieso nicht gelingen. Er darf so laut sein, dass er damit die Wildtiere um uns herum verjagt. Es ist sogar gut, wenn die Rehe und Schweine, die sich im Endenwald herumtreiben, auf Abstand bleiben, wann immer Stu und ich herkommen, um meine Reflexe zu trainieren. Schließlich bin ich der Erste in unserer Familie, der von Anfang an darauf bestanden hat, nicht an lebenden Zielen zu üben.

»Schon wieder«, gibt Stu matt von sich, trottet gesenkten Hauptes an mir vorbei und begibt sich zur Buche, um alle drei Holzfiguren mit ihren metallischen Applikationen, die er mit einer speziellen Schleuder aus der Ferne abgefeuert hat, aus der dunklen Rinde zu ziehen. »Dreimal ein Volltreffer.«

Ich lache und gehe auf ihn zu. »Du klingst, als wenn es etwas Schlechtes ist, wenn ich drei Ziele treffe, obwohl wir besprochen haben, dass du nur eins abschießt.«

Kaum merklich zuckt er mit den schmalen Schultern. »Ich bin gut im Improvisieren – das kommt dir zugute. Schließlich soll dir nicht langweilig werden, Prinz.« Er gähnt.

Ich nicke. »Das war eine gute Idee von dir. Im Ernst, wir sollten grundsätzlich nicht mehr vorher absprechen, wie viele Ziele du losschickst.«

»Ist gut. Und ich nehme an, ich soll dir auch weiterhin nicht verraten, wo ich mich im Wald verstecke und aus welcher Richtung die Flugobjekte folglich kommen.«

»Tja, Stu«, sage ich und muss seufzen. »Leider höre und rieche ich dich fast immer. Am besten vergrößerst du den Abstand beim nächsten Mal.«

Er stöhnt. »Ich soll noch weiter durch den Wald latschen? Meine Güte, David, ich schaffe es doch sowieso nicht, dich zu überraschen! Und wenn ich mich auf den Kopf stellen würde. Du bist jetzt neunzehn und längst an einem Punkt angelangt, an dem dir das royale Trainingsprogramm nicht mehr viel abverlangt. Herausfordern würde dich doch nur noch …«

»Ein Krieg?«, führe ich seinen beunruhigenden Gedanken zu Ende und werfe ihm einen eindringlichen Blick zu. »Den hat es seit langer Zeit nicht mehr gegeben. Und du teilst hoffentlich meine Meinung, dass das auch gut so ist. Ich habe lieber unterforderte Sinne als einen Krieg zwischen den Reichen.«

Wieder gähnt er. »Schon klar.«

Ich schüttle den Kopf und helfe ihm dabei, meine Pfeile aus den spitz geschnitzten Holzfiguren zu ziehen. »Bist du schon wieder so müde heute?«

»Das ist mein Markenzeichen«, bekomme ich zur Antwort.

»Ewige Müdigkeit?«, entgegne ich amüsiert.

Er räumt die Figuren in seinen Beutel, während ich die Pfeile zurück in meinen stecke.

»Das Leben eines Künstlers«, berichtigt mich der schlaksige Stu schließlich und kratzt sich am blonden Hinterkopf.

Schon setzen wir uns Richtung Osten in Bewegung, dabei behalte ich meinen Bogen locker im Griff.

»Genau! Weil ich Künstler bin!«, wiederholt mein bester Freund entschlossen. »Ich bin ja wohl der mit Abstand wichtigste Dichter im ganzen Kristallschloss!«

Ich ziehe eine Braue hoch. »Und deswegen musst du immer müde sein?«

»Wir Künstler haben es im Blut, erst nachmittags so richtig in Fahrt zu kommen.«

»Aber abends bist du doch auch wieder müde«, gebe ich zu bedenken. »Somit bleibt nur ein kleines Zeitfenster für dich übrig, um Dichtkunst zu betreiben.«

»Was soll ich sagen, David? Kreativität ist ein launisches Wesen und lässt sich nicht erzwingen. Aber von solchen Dingen verstehst du nichts.« Mit frecher Miene zwinkert er mir zu.

Auch ich muss grinsen, während ich Seite an Seite mit ihm durch den dichten Endenwald schreite, um ihn zu verlassen. »Sollte ich jemals so viel vom Tag verschlafen wie du, dann ramm mir bitte meinen Dolch Tafur ins Herz.«

Stu reißt seine Glubschaugen auf. »Wow, David! Das war jetzt aber erstaunlich poetisch für einen verwöhnten Prinzen, findest du nicht?« Er räuspert sich. »Und beunruhigend brutal für dich, der selbst dem wildesten Tier kein Haar krümmen kann.«

»War ja nur ein Scherz. Ein blöder, wie ich zugeben muss. Ich habe meinen Dolch doch noch nie angerührt.«

»Ja ja, der berüchtigte Dolch Tafur«, murmelt Stu. »Das Geschenk deiner Eltern zu deinem sechzehnten Geburtstag. Das Symbol für dein Anrecht auf den Thron. Kaum zu glauben, dass das schon drei Jahre her ist.«

Wortlos nicke ich bloß.

»Hey, vielleicht sollte davon mein nächstes Gedicht handeln, welches ich morgen Abend im großen Saal zum Besten geben darf! Von Tafur und wie dieser arme Dolch im Gemach des friedfertigsten Kristallprinzen aller Zeiten verkümmert, weil dieser weder Wildtiere jagen noch den Thron besteigen oder einen Krieg heraufbeschwören will. Wäre das nicht passend?«

Ich zucke mit den Schultern und ignoriere den vorwurfsvollen Ton in seinen Worten. »Ganz wie du meinst. Schaffst du es denn überhaupt bis morgen, ein vollkommen neues Gedicht zu schreiben, anstatt deinen bisherigen Entwurf fertigzustellen? Worum geht es darin noch mal – um die Kristalle unseres Reiches, nicht wahr?«

»Ja«, zischt er verstimmt durch die Zähne. »Keine große Überraschung, ich weiß.«

Da erlaube ich mir, ihm im Gehen an die Stirn zu tippen. »Schreibblockade oder was ist da oben los?«

»Nichts da!«, mault er und blickt sich verstohlen um. »Sag doch so etwas nicht. Wenn das der König hört! Ein Hofdichter, der nicht mehr dichtet. Das wäre mein Ende!«

Ich lache. »Hast du etwa Angst, dass mein Vater dich aus dem Schloss wirft?«

»Oder du wirst es tun, sobald du endlich sein Nachfolger wirst?«, entgegnet Stu und schluckt nervös.

Gelassen winke ich ab. »Damit habe ich es nicht eilig, wie du weißt. Also mit dem Thron. Was deinen Rausschmiss angeht, habe ich noch kein abschließendes Urteil gefällt. Du tätest gut daran, dein nächstes Gedicht nicht darüber zu schreiben, dass ich endlich auf den Thron gehöre.«

Skepsis prägt sein schmales Gesicht. »Was sagen deine Eltern zu dieser Einstellung, David? Verliert dein Vater da nicht langsam die Geduld?«

Ja, so ist Stu. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Weder in seinen Gedichten noch bei unseren Gesprächen. Genau deswegen ist er mein bester Freund. Seine Worte sind nicht immer bequem für mich, aber dafür weiß ich bei ihm immer, woran ich bin. Zumindest meistens.

»Irgendwann wollen Patje und Gilal mal in den Ruhestand gehen«, fügt er an und reibt sich die müden Augen. »Das kann man ihnen nicht verdenken.«

»Damit sie so viel vom Tag verschlafen können wie du?«, muss ich ihn erneut sticheln und schmunzle.

