Schenk mir dein Vertrauen - Toni Waidacher - E-Book

Schenk mir dein Vertrauen E-Book

Toni Waidacher

0,0

Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Schwungvoll hängte Marina Waidner Handtasche und Kostümjacke an den Garderobenständer, nahm mit übereinandergeschlagenen Beinen hinter ihrem Schreibtisch Platz und warf den Computer an. Ihre Mittagspause war zu Ende, und sie musste sich wieder an die Arbeit machen. Sieben Jahre lang schrieb sie nun schon für die Frauenzeitschrift ›Elena‹. Gleich nach dem Abitur hatte sie in dem modernen Redaktionsgebäude in der Münchner Innenstadt ein Volontariat begonnen und war nach dessen Abschluss rasch auf der Karriereleiter nach oben geklettert. In jüngster Zeit waren aus ihrer Feder eine Reihe erfolgreicher Reisereportagen erschienen, daneben ein paar Beiträge über moderne Freizeitgestaltung. Im Moment legte Marina letzte Hand an einen Artikel über Reiterferien im spanischen Galicien. Sie hatte gewissenhaft und detailgenau vor Ort recherchiert. Sogar Reitstunden hatte sie genommen, um auch praktische Erfahrungen verwerten zu können. Für den Rest würde ihr viel gelobter flotter Schreibstil sorgen. Marina war sich sicher, mit ihrer neuesten Arbeit nicht nur Chefredakteur Dieter Thomsen, sondern auch die Leserschaft des Magazins ›Elena‹ zu beeindrucken und zu begeistern. Was Dieter Thomsen betraf, hatte er ihr vor ein paar Wochen sogar Hoffnungen gemacht, ihre Urlaubs- und Freizeitreportagen demnächst als Buch herauszubringen. Ein Klopfen an der Bürotür riss Marina aus ihren Gedanken. »Hey, Marina, schon vom Mittagessen zurück?«, vernahm sie fast im selben Moment die Stimme ihrer Kollegin und Freundin Nicole. Noch ehe Marina auch nur mit einer einzigen Silbe hätte antworten können, stürmte Nicole wie ein Wirbelwind auf sie zu. »Stell dir vor, ich habe gerade den Chef getroffen. Du sollst zu ihm kommen! Dringend!« Irritiert runzelte Marina die Stirn. »Zum Chef?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 118

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Bergpfarrer – 292 –

Schenk mir dein Vertrauen

War Marinas Entscheidung richtig?

Toni Waidacher

Schwungvoll hängte Marina Waidner Handtasche und Kostümjacke an den Garderobenständer, nahm mit übereinandergeschlagenen Beinen hinter ihrem Schreibtisch Platz und warf den Computer an. Ihre Mittagspause war zu Ende, und sie musste sich wieder an die Arbeit machen.

Sieben Jahre lang schrieb sie nun schon für die Frauenzeitschrift ›Elena‹. Gleich nach dem Abitur hatte sie in dem modernen Redaktionsgebäude in der Münchner Innenstadt ein Volontariat begonnen und war nach dessen Abschluss rasch auf der Karriereleiter nach oben geklettert.

In jüngster Zeit waren aus ihrer Feder eine Reihe erfolgreicher Reisereportagen erschienen, daneben ein paar Beiträge über moderne Freizeitgestaltung. Im Moment legte Marina letzte Hand an einen Artikel über Reiterferien im spanischen Galicien. Sie hatte gewissenhaft und detailgenau vor Ort recherchiert. Sogar Reitstunden hatte sie genommen, um auch praktische Erfahrungen verwerten zu können. Für den Rest würde ihr viel gelobter flotter Schreibstil sorgen. Marina war sich sicher, mit ihrer neuesten Arbeit nicht nur Chefredakteur Dieter Thomsen, sondern auch die Leserschaft des Magazins ›Elena‹ zu beeindrucken und zu begeistern.

Was Dieter Thomsen betraf, hatte er ihr vor ein paar Wochen sogar Hoffnungen gemacht, ihre Urlaubs- und Freizeitreportagen demnächst als Buch herauszubringen. Wenn sie sich vorstellte …

Ein Klopfen an der Bürotür riss Marina aus ihren Gedanken.

