Rot - Joachim Harms - E-Book

Rot E-Book

Joachim Harms

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Beschreibung

Rot. Signalfarbe. Warnsignal. Was fällt uns als Menschen auf? Was ist uns eine Warnung? Was ist dabei Leben, und was ist absurd? Joachim Harms geht in seinen Texten kreative Wege, das menschliche Erleben in all seinen Facetten darzustellen, zu reflektieren und seine Leser und Leserinnen, wie einen Stier, mit der roten Fahne zu reizen und herauszufordern. Ob Sie Ihm seine Geschichten dabei abkaufen oder nicht, das bleibt Ihnen überlassen. Herr Harms wird Sie in Sachen Wahrheitssuche wohl an den nächstbesten Regenwurm verweisen. Oder an seine Geschichten in diesem Buch...

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Widmung

Dieses Buch ist Hanna gewidmet,

der abgetriebenen Tochter von irgendwem.

Hanna,

jetzt säßest du da, in der Abendsonne dieses schönen Sommers und plötzlich wärest du eine junge Frau. Deine Haare hättest du heute extra für mich hochgesteckt und dein Lächeln hätte deine Schönheit nur unterstreichen können.

Der Hut, den du dir für diesen Sommer gekauft hättest, würde deine Weiblichkeit betonen.

Es wäre schon spät geworden und wir hätten viel zu viel getrunken, so dass sich unsere Gespräche im Trivialen verlaufen hätten. Warum auch nicht, wir wären jetzt im Urlaub.

Heute wärest du noch so jung und du hättest noch so viel vor…….

Wo ist eigentlich Tim?

01.06.2024

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil / Ich

Herr Joachim Harms

Ich und mein Gott der mich sieht

Erlösung

Ich bin…

Chaos

Der Regenbogen

Die Schreibwerkstatt

Wenn ich nicht schlafen kann,

Zweiter Teil / Ich und meine schöne Welt

Zwanghaft

Es ist, als seist du von Krätze befallen

Ich werde

Das allsehende Auge

Den Löffel abgegeben

Die nicht mehr ganz volle Flasche

Die grüne Schleife

Kaffeepäuschen

Rezept für eine gute Mahlzeit

Pinguine

Wolkenkratzer

Dritter Teil / Du und ich

Angetriggert

Die Notiz

Tu mir bitte diesen letzten Gefallen

Naive Malerei

Verborgenes

Wir treffen uns

Vierter Teil / Geschichten aus der Welt

Hunger

Frost

Arbeit

In Vergessenheit

Die Arten der Bewegung

Autopanne

Das Bild

Der verwelkte Rosenstrauß

Die Braut die sich nicht traut

Die Lieferung

Die rote Lederjacke

Die See

Begegnung mit Jürgen

Nachricht aus Afghanistan

Ostern

Reinigung

Saharasand

Sternengewitter

Weihnachtsfeier

A2

Das Leben des Friedrich Georg Schulz

Hanna und Tim

Nachwort

Erster Teil / Ich

Herr Joachim Harms

Als ich erwache, liegt sie neben mir. Sie ist alt, fett und aufgedunsen.

In dem fahlen Kneipenlicht war mir ihr Aussehen gar nicht aufgefallen. Oder lag das nicht am Licht, sondern wieder mal an dem vielen Alkohol? Ich kann es jetzt nicht sagen.

Unter der Schminke schimmert ihre blasse Haut hervor. Sie schläft und atmet schwer.

Wer hätte das verhindern können, das ich hier morgens mit ihr erwachen muss? Ich starre an die Zimmerdecke und fürchte mich vor ihrem Erwachen.

Vielleicht der Wirt. Er hätte mich an meiner Krawatte packen, mir in meine glasigen Augen blicken und mich ernsthaft ermahnen müssen. „Nicht dieses Weib“, hätte er sagen müssen. Aber er tat es nicht.

