Sanfte Träume hält der Tag bereit - John Keats - E-Book

Sanfte Träume hält der Tag bereit E-Book

John Keats

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Beschreibung

John Keats war neben Lord Byron und Percy Shelley der bedeutendste Vertreter der englischen Romantik. Im Mittelpunkt seiner Gedichte und Briefe steht seine Geliebte Fanny Brawne. Es ist eine Liebe, die in der frühen englischen Klassengesellschaft zum Scheitern verurteilt scheint: Zu groß sind die Unterschiede zwischen der jungen Schneiderin und dem höchst begabten, aber schwermütigen Dichter. Meist voneinander getrennt, bleibt den Liebenden nur ihr inniger Briefwechsel, um einander nahe zu sein. In seinen Oden, Sonetten und Balladen besingt Keats die Geliebte. Noch jung verstirbt Keats fernab von Fanny Brawne einsam in Rom. Die posthume Publikation der Briefe führte in England zum Skandal.
Der vorliegende Band versammelt die Briefe des englischen Romantikers John Keats an seine Geliebte Fanny Brawne sowie Gedichte, die in dieser Zeit entstanden. Sie zählen zu den sprachlich intensivsten Werken der englischen Lyrik überhaupt.

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John Keats

Sanfte Träume hält der Tag bereit

Die schönsten Briefe und Gedichte

Mit einem Nachwort von Jane Campion

Insel Verlag

Übersicht

Cover

Titel

Inhalt

Informationen zum Buch

Impressum

Hinweise zum eBook

Inhalt

Cover

Titel

Inhalt

John Keats Briefe an Fanny Brawne 1819-1820

John Keats Briefe an Freunde 1817-1820

Joseph Severn Briefe an John Taylor 1821

Gedichte

When I have fears

Fürcht ich, daß frühem Tod mein Sein verfällt

The Eve of St. Agnes

St. Agnes Abend

Ode to a Nightingale

Ode an die Nachtigall

La Belle Dame sans Merci

La Belle Dame sans Merci

Bibliographische Notiz

Jane Campion Die Geschichte von John Keats und Fanny Brawne

Fußnoten

Informationen zum Buch

Impressum

Hinweise zum eBook

John Keats Briefe an Fanny Brawne 1819-1820

Shanklin, Insel Wight, Donnerstag [1. Juli 1819]

