Schlaflos in Cornwall - Katharina Herzog - E-Book
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Schlaflos in Cornwall E-Book

Katharina Herzog

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Beschreibung

Dies ist eine Neuausgabe von "Mondscheinblues"! Nina ist ehrgeizig und perfektionistisch, und sie hasst es, die Kontrolle zu verlieren. Tom lebt in den Tag hinein und vertreibt sich die Zeit mit ausschweifenden Partys und Alkohol. Als die pflichtbewusste Redakteurin und der ehemalige Rockstar für eine Reportage gemeinsam nach Cornwall fliegen, sind Spannungen vorprogrammiert: Weil Tom angeblich seinen Führerschein abgeben musste, ist Nina gezwungen, sich dem britischen Linksfahrgebot zu stellen, Hotelbesitzer freuen sich über das vermeintlich erste Flitterwochenpaar der Saison, und es ist äußerst ungünstig, sich auf die Navigations-App des Handys zu verlassen, wenn Cornwall ein einziges Funkloch ist. Doch je länger die Reise dauert, desto mehr bemerken Nina und Tom, dass sie so verschieden nicht sind, wie sie anfangs geglaubt haben, und es beginnt zwischen den beiden zu knistern. Doch Tom hat etwas zu verbergen. +++Mit "Schlaflos in Cornwall" schickt Katrin Koppold den Leser auf eine romantische, lustige, einfach traumhafte Reise und zeigt wieder einmal ihr Talent für Figuren und Beschreibungen." (Münchner Merkur)+++ Indie-Perle des Monats Januar (Lesering)+++Katrin Koppolds Bücher sind für mich immer etwas ganz Besonderes, denn sie sind einfach aus dem Leben geschrieben und treffen bei mir immer einen Nerv.+++Wunderbar humorvoll und emotionsgeladen! (Bunte Bücherwelt)+++ Ein LeseMuss für mich. (Corinna´s World of Books) +++Das Buch hat bei mir eindeutig Glücksgefühle ausgelöst! (Littlecornerformybooks) "Mondscheinblues" ist ein Spinoff der erfolgreichen Sternschnuppenreihe, kann aber auch unabhängig von diesen Bänden gelesen werden. Mit Zimtzauber ist nun ein weihnachtlicher Kurzroman erschienen, in dem der Leser mehr über Toms Schwester Elisa erfahren kann. Länge der Taschenbuchausgabe: 390 Seiten Veröffentlichungen der Autorin: Aussicht auf Sternschnuppen Zeit für Eisblumen Sehnsucht nach Zimtsternen Hoffnung auf Kirschblüten Mondscheinblues (Spinof

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SCHLAFLOS IN CORNWALL

KATHARINA HERZOG

INHALT

Ohne Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Danksagung

Liebe Leserinnen!

Reiseroute durch Cornwall

Über die Autorin

Jede Reise ist eine Suche

1

Nina

Ich hatte mich bisher immer für einen ziemlich optimistischen Menschen gehalten, aber jetzt konnte selbst ich die Augen nicht mehr davor verschließen, dass ich irgendwann in den letzten Jahren einmal eine falsche Abzweigung gewählt hatte – und leider nicht umgekehrt war. Die Anzeichen dafür, dass in meinem Leben etwas gründlich schieflief, ließen sich nicht länger ignorieren:

1. Mit Anfang dreißig wohnte ich wieder bei meiner Mutter.

2. Mein Hund Puck war die einzige männliche Konstante in meinem Leben.

3. Sex hatte ich gefühlt seit der Einführung des Euro nicht mehr gehabt. Und

4. Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn die Kollegin, mit der man sich das Büro teilt, einen direkt beim Eintreten mit den Worten »Du sollst zum Chef kommen« begrüßt.

Hoffentlich hatte ich nichts angestellt! Bei diesem Gedanken beschleunigte sich mein Herzschlag unwillkürlich, was natürlich völlig übertrieben war. Denn abgesehen davon, dass ich vor drei Wochen aus Versehen einen Tampon in die Toilette geworfen hatte, obwohl ein Schild an der Tür genau das verbot, fiel mir kein Regelverstoß ein, den ich begangen haben könnte. Trotzdem … Ich konnte mir derzeit keinen Fehler leisten. Da meine direkte Vorgesetzte wegen Schwangerschaftskomplikationen nun schon längere Zeit krankgeschrieben war und ich sie seit Wochen vertrat, war es in der Redaktion ein offenes Geheimnis, dass ich mit ihrem offiziellen Eintritt in den Mutterschutz befördert werden sollte: Ich würde zur neuen Ressortleiterin Reise aufsteigen. Das war eine Beförderung, die meinem Vater hoffentlich unmissverständlich klarmachen würde, dass ich sehr wohl auch ohne seine Unterstützung Erfolg haben konnte. Wenn mir bis dahin kein Fehler unterlief …

»Weißt du, was er von mir will?«, fragte ich Amelie, die gerade dabei war, sich die Nägel in einem leuchtenden Türkisblau zu lackieren.

Ich fand es nicht gut, dass sie ihre Maniküre grundsätzlich während der Arbeitszeit erledigte, überhaupt schminkte sie sich ständig im Büro, aber wenn ich sie darauf ansprach, behauptete sie stets, dass sie neue Produkte testete. Und da sie bei der Luisa für das Ressort Kosmetik zuständig war, konnte ich ihr noch nicht einmal das Gegenteil beweisen.

