Schillers Leben - Gustav Schwab - E-Book

Schillers Leben E-Book

Gustav Schwab

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Beschreibung

In drei Büchern bietet der deutsche Gymnasialprofessor Schwab eine wahre Schatzgrube an Wissen über den deutschen Dramafürsten dar.

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Schillers Leben

Gustav Schwab

Inhalt:

Gustav Schwab – Biografie und Bibliografie

Schillers Leben

Aus dem Vorworte zum ersten Druck

Vorerinnerung zum zweiten Drucke

Erstes Buch.

Das Geschlecht des Dichters.

Schiller bei den Eltern.

Schiller in der Carlsakademie zu Stuttgart.

Schillers erste Regungen der Poesie.

Sein Verhalten zur Akademie.

Medicinische Studien und theologische Zweifel.

Die Räuber.

Schillers Austritt aus der Akademie. Beruf. Leben in der Stadt.

Der Druck der Räuber (Mannheim, Schwan und Dalberg.)

Schillers erste Lyrik

Aufführung der Räuber in Mannheim.

Folgen.

Schillers Flucht.

Ankunft in Mannheim. Roth. Frankfurt und Oggersheim.

Das Gericht über Fiesko.

Aufenthalt in Bauerbach.

Lotte von Wolzogen und der Dichter.

Poetische Arbeiten und Aussichten in Bauerbach

Zweiter Aufenthalt in Mannheim.

Aufführung des Fiesko.

Kabale und Liebe.

Auszeichnung. Reisen.

Dramatische Berufsarbeiten.

Entscheidung für Don Carlos. Rheinische Thalia.

Liebe, Freundschaft, Beruf und bürgerliche Stellung des Dichters. Abschied von Mannheim.

Rückblick auf Schillers bisheriges Leben und Dichten.

Zweites Buch.

Schiller in Leipzig und Dresden.

Studien und Arbeiten.

Dermalige Philosophie Schillers.

Freundschaft. Neue Neigung, getäuscht.

Beginn der zweiten Lyrik Schillers.

Erster Eintritt in Weimar.

Ausflug nach Rudolstadt. Die Familie von Lengefeld. A. a. O. I, 227 ff.

Rückkehr nach Weimar. Entschiedene Neigung.

Don Carlos.

Aufenthalt in Volkstädt.

Schillers erste Bekanntschaft mit den Griechen. Die Götter Griechenlands. Die Künstler.

Verlauf der Tage zu Rudolstadt. Schiller Göthe'n gegenüber.

Rückkehr nach Weimar.

Arbeiten. Euripides. Der Geisterseher.

Die Professur in Jena. Verlobung. Heirath.

Philosophische Fortbildung.

Häusliches Leben und Beruf in Jena.

Schillers historische Schriften.

Krankheit.

Kritik der Urteilskraft. Entschiedener Kantianismus.

Rückfall.

Erholung. Karlsbad. Erfurt. Heimkehr.

Schillers Todesfeier zu Hellebeck.

Brief des Herzogs von Augustenburg und des Grafen Schimmelmann an Schiller.

Eindruck und Antwort.

Aesthetische Studien und Schriften.

Besuche aus Schwaben; Abschied eines Freundes.

Reise nach Schwaben.

Rückblick.

Drittes Buch.

Schiller, Humboldt und Göthe.

Die Gründung der Horen. Der Bund mit Göthe geschlossen.

Die Fortführung der Horen.

Schillers Aufsätze für die Horen.

Die Lyrik der Horenzeit. Lebens- und Arbeitsweise des Dichters.

Der erste Musenalmanach.

Schiller schwankt zwischen Epos und Drama.

Die Xenien.

Familienverluste. Philosophische und religiöse Stimmung des Dichters.

Abschied von der Philosophie. Das Gartenhaus.

Das Balladenjahr.

Der Wallenstein.

Aufführung des Lagers.

Aufführung der Piccolomini.

Wallensteins Tod.

Urtheile über den Wallenstein.

Literarische Berührungen Schillers.

Häuslicher Jammer. Uebersiedlung nach Weimar.

Maria Stuart. Die Glocke. Das neue Jahrhundert.

Die Jungfrau von Orleans. Geistige Differenzen mit Herder und Schelling. Schillers ars poetica.

Aufführungen der Jungfrau von Orleans.

Urtheile über das Stück.

Schillers Tischreden.

Wirksamkeit, Leben, Begegnisse und Freunde in Weimar.

Die Braut von Messina. Lyrische Gedichte. Schiller und Calderon.

Frau von Staël und andere Gelehrte im Verkehre mit Schiller. Herders Tod.

Wilhelm Teil.

Schillers letztes Lebensjahr.

Der letzte Winter. Innres Leben des Dichters.

Letzte Krankheit und Tod.

Eindruck in Weimar und auf Göthe. Begräbniß.

Rückblick.

Schillers Leben, G. Schwab

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849635978

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Gustav Schwab – Biografie und Bibliografie

Dichter, geb. 19. Juni 1792 in Stuttgart, gest. daselbst 4. Nov. 1850, studierte 1809–14 in Tübingen Philosophie und Theologie und war von Jugend auf mit Uhland, seinem dichterischen Vorbilde, befreundet; auch mit Varnhagen und besonders mit Kerner trat er in Verbindung und gab mit ihnen den »Deutschen Dichterwald« (1813) heraus. Im Frühjahr 1815 machte S. eine Reise nach Berlin, wo er mit Fouqué, Franz Horn, Chamisso u. a. Beziehungen anknüpfte. 1817 wurde er Professor am Obergymnasium in Stuttgart; im Herbst 1837 nahm er die ländliche Pfarrei in Gomaringen an, 1841 wurde er zum ersten Prediger an der St. Leonhardskirche in Stuttgart, 1845 zum Oberstudienrat und Oberkonsistorialrat ernannt. S. gilt als Dichter neben Uhland und Kerner für den Hauptvertreter der sogen. schwäbischen Schule. Er hat sich in der Romanze und im kleinern Lebensbild ausgezeichnet, während seine eigentliche Lyrik eine reflektierende und rhetorische Ader hat, so daß ihm nur in einzelnen Fällen ein sangbares Lied (z. B. »Bemooster Bursche zieh' ich aus«) gelingt. Seine Griechenlieder aus früherer Zeit, die Polenlieder aus seinen mittlern Jahren und die allgemeinern Zeitgedichte aus seinem spätern Leben erwiesen seine Teilnahme an den freiheitlichen Bestrebungen der Zeit. Als Redakteur des poetischen Teiles des »Morgenblattes« (1827–37) und des »Deutschen Musenalmanachs« (1833–38) erwarb er sich viele Verdienste um jüngere Dichter und führte manchen (Chamisso, Freiligrath) zuerst ein, der in der Folge berühmt wurde. Seine »Gedichte«, zuerst Stuttgart 1828–1829, in 2 Bänden vereinigt, ließ er später als »Neue Auswahl« (das. 1838, 4. Aufl. 1851) mit einigen Weglassungen wieder erscheinen (neue Ausg. von Klee, Gütersl. 1882). Unter seinen übrigen Schriften sind zu erwähnen: »Die Schwäbische Alb« (Stuttg. 1823; 2. Aufl., mit Zusätzen von Paulus, das. 1878); »Der Bodensee, ein Handbuch für Reisende und Freunde der Natur, Geschichte und Poesie« (das. 1827, 2. Aufl. 1839); »Wanderungen durch Schwaben« (Leipz. 1837 bis 1838, 4. Aufl. 1880); »Die Schweiz in ihren Ritterburgen und Bergschlössern« (Bern 1839, mit Hottinger) und »Schillers Leben« (Stuttg. 1840, 3. Ausg. 1859), dem sich gleichsam als Beigabe die Schrift »Der Kultus des Genius« (Hamb. 1840, mit Ullmann) anschließt, worin größtenteils interessante theologisch-philosophische Zeitfragen behandelt werden. Treffliche Sammelwerke sind seine »Deutschen Volksbücher« (15. Aufl. von Klee, Gütersl. 1894), die Mustersammlungen: »Fünf Bücher deutscher Lieder und Gedichte von Haller bis auf die neueste Zeit« (Leipz. 1835; 5. Aufl., hrsg. von Bernays, 1871) und »Die deutsche Prosa von Mosheim bis auf unsre Tage« (Stuttg. 1843, 2 Bde.; 2. Aufl. von Klüpfel, 1860, 3 Bde.), endlich der »Wegweiser durch die Literatur der Deutschen« (Leipz. 1846; 4. Aufl., von Klüpfel gänzlich umgearbeitet, 1870, mit 3 Nachträgen) und »Die schönsten Sagen des klassischen Altertums« (Stuttgart 1838–40, 3 Tle.; 24. Aufl. von Klee, Gütersl. 1894). Neben diesen eignen Erzeugnissen ging auch die Herausgabe und Übersetzung mancher fremden her, als: »Erlesene Gedichte von Paul Fleming, mit Flemings Leben« (Stuttg. 1820); »Der Froschmäusler, von Georg Rollenhagen« (übersetzt ins Neudeutsche, Tübing. 1819); »Lamartines auserlesene Gedichte« (metrisch übersetzt, Stuttg. 1826); Barthélemys und Mérys »Napoleon in Ägypten« (übersetzt, das. 1829). Auch gab S. mit Tafel und Osiander das Sammelwerk »Übersetzungen griechischer und römischer Prosaiker und Dichter« (Stuttg. 1827 ff.), ferner W. Hauffs »Sämtliche Schriften« (das. 1830) und W. Müllers »Vermischte Schriften« (Leipz. 1830) heraus. Eine Auswahl seiner kleinern prosaischen Schriften besorgte Klüpfel (Freiburg 1882). Vgl. Klüpfel, Gustav S., sein Leben und Wirken (Leipz. 1858; eine kürzere Darstellung, Stuttg. 1884), und die von Schwabs Sohn Christoph Theodor S. herausgegebene Biographie »Gustav Schwabs Leben« (Freiburg 1883). Letzterer, geb. 2. Okt. 1821 in Stuttgart, seit 1852 Professor am Katharinenstift daselbst, gest. 17. Okt. 1883, schrieb außerdem die Monographie »Arkadien, seine Natur, seine Geschichte etc.« (Stuttg. 1852) und gab Hölderlins »Sämtliche Werke« (das. 1846, 2 Bde.) heraus.