Doch Stu bleibt ernst. »Weil deine Eltern alt sind, David. Sie haben lange Zeit keinen Nachwuchs bekommen, bis es endlich mit dir geklappt hat. Mit dir, David, und zwar nur mit dir. Als ihren einzigen, spät gezeugten Sohn.«

»Ja, danke«, grummle ich und habe mich längst wieder von meinem Schmunzeln verabschiedet. Ohne anzuhalten, stoße ich mit einem kräftigen Tritt einen Stein weg, der unseren Weg kreuzt. »Musst du mich daran erinnern? Ich will jetzt echt nicht über meine Pflichten als erst- und einziggeborener Sohn des Kristallkönigs sprechen. Du weißt doch ganz genau, warum ich mich noch nicht krönen lassen kann.«

Defensiv hebt er die Hände. »Ist ja gut. Reg dich nicht auf. Dann lassen wir das Thema eben. Aber eines Tages musst du dich deiner Verantwortung stellen. Früher oder später wird dir gar nichts anderes übrig bleiben.«

»Ja, und bis dahin werde ich mich munter mit meinem Vater weiter darüber streiten«, kontere ich genervt. Themenwechsel! »Was ist denn jetzt mit deinem nächsten Gedicht? Willst du morgen Abend nicht lieber etwas über, keine Ahnung, das sanfte Wesen meiner Mutter vortragen?«

»Über Gilal?«, überlegt Stu und reibt sich das ziegenbärtige Kinn. »Hm. Der Königin habe ich schon länger kein Gedicht mehr gewidmet. Schon über einen Monat nicht. Das sollte ich in Betracht ziehen. An der Seite deines mürrischen, stämmigen Vaters geht sie so oft unter. Die Arme.«

»Sie liebt ihn«, sage ich in aller Aufrichtigkeit. »Warum auch immer. Aber sie tut es. Das kann ich nach wie vor in ihren Augen sehen.« Und das macht meine Mutter zu einer glücklichen Frau.

»Ihre Augen, die so strahlend grün-gelb sind wie deine, David …«, murmelt Stu und kramt ein Pergament hervor. »Das muss ich mir für mein Gedicht notieren.«

»Du sollst nicht über meine Augen schreiben, du Idiot!«, meckere ich scherzend und muss lachen.

»Doch, David!«, entgegnet Stu mit alberner Stimme und sieht mich verliebt an. »Deine Seelenfenster leuchten so wunderschön wie ein Bergkristall.«

Ich verziehe den Mund. »Wenn du so angetan von mir bist, sollte ich womöglich dich heiraten«, necke ich ihn zurück.

Erfreut klatscht er in die Hände. »Ausgezeichnete Idee! Dann muss ich nie wieder arbeiten!«

»Das, was du machst, nennst du Arbeit?«, lautet mein nächster Konter und ich sehe ungläubig auf sein Stück Pergament.

Stu spielt den Entsetzten. »Entschuldige mal! Zu dichten, ist die knochenhärteste Arbeit überhaupt!«

»Ein Reich zu regieren, das ist eine harte Angelegenheit«, erwidere ich. Ich weiß es, denn ich werde schon mein ganzes Leben lang darauf vorbereitet. »Ausschlafen ist dann nicht mehr.«

»Was, kein Ausschlafen?«, gibt er entrüstet von sich. »Nee, dann wird das nichts mit uns als Königspaar, David. Tut mir leid, aber du musst jemand anderen heiraten. Ich will die Scheidung!«

Beide lachen wir ungehalten.

Dann seufzt er. »Ich sollte nicht zu laut über solche Dinge scherzen. Nicht, dass dein Vater davon erfährt und mich tatsächlich vor die Tür setzt.«

Auf einmal sind wir wieder bei einem ernsten Thema gelandet und ich weiß darauf nichts zu antworten.

»Wie auch immer«, meint Stu, stupst mich am Oberarm an und grinst. »Ich werde morgen ein schönes Gedicht über deine Mutter vortragen. Verlass dich auf mich.

»Gut«, erwidere ich. »Danke.«

Einige Momente später verlassen wir den Endenwald und setzen unseren Weg über die steinigen Anhöhen bis zum Kristallschloss, in dem wir leben, fort.

***

Kaum haben wir das Schloss erreicht, verabschieden Stu und ich uns voneinander.

»Viel Spaß beim Privatunterricht«, sagt er zu mir und gähnt abermals.

»Ja ja, gute Nacht.«

Als er in Richtung Westflügel verschwindet, sehe ich ihm hinterher und bedanke mich innerlich bei ihm dafür, dass er mich auch heute getreu zum Training in den Wald begleitet hat.

Im nächsten Moment rieche und höre ich jemand anderen auf mich zukommen. »David!«, ertönt eine Jungenstimme, die mir nur zu gut bekannt ist.

Und da er nicht nur auf mich zugerannt kommt, sondern jetzt auch nach mir ruft, wende ich mich ihm schließlich zu und blicke mit einem Lächeln zu ihm hinab. »Fyor«, begrüße ich den Jungen und wuschle ihm durch das volle Haar seines Pottschnitts.

Ernst sieht er zu mir hoch, spielt nervös an seinen Fingern herum. »Ist alles in Ordnung?«

»Natürlich, wieso?« Ich zucke mit den Schultern.

»Gestern Abend habe ich dich mit deinem Papa streiten gehört«, gibt er mit besorgter Miene zu. »Das hat mir Angst gemacht.«

Meine Augen werden schmaler. »Ja, ich weiß. Ich habe dich gestern bemerkt. Du hast ein Zimmer weiter hinter der Tür gelauscht, oder, Fyor?« Instinktiv wische ich ihm etwas Ruß von der Wange. »Da ist wohl wieder jemand durch den Geheimgang gekrabbelt.«

»Stinke ich so sehr, dass du mich immer riechen kannst?«, wundert er sich, hebt den Arm und schnuppert an seiner Achsel.

Damit bringt er mich zum Lachen. »Nein, so war das nicht gemeint.«

»Ach so, deine Sinne«, versteht er dann.

Ich nicke, dann gehe ich in die Knie, umfasse seine Beine und hebe ihn hoch.

Lachend lässt Fyor es mit sich machen. »Ha ha, der Prinz trägt mich! Seht alle her, unser Kristallprinz trägt mich auf Händen!«

Anstatt den Jungen wieder hinunterzulassen, trage ich ihn weiter und begebe mich mit ihm durch den Haupteingang, an dem mir die Wachen zunicken und salutieren, ins Schlossinnere. Im Hof ernten wir für meine Geste – und für Fyors lautstarke Begeisterung darüber – amüsierte, aber auch irritierte Blicke.

»Wo darf ich dich hinbringen?«, frage ich den Kleinen.

Da überlegt er es sich plötzlich anders. »Ich kann selbst laufen, David, ich bin doch schon groß.«

»Ja?«, frage ich und setze ihn wieder ab. »Wie groß denn?«

»Ich bin zehn.«

»Ah, so groß schon! Und deine Schwester?«

»Mirrin? Die ist erst acht.«

Ich nicke und will meinen Weg fortsetzen.

»David!«, ruft Fyor mir hinterher.

»Ich muss zum Unterricht«, entgegne ich, ohne stehenzubleiben. »Sehen wir uns später bei meinem Schwerttraining?«

Freudig folgt er mir. »Au ja!«

»Du guckst zu«, stelle ich klar. »Und zwar nur, wenn du bis dahin deiner Mutter in der Küche hilfst.«

Mit hängenden Schultern seufzt er, ehe er mir weiter nachläuft. »Aber, David, warum hast du dich mit deinem Papa gestritten?«

Ich richte den Blick nach vorne und knirsche mit den Zähnen. »Wir haben nicht gestritten, wir haben … uns unterhalten.«

»So laut?«

Nun bin ich derjenige, der seufzt. »Ja.«

»Habt ihr … diktiert?«

»Was?« Kurz muss ich überlegen. »Ach so, diskutiert? Ja. So war es wohl.«

Stille. Ich eile weiter und Fyor rennt mir hinterher.