Meine Kollegin schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr die überlange Ponypartie ins Gesicht fiel. Seit fast einem Monat trug sie ihre Haare nun schon kurz und platinblond, und somit war es nur noch eine Frage von Tagen, dass sich sowohl Schnitt als auch Farbe ändern würden. »Nein. Aber ich glaube, es geht um Betty.«

»Was ist mit Betty?« Alles, was mit ihr zu tun hatte, interessierte mich brennend, da sie die Einzige war, die mir bei meiner Beförderung ins Gehege kommen konnte. Obwohl sie nicht meine Qualifikationen aufwies und eigentlich für den Bereich Fitness zuständig war, hatte sie nämlich ebenfalls Interesse an der freien Stelle der Ressortleiterin bekundet.

»Hast du es etwa noch nicht gehört?« Amelies braune Augen weiteten sich.

»Was denn?«

»Ihre Hochzeit ist ins Wasser gefallen.«

»Ach! Damit war ja überhaupt nicht zu rechnen!«, bemerkte ich ironisch. »Ich habe ihr ja gesagt, dass es bei unserer unbeständigen Wetterlage Unsinn ist, draußen Hochzeit zu feiern.« Und nicht nur draußen, sondern auch noch im Chiemsee. Auf Surfbrettern! »Seid ihr sehr nass geworden?«

»Das war leider nicht wörtlich gemeint.« Amelie seufzte. »Sie hat die Hochzeit abgesagt. Beziehungsweise ihr Vater. Per Lautsprecher. Ein paar Minuten vor der Trauung.«

»Oh!« Wie wir alle seit der letzten Weihnachtsfeier wussten, war Surfer-Jens, Bettys durchtrainierter Verlobter, der mit Abstand attraktivste Mann, der jemals einen Fuß in unsere Redaktion gesetzt hatte. Nicht zu fassen, dass Betty so jemandem den Laufpass gegeben hatte.

»Weißt du, warum sie das getan hat?«, fragte ich Amelie, zugegebenermaßen ziemlich sensationslüstern.

»Keine Ahnung. Sie geht nicht ans Telefon. Und auf Nachrichten reagiert sie auch nicht. — Warum hast du eigentlich so kurzfristig abgesagt, zu der Feier zu kommen?« Amelie drehte das Nagellackfläschchen zu und stellte es beiseite.

Hörte ich da etwa einen Hauch von Vorwurf in ihrer Stimme?

»Letzte Woche ist so viel in der Redaktion liegen geblieben, ich musste es am Wochenende aufarbeiten«, erklärte ich steif.

Und es stimmte! Ich hatte gearbeitet. So wie so ziemlich jedes Wochenende im letzten Jahr. Und selbst wenn ich nicht hätte arbeiten müssen, konnte mir doch niemand einen Vorwurf machen, dass ich keine Lust auf diese Hochzeit gehabt hatte. Schließlich waren die Gäste auf der Einladungskarte darauf hingewiesen worden, dass sie ebenfalls Surfbretter oder andere Schwimmhilfen mitbringen sollten, wenn sie der Zeremonie beiwohnen wollten. Leider besaß ich nur eine Poolnudel. Außerdem musste man auf solchen Festen immer so furchtbar viel essen.

»Und was habe ich mit der geplatzten Hochzeit zu tun?«, hakte ich nach. Doch kaum hatte ich diese Frage ausgesprochen, wurde mir die Antwort auch schon mit erschreckender Deutlichkeit bewusst: Nicht nur Bettys Hochzeit war ins Wasser gefallen, sondern damit auch ihre Flitterwochen!

Ohne Amelies Antwort abzuwarten, drehte ich mich auf dem Absatz um und trippelte, so schnell es mein enger Rock zuließ, den langen Gang entlang, an dessen Ende das Büro unseres Chefs lag. Nein! Das durfte nicht sein. Morgen schon sollte ihre Hochzeitsreise losgehen. Und ich hatte alles so sorgfältig geplant! Der Flug war gebucht, die Unterkünfte, das Cabrio. Ich hatte alles so gewissenhaft vorbereitet. Nun musste ich alles stornieren, umplanen. Aber wie sollte ich das schaffen? So ein Mist! Mir war von Anfang an klar gewesen, dass es eine Schnapsidee war, eine Privatreise als monatliche Luisa-Reisereportage durchgehen zu lassen. »Flitterwochen in Cornwall« sollte der Titel lauten. Aber Bernd ließ Betty ja alles durchgehen …

In diesem Moment bedauerte ich sehr, dass meine Mutter mir von klein auf eingetrichtert hatte, dass man weder den Namen des Herrn missbrauchen noch fluchen darf. Denn gerade schwebte mir eine deftige Kombination aus beidem vor. Ich zog meine Puderdose aus der Handtasche, um mich im Spiegel zu betrachten. Meine langen kastanienbraunen Locken trug ich in der Redaktion stets zu einem festen Dutt zusammengebunden, eine Frisur, die mich aufgrund meiner hohen Stirn zwar nicht attraktiver, aber auf jeden Fall effizienter aussehen ließ. Der Lippenstift war rot, aber nicht zu rot, um Bernd keine Angst einzujagen. Als i-Tüpfelchen für meinen hoffentlich ungeheuer professionellen Auftritt setzte ich noch schnell die Brille mit den Fenstergläsern auf, dann hob ich die Hand und klopfte an die Tür des gläsernen Kastens, in dem sich unser Chefredakteur befand.

