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Sankt Thomas ist ein Kurzroman von Wilhelm Raabe, welcher in einem historischen Setting spielt. 1595 wird eine Kutsche überfallen und von dort spinnt sich die Geschichte. Auszug: Im großen Meerbusen von Guinea, fünfzehn bis fünfzig Seemeilen von der Küste des afrikanischen Kontinents, liegt die Gruppe der Guineainseln, einzeln genannt: Fernao do Po, Isola do Principe, Annobon und Sankt Thomas. Diese Inseln wurden, nachdem wahrscheinlicherweise Karthager und Phönizier sie längst in ihren Logbüchern verzeichnet hatten, im Jahre nach Christi Geburt 1472 von den Portugiesen wiedergefunden, und die Flagge dieses einst so kühnen Seefahrervolkes weht heute noch auf Sankt Thomas und der Prinzeninsel, während Fernao do Po und Annobon in die Hand der Spanier gefallen sind; doch weder die Portugiesen noch die Spanier wissen mit ihrem Teil viel zu beginnen.
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Seitenzahl: 74
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Im großen Meerbusen von Guinea, fünfzehn bis fünfzig Seemeilen von der Küste des afrikanischen Kontinents, liegt die Gruppe der Guineainseln, einzeln genannt: Fernao do Po, Isola do Principe, Annobon und Sankt Thomas. Diese Inseln wurden, nachdem wahrscheinlicherweise Karthager und Phönizier sie längst in ihren Logbüchern verzeichnet hatten, im Jahre nach Christi Geburt 1472 von den Portugiesen wiedergefunden, und die Flagge dieses einst so kühnen Seefahrervolkes weht heute noch auf Sankt Thomas und der Prinzeninsel, während Fernao do Po und Annobon in die Hand der Spanier gefallen sind; doch weder die Portugiesen noch die Spanier wissen mit ihrem Teil viel zu beginnen.
Wir erwecken die alte Zeit und erzählen eine Geschichte aus dem Jahre 1599, da Franzisko Meneses Gouverneur auf Sankt Thomas war und diese Ehre mit seinem Leben bezahlte.
Es ging aber damals nicht der Statthalter allein verloren. –
In diesem Jahre 1599 flatterte nicht das Banner von Portugal, sondern das von Spanien auf dem Schloß Pavaosa, und Don Franzisko hielt die Wacht für Don Philipp III. – daran war die Schlacht von Alcassar schuld. Von dieser Schlacht schreibt ein gleichzeitiger deutscher Chronist:
»Drey Könige haben sich umb ein Königreich geschlagen, und jhrer keiner hat doch das Königreich erhalten, sondern der, auff den man nicht gedacht hette, ist König worden. Das ist die Schlacht in Afrika, darinnen drey Könige umbkommen sind, nemblich Sebastian, der König von Portugal, Abdelmelech und Mahometh, zween barbarische Könige auß Mauritanien, und auff deß Königs von Portugal seiten sind todt blieben der Hertzog von Avero, die Bischöffe Conimbricensis und Portuensis, Item der Bäpstische Legat, der Marggraff auß Irlandt, Christoff von Tavora und viel andere Herren, tapffere Ritter und Edelleute. Abdelmelech, der Barbarische König, ist in der Stadt Feß begraben worden, eben in dem Habit, Kleide und köstlichem Geschmuck von Edelgesteinen und Perlen, darinnen er verschieden war. Deß Portugalischen Königs Leichnam unterstunden sich viel auß den gefangenen Edelleuten loß zu keuffen, und bohten dem newen Barbarischen König Hameto zehen tausend Ducaten dafür, aber der barbarische König gab jhnen zur Antwort, das sich nicht geziemen wolt, auß einem todten Leichnam Geldt zu keuffen, und ließ ihn gen Alcazara tragen und daselbs im Bilgerhause begraben.«
Der ehrliche deutsche Geschichtsschreiber wußte das ganz genau, wo der junge tapfere König Sebastian geblieben sei; aber das arme Portugal wußte es nicht und wollte nicht an das Grab desselben im Pilgerhause zu Alcassar glauben. Mit unerschütterlicher Sicherheit hoffte es auf seine Rückkehr, und je böser die Zeit, je härter und unerträglicher das Joch des neuen Herrschers wurden, desto mehr faßte diese Sehnsucht und Hoffnung Wurzeln in dem Herzen des Volkes, das seine große, glänzende Zeit noch nicht vergessen hatte.