Warum auch. Welcher Bauer schlachtet die Kuh, die er melken möchte. War ich doch in seinem Etablissement ein gern gesehener Gast, mit offenem Portemonnaie. Hätte er etwas derartiges geäußert, wäre ich womöglich, für ein bis zwei Wochen, woanders eingekehrt. Das wäre sein Verlust gewesen.

Doch auch der Fahrer der Taxe hätte das Weib nötigen können, das Fahrzeug zu verlassen.

Schließlich bin ich ihm bekannt und er hätte es wissen müssen. Kennt er doch im Allgemeinen meinen Umgang. Er hätte wissen müssen, dass dieses Weib meinem Gemüt am Morgen unmöglich zuträglich sein konnte.

Oder aber der Portier meines Hotels, er hätte spätestens reagieren müssen. Kennt er mich doch viele Jahre und sah in welcher hilflosen Lage ich mich durch meinen Alkoholkonsum befand. Er hätte dieses Weib sofort wieder zur Karosse begleiten müssen, hätte den Fahrer entlohnt und ihn mitsamt seiner Fracht irgendwo in die Stadt entsandt.

Aber nein, sie alle haben erbärmlich versagt. Sie alle!

So liege ich nun neben dieser Fregatte, die in ihrem Leben wohl schon so manche Schlacht geschlagen hatte. Abgetakelt war sie nun im Hafen meines Bettes gestrandet. Welche Unvernunft von mir, mich immer wieder so unmäßig dem Alkohol zu ergeben. Und dazu noch dieses unangemessene Gasthaus. Anstatt mich einem vornehmen Leben zuzuwenden und dort zu verkehren, wo man Männern mit hohen Hüten und mit Spazierstöcken begegnet, dort, wo sich Damen aufhalten und keine Weibsbilder.

Am Gelde liegt es gewiss nicht. Schließlich könnte ich es mir leisten, seit mir vor einigen Jahren unverhofft die Erbschaft meines Vaters zufiel. Wohl behütetes, hart erarbeitetes Geld, nun dazu bestimmt, verprasst zu werden.

Später werde ich mich beschweren, in aller Deutlichkeit. So ein Portier muss seine Aufgaben kennen. Er muss die Gäste des Hauses beschützen und alles unternehmen, um sie vor Schaden zu bewahren, auch wenn so manche Aufgabe heikel sein mag. So etwas, wie es mir heute Nacht widerfahren ist, darf sich nicht wiederholen. Alkohol her oder hin.

Langsam und leise schleiche ich aus meinem Bett, ganz vorsichtig, um sie nur nicht zu wecken.

Angekleidet liegt sie da und atmet schwer, wie ein rostiger Frachter. Sie regt sich nicht. Dies mache ich nicht aus Rücksicht zu ihr, sondern aus der blanken Angst heraus, reden zu müssen.

In meinem Bade sperre ich mich ein.

Wo hatte ich sie nur getroffen, wann war sie in dieser Nacht zu mir gestoßen? Ich kann mich nicht erinnern.

Hat der Wirt vielleicht gar keine Schuld? Saß sie schon in der Taxe und ich bin zugestiegen? Hatten wir vielleicht den gleichen Weg? Dann ist der Wirt fein raus.

Aber den Taxifahrer, den trifft die volle Schuld. Was soll das? Passagiere aufzusammeln, Menschen, die einander fremd sind, um diese gemeinsam durch eine schlafende Stadt zu befördern, nur wegen des Gewinns. Unmöglich diese Art.

Und der Portier, er hat auf jeden Fall versagt.

Aber egal wie es sich zutrug, schnell schlüpfe ich in frische Kleider und will dann, unbemerkt, meine Suite verlassen und erst am späten Abend zurückkehren. So ist mein Plan. Als ich vorsichtig die Badezimmertüre öffne, stelle ich zu meiner großen Überraschung fest, dass mein Bett, wie auch mein Zimmer verlassen sind.

Ich bin überaus erleichtert, wegen der ersparten Peinlichkeit.