»Und worüber? Worüber habt ihr dik… geredet?«

Über die Wendeltreppe betrete ich den Ostflügel. »Über den richtigen Zeitpunkt für meine Krönung«, versuche ich es zu formulieren.

»Schon wieder?«

Abermals schnaufe ich. »Ja.«

»Ist doch klar, David! Du musst dich sofort krönen lassen, denn du wärst ein super König, das weiß ich!«

Ich lache. »Danke, mein Kleiner.«

»Worauf wartest du?«, fragt er mich und versucht mit mir Schritt zu halten. »Dafür gibt es keinen Grund, oder?«

»Wunderbar, jetzt klingst du ja schon genau wie er …«, murmle ich.

»Was?«

»Ach, nichts. Fyor, ich muss jetzt wirklich los und die Küche liegt in der anderen Richtung, also …«

»Dein Vater will auch unbedingt, dass du König wirst!«, fällt er mir ins Wort. »Also müsst ihr euch nicht streiten.«

»Ja schon, aber …«

Fyor hechtet die Treppe hinter mir hoch. »Und dann bist du der mächtigste Mann im ganzen Reich, David! Mit all den Soldaten und Waffen und …« Er überlegt. »Und den Kanonen!«, bringt er seinen Satz zu Ende.

Notgedrungen bleibe ich stehen und wende mich ihm zu. »Hör zu, Fyor, ich muss jetzt in den Unterricht, sonst kriege ich Ärger. Und du bekommst Ärger, wenn du deiner Mama nicht in der Küche hilfst, richtig?«

»Hm ja, aber …«

»Gut.« Vorsichtig klopfe ich ihm auf die Schulter. »Wir sehen uns nachher beim Schwerttraining auf dem königlichen Übungsplatz. Du darfst auch meinen Schild halten.«

»Juhu!« Schon rennt er die Treppe wieder hinunter und verschwindet. »Bis später!«, ruft er nach oben.

Schnaufend starre ich auf die Stelle, an der Fyor soeben aus meinem Blickfeld verschwunden ist. Nicht zu fassen, dass er so früh am Morgen – nach Stu – schon der Zweite ist, der mich an meine Pflichten als Kristallprinz erinnert. Daran, dass ich, wenn es nach meinem Vater geht, am besten gleich morgen den Thron besteige. Aber ich weiß, es ist nicht Fyors und auch nicht Stus Schuld, dass das immer wieder zum Thema wird. Die Zeit drängt. Das ist mir klar. Und es muss endlich eine Lösung her. Eine Lösung zwischen meinem Vater und mir.

Leider renne ich mit meinen Argumenten bisher bei ihm gegen eine Wand.

Ach, Mist. Jetzt komme ich definitiv zu spät zu meinem Privatunterricht mit – welcher Lehrer ist heute dran? – ach ja, Peff. Ausgerechnet beim strengsten meiner Lehrer. Was stehe ich hier auch noch so gedankenversunken herum?

Seufzend setze ich meinen Weg ins Studierzimmer, wo Peff sicherlich schon auf mich wartet, fort.

***

Peffs Blick könnte vorwurfsvoller nicht sein, als ich die Tür zum Studierzimmer aufmache und in den Raum trete, um ihn sogleich zu suchen.

»Junger Mann«, zischt er streng und deutet durchs große Fenster auf den fortgeschrittenen Stand der beiden Sonnen.

Kleinlaut mache ich die Tür hinter mir zu, gefolgt von einem demütigen Nicken. »Verzeih mir, Peff, ich war ganz in Gedanken und …« Mir stockt der Atem, als ich mich wieder zu ihm umdrehe und erkenne, dass der Lehrer doch ernsthaft mein geringstes Problem ist. Ich muss schlucken. »Vater!« Was macht er denn hier?

Mit finsterer Miene sitzt er in der dunklen Ecke, und ich kann sehen, dass er sich erst jetzt wieder zu atmen erlaubt.

Nicht zu fassen! Schon wieder konnte er mich mit seiner Anwesenheit überrumpeln! Wann wird es mir endlich gelingen, ihn vorher zu hören oder zu riechen, so wie bei allen anderen auch?

»Mach dir keinen Vorwurf, mein Sohn«, beginnt mein Vater und erhebt sich aus dem samtschwarzen Chefsessel. Und seine nächsten Worte klingen, als hätte er soeben meine Gedanken gehört. »Es ist nur verständlich, dass es mir immer wieder gelingt, deine Sinne zu überlisten.« Mit schweren, unheilvollen Schritten kommt er auf mich zu und stützt sich dabei auf seinem goldenen, prunkvoll verzierten Gehstock ab. »Von mir hast du diese besondere Fähigkeit geerbt. Somit bin ich dir Jahrzehnte an Erfahrung voraus und kann meine Atmung, meinen Körpergeruch und meinen Puls besser kontrollieren als irgendwer sonst im ganzen Reich, ja, sogar darüber hinaus.«

»Ja, Vater«, erwidere ich bloß und verneige mich verhalten vor ihm. »Und darf ich auch erfahren, was dich herführt?«

In aller Ruhe tauscht er einen Blick mit Peff aus. Ein Blick, der mir nicht gefällt. »Nun«, meint er und wendet sich mir wieder mit eleganten aber langsamen Bewegungen zu. »Ich wollte dir etwas mitteilen und dachte, dass ich es dir hier sagen kann, bevor dein Unterricht beginnt.« Wieder verändert sich der Ausdruck in seinen blass-gelben Augen. »Zu dem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, dass du mich und den armen Peff hier so lange warten lassen würdest.«

Erneut mustere ich draußen die zwei Sonnen. »So lange war es nun auch wieder nicht.«

»Disziplin!«, gibt er laut und streng von sich. Noch lauter und strenger, als Peff es jemals mir gegenüber wagen würde. »Disziplin, Präzision und Härte, mein Sohn. Das ist es, was vom Kristallkönig verlangt wird.« Mahnend hebt er den mit dunklen Ringen übersäten Finger.

»Unter anderem«, wage ich ihm nach einigen Sekunden vorsichtig zu widersprechen.

»Was?«

Und damit geht es wieder los. Wir … diktieren.

»Na ja, unter anderem«, wiederhole ich. »Einen guten König macht noch viel mehr aus als nur seine Disziplin, denkst du nicht?«

Seine Augen werden schmaler. »Keineswegs zählt es allerdings zu den Qualitäten eines Königs, sich unters einfache Volk zu mischen und mit ihnen Nichtigkeiten auszutauschen, die ihn seine Verpflichtungen vergessen lassen.« Seine Nasenflügel weiten sich. »Ich habe dich durchs Fenster gesehen. Mit dem Küchenjungen.«

»Fyor«, helfe ich ihm auf die Sprünge.

Dafür straft er mich mit einem verachtungsvollen Blick.

»Tut mir leid«, beteuere ich, und zwar Peff gegenüber. »Meine Verspätung. Das tut mir leid.«

Peff atmet ein und will etwas erwidern.

»Im Falle eines Krieges wird dir die Fähigkeit zu plappern nicht weiterhelfen«, sagt mein Vater.

Ich glaube es nicht! Genau darüber haben wir uns doch erst kürzlich unterhalten!

»Zwischen den Reichen herrscht seit Ewigkeiten Frieden«, entgegne ich.