»Hey, Marina, schon vom Mittagessen zurück?«, vernahm sie fast im selben Moment die Stimme ihrer Kollegin und Freundin Nicole.

Noch ehe Marina auch nur mit einer einzigen Silbe hätte antworten können, stürmte Nicole wie ein Wirbelwind auf sie zu. »Stell dir vor, ich habe gerade den Chef getroffen. Du sollst zu ihm kommen! Dringend!«

Irritiert runzelte Marina die Stirn.

»Zum Chef? Jetzt gleich? Hat er irgendeine Andeutung gemacht, was er von mir will?«

Nicole schüttelte den Kopf.

»Nein, natürlich nicht. Du weißt doch, dass der Chef sich mir gegenüber nie über seine Pläne und Projekte auslässt«, gab sie zurück. »Obwohl ich mir trotzdem denken kann, warum er dich in sein Allerheiligstes bestellt. Bestimmt hat er einen neuen, aufregenden Auftrag für dich. Wer weiß, wohin deine nächste Reportage dich führt! Vielleicht nach Afrika. Oder sogar nach Australien!« Nicole seufzte. »Aus­tralien war schon immer mein Traum! Sydney, Melbourne, der Ayers Rock … Wenn du nicht meine beste Freundin wärst, würde ich langsam vor Neid platzen. Das darfst du mir glauben.«

Die beiden jungen Frauen sahen sich an, dann lachten sie.

»Tu ich aber nicht«, meinte Marina. Sie wurde wieder ernst und zog skeptisch die Augenbrauen hoch. »Dann werde ich mich also jetzt in die Höhle des Löwen begeben. Hoffentlich hast du Recht, und es geht wirklich nur um einen neuen Auftrag. Und nicht doch um irgendetwas Unangenehmes.«

»Bestimmt nicht«, beschwichtigte Nicole. »Jedenfalls hatte Dieter Thomsen richtig gute Laune. Fast so, als würde er sich auf irgendetwas freuen. Auf deinen Anblick zum Beispiel.«

Marina runzelte die Stirn.

»Das meinst du doch nicht wirklich, oder?«, entfuhr es ihr. »Weißt du nicht, was ich von den Männern halte? Von den Männern im Allgemeinen und von Dieter Thomsen im Besonderen?«

Nicole hob abwehrend beide Hände.

»Ich weiß, ich weiß, Marina. Du traust den Männern alles Schlechte zu und hältst sie deshalb gerne auf Abstand. Was für Dieter Thomsen wohl eher nicht klug ist, schließlich ist es kein Schaden, seinem Chef zu gefallen. Selbst dann nicht, wenn man so hervorragend schreiben kann wie du.«

Marina verdrehte die Augen.

»So sehe ich das nicht. Meinetwegen kann mich der Thomsen gerne für eine Vogelscheuche halten«, erklärte sie. »Es wäre mir, ehrlich gesagt, sogar lieber. Dann könnte ich nämlich vollkommen sicher sein, dass ihm nur meine Arbeit wichtig ist.«

Sie stand auf, nahm die Kostümjacke und stöckelte in Richtung Tür. »Ich mache mich nun auf die Socken«, sagte sie. »Schließlich will ich nicht, dass Dieter Thomsen schon wieder schlecht gelaunt ist, weil ich ihn habe warten lassen.«

Nicole nickte und sah der Freundin dann mit einem Kopfschütteln nach.

Dass Marina es vor dem Treffen mit ihrem Chef nicht einmal für nötig hielt, einen flüchtigen Blick in ihren Taschenspiegel zu werfen, ihre Lippen nachzuziehen und ihr Haar ein wenig zu ordnen, war ihr unbegreiflich.

Aber so war Marina eben.

»Du musst mir nachher unbedingt erzählen, wohin die Reise diesmal geht«, rief Nicole Marina nach. »Und vielleicht …, vielleicht fragst du den Boss so ganz nebenbei, ob er dir eine Assistentin als Reisebegleitung bewilligt? Zum Beispiel mich?«

Marina warf einen raschen Blick über die Schulter zurück.

»Wenn du schön brav und artig bist, lässt sich darüber reden«, grinste sie und zog die Tür hinter sich ins Schloss.

