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Auch wenn Gevatter Tod in einem Seniorenheim kein seltener Gast ist, sind Cäcilie und Käthe sich sicher: Ihr Mitbewohner Heribert ist keines natürlichen Todes gestorben, zumal er vor seinem Ableben auch noch beraubt wurde. Um der Sache auf den Grund zu gehen, schleusen sie ihre Freundin Loretta als Kaltmamsell in die Küche der Residenz "Herbstglück" ein. Dort schnippelt sie nicht nur Gemüse, sondern stolpert – wie sollte es anders sein? – bald auch höchstselbst über ein weiteres Mordopfer …
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Seitenzahl: 382
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»Du kannst den Menschen aus dem Ruhrpott holen, aber niemals den Ruhrpott aus dem Menschen«, sagt Lotte Minck, und sie muss es ja wissen: 1960 im Schatten der Zeche General Blumenthal in Recklinghausen geboren, war sie viele Jahre in Bochums Veranstaltungs- und Medienbranche tätig. Nach 50 Jahren im turbulenten Ruhrgebiet entschied sie sich fürs andere Extrem: Heute lebt sie an der friesischen Nordseeküste, wo sieben Autos an einer Ampel bereits als Stau gelten.
Ihre Heldin Loretta Luchs und alle Personen in Lorettas Universum sind eine liebevolle Huldigung an Lotte Mincks alte Heimat.
Besuchen Sie Lotte Minck im Internet:
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www.roman-manufaktur.de
www.lotteminck.de
Ruhrpott-Krimödien mit Loretta Luchs bei Droste:
Radieschen von unten
Einer gibt den Löffel ab
An der Mordseeküste
Wenn der Postmann nicht mal klingelt
Tote Hippe an der Strippe
Cool im Pool
Die Jutta saugt nicht mehr
Voll von der Rolle
Mausetot im Mausoleum
3 Zimmer, Küche, Mord
Darf’s ein bisschen Mord sein?
Ringelpietz mit Abmurksen
Ruhrpott-Krimödien mit Stella Albrecht bei Droste:
Planetenpolka
Venuswalzer
Sonne, Mord und Sterne
Lotte Minck
Eine Ruhrpott-Krimödie mit Loretta Luchs
Droste Verlag
Figuren und Handlung dieses Romans sind frei erfunden.Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2021 Droste Verlag GmbH, Düsseldorf
Umschlaggestaltung: Droste Verlag unter Verwendung
einer Illustration von Ommo Wille, Berlin
eISBN 978-3-7700-4179-4
E-Book Konvertierung Bookwire Gesellschaft zum Vertrieb digitaler Medien mbH
www.drosteverlag.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Epilog
»Altern ist eine Zumutung …«
Ohne Neckereien ist das Leben nur halb so schön, findet Loretta – und teilt munter aus
»Du guckst mich an, als hättest du mich noch nie gesehen.«
Dennis’ Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Es war Sonntagmorgen, wir frühstückten gerade. Und es war einer dieser Momente, in denen es mir vollkommen unwirklich erschien, dass er und ich ein Paar waren.
Seit einigen Monaten waren wir nun zusammen, und so natürlich es sich einerseits anfühlte, so absurd fand es ein anderer Teil von mir. Während unser Freundeskreis nur darauf gewartet hatte, dass wir es endlich kapierten, hatten Dennis und ich parallel auf der gleichen Single-Plattform nach der großen Liebe gesucht. Verrückt.
»Ich entdecke ständig Neues an dir«, erwiderte ich. »Jetzt gerade ist es zum Beispiel ein Stück Rührei, das in deinem Pornoschnäuzer hängt.«
»Was?« Hektisch wischte er sich durchs Gesicht, bis er endlich mein diabolisches Grinsen bemerkte und damit aufhörte. »Du kannst es einfach nicht lassen, oder?«
Nein, das konnte ich nicht.
Immerhin waren meine Neckereien jahrelang fester Bestandteil unserer Freundschaft gewesen, die sich wiederum aus einer Arbeitsbeziehung entwickelt hatte. Ich hatte noch immer keine Ahnung, ob es klug gewesen war, mit dem Chef anzubandeln. Aber nun war es zu spät.
Im Callcenter waren wir zunächst ganz diskret mit unserem neuen Status als Paar umgegangen, aber irgendwie hatte es doch die Runde gemacht. Für ungefähr sechs Minuten waren wir allgemeines Gesprächsthema gewesen, dann gingen alle wieder zur Tagesordnung über.
Von meiner Kollegin und Freundin Doris hatte ich dann erfahren, dass die meisten Mitarbeiter ohnehin längst davon ausgegangen waren, dass Dennis und ich heimlich ein Verhältnis hatten, was mich sehr verblüffte. Hatten wir miteinander geflirtet, ohne es selbst zu bemerken? Wir waren jedenfalls ein Paradebeispiel dafür, dass sich aus einer langjährigen, kumpelhaften Freundschaft durchaus mehr entwickeln konnte.
Zugegeben: Vor unserem ersten Kuss – von der ersten gemeinsamen Nacht will ich gar nicht anfangen – hatte ich Muffensausen gehabt, aber hallo. Unter den etlichen Optionen hatte eine darin bestanden, dass es sich anfühlen würde, als würde ich meinen Bruder küssen. Mein Herz hatte vor Nervosität wie verrückt gehämmert. Aber dann war es einfach himmlisch gewesen. (Und alles andere als geschwisterlich.)
Wir ließen es trotz allem langsam angehen. Wir hatten uns gefunden, und das genossen wir mit einer gewissen gelassenen Zufriedenheit. Wir waren beide Mitte vierzig, und wir mussten nichts überstürzen. Darin waren wir uns einig, ohne es aussprechen zu müssen.
Mal übernachtete er bei mir, mal ich bei ihm, aber wir hingen nicht wie Kletten aneinander. Davon, zusammenzuziehen, war bisher keine Rede, auch wenn ich mir deutlich Schlimmeres vorstellen konnte, als in Dennis’ wunderschönem Bauernhaus außerhalb der Stadt zu wohnen. Aber ich liebte meine Wohnung, die mir noch ein gewisses Maß an Unabhängigkeit gewährte. Außerdem: Der kleine Lebensmittelladen meiner Freunde Bärbel und Frank war nur wenige Gehminuten entfernt. Seit sie ihn übernommen hatten, sahen wir uns beinahe täglich, und das bedeutete mir viel.
»Was hast du heute noch vor?«, fragte Dennis. Er beugte sich hinunter und streichelte meinen Kater Baghira, der maunzend um die Tischbeine strich, weil er scharf auf unser Rührei war.
»Cäcilie und Käthe haben mich in die Residenz zum Essen eingeladen. Sie wollen mir irgendetwas erzählen, haben sie gesagt. Sie taten sehr geheimnisvoll.«
Dennis tauchte wieder auf und lächelte. »Du magst die beiden alten Mädchen, oder?«
Seine Frage war rein rhetorisch und bedurfte keiner Antwort. Cäcilie und Käthe – muntere Schwestern jenseits der achtzig – hatten vor einigen Monaten bei der Aufklärung des letzten Mordfalls geholfen, in den ich gestolpert war. Nicht nur das: Sie waren auch live dabei gewesen, als der Fall seinen fulminanten Abschluss gefunden und Dennis mir heldenhaft das Leben gerettet hatte. Seither besuchte ich sie regelmäßig alle drei bis vier Wochen zu einem Plausch bei Kaffee und Kuchen.
