Satoru und das Geheimnis des Glücks - Hiro Arikawa - E-Book

Satoru und das Geheimnis des Glücks E-Book

Hiro Arikawa

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Beschreibung

Satoru und sein alter Kater Nana machen sich auf den Weg. Auf ihrer Reise quer durch Japan besuchen sie alle Menschen, die Satoru auf seinem bisherigen Lebensweg begleitet, ihn geformt und geprägt, geliebt und geachtet, aber auch beneidet und kritisch beäugt haben. Doch am Ende schließen alle ihren Frieden: mit ihrem Freund und Wegbegleiter Satoru genauso wie mit sich selbst. Und Nana? Betrachtet alles aus der ihm eigenen Katzenperspektive. Er blickt den Menschen ins Innerste, bis in die tiefsten Tiefen ihrer Seele. Doch was Nana nicht ahnt: Es wird Satorus letzte Reise sein ...

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Seitenzahl: 273

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Das Buch

Satoru und sein alter Kater Nana machen sich auf den Weg. Auf ihrer Reise quer durch Japan besuchen sie alle Menschen, die Satoru auf seinem bisherigen Lebensweg begleitet, ihn geformt und geprägt, geliebt und geachtet, aber auch beneidet und kritisch beäugt haben. Doch am Ende schließen alle ihren Frieden: mit ihrem Freund und Wegbegleiter Satoru genauso wie mit sich selbst. Und Nana? Betrachtet alles aus der ihm eigenen Katzenperspektive. Er blickt den Menschen ins Innerste, bis in die tiefsten Tiefen ihrer Seele. Doch was Nana nicht ahnt: Es wird Satorus letzte Reise sein …

Die Autorin

Hiro Arikawa wurde in Kōchi, Japan geboren. Für ihre zahlreichen Werke wurde sie bereits ausgezeichnet. Satoru und das Geheimnis des Glücks ist ihr erster Roman bei Heyne.

ROMAN

Aus dem Japanischen

von Alexandra Klepper

 und Dorothea Überall

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe Tabineko Ripôto erschien 2015 bei Kodansha Ltd., Tokyo.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe 11/2017

Copyright © 2015 Hiro Arikawa

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673, München

Redaktion: Steffi Korda

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design/Margit Memminger unter Verwendung von shutterstock/Maria Sem

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-21672-6V002

www.heyne.de

Inhalt

Reisevorbereitungen. Wie alles begann

1. Stopp: Kosuke

2. Stopp: Yoshimine

3. Stopp: Sugi und Chikako

Die letzte Reise

Angekommen: Noriko

Letzter Bericht

Reisevorbereitungen. Wie alles begann

Ich lag hübsch zusammengerollt auf meiner von der Sonne gewärmten Motorhaube und döste vor mich hin, als ich plötzlich spürte, dass mich jemand anstarrte. Ich öffnete blinzelnd die Augen und sah einen hochgeschossenen, dünnen Menschen über mir, der mich mit zusammengekniffenen Augen fasziniert betrachtete.

So lernte ich Satoru Miyawaki kennen.

Das war vor etwa fünf Jahren. Ich war damals gerade erwachsen geworden – wofür ein Mensch zwanzig Jahre braucht, schaffen wir Katzen in einem Jahr. Und doch glauben manche dieser aufrecht gehenden Affen, sie dürfen andere Lebewesen herablassend behandeln. Da soll mal einer schlau draus werden!

Ein typisches Beispiel: ihre Besessenheit, was ihre fahrbaren Untersätze angeht. Sie lassen ihre Autos bei Wind und Wetter draußen stehen, aber wehe, eine Katze wagt auch nur einmal, versehentlich ihre Pfoten darauf zu setzen! Für viele Menschen scheint das ein unverzeihliches Delikt zu sein, und die Straftäter auf vier Pfoten können froh sein, wenn sie nur verjagt werden. Wo ist da die Logik? Jemand sollte diesen Leuten mal erklären, dass wir Katzen es als unser Recht ansehen, unsere Pfoten überall dorthin zu setzen, wo es uns gefällt.

Aber warum erzähle ich euch das überhaupt? Ganz einfach: Zu jener Zeit, als ich Satoru kennenlernte, war ich ein Streuner, und mein Lieblingsschlafplatz war auf der Motorhaube eines silberfarbenen Kombis, der auf dem Parkplatz eines Appartementhauses stand. Diese Stelle gefiel mir deshalb so gut, weil eben niemand mich mit einem entwürdigenden »Kscht!« von dort verjagte. Und in meinem ersten Winter wurde das durch die Sonne aufgewärmte Blech für mich zu einer angenehmen Fußbodenheizung – nahezu perfekt für mein Mittagsschläfchen!

Ich kann euch sagen: Ich war verdammt froh, als die harte Jahreszeit endlich überstanden war und der Frühling kam. Und dabei kann ich noch von Glück sagen, dass ich im Frühjahr zur Welt gekommen war. Im Herbst geborene Kätzchen überleben den Winter nämlich meistens nicht.

Als ich nun so gemütlich zusammengerollt auf meiner Motorhaube lag, wurde ich dabei wie gesagt vom Starren dieses dürren Menschen gestört. Und dann begann er auch noch zu sprechen. »Du hältst hier auf meinem Auto wohl immer dein Schläfchen, was?«

Ja. Was dagegen?

