Sagen des klassischen Altertums - Gustav Schwab - E-Book

Sagen des klassischen Altertums E-Book

Gustav Schwab

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Beschreibung

Mit 96 Zeichnungen und ausführlichem, interaktiven Inhaltsverzeichnis. Überarbeitete Fassung mit neuem Einführungsaufsatz. Man stelle sich eine Welt vor ohne die Abenteuer des Herkules, ohne den Kampf um Troja, ohne die Irrfahrten des Odysseus, ohne die Tragödie um Ödipus - unvorstellbar. Die Sagen des klassischen Altertums vereinen die größten Geschichten unserer europäischen Kultur und sind Grundlage und Ausgangspunkt unzähliger Variationen und Zitate geworden. Wer sie nicht kennt, weiß nichts. Über 1200 Seiten vereinen die gewaltigsten Abenteuer, die die Menschheitsgeschichte kennt. Sie zeugen von Göttergeburten und Schlachten, von Liebesepen und Tragödien. Sie sind das einzige deutschsprachige Standardwerk zur griechischen Mythologie. Diese Ausgabe beinhaltet die komplette dreibändige Version von Gustav Schwab, ergänzt durch mehrere kürzere Sagen, die Gotthold Klee 1881 als Herausgeber der 14. Auflage hinzufügte. Band 1: Sagen, die vor dem Trojanischen Krieg stattgefunden haben. Hierzu zählen die Prometheussage, die Argonautensage und der Mythos um den Vatermörder Ödipus, der unwissentlich seine eigene Mutter heiratet. Band 2: Sage um Troja (Ilias) bis zum Niedergang der Stadt und den Sieg der Griechen. Band 3: Rückkehr aus Troja widerfährt. Hierzu gehört vor allem die bewegte Rückreise des Odysseus, die sogenannte Odyssee. Auch die sagenhafte Gründung Roms fällt in diesen Zeitrahmen und wird von Schwab beschrieben. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 1639

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Gustav Schwab

Sagen des klassischen Altertums

Illustrierte Fassung

Gustav Schwab

Sagen des klassischen Altertums

Illustrierte Fassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Fußnoten: Jürgen SchulzeIllustrationen: John Flaxmann 6. Auflage, ISBN 978-3-954180-26-4

www.null-papier.de/sagen

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Vor­wort zur vier­ten di­gi­ta­len Aus­ga­be

Gu­stav Schwab und die Sa­gen des klas­si­schen Al­ter­tums

Ers­ter Teil – Die klei­ne­ren Sa­gen

Ers­tes Buch

Pro­me­theus

Die Men­schen­al­ter

Deu­ka­li­on und Pyr­rha

Io

Phaëton

Eu­ro­pa

Kad­mos

Pentheus

Per­seus

Ion

Däd­a­los und Ika­ros

Zwei­tes Buch – Die Ar­go­nau­ten­sa­ge

Ia­son und Pe­li­as

An­laß und Be­ginn des Ar­go­nau­ten­zu­ges

Die Ar­go­nau­ten zu Lem­nos

Die Ar­go­nau­ten im Lan­de der Do­lio­nen

Hera­kles zu­rück­ge­las­sen

Pol­lux und der Be­bry­ken­kö­nig

Phi­neus und die Har­pyi­en

Die Sym­ple­ga­den

Wei­te­re Aben­teu­er

Ia­son im Palas­te des Aie­tes

Me­dea und Aie­tes

Der Rat des Ar­gos

Me­dea ver­spricht den Ar­go­nau­ten Hil­fe

Ia­son und Me­dea

Ia­son er­füllt des Aie­tes Be­gehr

Me­dea raubt das gol­de­ne Vlies

Die Ar­go­nau­ten, ver­folgt, ent­kom­men mit Me­dea

Wei­te­re Heim­fahrt der Ar­go­nau­ten

Neue Ver­fol­gung der Kol­cher

Letz­te Aben­teu­er der Hel­den

Ia­sons Ende

Drit­tes Buch

Me­lea­ger und die Eber­jagd

Tan­ta­los

Pe­lops

Nio­be

Sal­mo­neus

Vier­tes Buch – Aus der Hera­kles­sa­ge

Hera­kles der Neu­ge­bor­ne

Die Er­zie­hung des Hera­kles

Hera­kles am Schei­de­we­ge

Des Hera­kles ers­te Ta­ten

Hera­kles im Gi­gan­ten­kamp­fe

Hera­kles und Eu­rystheus

Die drei ers­ten Ar­bei­ten des Hera­kles

Die vier­te Ar­beit des Hera­kles bis zur sechs­ten

Die sie­ben­te, ach­te und neun­te Ar­beit des Hera­kles

Die drei letz­ten Ar­bei­ten des Hera­kles

Hera­kles und Eu­ry­tos

Hera­kles bei Ad­me­tos

Hera­kles im Diens­te der Om­pha­le

Die spä­te­ren Hel­den­ta­ten des Hera­kles

Hera­kles und Deïa­ni­ra

Hera­kles und Nes­sos

Hera­kles, Iole und Deïa­ni­ra. Sein Ende

Fünf­tes Buch

Bel­le­ro­phon­tes

The­seus

Die Sage von Ödi­pus

Sechs­tes Buch

Die Sie­ben ge­gen The­ben

Die Sage von den Hera­kli­den

Zwei­ter Teil – Die Sa­gen Tro­jas

Ers­tes Buch

Tro­jas Er­bau­ung

Pria­mos, He­ka­be und Pa­ris

Der Raub der He­le­na

Die Grie­chen

Bot­schaft der Grie­chen an Pria­mos

Aga­mem­non und Iphi­ge­nia

Ab­fahrt der Grie­chen. Aus­set­zung des Phi­lok­te­tes

Die Grie­chen in My­si­en. Te­le­phos

Pa­ris zu­rück­ge­kehrt

Die Grie­chen vor Tro­ja

Zwei­tes Buch

Aus­bruch des Kamp­fes. Pro­te­si­la­os. Ky­knos

Pala­me­des und sein Tod

Ta­ten des Achill und Ajax

Po­ly­do­ros

Chry­ses, Apol­lo und der Zorn des Achill

Ver­su­chung des Vol­kes durch Aga­mem­non

Pa­ris und Me­ne­la­os

Drit­tes Buch

Pan­da­ros

Die Schlacht. Dio­me­des

Glau­kos und Dio­me­des

Hek­tor in Tro­ja

Hek­tor und Ajax im Zwei­kampf

Waf­fen­still­stand

Sieg der Tro­ja­ner

Bot­schaft der Grie­chen an Achill

Do­lon und Rhe­sos

Zwei­te Nie­der­la­ge der Grie­chen

Kampf um die Mau­er

Kampf um die Schif­fe

Die Grie­chen von Po­sei­don ge­stärkt

Hek­tor von Apol­lo ge­kräf­tigt

Tod des Pa­tro­klos

Jam­mer Achills

Vier­tes Buch

Achill neu be­waff­net

Achill und Aga­mem­non ver­söhnt

Schlacht der Göt­ter und Men­schen

Kampf des Achill mit dem Strom­got­te Ska­man­der

Schlacht der Göt­ter

Achill und Hek­tor vor den To­ren

Der Tod Hek­tors

Lei­chen­fei­er des Pa­tro­klos

Pria­mos bei Achill

Hek­tors Leich­nam in Tro­ja

Pen­the­si­lea

Mem­non

Der Tod des Achill

Lei­chen­spie­le zu Ehren Achills

Fünf­tes Buch

Der Tod des großen Ajax

Machaon und Po­da­lei­ri­os

Neop­to­le­mos

Phi­lok­tet auf Lem­nos

Der Tod des Pa­ris

Sturm auf Tro­ja

Das höl­zer­ne Pferd

Die Zer­stö­rung Tro­jas

Me­ne­la­os und He­le­na. Po­ly­xe­na

Ab­fahrt von Tro­ja. Ajax des Lo­k­rers Tod

Drit­ter Teil

Ers­tes Buch – Die letz­ten Tan­ta­li­den

Aga­mem­nons Ge­schlecht und Haus

Aga­mem­nons Ende

Aga­mem­non ge­rächt

Ores­tes und die Eu­me­ni­den

Iphi­ge­nia bei den Tau­ri­ern

Zwei­tes Buch – Odys­seus – Ers­ter Teil

Te­le­mach und die Frei­er

Te­le­mach bei Ne­stor

Te­le­mach zu Spar­ta

Ver­schwö­rung der Frei­er

Odys­seus schei­det von Ka­lyp­so und schei­tert im Sturm

Nau­si­kaa

Odys­seus bei den Phä­aken

Odys­seus er­zählt den Phä­aken sei­ne Irr­fahr­ten (Ki­ko­nen. Lo­to­pha­gen. Zy­klo­pen. Po­ly­phem)

Odys­seus er­zählt wei­ter (Der Schlauch des Äo­los. Die Lästry­go­nen. Kir­ke)

Odys­seus er­zählt wei­ter (Das Schat­ten­reich)

Odys­seus er­zählt wei­ter (Die Si­re­nen. Skyl­la und Cha­ryb­dis. Thri­na­kia und die Her­den des Son­nen­got­tes. Schiff­bruch. Odys­seus bei Ka­lyp­so)

Odys­seus ver­ab­schie­det sich von den Phä­aken

Drit­tes Buch – Odys­seus – Zwei­ter Teil

Odys­seus kommt nach Itha­ka

Odys­seus bei dem Sau­hir­ten

Te­le­mach ver­läßt Spar­ta

Ge­sprä­che beim Sau­hir­ten

Te­le­mach kommt heim

Odys­seus gibt sich dem Soh­ne zu er­ken­nen

Vor­gän­ge in der Stadt und im Palast

Te­le­mach, Odys­seus und Eu­mai­os kom­men in die Stadt

Odys­seus als Bett­ler im Saal

Odys­seus und der Bett­ler Iros

Pe­ne­lo­pe vor den Frei­ern

Odys­seus aber­mals ver­höhnt

Odys­seus mit Te­le­mach und Pe­ne­lo­pe al­lein

Die Nacht und der Mor­gen im Palas­te

Der Fest­schmaus

Der Wett­kampf mit dem Bo­gen

Odys­seus ent­deckt sich den gu­ten Hir­ten

Die Ra­che

Be­stra­fung der Mäg­de

Odys­seus und Pe­ne­lo­pe

Odys­seus und Laër­tes

Aufruhr in der Stadt durch Athe­ne ge­stillt

Der Sieg des Odys­seus

Vier­tes Buch – Äne­as – Ers­ter Teil

Äne­as ver­läßt die tro­ja­ni­sche Küs­te

Den Flücht­lin­gen wird Ita­li­en ver­spro­chen

Sturm und Irr­fahr­ten. Die Har­pyi­en

Äne­as an der Küs­te Ita­li­ens. Si­zi­li­en und der Zy­klo­pen­strand. Tod des An­chi­ses

Äne­as nach Kar­tha­go ver­schla­gen

Ve­nus von Ju­pi­ter mit Rom ge­trös­tet. Sie er­scheint ih­rem Soh­ne

Äne­as in Kar­tha­go

Dido und Äne­as

Di­dos Lie­be be­tört den Äne­as

Äne­as ver­läßt auf Ju­pi­ters Be­fehl Kar­tha­go

Fünf­tes Buch – Äne­as – Zwei­ter Teil

Der Tod des Pa­linurus. Lan­dung in Ita­li­en. La­ti­nus. La­vi­nia

La­vi­nia dem Äne­as zu­ge­sagt

Juno facht Krieg an. Ama­ta. Tur­nus. Die Jagd der Tro­ja­ner

Aus­bruch des Krie­ges. Äne­as sucht bei Eu­an­der Hil­fe

Der Schild des Äne­as

Tur­nus beim La­ger der Tro­ja­ner

Ni­sus und Eu­rya­lus

Sturm des Tur­nus ab­ge­schla­gen

Äne­as kommt ins La­ger zu­rück

Äne­as und Tur­nus kämp­fen. Tur­nus tö­tet den Pal­las

Tur­nus von Juno ge­ret­tet. Lau­sus und Me­zen­ti­us von Äne­as er­schla­gen

Sechs­tes Buch – Äne­as – Drit­ter Teil

Waf­fen­still­stand

Volks­ver­samm­lung der La­ti­ner

Neue Schlacht. Ka­mil­la fällt

Un­ter­hand­lung. Ver­such­ter Zwei­kampf. Frie­dens­bruch. Äne­as meuch­le­risch ver­wun­det

Äne­as ge­heilt. Neue Schlacht. Sturm auf die Stadt

Tur­nus stellt sich zum Zwei­kampf und er­liegt. Ende

An­hang

Nach­trag nach Gott­hold Klee

Ak­täon

Pro­k­ne und Phi­lo­me­la

Pro­kris und Ke­pha­los

Äa­kos

Phi­le­mon und Bau­cis

Arach­ne

Mi­das

Hya­kinthos

Atalan­te

Zethos und Am­phi­on

Die Dios­ku­ren

Me­lam­pus

Or­pheus und Eu­ry­di­ke

Keyx und Hal­kyo­ne

In­dex

Dan­ke

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Vorwort zur vierten digitalen Ausgabe

Die­se Aus­ga­be bein­hal­tet die kom­plet­te drei­bän­di­ge Ver­si­on von Gu­stav Schwab, er­gänzt durch meh­re­re kür­ze­re Sa­gen, die Gott­hold Klee 1881 als Her­aus­ge­ber der 14. Auf­la­ge hin­zu­füg­te.