Doch auch ein wenig empört, als ich nach einiger Zeit des Suchens keine Nachricht vorfand. Stift und Zettel finden sich schließlich im Sekretär. Doch nichts, keine Nachricht, nicht einmal einen Gruß…

Das ist unerhört! Welch eine Missachtung meiner Person!

Erbost gehe ich zum Frühstück in den Salon. Nach dem Frühstück, mein Gemüt hat sich ein wenig beruhigt, werde ich zur Rezeption gebeten. Dort überreicht man mir eine Nachricht. Sie ist auf meinem Papier verfasst. “Joachim Harms, Hotel Ambassador, Prag“ steht auf dem Umschlag. Ich öffne ihn. Hastig lese ich die paar Zeilen, die wohl in großer Eile, aber trotzdem mit deutlicher und schöner Handschrift verfasst sind:

Sehr geehrter Herr,

die letzte Nacht erscheint mir doch recht peinlich und unser beider Ruf nicht zuträglich, daher meine kurze Erklärung. Ich nehme zu Ihrer Entschuldigung an, dass Sie am vergangenen Abend dem Alkohol in einem nicht angemessenen Umfange zugetan waren.

Nur so ist Ihr absurdes Verhalten erklärlich. Sie haben mich im Aufzug dieses Hauses derart bedrängt, dass ich mir nicht anders zu helfen wusste, als Ihrem Drängen nachzugeben. Zumal sie weinend und wimmernd vor mir knieten und mich nicht gehen lassen wollten. Zu meiner Ehre sei gesagt, dass es in der letzten Nacht nicht zu dem Äußersten zwischen uns kam. Ich hoffe Ihnen einiges erklärt zu haben und bitte Sie den Vorfall zu vergessen.

PS: Meiden sie zukünftig den Alkohol.

J.N.

Kalter Schweiß bricht mir aus, augenblicklich verlasse ich das Hotel. Mir geht es schlecht und ich fühle mich beobachtet. Ich irre durch die Stadt, mit der Angst im Gepäck, dieser Dame zu begegnen.

Ja, es musste eine Dame sein.

Diese zarte, schöne Handschrift, diese Diskretion.

Plötzlich erinnere ich mich an den hochwertigen Stoff ihres Kleides und den Wohlgeruch, der sie umgab.

Sie hat recht, ich bin ein mieser, versoffener Kerl.

Nicht einmal mein eigenes Geld versaufe ich, es ist das Geld der Ahnen.

Auf einer Brücke stehe ich am Geländer und starre in die Moldau unter mir. Für einen Moment denke ich an Selbstmord, doch dafür fehlt mir der Mut.

So beschließe ich ein Café aufzusuchen. Ich bestelle mir ein Glas Absinth, eine Tasse Kaffee und ein Glas Wasser. Dies ist das Übliche zu meinem Mittagessen.

PS: „Meiden Sie zukünftig den Alkohol“ geht es mir durch den Kopf.

Plötzlich wird mir übel, es wird ganz schwarz vor meinen Augen und ich sinke ganz langsam von meinem Sitzplatz auf den Fußboden des Cafés. Da lieg ich nun.

Das heißt, ich sehe mich liegen, denn nun bin ich im Himmel. Zu meiner großen Überraschung. Auf meine Frage, wie das passieren kann, das ich in den Himmel komme, sagt der Engel an meiner Seite:

Du hast alles richtig gemacht, du hast immer alle Menschen geliebt. Letztendlich hast du sie alle geliebt.

Römer 13/ 8:

„Bleibt keinem etwas schuldig- außer der Schuld, die ihr nie abtragen könnt: Der Liebe, die ihr einander erweisen sollt.

Wer den anderen liebt, hat den Willen Gottes erfüllt.“

11.09.2023

Ich und mein Gott der mich sieht

Die Welt

Der Fluch

Ich bin ein guter Mensch. Empathisch, zuvorkommend, mitdenkend und rücksichtsvoll.