»Du bist ja süß!«

Das höre ich oft.

»Darf ich dich streicheln?«

Lieber nicht. Ich fauchte und hob drohend meine Vorderpfote.

»Oh, wohl besser nicht.«

Würde es dich nicht auch stören, wenn dich jemand angrabbeln will, während du gerade seelenruhig schläfst?

Der Mann spitzte nervös die Lippen. Er schien begriffen zu haben, dass er durch solche Unhöflichkeiten schon mal gar nichts erreichte.

Ich hob den Kopf. Erst jetzt sah ich, dass der Mann eine Supermarkttüte neben sich abgestellt hatte, in der er nun raschelnd herumwühlte. »Hm, ich hab nichts dabei, was Katzen mögen könnten.«

Das änderte die Lage natürlich grundlegend. Ich mag alles! Ich bin kein bisschen wählerisch! Ich sprang von der Motorhaube und schnüffelte an den Verpackungen, die aus der Einkaufstüte ragten. Das Jakobsmuschelfleisch da wäre gut!

Der Typ grinste und tätschelte mir den Kopf. Hey, hey! Nicht so voreilig.

»Das wäre nicht gut für dich. Das ist höllisch scharf.«

Nicht gut für mich?! Ich bitte dich! Glaubst du, ein Streuner wie ich, der nicht weiß, ob er morgen noch am Leben ist, kümmert sich um solche Belanglosigkeiten wie Bekömmlichkeit? Das einzig Wichtige ist, dass ich jetzt was in den Magen bekomme!

Schließlich nahm der Mann das Schnitzel aus einem Sandwich, kratzte die Panade ab und hielt es mir auf der geöffneten Handfläche hin. Ähm … Sollte ich ihm jetzt etwa aus der Hand fressen? Dafür müsste ich näher ran. Andererseits, so etwas Frisches in dieser Größe bekam ich so gut wie nie zwischen die Zähne. Mir blieb wohl nichts anderes übrig.

Während ich mich gierig über das Schnitzel hermachte, schoben sich auf einmal vorsichtig Finger unter meinem Kinn entlang und sanft zu den Ohren hinauf – der Typ streichelte mich!

Ziemlich geschickt von diesem Kerl, mir erst etwas zu fressen zu geben und dann die Zeit, die ich abgelenkt war, schamlos zum Streicheln auszunutzen. Na ja. Für noch so einen Leckerbissen dürfte er mich auch gern noch etwas mehr unterm Kinn kitzeln. Ich rieb also meinen Kopf gegen seine Hand – und hatte ihn auch schon um den Finger gewickelt. Er nahm das letzte Stück Schnitzel aus der zweiten Sandwichhälfte und hielt es mir ohne Panade hin. Ich hätte die mitgefressen, das hätte mich nur noch satter gemacht, aber was soll’s.

»Dann bleibt mir wohl nur noch das Kraut mit Brot«, sagte er und verzog amüsiert die Mundwinkel.

Zum Dank für die gute Gabe ließ ich mich noch einmal ausgiebig kraulen. Dann erschien es mir passend, die Sache allmählich zu beenden.

Gerade, als ich genervt die Vorderpfote heben wollte, zog der Typ plötzlich von allein seine Hand weg und ging mit einem »Tschüss!« einfach davon.

Du liebe Zeit, geschickt im Timing war er auch noch!

Von jenem Tag an brachte der Mann, der dort oben in einem der Appartements hinter dem Parkplatz zu wohnen schien, jeden Abend Leckereien für mich vorbei. War ich zufällig gerade da, wenn er kam, erlaubte er sich im Gegenzug ein paar Streicheleinheiten. Aber auch wenn ich mich gerade rumtrieb, stand das Essen zuverlässig unter dem Kombi, wenn ich zurückkam, sodass ich mich gleich im Schatten der Hinterreifen darauf stürzen konnte. Meistens zumindest. Es gab hin und wieder Tage, an denen eine andere Katze mir zuvorgekommen war. Im Großen und Ganzen hatte ich jedoch von da an eine Mahlzeit am Tag sicher.

Da Menschen launische Wesen sind, machte ich mich niemals ganz und gar von einem abhängig. Flexibel zu sein, wenn die Wege sich wieder trennen, gehört zu den besonderen Fähigkeiten einer Streunerkatze. Ein neutraler Bekannter, das war es, was dieser Mensch in einem angenehm distanzierten Verhältnis für mich wurde – bis das Schicksal es wollte, dass unsere Beziehung eine einschneidende Veränderung erfuhr.

Es sollte eine sehr, sehr schmerzhafte Erfahrung für mich werden.

Als ich eines Nachts die Straße überquerte, wurde ich plötzlich von den Scheinwerfern eines Autos geblendet. Ich wollte gerade wegspringen – da ertönte auch schon gellend eine Hupe. Das war gar nicht gut. Normalerweise wäre ich mit Leichtigkeit davongekommen, aber ich erschrak so sehr, dass ich vor dem Absprung einen Augenblick zögerte. Dieser Augenblick wurde mir zum Verhängnis: Ein heftiger Schlag – und ich wurde mit so fürchterlicher Wucht weggeschleudert, dass mir Hören und Sehen verging. Buchstäblich.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich im Gebüsch neben der Straße. Mein ganzer Körper schmerzte so schlimm, wie ich es noch nie vorher erlebt hatte. Aber ich lebte.