»Herein!«

Bernd saß hinter seinem Schreibtisch und fügte sich mit seinem dunklen Haar, dem weißen Hemd und der schwarzen Hose beinahe nahtlos in das Kuhfellmuster seines Schreibtischstuhls ein. Ein Relikt von seinem Vorgänger, das überhaupt nicht zu dem sonst eher sachlich-nüchternen Stil unseres Chefs passte. Da dieser Stuhl aber anscheinend eines der ganz seltenen Modelle war, auf denen Bernd nach seinem Bandscheibenvorfall bequem sitzen konnte, hatte er ihn behalten.

»Amelie hat gesagt, dass du mich sprechen möchtest.« Ich versuchte, so selbstbewusst wie möglich zu wirken, was leider nicht so richtig gelang. Zumindest in meinen eigenen Ohren klang meine Stimme ein wenig dünn. Aber vielleicht täuschte ich mich. Schließlich war ich auch bis zu dem Moment, als ich zum ersten Mal die Mailbox meines Handys besprochen hatte, der festen Überzeugung gewesen, eine äußerst sonore, wohlklingende Stimme zu haben.

Bernd wies auf einen dunklen Lounge-Stuhl, und ich folgte seiner stummen Aufforderung und setzte mich.

»Nina, ich komme direkt zum Punkt.« Bernd war niemand, der lange fackelte. »Betty hat ihre Hochzeit abgesagt.«

Ich räusperte mich. »Amelie hat es mir bereits erzählt. Und ich bin natürlich bereits mögliche Alternativen durchgegangen. Wir könnten zum Beispiel …« Nina, überleg dir was. Schnell.

»Das wird nicht nötig sein«, unterbrach mich Bernd. »Für ein alternatives Thema ist es zu spät. Die Reportage soll in der übernächsten Ausgabe bereits erscheinen, und Anfang nächster Woche geht die Vorschau in den Druck. Wir werden die Sache durchziehen.«

»Und wie soll das gehen?«, fragte ich verblüfft. »Wollen Betty und Jens trotzdem nach England fliegen?«

Bernd winkte ab. »Nein, nein. Ich habe heute Morgen mit Bettys Vater telefoniert. Sie ist zwei Wochen krankgeschrieben.«

Schon wieder ihr Vater! Betty wurde Ende des Jahres dreißig. War sie nicht Frau genug, selbst in der Redaktion anzurufen? Oder ihre Hochzeit abzusagen?

»Und wer wird stattdessen auf Hochzeitsreise gehen?«

»Du.«

»Ich?« Hätte der Stuhl, auf dem ich saß, nicht Armlehnen gehabt, wäre ich angesichts dieser Eröffnung garantiert seitlich heruntergekippt. »Ich soll mit Jens in die Flitterwochen fliegen?«

Bernd lächelte milde. »Natürlich nicht. Bettys Vater hat mir mitgeteilt, dass sein Ex-Schwiegersohn noch am Tag der geplanten Hochzeit mit seinem Trauzeugen nach Hawaii geflogen ist. Er ist also gar nicht verfügbar.«

»Aber ich bin nicht verheiratet. Ich habe ja noch nicht einmal einen Freund!«

»Das weiß ich doch.« Bernd schlug ein Bein über das andere und lehnte sich entspannt in seinem Kuhfellstuhl zurück. »Und deshalb darfst du dir bei Star Search einen Begleiter aussuchen.«

Star Search, das war die Künstleragentur, mit der wir zusammenarbeiteten. Nur mit Mühe unterdrückte ich ein Keuchen. Bernd musste den Verstand verloren haben! Zwar war ich derzeit die stellvertretende Ressortleiterin, aber Reisen fiel nicht in meinen Aufgabenbereich. Nicht mehr zumindest. Das war ja gerade das Tolle an dieser Position! Ich befahl, die anderen führten aus. Und ich hatte überhaupt kein schlechtes Gewissen deswegen. Schließlich war ich selbst lange genug exekutive Kraft gewesen.

»Das ist wirklich … wirklich ein ganz verlockendes Angebot«, stammelte ich. »Aber ich habe diese Woche furchtbar viel zu tun. Wer soll meine ganze Arbeit übernehmen? Und morgen habe ich ein ganz wichtiges Meeting. Außerdem kann ich im Gegensatz zu Betty und Jens weder reiten noch Golf spielen … Wellenreiten schon gar nicht. Und all diese Programmpunkte wolltest du unbedingt in die Reportage aufgenommen haben! Ich denke wirklich, es wäre besser, jemand anderen zu fragen.«

»Nina«, sagte Bernd geduldig, »du musst weder mein Handicap von achtzehn Schlägen übertreffen, noch einen Country Cross reiten. Du musst dich lediglich dabei fotografieren lassen, wie du einen Golfschläger in der Hand hältst und auf einem Pferd sitzt.«

»Und mich bei tosender Brandung auf ein Surfboard stellen«, warf ich ein. »Oder reicht das Ganze auch als Trockenübung am Strand?«

Bernd stieß einen tiefen Seufzer aus. »Das Surfen können wir meinetwegen streichen. Und Nina?«

»Ja.« Hoffnungsvoll sah ich ihn an.