Schillers Leben

Aus dem Vorworte zum ersten Druck

Die Veranlassung zu diesem Versuche einer gedrängten und doch möglichst vollständigen Biographie des großen Lieblingsdichters der Deutschen hat meine Mitwirkung bei der Enthüllung seines Standbildes gegeben, der ein wiederholtes Studium seiner Werke vorangehen mußte, das sich sehr natürlicher Weise auch nachher fortgesetzt hat.

Der Plan meiner Darstellung soll, wie ich zu hoffen wage, durch sie selbst klar werden. Die Hauptquellen und Hülfsmittel, welche zu benützen waren, sind größtentheils so bekannt, daß ich hier ihr Verzeichniß, das man bei andern Biographen Schillers, am vollständigsten in H. Dörings neuestem Abrisse von Schillers Leben findet, nicht wiederholen will. Nur so viel sey bemerkt, daß aus den Quellen, soweit sie mir zugänglich waren, von mir immer unmittelbar geschöpft worden ist, daß ich zu dem Ende namentlich die verschiedenen Briefwechsel Schillers der genauesten Durchsicht unterworfen habe, und daß die Lebensbeschreibungen Dörings, Carlyle's, Hoffmeisters und Hinrichs', die von entschiedenem, wenn auch sehr verschiedenartigem Verdienste sind, von mir zwar vielfältig, aber hauptsächlich nur dann unmittelbar benützt worden sind, wenn mir einzelne Quellen für mein Studium nicht zu Gebote standen, oder, wenn ich besonders treffende Ansichten aus ihnen hervorzuheben, manchmal auch Behauptungen, denen ich nicht beipflichten konnte, zu widersprechen hatte. Daß es mir nicht einfallen konnte, die größeren kritisch-historischen Werke der beiden letztgenannten Schriftsteller durch meine Arbeit überflüssig machen zu wollen, brauche ich wohl nicht erst zu sagen. Wo ich es für passend erachtete, habe ich stets unter dem Texte durch die nöthigen Citate auf meine Quellen und Subsidien verwiesen. Nicht wenig Neues ist übrigens theils aus übersehenen gedruckten Notizen und Urtheilen hinzugekommen, theils aus mündlichen und brieflichen Mittheilungen von Zeitgenossen des großen Dichters an den Biographen, theils auch endlich aus Urkunden und aus bisher unbekannten, oder unvollständig mitgetheilten Briefen Schillers, die zusammen gleichzeitig mit gegenwärtiger Lebensbeschreibung veröffentlicht werden. Urkunden über Schiller und seine Familie; mit einem Anhange von fünf neuen Briefen u.s.w. von G.Schwab. Stuttgart, S.G. Liesching 1840. Daß der Verfasser seine eigenen Erfahrungen auf dem Gebiete der Poesie zur Erklärung und Beurtheilung mancher Phänomene in der Entwicklungsgeschichte des Dichters zu benützen sich erlaubt hat, wird man ihm, da es mit der nöthigen Bescheidenheit geschehen ist, nicht verübeln.

Für die Jugendgeschichte meines Helden zog ich eine von den meisten meiner Vorgänger entweder ganz übersehene oder nur aus dritter Hand und daher unvollständig benützte Schrift mit gehöriger Vorsicht zu Rache. Sie führt den Titel: »Schiller der Jüngling, oder Scenen und Charakterzüge aus seinem frühern Leben. Stendal, bei Franzen und Grosse, 1806.« Döring nennt als deren Verfasser K. W. Oemler. Dieselbe wimmelt zwar von Unrichtigkeiten; wo sie aber ihre Gewährsmänner nennt oder errathen läßt, worunter Moser in Ludwigsburg, der Jugendfreund Schillers, und Beil in Mannheim die wichtigsten zu seyn scheinen, durfte ihren Angaben, die zuweilen anderswo vergebens Gesuchtes und nicht Unwichtiges enthalten, unbedenklich Glauben geschenkt werden. Ihr Gegenstück von demselben Verfasser »Schiller, oder Scenen und Charakterzüge aus seinem spätem Leben« stand mir nicht zu Gebote. Die ebenfalls nicht unergiebige »Skizze einer Biographie« u. s. w. (Leipzig bei Karl Tauchnitz 1805) soll, nach Dörings Versicherung, J. G. Gruber zum Verfasser haben. Ihr Vorbericht aber ist mit P. unterzeichnet, Styl und Behandlungswelse des Gegenstands erinnern durchweg an die Schrift »Schiller der Jüngling.«

Während der Correctur des dritten Buches erschien der dritte und letzte Band von Eduard Boas' Nachträgen zu den sämmtlichen Werken Schillers, und konnte so leider nur noch theilweise von mir benützt werden. Ist in diesem zweiten Drucke nach Möglichkeit geschehen.

In diesem dritten Bande des Herrn Boas erhalten wir auch Schillers ältestes, bekannt gewordenes Gedicht, eine Schilderung des menschlichen Lebens, vom Jahr 1775. Für seine Jugendgeschichte sind folgende Strophen nicht unwichtig:

Trägt der Knabe seine ersten Hosen, Steht schon ein Pedant im Hinterhalt, Der ihn hudelt, ach! und ihm der großen Römer Weisheit auf den Rücken malt.

Beut uns Jugend ihre Rosenhände. Welche Güter bringt die Zaub'rin dar? Mädchen, Schulden, Eifersucht, am Ende Hörner oder die Pistolen gar.

Sind wir Männer, kommt ein andrer Teufel, Ehrgeiz heißt er, oft auch heißt er Weib. Nahrungssorgen quälen, so wie ZweifelEinen Narrenschädel, unsern Leib.

Die erste dieser drei Strophen zeichnet uns Schillers Lehrer Jahn zu Ludwigsburg, der in dieser Biographie als Präceptor bezeichnet worden ist, Auch noch im ersten Buche des neuen Drucks. was er auch in der That war; nur führte er schon im Jahr 1773 (s. Urkundenbuch S. 39) den Professorstitel. Die zweite und dritte Strophe muß uns in dem Urtheile bestärken, daß Schillers Unbefangenheit in einem Institut, in welchem unreife Knaben mit überreifen in beständiger Berührung standen, sehr frühzeitig gestört worden ist.

Bei Boas lernen wir nun auch ein merkwürdiges, Theatermanuscript des Fiesko, die Bühnenbearbeitung von 1784, (III. 47 – 227) kennen. »Das Stück ist nicht blos umgearbeitet, sondern das glühende Erz, aus dem es besteht, ist vom Dichter in eine ganz andere Form gegossen worden.« Hier findet der Leser den von uns Seite 177 erwähnten Schluß des Fiesko, nach welchem dieser nicht stirbt, sondern in Verrina's Armen auf den Thron des Doge verzichtet. Auch die anstößige Scene zwischen Verrina und seiner Tochter auf dem Sopha (vergleiche diese Biographie Seite 220 ist, höchst wahrscheinlich auf Wolfg. Heriberts von Dalberg Rath, hier gänzlich geändert.

Zugleich erfahren wir, daß die erste Auflage des Stücks (Mannheim, Schwan 1784) wirklich »dem Herrn Professor Abel in Stuttgart gewidmet« ist. Somit ist die andere Nachricht, welche den Fiesko Herrn v. Dalberg dedicirt seyn läßt, wohl ein Irrthum, den mein zweiter Druck vergebens zurecht zu legen bemüht war.

Der Don Carlos in Prosa, den uns Boas mittheilt, ist von Schillers altem Bekannten, D. Albrecht, nach des Erstern Tode, schon im Jahr 1808 durch den Druck bekannt gemacht worden. (Vergl. Jördens IV, 469.) Außerdem gibt uns Boas (III, 436 ff.) eine kostbare Reliquie in einem von Schiller für das Theater im Jahr 1796 zum Don Carlos hinzugedichteten Monolog, der dem Publikum die dunkle Handlungsweise des Malthesers erläutern sollte. Er ist im Tone des Wallenstein geschrieben.

Eine neue Schwierigkeit erwächst durch die Mittheilung aus Haug's schwäbischem Magazin, Jahrgang 1780, Stück I, S. 53 (Boas III, 451) wo es heißt: »Herr Schiller, ein geschickter Zögling der Militärakademie, hat am 10. Januar im Examinationssaal, vor dem durchlauchtigsten Herzog und Hof, eine öffentliche deutsche Rede gehalten »von den Folgen der Tugend.«

Diese Rede besitzen wir jetzt, seit dem Dezember 1839, durch die Mittheilung des Freiherrn F. von Böhnen, eines Verwandten der Herzogin Franziska, abgedruckt aus dem von Schiller eigenhändig geschriebenen, mit allegorischer Zeichnung, Sammteinband und goldenen Buchstaben verzierten Original. Nach diesem Originale nun wurde die Rede von dem fünfzehnjährigen Schiller schon am 10. Januar 1775 und nicht am 10. Januar 1780 gehalten. Vergl. Biogr. Redezausg. S. 481. Octavausg. S. 38. 39. Note (wo statt F. vonBöhnendurch einen Druckfehler F. vonBöhnersteht). Wie ist der Verstoß bei dem Augen- und Ohrenzeugen Balthasar Haug zu erklären?

Ich führe diesen Widerspruch als Beispiel an, wie schwer die Kritik in manchen Fällen dem Biographen werden mußte, wodurch denn auch die vielen Berichtigungen im ersten Buche der Sedezausgabe ihre Entschuldigung finden dürften. Dem Octavdrucke sind sie bereits einverleibt.

