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Im vorliegenden Band sind alle gedruckten und auch die zu Lebzeiten Benns ungedruckten Gedichte enthalten. Benns Dichtung hat die Themen des europäischen Nihilismus in einer Sprache formuliert, deren Faszinationskraft bis heute nicht verblaßt ist. 1912 tritt er mit den schockierend zynischen Gedichten der »Morgue« an die Öffentlichkeit, den Primat der Ratio und der Geschichte radikal verwerfend. Zwischen den Kriegen wird die wilde Formlosigkeit des Anfangs durch Metrum und Reim abgelöst, durch einen Stil, in dem das »lyrische Ich« der Formtradition folgt. Benns Gedichte bannen das Material der Geschichte in Chiffren, die sich zum »Valse triste«, zum Abschiedsgestus, zur Lebensstimmung des »Aprèslude« fügen. Seine Ästhetik, die gegen die finale Lage ihrer Epoche die »Transzendenz der schöpferischen Lust« setzt, hat bis in unsere Tage unabsehbare Wirkung auf die deutsche Literatur gehabt.
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Seitenzahl: 271
GOTTFRIED BENN
SÄMTLICHE GEDICHTE
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Klett-Cotta
www.klett-cotta.de
© 1998 by J.G. Cotta'sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Datenkonvertierung: Le Tex, Leipzig
Printausgabe: ISBN 978-3-608-93449-6
E-Book: ISBN 978-3-608-11054-8
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
In jenem kleinen Bett, fast Kinderbett, starb die Droste
(zu sehn in ihrem Museum in Meersburg),
auf diesem Sofa Hölderlin im Turm bei einem Schreiner,
Rilke, George wohl in Schweizer Hospitalbetten,
in Weimar lagen die großen schwarzen Augen
Nietzsches auf einem weißen Kissen
bis zum letzten Blick –
alles Gerümpel jetzt oder garnicht mehr vorhanden,
unbestimmbar, wesenlos
im schmerzlos-ewigen Zerfall.
Wir tragen in uns Keime aller Götter,
das Gen des Todes und das Gen der Lust –
wer trennte sie: die Worte und die Dinge,
wer mischte sie: die Qualen und die Statt,
auf der sie enden, Holz mit Tränenbächen,
für kurze Stunden ein erbärmlich Heim.
Kann keine Trauer sein. Zu fern, zu weit,
zu unberührbar Bett und Tränen,
kein Nein, kein Ja,
Geburt und Körperschmerz und Glauben
ein Wallen, namenlos, ein Huschen,
ein Überirdisches, im Schlaf sich regend,
bewegte Bett und Tränen –
schlafe ein!
6. 1. 1956
Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt.
Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhellila Aster
zwischen die Zähne geklemmt.
Als ich von der Brust aus
unter der Haut
mit einem langen Messer
Zunge und Gaumen herausschnitt,
muß ich sie angestoßen haben, denn sie glitt
in das nebenliegende Gehirn.
Ich packte sie ihm in die Brusthöhle
zwischen die Holzwolle,
als man zunähte.
Trinke dich satt in deiner Vase!
Ruhe sanft,
kleine Aster!
Der Mund eines Mädchens, das lange im Schilf gelegen hatte,
sah so angeknabbert aus.
Als man die Brust aufbrach, war die Speiseröhre so löcherig.
Schließlich in einer Laube unter dem Zwerchfell
fand man ein Nest von jungen Ratten.
Ein kleines Schwesterchen lag tot.
Die andern lebten von Leber und Niere,
tranken das kalte Blut und hatten
hier eine schöne Jugend verlebt.
Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
Man warf sie allesamt ins Wasser.
Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten!
Der einsame Backzahn einer Dirne,
die unbekannt verstorben war,
trug eine Goldplombe.
Die übrigen waren wie auf stille Verabredung
ausgegangen.
Den schlug der Leichendiener sich heraus,
versetzte ihn und ging für tanzen.
Denn, sagte er,
nur Erde solle zur Erde werden.
Dann lag auf Kissen dunklen Bluts gebettet
der blonde Nacken einer weißen Frau.
Die Sonne wütete in ihrem Haar
und leckte ihr die hellen Schenkel lang
und kniete um die bräunlicheren Brüste,
noch unentstellt durch Laster und Geburt.
Ein Nigger neben ihr: durch Pferdehufschlag
Augen und Stirn zerfetzt. Der bohrte
zwei Zehen seines schmutzigen linken Fußes
ins Innere ihres kleinen weißen Ohrs.
Sie aber lag und schlief wie eine Braut:
am Saume ihres Glücks der ersten Liebe
und wie vorm Aufbruch vieler Himmelfahrten
des jungen warmen Blutes.
Bis man ihr
das Messer in die weiße Kehle senkte
und einen Purpurschurz aus totem Blut
ihr um die Hüften warf.
Auf jedem Tisch zwei. Männer und Weiber
kreuzweis. Nah, nackt, und dennoch ohne Qual.
Den Schädel auf. Die Brust entzwei. Die Leiber
gebären nun ihr allerletztes Mal.
Jeder drei Näpfe voll: von Hirn bis Hoden.
Und Gottes Tempel und des Teufels Stall
nun Brust an Brust auf eines Kübels Boden
begrinsen Golgatha und Sündenfall.
Der Rest in Särge. Lauter Neugeburten:
Mannsbeine, Kinderbrust und Haar vom Weib.
Ich sah, von zweien, die dereinst sich hurten,
lag es da, wie aus einem Mutterleib.
Mir klebt die süße Leiblichkeit
wie ein Belag am Gaumensaum.