Des Wei­te­ren fin­den Sie hier auch die in vie­len »ent­schärf­ten« Aus­ga­ben weg­ge­las­se­ne Ge­schich­te um Oe­di­pus.

Die für die­se Aus­ga­be er­wei­ter­ten und über­ar­bei­te­ten Zeich­nun­gen stam­men von John Fla­x­man.

Die vier­te Aus­ga­be be­sitzt ein Stich­wort­ver­zeich­nis (In­dex) zum schnel­le­ren Auf­fin­den ein­zel­ner Ge­schich­ten.

Fra­gen, Kri­tik oder An­re­gun­gen? Schrei­ben Sie an: re­dak­tion@­null-pa­pier.de

Jür­gen Schul­ze Neuss, Mai 2016

Gustav Schwab und die Sagen des klassischen Altertums

Dem Leh­rer und Pfar­rer Gu­stav Schwab ist es zu ver­dan­ken, dass die Sa­gen des klas­si­schen Al­ter­tums in Deutsch­land, seit der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts, auf brei­te Re­zep­ti­on sto­ßen. Sei­ne Na­cher­zäh­lun­gen der grie­chi­schen My­then schrieb er in zeit­ge­mä­ßer Spra­che, die ins­be­son­de­re Kin­dern und Ju­gend­li­chen Zu­gang zu die­sem Kul­tur­gut ge­währ­ten, das ih­nen an­de­ren­falls wo­mög­lich ver­wehrt ge­blie­ben wäre.

Ein schwä­bi­scher Men­tor

Im Stutt­gart des Jah­res 1792 ge­bo­ren, als Sohn des Ge­hei­men Ho­frats Schwab, wächst Gu­stav in ei­nem El­tern­haus auf, das ihm die Wer­te evan­ge­lisch-hu­ma­nis­ti­scher Bil­dung von Be­ginn an ver­mit­telt. Nach­dem der jun­ge Mann das Gym­na­si­um ab­sol­viert hat, stu­diert er Phi­lo­lo­gie und Phi­lo­so­phie, be­vor er sich im Fach Theo­lo­gie ein­schreibt.

Be­reits im Al­ter von 25 Jah­ren wird Gu­stav Schwab als Pro­fes­sor für alte Spra­chen an ein Stutt­gar­ter Gym­na­si­um be­ru­fen, acht Jah­re spä­ter be­ginnt sei­ne Mit­ar­beit für ein li­te­ra­ri­sches Ma­ga­zin bei F. A. Brock­haus, dem er 20 Jah­re lang treu blei­ben wird. Als er schließ­lich 1828 bei Jo­hann Fried­rich Cot­ta als Ver­lags­re­dak­teur ein­tritt, wird Schwab zum För­de­rer jun­ger Li­te­ra­ten. Mit untrüg­li­chem Ge­spür un­ter­stützt er Au­to­ren, de­ren Wer­ke heu­te un­trenn­bar mit der deut­schen Ro­man­tik ver­bun­den sind, bei­spiels­wei­se Wil­helm Hauff und Eduard Mö­ri­ke.

Dass Schwab 1837 das Pfarr­amt in Go­ma­rin­gen – und spä­ter ein Stadt­pfarr­amt – an­tritt, ist für den lei­den­schaft­li­chen Päd­ago­gen kein Wi­der­spruch; Leh­ren und Pre­di­gen sind so weit von­ein­an­der nicht ent­fernt. In Go­ma­rin­gen ver­fasst er, in­ner­halb von zwei Jah­ren, »Die schöns­ten Sa­gen des klas­si­schen Al­ter­tums«, in­dem er Ori­gi­nal­tex­te sam­melt, über­setzt und re­di­giert. Er will zwar eine mög­lichst ori­gi­nal­ge­treue Über­set­zung an­fer­ti­gen, wie es zu­vor Jo­hann Hein­rich Voß für die ho­me­ri­schen Epen ge­tan hat, aber er be­ar­bei­tet die aus­ge­wähl­ten My­then un­ter ein­deu­tig päd­ago­gi­schen Ge­sichts­punk­ten, in­dem er sie in Pro­sa über­trägt und ins­be­son­de­re ero­ti­sche so­wie grau­sa­me Schil­de­run­gen zen­siert.

Als Au­tor ver­öf­fent­licht er zu­nächst Ge­dich­te, be­vor sei­ne »Wan­de­run­gen durch Schwa­ben« er­schei­nen. Wie sehr ihm iden­ti­täts­s­tif­ten­de Er­zäh­lun­gen und Sa­gen am Her­zen lie­gen, be­le­gen wei­te­re Pub­li­ka­tio­nen, die sich haupt­säch­lich Na­cher­zäh­lun­gen deut­scher Volks­li­te­ra­tur wid­men. Schwab ist eine fes­te Grö­ße im Li­te­ra­tur­be­trieb des süd­west­li­chen Deutsch­lands, so­wohl als Schrift­stel­ler als auch durch sein Mä­ze­na­ten­tum, als er 1850 we­gen ei­nes ärzt­li­chen Kunst­feh­lers stirbt. Gu­stav Schwabs letz­te Ru­he­stät­te be­fin­det sich auf dem Hop­pen­laufried­hof in Stutt­gart.

Die liebs­ten Sa­gen des Herrn Schwab

Das Samm­lungs­werk er­scheint ur­sprüng­lich drei­bän­dig, je­der Band ist in meh­re­re Bü­cher ge­glie­dert. Der Au­tor be­zieht In­hal­te aus di­ver­sen grie­chi­schen und rö­mi­schen Quel­len ein, vor al­lem aus den Epen Ho­mers, der »Theo­go­nie« He­siods, den Dra­men des Aischy­los, Ovids »Me­ta­mor­pho­sen« und Ver­gils »Aen­eis«. Nach­dem Schwab im ers­ten Band die be­deut­sams­ten Städ­te, Hel­den so­wie de­ren Ge­schlech­ter schil­dert, wid­met er den zwei­ten Band aus­schließ­lich Tro­ja, in An­leh­nung an die ho­me­ri­sche »Ili­as«. Der drit­te Band um­fasst, im ers­ten Buch, den Un­ter­gang des Ge­schlech­tes der Tan­ta­li­den so­wie im zwei­ten und drit­ten Buch eine er­neu­te Ent­leh­nung bei Ho­mer, näm­lich die Fahr­ten und die Heim­kehr des Odys­seus nach dem Tro­ja­ni­schen Krieg. In den ver­blei­ben­den drei Bü­chern geht es, in An­leh­nung an Ver­gils »Aen­eis«, schließ­lich um den my­thi­schen Ur­va­ter Roms und um die An­fän­ge des rö­mi­schen Im­pe­ri­ums.

In­halt­li­che Par­al­le­len zur bib­li­schen Über­lie­fe­rung, wie in »Deu­ka­li­on und Pyr­rha« dürf­ten dem Pfar­rer ge­fal­len ha­ben. Da­ne­ben sind ihm so­wohl er­zie­he­ri­sche Bot­schaf­ten – wie in »Phae­ton« (Selb­st­über­schät­zung), »Ika­ros« (Leicht­sinn) oder »Sal­mo­neus« (Über­heb­lich­keit) – als auch Grün­dungs­my­then wich­tig, wie in »Kad­mos« (The­ben) und »Äne­as« (Rom).

Der Ver­fas­ser ord­net die Sa­gen grob chro­no­lo­gisch, wo­bei er mit Er­eig­nis­sen be­ginnt, die be­reits der Herr­schaft olym­pi­scher Göt­ter zu­ge­ord­net sind. Le­dig­lich der Ti­ta­nen­sohn Pro­me­theus fin­det als Auf­takt po­si­ti­ve Berück­sich­ti­gung, wes­halb er in ge­wis­ser Wei­se ein Fremd­kör­per in der Samm­lung bleibt. Sol­che in­halt­li­chen, dem struk­tu­rel­len Auf­bau ge­schul­de­ten, Brü­che gibt es mehr­fach: Wenn bei­spiels­wei­se der Ar­go­nau­ten­sa­ge die Ge­schich­te des Ar­go­nau­ten Me­lea­gros folgt, um will­kür­lich Tan­ta­los so­wie sei­nen Kin­dern Pe­lops und Nio­be Platz zu ma­chen, da­nach be­zie­hungs­los Sal­mo­neus an­ge­fügt wird, um an­schlie­ßend über den Ar­go­nau­ten Hera­kles zu be­rich­ten, er­schlie­ßen sich die Zu­sam­men­hän­ge nicht ohne Wei­te­res. Wäh­rend Tan­ta­los und die Ur­sa­che des Fluchs der Tan­ta­li­den im ers­ten Band er­klärt wer­den, taucht das Ge­schlecht erst im drit­ten Band wie­der auf, als »Die letz­ten Tan­ta­li­den«. Die Kom­ple­xi­tät und Tie­fe der grie­chi­schen My­then ist durch die­se Glie­de­rung schwer zu durch­drin­gen – die Samm­lung ist dem­nach kein in sich ge­schlos­se­nes Werk. Was dem Ver­fas­ser hin­ge­gen sehr gut ge­lingt, nicht zu­letzt durch sei­ne poe­ti­sche Spra­che, ist die Ver­mitt­lung des den My­then in­ne­woh­nen­den Zau­bers und ih­rer iden­ti­täts­s­tif­ten­den Macht.

Der Ju­gend zur sitt­li­chen Er­bau­ung

Gu­stav Schwab sieht sich als wohl­wol­len­den Leh­rer und Pfar­rer, mit Zu­nei­gung zum Men­schen und ganz be­son­ders zur Ju­gend. Über die deut­schen Volks­sa­gen stellt er fest, dass sie vol­ler Poe­sie und Sitt­lich­keit sei­en und so­mit dem Ver­fall der Moral ent­ge­gen­wir­ken. Ähn­lich denkt er über die kraft­vol­len Epen Ho­mers, die frei­lich nicht das ver­kör­pern, was ein evan­ge­li­scher Pfar­rer un­ter »sitt­lich« ver­steht. Gleich­wohl will er die Ge­schich­ten nicht neu ver­fas­sen, son­dern sie für die Ju­gend auf­ar­bei­ten, die sich an Hel­den­sa­gen zwar er­bau­en kann, durch Hexa­me­ter aber, so Schwabs An­nah­me, wo­mög­lich über­for­dert ist. Zu­dem ver­tritt er die An­sicht, dass die My­then einen bei­läu­fig all­ge­mein­bil­den­den Ef­fekt be­sit­zen, hin­sicht­lich His­to­rie und Geo­gra­fie bei­spiels­wei­se. Der Au­tor will sei­ne christ­li­che Hal­tung nicht in den Vor­der­grund stel­len, den­noch macht er im Vor­wort der Ori­gi­nal­aus­ga­be dar­auf auf­merk­sam, dass das le­sen­de Kind von den El­tern auf die Über­le­gen­heit der ei­ge­nen Re­li­gi­on hin­ge­wie­sen wer­den sol­le. Sei­ne Auf­ga­be sieht Schwab in ei­ner mög­lichst wort­ge­treu­en Über­set­zung und im Strei­chen ero­ti­scher so­wie als zu ge­walt­tä­tig emp­fun­de­ner Pas­sa­gen. Ei­ni­ge My­then ent­fal­len des­halb voll­stän­dig, an­de­re – wie den Ödi­pus-My­thos – »ent­schärft« er le­dig­lich, weil er die Grund­aus­sa­ge als wert­voll er­ach­tet. Sei­ne Ab­sicht ist, jun­gen Le­sern die Wie­ge des eu­ro­päi­schen Den­kens und der abend­län­di­schen Li­te­ra­tur na­he­zu­brin­gen.

Wie gut ihm dies ge­lingt, be­zeugt die Tat­sa­che, dass seit­her Ge­ne­ra­tio­nen jun­ger Le­ser die grie­chi­schen My­then zu­min­dest aus­zugs­wei­se ken­nen, be­vor sie in der Schu­le die Voß’­sche Über­set­zung der »Ili­as« le­sen. Er­wach­se­ne, die kei­ne hö­he­re Bil­dung ge­nos­sen ha­ben, kön­nen eben­falls auf Schwabs ein­gän­gi­ge Über­set­zung zu­rück­grei­fen, wes­halb sie – be­zie­hungs­wei­se ihre mo­der­ne­re Fas­sung des Kin­der­buch­au­tors Jo­sef Gug­gen­mos – hier­zu­lan­de be­stim­mend für die volks­tüm­li­che Re­zep­ti­on klas­sisch-al­ter­tüm­li­cher My­then ist. So­wohl deutsch­spra­chi­ge Na­cher­zäh­lun­gen als auch er­wei­ter­te Be­ar­bei­tun­gen der grie­chi­schen Sa­gen und der »Aen­eis« fu­ßen auf Schwabs Werk so­wie auf den Über­set­zun­gen an­de­rer Alt­phi­lo­lo­gen. Die zahl­rei­chen ein­zel­nen Quel­len erst­mals in Be­zie­hung zu­ein­an­der ge­setzt zu ha­ben, ist – trotz der Lücken­haf­tig­keit der Samm­lung – das nicht zu über­schät­zen­de Ver­dienst Gu­stav Schwabs.