Der neue Herrscher nannte sich Don Philipp II. von Spanien, und sein schlimmer Feldherr Ferdinand Alvarez von Toledo, Herzog von Alba, hatte ihm das unglückliche Land nach der kurzen Zwischenregierung des Kardinals Heinrich und der traumartigen Herrschaft des Königs Anton, Priors von Crato, unterworfen.
So war seit dem Jahre 1581 Portugal eine schlecht behandelte, gedrückte Provinz Spaniens und wurde unvermeidlich in alles Unglück und Elend dieses verfallenden Reiches hineingezogen, und Engländer und Niederländer behandelten seine Küsten und Kolonien nicht anders als alles übrige spanische Eigentum, auf welches sie die Hand legen konnten. So war auch die portugiesische Insel Sankt Thomas hispanisches Besitztum, und Statthalter war, wie schon gesagt, der hispanische Oberst Don Franzisko Meneses, ein tapferer, aber armer Mann, welcher den abgelegenen Posten in der Bai von Biafra genommen hatte, da ihn kein anderer nehmen wollte, und welcher von seiner Residenz, dem Schloß Pavaosa, aus das Volk der Eingeborenen, einen kräftigen, wohlgestalteten Negerstamm, in ziemlichem Respekt erhielt und nach besten Kräften das Seinige tat, mit seinen spanischen und portugiesischen Kolonisten und Besatzungstruppen den Bau des Zuckerrohres zum wünschenswerten Flor zu bringen und das Banner Don Philipps III. allen falschen Sebastianen, allen engländischen und holländischen Anfechtungen zum Trotz hochzuhalten.
* * *
Es war eine Hängematte zwischen zwei Palmenbäumen im Garten des Schlosses ausgespannt. Breitblätterige tropische Gewächse, wie sie die Sonne des Äquators hervorruft, beschatteten das schaukelnde Bett; ein Gebirgsbach rauschte an dem schönen Ruheplatze vorüber und eilte, hier von Gebüsch und Blüten verdeckt, dort frei über das flimmernde Gestein springend, dem Meere zu. Bunt, farbenschillernd, duftend war der Garten des Schlosses Pavaosa; aber die Luft zitterte über ihm; das rauschende und murmelnde, das klare, tanzende Wasser war ein böser Hohn, der Schatten war nicht Kühle.
Die Männer fluchten der furchtbaren Sonne, die Frauen sanken stumm vor ihr zusammen; für jeden, der nicht auf diesem Flecke geboren wurde, war das Leben eine Qual; und im Fiebertraum lag die junge Schläferin in der Hängematte zwischen den beiden Palmbäumen im Garten des Gouverneurs der Insel Sankt Thomas unter dem Äquator, Don Franzisko Meneses.
Doña Camilla Drago träumte vom Schneefall an den Ufern der Schelde und der Waal, von scharfen nordischen Seewinden, von Eisblumen an den runden, in schweres Blei gefaßten Fensterscheiben, vom Eis der holländischen Kanäle, vom lustigen Sturm, der nachts die Dachziegel klappernd bewegt und die Wetterfahnen auf den spitzen Giebeln lustig herumwirft, und ihr Oheim, der Gouverneur, gelb und ausgedörrt, blutleer und knebelbärtig, schwarzäugig und krummnasig wie der gute Ritter Don Quijote von La Mancha, saß zu Häupten ihres hängenden Lagers, hielt ihre heiße Hand und sprach mit Kopfschütteln vor sich hin:
»Mit allem schuldigen Respekt vor einem hohen Kriegsrat zu Madrid und meinem Herrn, Don Philipp III., aber dieses ist kein Ort und Aufenthalt für eine junge Dame, ungesagt gelassen, daß es auch bessere Ruheplätze geben mag für einen alten invaliden Kavalier, der seine Pflicht vom sechzehnten bis zum sechzigsten Jahre zu Fuß und Pferde, ja selbst an manchem Schiffsbord mühselig, aber freudig getan hat. Da gibt's doch manches Plätzchen, sei's in Spanien, sei's in Portugal, ja sei's selbst in Westindien, wo ein alter Ritter behaglicher seine Knochen zur Ruhe legen könnte, ungesagt gelassen, daß man hier nur sitzt, um vergessen zu werden, – o heilige Jungfrau, und auch von dieser jungen Dame, meiner Nichte, gar nicht zu sprechen!«
Der Alte zog die Spitzen des wohlgepichten Schnauzbartes durch die Hände, drehte den Knebelbart und verlor sich unter wiederholtem Schütteln des Hauptes in das tiefste Nachdenken über den nichtsnutzigen, ungerechten Zustand der Welt, den Verbrauch von Lanzenspitzen, Schwerterklingen, Schießpulver und wackern hispanischen Soldaten und Rittern überall, wo die Fahnen mit den Löwen und den Türmen wehten und natürlich mit dem Nachbar in Konflikt geraten waren. Er dachte tief nach über alle guten, mittelmäßigen und schlechten Statthaltereien diesseits und jenseits des Atlantischen Ozeans, am tiefsten über den Leichtsinn seiner edlen gotischen Ahnen, welche das Ihrige und damit auch das Seinige nicht zusammengehalten hatten, am allertiefsten aber über seine Nichte, Doña Camilla Drago.