*

»Wie bitte? Ich soll eine Reportage über St. Johann im Wachnertal schreiben?«, wiederholte Marina und starrte dabei ihren Chef an, als sähe sie ihn zum ersten Mal. »Wo ist …, wo liegt denn dieses St. Johann überhaupt? Gehört hab ich den Namen schon einmal, glaub ich wenigstens. Aber …«

Sie warf einen Blick auf den Schreibtisch des Chefredakteurs, auf dem ein paar Reiseprospekte herumlagen.

Wiesen, Wälder und hohe Berge mit schneebedeckten Gipfeln waren darauf zu sehen. Dazu ein paar Aufnahmen von mit Lüftlmalereien geschmückten typisch alpenländischen Häusern. Und auch eine mit einem Zwiebelturm gekrönte strahlend weiß getünchte Barockkirche fehlte nicht.

Marina schluckte. Entgeistert musterte sie die Postkartenidylle Bild um Bild, während Dieter Thomsens Lippen sich amüsiert kräuselten.

»St. Johann im Wachnertal liegt im Wachnertal. Das sagt schließlich schon der Name«, erklärte er mit freundlichem Spott. »Sollte das Wachnertal Ihnen ebenfalls kein Begriff sein …, das Tal grenzt an Österreich und ist ziemlich bekannt und beliebt bei den Urlaubern.«

Marina Waidner fühlte, wie ihr heiß wurde.

»Natürlich. Ich …, ich weiß«, gab sie hastig zurück. »Es war mir nur im Moment entfallen. Aber …, aber trotzdem bin ich mir einfach nicht sicher, ob das Ganze Sinn macht. Eine Reportage über einen kleinen Ort in den bayerischen Bergen, praktisch vor unserer Haustür … Wird so ein Artikel unsere Leserinnen nicht langweilen?«

Thomsen legte die Spitzen seiner langen schmalgliedrigen Finger aneinander und ließ sie hin- und herwippen.

»Nein, Marina, das denke ich nicht«, antwortete er. »Urlaub in den Bergen ist zwar nicht jedermanns Sache, aber zurzeit grenzenlos in Mode. Bergwandern und Klettern zählen nach einer neuen Umfrage zu den beliebtesten Sportarten überhaupt.«

Marina rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.

Sie verspürte nicht die geringste Lust, sich mehrere Wochen in einem Bergdorf um die Ohren zu schlagen, in dem sich Füchse und Hasen gute Nacht wünschten.

Da hatte sie von fremden Ländern und Menschen geträumt, und nun sollte sie wie eine Gämse zwischen Felsen herumkraxeln und hinterher auch noch darüber schreiben! Wenn Sie Pech hatte, würde Dieter Thomsen sie vielleicht auch noch zum Besuch eines Heimatabends verdonnern!

»Ich …, ich bin mir nicht sicher, ob ich die geeignete Person bin, um einen derartigen Artikel zu schreiben«, versuchte sie, sich vor der ungeliebten Aufgabe zu drücken. »Meine bisherigen Erfolge habe ich mit ganz anderen Reportagen erzielt. An die exotischsten Orte habe ich mich gewagt und …«

Sie brach ab, als sie merkte, dass ihre Worte ihren Chef nicht im Geringsten beeindruckten.

»Sie haben bisher noch jede Aufgabe, die ich Ihnen übertragen habe, zu meiner vollsten Zufriedenheit gemeistert. Deshalb bin ich überzeugt, dass Sie auch an St. Johann im Wachnertal nicht scheitern werden«, erklärte Dieter Thomsen mit fester Stimme. »Versuchen Sie also keine weiteren Ausflüchte, die ich Ihnen übel nehmen könnte. Es bleibt bei St. Johann.«

Marina schwieg.

Sie würde ins Wachnertal fahren müssen. Sie hatte keine andere Wahl, wenn sie ihre Karriere nicht gefährden wollte. Und das wollte sie auf keinen Fall.