Teuerste Frau,

ich bin froh, daß ich keine Gelegenheit hatte, einen Brief abzusenden, den ich Dienstag abend für Dich schrieb – er glich zu sehr einem aus Rousseaus Heloïse. Heute morgen bin ich vernünftiger. Der Morgen ist für mich die einzig richtige Zeit, um einem schönen Mädchen zu schreiben, das ich so sehr liebe, denn am Abend, wenn der einsame Tag beendet ist und das einsame, stille, musiklose Zimmer wartet, um mich wie in einer Gruft aufzunehmen, dann – glaub mir – gerät meine Leidenschaft völlig außer Rand und Band, dann wünsche ich nicht, daß Du die Rhapsodien sähest, deren Losströmen ich bei mir niemals für möglich gehalten und die ich oft bei anderen verlacht habe, aus Angst, Du könntest mich entweder für unglücklich oder für ein wenig verrückt halten. Ich sitze jetzt an einem sehr angenehmen Landhausfenster, durch das man auf eine schöne hügelige Landschaft mit einem Streifen Meer sieht. Der Morgen ist herrlich. Ich weiß nicht, wie elastisch mein Geist sein könnte, was für ein Vergnügen ich finden könnte, wenn ich an dieser schönen Küste lebte, atmete und frei wie ein Hirsch herumstriche, falls die Erinnerung an Dich nicht so schwer auf mir läge. Nie habe ich ungetrübtes Glück durch viele Tage gekannt: der Tod oder die Krankheit irgend jemands haben mir immer meine Stunden verdorben – und jetzt, da mich keine solchen Sorgen drücken, bist Du es, die ungern bekennen muß, daß eine andere Art von Schmerz mich verfolgen soll. Frag Dich selbst, Liebste, ob es von Dir nicht sehr grausam ist, mich so gefesselt, meine Freiheit so zerstört zu haben. Willst Du dies in dem Briefe gestehen, den Du sofort schreiben mußt, und alles tun, was Du kannst, um mich zu trösten – so mach den Brief üppig wie einen Mohntrunk, um mich zu betäuben – schreib die sanftesten Worte und küsse sie, daß ich wenigstens meine Lippen dorthin drücken kann, wo Deine waren. Ich selbst weiß nicht, wie ich meine Verehrung für eine so herrliche Erscheinung ausdrücken soll: Ich brauche ein freudigeres Wort als freudig, ein herrlicheres Wort als herrlich. Ich wünsche beinahe, wir wären Schmetterlinge und lebten nur drei Sommertage – drei solche Tage mit Dir könnte ich mit mehr Entzücken füllen als fünfzig gewöhnliche Jahre jemals enthalten könnten. Aber wie selbstisch ich auch fühlen mag, ich könnte sicherlich niemals selbstisch handeln. Wie ich einen oder zwei Tage vor meiner Abreise von Hampstead sagte, werde ich niemals nach London zurückkehren, wenn mein Schicksal nicht den Treffbuben oder wenigstens eine andere Figur aufschlägt. Obwohl ich mein Glück in Dir konzentrieren könnte, kann ich nicht erwarten, daß ich Dein Herz so völlig an mich ziehe – in der Tat, wenn ich glaubte, Du fühltest für mich so viel wie ich für Dich in diesem Augenblick, ich denke nicht, daß ich mich enthalten könnte, Dich morgen wiederzusehen, um das Entzücken einer einzigen Umarmung zu genießen. Aber nein – ich darf nicht von Hoffnung und Zufall leben. Im Falle des Schlimmsten, das sich ereignen kann, werde ich Dich dennoch lieben – aber welchen Haß werde ich gegen einen andern haben! Einige Zeilen, die ich neulich las, klingen mir immer im Ohr:

Zu sehn, daß diese Augen, die ich preise,

verheißen einem andern Gunst –

und diese süßen Lippen (nektarspendend)

von einem andern sanfte Küsse spüren –

Denk, denk Francesca, welch verruchtes Tun

dies wäre über alle Maßen.

Schreib doch sofort. Hier ist keine Post, daher mußt Du adressieren: Postamt Newport, Insel Wight. Ich weiß, daß ich mich noch vor Abend verwünschen werde, weil ich Dir einen so kühlen Brief geschrieben habe, doch es ist besser, es so vernünftig wie möglich zu tun. Sei so gütig, wie die Entfernung es zuläßt mit

Deinem J. Keats.

Bitte empfiehl mich Deiner Mutter, grüß mir Margaret und Deinen Bruder.