Was je an Saft und mürbem Fleisch
um Kalkknochen schlotterte,
dünstet mit Milch und Schweiß in meine Nase.
Ich weiß, wie Huren und Madonnen riechen
nach einem Gang und morgens beim Erwachen
und zu Gezeiten ihres Bluts –
und Herren kommen in mein Sprechzimmer,
denen ist das Geschlecht zugewachsen:
die Frau denkt, sie wird befruchtet
und aufgeworfen zu einem Gotteshügel;
aber der Mann ist vernarbt,
sein Gehirn wildert über einer Nebelsteppe,
und lautlos fällt sein Samen ein.
Ich lebe vor dem Leib: und in der Mitte
klebt überall die Scham. Dahin wittert
der Schädel auch. Ich ahne: einst
werden die Spalte und der Stoß
zum Himmel klaffen von der Stirn.
Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch –:
geht doch mit anderen Tieren um!
Mit siebzehn Jahren Filzläuse,
zwischen üblen Schnauzen hin und her,
Darmkrankheiten und Alimente,
Weiber und Infusorien,
mit vierzig fängt die Blase an zu laufen –:
meint ihr, um solch Geknolle wuchs die Erde
von Sonne bis zum Mond –? Was kläfft ihr denn?
Ihr sprecht von Seele – was ist eure Seele?
Verkackt die Greisin Nacht für Nacht ihr Bett –
schmiert sich der Greis die mürben Schenkel zu,
und ihr reicht Fraß, es in den Darm zu lümmeln,
meint ihr, die Sterne samten ab vor Glück …?
Äh! – Aus erkaltendem Gedärm
spie Erde wie aus anderen Löchern Feuer,
eine Schnauze Blut empor –:
das torkelt
den Abwärtsbogen
selbstgefällig in den Schatten.
Mit Pickeln in der Haut und faulen Zähnen
paart sich das in ein Bett und drängt zusammen
und säet Samen in des Fleisches Furchen
und fühlt sich Gott bei Göttin. Und die Frucht – –:
das wird sehr häufig schon verquiemt geboren:
mit Beuteln auf dem Rücken, Rachenspalten,
schieläugig, hodenlos, in breite Brüche
entschlüpft die Därme –; aber selbst was heil
endlich ans Licht quillt, ist nicht eben viel,
und durch die Löcher tropft die Erde:
Spaziergang –: Föten, Gattungspack –:
ergangen wird sich. Hingesetzt. –
Finger wird berochen.
Rosine aus dem Zahn geholt.
Die Goldfischchen –!!! –!
Erhebung! Aufstieg! Weserlied!
Das Allgemeine wird gestreift. Gott
als Käseglocke auf die Scham gestülpt –:
der gute Hirte –!! – – Allgemeingefühl! –
Und abends springt der Bock die Zibbe an.
Der Mann:
Hier diese Reihe sind zerfallene Schöße
und diese Reihe ist zerfallene Brust.
Bett stinkt bei Bett. Die Schwestern wechseln stündlich.
Komm, hebe ruhig diese Decke auf.
Sieh, dieser Klumpen Fett und faule Säfte,
das war einst irgendeinem Mann groß
und hieß auch Rausch und Heimat.
Komm, sieh auf diese Narbe an der Brust.
Fühlst du den Rosenkranz von weichen Knoten?
Fühl ruhig hin. Das Fleisch ist weich und schmerzt nicht.
Hier diese blutet wie aus dreißig Leibern.
Kein Mensch hat so viel Blut.
Hier dieser schnitt man
erst noch ein Kind aus dem verkrebsten Schoß.
Man läßt sie schlafen. Tag und Nacht. – Den Neuen
sagt man: Hier schläft man sich gesund. – Nur Sonntags
für den Besuch läßt man sie etwas wacher.
Nahrung wird wenig noch verzehrt. Die Rücken
sind wund. Du siehst die Fliegen. Manchmal
wäscht sie die Schwester. Wie man Bänke wäscht.
Hier schwillt der Acker schon um jedes Bett.
Fleisch ebnet sich zu Land. Glut gibt sich fort.
Saft schickt sich an zu rinnen. Erde ruft.
Die ärmsten Frauen von Berlin
– dreizehn Kinder in anderthalb Zimmern,
Huren, Gefangene, Ausgestoßene –
krümmen hier ihren Leib und wimmern.
Es wird nirgends so viel geschrien.
Es wird nirgends Schmerzen und Leid
so ganz und gar nicht wie hier beachtet,
weil hier eben immer was schreit.
»Pressen Sie, Frau! Verstehn Sie, ja?
Sie sind nicht zum Vergnügen da.
Ziehn Sie die Sache nicht in die Länge.
Kommt auch Kot bei dem Gedränge!
Sie sind nicht da, um auszuruhn.
Es kommt nicht selbst. Sie müssen was tun!«
Schließlich kommt es: bläulich und klein.
Urin und Stuhlgang salben es ein.
Aus elf Betten mit Tränen und Blut
grüßt es ein Wimmern als Salut.
Nur aus zwei Augen bricht ein Chor
von Jubilaten zum Himmel empor.
Durch dieses kleine fleischerne Stück
wird alles gehen: Jammer und Glück.
Und stirbt es dereinst in Röcheln und Qual,
liegen zwölf andere in diesem Saal.
Nun liegt sie in derselben Pose,
wie sie empfing,
die Schenkel lose
im Eisenring.
Der Kopf verströmt und ohne Dauer,
als ob sie rief:
gib, gib, ich gurgle deine Schauer
bis in mein Tief.