Ich versuchte aufzustehen. Sofort entfuhr mir ein lauter Schmerzensschrei. Mein rechtes Hinterbein! Es tat höllisch weh. Ich sank wieder zu Boden und wollte die Wunde lecken – doch das war vergebliche Mühe. Biss- oder Schnittwunden, auch wenn sie tief waren, konnte ich mit meiner Zunge normalerweise gut behandeln, aber in diesem Fall war es zwecklos: Das Bein war gebrochen. Und machte sich mit entsetzlichen Schmerzen deutlich bemerkbar. Deutlicher, als es für meinen Geschmack nötig gewesen wäre. Was sollte ich nur tun?!

Hilfe …

Ich brauchte Hilfe.

Aber wer half schon einer streunenden Katze?

Der Typ!, schoss es mir durch den Kopf. Der, dem ich erlaubte, mir Futter zu bringen. Er würde mir bestimmt helfen.

Ich schleppte mich vorwärts, das gebrochene Bein hinter mir herschleifend. Das Ziehen über den Boden war zu viel Erschütterung für den gebrochenen Knochen: Immer wieder knickte die Hüfte weg. Das schaffe ich nicht, es ist zwecklos. Ich kann keinen einzigen Schritt weitermachen.

Aber ein Streuner gibt nicht einfach so auf! Und ich rühmte mich, einer der besten zu sein (dabei ignorierte ich gerne die Tatsache, dass ein wirklich guter Straßenkater sich wohl niemals in diese Lage gebracht hätte).

Obwohl ich nicht allzu weit von dem Appartementhaus weg gewesen war, dämmerte es bereits, als ich endlich bei dem silberfarbenen Kombi ankam. Ich war am Ende meiner Kräfte.

Ich kann nicht einen Schritt mehr gehen. Diesmal aber wirklich. Ich schrie, so laut ich konnte. Es-tut-so-weeeh!

Ich schrie und schrie, bis schließlich meine Stimme immer schwächer wurde und zu verstummen drohte. Ich wusste, wenn ich mich nicht mehr bemerkbar machen konnte, wäre es mit mir vorbei.

In diesem Moment hörte ich jemanden die Treppe des Hauses herunterkommen. Ich hob den Kopf. Er war es!

»Dachte ich mir doch, dass du das bist!« Er lief auf mich zu. Sein Gesicht war ganz blass. »Was ist los mit dir? Oh Gott, hat dich etwa ein Auto angefahren?«

Nicht so laut! Ich habe halt einen Fehler gemacht. Es ist mir wirklich peinlich. Muss ja nicht jeder hören.

»Ich bin aufgewacht, weil ich dein verzweifeltes Rufen gehört habe. Du hast doch nach mir gerufen, oder?«

Und wie ich gerufen habe! Du hättest dich ruhig mal beeilen können!

»Tut es weh? Ja, das tut weh, hm?«

Was für eine dumme Frage, das sieht man doch! Aber guck mal, wie tapfer ich bin.

»Ich kann mir nur vorstellen, was für Schmerzen du haben musst, damit du zu mir kommst. Das passt dir gar nicht, ich weiß.« Der Typ drehte das Gesicht weg – und schluchzte!

Warum heulst du denn jetzt?

Katzen weinen nicht wie Menschen. Aber irgendwie hatte ich in dem Moment das Gefühl, erahnen zu können, wie es sich anfühlt. Er hatte ja recht, dass ich seine Hilfe nur sehr ungern annahm. Aber ich schmeckte die Verzweiflung immer noch auf meiner Zunge, die Panik. Es ist nicht leicht einzugestehen, dass man jemand anderes – und dazu noch einen Menschen – braucht. Apropos … Hilfst du mir jetzt? Es tut so schrecklich weh, ich halte es kaum aus!

»Braver Junge, alles wird gut.« Der Mensch wickelte mich in ein weiches Handtuch, hob mich sanft in den Kombi und fuhr mich in eine Tierklinik.

Ich glaube, es braucht keine weitschweifige Beschreibung meiner Zeit dort. Nur so viel: Es ist die Hölle. Und ich kann nur zu gut verstehen, dass für die meisten Tiere eine Klinik nach einem einzigen Aufenthalt dort der Ort ist, den sie nie mehr im Leben betreten wollen.

Viel wichtiger als diese Folterkammer ist sowieso das Ergebnis, das der Besuch dort mit sich brachte: Bis zur Heilung meiner Verletzung sollte ich bei meinem Retter wohnen. Satoru Miyawaki. Er lebte allein in einer gepflegten Einzimmerwohnung. Im Bad stellte er mir ein Katzenklo auf, in der Küche einen Futter- und einen Wassernapf.