8. Juli [1819]

Mein süßes Mädchen,

Dein Brief entzückte mich mehr, als irgend etwas in der Welt außer Dir es könnte. Wirklich, ich bin beinahe erstaunt, daß ein Abwesender eine so ausgedehnte Macht über meine Sinne haben kann, wie ich sie verspüre. Selbst wenn ich nicht an Dich denke, dringt Dein Einfluß zu mir, und ein sanfteres Wesen überkommt mich. Ich bemerke, daß alle meine Gedanken, meine unglücklichsten Tage und Nächte mich durchaus nicht von meiner Liebe zur Schönheit geheilt, sondern sie so gesteigert haben, daß ich unglücklich bin, weil Du nicht bei mir bist – oder besser gesagt: Ich atme in jener schläfrigen Art von Geduld, die nicht Leben genannt werden kann. Niemals wußte ich vordem, was eine Liebe wäre, wie Du sie mich fühlen läßt; ich glaubte nicht daran; meine Einbildungskraft scheute sich davor, damit sie mich nicht verbrenne. Aber wenn Du mich völlig lieben willst, wird es trotz ein wenig Feuer nicht mehr sein, als wir vertragen können, wenn wir taufeucht von Vergnügen sind. Du erwähntest »schreckliche Leute« und fragst mich, ob es von ihnen abhängt, daß ich Dich wiedersehe. Versteh mich darin, Liebste. Ich habe so viel von Dir in meinem Herzen, daß ich zum Mentor werden muß, wenn ich bemerke, daß Dir Leid zustoßen kann. Ich wünschte niemals etwas anderes zu sehen als Freude in Deinen Augen, Liebe auf Deinen Lippen und Glück in Deinen Schritten. Ich wünschte Dich jenen Vergnügungen nachhängen zu sehen, die Deinen Neigungen und Gedanken entsprechen, so daß unsere Liebe eher inmitten der Freude ein völliges Entzücken als eine Zuflucht von Ärger und Sorgen sein könnte. Aber ich zweifle stark, ob ich im schlimmsten Falle genug Philosoph sein könnte, um meine eigenen Lehren zu befolgen: wenn ich sähe, daß mein Entschluß Dich schmerzte, würde ich es nicht können. Warum darf ich nicht von Deiner Schönheit sprechen, da ich ohne sie Dich niemals geliebt haben würde? Ich kann mir als Beginn einer Liebe, wie ich sie für Dich empfinde, nur Schönheit vorstellen. Es mag eine Art von Liebe geben, für die ich ohne den geringsten Spott die höchste Anerkennung habe und die ich bei andern bewundern kann: aber sie hat nicht den Reichtum, den Duft, die volle Form, den Zauber der Liebe meines eigenen Herzens. Daher laß mich von Deiner Schönheit sprechen, wenn ich mich dadurch auch selbst gefährde, wenn Du auch gegen mich so grausam sein könntest, anderswo ihre Macht zu versuchen. Du sprichst von Deiner Furcht davor, daß ich denken werde, Du liebtest mich nicht. Indem Du dies sagst, stärkst Du mein schmerzliches Verlangen, bei Dir zu sein. Ich mache hier fleißig Gebrauch von meinen Fähigkeiten, ich verbringe keinen Tag, ohne einige regellose Blankverse hinzuschreiben oder einige Reime zusammenzustoppeln; und hier muß ich gestehen, daß (da ich einmal bei diesem Thema bin) ich Dich infolge des Glaubens, Du liebtest mich um meiner selbst willen und um sonst nichts, um so mehr liebe. Ich traf mit Frauen zusammen, von denen ich wirklich glaube, sie hätten sich gern an ein Gedicht verheiratet oder einem Roman hingeben lassen. Ich habe Deinen Kometen gesehen und wünsche nur, es wäre ein Zeichen dafür gewesen, daß der arme Rice, dessen Krankheit ihn zu einem ziemlich melancholischen Gefährten macht, gesund würde, und dies um so mehr, als er seine Gefühle bekämpft und mit gewaltsamem Witz vor mir zu verbergen sucht. Ich küßte Dein Schreiben ab in der Hoffnung, Du hättest mir meinen Willen getan, indem Du eine Spur Honig zurückließest. Was war Dein Traum? Erzähl ihn mir, und ich will Dir seine Erklärung geben.

Immer Dein, meine Liebe! ‌ John Keats.

Beschuldige mich nicht der Verzögerung – wir haben hier keine Gelegenheit, jeden Tag Briefe abzuschicken. Schreibe bald.

Shanklin Donnerstag abends [15. Juli 1819]