Boas (III, 9) hält die auch von mir erwähnte Redezausg. S. 332, Oktavdruck S. 277. Einzeichnung Schillers in das Album der Schwarzburg:

Auf diesen Höhen sah auch ich Dich, freundliche Natur – ja dich!

für eine heitere Persiflage des gespreizten Dilettantismus, der mit Naturbegeisterung prunkt; früher meinte er, dieser Reim sey das schlaffe, abgezwungene Erzeugniß eines leeren, poesieentblößten Augenblicks. Ich kann die einfachen Worte für keines von beiden halten. Sobald man unter der freundlichen Natur nicht die Gegend versteht, sondern die Natur als Person, als Göttererscheinung, die den in Büchern vergrabenen Stubengelehrten, als welchen sich Schiller zuweilen schildert, auf diesen Höhen überraschte, so fällt alle Trivialität weg.

Die Zweifel, welche mir gegen das S. 243 Zweiter Druck S. 204. mitgetheilte komische Gedicht Schillers (die Waschdeputation) aufstiegen, verschwinden vor der Notiz bei Jördens IV, 468, aus der erhellt, daß das Gedicht zum erstenmal in der Rheinländischen Zeitung im Jahr 1803, und nach einer richtigern Abschrift in der Neuen Berlin. Monatschrift 1804, also zweimal noch zu Schillers Lebzeiten gedruckt worden ist, ohne daß dieser protestirt hätte.

Dagegen muß ich mich wohl entschließen, den etymologischen Versuch, kraft dessen der Name Schillers vom Schillerwein abgeleitet wird (Biogr. Redezausg. S. 4. f. Octavausg. S. 6), wieder aufzugeben. Schilcher und Schiller, sind von Alters her über ganz Deutschland verbreitete Namen, die allerdings ursprünglich nichts anders als einen Schieler bezeichnen. Jörg Schilcher, bei späteren Schiller, war einer der besseren Meistersänger des fünfzehnten Jahrhunderts; in diesem und dem folgenden Seculum wurde Vieles »in des Schillers Ton« gedichtet, fast so viel, als im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert in Friedrich Schillers Tone.

Hier mag auch niedergelegt werden, was für die Lebensbeschreibung zu kleinlich erschien, daß Schwaben lange vor seinem Friedrich Schiller auch (um 1588) einen Wolfgang Schiller aus Stuttgart besaß, der freilich nur ein obskurer Magister war; und daß der Pfarrer, welcher den Vater des Dichters getauft hat, Hegel hieß.

Folgendes merkwürdige Urtheil eines Franzosen, Herrn von Bonneville, über Schiller vom Jahr 1786 ist dem Verfasser auch zu spät in die Hände gekommen:»C'est un jeune écrivain qui parait fait pour étonner un Jour son siècle de la vigueur de son génie.Sa destinée intéresse tout etre qui pense.« Aus Franz Horns schriftlichem Nachlasse.–

»Il y plus, cette tragédie est l'ouvrage du génie, comme tout ce que Scheller(Schiller)nous donne«– sagt endlich derMoniteurvon 1792 in einem enthusiastischen Berichte aus Frankfurt a. M. über den dort eben aufgeführten Fiesko, den er unter anderem auch»le plus beau triomphe du républicanisme en théorie et dans le fait« nennt.

Vielleicht hätte der Biograph auch der Ehre erwähnen sollen, die dem nächsten Vaterlande Schillers durch Aufrichtung der Statue wiederfahren ist, welche Deutschland dem Dichter gesetzt hat. Das Ereigniß däuchte ihm aber noch zu frisch. – Hier sey denn auch erwähnt, daß die Frau Großherzogin von Weimar dem Andenken der großen Dichter Weimars mehrere Zimmer des dortigen Schlosses geweiht hat. Das Schillerszimmer ist vor kurzem durch den Maler Neher, einen Landsmann Schillers aus Württemberg, fertig geworden. Jedes der Hauptfelder, in welches das Zimmer getheilt ist, nimmt einen bedeutsamen Moment eines Schiller'schen Drama's ein, welchem andere Scenen aus Schillers Gedichten in kleineren darüber angebrachten Feldern beigegeben sind. Diese Freskogemälde zeichnen sich, nach einem Berichte der allgemeinen Zeitung Weimar, 23. April 1840. durch kräftige Zeichnung und frische Farbengebung aus, und manche sind sehr ergreifend in ihrer Wirkung.

Dürfte das Gesammtgemälde des auf den nachstehenden Blättern entworfenen Dichterlebens sich den gleichen Eindruck versprechen!

Gomaringen, den 21. Mai 1840, G. Schwab.

Vorerinnerung zum zweiten Drucke

Die Oktavausgabe war im Drucke ziemlich vorgeschritten, als obiges Vorwort geschrieben wurde, und stimmt soweit mit der Sedezausgabe überein. Im spätern Theil ist nur hier und da ein kleiner Beisatz, welcher durch immer neu zu Tage kommende Notizen nöthig wurde, theils im Texte, theils in Noten hinzugekommen. Die bedeutendste Beigabe ist das französische Bürgerdiplom mit den zugehörigen Aktenstücken, das jetzt S. 388–391 dieses Drucks in genauer Abschrift zu lesen ist. Auch am Styl hat der Verfasser auf's sorglichste nachgebessert, wie eine Vergleichung mit der Sedezausgabe, von der Mitte des zweiten Buches an, darthun muß. Wesentlicheres zu ändern erlaubte weder die Zeit, noch die Rücksicht auf die Besitzer der eben erst unter das Publikum gekommenen Sedezausgabe, noch die Stimmung des vom Geschick in diesem Augenblicke gelähmten Verfassers.

Ganz am Schlusse dieses neuen Abdrucks hat der Verfasser noch von einem kleinen Lustspiele Schillers Kunde erhalten, das der Dichter im Körner'schen Hause zu Dresden, als Scherz im Familienkreise, verfaßt hat. Das Original besitzt ein Handschriftensammler, dem dasselbe, weil darin Persönlichkeiten auf eine Art berührt sind, die es zur öffentlichen Bekanntmachung nicht eignen, nur unter der Bedingung cedirt worden ist, das Lustspiel nicht zu publiciren. Mit Recht kommt er diesem Vorbehalte gewissenhaft nach, und der Biograph kann deßwegen über jene bisher ganz unbekannte Reliquie Schillers nicht einmal in gegenwärtiger Vorerinnerung berichten.

Nicht verschwiegen bleibe eine kleine Entdeckung, die dem Verf. durch Herrn Pfarrer Carl Moser, den Enkel des Pfarrers Philipp Ulrich Moser, der Schillers Lehrer zu Lorch war, als Berichtigung kürzlich mitgetheilt wurde. Dieser hatte nämlich keinen Sohn, welcher Carl hieß; von seinen drei Söhnen war Christoph Ferdinand der Jugendfreund Schillers, und mit ihm theilte der letztere den Jugendunterricht. Es ist klar, daß Schiller, dem ohne Zweifel sein Carl Moor schon frühzeitig im Kopfe steckte, dem Gespielen diesen poetischen Namen nur geliehen hat. Der jüngere Sohn Philipp Ulrichs, der als Pfarrer zu Gültlingen auf dem Schwarzwalde noch lebende, im 80sten Lebensjahre stehende Vater des Herrn Carl Moser, Herr M. Philipp Heinrich Moser, weiß sich Schillers von seinem elterlichen Hause zu Lorch her noch wohl zu erinnern, denn er ist nur zwei Jahre jünger als Schiller. Der alte Pastor Moser zu Lorch war ein würdiges Motiv zu des Dichters Räubern, ein jüngerer Freund Johann Albrecht Bengels, ernst und fromm, aber milde gegen Andersdenkende, und ohne Manier in seinem Betragen. Wenn er zu Dettingen bei Heidenheim, wo er seit 1767 Pfarrer war, über die Straße ging – so erzählten seine Töchter dem Enkel – so blieb Jung und Alt stehen, und bückte sich vor der ehrwürdigen Gestalt, »als wäre es ein Prälat.« Wahrscheinlich flößte seine würdevolle Persönlichkeit dem jungen Schiller jene nachhaltige Neigung zum geistlichen Beruf ein. Pfarrer Moser in Lorch war ein guter Orientalist und Verfasser eines hebräischen Lexicons, das sein noch lebender Sohn Philipp Heinrich gefeilt und zum Drucke gefördert hat. Christoph Ferdinand, der Pseudo-Carl Schillers, war mit diesem nie in Ludwigsburg auf der Schule. Ob er später dort sich aufgehalten und nach Mannheim und Weimar mit Schiller korrespondirt hat, ist nicht ausgemittelt und könnten die an ihn vermeintlich gerichteten Briefe an Hoven oder an einen andern Freund daselbst geschrieben seyn. Die älteste Tochter des Lorcher Pfarrers erinnerte sich Schillers auch noch: »er sey ein zwar etwas bleich aussehender und geschnäderter (schwäbisch, für zartgebauter, jedoch gesunder und munterer Knabe gewesen.«

Der Jugendfreund Schillers wurde Pfarrer zu Lautern und Wippingen bei Blaubeuren, nachher zu Herbrechtingen, wo er um 1800 starb. Der frühvollendete Philosoph G. F. Bockshammer war sein Schwiegersohn. Philipp Ulrich Moser, der Lehrer Schillers, starb, nach dem Lebenslaufe, den wir Schillers Freunde verdanken, am 6. August 1792.

Erfreulich wäre es, wenn durch diese Biographie hier und da eine weitre theure Erinnerung an den großen deutschen Dichter aus dem Dunkel, in welchem sich noch immer manches bergen mag, hervorgelockt würde.

G., den 55, Dezember 1840.

G. S.

Erstes Buch.

Das Geschlecht des Dichters.