Unsere Wohngemeinschaft verlief ohne größere Probleme. Da ich nun mal eine Katze mit ziemlich klugem Köpfchen und guten Manieren bin, verstand ich natürlich sofort, wie das Katzenklo zu benutzen war. Es passiert mir kein einziges Mal ein Malheur. Und wenn Satoru mir sagte, ich sollte meine Krallen nicht an gewissen Stellen wetzen, dann tat ich es nicht. So waren Wände und Balken tabu, aber an Möbeln und Teppich durfte ich nach Herzenslust meine Pfoten schärfen. Aus irgendeinem Grund hatte Satoru keine Einwände und sagte nichts. Gut, anfangs sah er etwas betrübt aus. Aber wenn er seine Gefühle nicht in Worte fassen konnte und es streng genommen nicht verboten war – nicht mein Problem. Ich musste schließlich in Topform bleiben!

Ich geduldete mich ganze zwei Monate, bis mein Knochen laut Satoru wieder völlig zusammengewachsen war und die Fäden gezogen werden konnten. Immer, wenn ich davor Anstalten machte, nach draußen zu wollen, runzelte er besorgt die Stirn. »Wenn du nach draußen gehst, kommst du vielleicht nicht wieder, hab ich recht? Hab doch noch etwas Geduld, bis alles ganz verheilt ist. Es wäre doch lästig, wenn du dein Leben lang mit Fäden im Bein herumlaufen müsstest.«

Ich konnte mein Bein, abgesehen von einem leichten Schmerz, schon wieder ganz normal benutzen. Deshalb erschienen mir ein paar Fäden als nicht weiter störend. Aber ich blieb. Das lag nicht nur an Satorus besorgtem Gesicht. Es wäre einfach dumm gewesen, wenn ich mit meinem Hinkebein auf einen Rivalen getroffen wäre.

Schließlich war meine Verletzung jedoch völlig ausgeheilt.

Mach auf! Ich maunzte an der Eingangstür. Besten Dank für deine Bemühungen und für deine aufopferungsvolle Pflege. Von jetzt an darfst du – und nur du! – mich auch ohne Almosen streicheln.

Satoru sah betrübt aus. So, wie er ausgesehen hatte, als ich an den Möbeln und am Teppich gekratzt hatte. Als wünschte er, die Situation wäre anders, aber als würde er sich damit abfinden. »Draußen ist es dir also lieber?«

Na, na, mach doch nicht ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter!

»Und ich dachte, du würdest vielleicht meine Katze sein und hier bei mir im Haus bleiben wollen.«

Ehrlich gesagt hatte ich diese Möglichkeit nie in Betracht gezogen. Ich war ein waschechter Streuner. Nie im Leben wäre es mir eingefallen, ein Stubentiger zu werden. Seine Fürsorge war mir recht, solange meine Genesung dauerte, doch der Plan war immer gewesen, ihn zu verlassen, wenn meine Wunden verheilt waren. Ich war einfach die ganze Zeit über davon ausgegangen, eines Tages wieder losziehen zu müssen. Und da mir das unausweichlich erschien, hielt ich es für schlauer, aus eigenem Antrieb die Biege zu machen, statt irgendwann mit den Worten »Jetzt ist es aber genug, verschwinde!« hinausgeworfen zu werden.

Ich soll, nein, ich darf also deine Hauskatze werden? Warum hast du das nicht gleich gesagt?! Ich schlüpfte durch den Türspalt, den Satoru zögerlich geöffnet hatte. Dann drehte ich mich zu ihm um und miaute. Komm mit!

Für einen Menschen verstand Satoru die Katzensprache erstaunlich gut. Er folgte mir mit leicht verwirrtem Gesichtsausdruck.

Es war eine mondhelle Nacht. In den Straßen war es völlig still.

Ich sprang auf die Motorhaube des silbernen Kombis, ganz entzückt von meiner wiedererlangten Sprungkraft. Dann kletterte ich wieder zu Boden und schnurrte zufrieden aus tiefster Kehle.

Ein Auto fuhr in der Nähe vorbei. Mein Schwanz explodierte augenblicklich zu einer Bürste. Ehe ich mich versah, hatte ich mich in Satorus Deckung geflüchtet. Der sah mich liebevoll an und lächelte voller Verständnis.

Okay, okay. Offensichtlich steckt mir der Schrecken des Unfalls doch noch in den Knochen.

Ich spazierte mit Satoru zusammen eine Runde durch die Nachbarschaft, bevor wir zum Appartementhaus zurückkehrten. Vor der Wohnungstür miaute ich.

Satoru senkte lächelnd den Blick. »Du kommst also zu mir zurück?«

Ja. Also mach schon auf!

»Dann bist du jetzt meine Katze?«

Ich sehe es eher so, dass du mein Mensch bist. Aber ja. Ich bleibe.

So wurde ich also Satorus Kater.

In dieser Wohnung waren keine Haustiere erlaubt. Wie es aussah, hatte Satoru meinen Aufenthalt nur für so lange mit dem Vermieter ausgehandelt, bis meine Wunden verheilt waren.

Also zogen wir in eine neue Wohnung im selben Stadtviertel. Extra wegen einer Katze umzuziehen, das ist schon ein wenig verrückt! Und dann holte Satoru auch noch ein Fotoalbum aus dem Wandschrank, das ausschließlich mit den Bildern ein und derselben Katze gefüllt war. »Als Kind hatte ich eine Katze, die genauso aussah wie du«, sagte er liebevoll.