Ich habe nur die beste Meinung von mir. Wären doch nur alle so wie ich, die Welt wäre ein besserer Ort.

Ich liebe Tiere. Mein Herz blutet, sehe ich ein Tier leiden. Hätte ich etwas zu sagen, es gäbe keine überfahrenen Katzen mehr. Ich würde alle Tiere schützen.

Ich bin so gut.

Ich bin nicht klug, aber das ist auch unnötig. Wären alle so dumm wie ich, wir würden noch in Höhlen leben. Das wäre gar nicht schlimm.

Wir hätten keine Umweltverschmutzung. Es gäbe keine Autos, kein Plastik, keine Heizungen.

Die Kindersterblichkeit wäre hoch und wir wären ständig auf der Flucht vor Fressfeinden. Aber es gäbe keine Überbevölkerung auf unserem Planeten. All die Wälder wären noch da.

Es gäbe Abenteuer zu bestehen, von früh bis spät.

Ohne Körperpflege würden wir jeden Tag beginnen.

Aber wir hätten gesunde Zähne, weil es keinen Zucker gäbe. Wir würden stinken und wir liebten uns dennoch.

Ich bin ein guter Mensch.

Moment- ich bemerke gerade, diese Gedanken machen mich irre….

Der Mensch Das Licht der Welt.

Ich bin ein guter Mensch. Morgens betrete ich das Bad. Nicht das ich denke, dass das nötig sei, aber was sollen denn die anderen von mir denken, wenn ich rieche! Meinen Morgenmuffel vertreibe ich mit meinem morgendlichen Gebet und schöner Musik zum Frühstück.

Gut gelaunt halte ich der Nachbarin von oben die Türe auf. „Danke“, sagt sie scheu. Ich lächele sie an.

„Gerne“.

Oh, da hat mir jemand die Vorfahrt genommen. Ach du kleiner Schelm, wohl nicht ausgeruht, war die Nacht für dich zu kurz?

Auf dem Parkplatz ist mein Chef. Danke Chef, danke für die Arbeitsstelle.

Dann die Kundschaft, arrogant, vorlaut, frech und fordernd. Ich vergebe ihnen, denn sie wissen es nicht besser. Was weiß ein Kunde schon von Computerproblemen, Lieferketten, Krankenständen usw., usw. …

Was bin ich doch für ein guter Mensch. Empathisch, zuvorkommend, mitdenkend und rücksichtsvoll.

Wären doch nur alle so wie ich, die Welt wäre ein besserer Ort.

Die Schuld

Morgens gehe ich ins Bad. Mürrisch schaue ich in den Spiegel. Ich habe keinen Bock auf Wasser und beschließe, wieder nicht zu duschen. Sollen sie mich doch aushalten. Vielleicht riechen sie den Schweiß, keine Ahnung.

Oh nein, dann im Treppenhaus die Schnalle von oben, die die immer so bescheuert glotzt und ihr Maul nicht aufbekommt. Schnell weg.

Was für ein beschissener Tag. Morgens schon der erste Penner im Straßenverkehr. Ich wusste gar nicht, dass man Führerscheine heute verschenkt, du Vollidiot.

Und dann noch der Chef auf dem Parkplatz. Besser geht’s nicht. Ich warte im Auto, bis er verschwunden ist.

Ach ja, und dann gibts da noch die Kunden. Die von nichts ne Ahnung haben, aber immer klugscheißen müssen.

Siebzehn Uhr. Ich denke, dass ich mir meinen Feierabend endlich verdient habe. Ich lasse alles stehen und liegen, bloß raus hier.

Des Nachts liege ich wach in meinem Bett.

Alles ist still und es ist dunkel.

Ich denke an Gott, die Welt und die Menschen.

Wer bin ich bloß?

14.02.2023

Erlösung

Nach einer langen, ruhelosen, durchschwitzten Nacht saß er am frühen Morgen, als ich erwachte, bereits auf meiner Brust.

Voller Verachtung grinste er mich an. Er war schwer, wie jeden Morgen. Also stöhnte ich unter seiner Last.