Das war der ewige Kreislauf seiner Gedanken: er, Franzisko Meneses, habe nichts für seine eigene Person gegen die Insel Sankt Thomas im großen Meerbusen von Guinea, grade unter dem schwarzen erschrecklichen Strich, der Äquator genannt, einzuwenden, und der Sitz im Schloß Pavaosa sei ihm tausendmal lieber als das Stehen und Kriechen im Vorzimmer der großen Herren zu Madrid; aber die kleine, heiße Hand gehöre nicht in solche Statthalterschaft – basta!
Basta ist ein sehr böses Wort, wenn es sich hinter einer solchen Gedankenreihe als Riegel gegen die bangen Bilder und Vorstellungen, die noch kommen wollen und die Zukunft bedeuten, vorschieben will!
Die kleine Hand, welche so schlaff und matt von dem schwebenden Lager herniederhing, hatte ihre Geschichte, eine wildbewegte, abenteuerliche Historie – worüber das Folgende nachzulesen sein wird.
Im feuchtesten, frischesten Grün dehnte sich die weite flandrische Ebene, und der Regenbogen stand wie eine Brücke auf dem Lande; die Reiter und Rosse schüttelten die blitzenden Tropfen von sich, und die schweren friesischen Gäule vor der schwerfälligen, gewaltigen Kutsche, die von der streifenden Schar des Prinzen Moritz soeben angehalten worden war, trieften und schnoben wie eben dem Meer entstiegene Rosse Neptuns. In der Ferne hinter den grünen Hecken, die Wassergräben entlang, wurden noch Pistolenschüsse zwischen der fliehenden Bedeckung der spanischen Kutsche und den verfolgenden Reitern der Provinzen gewechselt; in dem Wagen selbst war aber die Stille des Grabes auf ein helles weibliches Jammer- und Hülfegeschrei gefolgt, und der zerzauste, pulvergeschwärzte Raufbold, welcher den Fang gemacht hatte und jetzt vorsichtig den Schlag öffnete, wußte durchaus nicht, was er mit diesem Haufen ohnmächtiger Frauenzimmer anzufangen habe. Weder er noch einer seiner lustigen Reiter führte ein Riechfläschchen in der Tasche oder im Sattelsack mit sich.
Mit einer sehr unhöflichen Redensart schob er den Hut vom rechten auf das linke Ohr und griff in das verwilderte Haar; aber er war doch kein übler Bursche; denn als die Genossen mit roheren Fäusten zugreifen wollten, um ihre Beute genauer zu untersuchen, tat er mit einem rauhen, aber ehrlichen »Halt da!« Einspruch. Und als sich aus den krampfhaft umschlingenden Armen der Dueña und der beiden Kammerzofen ein Jungfräulein, fast noch ein Kind, loswand und heftig in hispanischer Zunge auf ihn einredete, brummte er zwar ziemlich grob, daß er das Kauderwelsch nicht verstehe, aber er schlug doch zum zweitenmal die gieriger andringenden Hände seiner Reiter zurück und den Kutschenschlag zu, kletterte ächzend wieder auf den Gaul und kommandierte: »Marsch – zum Hauptquartier!«
Dieses »Hauptquartier« bedeutete den berühmten niederländischen Oberst Heraugière, den Eroberer von Breda, welcher sich von der ebenfalls eroberten, aber wieder aufgegebenen Stadt Huy an der Maas vor dem spanischen Feldzeugmeister La Motte zurückzog und augenblicklich in einer verwüsteten und geplünderten Mühle mit seinen Hauptleuten Kriegsrat hielt; und er sowohl wie mehrere seiner Offiziere verstanden nicht nur Spanisch, sondern auch Französisch. Aber alle, obwohl sie gewiß ebenso tapfere, abgehärtete Männer wie Signor Petruchio aus Verona waren und ebensooft wie er das Meer gleich wilden, schweißbedeckten Ebern wüten gesehen, ebensooft wie er in großer Feldschlacht Trompetenklang, Roßwiehern, Kriegsgeschrei gehört hatten, dachten nicht wie er von der Weiberzunge,