»Ich bin nicht zufällig auch eingeladen?«, fragte Dennis.
Ich schüttelte den Kopf. »Sie lieben dich, das weißt du, aber diesmal handelt es sich um ein reines Mädelstreffen. Du wirst dich ohne mich doch nicht etwa langweilen? Ich komme später noch vorbei.«
»Das ist es nicht.« Dennis seufzte theatralisch. »Ich hatte irgendwie gehofft, mich vor der dringend notwendigen Gartenarbeit drücken zu können, die ich mir für heute vorgenommen habe. Es ist Herbst, und es gibt viel zu tun. Blätter zusammenharken, die Äpfel aufsammeln, verblühtes Zeugs abschneiden, ein letztes Mal den Rasen mähen, die Gartenmöbel einmotten, das Hühnerhaus auf Winterfestigkeit checken …«
»… einen Brunnen graben und die Zäune an der Nordweide reparieren«, fiel ich ihm grinsend ins Wort. »Du tust gerade so, als wäre dein Garten so groß wie das Gelände der Ponderosa Ranch.«
»Klein ist er nicht gerade, oder?«
»Du musst ja nicht alles heute erledigen. Und ich könnte dir später noch helfen.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
Nach dem Frühstück trödelte er noch ein wenig herum, aber schließlich verabschiedete er sich. Baghira bekam eine winzige Portion vom übriggebliebenen Rührei, die er begeistert verputzte. Als er sah, dass ich den Staubsauer einstöpselte, floh er Hals über Kopf auf seinen Kratzbaum und beäugte von oben aus sicherer Entfernung, wie ich die lärmende Teufelsmaschine durch die Wohnung manövrierte. Als ich das erledigt hatte, putzte ich das Bad, das es mehr als nötig hatte.
Danach brühte ich mir einen frischen Espresso und lümmelte mich damit aufs Sofa. Kaum saß ich, als das Telefon klingelte: Es war meine beste Freundin Diana.
»Huhu!«, zwitscherte sie aufgeräumt. »Ich habe dich doch nicht etwa geweckt? Oder bei etwas gestört?«
Die Art, wie sie dieses Wort aussprach – gestöööhööört –, ließ eine gewisse Schlüpfrigkeit mitschwingen. Prompt ritt mich der Teufel.
»Nee«, erwiderte ich betont brummig. »Bin gerade mit dem Putzen fertig.«
»Putzen? Wie unsexy. Und das am Sonntagmorgen. Ist Dennis nicht bei dir?«
»Dennis? Mit dem hab ich Schluss gemacht.«
Mit diabolischem Vergnügen genoss ich die fassungslose Stille am anderen Ende der Leitung.
Nach einer angemessenen Pause fuhr ich fort: »Je besser ich ihn kennenlernte, desto langweiliger wurde er. Stink-lang-wei-lig. Wir hatten uns rein gar nichts zu erzählen. Was auch? Schließlich sehen wir uns seit Jahren täglich, da werden die Gesprächsthemen knapp. Ehrlich, ich bin zu alt, um meine Zeit mit einem Langweiler zu verplempern.«
Immer noch Stille.
Schließlich wisperte sie: »Du machst hoffentlich Witze?«
»Wieso – hast du Angst, dass du den anderen das Geld aus der gewonnenen Wette zurückzahlen musst?«
Es hatte sich seinerzeit nämlich herausgestellt, dass meine Freunde um den Zeitpunkt gewettet hatten, wann Dennis und ich zusammenkommen würden. Diana hatte punktgenau geschätzt und ordentlich abgeräumt.
»Quatsch, ums Geld geht es mir nicht. Wie kannst du das nur denken? Aber ich dachte, ihr beide … Ich hab mich doch so für euch gefreut!«
»Ich doch auch, Diana. Zuerst jedenfalls. Aber wie sage ich immer: Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.«
Wieder schwieg sie einen Moment lang, dann sagte sie: »Moment mal. Seit wann sonderst du denn derartig bescheuerte Phrasen ab? Zumal zu einem so wichtigen Thema! Weißt du was? Ich glaube dir kein Wort! Und ich kriege selbst durch den Hörer mit, dass dein Grinsen von einem Ohr bis zum anderen reicht.«
Ich musste kichern. »Schon gut, du hast ja recht. Keine Sorge, zwischen Dennis und mir ist alles in Butter. Wir haben uns lieb und sind sehr nett zueinander, wie es sich gehört. Aber er hat in seinem Garten zu tun, und ich bin später mit den beiden Schwestern verabredet.«
Ich musste ihr nicht erklären, wen ich damit meinte, denn selbstverständlich war Diana über jedes Detail meiner letzten Mördersuche informiert.
»Ich würde sie zu gern mal kennenlernen«, sagte sie. »Apropos: Okko nervt mich damit, wann ihr endlich mal zu uns an die Küste kommt.«
»Wer – die Schwestern und ich?«
»Quatsch. Dennis und du natürlich. Dennis war zwar auf unserer Hochzeit, aber Okko erinnert sich nur noch an einen Lulatsch in schrägen Klamotten.«
Lulatsch in schrägen Klamotten – das traf es tatsächlich recht gut, wie ich zugeben musste. Dennis war hochgewachsen und schmal, und er hatte eine Vorliebe für die Siebziger. Das führte zuweilen zu modischen Extravaganzen, die wahrlich nicht nach jedermanns Geschmack waren, aber das war ihm so wurscht wie nur was. Schon immer hatte ich das Selbstbewusstsein bewundert, mit dem er seine leidenschaftliche Liebe zu Schlaghosen, Plateaustiefeletten und überbreiten Krawatten auslebte. Oft genug sah er aus, als wäre er auf dem Weg zu einer Bad-Taste-Party, bei der er hundertprozentig den ersten Preis abgeräumt hätte. Das Beste war, dass er über meine spitzzüngigen und spöttischen Bemerkungen zu seinem Äußeren stets hatte lachen können. Ein Mann mit Selbstironie – das allein wäre ja eigentlich schon Grund genug gewesen, mich in ihn zu verlieben.
»Schönen Gruß an deinen Gatten – ein Besuch bei euch steht ganz oben auf meiner Liste.«
»Super. Aber sag Dennis, er soll mir dann nicht wieder damit auf den Keks gehen, dass ich die beste Domina war, die er jemals hatte, und zurück an seine Hotline kommen soll.«
Tatsächlich gehörte es zum Ritual, dass Dennis sie genau darum bat, wenn er und Diana sich begegneten. Wie ernst es ihm damit war, konnte ich nicht einschätzen, aber sicherlich würde er sich gegen ihre Rückkehr nicht wehren. Okko hatte nie ein Problem damit gehabt, dass Diana an der Sexhotline gearbeitet hatte, aber …
»Okko fände es also nur mäßig komisch, wenn Dennis die Telefondomina in dir wieder heraufbeschwören wollte?«, fragte ich amüsiert.