Nun holte er tief Luft und ich wusste was passieren sollte. Seinen Atem blies er in mein Gesicht und mein Schädel ward umschlossen von diesem Atem. Der Atem war so fest, so eng um meinen Hals. Eine kurze Weile Widerstand, doch dann, kurz vor meiner Ohnmacht, atmete ich doch ein. Tief und fest und lang. Und sein Odem ergoss sich in meinen Körper, schoss pulsierend durch die Venen, die Adern und das Gewebe allen Fleisches. Und hinterließ diese bleierne Taubheit, so schwer. Dieses Gewicht presste mich tief in mein Bett hinein. Kein Muskel wagte zu rebellieren. Nicht ein einziges Zucken war dort. Die Gedanken, sofort von Nebel fest umschlossen. Fahrig entglitten sie dem Geist, um als sinnlose Fragmente in meinem Schädel zu verhallen.

Als ich nach langer Zeit die Augen aufschlug, war er verschwunden. Doch sein Gewicht, das war noch da.

Diese beklemmende, unsinnige Schwere. Sie war sein Kot, der an mir klebte. Ich weinte, ob der Sinnlosigkeit dieser zahllosen Morgen, dieses Leids, dieser Hilflosigkeit, dieser Hoffnungslosigkeit. Sollte das jemals wieder enden? Ich weinte und weinte, wahre und salzige Tränen. Wo waren nur Hilfe und Zuflucht zu finden?

Als ich nach langer Zeit die Augen abermals aufschlug, brannte das Tageslicht in ihnen. Aber diese Schwere, sie war noch da. War das eben Weinen oder Schlaf? Ich konnte es nicht sagen. Nachdem ich dort so wach gelegen hatte, sollte ich aufstehen. Niemand sagte das, niemand wollte das. Niemand war da. So quälte ich mich allein.

Ich brauchte mich nicht ankleiden, ich war immer angekleidet. Ich brauchte mich nicht waschen, ich war immer sauber. Jetzt wo ich in einer Küche saß, nach einer langen Reise, durch eine unendliche große Wohnung, so kam es mir vor, vergaß ich ihn langsam.

Sein Kot war angetrocknet und fiel, Stück um Stück, in schweren Brocken von mir ab.

Das Brot auf dem Tisch verursachte mir Übelkeit, so drehte ich mich angewidert zur Wand. Ich schaute auf eine gelbe Tapete. Sein Atem aber, waberte noch durch meinen Körper. Die Schwere blieb, ich war so müde. Ich wäre gern in meinem Bett gewesen. Dann hätte ich unbehelligt schlafen können. Das täte meinem Körper gut. Sich fallen lassen. Einfach nur da sein, in meinem Bett. Ohne Licht, ohne Nahrung, nicht in dieser Küche mit dieser, gelb blendenden Tapete.

Jetzt konnte er nicht mehr kommen. Er kam immer in den Morgenstunden, wenn der Tag noch nicht wusste, ob er tatsächlich beginnen sollte. Wenn der Tag begann und die Sonne vor sich hertrieb aus ihrem schwarzen Versteck und sie zwang alles zu beleuchten. Die Tiere, die Menschen und die ganze Scham dieser verruchten Welt. Wenn die Sonne errötete am Morgen, weil sie des Nachts alles vergessen hatte und sich erst wieder daran gewöhnen musste, was sie nun sah.

Und wenn sie errötete des Abends, weil sie genug gesehen hatte, satt war, angeekelt und doch nicht wegschauen konnte. Erst dann war er zufrieden, dieser verdammte Tag, wenn er wieder die Sonne zum Scheinen und die Menschen zum Leben gezwungen hatte. Immer und immer wieder.

Und er, dieser verdammte, ungnädige Dämon kam, direkt entstiegen von den verdammten Seelen aus dem zweiten Himmel, genau in diesen Morgenstunden. Zu seiner rechten Zeit.