Mein Lieb,

mein Gesundheitszustand während der letzten zwei oder drei Tage war so schwankend, daß ich nicht glaubte, Dir diese Woche noch schreiben zu können. Nicht daß ich sehr krank war, aber doch so viel, um nur eines ungesunden, quälenden Briefes fähig zu sein. Heute abend bin ich zum größten Teil wiederhergestellt, aber nur um die Sehnsucht nach Dir erglühen zu fühlen. Du sagst, Du hättest mich vielleicht besser machen können: Du würdest mich aber dann schlechter gemacht haben. Jetzt könntest Du wirklich Heilung bringen. Was für ein Honorar, mein lieblicher Arzt, würde ich nicht geben, damit Du es tust! Nenn es nicht Narretei, wenn ich Dir erzähle, daß ich Deinen Brief gestern nacht mit mir zu Bette nahm. Morgens fand ich Deinen Namen am Siegelwachs verwischt. Ich war bestürzt durch das böse Omen, bis ich mich erinnerte, daß es in meinen Träumen geschehen sein mußte, und diese – wie du weißt – erfüllen sich im Gegenteil. Du mußt jetzt schon herausgefunden haben, daß ich ein wenig dazu neige, Schlimmes zu verkünden wie der Rabe; es ist mein Unglück, nicht mein Fehler; es ging hervor aus der allgemeinen Art meiner Lebensumstände und machte jedes Ereignis verdächtig. Doch will ich weder Dich noch mich selbst länger mit traurigen Prophezeiungen quälen, obwohl es mir soweit angenehm ist, als es mir Gelegenheit gegeben hat, Deine Unparteilichkeit gegen mich zu lieben. Ich kann nicht länger mehr ein Rabe sein; Du und die Freude ergreifen Besitz von mir im gleichen Augenblick. Ich fürchte, Du warst unwohl. Wenn Dich Krankheit durch mich berührt hat (aber es muß mit sehr sanfter Hand sein), muß ich selbstisch genug sein, um mich ein wenig darüber zu freuen. Willst Du mir das verzeihen? Ich las neulich eine orientalische Erzählung von sehr schönem Kolorit. – Sie handelt von einer Stadt melancholischer Männer, die es alle durch folgenden Umstand wurden. Nach einer Zahl von Abenteuern erreicht jeder von ihnen der Reihe nach Gärten des Paradieses, wo sie eine höchst bezaubernde Frau treffen; und gerade, als sie sie umarmen wollen, gebietet sie ihnen, die Augen zu schließen – sie schließen sie –, und als sie die Augen wieder öffnen, finden sie sich in einem Zauberkorb zur Erde herabgleiten. Die Erinnerung an diese Frau und ihre Verzückungen, die jedem Wiedererstehen verloren sind, machen sie für immer melancholisch. Wie ich dies auf Dich anwendete, meine Liebe; wie ich davor zitterte; wie die Gewißheit, daß Du in der gleichen Welt mit mir bist, und obwohl so schön, nicht so zauberisch wie diese Frau; wie ich es nicht ertragen konnte, daß Du so wärst: mußt Du glauben, denn ich schwöre es bei Dir selbst. Ich kann nicht sagen, wann ich einen Band fertig haben werde. Ich habe drei oder vier Erzählungen halb beendet, aber da ich nur für den Druck nicht schreiben kann, bin ich gezwungen, sie fortschreiten oder ruhen zu lassen, wie es meiner Phantasie gefällt. Weihnachten können sie vielleicht erscheinen, aber ich bin nicht sicher, ob sie jemals erscheinen werden. Es wird nichts daran liegen, denn Gedichte sind allgemein wie Zeitungen, und ich sehe nicht ein, warum es bei mir ein größeres Verbrechen ist als bei einem anderen, die Verse eines halb-flüggen Hirns in die Lesezimmer und Gesellschaftszimmerfenster taumeln zu lassen. Rice war in der letzten Zeit wohler als gewöhnlich. Er leidet nicht an Vernachlässigung durch seine Eltern, die seit einigen Jahren imstande sind, ihn besser zu verstehen, als sie es in seiner ersten Jugend konnten, und sich nun seinem Wohlergehen widmen. Wenn meine Gesundung während der Nacht anhält, will ich morgen weiter hierherum Umschau halten und nach den Gesellschaften aussehen, die zur Jagd auf Malerisches kommen wie Spürhunde. Es ist erstaunlich, wie sie Szenerie hinabschlucken wie Kinder Süßigkeiten. Der seltsame Bergrücken hier ist ein sehr großer Löwe: ich wünsche, ich hätte so viele Goldstücke als Ferngläser auf ihn gerichtet waren. Ich war diese letzte Stunde in prächtiger Laune, ich kann nicht sagen warum. Was für ein Grund? Wenn ich meine Kerze nehmen und mich in ein einsames Zimmer zurückziehen muß, ohne den Gedanken beim Einschlafen, daß ich Dich morgen sehen werde? oder am nächsten Tag – oder am nächsten – es gewinnt den Anschein von Unmöglichkeit und Ewigkeit – ich will sagen einen Monat – ich will sagen, ich werde Dich längstens in einem Monat sehen, obgleich niemand außer Dir mich sehen soll; wenn es auch nur für eine Stunde wäre. Ich wäre nicht gern so nahe bei Dir wie London, ohne ständig mit Dir zu sein: nachdem ich Dich noch einmal geküßt hätte, Süße, wäre ich lieber hier allein bei meiner Arbeit als im Getriebe und im verhaßten literarischen Schnickschnack. In der Zwischenzeit mußt Du mir schreiben – wie ich es jede Woche tun will –, denn Deine Briefe erhalten mich am Leben. Mein süßes Mädchen, ich kann meine Liebe zu Dir nicht aussprechen. Gute Nacht! und