Einer von uns ist ein wenig katzenverrückt, hm? Und es ist nicht der Kater.

Aber ich wollte mich ja nicht beschweren, da Satoru ansonsten der perfekte Mitbewohner war.

Die Katze auf den Fotos sah mir tatsächlich ähnlich. Der Körper war fast komplett weiß, nur die zwei Flecken auf dem Kopf und der Schwanz waren schwarz. Komisch, sogar einen Knick hatte sie im Schwanz, so wie ich. Nur, dass er bei der Katze auf den Fotos in die andere Richtung zeigte als bei mir.

»Siehst du, wie die beiden Flecken auf der Stirn dem Schriftzeichen für die Ziffer Acht ähneln? Deshalb habe ich sie Hachi genannt.«

Hachi bedeutet Acht, das wusste ich. Was für ein wenig eleganter Name, dachte ich und machte mir prompt ein wenig Sorgen, welchen Namen er mir wohl zu geben gedachte, jetzt wo ich auf Dauer bei ihm bleiben würde.

Bisher hatte Satoru mich nach Lust und Laune mal mit »Du da«, »Kater« oder »Herr Kater« angesprochen. Das hatte mich nicht weiter gestört. Ich hatte noch nie einen Namen gehabt. Und selbst wenn ich einen gehabt hätte, hätte ich ihn Satoru nicht mitteilen können. Er sprach ja nun mal nicht meine Sprache. Menschen sind wirklich unpraktisch, was das angeht.

Er würde mich doch hoffentlich nicht Kyuu nach dem Wort für Neun nennen, weil ich die Katze nach Hachi war?!

»Wie wäre es mit Nana? Das bedeutet Sieben.«

Hoppla, eine Zahl drunter? Jetzt überraschst du mich aber!

»Schließlich sieht dein Schwanzknick aus wie eine Sieben, wenn man von oben draufguckt!«

Moment mal! Nana klingt nach einem Mädchennamen! Ich bin aber unverkennbar ein Kater, ein ganzer Kerl. Wie soll das denn zusammenpassen?

»Nana, das ist gut. Die Sieben ist ja auch eine Glückszahl, das passt doch!«

Hörst du mir eigentlich zu?! Ich miaute empört, woraufhin Satoru mich unter dem Kinn kraulte.

»Der Name gefällt dir auch, ja?«

Nein, ganz und gar nicht! Ich nehme alles zurück – dein Verständnis, was die Katzensprache angeht, ist miserabel!

Letztendlich hatte ich keine Chance, das Missverständnis aufzuklären (er kraulte mich einfach die ganze Zeit weiter!), und so blieb es bei Nana.

Ich war genau im besten Mannesalter als Kater, und Satoru hatte die Dreißig etwas überschritten, als er die Bombe platzen ließ.

»Es tut mir leid, Nana.«

Satoru streichelte mich mit einem Ausdruck des Bedauerns zwischen den Ohren.

Schon gut, schon gut, mach dir keinen Kopf!

»Es tut mir echt leid, dass es dazu gekommen ist.«

Ich sagte doch, schon gut. Ich bin ein verständiger Kater.

»Ich wollte dich doch nie wieder hergeben …«

Das Leben ist eben kein Wunschkonzert, auch ein Katzenleben nicht.

Dass ich nicht länger bei Satoru bleiben konnte, kam zwar überraschend, aber ich bin eine Katze: Wir Katzen nehmen die Ereignisse, wie sie kommen, ohne groß Aufhebens darum zu machen. Also guck nicht so betrübt!

»Okay, dann los.« Satoru öffnete die Klappe des Käfigs, und ich spazierte folgsam hinein. In den fünf Jahren, die ich mit Satoru gelebt hatte, war ich stets ein braver Kater gewesen. Als ich zum Beispiel in der Hölle der Tierklinik ausharren musste, war ich keine dieser Katzen gewesen, die sich mit lautem Schreien gegen die Gefangenschaft im Käfig wehrten.

Und dieses Mal ging es nicht zur Tierklinik, sondern auf Reisen. So wie ich der perfekte Mitbewohner für Satoru gewesen war, so würde ich auch die perfekte Reisebegleitung für ihn sein.

Satoru hob den Käfig hoch und stellte ihn auf den Beifahrersitz des silbernen Kombis. Dann fuhren wir los.

1. Stopp: Kosuke

»Wir haben uns ewig nicht mehr gesehen!«

Mit diesem Satz hatte die E-Mail begonnen. Der Absender war Satoru Miyawaki, ein alter Freund aus Kindertagen.

Satoru war die Art von Freund, mit dem man auch nach Jahren ohne Kontakt sofort wieder reden konnte, als ob man sich am Tag zuvor das letzte Mal gesehen hätte.

»Entschuldige, dass ich dich so damit überfalle, aber könntest du meinen Kater bei dir aufnehmen?«

Satoru schrieb, dass er diesen Kater über alles liebte, unvermeidliche Umstände es aber verlangten, dass er ihn nicht mehr behalten konnte und deshalb auf der Suche nach einem guten Platz für ihn war. Welche Umstände das waren, darüber schrieb er nichts. Nur, dass er mit dem Kater zu einem Kennenlerntreffen kommen würde, wenn Kosuke sich bereit erklärte, den Kater zu nehmen.