Die Lungen aufgeblasen, die Augen schwarz und leer, übelriechend kommt er zu mir gekrochen, an jedem Tag. In mein Zimmer, in mein Bett, auf meine Brust setzt er sich und lähmt mich mit seinem verseuchten, widerlichen Atem. Nichts, nichts, nichts auf dieser Welt kann helfen.

Ich sah sie alle kommen und stehen an meinem Bette.

Hochdekoriert, studiert, außerordentlich gebildet, mit sauberen, blanken Händen und in strahlend weißen Kitteln. Sie murmelten in fremden Sprachen, sagten viel und nichts. Bekamen viel Geld und gute Worte.

Applaus, Applaus! Doch ihr Gewerk, dass vermochte nichts.

Sie sahen diesen Dämon nicht, wussten seinen Namen nicht. Wie wollten sie nur heilen, wenn sie nicht mal seinen Namen kannten, ihn nicht bei seinem Namen rufen konnten?

Ich weiß es nicht.

So einen Dämon besiegt man nicht mit den Arzneien dieser Welt.

Da muss man schneller sein! Der Tag, er darf noch nicht wissen dass er naht, die Sonne muss noch gefangen sein, in tiefster Finsternis.

Das ist die rechte Zeit, wenn deine Augen noch nicht schmerzen vom grellen Tageslicht.

Dann ist die rechte Zeit, für einen langen Strick.

Erlösung.

27.06.24

Ich bin…

…und schon geht es los. Gestern war ich noch der und ich dachte ich wüsste, wer das sei. Und schon heute hat sich das wieder verändert, weil der, der von gestern, mir heute nicht mehr gefällt.

Nur eines steht fest, ich bin Christ.

Nach vielen Jahren in der Finsternis und einer vollständigen Anhaftung an die materielle Welt, machte ich mich irgendwann auf die Suche nach dem “Mehr“.

Ich habe viel gelesen, viel ausprobiert und viel erlebt, mit selbsternannten Gurus und in spirituellen Zirkeln.

Meine Entwicklung hat viele Jahre gedauert und sie war ein mühevoller Weg für mich. Mit vielen kleinen Schritten und etlichen Irrwegen.

2019 habe ich mich endlich Taufen lassen können.

Das war herrlich! Nun weiß ich, dass mir alles vergeben ist und dass diese Taufe ein Neuanfang war.

Ich bin Sünder geblieben, weil ich ein Mensch geblieben bin. Aber auch das Sünder sein wird mir vergeben, darauf vertraue ich.

Ich bin nun 65 Jahre alt. Wenn es gut läuft, habe ich vielleicht noch 20 schöne Jahre. Vielleicht sind es auch weniger.

Das ist nicht schlimm, denn mir ist die Ewigkeit versprochen.

Ich bin Christ.

17.10.2023

Chaos

Wie jeden Sonntag, wiege ich mich in Sicherheit. Ich sitze in der ersten Reihe. Ich liebe diese erste Reihe.

Man sieht die Mimik der Pfaffen ganz genau. Gerade das ist es, was ich liebe.

Manche von ihnen glauben, was sie predigen, sind voller Eifer, und manche machen nur ihren Job.

Emotionslos. An ihren Augen, am Spiel ihrer Mimik lese ich das ab.

Sie bemerken mich immer, während sie predigen.

Die Eiferer stachelt es an, die Jobmacher aber, die werden nervös. Die Eiferer werden immer lauter, sprechen immer schneller und beginnen ihre Worte mit einer lebendigen Körpersprache zu untermalen.

Die Jobmacher hingegen werden immer leiser, werden nervös, beginnen, sich zu verhaspeln und schließlich verkrampft sich ihre ganze Körperhaltung.

Ich liebe die erste Reihe und die Pfaffen und dieses Wechselspiel.

Ich sitze da und gebe mich meiner Betrachtung hin.

Ich fühle mich gänzlich wohl, denn in diesen Momenten vermute ich mich in Sicherheit.