»Und was, wenn sich daran mal etwas ändert?«, brüllt er dermaßen laut zurück, dass er dabei spuckt. »Das kann schneller gehen als das Fingerschnippen einer Hexe, mein Sohn.«

Tief atme ich durch. »Vater. Seit unzähligen Generationen hat es keinen Krieg und keine Unterdrückung mehr gegeben. Mittlerweile haben alle Völker begriffen, dass sie von einem friedvollen Beisammensein am meisten profitieren. Nimm das Rosenreich zum Beispiel. Mit seiner Lage zwischen dem Endenwald und dem Fluss Wicka ist es unserem Kristallreich am nächsten. Dort gedeihen Pflanzen unheimlich gut und bei den Ernten werden im Rosenreich die höchsten Erträge erzielt. Ja, es stimmt, dass wir auf deren Erntelieferungen angewiesen sind. Was erstaunlich ist, bedenkt man, dass jenseits des Flusses nur Ödland kommt. Abgesehen von den Ruinen von Quardor befindet sich auf der anderen Seite des Wicka nichts Nennenswertes. Es ist, als würde der Fluss zwischen dem fruchtbarsten und dem trockensten Land verlaufen. Nun, wie auch immer – ich schweife ab.« Inständig sehe ich meinen Vater an und bemerke dabei Peffs zufriedenes Nicken, weil ich ihm gerade unaufgefordert gezeigt habe, dass ich damals in Erdkunde gut aufgepasst habe. »Aber ebenso ist das Rosenreich auf uns angewiesen, weil in keinem anderen Reich so viele Kristalle und Metalle abgebaut werden können wie in unserem. Deswegen handeln wir mit dem Rosenreich und auch mit den übrigen Reichen, die wiederum andere Vorzüge haben. Genau deswegen ist jedes Reich daran interessiert, den Frieden zu wahren und im Einklang miteinander zu leben. Weil wir einander brauchen.«

»Ja, David, so ist es noch. Aber was wird morgen sein? Und übermorgen? Niemand kann das wissen. Auch nicht du. Denk daran, was damals passiert ist. Von einem Moment auf den nächsten kann sich das Blatt wenden. Willst du darauf nicht vorbereitet sein? Möchtest du bis dahin nicht den Thron bestiegen und deinen Platz als König gefunden haben, voller Stärke und mit einer Armee hinter dir, die dich respektiert, und einem Feind vor dir, der dich fürchtet?«

»Vater …«

Er kommt näher und lässt seinen majestätischen, anthrazitfarbenen Umhang nachschwingen. »Schon einmal in der Geschichte sind wir Menschen angegriffen und unterdrückt worden. Blutige Schlachten wurden geschlagen, viele Unseresgleichen haben in einem ungerechten Kampf ihr Leben verloren. So weit werden wir es niemals wieder kommen lassen. Indem wir Stärke zeigen und auf der Hut bleiben, mein Sohn!«

»Aber das ist lange her!«, widerspreche ich ebenso energisch. »Alle haben sich dadurch weiterentwickelt und aus der düsteren Geschichte unserer Vorfahren gelernt, so dass sie sich nicht wiederholen muss. Deswegen halten sich selbst die Hexen des Rosenreiches und die Zauberer des blauen Bundes daran, ihre magischen Fähigkeiten nicht gegen die anderen Reiche einzusetzen. So wie wir aus dem Kristallschloss es unterlassen, unsere ausgeprägten Sinne für die falschen Zwecke zu missbrauchen.« Leicht schüttle ich den Kopf. »Was damals geschehen ist, dürfen wir niemals vergessen, Vater. Das stimmt. Doch es darf uns nicht zu Misstrauen und Angst verleiten – das wäre falsch und könnte tatsächlich den Weg für einen neuen Krieg ebnen. Stattdessen sollten wir den anderen Reichen heute umso offener entgegentreten und …«

»Jetzt komm mir nicht wieder mit deinem Hirngespinst von einer ewig heilen Welt!«, fällt er mir aufgebracht ins Wort. »Gegenseitige Abhängigkeiten und Kontrollen sichern den Frieden! Und wie ich schon sagte: Stärke und Disziplin! Nicht blindes Vertrauen!«

Fassungslos starre ich ihn an. Wie kann er nur so von meinen Vorschlägen, die Grenzkontrollen zu lockern, weniger Steuergelder ins Militär fließen zu lassen und dafür mehr Geld in soziale Projekte zu stecken, sprechen? Wenn es um dieses Thema geht, redet er immer, als hätte mich mein Verstand verlassen.

»Du musst Stärke zeigen«, ermahnt er mich erneut. Er kommt noch näher und sieht mich eindringlich an. »David. Du musst deinen Platz als meinen Nachfolger einnehmen. Du musst den Thron besteigen, wie es für dich vorherbestimmt ist. Und dann musst du eine klare Linie fahren. Unerschrocken und mutig. Nur so kann auch in Zukunft ein neuer Krieg verhindert werden. Hast du mich verstanden?«

Ich muss schlucken. »Ja, Vater«, sage ich und vergrößere den Abstand zwischen uns. »Ich werde als König eine klare Linie fahren und Entschlossenheit zeigen.« Aber auf meine Weise.

Peff verfolgt unsere Unterhaltung ruhig und still. So erlebe ich ihn nur, wenn der König anwesend ist.

»Gut«, erwidert mein Vater. »Und wann wird es endlich so weit sein? Du bist längst in einem Alter, in dem du den Kristallthron für dich beanspruchen könntest. Und ich möchte deine Krönung noch miterleben, mein Sohn. Also: Wie lange willst du noch warten, bis du einwilligst?«

Das mag sein. Aber auch das Thema haben wir schon oft genug durchgekaut: Die Tradition verlangt, dass ich mich erst dann zum neuen König krönen lasse, wenn es auch eine Königin an meiner Seite gibt.

»David«, sagt mein Vater, der große und inzwischen recht alte König Patje, und beginnt vor mir auf und ab zu gehen. »Deine Mutter und ich haben uns unterhalten und …« Er setzt ab, sein entschlossener, aber auch müder Blick ruht auf mir.

»Was?«, hake ich hellhörig nach.

Da werden seine faltigen Gesichtszüge weicher und er bleibt stehen. »Nun, was hältst du davon, dir endlich eine Königin zu wählen?«

2. Kapitel

Lina

Was für ein wundervoller Sommertag! Die Sonnen strahlen, die Vögel zwitschern, Himmel und Blumen leuchten um die Wette, und eine angenehme Brise umspielt mein Haar.

Ja, der heutige Tag ist einfach nur perfekt.

Und sterbenslangweilig.

Hier im Rosenschlossgarten herrscht schon mein Leben lang nichts als Idylle und pure Perfektion. Alles ist stets bestens gepflegt, alles hat seinen Platz. Jede Skulptur und … jeder Gärtner.

Wie gut, dass jemand gekommen ist, um mein Leid zu lindern und diesem öden Tag ein wenig Würze zu verleihen.

»Vreikim!«, ruft Bel und spannt die ausgestreckten Arme an, die Handflächen nach oben gerichtet.

Gehorsam, wenn auch schwerfällig, reißt sich die Marmorskulptur, die ihm am nächsten ist, aus seiner Vertiefung und erhebt sich in die Lüfte. Bebend fliegt sie über das hellgrün leuchtende Gitter, das ich uns als eine Art Spielfeld in den Rasen gehext habe.

Konzentrierten Blickes bewegt der Zauberlehrling seine Hände so, dass sich die schwere Skulptur, die es kein zweites Mal auf der Welt gibt, einige Meter weiterbewegt. Vorsichtig sinkt sie wieder zu Boden, doch als sie sich noch ein paar Zentimeter über dem königlichen Rasen befindet, verlässt den achtzehnjährigen Bel die Konzentration. Kurzerhand kracht die Marmorfigur zu Boden und landet in einer noch viel größeren Vertiefung als der, die der Magier erzeugt hat, als er die Skulptur das letzte Mal bewegt hat.