Satoru hatte an die E-Mail zwei Fotos angehängt. Die zwei Flecken auf der Stirn des Katers, die wie das Schriftzeichen für die Zahl Acht aussahen, und der Knickschwanz ließen Kosuke unwillkürlich lächeln. »Der ist Hachi ja wie aus dem Gesicht geschnitten!« Er erinnerte sich noch gut an den Kater, den Satoru und er damals gemeinsam aufgelesen hatten.

Der Katzenschwanz hatte einen Knick, wodurch er wie eine Sieben geformt war. Kosuke hatte einmal gehört, dass Katzen mit einem Knick im Schwanz Glück ins Haus brächten, weil sie das Glück damit wie an einem Haken heranziehen könnten. Er versuchte sich zu erinnern, von wem er das gehört hatte, und unvermittelt entfuhr ihm ein Seufzer. Es war seine Frau gewesen, die es ihm erzählt hatte.

Seine Frau, die ihn verlassen hatte und zu ihren Eltern zurückgezogen war. Ob sie je wieder zu ihm zurückkehren würde, stand in den Sternen. Wohl eher nicht. Find dich endlich damit ab!, schimpfte er mit sich selbst.

Ihm kam der törichte Gedanke, dass die Dinge vielleicht anders stünden, hätten sie eine solche Glückskatze mit Knickschwanz im Haus. Würde diese Katze hier herumstreifen und mit ihrem Schwanz ein bisschen Glück ins Haus lenken, ließe es sich möglicherweise ein bisschen einfacher und unbeschwerter leben. Auch ohne Kinder.

Warum also nicht. Glücksbringer hin oder her, der Kater auf dem Foto war hübsch und sah aus wie Hachi. Und so würde Kosuke seinen alten Freund Satoru auch endlich einmal wiedersehen.

Er schrieb also seiner Frau, ob es für sie in Ordnung wäre, wenn er einem Freund den Gefallen tun würde, dessen Katze aufzunehmen. Sie antwortete, es wäre ihr gleich. Die Antwort war kühl und distanziert – aber wenn er bedachte, dass sonst auf überhaupt keine seiner Mails eine Antwort gekommen war, konnte er das schon fast als Erfolg verbuchen.

Sollte er die Katze wirklich aufnehmen, würde er seine Frau bitten, sie sich mal anzusehen. Eine solche Einladung würde möglicherweise das Eis brechen. Sie liebte Katzen. Wenn er sie schon nicht dazu bringen konnte, aus Liebesgefühlen für ihn zurückkommen, dann vielleicht aus selbigen für die Katze.

Ah, verflixt, mein Vater hasst Katzen. Vielleicht ist das doch keine so gute Idee. Er biss sich auf die Zunge. Dass ihm das erst jetzt einfiel! Aber dann schüttelte er den Kopf, als wollte er so den Gedanken verscheuchen. Jetzt führte er doch das Geschäft: Was kümmerte es ihn da, was für ein Gesicht sein Vater zog?

Seine Unterwürfigkeit war außerdem einer der Gründe gewesen, warum seine Frau mit ihm gebrochen hatte. Es konnte also sogar hilfreich sein, sich gegen seinen Vater zu stellen. Das war geradezu rebellisch! Ich, Kosuke Sawada, werde die Katze meines alten Freundes aus Kindertagen bei mir aufnehmen! Basta!

Satoru kam eine Woche später in einem silbernen Kombi vorgefahren, zusammen mit seinem geliebten Kater.

Das Motorengeräusch vor dem Studio lockte Kosuke nach draußen. Satoru war gerade dabei, auf dem geschäftseigenen Parkplatz einzuparken. Er stoppte den Wagen, ließ das Fenster herunter und winkte Kosuke aufgeregt zu. »Kosuke! Ist das lange her!«

»Ja, ja, park doch erst mal fertig ein!« Kosuke grinste.

Sie hatten sich seit drei Jahren nicht mehr gesehen, aber Satoru war immer noch derselbe, ein temperamentvoller und aufgeregter Typ. Das hatte sich seit ihrer Kindheit kein bisschen geändert.

»Ist es in Ordnung, wenn ich hier parke? Was, wenn Kunden kommen?«

»Heute haben wir doch geschlossen, schon vergessen?« Das Fotostudio, das Kosuke von seinem Vater übernommen hatte, hatte mittwochs geschlossen.

»Ach, stimmt ja«, erwiderte Satoru, während er sich am Kopf kratzte und aus dem Auto stieg. Sie hatten erst überlegt, den Besuch auf ein Wochenende zu legen. Für Satoru als Büroangestellter wäre das einfacher gewesen. Aber er wollte keine Umstände machen und hatte sich daher an Kosukes Ruhetag extra freigenommen.

Satoru holte nun den Katzenkäfig von der Rückbank.

»Und das ist Nana?«, fragte Kosuke neugierig.

»Ja. Die Fotos hast du ja gesehen, er hat einen Knickschwanz in Form einer Sieben. Treffender Name, oder?«

»Nun ja, deine Namensgebung war früher schon ziemlich einfallslos, wenn ich da an Hachi denke.«

Satoru verzog gespielt verletzt den Mund, konnte aber ein Grinsen nicht verbergen.