1550-1723

Die berühmtesten deutschen Dichter bringen keinen Glanz des Geschlechtes mit: bei Wenigen wird noch der Groß- oder Urgroßvater genannt, meistens aber verliert sich schon mit dem Vater der Name in unaufgehellte Dunkelheit, und der Gefeierte selbst steht in jener Größe da, welche ein römischer Cäsar mit dem bekannten Worte gestempelt hat: »dieser Mann scheint mir aus sich selbst geboren.« Wenn man sich jedoch die Mühe nähme, den Familien unserer großen Männer rückwärts nachzugehen, so ist darum, daß man in keine Paläste tritt, nicht zu fürchten, daß man in Schlupfwinkel geraten würde, deren ein Lebensbeschreiber, dem die Ehre seines Helden am Herzen liegt, sich zu schämen hätte. Vielmehr dürfte man zuletzt sich in irgend einem ehrlichen deutschen Dorfe befinden, wo in den Geschlechtsregistern ein reines Blut und ein unbefleckter Name von Jahrhundert zu Jahrhundert rückwärts jenen freien Ahnen sich nähert, die zwar nicht mit erblichen Geschlechtsnamen prangten, aber deren starker Arm einst die Römer aus den Wäldern des Vaterlandes verjagt hat.

So kühne Hoffnung dürfen wir von Erforschung des Geschlechtes schwäbischer Dichter freilich nicht hegen. Die Kirchenbücher der württembergischen Dörfer namentlich gehen wohl insgesamt nicht bis zur Reformation herab, sehr viele sind nach der Nördlinger Schlacht von den Kaiserlichen zerstört worden. Doch ist es dem Verfasser dieser Lebensbeschreibung durch die Gefälligkeit zweier Pfarrämter gelungen, den Mannsstamm Schillers mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit bis ins siebente Glied rückwärts und in die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts zu verfolgen.

Schillers Vater, Johann Kaspar Schiller, ist zwei Stunden nördlich von der Ghibellinenstadt Waiblingen und in ihrem Oberamte, zu Bittenfeld (nicht Bitterfeld) einem altwürttembergischen Pfarrdorfe von etwa tausend Einwohnern am 27. Oktober des Jahres 1723 geboren: dessen Vater, der Großvater des Dichters, hieß Johannes Schiller, war Schultheiß des Dorfes und Bäcker, und am 20. Oktober 1682 zu Bittenfeld geboren; heirathete am 30. Oktober 1708 eine Bewohnerin des Dorfes Altdorf, Eva Margaretha Schatzin, und starb am 11. Juni 1733. Der Vater des Johannes, der Urgroßvater des Dichters, hieß, wie der Enkel, Johann Kaspar Schiller, war Mitglied des Gerichts und, wie sein Sohn, ein Bäcker. Seine Gattin hieß Anna Katharina. Er starb 37 Jahre 8 Monate alt am 4. September 1687. Dieser ist im Tauf- und Kopulationsbuche Bittenfelds nicht zu finden, und er soll von Großheppach nach Bittenfeld gezogen seyn. Urkundliche Mittheilung des Pfarramts Bittenfeld.

Wir wenden uns also nach diesem stattlichen Dorfe des weinreichen Remsthals, das gleichfalls im Waiblinger Oberamte und eine kleine Meile südöstlich von der Stadt Waiblingen gelegen, etwa 1400 Einwohner zählt und durch die Zusammenkunft der Helden Marlborough, Prinz Eugen und Markgraf Ludwig von Baden im dortigen Wirthshause zum Lamm am 9. Junius des Jahrs 1704 eine geschichtliche Illustration erhalten hat. Wirklich entdecken wir hier ^ einen Hans Schiller, geboren den 13. März 1650, dessen Alter bis auf 2 Monate mit der Altersangabe Hans Kaspars zu Bittenfeld übereinstimmt, und der weder im Kopulationsbuche noch im Todtenbuche Großheppachs zu finden ist. Die kleinen Differenzen können denjenigen, der die Ungenauigkeit alter Kirchenregister aus der Erfahrung kennt, nicht irre machen. Höchst wahrscheinlich ist Hans Schiller von Großheppach der Urgroßvater des Dichters. Der Vater des Hans hieß Ulrich Schiller, wie es scheint, geboren den 2. Juni 1617; Ulrichs Vater war Georg Schiller, geboren den 15. May 1587; Georgs Vater Jakob Schiller, zu dessen Geburt die Kirchenbücher nicht mehr hinaufreichen, der aber um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts geboren seyn wird. Jakobs uns unbekannter Großvater muß im besten Mannesalter den Bauernkrieg der Gegend erlebt haben, und als im Jahr 1514 »der arme Kunrad« auf dem Kappelberg, eine Stunde von Heppach, sich verschanzte, kann ein Schiller Zeuge gewesen seyn. Von Jakob Schiller bis Friedrich von Schiller sind es sieben Generationen. Hans Schiller hatte einen Bruder Jerg und mehrere Schwestern. Der Name Schiller kommt auch sonst in den Kirchenbüchern Großheppachs sehr häufig vor und mehrere dieses Namens werden als Gerichtsschreiber und Schultheißen aufgeführt. Urkundliche Mittheilung des Pfarramts Großheppach. Zu Marbach selbst, dem Geburtsorte des Dichters, findet sich ein Zweig jenes Geschlechts: einem Johann Kaspar Schiller, Bürger und Bäcker, wurde dort im Jahr 1727 ein ChristophFriedrich und im J. 1731 ein Johann Friedrich Schiller geboren. Urkundliche Mittheilung des Diakonats Marbach. Der letztere, ein Taufpathe unsres Schiller, ist der auf Balthasar Haugs Autorität hin öfters für Schillers Bruder gehaltene und zuweilen (noch 1838) mit unsrem Dichter verwechselte entfernte Verwandte desselben, der in London Mehreres und unter Anderm auchRobertsons Geschichte von Amerika(2te Aufl. 1801) übersetzt hat, später Buchdrucker in Mainz wurde und zuletzt angeblich noch nach Schillers Tode Buchhändlersgenosse in Mannheim war; wonach Hoffmeister und H. Döring zu berichtigen sind. Januar 1840

Durch diese Genealogie, welche das Geschlecht des Dichters mit großer Wahrscheinlichkeit mitten aus einem Rebenthale aufsprossen läßt, wird auch ein Licht auf die Bedeutung seines Geschlechtsnamens geworfen. Schiller heißt nämlich im Remsthale, wie in andern Weingegenden, am Neckar, am Niederrhein, in Ungarn, seit Jahrhunderten ein Wein, dessen Farbe schielt, der weder weiß noch dunkelroth ist und aus gemischten Traubensorten gewonnen wird; denn schielen heißt in den süddeutschen Dialekten schillen. In einem andern Weindorfe jenes Thales ist eins der ausgebreitetsten Geschlechter das der » Unger,« was unwillkürlich an die Ungertrauben erinnert; sollte nicht auch Schillers Urvater zu Heppach im Remsthale seinen Namen vom Schillerwein, den er baute, erhalten haben? So sind wir wenigstens nicht genöthigt, den ersten Schiller zu einem Strabo oder Pätus zu machen, römische Familiennamen, die einen Schieler bezeichnen.

1723 bis 1759.

Johann Kaspar Schiller, des Dichters Vater, wird nach den Zeugnissen verschiedener Zeitgenossen als einfach, kraftvoll, gewandt, thätig fürs praktische Leben, dabei rasch und rauh, geschildert; nur Eines nennt ihn einen im Grunde abentheuerlichen, schiefen, stets, über Entwürfen brütenden Kopf. Nach der Schilderung eines noch lebenden Hausfreundes war er von kleiner, wohl proportionirter Statur, kräftig und lebendig, seine Stirne gewölbt, sein Auge lebhaft; er hatte eine strenge, militärische Dressur, die sich auch auf die Religionsübungen des Hauses erstreckte, während seine innern Ueberzeugungen etwas von der kühlen Aufklärung des Zeitalters an sich trugen. Wissenschaftliche Studien im strengeren Sinne hatte er nicht gemacht, obgleich die verklärende Freundschaft oder Bewunderung für den Dichter, seinen Sohn, selbst dem Vater Beschäftigung mit der Dichtkunst und eine natürliche Anlage zu derselben, viele Belesenheit in der Weltgeschichte, Studium der Philosophie, der Mathematik, der Militärgeschichte und namentlich des dreißigjährigen Krieges zuschreibt. Dies Alles beschränkte sich wohl auf Liebhabereien, Lektüre, oder der alte Schiller wird mit seinem Verwandten Johann Friedrich Schiller S. oben. Der Verf. wird sich über diesen nicht ganz unmerkwürdigen Mann an einem andern Orte verbreiten. verwechselt.

Im Jahre 1745, als ein Jüngling von 22 Jahren, war dieser Johann Kaspar, der seinen Vater in einem Alter von nicht vollen 10 Jahren verloren hatte, mit einem bayerischen Husarenregimente als Feldscherer in die Niederlande gegangen, und wurde hier auch als Unteroffizier zu kleinen kriegerischen Unternehmungen gebraucht. Der Aachener Friede des Jahres 1748 gab ihn seinem Vaterlande Württemberg zurück, und er heirathete am 22. Jul. 1749 Urkundlich. die Mutter des Dichters zu Marbach, einem unfern von Ludwigsburg anmuthig auf einem Rebenhügel am Neckar gelegenen Landstädtchen. Die Wundarzneikunst nährte ihn hier nur kümmerlich. Er gab sie daher mit dem Ausbruche des siebenjährigen Krieges auf und wurde Fähnrich und Adjutant bei dem damaligen Regimente Prinz Louis, das ein Theil des Hülfskorps war, welches in einigen Feldzügen jenes Krieges mit dem österreichischen Heere focht. Als in Böhmen dieses Korps durch ein ansteckendes Fieber heimgesucht wurde, besorgte Schiller, den seine Mäßigkeit gesund erhielt, da es an Wundärzten fehlte, die Kranken und vertrat bei'm Gottesdienste die Stelle des Geistlichen durch Verlesung von Gebeten und Leitung des Gesanges. In der Folge stand er bei einem andern Regimente in Hessen und Thüringen, und kehrte nach beendigtem Kriege in das Quartier zu Ludwigsburg zurück, wo er landwirthschaftlichen Beschäftigungen oblag und Gründer einer glücklich gedeihenden Baumschule wurde. Herzog Carl von Württemberg übertrug ihm bald eine größere Anstalt dieser Art, die auf der Solitude, dem schönen herzoglichen Waldschlosse bei Stuttgart, errichtet worden war. Hier lebte er in der spätern Zeit ununterbrochen, von seinem Fürsten geachtet und zuletzt mit dem Majorstitel geschmückt, dem Gartenbau und der Baumzucht, die er als Kenner trieb und Pflegte, und über welche er, mit Beihülfe fremder Redaktion,, auch Bücher geschrieben hat. Von seinen Untergebenen war er wegen seiner Biederkeit und Unparteilichkeit geliebt, aber auch um seiner strengen Ordnungsliebe willen gefürchtet. Gattin und Kinder bewiesen ihm die ehrerbietigste Hochachtung und die innigste Liebe. Er erlebte noch den vollen Ruhm seines Sohnes, und langte mit vor Freude zitternden Händen nach den Manuskripten, die aus der Fremde an die Verlagshandlung gesendet, vor allen Dingen dem glücklichen Vater mitgetheilt wurden.