Erster Teil – Die kleineren Sagen

Erstes Buch

Prometheus

Him­mel und Erde wa­ren ge­schaf­fen: das Meer wog­te in sei­nen Ufern, und die Fi­sche spiel­ten dar­in; in den Lüf­ten san­gen be­flü­gelt die Vö­gel; der Erd­bo­den wim­mel­te von Tie­ren. Aber noch fehl­te es an dem Ge­schöp­fe, des­sen Leib so be­schaf­fen war, daß der Geist in ihm Woh­nung ma­chen und von ihm aus die Er­den­welt be­herr­schen konn­te. Da be­trat Pro­me­theus die Erde, ein Spröß­ling des al­ten Göt­ter­ge­schlech­tes, das Zeus ent­thront hat­te, ein Sohn des erd­ge­bor­nen Ura­nos­soh­nes Ia­pe­tos, klu­ger Er­fin­dung voll. Die­ser wuß­te wohl, daß im Erd­bo­den der Same des Him­mels schlumm­re; dar­um nahm er vom Tone, be­feuch­te­te den­sel­ben mit dem Was­ser des Flus­ses, kne­te­te ihn und form­te dar­aus ein Ge­bil­de nach dem Eben­bil­de der Göt­ter, der Her­ren der Welt. Die­sen sei­nen Er­denkloß zu be­le­ben, ent­lehn­te er al­lent­hal­ben von den Tier­see­len gute und böse Ei­gen­schaf­ten und schloß sie in die Brust des Men­schen ein. Un­ter den Himm­li­schen hat­te er eine Freun­din, Athe­ne, die Göt­tin der Weis­heit. Die­se be­wun­der­te die Schöp­fung des Ti­ta­nen­soh­nes und blies dem halb­be­seel­ten Bil­de den Geist, den gött­li­chen Atem ein.

So ent­stan­den die ers­ten Men­schen und füll­ten bald ver­viel­fäl­tigt die Erde. Lan­ge aber wuß­ten die­se nicht, wie sie sich ih­rer ed­len Glie­der und des emp­fan­ge­nen Göt­ter­fun­kens be­die­nen soll­ten. Se­hend sa­hen sie um­sonst, hör­ten hö­rend nicht; wie Traum­ge­stal­ten lie­fen sie um­her und wuß­ten sich der Schöp­fung nicht zu be­die­nen. Un­be­kannt war ih­nen die Kunst, Stei­ne aus­zu­gra­ben und zu be­hau­en, aus Lehm Zie­gel zu bren­nen, Bal­ken aus dem ge­fäll­ten Hol­ze des Wal­des zu zim­mern und mit al­lem die­sem sich Häu­ser zu er­bau­en. Un­ter der Erde, in son­nen­lo­sen Höh­len, wim­mel­te es von ih­nen, wie von be­weg­li­chen Amei­sen; nicht den Win­ter, nicht den blü­ten­vol­len Früh­ling, nicht den früch­te­rei­chen Som­mer kann­ten sie an si­che­ren Zei­chen; plan­los war al­les, was sie ver­rich­te­ten. Da nahm sich Pro­me­theus sei­ner Ge­schöp­fe an; er lehr­te sie den Auf- und Nie­der­gang der Gestir­ne be­ob­ach­ten, er­fand ih­nen die Kunst zu zäh­len, die Buch­sta­ben­schrift; lehr­te sie Tie­re ans Joch span­nen und zu Ge­nos­sen ih­rer Ar­beit brau­chen, ge­wöhn­te die Ros­se an Zü­gel und Wa­gen; er­fand Na­chen und Se­gel für die Schif­fahrt. Auch fürs üb­ri­ge Le­ben sorg­te er den Men­schen. Frü­her, wenn ei­ner krank wur­de, wuß­te er kein Mit­tel, nicht was von Spei­se und Trank ihm zu­träg­lich sei, kann­te kein Salb­öl zur Lin­de­rung sei­ner Schä­den; son­dern aus Man­gel an Arz­nei­en star­ben sie elen­dig­lich da­hin. Da­rum zeig­te ih­nen Pro­me­theus die Mi­schung mil­der Heil­mit­tel, al­ler­lei Krank­hei­ten da­mit zu ver­trei­ben. Dann lehr­te er sie die Wahr­sa­ger­kunst, deu­te­te ih­nen Vor­zei­chen und Träu­me, Vo­gel­flug und Op­fer­schau. Fer­ner führ­te er ih­ren Blick un­ter die Erde und ließ sie hier das Erz, das Ei­sen, das Sil­ber und das Gold ent­de­cken; kurz, in alle Be­quem­lich­kei­ten und Küns­te des Le­bens lei­te­te er sie ein.

Im Him­mel herrsch­te mit sei­nen Kin­dern seit kur­z­em Zeus, der sei­nen Va­ter Kro­nos ent­thront und das alte Göt­ter­ge­schlecht, von wel­chem auch Pro­me­theus ab­stamm­te ge­stürzt hat­te.

Jetzt wur­den die neu­en Göt­ter auf­merk­sam auf das eben ent­stan­de­ne Men­schen­volk. Sie ver­lang­ten Ver­eh­rung von ihm für den Schutz, wel­chen sie dem­sel­ben an­ge­dei­hen zu las­sen be­reit­wil­lig wa­ren. Zu Me­ko­ne in Grie­chen­land ward ein Tag ge­hal­ten zwi­schen Sterb­li­chen und Uns­terb­li­chen, und Rech­te und Pf­lich­ten der Men­schen be­stimmt. Bei die­ser Ver­samm­lung er­schi­en Pro­me­theus als An­walt sei­ner Men­schen, da­für zu sor­gen, daß die Göt­ter für die über­nom­me­nen Schut­zäm­ter den Sterb­li­chen nicht all­zu läs­ti­ge Ge­büh­ren auf­er­le­gen möch­ten. Da ver­führ­te den Ti­ta­nen­sohn sei­ne Klug­heit, die Göt­ter zu be­trü­gen. Er schlach­te­te im Na­men sei­ner Ge­schöp­fe einen großen Stier, da­von soll­ten die Himm­li­schen wäh­len, was sie für sich da­von ver­lang­ten. Er hat­te aber nach Zer­stücke­lung des Op­fer­tie­res zwei Hau­fen ge­macht; auf die eine Sei­te leg­te er das Fleisch, das Ein­ge­wei­de und den Speck, in die Haut des Stie­res zu­sam­men­ge­faßt, und den Ma­gen oben dar­auf, auf die an­de­re die kah­len Kno­chen, künst­lich in das Un­schlitt des Schlachtop­fers ein­gehüllt. Und die­ser Hau­fen war der grö­ße­re. Zeus, der Göt­ter­va­ter, der all­wis­sen­de, durch­schau­te sei­nen Be­trug und sprach: »Sohn des Ia­pe­tos, er­lauch­ter Kö­nig, gu­ter Freund, wie un­gleich hast du die Tei­le ge­teilt!« Pro­me­theus glaub­te jetzt erst recht, daß er ihn be­tro­gen, lä­chel­te bei sich selbst und sprach: »Er­lauch­ter Zeus, größ­ter der ewi­gen Göt­ter, wäh­le den Teil, den dir dein Herz im Bu­sen an­rät zu wäh­len.« Zeus er­grimm­te im Her­zen, aber ge­flis­sent­lich faß­te er mit bei­den Hän­den das wei­ße Un­schlitt. Als er es nun aus­ein­an­der­ge­drückt und die blo­ßen Kno­chen ge­wahr­te, stell­te er sich an, als ent­deck­te er jetzt eben erst den Be­trug, und zor­nig sprach er: »Ich sehe wohl, Freund Ia­pe­tio­ni­de, daß du die Kunst des Tru­ges noch nicht ver­lernt hast!«

Zeus be­schloß, sich an Pro­me­theus für sei­nen Be­trug zu rä­chen, und ver­sag­te den Sterb­li­chen die letz­te Gabe, die sie zur vollen­de­te­ren Ge­sit­tung be­durf­ten, das Feu­er. Doch auch da­für wuß­te der schlaue Sohn des Ia­pe­tos Rat. Er nahm den lan­gen Sten­gel des mar­ki­gen Rie­sen­fen­chels, nä­her­te sich mit ihm dem vor­über­fah­ren­den Son­nen­wa­gen und setz­te so den Sten­gel in glos­ten­den Brand. Mit die­sem Feu­er­zun­der kam er her­nie­der auf die Erde, und bald lo­der­te der ers­te Holz­stoß gen Him­mel. In in­ners­ter See­le schmerz­te es den Don­ne­rer, als er den fern­hin­leuch­ten­den Glanz des Feu­ers un­ter den Men­schen em­por­stei­gen sah. So­fort form­te er, da des Feu­ers Ge­brauch den Sterb­li­chen nicht mehr zu neh­men war, ein neu­es Übel für sie. Der sei­ner Kunst we­gen be­rühm­te Feu­er­gott He­phai­stos muß­te ihm das Schein­bild ei­ner schö­nen Jung­frau fer­ti­gen; Athe­ne selbst, die, auf Pro­me­theus ei­fer­süch­tig, ihm ab­hold ge­wor­den war, warf dem Bild ein wei­ßes, schim­mern­des Ge­wand über, ließ ihr einen Schlei­er über das Ge­sicht wal­len, den das Mäd­chen mit den Hän­den ge­teilt hielt, be­kränz­te ihr Haupt mit fri­schen Blu­men und um­schlang es mit ei­ner gol­de­nen Bin­de, die gleich­falls He­phai­stos sei­nem Va­ter zu­lieb kunst­reich ver­fer­tigt und mit bun­ten Tier­ge­stal­ten herr­lich ver­ziert hat­te. Her­mes, der Göt­ter­bo­te, muß­te dem hol­den Ge­bil­de Spra­che ver­lei­hen und Aphro­di­te al­len Lieb­reiz. Also hat­te Zeus un­ter der Ge­stalt ei­nes Gu­tes ein blen­den­des Übel ge­schaf­fen; er nann­te das Mägd­lein Pan­do­ra, das heißt die All­be­schenk­te, denn je­der der Uns­terb­li­chen hat­te ihr ir­gend­ein un­heil­brin­gen­des Ge­schenk für die Men­schen mit­ge­ge­ben.

Da­rauf führ­te er die Jung­frau her­nie­der auf die Erde, wo Sterb­li­che ver­mischt mit den Göt­tern lust­wan­del­ten. Alle mit­ein­an­der be­wun­der­ten die un­ver­gleich­li­che Ge­stalt. Sie aber schritt zu Epi­me­theus, dem arg­lo­se­ren Bru­der des Pro­me­theus, ihm das Ge­schenk des Zeus zu brin­gen. Ver­ge­bens hat­te die­sen der Bru­der ge­warnt, nie­mals ein Ge­schenk vom olym­pi­schen Herr­scher an­zu­neh­men, da­mit dem Men­schen kein Leid da­durch wi­der­füh­re, son­dern es so­fort zu­rück­zu­sen­den.

Epi­me­theus, die­ses Wor­tes un­ein­ge­denk, nahm die schö­ne Jung­frau mit Freu­den auf und emp­fand das Übel erst, als er es hat­te. Denn bis­her leb­ten die Ge­schlech­ter der Men­schen, von sei­nem Bru­der be­ra­ten, frei vom Übel, ohne be­schwer­li­che Ar­beit, ohne quä­len­de Krank­heit. Das Weib aber trug in den Hän­den ihr Ge­schenk, ein großes Ge­fäß mit ei­nem De­ckel ver­se­hen.

Kaum bei Epi­me­theus an­ge­kom­men, schlug sie den De­ckel zu­rück, und als­bald ent­flog dem Ge­fäße eine Schar von Übeln und ver­brei­te­te sich mit Blit­zes­schnel­le über die Erde.

Ein ein­zi­ges Gut war zu­un­terst in dem Fas­se ver­bor­gen, die Hoff­nung; aber auf den Rat des Göt­ter­va­ters warf Pan­do­ra den De­ckel wie­der zu, ehe sie her­aus­flat­tern konn­te, und ver­schloß sie für im­mer in dem Ge­fäß.

Das Elend füll­te in­zwi­schen in al­len Ge­stal­ten Erde, Luft und Meer. Die Krank­hei­ten irr­ten bei Tag und bei Nacht un­ter den Men­schen um­her, heim­lich und schwei­gend, denn Zeus hat­te ih­nen kei­ne Stim­me ge­ge­ben; eine Schar von Fie­bern hielt die Erde be­la­gert, und der Tod, frü­her nur lang­sam die Sterb­li­chen be­schlei­chend, be­flü­gel­te sei­nen Schritt.