»Mäßig komisch?« Diana schnaubte. »Du weißt selbst, dass er mehr als entspannt mit meiner Vergangenheit an der Sexhotline umgeht, aber … Sagen wir so: Wenn Dennis in seinem Beisein versuchen würde, mich zu überreden, würde Okko ihm wahrscheinlich weit draußen im Watt bei einem Picknick auf einer Sandbank K.-o.-Tropfen in ein Glas Bier geben und ihn bei der nächsten Flut ersaufen lassen.«
»Und das als Anwalt.«
»Anwälte sind auch nur Menschen. Und zuweilen gleichzeitig Ehemänner, die ihre Frau abgöttisch lieben. Aber sie verfügen manchmal über ein profundes Wissen, wie sie den perfekten Mord begehen können.«
»Profundes Wissen? Ich würde das kriminelle Energie nennen, meine Liebe. Aber die Idee ist tatsächlich hübsch. Auf deinem Mist gewachsen?«
Diana kicherte. »Ja, gerade eben. Okkos Beruf scheint mich irgendwie zu inspirieren.«
»Solange du ihm keine Vorschläge machst, wie er meinen Freund beseitigen kann …«
»Das würde ich niemals tun. Dazu mag ich ihn viel zu sehr. Außerdem bist du wieder viel fröhlicher, seit du mit ihm zusammen bist. Süße, ich muss los, Heini wartet schon ungeduldig auf seinen Strandspaziergang. Grüß den Lulatsch von mir.«
Wir legten auf, und ich musste feststellen, dass ich sie nur zu gern auf dem Strandspaziergang mit Heini, ihrem quirligen Terrier, begleitet hätte. Es wurde wirklich mal wieder Zeit, sie zu besuchen. Zusammen mit Dennis.
Eigentlich hatte ich es sogar ihr zu verdanken, dass Dennis und ich jetzt ein Paar waren. Bei ihrem letzten Besuch bei mir war sie zu dem Schluss gekommen, dass ich einsam und unglücklich war, hatte mich an einem sehr angeheiterten Abend zu einem Profil auf einer Plattform für Singles genötigt, auf der auch Dennis aktiv gewesen war …
Der Rest ist Geschichte.
Eine Stunde später parkte ich mein Auto auf dem Randstreifen in der Straße, an der sich die Seniorenresidenz ›Herbstglück‹ befand. Wie üblich waren die beiden Flügel des schmiedeeisernen Tores, durch das man das weitläufige Gelände betrat, einladend geöffnet. Das Laub der malerischen Allee aus Buchen, die zur Residenz führte, schimmerte goldgelb und orange, wie es sich für den Herbst gehörte. Im Sommer nutzten die Bewohner der Einrichtung ausgiebig den schönen Park, der das Gebäude umgab, aber heute konnte ich niemanden entdecken, denn es war trotz der Sonne herbstlich kühl. Für meine Verabredung war ich etwas zu früh dran, also spazierte ich zunächst zum kleinen Ententeich. Sofort kam das Federvieh hoffnungsvoll zum Ufer gepaddelt, drehte aber umgehend desinteressiert wieder ab, als ich keine Anstalten machte, sie zu füttern. Klare Ansage: Du hast nichts für uns, also existierst du für uns nicht.
Ob Baghira wohl auch nur deshalb so anschmiegsam war, weil ich ihn mit Leckerbissen verwöhnte? Wir vermenschlichen unsere Haustiere ja nur zu gern und bilden uns ein, dass sie uns lieben, aber vermutlich ist das nur eine Mischung aus Kalkül, Bequemlichkeit und Instinkt. So nach dem Motto: Bei der Ollen ist es warm, gemütlich und trocken, und sie kann im Gegensatz zu mir die Dosen öffnen, in denen mein Futter aufbewahrt wird – hier bleibe ich, denn hier ist das Leben viel einfacher und besser als in der freien Wildbahn.
Ich schlenderte weiter.
Überall lag herabgefallenes Laub, auch zwischen den hüfthohen Holzfiguren der beiden großen Schachspiele, deren Partien auf gepflasterten Flächen aus weißen und schwarzen Steinplatten ausgetragen wurden. Auf dem einen Spielfeld standen die Figuren ordentlich aufgereiht am Rand, auf dem anderen waren sie wie bei einer laufenden Partie angeordnet. Aber es konnte natürlich auch sein, dass sie einfach sinnlos irgendwo herumstanden; von Schach verstand ich nichts. Umgeben war das lauschige, vom Hauptweg nicht einsehbare Areal von Büschen, zwischen denen in regelmäßigen Abständen Bänke standen, die interessierten Zuschauern Platz boten.
Die gekiesten Spazierwege wanden sich anmutig durch den idyllischen Park, der auch zu dieser Jahreszeit noch jede Menge Charme besaß. Das Laub der Bäume und Büsche prunkte in traumhaften Herbstfarben, und in den wie zufällig angelegten Beeten blühten farbenfrohe Astern. Ich passierte einen kleinen Minigolf-Platz und diverse hübsche Sitzgelegenheiten. Ich liebte den versteckt liegenden hölzernen Pavillon, der mit Korbmöbeln für vier Personen eingerichtet und von einer Kletterrose umrankt war, die noch etliche Blüten trug. Ein wunderbares Plätzchen, wenn man einen ungestörten Plausch halten wollte.
Nicht der schlechteste Ort, um seinen Lebensabend zu verbringen, dachte ich nicht zum ersten Mal.
Nicht, dass ich mir diese Luxusresidenz jemals würde leisten können, aber ich beglückwünschte jeden, der hier wohnte.
Wie Cäcilie und Käthe zum Beispiel, die bestimmt schon auf mich warteten, wie ein Blick auf die Uhr mir klarmachte.
Ich musste mich sputen, also ging ich quer über den Rasen zur Terrasse ihrer Suite. Dort stand eine pfirsichfarben gekleidete Gestalt und winkte mir schon von Weitem zu.
Ein Speisesaal wie in einem Schloss und herrschaftliches Verhalten – Loretta fühlt sich wie in eine andere Zeit versetzt
»Na, dat wurde aber auch Zeit«, begrüßte mich Cäcilie und zog mich ins Haus. »Wir dachten schon, du kommst nich mehr.«
»Tut mir leid, ich war zu früh dran und bin noch im Park spazieren gegangen«, erwiderte ich und hauchte erst ihr, dann ihrer Schwester einen Begrüßungskuss auf die gepuderten Wangen. Beide dufteten stets nach Lavendel, was ich sehr mochte.
Käthe schüttelte missbilligend den Kopf. »Das dachten wir natürlich nicht. Was soll Loretta denn von uns denken? Sie würde eine Verabredung mit uns niemals versäumen, ohne rechtzeitig Bescheid zu sagen. Das ist einfach nicht ihr Stil, Cäcilie, und das weißt du auch.«
»Natürlich weiß ich dat«, sagte Cäcilie. »Wir müssen los, Mädels. Der Gong hat bereits geläutet.«
Oho, die feinen Herrschaften wurden mit dem Gong zum Essen gebeten – ich war beeindruckt.