1723 bis 1759.

Bis ins hohe Lebensalter gesund, wurde er im dreiundsiebenzigsten Lebensjahr an den Folgen eines vernachläßigten Katharr's nach achtmonatlichem Leiden am 7. September 1796 von der Seite seiner Gattin genommen. Ueber seinen Tod schrieb der Sohn an die geliebte Mutter Worte, die ein unsterbliches Denkmal seiner Gesinnung sind: »Auch wenn ich nicht einmal daran denke, was der gute verewigte Vater mir und uns Allen gewesen ist, so kann ich mir nicht ohne wehmüthige Rührung den Beschluß eines so bedeutenden und thatenvollen Lebens denken, das ihm Gott so lange und mit solcher Gesundheit fristete, und das er so redlich und ehrenvoll verwaltete. Ja wahrlich, es ist nichts Geringes, auf einem so langen und mühevollen Laufe so treu auszuhalten, und so, wie er, noch im dreiundsiebenzigsten Jahre mit einem so kindlichen reinen Sinn von der Welt zu scheiden. Möchte ich, wenn es mich gleich alle seine Schmerzen kostete, so unschuldig von meinem Leben scheiden, als Er von dem seinigen! Das Leben ist eine so schwere Prüfung, und die Vortheile, die mir die Vorsehung in mancher Vergleichung mit ihm gegönnt haben mag, sind mit so vielen Gefahren für das Herz und für den wahren Frieden verknüpft! ... Unsrem theuren Vater ist wohl, und wir Alle müssen und werden ihm folgen. Nie wird sein Bild aus unserm Herzen erlöschen, und der Schmerz um ihn soll uns nur noch enger unter einander vereinigen.«

Vom Vater des Dichters wenden wir uns zur Mutter, die uns wichtiger ist, weil sie zu seinem Wesen und seiner Bildung mehr beigesteuert zu haben scheint.

1640 bis 1759.

Elisabetha Dorothea Kodweißward zu Marbach, fünf Stunden von Stuttgart und eine Meile von Ludwigsburg entfernt, am 13. Dezember 1732 Urkundlich. geboren. Ihr Vater war Georg Friedrich Kodweiß, nicht Johann Friedrich, wie ihn, einem Schreibfehler des Marbacher Taufbuchs nach, Schillers Biographen hier und da nennen. Dieser mütterliche Großvater des Dichters war am 4. Juni 1698 geboren; er war ein ehrsamer Bürger und Bäcker, Sohn und Enkel zweier Johann Kodweiß, beide Bäcker, der ältere auch Bürgermeister von Marbach (geb. den 5. April 1640). Weiter rückwärts erscheint das Geschlecht in den mangelhaften Kirchenbüchern der am 17. Jul. 1693 eingeäscherten Stadt Marbach nicht. Urkundliche gefällige Mittheilung des Diakonats Marbach. Eine Familiensage leitet dasselbe von einem herabgekommenen Adelsgeschlechte von Kottwitz (nicht Kattwitz) ab, und läßt es aus Norddeutschland nach Schwaben einwandern. Schillers Muttervater hatte sich als Wirth und Holzmesser ein kleines Vermögen rechtlich erworben, dasselbe aber bei einer großen Neckarüberschwemmung eingebüßt. Mit Unrecht wird also Schillers Mutter das Kind wohlhabender Landleute genannt, und durch ein seltsames Mißverständnis; denselben eine guteingerichtete Wirtschaft in Cannstadt und Ludwigsburg zugeschrieben. Vielmehr mußte der herabgekommene Mann zuletzt seine Zuflucht zur Thorwartsstelle zu Marbach in einem noch jetzt vorhandenen Hause nehmen, das damals eine armselige Hütte war, die unser Dichter als Knabe, wenn er den Großvater von Ludwigsburg her besuchte, aus Scham nicht von vorn betreten mochte, sondern in die er vom Stadtgraben aus hinterwärts hineinschlüpfte. Gefällige Mittheilung des Herrn Oberamtsrichters Rooschütz zu Marbach.

1732 bis 1759.

Schillers Mutter war schlank, ohne eben (wie häufig erzählt wird) groß zu seyn, in der Jugend hochblond, das Gesicht durch Sommerflecken gezeichnet, die Augen etwas kränklich, die Züge von sanftem Wohlwollen und Empfindung beseelt; die Stirne breit. Mit gewöhnlichem Verstande Versicherung von Hausfreunden. verband sie Innigkeit des Gefühls, wahre Frömmigkeit, Sinn für Natur, Anlage zur Musik und selbst zur Poesie, daher sie im Kreise ihrer Gespielinnen als Mädchen wohl für eine Schwärmerin galt. Das Spiel der Harfe soll sie leidenschaftlich geliebt haben, und den Gatten, der ihre erste Liebe war, begrüßte sie im achten Jahre ihrer damals noch kinderlosen Ehe am ersten Tage des Jahres 1757 mit den einfachen Strophen, die, als von Schillers Mutter gedichtet, wohl im Gedächtnisse seiner Verehrer aufbewahrt werden dürfen:

O hätt' ich doch im Thal Vergißmeinnicht gefunden Und Rosen nebenbei! Dann hätt' ich Dir gewunden Im Blüthenduft den Kranz zu diesem neuen Jahr, Der schöner noch als der am Hochzeittage war.

Ich zürne, traun, daß itzt der kalte Nord regieret, Und jedes Blümchens Keim in kalter Erde frieret! Doch eines frieret nicht, es ist mein liebend Herz,Dein ist es, theilt mit dir die Freuden und den Schmerz.

So anspruchlos diese Verse sind, so zeugen sie doch von einer Fertigkeit im Versbau und einem Sinne für den Rhythmus, welche nicht zweifeln lassen, daß die Anlage zur äußerlichen Form der Poesie bei Schiller ein Erbstück der Mutter war, zu deren Lieblingsbüchern Klopstocks damals kaum erschienene Messiade, Uz und Gellert gehörten. Sonst unterrichtete sie sich gerne in der Naturgeschichte, und sie, die bestimmt war, die Mutter eines berühmten Mannes zu werden, vertiefte sich auch am liebsten in die Lebensbeschreibungen berühmter Männer.

Schillers Mutter überlebte den Gatten sechs Jahre, welche sie theils in dem württembergischen Landstädtchen Leonberg, unweit von der Solitude, theils bei ihrer Tochter Louise in der Nähe von Heilbronn zubrachte. Sie starb Anfang Mai's 1802. Von ihrem Tode schreibt der Sohn: »Möge der Himmel der theuern Abgeschiedenen Alles mit reichen Zinsen vergelten, was sie im Leben gelitten und für die Ihrigen gethan. Wahrlich sie verdiente es, liebende und dankbare Kinder zu haben, denn sie war selbst eine gute Tochter für ihre leidenden und hülfsbedürftigen Eltern, und die kindliche Sorgfalt, die sie selbst gegen die letztern bewies, verdient es wohl, daß sie von uns ein Gleiches erfuhr.«

Aus der Ehe der Schillerschen Eltern entsprossen vier Kinder, drei Töchter und als zweites Kind der Sohn. Die älteste Tochter, Elisabethe Christophine Friederike (geb. den 4. September 1757) Wittwe des Hofraths Reinwald zu Meiningen, lebt noch dermalen (1839), und konnte sich mitten im Greisenalter »des völligen Gebrauchs ihrer Sinne und einer Heiterkeit der Seele« rühmen, »die gewöhnlich nur die Jugend beglückt.« Auch das dritte Kind, Dorothee Louise, Gattin des vor Kurzem verstorbenen Stadtpfarrers Frankh zu Möckmühl im Würtembergischen, überlebte den Bruder; die jüngste Tochter Nanette, oder, wie Schiller selbst sie nennt, Nane, eine »liebe und hoffnungsvolle Schwester« des Dichters, durch Geist und jungfräuliche Schönheit ausgezeichnet, starb schon im achtzehnten Jahre (1796), als gerade ihr Bruder »einige Vorkehrungen treffen wollte, die ihr Glück vielleicht gegründet hätten.«

Schiller bei den Eltern.

1759ff.