Der Leib noch stark von wenig Äther
und wirft sich zu:
nach uns die Sintflut und das Später
nur du, nur du …
Die Wände fallen, Tische und Stühle
sind alle voll von Wesen, krank
nach Blutung, lechzendem Gewühle
und einem nahen Untergang.
824: Der Frauen Liebe und Leben.
Das Cello trinkt rasch mal. Die Flöte
rülpst tief drei Takte lang: das schöne Abendbrot.
Die Trommel liest den Kriminalroman zu Ende.
Grüne Zähne, Pickel im Gesicht
winkt einer Lidrandentzündung.
Fett im Haar
spricht zu offenem Mund mit Rachenmandel
Glaube Liebe Hoffnung um den Hals.
Junger Kropf ist Sattelnase gut.
Er bezahlt für sie drei Biere.
Bartflechte kauft Nelken.
Doppelkinn zu erweichen.
B-moll: die 35. Sonate.
Zwei Augen brüllen auf:
Spritzt nicht das Blut von Chopin in den Saal,
damit das Pack drauf rumlatscht!
Schluß! He, Gigi! –
Die Tür fließt hin: ein Weib.
Wüste ausgedörrt. Kanaanitisch braun.
Keusch. Höhlenreich. Ein Duft kommt mit. Kaum Duft.
Es ist nur eine süße Vorwölbung der Luft
gegen mein Gehirn.
Eine Fettleibigkeit trippelt hinterher.
Europa, dieser Nasenpopel
aus einer Konfirmandennase,
wir wollen nach Alaska gehn.
Der Meermensch, der Urwaldmensch,
der alles aus seinem Bauch gebiert,
der Robben frißt, der Bären totschlägt,
der den Weibern manchmal was reinstößt:
der Mann.
Ihr schnitzt und bildet: den gelenken Meißel
in einer feinen weichen Hand.
Ich schlage mit der Stirn am Marmorblock
die Form heraus,
meine Hände schaffen ums Brot.
Ich bin mir noch sehr fern.
Aber ich will Ich werden!
Ich trage einen tief im Blut,
der schreit nach seinen selbsterschaffenen
Götterhimmeln und Menschenerden.
Meine Mutter ist eine so arme Frau,
daß ihr lachen würdet, wenn ihr sie sähet,
wir wohnen in einer engen Bucht,
ausgebaut an des Dorfes Ende.
Meine Jugend ist mir wie ein Schorf:
eine Wunde darunter,
da sickert täglich Blut hervor.
Davon bin ich so entstellt.
Schlaf brauche ich keinen.
Essen nur so viel, daß ich nicht verrecke!
Unerbittlich ist der Kampf,
und die Welt starrt von Schwertspitzen.
Jede hungert nach meinem Herzen.
Jede muß ich, Waffenloser,
in meinem Blut zerschmelzen.
Wir gerieten in ein Mohnfeld,
überall schrien Ziegelsteine herum:
Baut uns mit in den Turm des Feuers
für alles, was vor Göttern kniet.
Zehn nackte, rote Heiden tanzten um den Bau
und blökten
dem Tod ein Affenlied:
Du zerspritzt nur den Dreck deiner Pfütze
und trittst einen Wurmhügel nieder, wenn du
uns zertrittst,
wir sind und wollen nichts sein als Dreck.
Man hat uns belogen und betrogen
mit Gotteskindschaft, Sinn und Zweck
und dich der Sünde Sold genannt.
Uns bist du der lockende Regenbogen
über die Gipfel der Glücke gespannt.
Das schuftete und backte nachts gebrochen
auf schlechtes Fleisch nach alter Bäckerart.
Schließlich zerbrach das Schwein ihm doch die Knochen.
Das Fett wird ranzig und hat ausgepaart.
Wir aber wehn. Ägäisch sind die Fluten.
O was in Lauben unseres Fleischs geschah!
Verwirrt im Haar, im Meer, die Brüste bluten
vor Tanz, vor Sommer, Strand und Ithaka.
Aber wisse:
Ich lebe Tiertage. Ich bin eine Wasserstunde.
Des Abends schläfert mein Lid wie Wald und Himmel.
Meine Liebe weiß nur wenig Worte:
Es ist so schön an deinem Blut.
Ich trage dich wie eine Wunde
auf meiner Stirn, die sich nicht schließt.
Sie schmerzt nicht immer. Und es fließt
das Herz sich nicht draus tot.
Nur manchmal plötzlich bin ich blind und spüre
Blut im Munde.
O daß wir unsere Ururahnen wären.
Ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor.
Leben und Tod, Befruchten und Gebären
glitte aus unseren stummen Säften vor.
Ein Algenblatt oder ein Dünenhügel,
vom Wind Geformtes und nach unter schwer.
Schon ein Libellenkopf, ein Möwenflügel
wäre zu weit und litte schon zu sehr.
Verächtlich sind die Liebenden, die Spötter,
alles Verzweifeln, Sehnsucht, und wer hofft.
Wir sind so schmerzliche durchseuchte Götter
und dennoch denken wir des Gottes oft.
Die weiche Bucht. Die dunklen Wälderträume.
Die Sterne, schneeballblütengroß und schwer.
Die Panther springen lautlos durch die Bäume.
Alles ist Ufer. Ewig ruft das Meer –
Da fiel uns Ikarus vor die Füße,
schrie: treibt Gattung, Kinder!
Rein ins schlechtgelüftete Thermopylä! –
Warf uns einen seiner Unterschenkel hinterher,
schlug um, war alle.
Braun wie Kognak. Braun wie Laub. Rotbraun.
Malaiengelb.
D-Zug Berlin-Trelleborg und die Ostseebäder.