Sie gingen nach oben in die Wohnung, damit Kosuke und Nana sich bekannt machen konnten. Doch Nana brummte nur die ganze Zeit verdrießlich vor sich hin und machte keinerlei Anstalten, den Käfig zu verlassen. Selbst beim Blick in den Käfig bekam Kosuke immer nur Nanas weißes Hinterteil mit dem schwarzen Schwanz zu Gesicht. Er versuchte eine Weile, den Kater mit schmeichelnder Stimme zu locken, dann gab er auf.

»Entschuldige«, sagte Satoru. »Er ist bestimmt nervös, es ist ja hier alles fremd für ihn. Lassen wir ihn einfach mal in Ruhe, dann gibt sich das schon.«

Kosuke ließ die Tür des Käfigs offen und wendete sich vorerst seinem alten Freund zu. »Alkohol kannst du wohl nicht trinken, du musst ja noch fahren. Was darf ich dir anbieten? Kaffee? Tee?«

»Einen Kaffee gerne!«

Kosuke schenkte für beide Kaffee ein.

Satoru nahm die Tasse entgegen. »Und wo ist deine Frau heute?«

Im ersten Moment wollte Kosuke eine Notlüge anbringen, doch es entstand eine unangenehme Pause, während er nach einer Ausrede suchte, also verwarf er den Gedanken. »Sie ist vorerst zurück zu ihren Eltern gezogen.«

»Ah …« Satoru machte ein ratloses Gesicht. »Aber, ähm … Ist es denn okay, wenn du die Entscheidung wegen der Katze einfach ohne sie triffst? Nicht, dass es Streit gibt, wenn sie zurückkommt.«

»Meine Frau liebt Katzen. Vielleicht lässt sie sich sogar eher darauf ein, wieder zurückzukommen, wenn ich den Kater aufnehme.«

»Aber ob sie genau diesen Kater auch mag?«

»Ich habe ihr die Fotos von Nana geschickt und gefragt, ob es okay wäre. Sie hat gesagt, ihr wäre es gleich.«

»Hm, ist das für dich ein Einverständnis?«

»Wenn sie zurückkommt, dann wird sie die Katze nicht vor die Tür setzen«, beschwichtigte er seinen Freund – und beruhigte damit auch sich selbst. »Kommt sie nicht zurück, behalte ich Nana eben allein. Wie es auch ausgeht, es wird kein Problem geben.«

»Verstehe«, gab Satoru sich fürs Erste zufrieden.

Dann war es an ihm, Fragen zu beantworten. »Und du, warum kannst du den Kater nicht mehr behalten?«

»Nun, das …« Satoru verzog die Mundwinkel und kratzte sich verlegen am Kopf. »Es gibt gewisse Umstände, die dazu führen, dass ich ihn nicht mehr bei mir haben kann.«

Kosuke ging plötzlich ein Licht auf. Er hatte sich gleich gewundert, dass Satoru sich mitten in der Woche einen Tag hatte freinehmen können! Schließlich war Satoru Büroangestellter mit nur sehr wenigen Urlaubstagen.

»Verlierst du etwa deinen Job?«

»Nun, jedenfalls kann ich den Kater nicht behalten … Ich …

Wie auch immer, ich muss jemanden für Nana finden, und da dachte ich mir, am besten vertraue ich ihn einem Freund an.«

Offenbar wollte Satoru nicht mit der Sprache herausrücken. Deshalb bohrte Kosuke nicht weiter nach. »Verstehe. Muss hart für dich sein«, sagte er nur. Er würde sich nun umso mehr des Katers annehmen. Es ging hier schließlich darum, einem Freund aus der Patsche zu helfen! »Und du selbst? Also … deine Zukunft ist gesichert?«, wagte er noch zu fragen.

»Danke, ich komme klar. Es geht nur darum, Nana gut unterzubringen.«

Kosuke spürte, dass Satoru einfach nicht mehr sagen wollte. Also wechselte er schnell das Thema. »Ich war echt überrascht, als ich die Fotos gesehen habe. Nana sieht Hachi ja unglaublich ähnlich!«

»In echt ist er ihm sogar noch ähnlicher!« Satoru warf einen verstohlenen Blick zu dem Katzenkäfig, der hinter seinem Rücken stand. Doch Nana machte nach wie vor keine Anstalten, sich von vorn zu zeigen. »Ich war selbst total überrascht, als ich ihn das erste Mal gesehen habe. Für einen Augenblick dachte ich wirklich, es wäre Hachi«, sagte Satoru und fügte rasch mit einem Lachen hinzu: »Aber das ist natürlich unmöglich!«

»Was ist eigentlich aus Hachi geworden?«

»Er ist gestorben, als ich in der Oberschule war. Er wurde überfahren. Der neue Besitzer hat mich damals gleich angerufen.«

Das musste eine schlimme Nachricht für Satoru gewesen sein. »Du hättest mich ruhig auch benachrichtigen können«, sagte Kosuke und fügte, als er den Vorwurf in seiner Stimme bemerkte, schnell hinzu: »Ich meine, es wäre vielleicht einfacher gewesen, gemeinsam um die Katze zu trauern.« »Entschuldige, ich war damals völlig am Boden zerstört und habe nicht daran gedacht.«

»Entschuldigen musst du dich nun wirklich nicht!« Kosuke tat so, als wollte er seinen Freund in die Seite boxen.