Bisher hatte ich ihre Kantine noch nicht kennengelernt; entsprechend neugierig war ich. Ich wusste, dass die Bewohner der Residenz morgens beinahe vollzählig dort frühstückten, denn lediglich die vier großzügigen Suiten verfügten über eine eigene kleine Küche, während die zehn Apartments nur aus einem oder zwei Zimmern mit Bad bestanden. Außerdem wurden auf Bestellung Mittagessen, Kaffee und Kuchen sowie Abendessen dort serviert. Diesen Service nutzten die Schwestern nur unregelmäßig, da sie es meist vorzogen, sich selbst zu versorgen oder außerhalb der Residenz essen zu gehen. Sie mochten die Bequemlichkeit der Einrichtung, fanden es dort aber ziemlich langweilig, wie sie mir gleich zu Beginn unserer Bekanntschaft verraten hatten. Das Freizeitangebot war zwar breit aufgestellt, aber für ihren Geschmack bei Weitem nicht unterhaltsam genug.
Ich folgte ihnen durch diverse Flure in einen prunkvollen Raum, der die Bezeichnung ›Kantine‹ wahrlich nicht verdiente. Bodentiefe Sprossenfenster, geschmackvoller Teppichboden, vergoldetes Mobiliar wie aus einem Barockschloss, gigantische Grünpflanzen und monströse Kristalllüster – all das verschlug mir für einen Moment die Sprache. Klassische Musik perlte leise aus verborgenen Lautsprechern; auf den festlich gedeckten Tischen flackerten Kerzen. Nicht schlecht.
Die meisten Tische waren besetzt, einige mit einer Person, andere mit zweien oder mehr.
»Wünsche allseits einen guten Appetit!«, zwitscherte Cäcilie in die Runde, was mit allgemeinem Nicken quittiert wurde.
»Wir haben den da hinten reserviert«, sagte Käthe und deutete auf einen Erker.
Als wir Platz genommen hatten, stellte ich sofort fest, dass die beiden Damen tatsächlich ein Händchen dafür hatten, sich den Tisch mit der strategisch günstigsten Position, sprich: dem besten Blick, auszusuchen. Damit meine ich keineswegs die Aussicht auf Terrasse und Park, oh nein. Von diesem Tisch aus konnte man problemlos den gesamten Raum scannen. Das kannte ich schon von dem Café, in dem ich Cäcilie und Käthe zum ersten Mal begegnet war: Auch dort hatten sie den optimalen Beobachtungsposten bezogen, eine Tatsache, die mir bei der Aufklärung des mysteriösen Todesfalls, der sich dort ereignet hatte, durchaus geholfen hatte. Ich war sicher, dass die Auswahl dieses Tisches kein Zufall war.
»Hier lässt es sich vortrefflich speisen«, sagte ich, »wenn das Essen nur halb so gut ist wie das Ambiente …«
»Ist es, meine Liebe, ist es.« Käthe ließ den Blick durch den Raum schweifen, dann sah sie mich an. »Alle Mitbewohner sind heute anwesend.«
»Alle, die noch leben, wolltest du wohl sagen«, fügte Cäcilie hinzu.
Das hatte gesessen.
Während ich noch damit beschäftigt war, die Detonation dieser wohlplatzierten Bombe zu verarbeiten, kam durch eine Tür am entgegengesetzten Ende des Raums eine junge Frau herein, die einen Servierwagen schob. Sie trug einen schwarzen Rock, eine weiße Bluse und ein spitzenbesetztes Schürzchen. Sie ging von Tisch zu Tisch, stellte Suppenteller vor den Gästen ab und schöpfte aus einer Terrine klare Boullion hinein. Nachdem sie auch uns die Suppe serviert hatte – wir waren die Letzten –, verschwand sie wieder, vermutlich in der Küche.
»Das war Susi«, sagte Käthe. »Eine sehr freundliche Person. Immer gut gelaunt und hilfsbereit. Alle mögen sie. Aber man weiß ja nie.«
»Nein, das tut man wohl nicht«, murmelte ich verdattert. »Aber was meinte Cäcilie vorhin mit …«
»Später, nicht jetzt«, fiel Käthe mir ins Wort. »Hör einfach zu. Also: Der alte Herr am Nebentisch ist Egbert Fröhlich.«
Aus dem Augenwinkel registrierte ich vage eine hagere Gestalt mit Glatze und weißem Kinnbart. Alter Herr, soso. Er wirkte keine Minute älter als die munteren Schwestern – kaum vorstellbar, dass sie sich selbst als ›alte Damen‹ bezeichnen würden.
Meine köstliche Boullion – es war mir gelungen, einen Löffel zu probieren – wurde kalt, während Käthe mir im Stakkato kurze Informationen zu allen Anwesenden vor den Latz knallte. Cäcilie löffelte in aller Seelenruhe ihre Suppe, aber mir rauchte binnen kürzester Zeit der Kopf. Hermine Sanders, die ehemalige Oberstudienrätin, Albert Küppersbusch, Admiral a. D., Berta und Paul Mönchshausen, Fabrikanten im Ruhestand, Olga Krasnaja, Ex-Primaballerina an irgendeiner Staatsoper … Hilfe!
»Stopp«, flüsterte ich irgendwann, »wer soll sich das denn merken? Und warum erzählst du mir das alles?«
»Wirst du gleich erfahren, wenn wir unter uns sind«, erwiderte Cäcilie gleichmütig. »Du wirst staunen.«
Ich staunte ja jetzt schon.
Und in mir keimte allmählich der Verdacht, dass die beiden Damen, mit denen ich gerade zu Mittag aß, einen Kriminalfall witterten. Jemand, der nicht mehr lebte … Diese Formulierung allein sprach Bände. Allerdings jemand, der vermutlich ziemlich betagt gewesen war, und manchmal starben alte Leute halt. Daran war in den allermeisten Fällen nichts geheimnisvoll. Oder kriminell. Ich seufzte innerlich, denn genau das würde ich ihnen wohl gleich schonend beibringen müssen.
»Du musst dir auch gar nichts merken«, sagte Käthe, »wir wollten nur, dat du alle mal in natura siehst. Wir haben für dich natürlich Fotos von sämtlichen Leuten, selbstverständlich auch vom Personal. Außerdem einige Informationen über jeden und eine genaue Liste, wo jeder unserer Mitbewohner in diesem Haus residiert.«
Na, da bin ich aber beruhigt, dachte ich amüsiert.
Selbst wenn nichts dahintersteckte, würde ich Dennis immerhin einiges zu erzählen haben, wenn ich später noch zu ihm fuhr.
Käthes weiteren Ausführungen hörte ich nur noch mit halbem Ohr zu, sah mir die jeweiligen Personen dennoch kurz an. Alle machten einen recht wohlhabenden Eindruck, waren gepflegt und hochwertig gekleidet. Nur einer – Hansi Sommer, Ex-Schlagersänger – fiel durch sein gleichermaßen exzentrisches wie seltsam altmodisches Äußeres aus dem Rahmen: Sein blond gefärbtes Haar war beinahe schulterlang, und er trug einen weißen Anzug mit absurd breitem Revers sowie ein violettes Satinhemd. Ich wusste, Dennis würde das Outfit lieben.