»Mir ist klar, dass du im Grunde unabkömmlich bist. Leider bist du jedoch auch die Einzige, die so flexibel und unabhängig ist, dass sie von einem Tag auf den anderen alles stehen und liegen lassen und losfliegen kann. Ich kann wirklich nicht auf dich verzichten.«

Ich sackte in mich zusammen. Wie diskriminierend! Ich wurde dafür bestraft, dass ich weder Mann noch Kind hatte.

»Was ist mit Lieselotte?«, griff ich nach dem letzten Strohhalm. »Soweit ich weiß, ist die auch Single.«

Bernd schüttelte wortlos den Kopf, und ich musste ihm innerlich leider beipflichten. Mit ihren langen dünnen Zöpfen, den Birkenstocksandalen und ihren wallenden Kleidern passte unsere Ressortleiterin für Astrologie und Gesundheit schon allein optisch nicht zu dem Flitterwochen-Thema.

Ich gab auf. Hoffentlich zeigte diese Aktion Bernd wenigstens, dass nicht sein erklärter Liebling Betty, sondern ich die bessere Wahl für die vakante Ressortleiterinnenstelle war.

»Ich kann doch nicht einfach irgendein Model oder einen Schauspieler als meinen Ehemann ausgeben. Das ist … Das ist doch … Betrug am Leser«, sagte ich matt, nachdem ich mich wieder zurück ins Büro geschleppt hatte. Erst als ich drei Tassen schwarzen Kaffee in mich hineingekippt hatte, war ich wieder in der Lage, einigermaßen klar zu denken.

»Süße, deine hohen moralischen Ansprüche in allen Ehren, aber du arbeitest für ein Frauenmagazin. Bei uns ist nahezu alles gefaked.« Amelie hielt den türkisblau lackierten Nagel ihres Zeigefingers vor das grelle Orange ihres Hemdblusenkleides, als wolle sie überprüfen, ob der Kontrast wirklich so groß war wie erhofft. »Modeartikel und Kosmetika werden von mir empfohlen, weil die Firmen dafür bezahlen, neunzig Prozent der ganzen Promi-News sind erstunken und erlogen, und auch wenn Lieselotte immer behauptet, dass das menschliche Schicksal in den Sternen steht, wette ich, dass sie den Text für ihre Monatshoroskope einfach nur erfindet. Und das ist auch gar nicht schlimm. Die Leserin erwartet nichts anderes von uns.«

»Ich verstehe nicht, warum Bernd nicht darauf besteht, dass sich die Braut, die sich nicht traut, einen Ehemann bucht. Schließlich hat sie das Ganze verschuldet«, sagte ich mürrisch.

»Du hast doch selbst gesagt, dass sie heute Morgen bei Bernd angerufen und sich krankgemeldet hat.«

»Sie hat nicht angerufen. Es war ihr Vater.« Obwohl ich den Mann nicht kannte, war er mir unsympathisch.

»Du stellst dich wirklich an. Andere würden sich freuen, wenn sie für acht Tage nach Cornwall fliegen dürften und auch noch dafür bezahlt würden.«

»Mit einem fremden Mann.«

»Ja und?« Amelie verdrehte die Augen. »Es ist wirklich gut, wenn du mal rauskommst.«

»Momentan ist es ganz ungünstig. Ich habe so viel zu tun.«

»Du hast immer viel zu tun.«

»Diese Woche ist es ganz besonders viel.«

Amelie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. »Vielleicht könnte man Bernd die Tour auch als Single-Reise durch Cornwall verkaufen. Oder hast du damit auch ein Problem?«

Ja, das hatte ich. Single-Reise — wie peinlich! Außerdem fühlte ich mich dazu noch weniger in der Lage. Ich hatte es schon immer gehasst zu fliegen. Dieses Gefühl, keinen Boden unter den Füßen zu haben. Die Kontrolle vollkommen abgeben zu müssen … Ohne Begleitung würde ich meiner Angst noch hilfloser ausgeliefert sein. Außerdem war ich keine geübte Autofahrerin. Allein die Vorstellung, auf der linken Seite fahren zu müssen, trieb mir den Schweiß auf die Stirn.

»Wie soll ich das alles nur schaffen?«, jammerte ich. »Du weißt doch, dass ich mit Zeitdruck und Stress nicht zurechtkomme. Deshalb bereitete ich schließlich immer alles so gewissenhaft vor. Die Flüge müssen umgeschrieben werden, statt des Doppelzimmers brauche ich zwei Einzelzimmer. Es wäre gut, wenn ich vorher noch zum Friseur gehe, ein paar Kleider kaufe, die zu dem Cornwall-Thema passen. Ganz davon abgesehen, dass ich bei Star Search anrufen muss, um mir eine Liste aller verfügbaren Ehemänner schicken zu lassen. Und einen Frauenarzttermin habe ich in der Mittagspause auch noch.«

»Ich würde dir natürlich helfen. Die Flüge und die Hotels kann ich übernehmen. Und die Agentur auch. Mit Johnny, dem Agenten von Star Search, verstehe ich mich super. Er wird bestimmt ein paar heiße Typen für dich heraussuchen. Du könntest dich also ganz auf dein Styling, das Packen und den Arzttermin konzentrieren.« Amelie sah mich aus ihren braunen Augen treuherzig an.