Da­rauf wand­te sich Zeus mit sei­ner Ra­che ge­gen Pro­me­theus. Er übergab den Ver­bre­cher dem He­phai­stos und sei­nen Die­nern, dem Kra­tos und der Bia (dem Zwang und der Ge­walt). Die­se muß­ten ihn in die sky­thi­schen Ein­öden schlep­pen und hier, über ei­nem schau­der­haf­ten Ab­grund, an eine Fels­wand des Ber­ges Kau­ka­sus mit un­auf­lös­li­chen Ket­ten schmie­den. Un­ger­ne voll­zog He­phai­stos den Auf­trag sei­nes Va­ters, er lieb­te in dem Ti­ta­nen­soh­ne den ver­wand­ten Ab­kömm­ling sei­nes Ur­groß­va­ters Ura­nos, den eben­bür­ti­gen Göt­ter­spröß­ling. Un­ter mit­leids­vol­len Wor­ten und von den ro­he­ren Knech­ten ge­schol­ten, ließ er die­se das grau­sa­me Werk voll­brin­gen. So muß­te nun Pro­me­theus an der freud­lo­sen Klip­pe hän­gen, auf­recht, schlaf­los, nie­mals im­stan­de, das müde Knie zu beu­gen. »Vie­le ver­geb­li­che Kla­gen und Seuf­zer wirst du ver­sen­den«, sag­te He­phai­stos zu ihm, »denn des Zeus Sinn ist un­er­bitt­lich, und alle, die erst seit kur­z­em die Herr­scher­ge­walt an sich ge­ris­sen,1 sind hart­her­zig.« Wirk­lich soll­te auch die Qual des Ge­fan­ge­nen ewig oder doch drei­ßig­tau­send Jah­re dau­ern. Ob­wohl laut auf­seuf­zend und Win­de, Strö­me, Quel­len und Mee­res­wel­len, die All­mut­ter Erde und den all­schau­en­den Son­nen­kreis zu Zeu­gen sei­ner Pein auf­ru­fend, blieb er doch un­ge­beug­ten Sin­nes. »Was das Schick­sal be­schlos­sen hat«, sprach er, »muß der­je­ni­ge tra­gen, der die un­be­zwing­li­che Ge­walt der Not­wen­dig­keit ein­se­hen ge­lernt hat.« Auch ließ er sich durch kei­ne Dro­hun­gen des Zeus be­we­gen, die dunkle Weis­sa­gung, daß dem Göt­ter­herr­scher durch einen neu­en Ehe­bund mit der The­tis Ver­der­ben und Un­ter­gang be­vor­ste­he, nä­her aus­zu­deu­ten. Zeus hielt Wort; er sand­te dem Ge­fes­sel­ten einen Ad­ler, der als täg­li­cher Gast an sei­ner Le­ber zeh­ren durf­te, die sich, ab­ge­wei­det, im­mer wie­der er­neu­er­te. Die­se Qual soll­te nicht eher auf­hö­ren, bis ein Er­satz­mann er­schei­nen wür­de, der durch frei­wil­li­ge Über­nah­me des To­des ge­wis­ser­ma­ßen sein Stell­ver­tre­ter zu wer­den sich er­bö­te.

Je­ner Zeit­punkt er­schi­en frü­her, als der Ver­ur­teil­te nach dem Spruch des Göt­ter­va­ters er­war­ten durf­te. Als er vie­le Jah­re an dem Fel­sen ge­han­gen, kam Hera­kles des We­ges, auf der Fahrt nach den He­s­pe­ri­den und ih­ren Äp­feln be­grif­fen. Wie er den Göt­te­ren­kel am Kau­ka­sus hän­gen sah und sich sei­nes gu­ten Ra­tes zu er­freu­en hoff­te, er­barm­te ihn sein Ge­schick, denn er sah zu, wie der Ad­ler, auf den Kni­en des Pro­me­theus sit­zend, an der Le­ber des Un­glück­li­chen fraß. Da leg­te er Keu­le und Lö­wen­haut hin­ter sich, spann­te den Bo­gen, ent­sand­te den Pfeil und schoß den grau­sa­men Vo­gel von der Le­ber des Ge­quäl­ten hin­weg. Hier­auf lös­te er sei­ne Fes­seln und führ­te den Be­frei­ten mit sich da­von. Da­mit aber Zeus’ Be­din­gung er­füllt wür­de, stell­te er ihm als Er­satz­mann den Zen­tau­ren Chi­ron, der er­bö­tig war, an je­nes Statt zu ster­ben; denn vor­her war er un­s­terb­lich. Auf daß je­doch des Kro­ni­den Ur­teil, der den Pro­me­theus auf weit län­ge­re Zeit an den Fel­sen ge­spro­chen hat­te, auch so nicht un­voll­zo­gen blie­be, so muß­te Pro­me­theus fort­wäh­rend einen ei­ser­nen Ring tra­gen, an wel­chem sich ein Stein­chen von je­nem Kau­ka­sus­fel­sen be­fand. So konn­te sich Zeus rüh­men, daß sein Feind noch im­mer an den Kau­ka­sus an­ge­schmie­det lebe.

Zeus hat­te den Kro­nos (Sa­turn), sei­nen Va­ter, und mit ihm die al­ten Göt­terdy­nas­tie ge­stürzt und sich des Olym­ps mit Ge­walt be­mäch­tigt. Ia­pe­tos und Kro­nos wa­ren Brü­der, Pro­me­theus und Zeus Ge­schwis­ter­kin­der.  <<<

Die Menschenalter

(Die­se Sage ist un­ab­hän­gig von der vo­ri­gen und stimmt nicht mit ihr über­ein.)

Die ers­ten Men­schen, wel­che die Göt­ter schu­fen, wa­ren ein gol­de­nes Ge­schlecht. Die­se leb­ten, so­lan­ge Kro­nos (Sa­tur­nus) dem Him­mel vor­stand, sor­gen­los und den Göt­tern selbst ähn­lich, von Ar­beit und Kum­mer ent­fernt. Auch die Lei­den des Al­ters wa­ren ih­nen un­be­kannt; an Hän­den, Fü­ßen und al­len Glie­dern im­mer rüs­tig, freu­ten sie sich, von jeg­li­chem Übel frei, hei­te­rer Ge­la­ge. Die se­li­gen Göt­ter hat­ten sie lieb und schenk­ten ih­nen auf rei­chen Flu­ren statt­li­che Her­den. Wenn sie ver­schei­den soll­ten, san­ken sie nur in sanf­ten Schlaf. So­lan­ge sie aber leb­ten, hat­ten sie alle mög­li­chen Gü­ter; das Erd­reich ge­währ­te ih­nen alle Früch­te von selbst und im Über­flus­se, und ru­hig, mit al­len Gü­tern ge­seg­net, voll­brach­ten sie ihr Ta­ge­werk. Nach­dem je­nes Ge­schlecht dem Be­schlus­se des Schick­sals zu­fol­ge von der Erde ver­schwun­den war, wur­den sie zu from­men Schutz­göt­tern, wel­che, dicht in Ne­bel gehüllt, die Erde rings durch­wan­del­ten, als Ge­ber al­les Gu­ten, Be­hü­ter des Rechts und Rä­cher al­ler Ver­ge­hun­gen.

Hier­auf schu­fen die Uns­terb­li­chen ein zwei­tes Men­schen­ge­schlecht, das sil­ber­ne; die­ses war schon weit von je­nem ab­ge­ar­tet und glich ihm we­der an Kör­per­ge­stal­tung noch an Ge­sin­nung. Son­dern gan­ze hun­dert Jah­re wuchs der ver­zär­tel­te Kna­be noch un­mün­dig an Geist un­ter der müt­ter­li­chen Pfle­ge im El­tern­hau­se auf, und wenn ei­ner end­lich zum Jüng­lings­al­ter her­an­ge­reift war, so blieb ihm nur noch kur­ze Frist zum Le­ben üb­rig. Un­ver­nünf­ti­ge Hand­lun­gen stürz­ten die­se neu­en Men­schen in Jam­mer; denn sie konn­ten schon ihre Lei­den­schaf­ten nicht mehr mä­ßi­gen und fre­vel­ten im Über­mu­te ge­gen­ein­an­der. Auch die Al­tä­re der Göt­ter woll­ten sie nicht mehr mit den ge­büh­ren­den Op­fern eh­ren. Des­we­gen nahm Zeus die­ses Ge­schlecht wie­der von der Erde hin­weg; denn ihm ge­fiel nicht, daß sie der Ehr­furcht ge­gen die Uns­terb­li­chen er­man­gel­ten. Doch wa­ren auch die­se noch nicht so ent­blö­ßt von Vor­zü­gen, daß ih­nen nach ih­rer Ent­fer­nung aus dem Le­ben nicht ei­ni­ge Ehre zum An­teil ge­wor­den wäre, und sie durf­ten als sterb­li­che Dä­mo­nen noch auf der Erde um­her­wan­deln.

Nun er­schuf der Va­ter Zeus ein drit­tes Ge­schlecht von Men­schen; das hieß das eher­ne. Das war auch dem sil­ber­nen völ­lig un­gleich, grau­sam, ge­walt­tä­tig, im­mer nur den Ge­schäf­ten des Krie­ges er­ge­ben, im­mer ei­ner auf des an­dern Be­lei­di­gung sin­nend. Sie ver­schmäh­ten es, von den Früch­ten des Fel­des zu es­sen, und nähr­ten sich vom Tier­flei­sche; ihr Starr­sinn war hart wie Dia­mant, ihr Leib von un­ge­heu­rem Glie­der­bau; Arme wuch­sen ih­nen von den Schul­tern, de­nen nie­mand na­he­kom­men durf­te. Ihre Wehr war Erz, ihre Woh­nung Erz, mit Erz be­stell­ten sie das Feld; denn Ei­sen war da­mals noch nicht vor­han­den. Sie kehr­ten ihre ei­ge­nen Hän­de ge­gen­ein­an­der; aber so groß und ent­setz­lich sie wa­ren, so ver­moch­ten sie doch nichts ge­gen den schwar­zen Tod und stie­gen, vom hel­len Son­nen­lich­te schei­dend, in die schau­ri­ge Nacht der Un­ter­welt her­nie­der.

Als die Erde auch die­ses Ge­schlecht ein­gehüllt hat­te, brach­te Zeus, der Sohn des Kro­nos, ein vier­tes Ge­schlecht her­vor, das auf der näh­ren­den Erde woh­nen soll­te. Dies war wie­der ed­ler und ge­rech­ter als das vo­ri­ge. Es war das Ge­schlecht der gött­li­chen Hero­en, wel­che die Vor­welt auch Halb­göt­ter ge­nannt hat. Zu­letzt ver­tilg­te aber auch sie Zwie­tracht und Krieg, die einen vor den sie­ben To­ren The­bens, wo sie um das Reich des Kö­ni­ges Ödi­pus kämpf­ten, die an­dern auf dem Ge­fil­de Tro­jas, wo­hin sie um der schö­nen He­le­na wil­len zahl­los auf Schif­fen ge­kom­men wa­ren. Als die­se ihr Er­den­le­ben in Kampf und Not be­schlos­sen hat­ten, ord­ne­te ih­nen der Va­ter Zeus ih­ren Sitz am Ran­de des Wel­talls an, im Ozean, auf den In­seln der Se­li­gen. Dort füh­ren sie nach dem Tode ein glück­li­ches und sor­gen­frei­es Le­ben, wo ih­nen der frucht­ba­re Bo­den drei­mal im Jahr ho­nig­sü­ße Früch­te zum Lab­sal em­por­sen­det.