Johann Christoph Friedrich Schillerward nicht den 10., wie bis heute einstimmig gesagt wird, sondern den 11. November Marbacher Taufbuch. 1759 zu Marbach geboren. Die Mutter hatte, nach einem sehr glaubwürdigen Zeugnisse, ihren Gatten, der damals Lieutenant im Infanterieregimente des Generalmajors Romann war, in dem Lager besucht, wo er bei den gewöhnlichen Herbstübungen des württembergischen Militärs sich aufhalten mußte, und in seinem Zelte fühlte sie die ersten Anzeichen ihrer nahen Entbindung. So hätte beinahe Schiller das Licht der Welt zuerst in einem Lager erblickt; doch gelang es der Mutter noch, in ihr elterliches Haus, Damals noch nicht das Thorwartshaus, sondern das jetzt vom Bäcker Fischer bewohnte Haus, bei einem großen Brunnen auf der Straße nach Murr von wo aus sie den Gatten besucht hatte, nach Marbach zurückzukehren, wo sie eines Knaben genaß, den der Vater »dem Wesen aller Wesen« empfahl, »daß es demselben an Geistesstärke zulegen möchte, was Er aus Mangel an Unterricht nicht erreichen konnte.«

Eine uralte Sage läßt an der Stelle dieser Stadt, wo jetzt die lustigen Rebenhügel prangen, im wilden Walde der Urzeit einen Riesen hausen, welcher ein leibhaftiger Heidengott – Mars oder Bacchus – gewesen, und von ihm leitet sie den Namen der Stadt ab. Ein geistiger Riese war es auch jetzt, der in der Riesenstadt geboren ward, und die Poesie hat sich dieser sinnbildlichen Beziehung bemächtigt. Schiller kam als unscheinbares und schwächliches Kind zur Welt. Die Mutter war krank und konnte ihn nicht stillen, daher ihre Schwester, Margaretha Stolpp, welche dem Vater Schiller zum Besitze seiner Gattin geholfen hatte, den Knaben aus Pietät an die Brust nahm. Schiller erkannte dieß mit dankbarem Gemüthe, und als er im Jahr 1793 im Vaterlande war, besuchte er von Ludwigsburg aus die gute Tante, zu der er sich auch in seinen Kinderjahren vor der Strenge des Vaters manches Mal geflüchtet hatte, zu wiederholten malen. Alles neue mündliche Notiz des Sohnes der Margaretha, des noch lebenden 83jährigen Christian Stolpp zu Marbach, vormaligen k. österr. Proviantmeisters. Indessen erwuchs das Kind, anfangs ferne von der Aufsicht eines strengen Vaters, auf dem Arm einer zarten Mutter, langhalsig, sommerfleckig, rothlockig, wie diese, und entfaltete sich unter heitern und harmonischen Eindrücken. Schiller selbst zählte die späteren Besuche in dem großelterlichen Hause zu seinen freundlichsten Jugenderinnerungen.

1763 ff.

Es dauerte gegen vier Jahre, bis der Vater mit dem Hubertsburger Frieden (1763) aus dem siebenjährigen Kriege heimgekehrt, seinen bleibenden Wohnsitz wieder im Vaterlande nahm. So lange blieb der Knabe Fritz im Hause der genügsamen Großeltern unter der ausschließlichen Pflege der Mutter. Die Erziehung des zärtlichen, von den Kinderkrankheiten schwer heimgesuchten Kindes wurde mit größter Liebe und Aufmerksamkeit besorgt, und krampfhafte Zufälle, an welchen das Kind wiederholt litt, überwand glücklich seine gute Natur.

An der geistigen Ausbildung des Sohnes soll auch außer dem heimgekehrten Vater ein mütterlicher Oheim des Dichters, und ein Arzt und Hausfreund Antheil genommen, jener dem kleinen Fritz den ersten Unterricht im Schreiben, in der Naturgeschichte und der Geographie ertheilt, dieser ihn spielend über den Bau der Welt und des menschlichen Körpers belehrt haben. Schon im vierten oder fünften Jahre war der Kleine auf Alles aufmerksam, was der Vater im Familienkreise vorlas, eilte von seinen liebsten Spielen zu Bibelandacht und Gebet herbei, und war mit den blauen, gen Himmel gerichteten Augen, den hochblonden Locken um die helle Stirne, und den gefalteten Händchen, wie ein Engelskopf anzuschauen. So schilderte ihn die ältere Schwester. Auch später unter Kameraden, ging Schiller nie ohne Nachtgebet zur Ruhe; doch konnte er das laute Beten seiner Schlafgenossen nicht recht leiden: »es bedarf keines solchen Geplärres,« sprach er. Mündliche Nachricht. Folgsamkeit, sittlicher Zartsinn, Nachsicht gegen Geschwister und Gespielen zeichneten schon den Knaben aus. Den ununterbrochensten Einfluß auf Gemüth und Geist übte bei ihm die Mutter. An Sonntagsnachmittagen, wenn sie mit den beiden Kindern aus dem Hause, das seit des Vaters Rückkehr die Eltern für sich bewohnten, nach der nahen Großelternhütte wandelte, pflegte sie ihnen das kirchliche Evangelium des Tages auszulegen, und rührte einst am Ostermontage durch die Erzählung von Christus und den zwei nach Emmaus wandernden Jüngern die beiden Geschwister zu heißen Thränen. Zu anderer Zeit unterhielt sie die Kinder mit Zaubermähren und Feengeschichten, und später, so wie die Fassungskraft des Knaben es erlaubte, führte sie ihn auch in die Hallen der deutschen Dichtkunst ein, so weit ihr selbst diese zugänglich waren. Klopstocks Messiade, Opitzens Gedichte, Gerhards herrliche, geistliche Lieder, denen sich das Dichtergemüth des Sohnes mit Vorliebe zuwandte, Gellerts fromme Gesänge, die dem Knaben auch bald sehr theuer waren, wurden gelesen: nur als der üppige Auswuchs der schlesischen Schule, Hofmannswaldau, an die Reihe kam, und der Knabe in einem Sonett die Geliebte dieses Dichters »den Brustlatz kalter Herzen, der Liebe Feuerzeug, den Blasebalg der Seufzer, das Löschpapier der Thränen, die Sandbüchse der Pein, das Schlafstühlchen der Ruhe, und der Phantasie Klystier« mußte nennen hören, wandte er sich mit lächelndem Widerwillen von dem Buche ab und rief: »ich will kein Klystier!« und wenn die gewöhnlichen Neujahrsgratulanten der Landstädte und Dörfer mit ihren Verschen anrückten, so sagte er wohl: »Mutter! es ist ein Hofmannswaldau draußen!«

1765 ff.

Der Schauplatz des hier zuletzt Erzählten ist nicht mehr Marbach. Denn im Jahr 1765 wurde Schillers Vater, jetzt Hauptmann im Generalmajor von Stein'schen Infanterieregimente, von seinem Herzog als Werbeoffizier nach der Reichsstadt Schwäbisch Gmünd geschickt, und durfte seinen Aufenthalt im Dorf und Kloster Lorch, als nächstem württembergischem Gränzorte, nehmen. Dadurch wurde der Knabe im sechsten Jahre aus dem lachenden Neckarthale Er scheint schon vorher von Marbach nach Cannstadt gebracht worden zu seyn. in die ernste Stille eines von Nadelhölzern umstellten Wiesengrundes versetzt. Das Dorf Lorch liegt am Fuße des Hügels, den, schon auf der Staffel eines Tannengebirges, die Klostergebäude krönen, vor deren Mauern auf einem Vorsprung eine uralte Linde Wache hält: der Hohenstaufen mit einem Gefolge von Bergen blickt nach dem Kloster herüber, das zahlreiche Gräber jenes erlauchten Geschlechtes umschließt; in der Tiefe schlängelt sich der Remsfluß freundlicheren Gegenden und segensreichen Nebenpflanzungen zu.

In dieser Einsamkeit, an der das Herz des Dichters noch in späten Jahren hing, wurde jetzt Schillers Erziehung in Gemeinschaft mit einem Freunde des Hauses, dem Ortspfarrer Moser, Philipp Ulrich Moser, geb. zu Sindelfingen den 3. Jul. 1720, Pfarrer zu Hausen an der Würm 1750, zu Lorch 1757-1767, zu Dettingen und Heuchlingen 1767. Er lebte noch im J. 1790. Steinalte Leute zu Lorch, welche von ihm confirmirt wurden, wissen (1840) noch zu erzählen, »daß er ein strenger Mann gewesen, der den jungen Leuten scharf nachgesehen, und sie nach Befund auf dem Rathhause habe wissen lassen, wie viel ein Pfund Heller koste,« d. h. diese übliche Strafsumme ihnen nicht selten auferlegt. »Davon habe er viel Verdruß und wenig Dank gehabt und sey weiter gezogen.«Gefällige Mittheilung des Pfarramtes zu Lorch. einem wackern Manne, besorgt, der nur wenig Jahre älter war, als Schiller der Vater. Von ihm erhielt der kleine Fritz den ersten Unterricht in der lateinischen und griechischen Sprache, und Schiller hat seinem Lehrer durch den Charakter des Pastors Moser in den Räubern ein dankbares Denkmal gesetzt. Mit dem Sohne dieses würdigen Geistlichen, Carl Moser, schloß der Knabe die erste Jugendfreundschaft, deren Spuren sich noch im reifen Alter des Dichters vorfinden. Auch seine lang in der Seele fortglimmende Neigung zum Studium der Theologie scheint aus den Eindrücken zu stammen, die er im Pfarrhause zu Lorch aufgenommen hatte. Oft sah man ihn mit einer schwarzen Schürze statt des Kirchenrocks umbunden, ein Käppchen auf dem Kopfe, von einem Stuhle herab der Mutter und Schwester sehr ernsthaft predigen, und seine kindischen aus Bibelsprüchen zusammengereihten Vorträge zeigten schon eine Spur logischen Zusammenhangs.

Schillers gründlichster Biograph findet in diesem Spiele schon die tiefste Bestimmung der Natur träumend errathen. »Schiller ist wirklich dem Wesen nach ein Prediger geworden, aber nicht von der Kanzel, sondern von der Schaubühne herab, nicht vor einer confessionellen Gemeinde, sondern ein Prediger vor der großen Menschenfamilie.« Hoffmeisters Leben Schillers. 1. Bd. S. 10.