Immer Dein ‌ John Keats.

Sonntag abends [25. Juli 1819]

Mein süßes Mädchen,

ich hoffe, Du machtest mir nicht allzugroße Vorwürfe, daß ich Deine Bitte um einen Brief am Samstag nicht erfüllte. Wir hatten vier Leute in unserem kleinen Zimmer, die abends und morgens Karten spielten und mir jede Gelegenheit nahmen, Dir ungestört zu schreiben. Jetzt, da Rice und Martin fort sind, ist es mir wieder möglich. Zu meinem Schmerze bestätigt mir Brown die Nachricht, die Du über Deinen schlechten Gesundheitszustand gibst. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie ich unter dem Verlangen leide, bei Dir zu sein, wie ich für eine solche Stunde sterben möchte – denn was gibt es sonst in der Welt? Ich sage, Du kannst Dir dies nicht vorstellen. Es ist unmöglich, daß ich Dich so beschäftigen könnte wie Du mich: es kann nicht sein. Verzeih mir, wenn ich heute abend ein wenig zerfahren bin, denn ich war den ganzen Tag mit einem sehr abstrakten Gedichte beschäftigt und bin unergründlich verliebt in Dich – zwei Tatsachen, die mich entschuldigen müssen. Glaub mir, es dauerte nicht allzulange, bevor ich mich Dir ganz zu eigen gab. In derselben ersten Woche, in der ich Dich kennenlernte, verschrieb ich mich Dir als Sklaven, aber ich verbrannte den Brief, als ich bei unserem nächsten Beisammensein zu bemerken glaubte, daß Du gegen mich eine Abneigung zeigtest. Wenn Du jemals für einen Mann beim ersten Zusammentreffen das fühlen solltest, was ich für Dich fühlte, ist es um mich getan. Doch würde ich Dich nicht schelten, sondern mich selbst hassen, wenn so etwas geschehen könnte – nur würde ich außer mir geraten, wenn dieser Mensch als Mann nicht ebenso kostbar wäre wie Du als Frau. Vielleicht lasse ich mich zu weit fortreißen. Dann sieh mich vor Dir auf meinen Knien, besonders, wenn ich einen Teil Deines Briefes erwähne, der mir weh tat. Du sprichst von Mr. Severn und sagst: »Aber Du mußt Dich mit dem Bewußtsein zufrieden geben, daß ich Dich mehr bewunderte als Deinen Freund.« Mein Liebling, ich kann nicht glauben, daß an mir jemals etwas zu bewundern war noch sein wird, besonders was mein Äußeres betrifft – ich kann nicht bewundert werden, ich bin nichts, das man bewundert. Du ja, ich liebe Dich; alles, was ich Dir geben kann, ist eine mich wie eine Ohnmacht überkommende Bewunderung Deiner Schönheit. Ich nehme unter den Männern jenen Platz ein, den stumpfnasige Brünetten mit zusammenstoßenden Augenbrauen unter den Frauen einnehmen – sie sind mir Luft – außer ich fände unter ihnen eine mit einem Feuer in ihrem Herzen gleich dem, das in meinem brennt. Du füllst mich ganz aus, gegen meinen Willen – Du allein, denn ich freue mich nicht auf das, was man »sich häuslich niederlassen« nennt. Ich fürchte mich vor häuslichen Sorgen – doch Dir zuliebe wollte ich ihnen begegnen, obwohl ich lieber sterben als mit ihnen zu tun haben würde, wenn Du ohne sie glücklicher wärst. Es gibt für mich zwei Kostbarkeiten, die meine Gedanken während meiner Spaziergänge nicht loslassen: Deine Lieblichkeit und die Stunde meines Todes. O, daß ich sie beide in der nämlichen Minute besitzen könnte! Ich hasse die Welt. Sie drückt zu sehr auf die Schwingen meines Eigenwillens, und ich wollte, ich könnte ein süßes Gift von Deinen Lippen nehmen, das mich von ihr befreien könnte. Von keinen anderen Lippen möchte ich es nehmen. Ich staune wirklich, daß ich so unbekümmert um alle Reize außer Deinen bin – wenn ich an die Zeit denke, als mir sogar ein Stück Band wichtig war. Was könnte ich nun noch an sanfteren Worten für Dich finden – ich will es nicht überlesen. Noch will ich hier mehr sagen, sondern in einem post scriptum alles übrige beantworten, das Du in Deinem Briefe mit so vielen Worten erwähnt haben könntest – denn ich bin von tausend Gedanken abgelenkt. Ich will mir nur vorstellen, Du wärest heute nacht Venus, und zu Deinem Stern beten, beten, beten wie ein Heide.