»Ach wäre ich«, so seuf­zet der alte Dich­ter He­siod, der die­se Sage von den Men­schen­al­tern er­zählt, »wäre ich doch nicht ein Ge­nos­se des fünf­ten Men­schen­ge­schlech­tes, das jetzt ge­kom­men ist; wäre ich frü­her ge­stor­ben oder spä­ter ge­bo­ren! denn die­ses Men­schen­ge­schlecht ist ein ei­ser­nes! Gänz­lich ver­derbt, ru­hen die­se Men­schen we­der bei Tage noch bei Nacht von Küm­mer­nis und Be­schwer­den; im­mer neue na­gen­de Sor­gen schi­cken ih­nen die Göt­ter. Sie selbst aber sind die größ­te Pla­ge. Der Va­ter ist dem Soh­ne, der Sohn dem Va­ter nicht hold; der Gast haßt den ihn be­wir­ten­den Freund, der Ge­nos­se den Ge­nos­sen; auch un­ter Brü­dern herrscht nicht mehr herz­li­che Lie­be wie vor­zei­ten. Dem grau­en Haa­re der El­tern selbst wird die Ehr­furcht ver­sagt, Schmach­re­den wer­den ge­gen sie aus­ge­sto­ßen, Miß­hand­lun­gen müs­sen sie er­dul­den. Ihr grau­sa­men Men­schen, den­ket ihr denn gar nicht an das Göt­ter­ge­richt, daß ihr eu­ren ab­ge­leb­ten El­tern den Dank für ihre Pfle­ge nicht er­stat­ten wol­let? Über­all gilt nur das Fau­st­recht; auf Städ­te­ver­wüs­tung sin­nen sie ge­gen­ein­an­der. Nicht der­je­ni­ge wird be­güns­tigt, der die Wahr­heit schwört, der ge­recht und gut ist, nein, nur den Übel­tä­ter, den schnö­den Frev­ler eh­ren sie; Recht und Mä­ßi­gung gilt nichts mehr, der Böse darf den Ed­le­ren ver­let­zen, trü­ge­ri­sche, krum­me Wor­te spre­chen, Fal­sches be­schwö­ren. Des­we­gen sind die­se Men­schen auch so un­glück­lich. Scha­den­fro­he, miß­lau­ni­ge Scheel­sucht ver­folgt sie und grollt ih­nen mit dem nei­di­schen Ant­litz ent­ge­gen. Die Göt­tin­nen der Scham und der hei­li­gen Scheu, wel­che sich bis­her doch noch auf der Erde hat­ten bli­cken las­sen, ver­hül­len trau­rig ih­ren schö­nen Leib in das wei­ße Ge­wand und ver­las­sen die Men­schen, um sich wie­der in die Ver­samm­lung der ewi­gen Göt­ter zu­rück­zu­flüch­ten. Un­ter den sterb­li­chen Men­schen blieb nichts als das trau­ri­ge Elend zu­rück, und kei­ne Ret­tung von die­sem Un­heil ist zu er­war­ten.«

Deukalion und Pyrrha

Als das eher­ne Men­schen­ge­schlecht auf Er­den haus­te und Zeus, dem Welt­be­herr­scher, schlim­me Sage von sei­nen Fre­veln zu Ohren ge­kom­men, be­schloß er, selbst in mensch­li­cher Bil­dung die Erde zu durch­strei­fen. Aber al­lent­hal­ben fand er das Gerücht noch ge­rin­ger als die Wahr­heit. Ei­nes Abends in spä­ter Däm­me­rung trat er un­ter das un­gast­li­che Ob­dach des Ar­ka­dier­kö­nigs Ly­kaon, wel­cher durch Wild­heit be­rüch­tigt war. Er ließ durch ei­ni­ge Wun­der­zei­chen mer­ken, daß ein Gott ge­kom­men sei; und die Men­ge hat­te sich auf die Knie ge­wor­fen. Ly­kaon je­doch spot­te­te über die­se from­men Ge­be­te. »Laßt uns se­hen«, sprach er, »ob es ein Sterb­li­cher oder ein Gott sei!« Da­mit be­schloß er im Her­zen, den Gast um Mit­ter­nacht, wenn der Schlum­mer auf ihm las­te­te, mit un­ge­ahn­tem Tode zu ver­der­ben. Noch vor­her aber schlach­te­te er einen ar­men Gei­sel, den ihm das Volk der Mo­los­ser ge­sandt hat­te, koch­te die halb le­ben­di­gen Glie­der in sie­den­dem Was­ser oder briet sie am Feu­er und setz­te sie dem Fremd­ling zum Nacht­mah­le auf den Tisch. Zeus, der al­les durch­schaut hat­te, fuhr vom Mah­le em­por und sand­te die rä­chen­de Flam­me über die Burg des Gott­lo­sen. Be­stürzt ent­floh der Kö­nig ins freie Feld. Der ers­te Wehl­aut, den er aus­stieß, war ein Ge­heul, sein Ge­wand wur­de zu Zot­teln, sei­ne Arme wur­den zu Bei­nen: er war in einen blut­dürs­ti­gen Wolf ver­wan­delt.

Zeus kehr­te in den Olymp zu­rück, hielt mit den Göt­tern Rat und ge­dach­te das ruch­lo­se Men­schen­ge­schlecht zu ver­til­gen. Schon woll­te er auf alle Län­der die Blit­ze ver­streu­en; aber die Furcht, der Äther möch­te in Flam­men ge­ra­ten und die Ach­se des Wel­talls ver­lo­dern, hielt ihn ab. Er leg­te die Don­ner­kei­le, wel­che ihm die Zy­klo­pen ge­schmie­det, wie­der bei­sei­te und be­schloß, über die gan­ze Erde Platz­re­gen vom Him­mel zu sen­den und so un­ter Wol­ken­güs­sen die Sterb­li­chen auf­zu­rei­ben. Auf der Stel­le ward der Nord­wind samt al­len and­ren die Wol­ken ver­scheu­chen­den Win­den in die Höh­len des Äo­los ver­schlos­sen und nur der Süd­wind von ihm aus­ge­sen­det. Die­ser flog mit trie­fen­den Schwin­gen zur Erde hin­ab, sein ent­setz­li­ches Ant­litz be­deck­te pech­schwar­zes Dun­kel, sein Bart war schwer von Ge­wölk, von sei­nem wei­ßen Haupt­haa­re rann die Flut, Ne­bel la­ger­ten auf der Stir­ne, aus dem Bu­sen troff ihm das Was­ser. Der Süd­wind griff an den Him­mel, faß­te mit der Hand die weit um­her­han­gen­den Wol­ken und fing an, sie aus­zu­pres­sen. Der Don­ner roll­te, ge­dräng­te Re­gen­flut stürz­te vom Him­mel; die Saat beug­te sich un­ter dem wo­gen­den Sturm, dar­nie­der lag die Hoff­nung des Land­manns, ver­dor­ben war die lang­wie­ri­ge Ar­beit des gan­zen Jah­res. Auch Po­sei­don, des Zeus Bru­der, kam ihm bei dem Zer­stö­rungs­wer­ke zu Hil­fe, be­rief alle Flüs­se zu­sam­men und sprach: »Laßt eu­ren Strö­mun­gen alle Zü­gel schie­ßen, fallt in die Häu­ser, durch­bre­chet die Däm­me!« Sie voll­führ­ten sei­nen Be­fehl, und Po­sei­don selbst durch­stach mit sei­nem Drei­zack das Erd­reich und schaff­te durch Er­schüt­te­rung den Flu­ten Ein­gang. So ström­ten die Flüs­se über die of­fe­ne Flur hin, be­deck­ten die Fel­der, ris­sen Baum­pflan­zun­gen, Tem­pel und Häu­ser fort. Blieb auch wo ein Palast ste­hen, so deck­te doch bald das Was­ser sei­nen Gie­bel, und die höchs­ten Tür­me ver­bar­gen sich im Stru­del. Meer und Erde wa­ren bald nicht mehr un­ter­schie­den; al­les war See, ge­sta­de­lo­se See. Die Men­schen such­ten sich zu ret­ten, so gut sie konn­ten; der eine er­klet­ter­te den höchs­ten Berg, der an­de­re be­stieg einen Kahn und ru­der­te nun über das Dach sei­nes ver­sun­ke­nen Land­hau­ses oder über die Hü­gel sei­ner Wein­pflan­zun­gen hin, daß der Kiel an ih­nen streif­te. In den Äs­ten der Wäl­der ar­bei­te­ten sich die Fi­sche ab; den Eber, den ei­len­den Hirsch er­jag­te die Flut; gan­ze Völ­ker wur­den vom Was­ser hin­weg­ge­rafft, und was die Welt ver­schon­te, starb den Hun­ger­tod auf den un­be­bau­ten Hei­de­gip­feln.

Ein sol­cher ho­her Berg rag­te noch mit zwei Spit­zen im Lan­de Pho­kis über die al­les be­de­cken­de Meer­flut her­vor. Es war der Par­nas­sos. An ihm schwamm Deu­ka­li­on, des Pro­me­theus Sohn, den die­ser ge­warnt und ihm ein Schiff er­baut hat­te, mit sei­ner Gat­tin Pyr­rha im Na­chen her­an. Kein Mann, kein Weib war je er­fun­den wor­den, die an Recht­schaf­fen­heit und Göt­ter­scheu die­se bei­den über­trof­fen hät­ten. Als nun Zeus, vom Him­mel her­ab­schau­end, die Welt von ste­hen­den Sümp­fen über­schwemmt und von den vie­len tau­send­mal Tau­sen­den nur ein ein­zi­ges Men­schen­paar üb­rig sah, bei­de un­sträf­lich, bei­de an­däch­ti­ge Ver­eh­rer der Gott­heit, da sand­te er den Nord­wind aus, spreng­te die schwar­zen Wol­ken und hieß ihn die Ne­bel ent­füh­ren; er zeig­te den Him­mel der Erde und die Erde dem Him­mel wie­der. Auch Po­sei­don, der Mee­res­fürst, leg­te den Drei­zack nie­der und be­sänf­tig­te die Flut. Das Meer er­hielt wie­der Ufer, die Flüs­se kehr­ten in ihr Bett zu­rück; Wäl­der streck­ten ihre mit Schlamm be­deck­ten Baum­wip­fel aus der Tie­fe her­vor, Hü­gel folg­ten, end­lich brei­te­te sich auch wie­der ebe­nes Land aus, und zu­letzt war die Erde wie­der da.

Deu­ka­li­on blick­te um sich. Das Land war ver­wüs­tet und in Gra­bes­s­til­le ver­senkt. Trä­nen roll­ten bei die­sem An­blick über sei­ne Wan­gen, und er sprach zu sei­nem Wei­be Pyr­rha: »Ge­lieb­te, ein­zi­ge Le­bens­ge­nos­sin! So­weit ich in die Län­der schaue, nach al­len Welt­ge­gen­den hin, kann ich kei­ne le­ben­de See­le ent­de­cken. Wir zwei bil­den mit­ein­an­der das Volk der Erde, alle and­ren sind in der Was­ser­flut un­ter­ge­gan­gen. Aber auch wir sind uns­res Le­bens noch nicht mit Ge­wiß­heit si­cher. Jede Wol­ke, die ich sehe, er­schreckt mei­ne See­le noch. Und wenn auch alle Ge­fahr vor­über ist, was fan­gen wir Ein­sa­men auf der ver­las­se­nen Erde an? Ach, daß mich mein Va­ter Pro­me­theus die Kunst ge­lehrt hät­te, Men­schen zu er­schaf­fen und ge­form­tem Tone Geist ein­zu­gie­ßen!« So sprach er, und das ver­las­se­ne Paar fing an zu wei­nen; dann war­fen sie vor ei­nem halb zer­stör­ten Al­tar der Göt­tin The­mis sich auf die Knie nie­der und be­gan­nen zu der Himm­li­schen zu fle­hen: »Sag uns an, o Göt­tin, durch wel­che Kunst stel­len wir un­ser un­ter­ge­gan­ge­nes Men­schen­ge­schlecht wie­der her? O hilf der ver­sun­ke­nen Welt wie­der zum Le­ben!«

»Ver­las­set mei­nen Al­tar«, tön­te die Stim­me der Göt­tin, »um­schlei­ert euer Haupt, lö­set eure ge­gür­te­ten Glie­der und wer­fet die Ge­bei­ne eu­rer Mut­ter hin­ter den Rücken.«

Lan­ge ver­wun­der­ten sich bei­de über die­sen rät­sel­haf­ten Göt­ter­spruch. Pyr­rha brach zu­erst das Schwei­gen. »Ver­zeih mir, hohe Göt­tin«, sprach sie, »wenn ich zu­sam­men­schaud­re, wenn ich dir nicht ge­hor­sa­me und mei­ner Mut­ter Schat­ten nicht durch Zer­streu­ung ih­rer Ge­bei­ne krän­ken will!« Aber dem Deu­ka­li­on fuhr es durch den Geist wie ein Licht­strahl. Er be­ru­hig­te sei­ne Gat­tin mit dem freund­li­chen Wor­te: »Ent­we­der trügt mich mein Scharf­sinn, oder die Wor­te der Göt­ter sind fromm und ver­ber­gen kei­nen Fre­vel! Un­se­re große Mut­ter, das ist die Erde, ihre Kno­chen sind die Stei­ne; und die­se, Pyr­rha, sol­len wir hin­ter uns wer­fen!«

Bei­de miß­trau­ten in­des­sen die­ser Deu­tung noch lan­ge. Je­doch, was scha­det die Pro­be, dach­ten sie. So gin­gen sie denn seit­wärts, ver­hüll­ten ihr Haupt, ent­gür­te­ten ihre Klei­der und war­fen, wie ih­nen be­foh­len war, die Stei­ne hin­ter sich. Da er­eig­ne­te sich ein großes Wun­der: das Ge­stein be­gann sei­ne Här­tig­keit und Sprö­de ab­zu­le­gen, wur­de ge­schmei­dig, wuchs, ge­wann eine Ge­stalt; mensch­li­che For­men tra­ten an ihm her­vor, doch noch nicht deut­lich, son­dern ro­hen Ge­bil­den oder ei­ner in Mar­mor vom Künst­ler erst aus dem Gro­ben her­aus­ge­mei­ßel­ten Fi­gur ähn­lich. Was je­doch an den Stei­nen Feuch­tes oder Er­dich­tes war, das wur­de zu Fleisch an dem Kör­per; das Un­beug­sa­me, Fes­te ward in Kno­chen ver­wan­delt; das Ge­äder in den Stei­nen blieb Ge­äder. So ge­wan­nen mit Hil­fe der Göt­ter in kur­z­er Frist die vom Man­ne ge­wor­fe­nen Stei­ne männ­li­che Bil­dung, die vom Wei­be ge­wor­fe­nen weib­li­che.