Fleisch, das nackt ging.
Bis in den Mund gebräunt vom Meer.
Reif gesenkt, zu griechischem Glück.
In Sichel-Sehnsucht: wie weit der Sommer ist!
Vorletzter Tag des neunten Monats schon!
Stoppel und letzte Mandel lechzt in uns.
Entfaltungen, das Blut, die Müdigkeiten,
die Georginennähe macht uns wirr.
Männerbraun stürzt sich auf Frauenbraun:
Eine Frau ist etwas für eine Nacht.
Und wenn es schön war, noch für die nächste!
Oh! Und dann wieder dies Bei-sich-selbst-sein!
Diese Stummheiten! Dies Getriebenwerden!
Eine Frau ist etwas mit Geruch.
Unsägliches! Stirb hin! Resede.
Darin ist Süden, Hirt und Meer.
An jedem Abhang lehnt ein Glück.
Frauenhellbraun taumelt an Männerdunkelbraun:
Halte mich! Du, ich falle!
Ich bin im Nacken so müde.
Oh, dieser fiebernde süße
letzte Geruch aus den Gärten.
Das ganz schmalschuhige Raubpack,
Russinnen, Jüdinnen, tote Völker, ferne Küsten,
schleicht durch die Frühjahrsnacht.
Die Geigen grünen. Mai ist um die Harfe.
Die Palmen röten sich. Im Wüstenwind.
Rahel, die schmale Golduhr am Gelenk:
Geschlecht behütend und Gehirn bedrohend:
Feindin! Doch deine Hand ist eine Erde:
süßbraun, fast ewig, überweht vom Schoß.
Freundlicher Ohrring kommt. In Charme d’Orsay.
Die hellen Osterblumen sind so schön:
breitmäulig gelb, mit Wiese an den Füßen.
O Blond! O Sommer dieses Nackens! O
diese jasmindurchseuchte Ellenbeuge!
Oh, ich bin gut zu dir. Ich streichle
dir deine Schultern. Du, wir reisen:
Tyrrhenisches Meer. Ein frevelhaftes Blau.
Die Dorertempel. In Rosenschwangerschaft
die Ebenen. Felder
sterben den Asphodelentod.
Lippen, verschwärmt und tiefgefüllt wie Becher,
als zögerte das Blut des süßen Orts,
rauschen durch eines Mundes ersten Herbst.
O wehe Stirn! Du Kranke, tief im Flor
der dunklen Brauen! Lächle, werde hell:
die Geigen schimmern einen Regenbogen.
Die weichen Schauer. Blütenfrühe. Wie
aus warmen Fellen kommt es aus den Wäldern.
Ein Rot schwärmt auf. Das große Blut steigt an.
Durch all den Frühling kommt die fremde Frau.
Der Strumpf am Spann ist da. Doch, wo er endet,
ist weit von mir. Ich schluchze auf der Schwelle:
laues Geblühe, fremde Feuchtigkeiten.
Oh, wie ihr Mund die laue Luft verpraßt!
Du Rosenhirn, Meer-Blut, du Götter-Zwielicht,
du Erdenbeet, wie strömen deine Hüften
so kühl den Gang hervor, in dem du gehst!
Dunkel: nun lebt es unter ihren Kleidern:
nur weißes Tier, gelöst und stummer Duft.
Ein armer Hirnhund, schwer mit Gott behangen.
Ich bin der Stirn so satt. Oh, ein Gerüste
von Blütenkolben löste sanft sie ab
und schwölle mit und schauerte und triefte.
So losgelöst. So müde. Ich will wandern.
Blutlos die Wege. Lieder aus den Gärten.
Schatten und Sintflut. Fernes Glück: ein Sterben
hin in des Meeres erlösend tiefes Blau.
Über Krüppel und Badeproleten,
Sonnenschirme, Schoßhunde, Boas,
über das Herbstmeer und das Grieg-Lied:
Ob Iris kommt?
Sie friert. Der kleine graue Stock in ihrer Hand
friert mit. Wird klein. Will tiefer in die Hand.
Du, Glockenblumen in den Schal gebunden,
das weiße Kreuz aus Scheitel und aus Zähnen
liegt, wenn du lachst, so süß in deinem Braun!
Du steiles, weißes Land! O Marmorlicht!
Du rauschst so an mein Blut. Du helle Bucht!
Die große Müdigkeit der Schulterblätter!
Die Zärtlichkeit des Rockes um ihr Knie!
Du rosa Staub! Du Ufer mit Libellen!
Du, von den Flächen einer Schale steigend.
Im Veilchenschurz. Von Brüsten laut umblüht.
O Herbst und Heimkehr über diesem Meer!
Die Gärten sinken um. Machtloser grauer Strand.
Kein Boot, kein Segel geht.
Wer nimmt mich winters auf?
Aus so viel Fernen zusammengeweht,
auf so viel Sternen neu geboren
bis vor dies Ufer: – Iris geht.
Leichen.
Eine legt die Hand ans Ohr:
Wat bibberste? Uff meinen heizbaren Sektionstisch?
Von wegen Fettschwund und biblisches Alter??
’ne Kinderleiche kriegste ins Gesicht!
Gichtknoten und ausgefranste Zähne
ziehn hier nicht!!
Bleibt man ruhig aufs Eis liegen! –
Es entsteht Streit.
Eine Schwangere blökt. Der Mann schreit:
Weil dir jetzt der Nabel so weit nach vorne steht?
Weil ick dir mal die Ritze verkleistert habe??
Mensch, wat geht mir mein Geschlechtsorgan an!
Jeder macht seins.