Ihr berufliches Fortkommen bedeutete ihr alles, hatte ihr schon immer alles bedeutet. Es war ihr ganzer Lebensinhalt. Vor allem deshalb, weil es etwas Festes war. Etwas, das man planen konnte und das man selber in der Hand hatte. Nicht wie eine Ehe, die von einem Tag auf den anderen zerbrechen konnte, wenn der Partner beschloss, andere Wege zu gehen. Hatte sie doch miterlebt, wie bitter ihre Mutter unter der Trennung von ihrem Vater gelitten hatte. Nie und nimmer sollte ihr das mal widerfahren …

»Nun?«, meldete sich in diesem Moment Thomsen wieder zu Wort. »Sie nehmen den Auftrag an, Frau Waidner?«

»Natürlich«, nickte Marina mit gesenktem Blick.

Zufriedenheit breitete sich auf Dieter Thomsens Zügen aus.

»Ich wusste es«, sagte er, »deshalb habe ich auch bereits alles für Sie arrangiert. In der Pension Stubler ist ein Zimmer für Sie reserviert, für die Dauer von acht Wochen. Anreisetag ist übermorgen.«

Marina schnappte nach Luft, nickte aber trotzdem ein weiteres Mal.

»Schön. Dann wäre also das Nötigste besprochen«, erklärte Dieter Thomsen und rieb sich dabei die Hände.

Er trat hinter seinem Schreibtisch hervor und näherte sich Marina. Bis er so dicht vor ihr stand, dass ihr der herbe Geruch seines Rasierwassers in die Nase stieg.

»Wenn der Artikel über St. Johann und das Wachnertal ein Erfolg wird, soll es Ihr Schaden nicht sein, Frau Waidner«, sagte er, lächelte Marina zu und ließ seine wasserblauen Augen wohlwollend auf ihr ruhen.

Marina biss sich auf die Unterlippe, dann zwang sie sich, zurückzulächeln.

»Danke«, erwiderte sie ein wenig knapp.

»Keine Ursache«, gab Dieter Thomsen zurück. »Sollte es Ihnen in St. Johann langweilig werden, komme ich selbstverständlich gerne hin und wieder übers Wochenende dorthin, um Sie ein wenig zu zerstreuen. Ein Kurztrip ins Wachnertal ist schließlich keine große Sache. Und bestimmt gibt es auch in den Bergen Lokale, in denen man tanzen und sich amüsieren kann.«

Einen Moment lang stutzte Marina, dann hatte sie sich wieder gefasst.

»Das ist gut möglich«, entgegnete sie. »Nur werde ich wohl kaum Zeit haben, sie aufzusuchen. Immerhin bin ich nicht als Touristin in St. Johann, sondern …«

Dieter Thomsen zuckte unwillkürlich zusammen, aber auch er hatte sich rasch wieder in der Gewalt. So sehr er sich über Marinas spröde Art ärgerte, so wenig war er bereit, klein beizugeben. Im Gegenteil. Er musste sich eingestehen, dass es gerade Marinas abweisendes Verhalten war, das ihn an ihr immer wieder ganz besonders reizte.

»Ich weiß Ihren Fleiß zu schätzen«, unterbrach er Marina deshalb. »Aber schließlich sollen Sie St. Johann ja mit den Augen einer Touristin wahrnehmen. Und dazu gehört wohl auch ein bisschen Entspannung. Meinen Sie nicht?«

»Ja, schon ...«, presste Marina unwillig hervor.

»Aber?«, hakte Dieter Thomsen sofort nach.

Marina zuckte nur hilflos die Schultern.

»Na gut«, meinte der Chefredakteur leicht gekränkt. »Ich wünsche Ihnen jedenfalls einen schönen Aufenthalt in St. Johann, Frau Waidner. Und viel Erfolg für Ihre Reportage.«

*

»Grüß Gott Frau Waidner! Und ganz herzlich willkommen in der Pension Stubler«, grüßte Ria Stubler freundlich und streckte Marina die Hände hin. »Ich hoffe, Sie hatten eine gute Fahrt. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen gleich Ihr Zimmer.«

»Ja, gerne, Frau Stubler«, gab Marina zurück.

Als Ria Stubler nach Marinas Koffer und ihrer Reisetasche greifen wollte, um sie die Treppe hochzutragen, schüttelte Marina energisch den Kopf.