»Na so was, mein Guter!«, entfährt es mir schadenfroh. »Hast du dich etwa ablenken lassen?« Ich komme näher und durchbohre ihn mit meinem neugierigen Blick. »Wovon? Sag, an wen hast du gedacht?«

»Blödsinn!« Er winkt ab und lässt dadurch den weiten Ärmel seines grauen Gewands flattern. »Diese Dinger sind einfach verdammt schwer und wir spielen schon eine Weile, was erwartest du also von mir?«

Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Schwer sagst du?« Anschließend hebe ich meinen Zeigefinger und lasse ihn etwas kreisen.

Schon schießt meine nächste Gartenskulptur in die Höhe und schwebt sicher und ohne zu wanken über dem Boden, als wäre sie so leicht und klein wie ein Feuervogel.

Mal sehen. Wo will ich sie diesmal abstellen?

»Angeberin!«, meint Bel matt und verschränkt die Arme. »War doch klar, dass du es leichter hast, wenn du gegen jemanden spielst, der nicht in deiner Liga ist.«

»Was soll das wieder heißen?« Mein Blick ruht auf der schwebenden Skulptur und ich ziehe den Zeigefinger nach links, damit die Marmorfigur sich ebenfalls in diese Richtung bewegt. »Du bist ein hervorragender Zauberlehrling und sogar ein Jahr älter als ich, Bel.«

Er lacht. »Aber du bist nun mal kein Zauberer, sondern eine Hexe. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Wir beide wissen, dass ihr Hexen stärker seid, als wir Zauberer es je sein werden. Wie auch immer ihr Frauen das anstellt.«

Amüsiert schmunzle ich und bewege meine Skulptur weiter zu der Stelle, an der sie gleich landen soll.

»Ihr braucht keine Zaubersprüche, um eure Fähigkeiten zu aktivieren. Außerdem hast du mehr Kraft im kleinen Finger als ich in beiden Händen zusammen. Und du müsstest deinen Finger nicht einmal bewegen, um deine Hexenkunst freizulassen.«

»Jetzt übertreibst du aber«, behaupte ich. »Auch meine Kräfte haben Grenzen. Oder hast du schon mal gesehen, dass ich den Tod, die Zeit oder die Liebe überlistet habe? Nein. Weil ich das nicht kann.«

Eine Sekunde später setzt meine Figur auf dem Rasen des riesigen, eingemauerten Schlossgartens ab, ohne auch nur den Hauch eines Geräuschs zu erzeugen.

Sogleich deutet Bel auf die perfekt gelandete Skulptur, als würde sie seinen Worten recht geben. »Machen wir uns nichts vor, werte Lina – und das geht zu meinen Gunsten: Wenn du mich im Skulpturen-Schach besiegst, ist das leider keine große Kunst.«

»Warum spielst du dann überhaupt mit mir?«, frage ich matt und zeige ihm mit einer Kopfbewegung an, dass er dran ist. »Wenn es doch angeblich so ungerecht für dich ist.« Was gar nicht stimmt, denn auch beim Skulpturen-Schach geht es in erster Linie um strategisches Können, genau wie bei einer normalen Partie – nur eben etwas aufgepeppt.

Das lässt der Rotschopf, der lustigerweise genauso viele Sommersprossen hat wie ich, sich nicht zweimal sagen. »Vreikim«, grummelt er den Zauberspruch, mit dem er Dinge zum Schweben bringen kann, und lässt all seine Energie in die Hände fließen, um die nächste seiner Schachfiguren anzuheben.

»Weil es dir Spaß macht«, antworte ich selbst auf meine Frage. Dann presse ich die Lippen aufeinander. »Und weil es mir zu jeder Tageszeit verboten ist, das Rosenschloss zu verlassen. Als mein bester Freund stehst du nun mal in der Pflicht, mich zu unterhalten.«

Bel hält sein Augenmerk auf die fliegende Figur gerichtet und seufzt. »Wir sind eben beide von viel zu strengen Oberhäuptern umgeben. Das ist die wahre Gemeinsamkeit, die wir miteinander teilen, ist es nicht so?« Immer wieder muss Bel sich mit ruckartigen Kopfbewegungen die längeren, zotteligen Haare aus dem Gesicht werfen.

»Ist Aldrin immer noch streng zu dir?«, versuche ich seine Bemerkung zu deuten.

Erneut seufzt er. »Nicht strenger als Toror zu dir.«

Darauf weiß ich nichts zu sagen. Als Bel das bemerkt, hält er inne und sieht mich an. Versehentlich gerät dadurch seine Skulptur in den freien Fall! Ungebremst kracht sie auf den Rasen und wälzt diesen platt. Wir erschrecken und halten den Atem an. Auch ich habe nicht mehr schnell genug reagiert, um meine Hexenkunst einzusetzen und das Schlimmste zu verhindern.

»Huch!«, kommentiere ich den Vorfall. »Das war jetzt doch etwas …«

»Unglücklich«, führt Bel meinen Satz zu Ende.

»Was soll das werden? Willst du in unserem Schlossgarten etwa die Ruinen von Quardor nachbilden?« Ich muss lachen. »Das hätte durchaus seinen Reiz, denkst du nicht?« Ich zeige auf ihn. »Und du müsstest mal dein Gesicht sehen, du bist ja ganz blass!« Mit einem Fingerschnippen hexe ich einen Spiegel herbei, der Bel vor die Nase fliegt.

Er betrachtet sich selbst und grinst, dann schaut er am Spiegel vorbei zu mir. »Das musst du gerade sagen, Lina.« Er wendet sich dem kleinen, ovalen Spiegel zu und ordnet ihm an, sich zu drehen: »Klicim.«

Als ich notgedrungen in mein Spiegelbild blicke und erkenne, wie blass auch ich geworden bin, müssen wir beide lachen.

»Was habe ich mich erschrocken!«, gebe ich zu.

»Wenn das deine einzige Sorge ist«, erwidert er und spielt den Leidenden. »Dort wollte ich die Figur gar nicht abstellen …«

Da muss ich noch herzhafter lachen.

Nachdem wir uns wieder einigermaßen beruhigt haben, bewirke ich mit einer Fingerbewegung, dass meine nächste Skulptur emporsteigt und sich schräg zwei Felder weiterbewegt. Vorsichtig lasse ich sie wieder sinken. »Ha! Schachmatt!«

»O nein, verflucht!« Mit verzerrter Miene fällt Bel auf die Knie und rauft sich die zotteligen, rotbraunen Haare.

Siegessicher posiere ich. »Tja.«

»Nein, Lina …«, gibt er kleinlaut von sich und deutet hinter mich.

Oh. Nein. Verflucht.

Steht hinter mir etwa … mein Vater, der König?

Nervös drehe ich mich um – und erblicke Maro. »Ach, du bist es nur«, gebe ich erleichtert von mir und atme durch.

Ich hatte schon Angst, Papa erwischt mich wieder beim Spaß haben und verdonnert mich völlig übertrieben zu vier Wochen Zimmerarrest. Zugegeben: Genau diese Gefahr macht das Spielen mit Bel umso reizvoller. Dennoch bin ich froh, nur von meiner großen Schwester ertappt worden zu sein.

Sie zieht eine blonde Braue hoch. »Skulpturen-Schach? Schon wieder?«

»Oh-oh«, höre ich Bel hinter mir murmeln. »Äh … Maro, das räumen wir natürlich wieder auf.«

»So ist es«, sage ich.