Satoru wich spielerisch aus. »Irgendwie ist die Zeit wie im Flug vergangen. Es kommt mir vor, als wäre es erst gestern gewesen, dass wir beide Hachi gefunden haben. Erinnerst du dich?«

»Wozu erinnern? Ich hab es nie vergessen!«, erwiderte Kosuke mit einem schiefen Grinsen, und auch Satoru musste jetzt über das ganze Gesicht lachen.

Einen kleinen Fußmarsch vom Fotostudio Sawada entfernt, lag eine Wohnsiedlung inmitten sanfter Hügel. Von dieser Gegend hatte man sich vor dreißig Jahren viel versprochen und eine Reihe von Musterhäusern sowie vornehme Appartements erbaut. Dort lebte Kosukes Freund Satoru mit seinen Eltern in einem gemütlich aussehenden Reihenhaus.

In der zweiten Klasse der Grundschule waren sie beide Mitglieder des Schwimmvereins gewesen. Kosuke hatte als Kind Neurodermitis gehabt, weswegen ihn seine Mutter in der Hoffnung dorthin geschickt hatte, seine Haut ein wenig abzuhärten. Satoru hingegen hatte sich vom ersten Moment an als unglaublich schneller Schwimmer entpuppt, und seine Lehrer hatten darauf gedrängt, dass er dem Schwimmverein beitrat.

Satoru war ein richtiger Klassenclown gewesen. Stets kroch er in der freien Zeit vor Beginn des Schwimmunterrichts wie ein Salamander am Grund des Schwimmbeckens herum, um die anderen Schüler aus den Tiefen des Wassers zu attackieren. Die Schwimmlehrer waren deswegen oft sauer gewesen und hatten mit ihm geschimpft. »Also wirklich, du bist der reinste Flusskobold!«, hatte einmal ein Trainer gesagt, und so bekam Satoru seinen Spitznamen.

Sobald der Unterricht allerdings begann, war Satoru in der Gruppe der Schnellsten und Besten. Aus dem spaßigen Herumspritzen des Flusskobolds wurde dann ein blitzschnelles Paddeln. So gut sie sich auch verstanden – in diesen Momenten ärgerte Kosuke sich furchtbar über Satoru, denn er wäre gern an seiner Stelle gewesen. Stattdessen schwamm er mit einigen anderen Schülern im Grundlagenkurs. Aber er lernte, mit dem Unmut umzugehen. Satoru konnte man nie lange böse sein.

Eines Tages wartete Kosuke wie immer am Fuße des Hügels, auf dem die Wohnhaussiedlung sich befand, auf seinen Freund, um gemeinsam mit ihm zum Schwimmkurs zu gehen. Deshalb war er es, der die Schachtel zuerst entdeckte. Mit klopfendem Herzen hob er den nur lose verschlossenen Deckel an – und fand zwei flaumige, weiße Fellknäuel darin, die an einigen Stellen Schildpattflecken trugen.

Er betrachtete sie entzückt. Was waren das nur für flauschige Wesen?! Sie waren so klein, dass er kaum wagte, sie zu berühren.

»Oh, Katzen!«, erklang es plötzlich über seinem Kopf. »Wo hast du die denn her?« Satoru ging neben ihm in die Hocke.

»Sie waren einfach da.«

»Wie süß!«

Die beiden streichelten die Fellknäuel eine Weile ganz vorsichtig.

»Sollen wir sie mal rausnehmen?«, fragte Satoru.

Kosuke schossen die Ermahnungen seiner Mutter durch den Kopf, er mit seiner Neurodermitis solle Tiere besser nicht anfassen. Doch wenn Satoru eines der Kätzchen nahm, wollte er nicht einfach nur zugucken. Immerhin hatte er sie zuerst entdeckt.

Er griff mit beiden Händen hinein und hob eines der Kätzchen behutsam heraus. Wie leicht es war!

Sie hätten die Kätzchen am liebsten ewig weitergestreichelt, doch dann wären sie zu spät zum Schwimmtraining gekommen.

Sie mussten los.

Sie sollten wirklich schleunigst gehen.

Jetzt mussten sie aber wirklich!

Doch so recht konnten sie sich nicht losreißen. Schließlich standen sie dann doch auf und beschlossen, auf dem Heimweg wieder nach ihren Findlingen zu sehen. Dann stürmten sie endlich los zum Schwimmverein.

Mit letzter Not kamen sie mit nur knapper Verspätung dort an und mussten sich einen Tadel vom Trainer abholen.

Als das Training vorbei war, rannten sie wieder so schnell sie konnten zurück zum Fuß des Hügels.

Die Schachtel stand unverändert an derselben Stelle, doch nun saß nur noch ein Kätzchen darin. Irgendjemand musste das andere mitgenommen haben.

Sie einigten sich schnell darauf, das Schicksal der verbleibenden Katze selbst in die Hände zu nehmen. Es trug auf der Stirn einen Fleck in Form des Schriftzeichens für die Zahl Acht. Und es hatte eine schwarze Schwanzspitze.