Die­sen sei­nen Ur­sprung ver­leug­net das mensch­li­che Ge­schlecht nicht, es ist ein har­tes Ge­schlecht und taug­lich zur Ar­beit. Je­den Au­gen­blick er­in­nert es dar­an, aus wel­chem Stamm es er­wach­sen ist.

Io

Inachos, der ur­al­te Stamm­fürst und Kö­nig der Pe­las­ger, hat­te eine bild­schö­ne Toch­ter mit Na­men Io. Auf sie war der Blick des Zeus, des olym­pi­schen Herr­schers, ge­fal­len, als sie auf der Wie­se von Ler­na der Her­den ih­res Va­ters pfleg­te. Der Gott ward von Lie­be zu ihr ent­zün­det, trat zu ihr in Men­schen­ge­stalt und fing an, sie mit ver­füh­re­ri­schen Schmei­chel­wor­ten zu ver­su­chen: »O Jung­frau, glück­lich ist, der dich be­sit­zen wird; doch ist kein Sterb­li­cher dei­ner wert, und du ver­dien­test des höchs­ten Got­tes Braut zu sein! Wis­se denn, ich bin Zeus. Flie­he nicht vor mir. Die Hit­ze des Mit­tags brennt heiß. Tritt mit mir in den Schat­ten des er­ha­be­nen Hai­nes, der uns dort zur Lin­ken in sei­ne Küh­le ein­lädt; was machst du dir in der Glut des Ta­ges zu schaf­fen? Fürch­te dich doch nicht, den dunklen Wald und die Schluch­ten, in wel­chen das Wild hau­set, zu be­tre­ten. Bin doch ich da, dich zu schir­men, der Gott, der den Zep­ter des Him­mels führt und die za­cki­gen Blit­ze über den Erd­bo­den ver­sen­det.« Aber die Jung­frau floh vor dem Ver­su­cher mit ei­li­gen Schrit­ten, und sie wäre ihm auf den Flü­geln der Angst ent­kom­men, wenn der ver­fol­gen­de Gott sei­ne Macht nicht miß­braucht und das gan­ze Land in Fins­ter­nis gehüllt hät­te. Rings um­qualm­te die Flie­hen­de der Ne­bel, und bald wa­ren ihre Schrit­te ge­hemmt durch die Furcht, an einen Fel­sen zu ren­nen oder in einen Fluß zu stür­zen. So kam die un­glück­li­che Io in die Ge­walt des Got­tes.

Hera, die Göt­ter­mut­ter, war längst an die Treu­lo­sig­keit ih­res Gat­ten ge­wöhnt, der sich von ih­rer Lie­be ab- und den Töch­tern der Halb­göt­ter und der Sterb­li­chen zu­wand­te; aber sie ver­moch­te ih­ren Zorn und ihre Ei­fer­sucht nicht zu bän­di­gen, und mit im­mer wa­chem Miß­trau­en be­ob­ach­te­te sie alle Schrit­te des Got­tes auf der Erde. So schau­te sie auch jetzt ge­ra­de auf die Ge­gen­den her­nie­der, wo ihr Ge­mahl ohne ihr Wis­sen wan­del­te. Zu ih­rem großen Er­stau­nen be­merk­te sie plötz­lich, wie der hei­te­re Tag auf ei­ner Stel­le durch nächt­li­chen Ne­bel ge­trübt wur­de und wie die­ser we­der ei­nem Stro­me noch dem duns­ti­gen Bo­den ent­stei­ge, noch sonst von ei­ner na­tür­li­chen Ur­sa­che her­rüh­re. Da kam ihr schnell ein Ge­dan­ke an die Un­treue ih­res Gat­ten; sie späh­te rings durch den Olymp und sah ihn nicht. »Ent­we­der ich täu­sche mich«, sprach sie er­grimmt zu sich selbst, »oder ich wer­de von mei­nem Gat­ten schnö­de ge­kränkt!« Und nun fuhr sie auf ei­ner Wol­ke vom ho­hen Äther zur Erde her­nie­der und ge­bot dem Ne­bel, der den Ent­füh­rer mit sei­ner Beu­te um­schlos­sen hielt, zu wei­chen. Zeus hat­te die An­kunft sei­ner Ge­mah­lin ge­ahnt, und um sei­ne Ge­lieb­te ih­rer Ra­che zu ent­zie­hen, ver­wan­del­te er die schö­ne Toch­ter des Inachos schnell in eine schmu­cke, schnee­wei­ße Kuh. Aber auch so war die Hold­se­li­ge noch schön ge­blie­ben. Hera, wel­che die List ih­res Ge­mahls als­bald durch­schaut hat­te, pries das statt­li­che Tier und frag­te, als wüß­te sie nichts von der Wahr­heit, wem die Kuh ge­hö­re, von wan­nen und wel­cher­lei Zucht sie sei. Zeus, in der Not und um sie von wei­te­rer Nach­fra­ge ab­zu­schre­cken, nahm sei­ne Zuf­lucht zu ei­ner Lüge und gab vor, die Kuh ent­stam­me der Erde. Hera gab sich da­mit zu­frie­den, aber sie bat sich das schö­ne Tier von ih­rem Ge­mahl zum Ge­schen­ke aus. Was soll­te der be­tro­ge­ne Be­trü­ger ma­chen? Gibt er die Kuh her, so wird er sei­ner Ge­lieb­ten ver­lus­tig; ver­wei­gert er sie, so er­regt er erst recht den Ver­dacht sei­ner Ge­mah­lin, wel­che der Un­glück­li­chen dann ra­sches Ver­der­ben sen­den wird! So ent­schloß er sich denn, für den Au­gen­blick auf die Jung­frau zu ver­zich­ten, und schenk­te die schim­mern­de Kuh, die er noch im­mer für un­ent­deckt hielt, sei­ner Ge­mah­lin. Hera knüpf­te, schein­bar be­glückt durch die Gabe, dem schö­nen Tier ein Band um den Hals und führ­te die Un­se­li­ge, der ein ver­zwei­feln­des Men­schen­herz un­ter der Tier­ge­stalt schlug, im Tri­um­phe da­von. Doch mach­te der Göt­tin die­ser Dieb­stahl selbst Angst, und sie ruh­te nicht, bis sie ihre Ne­ben­buh­le­rin der si­chers­ten Hut über­ant­wor­tet hat­te. Da­her such­te sie den Ar­gos, den Sohn des Are­stor, auf, ein Un­ge­tüm, das ihr zu die­sem Diens­te be­son­ders ge­eig­net schi­en. Denn Ar­gos hat­te hun­dert Au­gen im Kop­fe, von de­nen nur ein Paar ab­wechs­lungs­wei­se sich schloß und der Ruhe er­gab, wäh­rend die üb­ri­gen alle, über Vor­der- und Hin­ter­haupt wie fun­keln­de Ster­ne zer­streut, auf ih­rem Pos­ten aus­harr­ten. Die­sen gab Hera der ar­men Io zum Wäch­ter, da­mit ihr Ge­mahl Zeus die ent­ris­se­ne Ge­lieb­te nicht ent­füh­ren kön­ne. Un­ter sei­nen hun­dert Au­gen durf­te Io, die Kuh, des Tags über auf ei­ner fet­ten Trift wei­den; Ar­gos aber stand in der Nähe, und wo er sich im­mer hin­stel­len moch­te, er­blick­te er die ihm An­ver­trau­te; auch wenn er sich ab­wand­te und ihr das Hin­ter­haupt zu­kehr­te, hat­te er Io vor Au­gen. Wenn aber die Son­ne un­ter­ge­gan­gen war, schloß er sie ein und be­las­te­te den Hals der Un­glück­se­li­gen mit Ket­ten; bitt­re Kräu­ter und Ba­um­laub wa­ren ihre Spei­se, ihr Bett der har­te, nicht ein­mal im­mer mit Gras be­deck­te Bo­den, ihr Trank schlam­mi­ge Pfüt­zen. Io ver­gaß oft, daß sie kein Mensch mehr war; sie woll­te, Mit­lei­den er­fle­hend, ihre Arme zu Ar­gos er­he­ben, da ward sie erst dar­an er­in­nert, daß sie kei­ne Arme mehr hat­te. Sie woll­te ihm in Wor­ten rüh­ren­de Bit­ten vor­tra­gen, dann ent­fuhr ih­rem Mun­de ein Brül­len, daß sie vor ih­rer ei­ge­nen Stim­me er­schrak, wel­che sie dar­an mahn­te, wie sie durch ih­res Räu­bers Selbst­sucht in ein Tier ver­wan­delt wor­den sei. Doch blieb Ar­gos mit ihr nicht an ei­ner Stel­le, denn so hat­te es ihn Hera ge­hei­ßen, die durch Ver­än­de­rung ih­res Auf­ent­halts sie dem Ge­mahl um so ge­wis­ser zu ent­zie­hen hoff­te. Da­her zog ihr Wäch­ter mit ihr im Lan­de her­um, und so kam sie auch mit ihm in ihre alte Hei­mat, an das Ge­sta­de des Flus­ses, wo sie so oft als Kind zu spie­len ge­pflegt hat­te. Da sah sie zum ers­ten Mal ihr Bild in der Flut; als das Tier­haupt mit Hör­nern ihr aus dem Was­ser ent­ge­gen­blick­te, schau­der­te sie zu­rück und floh be­stürzt vor sich selbst. Ein sehn­süch­ti­ger Trieb führ­te sie in die Nähe ih­rer Schwes­tern, in die Nähe ih­res Va­ters Inachos; aber die­se er­kann­ten sie nicht; Inachos strei­chel­te wohl das schö­ne Tier und reich­te ihm Blät­ter, die er von dem nächs­ten Strau­che pflück­te; Io be­leck­te dank­bar sei­ne Hand und be­netz­te sie mit Küs­sen und heim­li­chen mensch­li­chen Trä­nen. Aber wen er lieb­kos­te und von wem er ge­lieb­kost wur­de, das ah­ne­te der Greis nicht. End­lich kam der Ar­men, de­ren Geist un­ter der Ver­wand­lung nicht ge­lit­ten hat­te, ein glück­li­cher Ge­dan­ke. Sie fing an, Schrift­zei­chen mit dem Fuße zu zie­hen, und er­reg­te durch die­se Be­we­gung die Auf­merk­sam­keit des Va­ters, der bald im Stau­be die Kun­de las, daß er sein ei­ge­nes Kind vor sich habe. »Ich Un­glück­se­li­ger«, rief der Greis bei die­ser Ent­de­ckung aus, in­dem er sich an Horn und Na­cken der stöh­nen­den Toch­ter hing, »so muß ich dich wie­der­fin­den, die ich durch alle Län­der ge­sucht habe! Wehe mir, du hast mir we­ni­ger Kum­mer ge­macht, so­lan­ge ich dich such­te, als jetzt, wo ich dich ge­fun­den habe! Du schweigst? Du kannst mir kein trös­ten­des Wort sa­gen, mir nur mit ei­nem Ge­brüll ant­wor­ten! Ich Tor, einst sann ich dar­auf, wie ich dir einen wür­di­gen Ei­dam1 zu­füh­ren könn­te, und dach­te nur an Braut­fa­ckel und Ver­mäh­lung. Nun bist du ein Kind der Her­de…« Ar­gos, der grau­sa­me Wäch­ter, ließ den jam­mern­den Va­ter nicht vollen­den, er riß Io von dem Va­ter hin­weg und schlepp­te sie fort auf ein­sa­me Wei­den. Dann klomm er selbst einen Berg­gip­fel em­por und ver­sah sein Amt, in­dem er mit sei­nen hun­dert Au­gen wach­sam nach al­len vier Win­den hin­aus­lug­te.