Immer Dein, heller Stern, ‌ John Keats.

Meine Petschaft ist, wie ein Familientischtuch, mit meiner Mutter Anfangsbuchstaben F für Fanny gezeichnet, hineingesetzt zwischen die Anfangsbuchstaben meines Vaters. Du wirst bald wieder von mir hören. Meine ergebenen Empfehlungen an Deine Mutter. Sage Margaret, daß ich ihr ein Riff aus bestem Felsen senden, und Sam, daß ich ihm mein leichtes braunes Jagdpferd geben werde, wenn er den »Bischof« an Händen und Füßen fesseln, ihn in einen Tragkorb packen und mir schicken will, damit ich ihn zu seiner Gesundheit bade und ein Halsband aus guten flachen Steinen um seinen Hals gebe.

Shanklin, Donnerstag abends [5. August 1819]

Mein liebes Mädchen,

Du sagst, Du wolltest keine solchen Briefe mehr haben wie den letzten: Ich will es zu erreichen suchen, indem ich beharrlich das Gegenteil verfolge. Wirklich, ich habe kein leichtes Spiel – ich bin nicht müßig genug für richtige, vollkommene Liebesbriefe –, ich verlasse in diesem Augenblick eine Szene in unsrer Tragödie und sehe Dich (halt es nicht für eine Blasphemie) durch einen Nebel von Verwicklungen, Gesprächen, Gegenverwicklungen und Gegengesprächen. Der Liebhaber ist wahnsinniger als ich – ich bin nichts im Vergleich mit ihm –, er hat eine Figur wie die Statue des Meleager und doppelt-destilliertes Feuer in seinem Herzen. Danke Gott für meinen Fleiß! Ohne ihn wäre ich unglücklich. Ich bekräftige ihn und bestrebe mich, nicht an Dich zu denken – aber wenn mir dies während des ganzen Tages und bis Mitternacht gelungen ist, bringt Dich das Fieber, in dem ich verbleibe, stärker zurück, sobald diese künstliche Erregung weicht. Bei meiner Seele, ich kann nicht sagen, weswegen Du mich liebhaben könntest. Ich halte mich ebensowenig für ein Scheusal wie Mr. ‌A., Mr. ‌B. und Mr. ‌C. – Doch, wenn ich eine Frau wäre, würde ich nicht A. ‌B. ‌C. liebhaben. Aber genug davon. Du beabsichtigst also, mich an mein Versprechen, Dich in einer kurzen Zeit wiederzusehen, zu binden. Ich werde dieses Versprechen mit ebensoviel Schmerz wie Freude halten: denn ich bin nicht einer der alten Paladine, die von Wasser, Gras und Lächeln Jahre hindurch lebten. Was würde ich doch heute abend nicht für die Verzückung meiner Augen allein geben? Heute in einer Woche werden wir nach Winchester ziehen, denn ich spüre den Mangel einer Bibliothek. Brown wird mich dort verlassen, um Mr. Snook in Bedhampton einen Besuch abzustatten: in seiner Abwesenheit will ich zu Dir hin- und wieder zurückschlüpfen. Ich werde nur eine sehr kleine Weile bleiben, denn, da ich jetzt mit dem Schreiben im Zuge bin, fürchte ich, es zu stören – ich will ihm seinen Lauf lassen, schlecht oder gut – ich werde daran meine eigene Kraft und den Puls der Öffentlichkeit erproben. In Winchester werde ich Deine Briefe leichter erhalten, und da es eine Stadt mit einer Kathedrale ist, werde ich ein Vergnügen haben, das für mich in der Nähe einer Kathedrale immer groß war: Deine Briefe während des Gottesdienstes zu lesen, indem ich im Seitenschiffe auf und ab gehe.