Alle schreien: Sehr, sehr richtig!
Brecht aus! Beißt um euch! Peitscht die Weiber!
Das dicke Pack! Neun Monat lang
bemurkst es einen Zeitvertreiber,
den sich der Mann zum Frühstück sang.
Wer denkt an so verlorene Fernen?
Wer weiß noch Flasche, Glas und Rum?
Man war schon wieder in den Sternen,
wuchs sich entzwei, gebar sich um.
(stürzen an die Kellerfenster und schreien auf die Straße:)
Brecht aus und laßt die Krüppel mähen!
O strömt euch aus! O blüht euch leer!
Denkt: Ithaka: die Tempel wehen
Marmorschauer von Meer zu Meer.
Denkt uns: geknechtet und gekrochen,
Spürhund nach Gott und klein und krumm:
und nun die Demut aufgebrochen:
stinkt auch als saures Aas herum.
Ein Mann tritt auf:
Zerstoßt das Grau des Himmels! Tretet den Norden ein!
Verkommt! Verludert! Wer wüßte eine Zukunft?
Sät nicht mehr in die Furchen, die es halten.
Verderbt den Samen! Bohrt euch selber Kuhlen!
Zeugt in euch selbst!
Wer wüßte eine Zukunft?
Das Gehirn ist ein Irrweg. Stein fühlt auch das Tier.
Stein ist. Doch was ist außer Stein? Worte! Geplärr!
(langt sich sein Gehirn herunter)
Ich speie auf mein Denkzentrum.
Worte haben wir hervorgehurt.
Mich ekelt die Blutschande.
Zerstoßt das Grau des Himmels! Tretet den Norden ein!
Verlöscht die Sonne, macht die Erde eckig:
ihr oder sie.
Einst war das Meer im Gang. Die Wiesen riefen.
Schlaf überhing wie Fell verblühtes Blut –
die Tiere haben uns an Gott verraten –
vernäht die Lider, saugt die Schädel aus,
rasiert am Hals herum … steckt Sträuße rein …
denkt am Gesäß … o Traum:
bunt, wild, tieferlöst
heimgekehrt an das Rückenmark –
(ein Mann klopft ihm auf die Schulter)
Aber Mensch, beruhigen Sie sich doch!
Hier, ziehn Sie sich Ihre Hausschuh an
und nun kommen Sie mit
zu meinem Bestattungskümmel.
Eine Kinderstimme:
Ach lieber, lieber Herr Leichendiener,
noch nicht in den dunklen Sarg!
Ach erst den alten Mann! Noch diesen Streifen Licht!
So gänzlich fort –
so nimmermehr.
Ach binden Sie mir die Augen zu.
Geschrei:
Du olle schofle Bürgerhausleiche,
lehn dir nich an meinen Sarkophag!
Jutet Kiefernholz tut et ooch,
und wennste eher reinkriechst als ick,
wer ick dir eenen Goldnagel
in’t Koppende schlagen.
Ein Mann:
Kinder, laßt euch das nicht gefallen!
Mit uns wird Schindluder getrieben!
Wer hat mir zum Beispiel
das Gehirn in die Brusthöhle geworfen?
Soll ich damit atmen?
Soll da vielleicht der kleine Kreislauf durchgehen?
Alles, was recht ist! Das geht zu weit!
Ein anderer:
Na und ich? Wie bin ich hergekommen!
Wie aus dem Ei gepellt!
Und jetzt?
Sie, waschen Sie mir gefälligst den Kot aus der Achselhöhle!
Und das rechte Herzohr braucht auch nicht grade
aus dem After rauszusehn!
Das sieht ja wie Hämorrhoiden aus!
Ein Selbstmörder:
Kläfft nicht, ihr Laffen! Pack! Pöbel!
Männer, behaart und brünstig, Frauentiere, feige und
heimtückisch,
aus eurem Kotleben fortgeschlagen,
umgreint vom Menschenvieh.
Ich bin aufgestiegen wie ein junger Adler.
So stand ich: nackt, vom kalten Sternenlicht
umbrandet Stirn und Blut.
Ein Jüngling:
Ich brülle: Geist, enthülle dich!
Das Hirn verwest genauso wie der Arsch!
Schon rülpst der Darm ihn Bruder an –
schon pfeift ihm Vetter Hodensack – (stürzt auf einen Kadaver)
ich muß noch einmal dieser frommen Leiche
den Kopf zerfleischen – Bregen vor –! Ein Fleckchen!
Ein Fleck, der gegen die Verwesung spräche!! –
Das Fleckchen, wo sich Gott erging …!!!
Der Schöpfungskrone gehn die Zinken aus.
Sprachzentrum ist schon weich. Denkzentrum schnürt
sein Ränzel … Aufbruch und Zerfall …
brüllt denn ihr, Fleisch, nicht Lachen Wuts empor:
Dies Gelbgestinke hat uns Gott gedacht;
blühte, wie Sommer Prunk und blaue Himmel,
Schatten und Heimat aus – –
nun werft zwölf tote Hunde hier herum,
dann riecht es wie nach uns …
Früh, wenn der Abendmensch ist eingepflügt
und bröckelt mit der kalten Stadt im Monde;
wenn Logik nicht im ethischen Konnex,
nein, kategorisch wuchtet; Mangel an Aufschwung
Bejahung stänkert, Klammerung an Zahlen
(zumal wenn teilbar), Einbeinung in den Gang
nach Krankenhaus, Fabrik, Registratur
im Knie zu Hausbesitzerverein, Geschlechtsbejahung,
Fortpflanzung, staatlichem Gemeinsystem
ingrimmige Bekennung –
tröstet den Trambahngast
allein das farbenprächtige Plakat.