»Lassen Sie mal, Frau Stubler«, sagte sie. »Das mache ich schon selber. Das bisschen Gepäck ist wirklich kein Problem für mich.«

»Wie Sie meinen«, gab die freundliche Pensionswirtin nach. »Im Übrigen müssen Sie net Frau Stubler zu mir sagen. Solche Förmlichkeiten sind mir net wichtig. Nennen Sie mich ganz einfach Ria, das klingt viel netter.«

Marina war überrascht, konnte sich aber Ria Stublers warmherzigem Charme nicht entziehen.

»Also gut, Ria«, antwortete sie. »Dann …, dann müssen Sie allerdings auch Marina zu mir sagen.« Sie fing plötzlich an zu lachen. »Eigentlich haben wir ja fast den gleichen Namen. Wenn das net ein ganz besonderer Zufall ist …«

Ria Stubler war einen Moment lang verblüfft, dann lachte sie ebenfalls.

Mit für ihr Alter recht behänden Schritten ging sie Marina voran in den ersten Stock und schloss die dritte Tür auf der rechten Flurseite auf.

»Das wäre das Zimmer, das ich auf Anfrage Ihres Chefs für Sie reserviert hab, Marina«, sagte sie und betrat einen im alpenländischen Stil eingerichteten Raum mit einer breiten, auf einen hölzernen Balkon hinausführenden Glastür.

Neugierig folgte Marina der Pensionswirtin und sah sich um.

Ihre Augen fingen an zu leuchten. So schön hatte sie schon lange nicht mehr gewohnt!

Die Möbel waren urgemütlich und einfach zum Wohlfühlen. Der blau und weiß karierte Bettbezug harmonierte aufs Beste mit dem bestickten Vorhang des Himmelbetts und mit den ebenfalls blau und weiß karierten Vorhängen an Fenster und Balkontür. Zarte Aquarelle mit Motiven aus St. Johann und dem Wachnertal belebten die Wände, und selbst ein rustikaler Ecktisch mit Stuhl, wie geschaffen zum Schreiben, fehlte nicht.

»Natürlich haben Sie hier im Zimmer auch Internetanschluss«, versicherte Ria Stubler mit einem Blick auf Marinas Laptoptasche. »Ihr Chef hat mir bei der Zimmerreservierung bereits erzählt, dass Sie eine Reisereportage über St. Johann und das Wachnertal schreiben. Ich bin schon richtig gespannt, wie sie unser schönes St. Johann beschreiben werden.« Ria zögerte einen Augenblick, dann setzte sie hinzu: »Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Marina, dann möchte ich Ihnen ans Herz legen, so bald wie möglich bei unserem Geistlichen, Pfarrer Sebastian Trenker, vorbeizuschauen. Erstens ist die Kirche von St. Johann ein wahres Kleinod des süddeutschen Barock, das Sie sich auf keinen Fall entgehen lassen dürfen. Und zweitens weiß unser Pfarrer über St. Johann und Umgebung Bescheid wie kein anderer. Er kann Ihnen wertvolle Tipps geben und Ihnen, wenn Sie Fragen haben, bestimmt weiterhelfen. Und noch etwas: Ich weiß net, ob auch eine Bergtour zu Ihrem Programm gehört. Falls ja, wären Sie damit bei Pfarrer Trenker ebenfalls an der richtigen Adresse. Zumal die vom Fremdenverkehrsamt engagierten St. Johanner Bergführer in der Hochsaison meistens total ausgebucht sind.«

Marina nickte mechanisch und bedankte sich höflich für Rias Hinweise, doch Ria entging die Skepsis im Blick der jungen Journalistin nicht.

»Sie wundern sich sicher, dass ich Ihnen ausgerechnet unseren Pfarrer als Bergführer empfehle, Marina«, erläuterte sie noch. »Aber einen besseren und erfahreneren Bergsteiger als unseren Pfarrer Trenker gibt es im ganzen Wachnertal net. Er stammt übrigens hier aus dem Ort. Schon in seiner Jugend ist er ein leidenschaftlicher Naturliebhaber, Wanderer und Kletterer gewesen. Sogar sein Theologiestudium hat er sich, weil seine Eltern Bauersleute waren und net besonders reich, als Bergführer finanziert. Deshalb hat man ihm in St. Johann auch den Spitznamen ›Bergpfarrer‹ gegeben.«

»Ach ja?«, gab Marina lächelnd zurück, mit Kirchen und Pfarrern hatte sie nicht viel am Hut.