»Er lebt ein bisschen in der Vergangenheit«, erzählte Käthe, »und manchmal gibt er Konzerte für uns.«
»Manchmal?«, raunte Cäcilie mit gehobenen Brauen. »Ein wenig zu häufig für meinen Geschmack. Zumal er beleidigt ist, wenn man nicht erscheint. Dat sind Pflichtveranstaltungen. Dafür müssten wir eigentlich Geld kriegen.«
»Gönn ihm doch sein kleines Vergnügen«, sagte Käthe. »So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Immerhin war er mal recht erfolgreich.«
Sie unterbrach ihren Vortrag, als der nächste Gang serviert wurde: Rinderbraten mit kräftiger Sauce, Kartoffelgratin und grüne Bohnen.
Als hätte sie mir nicht gerade ein ganzes Bündel geheimnisvoller Informationen vor die Füße geworfen, schnitt Käthe unvermittelt ein komplett anderes Thema an.
»Und? Wie läuft es mir dir und dem schillernden jungen Mann? Hoffentlich immer noch verliebt wie am ersten Tag?«, zwitscherte sie und wechselte einen schelmischen Blick mit Cäcilie.
Das konnten sie gut: Blicke miteinander tauschen. Mal schelmisch wie jetzt, mal beredt, mal kaum deutbar. Ganze Unterhaltungen schienen sie völlig ohne Worte zu führen. Das spielte sich vermutlich ein, wenn man so eng miteinander verbunden war.
»Ich bin sehr glücklich mit Dennis«, sagte ich lahm, denn mein Gehirn war noch immer mit der Frage beschäftigt, welche Geschichte sie mir später wohl auftischen würden.
»So ein ritterlicher Mann«, flötete Cäcilie mit leuchtenden Augen. »Ich habe gleich gewusst, dat ihr zusammengehört. Nicht wahr, Käthe? Ich hab gleich gesagt: Die zwei gehören zusammen. Passt wie Arsch auf Eimer, hab ich gesagt. Stimmt doch, Käthe? Dat hab ich gesagt.«
»Ja, das hast du.« Käthe rollte dezent mit den Augen. »Aber ich wäre dir ausgesprochen dankbar, wenn du stattdessen ein Wort wie ›Gesäß‹ verwenden würdest, meine Liebe.«
Ich schmunzelte. Wie unterschiedlich sie sich ausdrückten: Käthe stets makellos und gewählt, während von Cäcilie immer mal recht handfester Ruhrpottslang zu hören war. Eine über achtzigjährige Dame mit weißen Löckchen, pfirsichfarbenem Kaschmir-Twinset und Perlenkette, die eine Formulierung wie ›Arsch auf Eimer‹ benutzte. Ich fand das zum Brüllen. Käthe offenbar weniger.
Kein Treffen mit den beiden, ohne dass sie Hymnen auf Dennis’ Heldenmut sangen und die Tatsache beschworen, dass sie vom ersten Moment an gewusst hätten … Nun ja. Auch Dennis gegenüber machten sie aus ihrer Bewunderung für ihn keinen Hehl, zusätzlich punktete er bei ihnen mit vollendeten Manieren, was sie großzügig über seine exzentrischen Outfits hinwegsehen ließ.
Allerdings wusste ich nun, dass sie diesbezüglich vermutlich durch ihren Mitbewohner Hansi Sommer abgehärtet waren: Seine Frisur kopierte zweifellos diejenige, die Günter Netzer in den Siebzigern getragen hatte – dessen damaligen Stil Dennis übrigens sehr bewunderte.
»Wir freuen uns jedenfalls, dass du einen so netten Gefährten gefunden hast«, sagte Käthe. »Eine so besondere junge Frau wie du sollte nicht allein durchs Leben gehen.«
»Das sollte niemand, oder?«, erwiderte ich.
»Aber viele sind allein.« Mit einer kaum merklichen Kopfbewegung deutete Käthe in die Runde. »Die meisten Bewohner unserer Residenz zum Beispiel. Das macht es ja auch so einfach …« Sie brach ab und fuhr dann fort: »Wo kein Kläger, da kein Richter. Du wirst gleich verstehen, was ich meine.«
Okay – mittlerweile hatten sie mich so neugierig gemacht, dass ich unser Dessert in Windeseile hinunterschlang, ohne es wirklich zu genießen. Dabei hatte die himmlische Pannacotta das nun wirklich nicht verdient. Ungeduldig zappelte ich auf meinem Stuhl herum und sah dabei zu, wie sich die beiden Damen ihre Nachspeise Löffelchen für Löffelchen im Mund zergehen ließen.
Plötzlich blickten alle auf: Eine elegante Dame betrat den Raum und grüßte huldvoll in die Runde. Begleitet wurde sie von einem mürrischen Mann Mitte fünfzig, dessen blaue Latzhose und Werkzeugkasten ihn als Handwerker auswiesen. Ganz offensichtlich ging es ihm massiv gegen den Strich, am Sonntagmittag hier antanzen zu müssen.
»Ich will Sie gar nicht lange stören«, sagte die Dame, »aber … Herr Sommer …?«
Der Mann im Schlagersänger-Outfit winkte, tupfte sich dann mit einer Stoffserviette die Mundwinkel ab und erhob sich. »Wunderbar, dass Sie sofort kommen konnten, Herr Meister. Der tropfende Wasserhahn macht mich verrückt.«
Wow, ein tropfender Wasserhahn.
Nicht etwa ein verstopftes Klo oder eine zerbrochene Fensterscheibe, nein: ein tropfender Wasserhahn. Dafür wurde am Sonntag ein Handwerker bemüht? Nun ja, wenn man für den Notdienst seiner Firma eingeteilt war, musste man wohl damit rechnen. Umso saftiger würde die Rechnung ausfallen.
Die drei verließen den Speisesaal, und Käthe beugte sich zu mir. »Das war Frau von Dillingen; sie leitet dieses Haus. Und Herr Meister, unser Hausmeister.«
»Na, sein Name passt ja wie Ar…, äh, wie die Faust aufs Auge«, gab ich leise zurück. »Wohnen die auch hier?«
»Frau von Dillingen bewohnt einige Räume im ersten Stockwerk«, sagte Käthe. Sie deutete auf einen alten Herrn mit grau meliertem Bürstenschnitt und fuhr fort: »Das ist übrigens ihr Vater, Justus von Dillingen. Er lebt auch in der Residenz. Aber Herr Meister natürlich nicht. Er kommt werktags jeden Morgen um sieben und hat um fünf Feierabend.«
Missbilligend schüttelte ich den Kopf. »Heute ist kein Werktag, soweit ich weiß. Und ich bin ein bisschen erstaunt, dass der Mann für einen läppischen tropfenden Wasserhahn hierher zitiert wird. Das kann man ja wohl kaum als Notfall bezeichnen. Sogar mir fallen spontan diverse Möglichkeiten ein, um so ein Tropfgeräusch abzustellen. Da improvisiert man halt ein bisschen und wartet ab, bis der Hausmeister normal zum Dienst kommt.«
Cäcilie lächelte sanft. »Kindchen, lass es mich so sagen: Die meisten Bewohner dieser Residenz sind der Meinung, dat sie nich Unsummen für dat Privileg zahlen, hier einen gewissen Luxus zu genießen, um sich selbst etwas einfallen zu lassen, wenn der Wasserhahn tropft. So simpel ist dat. Die Glühbirne in einer Stehlampe geht am Samstagabend kaputt, und schon wird nach Herrn Meister geschrien. Ehe du dich aufregst – Käthe und ich würden das niemals tun.«
»Herr Meister scheint ja einen echten Traumjob zu haben. So ein verdammter Glückspilz. Ich hoffe, er bekommt für seinen Einsatz heute wenigstens ein großzügiges Trinkgeld.«
Cäcilie schnaubte. »Darauf würde ich nicht wetten. Einige hier sind nicht nur stinkreich, sondern haben auch noch einen Igel in der Tasche.«
Wie überaus sympathisch.