Freitag morgens [6. August 1819]. – Als ich gestern abend gerade bis hierher geschrieben hatte, kam Brown herunter im Morgenrock, mit der Nachtmütze, und sagte, er sei durch einen guten Schlaf sehr erfrischt und hungrig. Ich verließ ihn, während er speiste, und ging zu Bett, da ich zu müde war, um mich in irgendwelche Diskussionen einzulassen. Du würdest Dich an den Spaziergängen hier sehr erfreuen. Sie sind jedoch nicht so anziehend, daß ich ihnen nicht herzlich gern Lebewohl sagte, um sie gegen meine Kathedrale einzutauschen. – Hingegen bin ich wieder nicht so ermüdet von der Szenerie, um die Schweiz zu hassen. Wir könnten ein angenehmes Jahr in Bern oder Zürich verbringen – wenn es Venus gefallen sollte, mein »Ich flehe Dich an, uns zu hören, o Göttin« zu hören. Und wenn sie hören sollte, Gott verhüte, daß wir, wie die Leute es nennen, uns »niederlassen« – zu einem Teich werden, einem stagnierenden Lethe – einem verächtlichen Häuserhalbkreis, einer Gasse oder einem Gebäude. Besser unvernünftig beweglich zu sein als weise festgebannt. Meinen Mund bei der Haustür öffnen wie der Löwenkopf in Venedig, um verhaßte Visitenkarten zu empfangen, Briefe, Botschaften, Ausgehen und bei Teegesellschaften verwelken; bei Abendessen frieren; bei Tanzgesellschaften braten; bei Empfängen brodeln. Nein, mein Lieb, vertrau Dich mir an, und ich will für Dich edlere Unterhaltungen finden, wenn uns das Geschick wohl will. Ich fürchte, Du wirst diese Zeilen nicht vor Sonntag oder Montag erhalten: wie der Irländer zu schreiben pflegte: haß mich nicht in der Zwischenzeit. Ich sehne mich, nach Winchester fortzukommen, denn ich fange an, hier sogar die Türpfosten zu hassen – die Namen, die Kiesel. Du erkundigst Dich nach meiner Gesundheit und sagst mir nicht, ob es Dir besser geht. Mir geht es ganz gut. Dein Ausgehen beweist nicht, daß es Dir gutgeht. Wie steht es damit? Langes Aufbleiben wird Dir sehr schaden. Was für ein Vergnügen meinst Du? Ich war durch eine Reihe von Tagen allein, während Brown mit seinem alten Rucksack im Lande umherstrich. Ich mag seine Gesellschaft wie die irgendeines andern, bedauerte es aber, als er zurückkam – es traf mich wie ein Donnerschlag. Ich war ins Träumen gekommen inmitten meiner Bücher – indem ich wirklich in einer Einsamkeit und Ruhe schwelgte, die nur Du allein hättest stören sollen.

Dein Dir immer zugetaner ‌ John Keats.

Winchester, 17. August