Im Geist ging ich noch einmal hektisch meine Möglichkeiten durch:

1. Bernd gestehen, dass ich mich sowohl mit als auch ohne Begleitung außerstande sah, nach Cornwall zu reisen. Und somit mit ziemlicher Sicherheit meine Beförderung zur Ressortleiterin riskieren.

2. Bernd die Idee mit der Single-Reise schmackhaft machen — allein das Wort Single-Reise war allerdings schon so wahnsinnig deprimierend.

3. Einen gutaussehenden und kultivierten Begleiter aus einer Künstlerkartei buchen und mich von ihm durchs Rosamunde-Pilcher-Land kutschieren lassen.

War ich denn vollkommen verrückt geworden? Nüchtern betrachtet, war die Lösung doch offensichtlich!

Ich atmete tief ein und aus. »Na gut, ich mache es. Zumindest, wenn ich einen passenden Begleiter finde. Aber ich kann dir jetzt schon versichern, dass meine Ansprüche unheimlich hoch sein werden.«

2

Tom

»Wusste ich es doch, dass ich dich hier finde.« Johnny setzte sich neben mich auf die schmutzigen, nassen Stufen der Seebühne. Ich rechnete ihm diese Geste hoch an, denn anders als ich trug er keine abgewetzten Jeans und Turnschuhe, sondern eine dunkelblaue Hose, glänzende Lederhalbschuhe und ein weißes Hemd, das seine braune Haut noch dunkler aussehen ließ. Fuck! Er sah aus wie ein Konfirmand.

»Manche Dinge ändern sich wohl nie, Tom, was?«, sagte er mit einem Blick auf die Gitarre neben mir.

»Andere schon«, entgegnete ich. Damit meinte ich nicht nur seine spießige Kleidung, und dass er sich die Dreadlocks abrasiert hatte.

Johnny sah mich verdutzt an.

Ich sollte aufhören, so viel zu trinken. Alkohol verursachte bei mir nicht nur Kopfweh, sondern machte mich auch sentimental. Zumindest am Morgen danach. Und während der letzten Monate war so ziemlich jeder Morgen ein Morgen danach gewesen. Ich wurde langsam zu alt für solche nächtlichen Exzesse.

Dankbar griff ich nach dem Becher Kaffee, den Johnny mir reichte, und schweigend saßen wir ein paar Augenblicke nebeneinander. Es war kaum etwas los im Westpark. Nur ein paar Jogger und Spaziergänger mit Hund eilten an uns vorbei. Bei diesem Wetter und um diese Uhrzeit hatte niemand Lust, durch den nahegelegenen Rosengarten zu spazieren oder sich auf eine der vielen Parkbänke zu setzen.

Johnny und ich hatten uns schon mit fünfzehn immer beim Amphitheater im Westpark getroffen. Meist jedoch erst, wenn die Besucher bereits gegangen waren. Wir setzten uns zwischen Müll und Glasscherben auf den Boden und arbeiteten bis spät in die Nacht an neuen Stücken, die wir später mit der Band in unserem Proberaum im Keller von Johnnys Eltern einstudieren wollten. Und während sich Johnny brav um Punkt elf auf sein Fahrrad schwang und nach Hause radelte, blieb ich oft noch da, klimperte auf der Gitarre herum, rauchte, schaute in den Sternenhimmel … Gelegentlich schlief ich sogar ein und taumelte erst in den frühen Morgenstunden steifgefroren nach Hause. Ärger mit meinen Eltern gab es deswegen nie. Das Weltbild von Agathe Bergmann, Pianistin, und Karl Bergmann, Tenor an der Bayerischen Staatsoper, hatte ich bereits ein paar Jahre zuvor zum Einstürzen gebracht. Im siebten Schuljahr hatte ich mich nämlich geweigert, das Domspatzen-Internat in Regensburg zu besuchen. Ich wollte lieber nach der Schule mit meinen Kumpels Skateboard fahren oder Fußball spielen, anstatt mit einem Haufen Kastraten im Chor zu singen. Danach konnte meine Eltern nichts mehr erschüttern. Noch nicht einmal, dass ich kurz darauf die Gesangs- und die Klavierstunden sausen ließ, mir eine gebrauchte Gitarre kaufte und zusammen mit ein paar Klassenkameraden die Band Hedonism gründete. Immerhin hatten sie noch meine Schwester Elisa, auf die sie all ihre Hoffnungen setzen konnten. Meine Schwester war zwar heute ebenfalls weder Pianistin noch Opernsängerin, sondern arbeitete als Buchhändlerin, aber zumindest hatte sie während ihrer Ausbildung weder an einer Castingshow teilgenommen, noch war sie auf der Titelseite einer Boulevard-Zeitung als „Sex-Ferkel“ bezeichnet worden.

»Warum hast du die BRAVO mitgebracht?«, fragte Johnny.

»Hab ich mir gerade eben am Kiosk gekauft.« Ich hatte gar nicht bemerkt, dass die Zeitschrift noch immer aufgeschlagen auf meinen Knien lag. Kaum eine der Bands, die von dem Blatt gehyped wurde, war mir ein Begriff. Das war früher anders gewesen …

»Hast du in der letzten Zeit mal einen Blick hineingeworfen?«, fragte ich Johnny. »Wie jung die alle sind.«

»So jung wie wir damals.«

»Wir hatten immerhin schon Haare am Sack. Aber diese Jungs sehen nicht so aus, als wüssten sie, wozu sie ihre Pimmel alles benutzen können.« Ich wies auf das Foto einer fünfköpfigen Horde von Milchbubis, die ebenfalls aus München stammten, und die von dem Blatt als neue Teenie-Offenbarung gehypt wurden.