Dennoch bleibt der Blick meiner älteren Schwester vorwurfsvoll – und gilt insbesondere mir. »Papa wird toben vor Wut, wenn er davon erfährt.«

»Das wird er aber nicht.« Schon setze ich meine Gedanken ein, damit alle Marmorfiguren in die Höhe schießen und sich zurück an ihre ursprünglichen Plätze begeben, überall im großen Garten verteilt. Auch das grünleuchtende Spielfeld lasse ich verschwinden.

Im nächsten Augenblick hexe ich fünfzehn Solks herbei, stumme Schatten, die ich mit der Aufgabe betrauen kann, an vielen Stellen gleichzeitig den Rasen zu richten. Beeindruckt beobachtet Bel das Spektakel, bis ich die Solks mit meinen Gedanken wieder verschwinden lasse, ohne auch nur einen Finger zu krümmen.

»Die Skulpturen sind Hunderte von Jahren alt«, ermahnt Maro mich weiter und ihre Stimme klingt voller Sorge. »Jede Skulptur steht für eine Hexe aus unserer Blutlinie und wurde aus feinstem Marmor des Kristallreiches angefertigt.«

»Wenn ihr mich entschuldigen würdet?«, gibt Bel kleinlaut von sich und verabschiedet sich von uns, um sich der weiteren Standpauke zu entziehen. Er widmet mir einen letzten Blick, der mir sicherlich sagen soll, dass er mich bald wieder besuchen kommt.

»Ja und?«, entgegne ich auf den Vortrag meiner Schwester und zucke mit den Schultern. Meine Hand zeigt auf eine der Figuren. »So viele Schlossbewohner schlendern achtlos an den Skulpturen vorbei. Schenke ich den Figuren nicht besonders viel Aufmerksamkeit, wenn ich mir mit ihnen ein bisschen Unterhaltung verschaffe?« Ich gehe ins Murmeln über. »Und für mich wird doch sowieso nie eine Skulptur angefertigt. Denn im Gegensatz zu dir bin ich dafür nicht bedeutsam genug.«

Mit warmem Blick kommt Maro näher und legt die Hand auf meine Schulter. »Ach, Lina. Du bist meine Schwester. Ich werde dich immer an meiner Seite brauchen und auf deine Unterstützung zählen. Das ist deine Aufgabe. Und zwar eine sehr wichtige.«

Ich schnaufe und löse mich von ihrer Berührung, indem ich einen Schritt zurücktrete. »Tolle Aufgabe – die Schwester sein.«

Sie atmet ein, um etwas zu erwidern.

»Maro! Macht es dich nicht auch fertig, dass wir das Schloss niemals verlassen dürfen?«, muss ich sie fragen, wie ich es schon oft getan habe. »Nicht einmal, sobald du Königin bist?«

Mit ernster Miene schüttelt sie den Kopf. »Es gehört sich nicht für eine Prinzessin, das Schloss zu verlassen, das weißt du doch.« Mit einer Fingerbewegung bewirkt sie, dass sich die rosenförmige Spange in meinem Haar geraderückt – schließlich habe ich stets perfekt auszusehen. Dass sie dazu extra den Finger bewegt, wäre eigentlich nicht nötig. Mit dem Hexen ist es wie mit dem Reden: Dabei ein bisschen zu gestikulieren, ist einfach angenehm. In diesem Fall will Maro dadurch ihren Standpunkt verdeutlichen und mir ins Gewissen reden.

Ich ignoriere die Geste und blicke stattdessen voller Sehnsucht in die Ferne zur hohen Schlossmauer. »Uns Hexen hält so eine gewöhnliche Mauer nicht zurück. Wir könnten sie überwinden, und zwar sofort. Und wir würden in der Welt da draußen zurechtkommen. Wir könnten sie entdecken, Maro! O ja, das könnten wir. Auf der Stelle.«

»Ja, aber das tun wir nicht«, redet sie laut auf mich ein und wir sehen uns wieder in die Augen. »Weil wir die Traditionen und Konventionen unserer Familie achten. Zu jeder Zeit soll die Königsfamilie hier im Rosenschloss sein und Präsenz zeigen. Für die Audienzen mit dem Volk. Für die Unterhaltungen mit den Hofbewohnern. Und für die Botschafter, die aus den anderen Reichen herkommen, um etwas zu besprechen.«

»Für das Wohl aller. Ja, schon klar …«, gebe ich schnaufend von mir. »Deswegen missbrauchen wir unsere magischen Kräfte ja auch nicht für einen Krieg, der schnell beendet wäre und alle Reiche dazu zwingen würde, sich uns zu unterwerfen. Aber wir könnten es, Maro. Du und ich. Wir könnten die Welt beherrschen. Wir hätten die Fähigkeiten, die es dafür braucht. Niemand könnte es mit unserer Hexenkunst aufnehmen. Nicht einmal die Zauberer des blauen Bundes. Und schon gar nicht die berüchtigten Kämpfer des Kristallreiches. Sie alle sind ein Witz gegen uns zwei – die einzigen Hexen, die es weit und breit noch gibt. Bei den Ahnen! Wir könnten sogar Papa und seine Frau Kia vom Thron stoßen und die Welt ganz nach unseren Vorstellungen formen, gleich jetzt.«

»Aber was redest du denn da?« Meine Schwester zeigt sich entsetzt. »So etwas tun wir natürlich erst recht nicht! Weil wir unsere Familie lieben und unsere Mitmenschen achten. Ist es nicht so? Lina!«

Ich erstarre zu Eis. »So meinte ich das ja auch gar nicht«, erwidere ich schließlich. »Ich finde es nur ungerecht, hier gefangen zu sein.«

»Hey.« Maro kommt näher und legt ihre Hand diesmal an meine Wange. »Eines Tages werden Papa und Kia zu alt für den Thron sein. Und dann liegt es an mir, das Rosenreich zu regieren.«

Verhalten nicke ich. »Seite an Seite mit dem Mann deiner Träume, der zum König gekrönt wird.«

Verräterisch zieht Maro einen Mundwinkel hoch. »Wir wissen beide, dass in unserem Reich die Königin das Sagen hat, nicht der König. Weil in unserer Königsfamilie die Frau magische Fähigkeiten besitzt, die sie wiederum auch nur an ihre weiblichen Nachkommen weitervererbt.«

»Ja, außer in der Generation unseres Vaters«, sage ich mit bebenden Lippen. »Momentan hat unser Reich mit Kia eine gewöhnliche Menschenfrau zur Königin, und somit hat das letzte Wort in allen Dingen ihr Gatte, der König. Von mir aus sollen sie es so handhaben, aber … es ist nur …« Oh, es fällt mir schwer, es auch nur auszusprechen.

»Hör zu«, will Maro auf mich einreden. »Wir kommen doch klar, oder etwa nicht? Und Kia ist für Papa eine gute Partie. Sie ist diszipliniert, kommt mit dem straffen Terminplan einer Königin zurecht und hat uns nie schlecht behandelt.«

Wortlos senke ich den Kopf. »Na, wenn Papa das für seine Partnerwahl reicht …« Und wenn du damit leben kannst, Mama nie richtig kennengelernt zu haben, Schwester …

Maro legt den Finger an mein Kinn und drückt meinen Kopf wieder nach oben, damit sich mein Blick zurück zu ihrem hebt. »Wenn ich zur Königin gekrönt werde, wird die Verantwortung über das gesamte Rosenreich auf meinen Schultern lasten. Auf meinen. Nicht auf denen meines Gemahls. Sobald eine Hexe erneut das Reich regiert, hat wieder die Frau das Sagen. Also ich. Und dafür brauche ich dich an meiner Seite, Lina.« Ihr Blick in meine Augen intensiviert sich. »Kann ich mich auf dich verlassen?«

Hörbar atme ich durch. »Ja, natürlich.« Ich zwinge mich zu einem Lächeln und lehne meine Stirn gegen ihre. »Ich werde immer an deiner Seite bleiben, Schwester.« Das ist schließlich die Bestimmung, die mir als zweitgeborene Rosenprinzessin zuteilkommt. Die einzige Bestimmung.