Es ist die Nacht, die funkelt. Die Entrückung.
Es gilt dem kleinen Mann: selbst kleinem Mann
steht offen Lust zu! Städtisch unbehelligt:
die Einsamkeit, die Heimkehr in das Blut.
Rauschwerte werden öffentlich genehmigt.
Entformung, selbst Vergessen der Fabrik
soll zugestanden sein: ein Polizist
steht selber vor der einen Litfaßsäule! –
O Lüftung! Warme Schwellung! Stirnzerfluß!
Und plötzlich bricht das Chaos durch die Straßen:
Enthemmungen der Löcher und der Lüste,
Entsinkungen: die Formen tauen
sich tot dem Strome nach.
die Schnepfe nämlich – erzählte der Pfarrer –:
Da traten kahle Äste gegen die Luft: ehern.
Ein Himmel blaute: unbedenkbar. Die Schulter mit der Büchse,
des Pfarrers Spannung, der kleine Hund,
selbst Treiber, die dem Herrn die Freude gönnten:
Unerschütterlich.
Dann weltumgoldet: der Schuß:
Einbeziehung vieler Vorgänge,
Erwägen von Möglichkeiten,
Bedenkung physikalischer Verhältnisse,
einschließlich Parabel und Geschoßgarbe,
Luftdichte, Barometerstand, Isobaren – –
aber durch alles hindurch: die Sicherstellung,
die Ausschaltung des Fraglichen,
die Zusammenraffung,
eine Pranke in den Nacken der Erkenntnis,
blutüberströmt zuckt ihr Plunder
unter dem Begriff: Schnepfenjagd.
Da verschied Kopernikus. Kein Newton mehr.
Kein drittes Wärmegesetz –
eine kleine Stadt dämmert auf: Kellergeruch: Konditorjungen,
Bedürfnisanstalt mit Wartefrau,
das Handtuch über den Sitz wischend
zum Zweck der öffentlichen Gesundheitspflege;
ein Büro, ein junger Registrator
mit Ärmelschutz, mit Frühstücksbrötchen
den Brief der Patentante lesend.
Verhalten,
ungeöffnet in Ast und Ranke,
um in das Blau des Himmels aufzuschrein –:
nur Stamm, Geschlossenheiten,
hoch und zitternd,
eine Kurve.
Die Mispel flüchtet,
Samentöter,
und wann der Blitze segnendes Zerbrechen
rauschte um meinen Schaft
enteinheitend,
weitverteilend
Baumgewesenes?
Und wer sah Pappelwälder?
Einzeln,
und an der Kronenstirn das Mal der Schreie,
das ruhelos die Nächte und den Tag
über der Gärten hinresedeten
süßen aufklaffenden Vergang,
was ihm die Wurzel saugt, die Rinde frißt,
in tote Räume bietet
hin und her.
O dieses Lichts! Die Insel kränzt
sternblaues Wasser um sich her,
am Saum gestillt, zu Strand ergänzt,
und sättigt täglich sich am Meer.
Es muß nichts zueinander hin,
die Alke, das gelappte Laub
erfüllen sich; es liegt ihr Sinn
im Mittelpunkt, den nichts beraubt.
Auch ich zu: braun! Ich zu: besonnt!
Zu Flachem, das sich selbst benennt!
Das Auge tief am Horizont,
der keine Vertikale kennt.
Schon schwindet der Verknüpfungsdrang,
schon löst sich das Bezugssystem
und unter dunklem Hautgesang
erhebt sich Blut-Methusalem.
Mit jeder Welle schmetternd dich in Staub,
in Dorn des Ich, in alle Dünen
fruchtloser Schwemme, nicht zu sühnen
durch keinen Raum, durch keinen Raub –
immer um Feuerturm und Kattegatt
und Finisterre der letzten Ländlichkeiten,
die Bojen taumeln, hinter sich das Watt,
einäugig tote Unaufhörlichkeiten –
oh, ihrer Dialektik süßer Ton
des Möwentons gesammelt und zerrüttet –
Identität, astrales Monoton,
das nie verfließt und immer sich verschüttet –
du, durch die Nacht, die Türme wehn wie Schaum,
du, durch des Mittags felsernes Gehänge –
nur tauber Brand, nur leere Ränge
aus jedem Raub, aus jedem Raum.
Entrücke dich dem Stein! Zerbirst
die Höhle, die dich knechtet! Rausche
doch in die Flur! Verhöhne die Gesimse –
sieh: durch den Bart des trunkenen Silen
aus einem ewig überrauschten
lauten einmaligen durchdröhnten Blut
träuft Wein in seine Scham!
Bespei die Säulensucht: toderschlagene
greisige Hände bebten sie
verhangenen Himmeln zu. Stürze
die Tempel vor die Sehnsucht deines Knies,
in dem der Tanz begehrt!
Breite dich hin, zerblühe dich, oh, blute
dein weiches Beet aus großen Wunden hin:
sieh, Venus mit den Tauben gürtet
sich Rosen um der Hüften Liebestor –
sieh dieses Sommers letzten blauen Hauch
auf Astermeeren an die fernen
baumbraunen Ufer treiben; tagen
sieh diese letzte Glück-Lügenstunde
unserer Südlichkeit
hochgewölbt.
O Mittag, der mit heißem Heu mein Hirn
zu Wiese, flachem Land und Hirten schwächt,
daß ich hinrinne und, den Arm im Bach,
den Mohn an meine Schläfe ziehe –
o du Weithingewölbter, enthirne doch
stillflügelnd über Fluch und Gram
des Werdens und Geschehns
mein Auge.