Die schöne Fassade dieser Luxusresidenz bekam in meiner Wahrnehmung erste Risse. Lebte hier etwa ein Haufen bornierter Snobs, die glaubten, die Angestellten herumscheuchen zu können? Bäh. Was gab ihnen das Recht dazu? Ihr Geld? Wohl kaum. Aber Herzensbildung konnte man sich halt nicht kaufen.
»Ach, Cäcilie, das gilt wirklich nicht für jeden. Etliche sind äußerst großzügig, Lucia zum Beispiel, oder Elisabeth. Was soll Loretta nur von unseren Mitbewohnern denken? Sieh nur, jetzt hat sie prompt schlechte Laune gekriegt«, sagte Käthe bekümmert. »Loretta, das wollten wir nicht.«
Ich riss mich zusammen. Mit einem Lächeln winkte ich ab. »Ist ja nicht eure Schuld. Selbst wenn nur zwei oder drei von ihnen sich so hochherrschaftlich verhalten: Da muss ich an Zeiten denken, als Angestellte wie Leibeigene behandelt wurden und rund um die Uhr zur Verfügung stehen mussten. Dafür sind selbst die Bewohner dieser Filmkulisse eindeutig zu jung, was allerdings kein Hinderungsgrund zu sein scheint. Wenn die mit allen so herablassend umgehen, lebt der eine oder andere hier gefährlich, schätze ich mal.«
Zwischen Käthe und Cäcilie flogen die Blicke hin und her wie ein Tennisball beim Finale in Wimbledon.
Sah ganz so aus, als hätte ich ins Schwarze getroffen.
Käthe und Cäcilie wittern ein Verbrechen, und Loretta soll es aufklären – aber wie?
»Ich mache uns einen schönen Mokka«, sagte Käthe, als wir wieder in der Suite der Schwestern waren. Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand sie in der winzigen Küche.
Mittlerweile wusste ich, dass die beiden Damen dort einen Kaffee-Automaten stehen hatten, dessen Kaufpreis ich im vierstelligen Bereich vermutete. Die Maschine war zwar relativ klein und kompakt, konnte aber das, was unter dem Oberbegriff Kaffee lief, in vierundzwanzig Variationen produzieren, Knopfdruck genügte. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass mich bei unserer ersten Begegnung eine tiefe Zuneigung zu diesem Gerät ergriffen hatte, was Käthe und Cäcilie ziemlich amüsiert hatte.
Ich stellte mich an eines der bodentiefen Sprossenfenster, von denen zwei auch als Terrassentüren fungierten. Der Ausblick auf den Park konnte sich sehen lassen, und das zu jeder Jahreszeit, wie ich annahm. Selbst im Winter musste die Anlage ihren Reiz haben, zum Beispiel, wenn alles mit Raureif überzogen war.
Da ich den Gebäudekomplex schon früher einmal umrundet hatte, wusste ich, dass es vier dieser Terrassen gab, die vermutlich sämtlich zu Suiten gehörten, wie die Schwestern sie bewohnten. Optisch unterschieden sich diese Außenbereiche stark voneinander: Die vor meiner Nase war von einer hüfthohen Buchenhecke mit einer seitlichen Lücke zum Durchschlüpfen umgeben. Bei meinem ersten Besuch hatte ich mich gefragt, ob ich mich mit einer höheren Hecke wohler fühlen würde, die mir etwas mehr Privatsphäre gewähren konnte. Aber es hatte sich herausgestellt, dass die Leute normalerweise die weiter entfernten Pfade benutzten und nicht – wie ich – quer über den Rasen latschten, um den Weg abzukürzen.
Bei den anderen Terrassen gab es keine Hecken, sondern lediglich vereinzelte am Rand platzierte Kübel mit affig geschnittenen, unecht wirkenden Buchsbaumskulpturen: Kugeln, Spiralen oder Kegel, die genauso gut aus Plastik hätten sein können. Im Sommer waren diese Bereiche mit geschmackvollen Gartenmöbeln und Sonnenschirmen ausgestattet gewesen, die alle gleich aussahen und wahrscheinlich zur Ausstattung der Suiten gehörten.
Ich hätte jede Wette gehalten, dass Frau von Dillingen es den Bewohnern keinesfalls erlaubte, das Gartenmobiliar selbst auszusuchen. Immerhin würde es den harmonischen Gesamteindruck der Residenz massiv stören, wenn einer sich für einen gestreiften Sonnenschirm begeistern würde und ein anderer für einen mit Punkten – undenkbar, schließlich war man hier nicht auf dem Jahrmarkt. Also bekamen alle einheitlich grüne Schirme, farblich passend zu den Polstern der Sitzmöbel.
Sicherlich gab es Schlimmeres, aber mich hätte es genervt, meine Terrasse nicht individuell gestalten zu dürfen.
Käthe brachte den Mokka herein. »Sooooo«, flötete sie dabei, wie weiland Else Tetzlaff.
Wir setzten uns aufs Sofa. Ich nippte an der zierlichen Mokkatasse, dann sagte ich: »Also, meine Damen: Raus mit der Sprache.«
Käthe schüttelte den Kopf. »Wir genießen jetzt erst einmal unseren Mokka, und dann machen wir drei Hübschen einen schönen Verdauungsspaziergang.«
Da in eine Mokkatasse gerade mal zwei oder drei kleine Schlucke passten, waren sie rasch geleert.
»Seid ihr ganz sicher, dass ihr in den Park gehen wollt?«, fragte ich. »Hier ist es so schön gemütlich.«
Um die Wahrheit zu sagen: Ich war diejenige, die keine Lust hatte, mich durch den Park zu quälen. Nicht nach diesem reichhaltigen Mittagessen. Aber keine Chance – die Schwestern waren unerbittlich. Und wenn ich heute noch herausfinden wollte, was sie mir zu sagen hatten, musste ich wohl oder übel in den sauren Apfel beißen.
Sie zogen sich warme Jacken an, und dann schlenderten wir über die gewundenen Wege. Ich verkniff mir weitere Aufforderungen, endlich auszupacken. Sonst plapperten sie zwar immer wie zwei hyperaktive Kanarienvögel, aber wenn sie nichts sagen wollten, war halt Funkstille. Noch.
»Setzen wir uns in den Pavillon, dort sind wir ganz ungestört«, sagte Käthe und deutete in Richtung der kleinen, verschnörkelten Laube, die hinter einigen rot belaubten Büschen zu erahnen war.
Nun, das wären wir in ihrer Wohnung doch auch gewesen, oder? Dennoch: Ich ahnte, dass sie einen triftigen Grund dafür hatten, unser Gespräch nach draußen zu verlegen. Meine Neugier stieg allmählich ins Unermessliche.
Die verblichenen Korbsessel knarrten, als wir uns setzten. Die Sonne schien, und es duftete zart nach den letzten Rosenblüten an den Ranken, die den Pavillon schmückten.