Erleichtert lächelt sie und hakt sich bei mir ein. Zusammen begeben wir uns zum Schloss zurück.

»Aber du willst doch trotzdem einen Mann heiraten, den du auch wirklich gern hast, oder?«, will ich von ihr wissen.

Sie nickt. »Einen, auf den ich mich verlassen kann und der gut mit mir harmoniert.«

»Klingt ja romantisch«, kommentiere ich voller Ironie in meiner Stimme.

Leicht drückt sie mich zur Seite, sodass wir im Slalom weiterlaufen. »Romantik – so einen Luxus kannst nur du dir erlauben, kleine Schwester.«

»Hm«, mache ich nachdenklich.

»Was ist?«, will sie grinsend wissen. »Auch du darfst schließlich heiraten. Hast du dir darüber womöglich auch schon Gedanken gemacht?« Ihr neugieriger Blick durchbohrt mich. »Wie wäre es mit Bel?«

»Bel und ich – heiraten?« Ich ziehe beide Brauen hoch. »Nein, wir sind Freunde, und so soll es auch bleiben. Das haben wir schon geklärt.« Genau genommen hat Bel mir anvertraut, dass er sich in einen Mann verliebt hat. Aber das darf außer mir niemand, wirklich niemand wissen.

»Sicher?«, hakt sie nach. »Ihr seid nur Freunde?«

»Ganz sicher. Und: Glaub mir, ich werde mich so schnell nicht verlieben. Mir ist es wichtig, dass ein Mann mich so richtig, na ja, umhaut. Vorher denke ich über so etwas wie eine Hochzeit gar nicht nach. Im gesamten Schloss gibt es niemanden, der mich reizt. Außerhalb der Schlossmauern kenne ich aber niemanden. Erst mal bist du also mit Heiraten dran, große Schwester.«

»Mag sein«, erwidert sie und senkt den Kopf. »Allmählich würden sich Papa und Kia sicherlich einen Verlobten an meiner Seite wünschen, der dem Volk als nächster Rosenkönig präsentiert werden kann. Bei dir hingegen wird nicht so genau hingeschaut, auf welchen Glücklichen deine Wahl fällt – und zu welchem Zeitpunkt.«

»Ja, ganz toll. Das war’s dann aber auch schon mit den Vorteilen als Zweitgeborene. Denn in allem anderen unterliege ich denselben strengen Regeln wie du. Immer nett lächeln und winken, immer fein gekleidet sein, immer die perfekte Körperhaltung zeigen, immer diplomatisch und elegant sein …«

»Ja, das sehe ich«, kontert sie und blickt sich demonstrativ im Garten um, der immer noch mehr Löcher aufweist als vorher, da die Solks nicht ganz gründlich gewesen sind.

Ich winke ab – und benutze die nächste Handbewegung, um einen Zauber zu entsenden, der die Löcher wieder mit Erde stopft.

»Und wer säht neues Gras drüber?«, fragt Maro im Gehen und schmiegt sich leicht an meine Schulter.

»Die Gärtner«, sage ich trocken. »Die sollen auch noch etwas zu tun haben. Wenn jemand weiß, wie schlimm Langeweile ist, dann ich. Sie sollten mir also dankbar sein.«

Ich löse meinen ernsten Blick auf, beide müssen wir lachen.

»Würdest du denn gerne an meiner Stelle Königin werden?«, möchte sie wissen. »Ich weiß, das habe ich dich schon mal gefragt, aber vielleicht hat sich deine Meinung inzwischen geändert.«

»Nein. Königin werden … das will ich gar nicht.«

»Und was willst du dann, Lina?«

Ach, wenn ich das wüsste, meine gute Maro. Wenn ich das nur wüsste! Ich spüre bloß, dass mir irgendetwas im Leben fehlt. Und zwar schmerzlich.

Ist es tatsächlich … wahrhaftige Liebe?

3. Kapitel

David

Was hältst du davon, dir endlich ein Mädchen zu suchen?, hat mein Vater mich soeben gefragt, nachdem er mich – und meinen Lehrer Peff – mit seiner Anwesenheit im Studierzimmer überrascht hat.

Seitdem starre ich ihn überfordert an. »Hm?«

»Deine Verlobte«, wird er präziser. »Hast du dir endlich eine ausgesucht?«

Mehrmals muss ich blinzeln. »Es ist noch nicht lange her, dass wir das letzte Mal darüber gesprochen haben. Und wie ich dir bereits sagte …«

»Gibt es weit und breit keine Frau, die für dich infrage kommt«, unterbricht er mich streng und setzt sich wieder in Bewegung, um im Raum auf und ab zu gehen. »Aber, mein Sohn, dir rennt die Zeit davon. Du musst auch mal daran denken, irgendwann Nachkommen zu zeugen, am besten mehrere. Versuche doch bitte, damit früher zu beginnen, als es mir mit meiner dritten Ehefrau, deiner lieben Mutter, endlich gelungen ist. Außerdem – du kannst mir doch nicht erzählen, dass es im ganzen Land keine einzige junge Frau gibt, die deinen Vorstellungen entspricht.«

Beschwichtigend hebe ich die Hand. »Verzeih, Vater, aber denkst du nicht, es gehört auch zu den Qualitäten eines guten Königs, anspruchsvoll zu sein?«

Wieder bleibt er stehen und sieht mir eindringlich in die Augen. »Sicher, mein Sohn. Natürlich sollst du wählerisch sein. Aber es kann nicht sein, dass du noch mehr Zeit verspielst. Du brauchst eine Frau, die fruchtbar und gehorsam ist – meinetwegen auch noch ansehnlich, wobei das nicht allzu wichtig ist, aber sei es drum. Wie schwer kann es schon sein, so eine zu finden?«

Mir entgeht nicht, dass Peff sich erlaubt zu nicken.

»Aber – Vater!«, versuche ich mit inständiger Stimme auf ihn einzureden und mache einen Schritt auf ihn zu. »Ich kann doch nicht einfach … also …«

Ratlos blickt er mich an.

»Nun …« Ich ringe nach den richtigen Worten. »Ich will eine Frau heiraten, die … etwas ganz Besonderes ist und bei der ich einfach das Gefühl habe, dass ich ohne sie nicht mehr atmen kann. Verstehst du das denn nicht?«

Der leere Ausdruck in seinem müden, alten Gesicht verrät mir leider, dass er tatsächlich keine Ahnung hat, wovon ich spreche. »Gefallen dir die Damen am Hofe nicht?«, will er wissen.

»Nein. Keine Ahnung! Also …«

Er und Peff machen erwartungsvolle, aber auch verwirrte Gesichter.

»Kalda wolltest du ja nicht zu deiner Verlobten nehmen«, lautet sein nächster Vorwurf an mich. »Obwohl dieses bildschöne Geschöpf ihr Leben lang darauf vorbereitet worden ist, deine Gemahlin zu werden.«

»Genau das ist das Problem an ihr«, erwidere ich eindringlich. »Frage ich sie nach ihren Interessen, dann hat sie keine. Jedenfalls keine eigenen, sondern zufällig all die Interessen, die ich habe. Und egal, welche Ansicht ich äußere, sie stimmt mir sofort zu und wiederholt meine Worte.«

»Welch harmonisches Wesen«, findet mein Vater.

»Welch langweiliges, oberflächliches, eingetrichtertes Theater!«, entgegne ich zähnefletschend. »Eine solche Partnerin will ich nicht.«

»Aber sie ist wunderschön. Hübsch und adelig. Und friedvoll. Anmutig.«

»Ja, all das ist Kalda«, gebe ich zu.