Zeus konn­te das Leid der Inacho­s­toch­ter nicht län­ger er­tra­gen. Er rief sei­nem ge­lieb­ten Soh­ne Her­mes und be­fahl ihm, sei­ne List zu brau­chen und dem ver­haß­ten Wäch­ter das Au­gen­licht aus­zu­lö­schen. Die­ser be­flü­gel­te sei­ne Füße, er­griff mit der mäch­ti­gen Hand sei­ne ein­schlä­fern­de Rute und setz­te sei­nen Rei­se­hut auf. So fuhr er von dem Palas­te sei­nes Va­ters zur Erde nie­der. Dort leg­te er Hut und Schwin­gen ab und be­hielt nur den Stab; so stell­te er einen Hir­ten vor, lock­te Zie­gen an sich und trieb sie auf die ab­ge­le­ge­nen Flu­ren, wo Io wei­de­te und Ar­gos die Wa­che hielt. Dort an­ge­kom­men, zog er ein Hir­ten­rohr, das man Sy­rinx nennt, her­vor und fing an, so an­mu­tig und voll zu bla­sen, wie man von ir­di­schen Hir­ten zu ver­neh­men nicht ge­wohnt ist. Der Die­ner Heras freu­te sich die­ses un­ge­wohn­ten Schal­les, er­hob sich von sei­nem Fel­sen­sit­ze und rief her­nie­der: »Wer du auch sein magst, will­kom­me­ner Rohr­blä­ser, du könn­test wohl bei mir auf die­sem Fel­sen hier aus­ru­hen. Nir­gends ist der Gras­wuchs üp­pi­ger für das Vieh als hier, und du siehst, wie be­hag­lich der Schat­ten die­ser dicht ge­pflanz­ten Bäu­me für den Hir­ten ist!« Her­mes dank­te dem Ru­fen­den, stieg hin­auf und setz­te sich zu dem Wäch­ter, mit wel­chem er eif­rig zu plau­dern an­fing und sich so ernst­lich ins Ge­spräch ver­tief­te, daß der Tag her­um­ging, ehe Ar­gos sich des­sen ver­sah. Die­sem be­gan­nen die Au­gen zu schlä­fern, und nun griff Her­mes wie­der zu sei­nem Roh­re und ver­such­te sein Spiel, um ihn vollends in Schlum­mer zu wie­gen. Aber Ar­gos, der an den Zorn sei­ner Her­rin dach­te, wenn er sei­ne Ge­fan­ge­ne ohne Fes­seln und Ob­hut lie­ße, kämpf­te mit dem Schlaf, und wenn sich auch der Schlum­mer in einen Teil sei­ner Au­gen ein­sch­lich, so wach­te er doch fort­dau­ernd mit dem an­dern Tei­le, nahm sich zu­sam­men, und da die Rohr­pfei­fe erst kürz­lich er­fun­den wor­den war, so frag­te er sei­nen Ge­sel­len nach dem Ur­sprun­ge die­ser Er­fin­dung. »Das will ich dir ger­ne er­zäh­len«, sag­te Her­mes, »wenn du in die­ser spä­ten Abend­stun­de Ge­duld und Auf­merk­sam­keit ge­nug hast, mich an­zu­hö­ren. In den Schnee­ge­bir­gen Ar­ka­di­ens wohn­te eine be­rühm­te Ha­ma­drya­de (Baum­nym­phe), mit Na­men Sy­rinx. Die Wald­göt­ter und Sa­tyrn, von ih­rer Schön­heit be­zau­bert, ver­folg­ten sie schon lan­ge mit ih­rer Wer­bung, aber im­mer wuß­te sie ih­nen zu ent­schlüp­fen. Denn sie scheu­te das Joch der Ver­mäh­lung und woll­te, um­gür­tet und jagd­lie­bend wie Ar­te­mis, gleich die­ser in jung­fräu­li­chem Stan­de ver­har­ren. End­lich wur­de auf sei­nen Strei­fe­rei­en durch jene Wäl­der auch der mäch­ti­ge Gott Pan der Nym­phe an­sich­tig, nä­her­te sich ihr und warb um ihre Hand, drin­gend und im stol­zen Be­wußt­sein sei­ner Ho­heit. Aber die Nym­phe ver­schmäh­te sein Fle­hen und flüch­te­te vor ihm durch un­weg­sam Step­pen, bis sie zu­letzt an das Was­ser des ver­san­de­ten Flus­ses La­don kam, des­sen Wel­len doch noch tief ge­nug wa­ren, der Jung­frau den Über­gang zu weh­ren. Hier be­schwor sie ihre Schwes­tern, die Nym­phen, ehe sie in die Hand des Got­tes fie­le, ih­rer sich zu er­bar­men und sie zu ver­wan­deln. In­dem kam der Gott her­an­ge­flo­gen und um­faß­te die am Ufer Zö­gern­de; aber wie staun­te er, als er, statt eine Nym­phe zu um­ar­men, nur ein Schilf­rohr um­faßt hielt; sei­ne lau­ten Seuf­zer zo­gen ver­viel­fäl­tigt durch das Rohr und wie­der­hol­ten sich mit tie­fem, kla­gen­dem Ge­säu­sel. Der Zau­ber die­ses Wohl­lau­tes trös­te­te den ge­täusch­ten Gott. ›Wohl denn, ver­wan­del­te Nym­phe‹, rief er mit schmerz­li­cher Freu­de, ›auch so soll uns­re Ver­bin­dung un­auf­lös­lich sein!‹ Und nun schnitt er sich von dem ge­lieb­ten Schil­fe un­gleich­för­mi­ge Röh­ren, ver­knüpf­te sie mit Wachs un­ter­ein­an­der und nann­te die lieb­lich tö­nen­de Flö­te nach dem Na­men der hol­den Ha­ma­drya­de; und seit­dem heißt die­ses Hir­ten­rohr Sy­rinx…«

So lau­te­te die Er­zäh­lung des Göt­ter­bo­ten, bei wel­cher er den hun­der­t­äu­gi­gen Wäch­ter un­aus­ge­setzt im Auge be­hielt. Die Märe war noch nicht zu Ende, als er sah, wie ein Auge um das an­de­re sich un­ter der De­cke ge­bor­gen hat­te und end­lich alle die hun­dert Leuch­ten in dich­tem Schlaf er­lo­schen wa­ren. Nun hemm­te der Göt­ter­bo­te sei­ne Stim­me, be­rühr­te mit sei­nem Zau­ber­sta­be nach­ein­an­der die hun­dert ein­ge­schlä­fer­ten Au­gen­li­der und ver­stärk­te ihre Be­täu­bung. Wäh­rend nun der hun­der­t­äu­gi­ge Ar­gos in tie­fem Schla­fe nick­te, griff Her­mes schnell zu dem Si­chel­schwer­te, das er un­ter sei­nem Hir­ten­ro­cke ver­bor­gen trug, und hieb ihm den ge­senk­ten Na­cken, da wo der Hals zu­nächst an den Kopf grenzt, durch und durch. Kopf und Rumpf stürz­ten nach­ein­an­der vom Fel­sen her­ab und färb­ten das Ge­stein mit ei­nem Stro­me von Blut.

Nun war Io be­freit, und ob­wohl noch un­ver­wan­delt, rann­te sie ohne Fes­seln da­von. Aber den durch­drin­gen­den Bli­cken Heras ent­ging nicht, was in der Tie­fe ge­sche­hen war. Sie dach­te auf eine aus­ge­such­te Qual für ihre Ne­ben­buh­le­rin und sand­te ihr eine Brem­se, die das un­glück­li­che Ge­schöpf durch ih­ren Stich zum Wahn­sinn trieb. Die­se Qual jag­te die Ge­ängs­tig­te mit ih­rem Sta­chel land­flüch­tig über den gan­zen Erd­kreis, zu den Sky­then, an den Kau­ka­sus, zum Ama­zo­nen­vol­ke, zum Kim­me­ri­schen Isth­mos und an die Mäo­ti­sche See; dann hin­über nach Asi­en, und end­lich nach lan­gem, ver­zweif­lungs­vol­lem Irr­lau­fe nach Ägyp­ten. Hier am Stran­de des Nilufers an­ge­langt, sank Io auf ihre Vor­der­fü­ße nie­der und hob, den Hals rück­lings ge­bo­gen, ihre stum­men Au­gen zum Olymp em­por, mit ei­nem Bli­cke voll Ha­ders ge­gen Zeus. Den jam­mer­te die­ses An­blickes; er eil­te zu sei­ner Ge­mah­lin Hera, um­fing ih­ren Hals mit den Ar­men, fleh­te um Barm­her­zig­keit für das arme Mäd­chen, das schuld­los an sei­ner Ver­ir­rung war, und schwor ihr beim Was­ser der Un­ter­welt, bei dem die Göt­ter schwö­ren, von sei­ner Nei­gung zu ihr hin­fort ganz ab­zu­las­sen. Hera hör­te wäh­rend die­ser Bit­te das fle­hent­li­che Brül­len der Kuh, das zum Olymp em­por­stieg. Da ließ sich die Göt­ter­mut­ter er­wei­chen und gab dem Ge­mah­le Voll­macht, der Miß­ge­stal­te­ten den mensch­li­chen Leib zu­rück­zu­ge­ben. Zeus eil­te zur Erde nie­der und an den Nil. Hier strich er der Kuh mit der Hand über den Rücken. Da war es wun­der­bar an­zu­schau­en: die Zot­teln flo­hen vom Lei­be des Tie­res, das Ge­hörn schrumpf­te zu­sam­men, die Schei­be der Au­gen ver­eng­te sich, das Maul zog sich zu Lip­pen zu­sam­men, Schul­tern und Hän­de kehr­ten wie­der, die Klau­en ver­schwan­den, nichts blieb von der Kuh üb­rig als die schö­ne wei­ße Far­be. In ganz ver­wan­del­ter Ge­stalt er­hob sich Io vom Bo­den und stand auf­recht, in mensch­li­cher Schön­heit leuch­tend. Am Nil­stro­me ge­bar sie dem Zeus den Epa­phos, und weil das Volk die wun­der­bar Ver­wan­del­te und Er­ret­te­te göt­ter­gleich ehr­te, so herrsch­te sie lan­ge mit Fürs­ten­ge­walt über jene Lan­de. Doch blieb sie auch so nicht ganz von Heras Zor­ne ver­schont. Die­se stif­te­te das wil­de Volk der Ku­re­ten auf, ih­ren jun­gen Sohn Epa­phos zu ent­füh­ren, und nun trat sie aufs neue eine lan­ge ver­geb­li­che Wan­de­rung an, den Geraub­ten auf­zu­su­chen. End­lich, nach­dem Zeus die Ku­re­ten mit dem Blitz er­schla­gen, fand sie den ent­führ­ten Sohn an der Gren­ze Äthio­pi­ens wie­der, kehr­te mit ihm nach Ägyp­ten zu­rück und ließ ihn an ih­rer Sei­te herr­schen. Er hei­ra­te­te die Mem­phis, und die­se ge­bar ihm Li­b­ya, von der das Land Li­by­en den Na­men er­hielt. Mut­ter und Sohn wur­den von dem Nil­vol­ke nach bei­der Tode mit Tem­peln ge­ehrt und er­hiel­ten, sie als Isis, er als Apis, gött­li­che Ver­eh­rung.

Phaëton

Auf herr­li­chen Säu­len er­baut stand die Kö­nigs­burg des Son­nen­got­tes, von blit­zen­dem Gold und glü­hen­dem Kar­fun­kel schim­mernd; den obers­ten Gie­bel um­schloß blen­den­des El­fen­bein, ge­dop­pel­te Tü­ren strahl­ten in Sil­ber­glanz, dar­auf in er­ha­be­ner Ar­beit die schöns­ten Wun­der­ge­schich­ten zu schau­en wa­ren. In die­sen Palast trat Phaëthon, der Sohn des Son­nen­got­tes Phö­bos, und ver­lang­te den Va­ter zu spre­chen. Doch stell­te er sich nur von fer­ne hin, denn in der Nähe war das strah­len­de Licht nicht zu er­tra­gen. Der Va­ter Phö­bos, von Pur­pur­ge­wand um­hüllt, saß auf sei­nem fürst­li­chen Stuh­le, der mit glän­zen­den Sma­rag­den be­setzt war; zu sei­ner Rech­ten und sei­ner Lin­ken stand sein Ge­fol­ge ge­ord­net, der Tag, der Mo­nat, das Jahr, die Jahr­hun­der­te und die Ho­ren; der ju­gend­li­che Lenz mit sei­nem Blü­ten­kran­ze, der Som­mer mit Ähren­ge­win­den be­kränzt, wein­far­ben der Herbst, der ei­si­ge Win­ter mit schnee­wei­ßen Haa­ren. Phö­bos, in ih­rer Mit­te sit­zend, wur­de mit sei­nen all­schau­en­den Au­gen bald den Jüng­ling ge­wahr, der über so vie­le Wun­der staun­te. »Was ist der Grund dei­ner Wall­fahrt«, sprach er, »was führt dich in den Palast dei­nes gött­li­chen Va­ters, mein Sohn?« Phaëthon ant­wor­te­te: »Er­lauch­ter Va­ter, man spot­tet mein auf Er­den und be­schimpft mei­ne Mut­ter Kly­me­ne. Sie spre­chen, ich heuch­le nur himm­li­sche Ab­kunft und sei der Sohn ei­nes dunklen Va­ters. Da­rum kom­me ich, von dir ein Un­ter­pfand zu er­bit­ten, das mich vor al­ler Welt als dei­nen wirk­li­chen Spröß­ling dar­stel­le.« So sprach er; da leg­te Phö­bos die Strah­len, die ihm rings das Haupt um­leuch­te­ten, ab und hieß ihn nä­her her­an­tre­ten; dann um­arm­te er ihn und sprach: »Dei­ne Mut­ter Kly­me­ne hat die Wahr­heit ge­sagt, mein Sohn, und ich wer­de dich vor der Welt nim­mer­mehr ver­leug­nen. Da­mit du aber ja nicht fer­ner zwei­felst, so er­bit­te dir ein Ge­schenk! Ich schwö­re beim Styx, dem Flus­se der Un­ter­welt, bei wel­chem alle Göt­ter schwö­ren, dei­ne Bit­te, wel­che sie auch sei, soll er­füllt wer­den!« Phaëthon ließ den Va­ter kaum aus­re­den. »So er­fül­le mir denn«, sprach er, »mei­nen glü­hends­ten Wunsch, und ver­traue mir nur auf einen Tag die Len­kung dei­nes ge­flü­gel­ten Son­nen­wa­gens.«