„Die Wege des Herrn sind uns unergründlich. Der Mensch denkt und der Herr lenkt. Nichts gelingt so, wie wir uns das Erhoffen.“ Ja, Ja, Ja, ….

Wie oft habe ich das alles schon gehört und längst gelernt, das es stimmt. Jeden Sonntag gehe ich in die Kirche und ich habe unzählige Predigten in meinem langen Leben gehört.

Ich sitze immer in der ersten Reihe und hier wiege ich mich in Sicherheit.

Mit einem warmen Händedruck an der Ausgangstüre werde ich aus der Kirche verabschiedet. Ich schaue dem Pfaffen in die Augen und sie funkeln immer noch. Dieser ist ein Eiferer und natürlich hatte er mich sofort bemerkt. Beim Händedruck tauschen wir kurz einen wissenden Blick. Er lächelt nur, um sich dann sofort dem nächsten Schäflein zuzuwenden. Sie alle stehen Schlange und wollen ihm die Hand drücken.

Schau mich an, denken sie dann, schau mich an, ich war wieder hier. Obwohl es todeslangweilig bei dir ist, war ich trotzdem anderthalb Stunden lang in diesem kalten, dunklen Gotteshaus und habe versucht, dir zu lauschen. Schau mich an, ich habe bis zu deinem letzten Wort durchgehalten und nun leg gefälligst ein gutes Wort für mich ein, da oben. Erst wenn sie gesehen wurden, wollen sie gehen. Bis dahin warten sie geduldig in der Schlange. Bis zu diesem entscheidenden Händedruck. Dann aber verlassen sie eiligen Schrittes diesen Ort. Ohne sich umzuwenden, ohne ein Lächeln. Ihr letztes Lächeln gaben sie dem Pfaffen an der Tür.

Auch ich gehe, völlig in Gedanken versunken, Richtung Straßenbahn. Ich fühle mich gut und in Sicherheit geborgen. Schließlich höre ich nicht nur die Predigt, sondern ich lese gleichzeitig im Gesicht des Predigers.

In den Gesichtern der Prediger lese ich die Wahrheit.

Und sie wissen das und sie merken das.

So brenne ich mich ein, in ihr Gehirn und sie können mich nicht vergessen.

Sie werden sich immer wieder an mich erinnern.

Ich habe mich nicht nur ihren Augen gezeigt, sondern ich bin in ihre Köpfe hineingekrochen. Dort, ganz tief in ihren Köpfen, habe ich mich eingenistet.

Die einen sporne ich zum Eifer an, so dass sie sich vergessen, dass sie erglühen auf ihrer Kanzel und sich ganz im Wort verlieren. Und gefangen sind im Wort.

Die anderen lähme ich, dass sie der Angstschweiß treibt und sie den Faden verlieren, weil ich sie lesen kann, wie aufgeschlagene Bücher. So fühlen sie sich dann ertappt von mir, im Angesicht ihres Herrn.

Dies alles ist mehr als ein Händedruck am Ausgang, es ist so viel mehr.

Gott selbst wird mich bemerken, als das eifrigste seiner Schafe, als den treuesten Gefolgsmann auf seiner Erde.

Ihn allein rühme ich mit meiner Disziplin.

Ihn allein rühme ich mit meinem Eifer.

Ihn allein rühme ich mit meiner Gottesfürchtigkeit.

Er allein erkennt dies Besondere in mir.

Er sieht meine Fähigkeit.

Von ihm allein kommt mein Auftrag, Woche für Woche.

Ich fühle mich so gut in meiner Einzigartigkeit.

Was soll mir noch geschehen? Was?

Wo ich so dicht bei Gott bin!

Wo ich Dinge erschaue, die anderen verborgen bleiben.

Ich fühle mich phantastisch.

Ich fühle mich in Sicherheit, im Besonderen an jedem Sonntag….

Ein Auto überfährt mich. Ich bin sofort tot. Ganz in meine Gedanken versunken habe ich bei Rot die Straße überquert.