»Sie wäre die perfekte Frau an der Seite eines mächtigen Königs, der sich wichtigeren Dingen widmen kann als den Widerworten einer verzogenen Gattin«, fährt er fort.

»Bei den Ahnen, Vater, sie ist meine Cousine! Ich bin mit ihr großgeworden und habe miterlebt, wie sie auswendig lernen musste, welches meine Lieblingsspeisen sind und wann ich aufzustehen pflege.«

»All das habe ich angewiesen, um dir eine Freude zu bereiten. Deswegen verstehe ich auch nicht, warum du sie verschmähst. Wie steht sie denn jetzt da? Die arme Kalda!«

Ich hole Luft, um etwas zu erwidern.

»Ja, schon gut. Du willst sie nicht. Das habe ich verstanden. Alle haben es verstanden. Alle am Hof und darüber hinaus. Denn andernfalls hättest du dich ja schon an deinem sechzehnten Geburtstag mit ihr verlobt, wie wir es ursprünglich mal besprochen haben.«

»Wie du es mir vorschreiben wolltest«, muss ich ihn korrigieren. »Mir und Kalda.« Ich lasse die Augen schmaler werden und frage mich, wie lange es noch dauern wird, bis mein Vater merkt, dass zwischen meiner Cousine und Stu so viel mehr läuft, als er jemals gutheißen würde. So viel zum Thema arme Kalda.

Bin ich erst mal König, müssen die zwei ihre Liebe nicht länger verheimlichen und können endlich heiraten. Aber noch darf mein Vater davon nichts wissen.

»Ich bin auch gar nicht hier, um weiter über Kalda zu sprechen«, bricht mein Vater das aufgekommene Schweigen.

»Sondern?«, frage ich.

»Hör zu, mein Sohn. Ich habe mit deiner Mutter darüber gesprochen und … wir sind damit einverstanden.«

Ich bin verwirrt. »Was? Womit?«

»Wenn du  …«, er muss sich räuspern, »… eine gewöhnliche Magd oder so ehelichen möchtest.«

»Nein, Vater, ich …«

»In Anbetracht der Tatsachen, dass du bereits neunzehn bist, wäre das in Ordnung für deine Mutter und mich. Wirklich. Wir haben uns so etwas in der Art inzwischen schon gedacht. Du bist so viel im Reich unterwegs, in den Wäldern, auf den Bergen, in den umliegenden Dörfern, bei den Bediensteten. Falls es dich so sehr reizt, ein einfaches Bauernmädchen in unsere königliche Gesellschaft einzuführen …«

Hä?

»Darum geht es doch gar nicht! Hörst du mir überhaupt zu? Der Punkt ist …« Ich seufze. »Vater. Ich suche die wahre Liebe. Verstehst du? Meine Seelenverwandte. Die eine Frau, die mich umhaut. Die mich aufwühlt, mich herausfordert, mich beflügelt, in den Wahnsinn treibt, die mich von Größerem träumen lässt – all das!«

Verstört blickt er mich an. Als hätte ich ihm gerade offenbart, dass ich, keine Ahnung, ein geflügeltes Pferd aus dem Bärenreich heiraten will.

»Alles, was ich im Moment weiß, ist, dass Kalda nicht die Königin an meiner Seite wird. Und eine Magd aus einem der umliegenden Dörfer habe ich ebenso wenig im Sinn.«

»Nun, eine Adelige wäre uns durchaus lieber«, gesteht er.

Verflucht! Er hört mir gar nicht zu! Was nützen ihm bitte seine scharfen Sinne, wenn er sie nicht einsetzt, um anderen endlich einmal richtig zuzuhören oder seinem Herzen zu lauschen? Es ist zum Haare raufen mit ihm!

»Entscheide dich bald«, bittet er mich schließlich, als ich noch immer schweige. »Lass nicht mehr allzu viel Zeit verstreichen. Bitte, mein Sohn. Bitte. Ich werde müde. Gönne mir meinen Ruhestand. Gönne mir meinen wohlverdienten Seelenfrieden.«

Sogleich will ich ihm wieder vorschlagen, die Regeln zu ändern und mir zu erlauben, unverheiratet den Thron zu besteigen. Aber auch das haben wir schon so oft durchgekaut. Es geht nicht. Nur mit einer Ehefrau an meiner Seite, mit der ich Nachkommen zu zeugen vermag, kann ich gekrönt werden. So verlangt es die Tradition. So will es das Vermächtnis unserer Vorfahren. So wünscht es sich das Volk. So kennen es die anderen Reiche. Dagegen kann ich mich einfach nicht wehren. Das wird mir spätestens jetzt klar, als mein Vater mich mit überraschend weicher Stimme bittet und so viel Angstschweiß ausstößt, dass ich es unmöglich ignorieren kann.

Es bringt nichts, weiter mit ihm zu diktieren. Wenn mein Vater und ich erst mal so richtig streiten, werden wir laut. Selbst jemand mit gewöhnlichem Gehörsinn könnte das mitbekommen, etwa Peff, der jetzt schon peinlich berührt aussieht, oder auch der kleine Fyor.

Und es bringt auch nichts, mich weiter querzustellen. Ich muss bald eine Frau finden, die ich meinem Vater und der ganzen Welt als meine Verlobte vorstellen kann. Nur so kann ich ihm erlauben, in den Ruhestand zu gehen. Nur so kann ich König werden. Nur so kann ich Veränderungen bewirken. Und nur so kann ich dem Volk Halt und Zuversicht geben.

Sollte das bedeuten, dass ich meinen Traum von der wahren Liebe endgültig loslassen muss, dann ist das nun mal so.

Und so bleibt mir nichts anderes übrig, als wortlos zu nicken.

Hoffnungsvoll erwidert mein Vater das Nicken und schenkt mir sogar ein angedeutetes Lächeln. »In Ordnung, David. Gut, dass wir darüber gesprochen haben. Dann will ich dich mal lernen lassen. Ich zähle auf dich, das weißt du.«

Leicht presse ich die Lippen aufeinander. »Ja, Vater.«

Auch Peff widmet er ein Nicken, dann begibt er sich zur Tür und verlässt den Raum. Gleich nachdem er verschwunden ist, macht die Wache die Tür zu.

Noch immer verlegen hält Peff den Kopf gesenkt und schiebt sich die Brille höher auf die Nase. »Gut, dann … wollen wir beginnen, David?«

Leidenden Blickes ziehe ich einen Mundwinkel hoch. »Du meinst, mit der Standpauke für meine Verspätung?«

Er schüttelt den Kopf. »Mit dem Unterricht. Ich denke, was Standpauken betrifft, bist du für heute versorgt.«

Mit einem Seufzen gebe ich ihm recht. »Ist gut. Danke, Peff. Legen wir los.«

***

Nachmittags komme ich gerade vom Schwerttraining zurück in mein Gemach, als mir meine Sinne verraten, dass sich meine werte Mutter ebenfalls meinem privatesten Raum nähert. Ihren Gang erkenne ich unter Tausend anderen. Eine halbe Minute später öffnet der Wärter die Tür und will sie ankündigen.

»Ja, Gallo«, sage ich zu ihm und hebe die Hand. »Die Königin ist hier. Ich weiß.«

Verlegen lächelt er, verneigt sich und tritt zur Seite.

Im nächsten Augenblick betritt die Kristallkönigin Gilal in gewohnter Eleganz und Anmut mein Gemach und belohnt Wärter Gallo mit einem warmen Blick, woraufhin dieser sich wieder in den Flur zurückzieht und die verzierte Doppeltür hinter sich schließt.