»Der hier«, Johnny grinste und zeigte auf den bärtigen Drummer, »hat immerhin schon Haare im Gesicht. So jung können die Jungs also gar nicht mehr sein. Das kommt dir nur so vor, weil wir mittlerweile alte Säcke sind.« Sein Grinsen verschwand so schnell, wie es gekommen war. »Gott, bin ich nervös.« Er rieb sich mit den Händen über das Gesicht. »Noch vor einer Woche habe ich gedacht, ich müsste auf ewig in dieser Klitsche versauern — und nun haben wir die Chance auf ein Comeback.«

Johnny arbeitete in der Künstler-Agentur Star Search. Ein Job, der ihm weder Spaß machte noch besonders viel Geld einbrachte. Ganz abgesehen davon, dass es bitter war, in einer Agentur zu arbeiten, von der man früher selbst vermittelt worden war. Aber das würde sich nun hoffentlich bald ändern.

Johnny warf einen Blick auf seine Uhr und stand auf.

»Ich bin gleich im Glockenbachviertel mit den Jungs verabredet. Wir wollen alle zusammen mittagessen, bevor wir den Vertrag mit dem neuen Management unterzeichnen. Kommst du mit?«

»Ich muss noch eine Klavierstunde geben.«

»Und so willst du da hingehen? Bist du heute Nacht überhaupt zu Hause gewesen?«

»Ist doch noch alles sauber, oder?« Ich öffnete meine Lederjacke und musterte das verwaschene graue Shirt, das ich darunter trug. »Riecht noch nicht einmal streng.«

»Trotzdem solltest du vorher zumindest mal duschen. Dass dich die Eltern deiner Schüler in diesem Aufzug überhaupt reinlassen…« Johnny verzog das Gesicht.

»Was sollen sie machen? Ihre Kinder lieben mich. Ich bin der Sohn von Agathe Bergmann. Und ich bringe Rockstar-Glamour in ihr Haus«, behauptete ich, obwohl ich mich alles andere als glamourös fühlte.

»Ich befürchte, die wollen lieber gepflegten Mozart-Charme.«

»Womöglich. Aber ein ungeduschter Bergmann ist in ihren Augen immer noch besser als gar kein Bergmann.« Weil ich keine Lust hatte, mir von Johnny noch länger eine Moralpredigt halten zu lassen, erhob ich mich ebenfalls. »Nimmst du mich mit? Ich muss in die Maxvorstadt.«

Johnny nickte, und ich folgte ihm zu seinem Auto, das nur wenige Meter hinter dem Rosengarten auf einem Parkplatz stand. Es war eine dieser spießigen, kastenförmigen Familienkutschen. Aber man kam mit ihr von A nach B, und das war mehr, als ich von dem schwarzen Maserati sagen konnte, den ich bis vor drei Jahren gefahren hatte, und der mittlerweile zerschreddert worden war. Gepresst war er bereits nach dem Unfall gewesen. Ich kippte den Rest meines Kaffees hinunter und zielte mit dem Pappbecher auf den Mülleimer, doch er prallte am Rand ab und landete auf dem Boden.

»Was sagt denn deine Frau dazu, dass du, wenn alles so läuft, wie wir uns das vorstellen, in den nächsten Monaten kaum zu Hause sein wirst?«, fragte ich Johnny, nachdem ich in seiner Spießerkarre Platz genommen hatte. »Hat sie keine Angst vor den Bunnys, die uns früher immer ihre Höschen auf die Bühne geworfen haben?«

Johnny lachte auf. »Träum weiter, Dude. Wir sind älter geworden, und die Bunnys sind es auch. Und ich glaube kaum, dass Frauen jenseits der Zwanzig immer noch mit Unterwäsche um sich schmeißen.«

»Aber das hoffe ich doch sehr«, entgegnete ich süffisant. »Warum sollten wir den ganzen Scheiß sonst noch einmal auf uns nehmen?«

Johnny hob die Augenbrauen. »Wegen dem Geld?!«

Mit seiner Frau Lena hatte er sich vor ein paar Monaten in einem Kaff zwischen München und dem Ammersee ein Haus gekauft, mit genug Platz für Mini-Hannah, ihre fünf Katzen und die Promenadenmischung, die die Familie Young aus ihrem letzten Italienurlaub mitgebracht hatte. Johnny war glücklich, glücklicher zumindest, als ich es war. Mit einer Frau, die aussah wie Eva Green, und einem zweijährigen Töchterchen, das mit seinem mäusezahnigen Lächeln sogar mein Herz zum Schmelzen brachte, war das auch keine Kunst. Nur die Kohle reichte bei ihm vorn und hinten nicht.

Ich badete auch nicht im Schotter — gerade war mir eingefallen, dass ich immer noch nicht die Miete vom letzten Monat überwiesen hatte —, aber ich musste mit den Klavierstunden, die meine Mutter mir immer wieder zuschusterte, auch nur mich selbst über Wasser halten. Und keine Familie.

»Und du? Hast du Luna schon gesagt, dass du vielleicht schon in drei Wochen im sonnigen Kalifornien sitzt und an neuen Songs arbeitest?«, wollte Johnny wissen.