Cäcilie nickte Käthe zu. Die beugte sich zu mir und raunte: »Hier gehen Dinge vor sich, Loretta.«
Aha. »Was für Dinge? Spukt es etwa in dem alten Gemäuer?«
Ich hatte einen Witz machen wollen, aber Cäcilie zuckte nicht mit der Wimper. »Keinen Schimmer, ob Heriberts ruheloser, rachsüchtiger Geist hier spukt. Würde mich aber nicht wundern. Ich an seiner Stelle würde es tun.«
Heriberts … rachsüchtiger Geist?
»Wer ist Heribert?«, fragte ich. »Und warum sollte sein Geist rachsüchtig sein?«
Käthe atmete tief durch. »Heribert wohnte in Suite C. Vor drei Wochen ist er ganz plötzlich gestorben. Über Nacht. Abends haben wir noch zusammen Bridge gespielt, und am nächsten Morgen lag er tot im Bett.«
Du musst zugeben: Das ist seltsam, sagte ihr Blick, und ich wusste, jetzt war ein gewisses Maß an Diplomatie gefragt.
»Mädels, ich will euch nicht zu nahe treten, aber es soll vorkommen, dass ein alter Mann stirbt, auch mal über Nacht«, erwiderte ich also. »Wisst ihr zufällig, was als Todesursache festgestellt wurde?«
»Angeblich Herzstillstand.« Cäcilie schnaubte verächtlich. »Also echt, wat sagt dat schon aus? Bleibt die olle Pumpe etwa nicht immer stehen, wenn einer stirbt?«
»Das ist schon richtig, aber …« Mich fröstelte plötzlich. Während des Spaziergangs war mir warm genug gewesen, aber mittlerweile … »Sagt mal, warum sitzen wir eigentlich hier und nicht in eurer Wohnung?«
Sie wechselten einen Blick. »Damit man uns nicht belauschen kann«, erwiderte Cäcilie leise.
Jetzt kapierte ich gar nichts mehr. Was ging hier ab? Galoppierende Paranoia? Die Schwestern waren fasziniert von Kriminalfällen, wie ich wusste, und deshalb waren sie auch regelrecht aus dem Häuschen gewesen, als sich vor einigen Monaten in ihrem Lieblingscafé direkt vor ihrer Nase ein Todesfall ereignet hatte. Die gesamte Kavallerie war aufmarschiert, sie hatten ihr Glück kaum fassen können. Mit diesem Erlebnis hatten sie in ihrer Seniorenresidenz sogar zwei oder drei unterhaltsame Vortragsabende gestaltet, die sie dort zu Superstars gemacht hatten.
Ich roch die Gefahr, dass sie nun dazu neigten, vermeintlich Kriminelles in völlig harmlosen Vorgängen zu suchen, und da kam ich ins Spiel. Da ich besagten Todesfall aufgeklärt hatte, hielten sie mich nun für eine oberschlaue Super-Detektivin, die der Polizei mal eben zeigte, wo der Frosch die Locken hatte. Obwohl ich mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hatte, ließen sie sich nicht von ihrer Meinung über mich abbringen.
Und jetzt hatte ich den Salat.
»Wer soll uns denn eurer Meinung nach nicht belauschen können?«, fragte ich sanft.
»Wissen wir nicht.« Käthe zuckte mit den Schultern. »Wir sind allerdings ganz sicher, dass die Wohnungen verwanzt sind. Vielleicht nicht alle. Aber zumindest diejenigen, in denen was zu holen ist.«
Sag ich doch: galoppierende Paranoia. Dennoch schien es mir geboten, sensibel damit umzugehen und sie nicht etwa auszulachen.
»In Ordnung«, sagte ich. »Ihr habt bestimmt einen sehr guten Grund für eure Vermutung.«
Erneut warfen sie sich einen dieser Blicke zu und nickten synchron. Dann winkte Käthe mich näher zu sich und raunte: »Heribert besaß eine sehr kostbare antike Kaminuhr aus Porzellan, die stets auf seinem Vertiko gestanden hat. Seit seinem Tod ist sie verschwunden. Stattdessen hat man dort ein billiges, ähnliches Modell platziert, damit das Fehlen des Originals nicht auffällt. Auch sein persischer Teppich wurde ausgetauscht. Weiß der Himmel, was noch alles geklaut worden ist.«
»Könnte es nicht sein, dass irgendwelche Verwandten, also seine Erben, die Uhr und den Teppich genommen haben?«
Vehement schüttelte Käthe den Kopf. »Nie und nimmer. Der Heribert hatte keine Familie mehr. Außerdem: Warum sollten Erben die austauschen? Wenn sie die Sachen doch sowieso erben?«
Das stimmte natürlich.
»Sein Besitz sollte nach seinem Tod einem guten Zweck zugutekommen«, fuhr Käthe fort, »das hat er uns erzählt. Einem Hospiz oder einem Waisenhaus oder dergleichen. Genau hat er sich dazu nicht geäußert.«
»Verstehe. Seid ihr sicher, dass diese Gegenstände wirklich so überaus wertvoll waren? Oder hat er vielleicht nur ein bisschen … Ihr wisst schon.«
»Auf dicke Hose gemacht?«, fragte Cäcilie amüsiert. »Nee. Er hatte dafür sogar Expertisen, die hat er uns gezeigt. Irgendein Zar hat die Uhr irgendeinem von Heriberts Vorfahren geschenkt; für besondere Verdienste oder so. Und der Teppich war ein uraltes Stück aus einem Königspalast. Er hatte uns mal auf eine Tasse Tee eingeladen, dat war kurz vor seinem Tod. Eigentlich lebte er sehr zurückgezogen und lud niemals zu sich ein, aber«, sie kicherte kokett, »ich glaube, der alte Knabe hatte sich in mich verguckt. Ich habe – aus reiner Höflichkeit – die Uhr bewundert, die ich in Wirklichkeit potthässlich fand. Der Teppich war allerdings sehr hübsch, muss ich zugeben. Ich hab ihn gefragt, ob er diese Sendung kennt, die mit diesem kleinen Kerl mit dem Zwirbelschnäuzer. Da kann man hingehen, wenn man Sachen begutachten und schätzen lassen will. Außerdem sind da noch ein paar Antiquitätenhändler, die auf die Gegenstände bieten können.«
Sie blickte mich fragend an, und ich schüttelte den Kopf. Der Tag, an dem ich mich für Antiquitäten interessierte – seien es echte oder vermeintliche –, musste erst noch kommen.
»Nicht? Da hast du was verpasst. Käthe und ich raten immer, was die Sachen wohl wert sein könnten. Wie auch immer: Mein Vorschlag hat den guten Heribert sehr amüsiert«, fuhr Cäcilie fort. »Alle Händler zusammen hätten nicht genug Geld für seine Uhr dabei, und für den Teppich auch nicht, sagte er. Zack, schon hatte er die Expertisen aus dem Sekretär gezaubert und hielt sie uns unter die Nase. Der war stolz wie Oskar, sag ich dir. Und wat ich da gelesen hab, hat mich glatt aus den Socken gehauen: Die Uhr wurde auf 30.000 Euro geschätzt, der Teppich auf 55.000. Na, wat sagst du jetzt?«
Ich sagte gar nichts. Erst mal musste ich diese unglaublichen Summen verkraften. So etwas hatte ich nicht im Traum erwartet.