Noch durch Geröll der Halde, noch durch Land-aas,
verstaubendes, durch bettelhaft Gezack
der Felsen – überall
das tiefe Mutterblut, die strömende
entstirnte
matte
Getragenheit.
Das Tier lebt Tag um Tag
und hat an seinem Euter kein Erinnern,
der Hang schweigt seine Blume in das Licht
und wird zerstört.
Nur ich, mit Wächter zwischen Blut und Pranke,
ein hirnzerfressenes Aas, mit Flüchen
im Nichts zergellend, bespien mit Worten,
veräfft vom Licht –
o du Weithingewölbter,
träuf meinen Augen eine Stunde
des guten frühen Voraugenlichts –
schmilz hin den Trug der Farben, schwinge
die kotbedrängten Höhlen in das Rauschen
gebäumter Sonnen, Sturz der Sonnen-sonnen,
o aller Sonnen ewiges Gefälle –
Das Hirn frißt Staub. Die Füße fressen Staub.
Wäre das Auge rund und abgeschlossen,
dann bräche durch die Lider süße Nacht,
Gebüsch und Liebe.
Aus dir, du süßes Tierisches,
aus euern Schatten, Schlaf und Haar,
muß ich mein Hirn besteigen,
alle Windungen,
das letzte Zwiegespräch –
So sehr am Strand, so sehr schon in der Barke,
im krokosfarbnen Kleide der Geweihten
und um die Glieder schon den leichten Flaum –
ausrauschst du aus den Falten, Sonne,
allnächtlich Welten in den Raum –
o eine der vergeßlich hingesprühten
mit junger Glut die Schläfe mir zerschmelzend,
auftrinkend das entstirnte Blut –
Du, die Lippe voll Weingeruch,
blauer Ton-Zaun, Rosen-Rotte
um den Zug mykenischen Lichts,
Un-geräte, Tränke-Sehnsucht
weit verweht.
Lockerungen. Es vollzieht sich
Freigebärung. Lose leuchtend
Tiere, Felsen, Hell-Entzwecktes:
Veilchenstreifen, laue Schädel
wiesenblütig.
Welle gegen Starr und Stirn,
Glüher tiefer Bacchanale
gegen die Vernichtungsmale:
Aufwuchs und Bewußtseinshirn,
spüle, stäube – Knabenhände,
Läuferglieder, raumumschlungen,
stranden dich zu Krug und Hang,
wenn bei Fischkopf, Zwiebel, Flöten
Leda-Feste rosenröten
Paarung, Fläche, Niedergang.
Heimstrom quillt auf zu Hunger und Geschlecht.
O Mühlenglück! O Abhang! Glutgefälle
stürmt noch die alte Sonne; schon verhöhnt
Neu-Feuer sie und um Andromeda
der frische Nebel schon,
o Wander-Welt!
Vermetzung an die Dinge: Nacht-Liebe, Wiesenakt:
Ich: lagernd, bestoßen, das Gesicht voll Sterne,
aus Pranken-Ansprung, Zermalmungsschauer
blaut küstenhaft wie Bucht das Blut
mir Egge, Dolch und Hörner.
Noch Weg kausalt sich höckrig durch die Häuser
des immanenten Packs, mit Fratzen
des Raums bestanden, drohend
Unendlichkeit.
Mir aber glüht sich Morgenlicht
entraumter Räume um das Knie,
ein Hirtengang eichhörnchent in das Laub,
Euklid am Meere singt zur Dreiecksflöte:
O Rosenholz! Vergang! Amati-Cello!
O Geist, entfremdetest du dich! o glühe
ein einzig Mal aus Sturm- und Sterngewalten,
aus Wolkenbruch der Ferne, die
nicht Fleische zügeln und Gehirne spalten,
o Geist, o wehe doch, wie die Propheten
dich priesen – sieh, ich ringe
in Blut nach einem fernen, sterne-steten!
Wer bist du, höhnt das Mark, es stammen doch
aus meiner Wiege deine Glieder;
vergessen, wie es einst bei dir nach Mieder
und Schenkel roch?
O rauschtest du wie Meer: ich vogelfreie!
Wie Sonne stürmisch: Ich,
Entschwänzter, glühe, pfingste, sternen-maie!
Und wieder Ruf: ich ging nach Liebesrosen
zum Markt. Geschiebe. In den Bretterbauden
Gemüsefrauen, Psychophysenfosen,
verpantarheierten Kohlrabistauden –!
O sängest du nun Abgrund, Schwankung, Süd:
Ich bin die Ferne, hergeweht
aus meinen arktischen Gezeiten,
jenseitige und sterne-stet …!
O sängest du aus Götterweiten
einmal dies Rosenmöwenlied!
Der Herbst der Herbste und das Aschenheer
der Schatten mit dem Tigerschwung der Geyser
schleudernd in Wolkenbild und Wiederkehr
des Hepta-Meron Welkebeet und Reiser
in alle Winkel und das leere Meer –
Windrose fremden Stamms von Atlashängen
rund und vom Pol zum Azimut retour
aus scheibenförmigen Ligusterklängen
und Tritonspeiendem bei Sterngesängen
mit weiten Schritten in die Drohnenflur –
Das ist die Steppe mit Entwicklungshohn
ins ewig Hoch! Empor! und Samenreiche
die hodenlose Schalaputenleiche,
die ganze Brut gestillter Sommerteiche,
die ganze Wut erlechzter Ab-vision.