Schre­cken und Reue ward sicht­bar auf dem An­ge­sich­te des Got­tes. Drei-, vier­mal schüt­tel­te er sein um­leuch­te­tes Haupt und rief end­lich: »O Sohn, du hast mich ein sinn­lo­ses Wort spre­chen las­sen! O dürf­te ich dir doch mei­ne Ver­hei­ßung nim­mer­mehr ge­wäh­ren! Du ver­langst ein Ge­schäft, dem dei­ne Kräf­te nicht ge­wach­sen sind; du bist zu jung; du bist sterb­lich, und was du wün­schest, ist ein Werk der Uns­terb­li­chen! Ja, du er­stre­best so­gar mehr, als den üb­ri­gen Göt­tern zu er­lan­gen ver­gönnt ist. Denn au­ßer mir ver­mag kei­ner von ih­nen auf der glu­ten­sprü­hen­den Ach­se zu ste­hen. Der Weg, den mein Wa­gen zu ma­chen hat, ist gar steil, mit Mühe er­klimmt ihn in der Frü­he des Mor­gens mein noch fri­sches Ros­se­ge­spann. Die Mit­te der Lauf­bahn ist zu­oberst am Him­mel. Glau­be mir, wenn ich auf mei­nem Wa­gen in sol­cher Höhe ste­he, da kommt mich oft selbst ein Grau­sen an, und mein Haupt droht ein Schwin­del zu er­fas­sen, wenn ich so her­nie­der­bli­cke in die Tie­fe und Meer und Land weit un­ter mir liegt. Zu­letzt ist dann die Stra­ße ganz ab­schüs­sig, da be­darf es gar si­che­rer Len­kung. Die Mee­res­göt­tin The­tis selbst, die mich in ih­ren Flu­ten auf­zu­neh­men be­reit ist, pflegt als­dann zu be­fürch­ten, ich möch­te in die Tie­fe ge­schmet­tert wer­den. Dazu be­den­ke, daß der Him­mel sich in be­stän­di­gem Um­schwun­ge dreht und ich die­sem rei­ßen­den Kreis­lau­fe ent­ge­gen­fah­ren muß. Wie ver­möch­test du das, wenn ich dir auch mei­nen Wa­gen gäbe? Da­rum, ge­lieb­ter Sohn, ver­lan­ge nicht ein so schlim­mes Ge­schenk und bes­se­re dei­nen Wunsch, so­lan­ge es noch Zeit ist. Sieh mein er­schreck­tes Ge­sicht an. O könn­test du durch mei­ne Au­gen in mein sor­gen­vol­les Va­ter­herz ein­drin­gen! Ver­lan­ge, was du sonst willst von alle Gü­tern des Him­mels und der Erde! Ich schwö­re dir beim Styx, du sollst es ha­ben! – Was um­armst du mich mit sol­chem Un­ge­stüm?«

Aber der Jüng­ling ließ mit Fle­hen nicht ab, und der Va­ter hat­te den hei­li­gen Schwur ge­schwo­ren. So nahm er denn sei­nen Sohn bei der Hand und führ­te ihn zu dem Son­nen­wa­gen, He­phai­sto­s’ herr­li­cher Ar­beit. Ach­se, Deich­sel und der Kranz der Rä­der wa­ren von Gold, die Spei­chen Sil­ber; vom Jo­che schim­mer­ten Chry­so­lithen und Ju­we­len. Wäh­rend Phaëthon die herr­li­che Ar­beit be­herzt an­staun­te, tat im ge­röte­ten Os­ten die er­wach­te Mor­gen­rö­te ihr Pur­pur­tor und ih­ren Vor­saal, der voll Ro­sen ist, auf. Die Ster­ne ver­schwan­den all­mäh­lich, der Mor­gens­tern ist der letz­te, der sei­nen Pos­ten am Him­mel ver­läßt, und die äu­ßers­ten Hör­ner des Mon­des ver­lie­ren sich am Ran­de. Jetzt gibt Phö­bos den ge­flü­gel­ten Ho­ren den Be­fehl, die Ros­se zu schir­ren; und die­se füh­ren die glut­sprü­hen­den Tie­re, von Am­bro­sia ge­sät­tigt, von den er­ha­be­nen Krip­pen und le­gen ih­nen herr­li­che Zäu­me an. Wäh­rend dies ge­sch­ah, be­strich der Va­ter das Ant­litz sei­nes Soh­nes mit ei­ner hei­li­gen Sal­be und mach­te es da­durch ge­schickt, die glü­hen­de Flam­me zu er­tra­gen. Um das Haupt­haar leg­te er ihm sei­ne Strah­len­son­ne, aber er seufz­te dazu und sprach war­nend: »Kind, scho­ne mir die Sta­cheln, brau­che wa­cker die Zü­gel; denn die Ros­se ren­nen schon von selbst, und es kos­tet Mühe, sie im Flu­ge zu hal­ten; die Stra­ße geht schräg in weit um­bie­gen­der Krüm­mung; den Süd­pol wie den Nord­pol mußt du mei­den. Du er­blickst deut­lich die Glei­se der Rä­der. Sen­ke dich nicht zu tief, sonst ge­rät die Erde in Brand; stei­ge nicht zu hoch, sonst ver­brennst du den Him­mel. Auf, die Fins­ter­nis flieht, nimm die Zü­gel zur Hand; oder – noch ist es Zeit; be­sin­ne dich, lie­bes Kind; über­laß den Wa­gen mir, laß mich der Welt das Licht schen­ken, und blei­be du Zuschau­er!«

Der Jüng­ling schi­en die Wor­te des Va­ters gar nicht zu hö­ren, er schwang sich mit ei­nem Sprung auf den Wa­gen, ganz er­freut, die Zü­gel in den Hän­den zu ha­ben, und nick­te dem un­zu­frie­de­nen Va­ter einen kur­z­en, freund­li­chen Dank zu. Mitt­ler­wei­le füll­ten die vier Flü­gel­ros­se mit glutat­men­dem Wie­hern die Luft, und ihr Huf stampf­te ge­gen die Bar­ren. Ohne et­was vom Lose ih­res En­kels zu ah­nen, öff­ne­te The­tis, die Mut­ter Kly­me­nes, die Schran­ken; die Welt lag in un­end­li­chem Rau­me vor den Bli­cken des Kna­ben, die Ros­se flo­gen die Bahn auf­wärts und spal­te­ten die Mor­gen­ne­bel, die vor ih­nen la­gen.

In­zwi­schen fühl­ten die Ros­se wohl, daß sie nicht die ge­wohn­te Last tru­gen und das Joch leich­ter sei als ge­wöhn­lich; und wie Schif­fe, wenn sie das rech­te Ge­wicht nicht ha­ben, im Mee­re schwan­ken, so mach­te der Wa­gen Sprün­ge in der Luft, ward hoch em­por­ge­sto­ßen und roll­te da­hin, als wäre er leer. Als das Ros­se­ge­spann dies merk­te, rann­te es, die ge­bahn­ten Räu­me ver­las­send, und lief nicht mehr in der vo­ri­gen Ord­nung. Phaëthon fing an zu er­be­ben, er wuß­te nicht, wo­hin die Zü­gel len­ken, wuß­te den Weg nicht, wuß­te nicht, wie er die wil­den Ros­se bän­di­gen soll­te. Als nun der Un­glück­li­che hoch vom Him­mel ab­wärts sah, auf die tief, tief un­ter ihm sich hin­stre­cken­den Län­der, wur­de er blaß, und sei­ne Knie zit­ter­ten von plötz­li­chem Schre­cken. Er sah rück­wärts; schon lag viel Him­mel hin­ter ihm, aber noch mehr vor sei­nen Au­gen. Bei­des er­maß er in sei­nem Geis­te. Un­wis­send, was be­gin­nen, starr­te er in die Wei­te, ließ die Zü­gel nicht nach, zog sie auch nicht wei­ter an; er woll­te den Ros­sen ru­fen, aber er kann­te ihre Na­men nicht. Mit Grau­en sah er die man­nig­fal­ti­gen Stern­bil­der an, die in aben­teu­er­li­chen Ge­stal­ten am Him­mel her­um­hin­gen. Da ließ er, von kal­tem Ent­set­zen ge­faßt, die Zü­gel fah­ren, und wie die­se her­ab­schlot­ternd den Rücken der Pfer­de be­rühr­ten, so ver­lie­ßen die Ros­se ihre Spur, schweif­ten seit­wärts in frem­de Luft­ge­bie­te, gin­gen bald hoch em­por, bald tief her­nie­der; jetzt stie­ßen sie an den Fix­ster­nen an, jetzt wur­den sie auf ab­schüs­si­gem Pfa­de in die Nach­bar­schaft der Erde her­ab­ge­ris­sen. Schon be­rühr­ten sie die ers­te Wol­ken­schicht, die bald ent­zün­det auf­dampf­te. Im­mer tiefer stürz­te der Wa­gen, und un­ver­se­hens war er ei­nem Hoch­ge­bir­ge nahe ge­kom­men. Da lechz­te vor Hit­ze der Bo­den, spal­te­te sich, und weil plötz­lich alle Säf­te aus­trock­ne­ten, fing er an zu glim­men; das Hei­de­gras wur­de weiß­gelb und welk­te hin­weg; wei­ter un­ten lo­der­te das Laub der Wald­bäu­me auf, bald war die Glut bei der Ebe­ne an­ge­kom­men; nun wur­de die Saat weg­ge­brannt; gan­ze Städ­te lo­der­ten in Flam­men auf, Län­der mit all ih­rer Be­völ­ke­rung wur­den ver­sengt; rings brann­ten Hü­gel, Wäl­der und Ber­ge. Da­mals sol­len auch die Moh­ren schwarz ge­wor­den sein. Die Strö­me ver­sieg­ten oder flo­hen er­schreckt nach ih­rer Quel­le zu­rück, das Meer selbst wur­de zu­sam­men­ge­drängt, und was jüngst noch See war, wur­de tro­ckenes Sand­feld.

An al­len Sei­ten sah Phaëthon den Erd­kreis ent­zün­det; ihm selbst wur­de die Glut bald un­er­träg­lich; wie tief aus dem In­nern ei­ner Feu­er­es­se at­me­te er sie­den­de Luft ein und fühl­te un­ter sei­nen Soh­len, wie der Wa­gen er­glüh­te. Schon konn­te er den Dampf und die vom Erd­brand em­por­ge­schleu­der­te Asche nicht mehr er­tra­gen; Qualm und pech­schwar­zes Dun­kel um­gab ihn; das Flü­gel­ge­spann riß ihn nach Will­kür fort; end­lich er­griff die Glut sei­ne Haa­re, er stürz­te aus dem Wa­gen, und bren­nend wur­de er durch die Luft ge­wir­belt, wie zu­wei­len ein Stern bei hei­te­rer Luft durch den Him­mel zu schie­ßen scheint. Fer­ne von der Hei­mat nahm ihn der brei­te Strom Eri­da­nos auf und be­spül­te ihm sein schäu­men­des An­ge­sicht. Phö­bos, der Va­ter, der dies al­les mit an­se­hen muß­te, ver­hüll­te sein Haupt in brü­ten­der Trau­er. Da­mals, sagt man, sei ein Tag der Erde ohne Son­nen­licht vor­über­ge­flo­gen. Der un­ge­heu­re Brand leuch­te­te al­lein.

Europa

Im Lan­de Ty­rus und Si­don er­wuchs die Jung­frau Eu­ro­pa, die Toch­ter des Kö­nigs Age­nor, in der tie­fen Ab­ge­schie­den­heit des vä­ter­li­chen Palas­tes. Zu die­ser ward nach­mit­ter­nächt­li­cher­wei­le, wo untrüg­li­che Träu­me die Sterb­li­chen be­su­chen, ein selt­sa­mes Traum­bild vom Him­mel ge­sen­det. Es kam ihr vor, als er­schie­nen zwei Welt­tei­le in Frau­en­ge­stalt, Asi­en und der ge­gen­über­lie­gen­de, und strit­ten um ih­ren Be­sitz. Die eine der Frau­en hat­te die Ge­stalt ei­ner Frem­den; die an­de­re – und dies war Asi­en – glich an Aus­se­hen und Ge­bär­de ei­ner Ein­hei­mi­schen. Die­se wehr­te sich mit zärt­li­chem Ei­fer für ihr Kind Eu­ro­pa, spre­chend, daß sie