Käthe erzählte weiter. »Außerdem besaß er wohl noch eine Sammlung antiker Taschenuhren, die mal irgendwelchen Persönlichkeiten gehört hatten: Zaren, Königen und Politikern. Die sollen ein kleines Vermögen wert sein.«
»Und diese kostbaren Dinge hatte er einfach so in seiner Suite?«, fragte ich ungläubig. »War das nicht sehr leichtsinnig? Ich dachte immer, so etwas bewahrt man in Bankschließfächern oder dergleichen auf.«
»Das haben wir ihn natürlich auch gefragt«, erwiderte Käthe ernst. »Aber davon wollte er nichts wissen. Er wolle seine Schätze um sich haben und jederzeit ansehen können, hat er gesagt. Er wolle die Uhr schlagen hören und den Teppich unter seinen Füßen spüren, das waren seine Worte. Das war ein wenig exzentrisch, zugegeben, aber tatsächlich fand ich das sehr sympathisch. Er besaß diese Dinge, weil er sie wirklich liebte. Und nicht etwa als Geldanlage, die in irgendeinem Tresor vor sich hin schimmelt. Sein Plan war, das alles am Ende seines Lebens in einem Auktionshaus versteigern zu lassen und den Erlös so zu verteilen, wie er es in seinem Testament festgelegt hatte. Oder festlegen wollte.«
Die Schwestern sahen mich gespannt hat, und ich sagte: »Aber dazu ist es nicht mehr gekommen. Hat er erwähnt, wann er die Dinge verkaufen wollte?«
Synchron wurden zwei silberlockige Köpfe geschüttelt, dann holte Cäcilie tief Luft. »Für ihn gab es keinen Grund zur Eile. Er war ja gesund und fit. Tägliches Powerwalking durch den Park, und zwar bei jedem Wetter. Gymnastik und Training in unserem Fitnessraum, gesunde Ernährung … Sein Arzt hatte ihm gerade erst die Konstitution eines Mannes von höchstens Ende sechzig attestiert – und Heribert war Mitte achtzig. Verstehst du jetzt, warum wir misstrauisch sind?«
»Lasst mich einen Moment nachdenken.« Ich stand auf und ging ein paar Schritte, um das Gehörte zu sortieren.
Tatsächlich war nicht zu leugnen, dass Heriberts Besitz für Diebe durchaus reizvoll gewesen wäre. Ebenso wenig war zu leugnen, dass der wirkliche Wert der Sachen vermutlich nur einem Kunstexperten klar gewesen sein dürfte.
Oder hatte besagter Heribert nicht nur die Schwestern eingeweiht, sondern überall mit seinen Kostbarkeiten geprahlt? Eventuell aber hatte irgendjemand – Personal, Besucher, was weiß ich – Fotos von der Uhr und dem Teppich gemacht und diese dann einem Experten vorgelegt. Aber war es möglich, aufgrund von Fotos wirklich verbindliche Aussagen zu machen?
Ich setzte mich wieder und fragte: »Seid ihr wirklich sicher, dass Heribert mit dem Wert der Sachen diskret umgegangen ist?«
Beide nickten, dann erwiderte Käthe: »Er war kein geschwätziger Mensch, das mal vorweg. Außerdem: Wenn er es herumerzählt hätte, wäre es mit Sicherheit in der Residenz ein beliebtes Tratschthema gewesen – die Klatschtanten hier stürzen sich auf alles, was nur halbwegs interessant ist. Dazu kommt: Bei unserem Gespräch bat er uns dringend um Stillschweigen, da niemand davon wisse. Das sicherten wir ihm natürlich zu.«
»Und woher wisst ihr so genau, dass die besagten Dinge ausgetauscht wurden? Nach seinem Tod durfte doch bestimmt niemand in seine Suite, oder?«
Käthe kicherte. »Man kann durchs Fenster nicht nur raus-, sondern auch reingucken. Wir zwei waren neugierig, das gebe ich gerne zu. Eigentlich gab es nicht einmal einen besonderen Grund, denn wir haben ja erst dann entdeckt, dass dort eine andere Uhr stand. Cäcilie fiel dann auf, dass auch der Teppich anders aussah. Und was bedeutet das wohl, liebe Loretta? Welches eindeutige Signal sendet dein kriminalistischer Instinkt?«
Ich wusste genau, worauf sie hinauswollten. »Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre, hätte es keine Notwendigkeit gegeben, die Gegenstände auszutauschen, dann wären sie einfach weg gewesen. So wurde zumindest auf einen flüchtigen Blick der Eindruck erweckt, dass sich nichts verändert hat. Und deshalb denkt ihr auch, dass …«
»Dat jemand unser Gespräch mit ihm belauscht haben muss«, raunte Cäcilie. »Wir waren in seiner Suite, alle Fenster und Türen waren geschlossen, auch die Wohnzimmertür. Und wir haben natürlich nicht herumgekreischt wie hyperaktive Kindergartenkinder. Selbst wenn jemand an der Wohnungstür gelauscht haben sollte, konnte man uns nicht verstehen, da bin ich sicher.«
»Haben alle Suiten denselben Grundriss?«, fragte ich.
Die Schwestern nickten.
Das bedeutete: Wie hier gelangte man vom Wohnzimmer in einen Flur, von dem zwei Schlafzimmer und das Bad abgingen. Es war schlicht unmöglich, von der Wohnungstür aus durch die geschlossene Wohnzimmertür ein Gespräch zu belauschen, das war Fakt.
»Deshalb denkt ihr also, dass die Wohnungen dieser Residenz verwanzt sind. Vielleicht hätten wir uns dann besser woanders treffen sollen, meint ihr nicht auch?«
Käthe beugte sich nah zu mir und flüsterte in mein Ohr: »Wir haben bei uns schon alles abgesucht und nichts gefunden. Aber man weiß ja nie, deshalb unterhalten wir uns hier und nicht in der Suite. Reine Vorsichtsmaßnahme. Außerdem denken wir, dass vielleicht nur die Wohnungen verwanzt sind, in denen was zu holen sein könnte, und wir haben nicht gerade haufenweise Juwelen rumliegen. Da gibt es ganz andere Kaliber in dieser Residenz. Allerdings auch Bewohner, deren Kinder das Apartment bezahlen.«
Dass sie nichts gefunden hatten, musste nichts bedeuten – es gab sicherlich winzige Abhörgeräte, die nur mit speziellen Geräten aufzuspüren waren.
Und hier draußen? Hatte man uns heimlich verfolgt? Tatsächlich hoffte ich spontan, dass niemand im Gebüsch hockte und wir leise genug geredet hatten.
Huch? Hieß das etwa, dass ich den Schwestern glaubte? Dass es hier tatsächlich einen Fall zu lösen gab?
»Was genau wollt ihr denn jetzt von mir?«, fragte ich die Schwestern.
»Du musst rausfinden, wat mit Heriberts Sachen passiert ist«, erwiderte Cäcilie ernst. »Und ob Heribert wirklich einfach nur gestorben ist oder ob jemand nachgeholfen hat.«