Good bye, Mitropas Neophyten-Schwemme,
vom späten Strand des lethischen Gesträu
höhnen dich aufbau-degoutierte Stämme
in jedes Morgenrot und Alpenkämme,
Meer und der Nacht Plejadenlümmelei –
Hinab, hinab, stygische Schattenkähne
wenden thyrsäisch auf das Drohnentor,
dunkelnd, in die das Haupt, die Rosenlehne
und tief aus Trümmern rauscht die Weltverbene,
nachts klingt es wie ahoi und nevermore.
Den Ich-Zerfall, den süßen, tiefersehnten,
den gibst du mir: schon ist die Kehle rauh,
schon ist der fremde Klang an unerwähnten
Gebilden meines Ichs am Unterbau.
Nicht mehr am Schwerte, das der Mutter Scheide
entsprang, um da und dort ein Werk zu tun,
und stählern schlägt –: gesunken in die Heide,
wo Hügel kaum enthüllter Formen ruhn!
Ein laues Glatt, ein kleines Etwas, Eben –
und nun entsteigt für Hauche eines Wehns
das Ur, geballt, Nicht-seine beben
Hirnschauer mürbesten Vorübergehns.
Zersprengtes Ich – o aufgetrunkene Schwäre –
verwehte Fieber – süß zerborstene Wehr –:
verströme, o verströme du – gebäre
blutbäuchig das Entformte her.
O Nacht! Ich nahm schon Kokain,
und Blutverteilung ist im Gange,
das Haar wird grau, die Jahre fliehn,
ich muß, ich muß im Überschwange
noch einmal vorm Vergängnis blühn.
O Nacht! Ich will ja nicht so viel,
ein kleines Stück Zusammenballung,
ein Abendnebel, eine Wallung
von Raumverdrang, von Ichgefühl.
Tastkörperchen, Rotzellensaum,
ein Hin und Her und mit Gerüchen,
zerfetzt von Worte-Wolkenbrüchen –:
zu tief im Hirn, zu schmal im Traum.
Die Steine flügeln an die Erde,
nach kleinen Schatten schnappt der Fisch,
nur tückisch durch das Ding-Gewerde
taumelt der Schädel-Flederwisch.
O Nacht! Ich mag dich kaum bemühn!
Ein kleines Stück nur, eine Spange
von Ichgefühl – im Überschwange
noch einmal vorm Vergängnis blühn!
O Nacht, o leih mir Stirn und Haar,
verfließ dich um das Tag-verblühte;
sei, die mich aus der Nervenmythe
zu Kelch und Krone heimgebar.
O still! Ich spüre kleines Rammeln:
Es sternt mich an – es ist kein Spott –:
Gesicht, ich: mich, einsamen Gott,
sich groß um einen Donner sammeln.
O du, sieh an: Levkoienwelle,
der schon das Auge übergeht,
Abgänger, Eigen-Immortelle,
es ist schon spät.
Bei Rosenletztem, da die Fabel
des Sommers längst die Flur verließ –
moi haïssable,
noch so mänadisch analys.
Im Anfang war die Flut. Ein Floß Lemuren
schiebt Elch, das Vieh, ihn schwängerte ein Stein.
Aus Totenreich, Erinnern, Tiertorturen
steigt Gott hinein.
Alle die großen Tiere: Adler der Kohorten,
Tauben aus Golgathal –
alle die großen Städte: Palm- und Purpurborden –
Blumen der Wüste, Traum des Baal.
Ost-Gerölle, Marmara-Fähre,
Rom, gib die Pferde des Lysippus her –
letztes Blut des weißen Stiers über die schweigenden Altäre
und der Amphitrite letztes Meer –
Schutt. Bacchanalien. Propheturen.
Barkarolen. Schweinerein.
Im Anfang war die Flut. Ein Floß Lemuren
schiebt in die letzten Meere ein.
O Seele, um und um verweste,
kaum lebst du noch und noch zuviel,
da doch kein Staub aus keinen Feldern,
da doch kein Laub aus keinen Wäldern
nicht schwer durch deine Schatten fiel.
Die Felsen glühn, der Tartarus ist blau,
der Hades steigt in Oleanderfarben
dem Schlaf ins Lid und brennt zu Garben
mythischen Glücks die Totenschau.
Der Gummibaum, der Bambusquoll,
der See verwäscht die Inkaplatten,
das Mondchâteau: Geröll und Schatten
uralte blaue Mauern voll.
Welch Bruderglück um Kain und Abel,
für die Gott durch die Wolken strich –
kausalgenetisch, haïssable:
das späte Ich.
Schweigende Nacht. Schweigendes Haus.
Ich aber bin der stillsten Sterne,
ich treibe auch mein eignes Licht
noch in die eigne Nacht hinaus.
Ich bin gehirnlich heimgekehrt
aus Höhlen, Himmeln, Dreck und Vieh.
Auch was sich noch der Frau gewährt,
ist dunkle süße Onanie.
Ich wälze Welt. Ich röchle Raub.
Und nächtens nackte ich im Glück:
es ringt kein Tod, es stinkt kein Staub
mich, Ich-Begriff, zur Welt zurück.
Ein See, vom grauen Blute
des Herbstes ganz vergiftet,
machte mich mit krank.
Vergrämt empfing das Ufer,
glückleer und laubbeworfen,
wie Gräbererde meinen Schritt.
Dann kam in einem Park ein Beet:
das überblühte das ganze Elend,
den See, die Wolken und den Sturm im Garten
und schrie: Ich bin ganz unvernichtbar!
Ich versenge dem Tod seine kalte Fratze.
Wie alles Rote, Glut und Flammenhafte
aus meinen Schenkeln hurt!
Grüß Gott!