Von der Entwicklung seines sittlichen Charakters wird schon aus dieser frühesten Periode nur Gutes gemeldet. Er ging gerne in Kirche und Schule, und nur die Natur konnte ihn zuweilen zu kleinen Diebstählen an der Schulzeit verführen, die dem strengen Vater verborgen bleiben mußten; aber auch auf die Spaziergänge begleitete ihn sein gutes Gemüth und seine Menschenliebe, und mit gränzenloser Freigebigkeit verschenkte er an Arme, was er besaß. Versunken in Naturgenuß stand einst der achtjährige Knabe mit seinem Jugendfreund im Walde und rief: »O Karl, wie schön ist es hier! Alles, alles was ich habe, könnte ich hingeben, nur diese Freude möchte ich nicht missen!« Er wurde beim Wort genommen: unter der Last eines Reisigbündels schlich ein Kind in Lumpen durch den Wald. »Das arme Kind!« rief der kleine Schiller voll Mitleiden, kehrte seine Taschen um, und gab, was er hatte: zehen Kreuzer, und eine alte silberne Schaumünze, ein Geburtstagsgeschenk seines Vaters, von der er sich recht ungern trennen mochte. Ein andermal stellte er sich dem Vater ohne Schnallen an den Schuhen dar, und gestand, daß er dieselben einem armen Jungen zum Sonntagsschmucke gegeben, weil er sich selbst mit seinen Sonntagsschnallen begnügen könne. Und an Kameraden verschenkte er nicht nur Dinge, über die er frei verfügen konnte, sondern, wenn ihre Armuth sein Mitleiden recht rege machte, Bücher, ja Kleidungsstücke und Bettlaken, so daß selbst der Vater mit fühlbaren Züchtigungen einschreiten mußte, deren Vollziehung jedoch zuweilen die sanftere Mutter sich erbat. Im Uebrigen waren Gehorsam und Folgsamkeit Grundzüge seines Charakters.

Die Natur war der Lieblingsaufenthalt des Knaben; oft wünschte er in der schönen Gegend der Sonne mit lautem Gesang, der überhaupt seine jugendlichen Schritte im Freien fast immer melodisch begleitete, eine gute Nacht, und wenn er sich der herrlichen Farbenmischung an den Wolken erfreute, rief er wohl gar Stuttgarts Maler laut auf, es zu versuchen und diese Farben auch so aufzutragen. Einer seiner Lieblingsspaziergänge war der Kalvarienberg der katholischen Nachbarstadt Gmünd, in welche Stadt der Vater beinahe täglich wanderte, um seinem unglücklichen Werberberuf nachzugehen; und nicht selten weilte er in den dunkeln Hallen der uralten, schmucklosen, düstern Kirche Lorchs bei den Gräbern der Hohenstaufen. »Diese religiösen und geschichtlichen Eindrücke in des Kindes Gemüth aufgenommen, waren vielleicht die ersten Fäden des magischen Gewebes der tragischen Darstellung, die der Genius in seiner Seele anlegte.« Der Vater erklärte ihm dazu die Geschichtsdenkmale der Gegend; der Sohn durfte ihn in die Uebungslager, zu den Förstern im Walde und reisend auf das schöne Lustschloß Hohenheim begleiten. Auf solche Weise nährten wechselnde Lebensbilder seine Phantasie, und ein einfaches Hausleben kräftigte dabei sein Inneres. Denn »schlichte Sitte, Ehrgefühl und zarte Schonung der Frauen im Familienkreise waren die Lebenselemente, in denen der Knabe aufwuchs.« Selbst der rauhe Vater zeigte der Mutter und den Töchtern gegenüber jenes Zartgefühl, das die edle Berichterstatterin, von der wir diese Worte entlehnt haben, als eine ursprüngliche Stimmung der Organisation betrachtet, als eine der Eigenschaften, der man am ersten Erblichkeit zuschreiben kann. So war denn dieses Zartgefühl, verbunden mit Wahrheitsliebe und Gewissenhaftigkeit, auch bei Schiller ein elterliches Erbtheil.

Aber jene feinere Behandlung des Knaben und das Beispiel zarter Familienliebe wirkte bei diesem weder leibliche noch geistige Verzärtelung. Sein kühner Geist wagte es schon frühe, über die Gränzen des Elternhauses hinauszuschweifen, und es regte sich bei Zeiten in ihm jener Weltbürgersinn, der ihn als dramatischen Dichter so edel, frei und stolz machte. Die Tagebücher des neunjährigen Knaben ergingen sich in der Länderbeschreibung und Geschichte Persiens und den Thaten Alexanders, und wenn er von Schiffern und Reisenden erzählen hörte, konnte er oft begeistert ausrufen: » Vater, ich muß in die Welt! Auf einem Punkte der Welt bin ich; die Welt selbst kenne ich noch nicht.« Und der Mutter, die ihn ermahnte, im Vaterlande zu bleiben und sich redlich zu nähren, erwiederte er mit glühenden Wangen: »Vaterland, Vaterland! haben wir denn ein anderes als die ganze Welt? Wo es Menschen gibt, da ist das Vaterland. Und verlasse ich dann meine Eltern und Freunde, wenn ich zum Beispiel in Ispahan bin, mich dankbar ihrer erinnere, und alles das, was ich mein Glück nenne, mit ihnen theile?« In dieser Sehnsucht verschlang er die Reisen des Columbus, die Eroberungen des Kortes, die Weltumseglung Dampierre's. Sein Geist schien zu ahnen, zu welchen Wanderungen durch das Ideengebiet der Menschheit er selbst aufbewahrt sey.

Auch in einigen Handlungen kühner Furchtlosigkeit bildete sich der kecke Unternehmungsgeist vor, der den Mann als Dichter und Denker beseelte.

Bei einem Besuche in Hohenheim wurde der kleine Friederich sehr lange gesucht. Er war in dem Hause, in welchem der Vater abgestiegen war und das einen Theil der fürstlichen Gebäude ausmachte, die das Schloß umgaben, aus einem Salonfenster gestiegen und hatte eine Entdeckungsreise über die Dächer unternommen. Eben war er im Begriffe, den Löwenkopf, in welchen eine der Dachrinnen auslief, näher zu besichtigen, als der erschrockene Vater ihn entdeckte und ihm laut zurief. Der Knabe aber blieb so lange regungslos auf dem Dache, bis der Zorn des Vaters sich gelegt hatte und ihm Straflosigkeit zugesichert war.

Ein andermal – noch mochte Schiller nicht über sieben Jahre zählen – fehlte der Kleine um das Abendessen, als eben ein finsteres Gewitter am Himmel stand und die Blitze schon die Lust durchkreuzten. Im ganzen Hause wurde er vergebens gesucht, und mit jedem Donnerschlage vermehrte sich die Angst der Eltern. Endlich fand man ihn nicht weit vom väterlichen Hause im Wipfel der höchsten Linde, die er unter dem Krachen des ganz nahen Donners jetzt erst zu verlassen Miene machte. »Um Gottes willen, wo bist du gewesen,« rief ihm der geängstete Vater entgegen. »Ich mußte doch wissen, woher das viele Feuer am Himmel kam!« entgegnete der muthige Knabe. – Ist es nicht, als hätte er sich schon am frühen Lebensmorgen im Arsenal der Schöpfung umsehen wollen, um dereinst von ihr jene Flammenblitze zu entlehnen, mit welchen er im Reich der Geister die lang entweihte Bühne und von der Bühne aus die Welt der Freiheit und Sittlichkeit zu reinigen unternahm?

In seinen Arbeiten zeigte Schiller von früher Jugend auf unermüdliche Beharrlichkeit, und ein Geschäft, das einmal von ihm vorgenommen war, mußte, trotz der nicht seltenen Vorwürfe des Vaters, oft heimlich, mit Unterbrechung des Schlafes, selbst bei Lampenschein beendet werden. In diesen Ernst mischte sich indessen wohl auch einmal der Humor. Unter den kleinen Kunstschätzen, die der Vater, vielleicht als Familiengut der muthmaßlich aus Sachsen abstammenden Gattin besaß, war auch ein Oelgemälde, das die Eroberung Magdeburgs durch Tilly vorstellte, das größte und beste in der Sammlung. Der Eroberer war darauf abgebildet, wie er, den rechten Arm in die Seite gestützt, durch die Straßen reitet und mit blutgierigem Blicke den Schauplatz der Zerstörung mustert. Gruppen wehklagender Frauen, fliehender Greise und Kinder, wüthender Mordbrenner, umgeben von brennenden und einstürzenden Häusern, faßten das den Feldherrn darstellende Mittel des Bildes ein. Der kleine, sechsjährige Schiller nahm sich dieses Gemälde, dessen viele ausdrucksvolle Gesichter seine Aufmerksamkeit anzogen, aufs Korn und übte an ihm das erstemal in seinem Leben die Kunst freier, poetischer Umgestaltung. Es ward von ihm in eben so viele kleine Theile zerschnitten und zerstückelt, als es Gegenstände enthielt. Tilly selbst erhielt zu verdienter Strafe seiner Grausamkeit ein geschwärztes Mohren-, oder Teufelsgesicht, und führte, auf Papier geklebt, einen Reihen von Rossen und Soldaten an. Die Einwohner Magdeburgs, Männer, Weiber und Kinder bildeten einen zweiten Reihen und füllten ein anderes Papier, Greise und alte Mütter beschloßen den Zug; aber auf einem dritten Bogen waren die einzelnen Theile der Personen muthwillig unter einander geworfen: Kinderköpfe saßen auf dem Rumpfe eines alten Mannes, auf dem Leib eines den Säbel ziehenden Kroaten ein verschämter Mädchenkopf; ein schmucker Offizier endete in das Haupt eines sich bäumenden Rosses. Diese Umgestaltung eines theuer gehaltenen Bildes in hogarthische Carricaturen wurde übrigens dem jungen Dichter vom strengen Vater wenig verdankt.