Ich zuckte nur mit den Schultern. Sie wird es vermutlich gar nicht merken, wenn ich weg bin, wäre die korrekte Antwort auf diese Frage gewesen.

Ich fischte ein Päckchen Tabak aus meiner Jeanstasche und zündete den Joint an, den ich mir gerade gedreht hatte. Natürlich nicht ohne vorher die Scheibe von Johnnys porentief reiner Familienkarre herunterzulassen. Die Beziehung der Kunstgeschichtsstudentin Luna Cheyenne Brinkhorst und mir war auf dem absteigenden Ast. Wenn man von Beziehung überhaupt sprechen konnte. Luna und ich gingen weder zusammen essen noch ins Kino oder in Clubs, wir gingen nur miteinander ins Bett. Ich erzählte Luna nichts von meiner Angst, es erneut zu verkacken. Sie erzählte mir nichts von den Dämonen, die sie verfolgten, und die sie nur mit Koks in den Griff bekam. Wir benutzten einander. Und das schon seit Jahren. Sie mich, um ihrem Vater, dem Galeristen Piet Brinkhorst, zu zeigen, dass der goldene Käfig, in den er sein Töchterchen gesteckt hatte, zu eng für sie war. Ich sie, damit ich hin und wieder aus der winzigen Kammer, die sich meine Bleibe nannte, herauskam.

Lunas Vater hatte seiner Tochter eine Eigentumswohnung in Thalkirchen gekauft, die in allem so ziemlich das genaue Gegenteil von dem Loch war, in dem ich seit drei Jahren hauste. Diese Wohnung war der eine Grund, warum ich an der Beziehung zu Luna immer noch festhielt. Der andere war, dass ich mich mit ihr im Bett wenigstens ein bisschen weniger einsam fühlte.

Ich hielt Johnny den Joint hin — und obwohl er seit der Geburt seiner Tochter kaum noch Gras rauchte, nahm er einen tiefen Zug. Nachdenklich betrachtete er durch den Rauch das Tattoo auf der Innenseite seines Handgelenks. Sven, Alex, Johnny und ich hatten uns vor acht Jahren alle vier das gleiche Zeichen stechen lassen: das chinesische Symbol für Unbesiegbarkeit. Denn genauso hatten wir uns gefühlt in dieser Zeit.

»Vielleicht hätten wir es einfach bei dem belassen sollen, was wir hatten«, sagte Johnny. »Ich meine, uns ging es doch gut. In München kannte man uns. Wir hatten Auftritte, waren im Radio. Wenn wir noch ein Jahr länger durchgehalten hätten, wären wir vermutlich sogar für Festivals gebucht worden. Warum mussten wir an dieser beschissenen Casting-Show teilnehmen?«

»Weil wir den Jackpot wollten und uns drei Richtige nicht gereicht haben.«

»Aber du siehst ja, wo uns das hingeführt hat. Keiner von uns hat seine Ausbildung oder das Studium beendet. Deswegen habe ich jetzt kein Geld, um das kaputte Dach reparieren zu lassen, du gibst Klavierstunden, Sven verkauft Versicherungen und Alex sitzt in London und lässt sich von einer Unternehmensberaterin aushalten. Weißt du, ob er überhaupt arbeitet?«

»Von Alex habe ich schon ewig nichts mehr gehört.« Es war Johnny, der versucht hatte, die Risse zu kitten, als alles schon längst auseinandergebrochen war.

»Weißt du, was ich mich die ganze Zeit frage?«, sagte er und gab mir den Joint zurück.

»Was?«

»Ob ich mich noch einmal drauf einlassen würde, wenn ich wüsste, wie die ganze Sache ausgeht.«

»Ich würde es tun. Auf jeden Fall.«

»Bist du dir wirklich sicher?«, fragte Johnny, ohne den Blick von der Straße zu nehmen, und ich wusste, worauf er anspielte. Auf unseren Urlaub am Gardasee.

Ich zögerte einen Moment. »Ja«, sagte ich schließlich fest und schaute ebenfalls geradeaus. »Denn egal, was danach kam: Während der vier Jahre, in denen es funktionierte, hatten wir eine verdammt geile Zeit.«

Bis wir in der Schellingstraße ankamen, sprach keiner von uns ein Wort.

»Heute Morgen habe ich übrigens einen Job reinbekommen, der dich vielleicht interessiert«, durchbrach Johnny schließlich die Stille, nachdem er sein Auto am Straßenrand geparkt hatte. »Für ein Frauenmagazin. Eine Woche Cornwall. Zweitausend Euro, Kost und Logis frei. Du müsstest allerdings schon morgen los.« Er griff in seine Aktentasche und drückte mir ein Blatt Papier in die Hand. »Da du deine Mails nie abrufst, habe ich dir die Anfrage ausgedruckt.«

Zweitausend Euro. Die konnte ich in der Tat gut gebrauchen. Ich öffnete den Bogen — und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Hier steht, dass das Magazin ein männliches Model für einen Beitrag zum Thema Flitterwochen in Cornwall sucht. Bist du bescheuert? Sehe ich etwa wie der ideale Ehemann aus?«

»Zumindest hast du vor drei Jahren so ausgesehen. Und da du dein Profil bei der Agentur seitdem nicht mehr aktualisiert hast, stehen deine Chancen nicht schlecht.« Johnny grinste. »Deine Figur ist zwar nicht mehr ganz so knackig wie damals, aber zumindest an deinem Gesicht ist nichts, was eine XXL-Packung Rasierklingen nicht wieder in Schuss bringen könnte. Deshalb habe ich deine Sedcard zusammen mit ein paar anderen an die Redaktion weitergeleitet.«

»Ich habe dir schon hundertmal gesagt, dass du mich aus der Kartei rausnehmen sollst! Ich mache diese Jobs nicht mehr. Also vergiss es.« Ich knüllte den Ausdruck zusammen und warf ihn in hohem Bogen aus dem Fenster.