Im Jahr 1768 verließ die Schiller'sche Familie Lorch, (wo der Vater in ziemlich beschränkten Umständen gelebt hatte, da er hier während drei ganzer Jahre nicht den mindesten Sold Dieser Gehalt bestand überhaupt nur aus 19 monatlichen Gulden. Die Schiller'schen mußten daher damals von der Unterstützung einiger Verwandten in Ludwigsburg leben. Mündliche Notiz. empfing, sondern von seinem Vermögen zehren mußte. Auf eine nachdrückliche Vorstellung bei dem Herzoge ward er endlich von seinem Posten als Werbeoffizier abgerufen und der Garnison Ludwigsburg einverleibt, wo er den rückständigen Sold in Terminen ausbezahlt erhielt. Der neunjährige Fritz Schiller wurde nun in die lateinische Schule Ludwigsburgs geschickt, und neben dem Latein auch im Griechischen und Hebräischen, als den unerläßlichen Erfordernissen des künftigen Theologen – denn diesen Beruf hatte der Knabe nun gewählt – jedoch in diesen beiden Fächern ziemlich spärlich unterrichtet, aber im Griechischen durch eigenen Fleiß vorwärts gebracht. Sein Lehrer, Magister Johann Friedrich Jahn, ein noch vielen Württemberg wohlbekannter Schulmann, denn er regierte die Ludwigsburger Schule bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, wird mit zu viel Strenge als ein kalter, rauher, murrsinniger Polterer geschildert; er war es nicht mehr und nicht weniger, als die meisten Präceptoren jener Zeit, – ein fermer Lateiner, und nichts weiter. So trocken denn auch Ovid, Virgil und Horaz behandelt werden mochten, im Latein machte Schiller doch gute Fortschritte, und im Landexamen, jener noch bestehenden allgemeinen Schreckensprüfung In Schillers Anthologie singt, im Liede »die Winternacht« höchstwahrscheinlich er selbst (S. 270):»Wie ungestüm dem grimmen LandexamenDes Buben Herz geklopft;Wie ihm, sprach itzt der Rektor seinen Namen,Der helle Schweiß aufs Buch getropft!« der unmündigen Candidaten der Theologie im Württemberger Lande, die damals vier bis fünf Jahre hintereinander auf dem Stuttgarter Gymnasium vorgenommen wurde, erhielt er (1769 – 1772) das Zeugniß eines hoffnungsvollen Knaben und seine Fortschritte wurden mir das letztemal als etwas langsamer bezeichnet, wo ohne Zweifel Kränklichkeit seinen Fleiß hemmte.

1768 ff.

Von einem Jugendfreunde – dem erst im jüngsten Jahrzehend verstorbenen königl. bayerischen Medizinalrathe von Hoven – wird Schiller in dieser Periode als ein, der Einschränkung ungeachtet, in welcher er vom Vater gehalten wurde, sehr lebhafter, ja beinahe muthwilliger Knabe geschildert. Die jüngern Gesellen fürchteten den Tongeber bei ihren Spielen und selbst den ältern und stärkern imponirte seine Furchtlosigkeit, die sich neckend, aber immer gutmüthig, sogar an Erwachsene wagte, wenn sie ihm zuwider waren. An wenigen vertrauten Freunden hing er fest und mit Aufopferung. In der Klasse einer der besten Schüler, ward er doch hauptsächlich durch große Ehrfurcht vor dem Vater, dem er nie genug thun konnte, zum Fleiß angetrieben.

1770 ff.

Schillers Charakter erhielt etwas Aengstliches, als er im Jahr 1770 bei dem Abzuge des Vaters auf Solitude dem strengen Jahn in Wohnung und Kost übergeben wurde, und Vater und Lehrer schüchterten ihn mit steten Ermahnungen, und wegen seines linkischen Benehmens wohl auch mit Püffen und Ohrfeigen ein. Am wenigsten verfing bei ihm in dieser Zeit der Religionsunterricht. »Der Knabe hat noch gar keinen Sinn für Religion!« klagte der mürrische Pädagog von Zeit zu Zeit den betrübten Eltern. Aber auf welchem Weg und in welcher Gestalt wurde ihm auch diese beigebracht! Schiller hatte Frömmigkeit mit der Muttermilch eingesogen, Gellerts Lieder wußte er auswendig, an Luthers und Paul Gerhards Liedern hatte er sich mit Lust erquickt. »Ein feste Burg ist unser Gott –« von Jenem, von Diesem das durch des großen Friedrichs Spott geächtete » Nun ruhen alle Wälder – « und »Befiehl du deine Wege« – waren Lieblingslieder Schillers geworden. Nun sollte er auf einmal das kauderwälsche Lied »In dulci jubilo, nun singet und seyd froh –« auswendig lernen, und der Katechismus wurde ihm selbst vom Geistlichen unter der drohenden Peitsche eingetrieben. Während so die Lehrer ihn mit einer leblosen Dogmatik plagten, las der Knabe unter dem Tische seine alten frommen Lieder, und zu Hause sah man ihn oft die Bibel auf dem Schooße; die Psalmen hatte er mehrmal durchgelesen, ein Freund überraschte ihn, als er ein Kapitel aus dem Propheten Jesaias perorirte, und in den Räubern finden sich Spuren, daß der Prophet Ezechiel mit seinen erhabenen Gesichten seiner Seele tief eingeprägt war. Unter anderm scheint die Unbeholfenheit der Lehrer selbst das Hohelied als Lehrmittel gebraucht zu haben und sie wurden durch die vorlaute Frage des Knaben, »ob denn dieses Lied wirklich der Kirche gesungen sey,« überrascht und geärgert. Die Antwort wurde dem Vater hinterbracht, und der kleine Ketzer, zur Rede gestellt, fragte: »hat denn die Kirche Zähne von Elfenbein?« da regte sich auch im Vater der versteckte Oppositionsgeist der Aufklärung. Lachend mußte er sich umkehren, und murmelte vor sich hin: »Mitunter hat sie Wolfszähne!«

1768.

In Ludwigsburg sah der neunjährige Knabe zum erstenmal ein Theater, glänzend, wie die Regierung eines prachtliebenden Herzogs es erwarten ließ. Die Wirkung, die es auf ihn hervorbrachte, wird als mächtig geschildert. Alle seine jugendlichen Spiele kehrten sich dieser neuen Welt zu; bis in sein vierzehntes Jahr führte er dramatische Scenen mit ausgeschnittenen Puppen auf, und Plane zu Trauerspielen fingen seine junge Seele zu beschäftigen an. Auch die Geschichte, die damals in den Geist der Jugend durch die Lesung der alten Autoren gleichsam nur eingeschwärzt wurde, führte ihm große und warm empfangene Gestalten zu: Solon, Diogenes, Sokrates, Plato, Archimedes, Seneca von den Weisen und Gelehrten; nicht Cäsar, sondern Brutus von den großen Männern; Cyrus, Alexander, Hamilcar und Hannibal unter den Feldherrn spielten in seinen Gedanken und Gesprächen eine Rolle; und nie las er die Geschichte vom Sturze des Karthagers Hanno ohne den zürnenden Ausruf: »man hätte dem biedern alten Manne folgen sollen!«

1769.

Zum ersten Versuch in der Reimkunst begeisterte den zehnjährigen Schiller der Lohn von zwei Kreuzern, den er, unter Androhung der Peitsche, für sein rüstiges Katechismussprechen in der Kirche vom Geistlichen sich verdient hatte. Mit einem Freunde, der die gleiche Belohnung erhalten hatte, pilgerte er auf's Land und erhielt die saure Milch, die er auf dem alten, benachbarten Schlößchen Harteneck vergebens gesucht hatte, nach langem Fragen im nächsten Dorfe Neckarweihingen, in reinlicher Schüssel mit silbernen Löffeln, und für die kleine Baarschaft noch Johannistrauben dazu. Auf dem Heimwege kehrte sich Schiller auf der Anhöhe, die den Ueberblick über beide Orte gestattete, um, und seine Lippen ergoßen sich in einen gereimten pathetischen Fluch über den Ort, der sie hungrig entlassen, und in einen Segen über den andern, der sie so milde gespeist hatte.

1772.

Die Ablegung seines Glaubensbekenntnisses, die in Württemberg gewöhnlich gegen das vierzehnte Jahr bei der evangelischen Jugend stattfindet, fiel bei Schiller gewiß nicht in das Jahr 1770 oder gar früher, sondern nicht eher, als er (im Jahr 1772) seinen Kurs in der lateinischen Schule zu Ludwigsburg geendet hatte, und die Eltern können dieser Feierlichkeit sehr wohl von der Solitude aus, wo der Vater schon über die herzogliche Baumschule gesetzt war, beigewohnt haben, denn eine schnurgerade Kunststraße führte damals von dem Lustschlosse in 2–3 Stunden nach jener Residenz. Vielleicht war die Mutter auch in Ludwigsburg wohnen geblieben. Sie, die noch immer still und unbemerkt über der Seele ihres Sohnes wachte, soll diesen den Tag vor der Confirmation auf der Straße herumschlendernd bemerkt und ihm über seine Gleichgültigkeit gegen die wichtige Handlung des folgenden Tages Vorwürfe gemacht haben. Gerührt zog sich der Knabe zurück und überreichte nach wenigen Stunden, der einen Sage zu Folge, der Mutter ein deutsches, der andern zu Folge dem Vater ein lateinisches Gedicht, das seine religiösen Empfindungen in Worte kleidete.

Schillers Neigung war noch immer dem Studium der Theologie zugewandt und er stand nun im Begriffe, in eine der vier niedern Klosterschulen des Landes einzutreten, und hier in mönchischer Kleidung und Zucht, welche diesen Bildungsanstalten noch aus der katholischen Zeit geblieben waren, Horen singend und Vesper lesend, vier Jahre lang sich auf das Universitätsstudium unter strengem Unterrichte vorzubereiten. Aber es war im Rathe der Vorsehung anders mit ihm und seinem Dichtergenius beschlossen.

Schiller in der Carlsakademie zu Stuttgart.

1773ff

Der Herzog Carl von Württemberg, ein Herr von ausgezeichnetem Geiste, raschem Urtheil, umfassendem Gedächtnisse, lebhafter und unsteter Einbildungskraft, einem starken Willen im Dienste der Leidenschaft und einer lang ungebändigten Sinnlichkeit, hatte, nachdem er Jugend und