Aber Johnny zog ein weiteres Blatt Papier aus der Tasche. »Ich wusste, dass du so reagierst. Und deshalb habe ich das Ganze gleich zehnmal ausgedruckt. Lass es dir erst mal in Ruhe durch den Kopf gehen. Zweitausend Euro für eine Woche Cornwall! So leicht kommst du vielleicht nie wieder an so viel Geld.«

»Kennst du das Zeitschriften-Bunny, deren Ehemann ich mimen soll?«

Johnny nickte. »Amelie? Klar. Ich habe ihr schon ein paarmal Leute vermittelt. Sie ist total cool.« Er grinste und hob den Daumen.

3

Nina

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich es jemals bereut hätte, mich im Wartezimmer einer Arztpraxis gegen die Süddeutsche und für die Gala entschieden zu haben. Natürlich wäre es sinnvoll, sich mehr für Politik und Wirtschaft als für die Beziehungsprobleme zwischen Heidi Klum und Vito Schnabel zu interessieren. Zumindest wäre es dann nicht ganz so überraschend für mich gewesen, als ich irgendwann im Jahr 2014 erfuhr, dass Deutschland seit 2012 einen neuen Bundespräsidenten hat. Aber bis jetzt war mir meine Vorliebe für leichte Lektüre noch nie zum Verhängnis geworden. Außerdem war es mein Job, mich neben dem Thema Reisen auch für Mode, Kosmetik und Star-News zu interessieren. Schließlich arbeitete ich für ein Frauenmagazin und nicht für den Focus oder den Spiegel.

Natürlich hätte es schlimmer kommen können. Zumindest, wenn ich anstatt zur Gala zu der nur halb so großen Glamour gegriffen hätte. Abgesehen davon fiel mir jedoch nichts ein, was das Szenario, dem ich mich seit Minuten ausgesetzt sah, in irgendeiner Form hätte übertreffen können: Ich saß im Wartezimmer meiner Frauenärztin und wartete darauf, dass die Sprechstundenhilfe mir ein Anschlussrezept für die Pille aushändigte. Und elf Stühle weiter saß Lilly, die rothaarige, rundliche, immer widerlich gut gelaunte Schwester meiner besten Freundinnen Fee und Mia. Und neben ihr saß Jakob, der Mann, der — abgesehen von der vielen Arbeit, die ich hatte — daran schuld war, dass ich die letzten anderthalb Jahre auch ganz wunderbar ohne meinen allmorgendlichen Hormoncocktail ausgekommen wäre. Und anstatt lässig zu nicken und zu sagen »Lange nicht gesehen, Lilly. Was für ein Zufall, dass wir zu derselben Frauenärztin gehen« oder »Ist das nicht verrückt! Jetzt kennt uns nicht nur Jakob, sondern auch Frau Dr. Wende in- und auswendig«, versteckte ich mich hinter meiner Zeitschrift.

Zum Glück war das Wartezimmer wie immer bis fast auf den letzten Platz besetzt, sodass ich die berechtigte Hoffnung hegte, unbeschadet aus der Nummer herauszukommen.

Vorsichtig linste ich über den Rand der Gala – noch etwas, das dafür sprach, in Zukunft nach der Süddeutschen zu greifen: In die hätte ich nämlich ein Guckloch pulen können — aber was ich sah, sorgte dafür, dass ich die Zeitschrift unverzüglich wieder anhob: Jakob flüsterte Lilly etwas ins Ohr und legte seine Hand zärtlich auf ihren Bauch, der so groß war, dass er ihre Jeanslatzhose fast zum Platzen brachte. Sie lachte leise auf, nahm sein Gesicht in ihre Hände und küsste ihn auf die Nasenspitze.

Igitt!

»Frau Winter!«

Ich schrak zusammen, schaffte es jedoch geistesgegenwärtig, die Zeitschrift weiterhin wie ein Schutzschild vor mein Gesicht zu halten.

»Frau Winter!«, wiederholte die Sprechstundenhilfe, dieses Mal nachdrücklicher, und blickte sich über den Rand ihrer roten Hornbrille suchend um.

Ohne die Gala auch nur einen Millimeter sinken zu lassen, hob ich die Hand.

»Hier.«

Die schwangere Mutter zu meiner Rechten hörte auf, ihrer Tochter aus einem Bilderbuch vorzulesen, und sah mich befremdet an. Aber das war mir vollkommen gleichgültig, denn endlich hatte mich die Sprechstundenhilfe wahrgenommen.

»Da sind Sie ja«, polterte sie und reichte mir das Rezept. Erfreulicherweise waren Lilly und Jakob weiterhin mehr miteinander als mit ihren Mitmenschen beschäftigt. Lange würden meine Arme diese ungewohnte Belastung nämlich nicht mehr aushalten. Und auf die Toilette musste ich auch. Aber bevor die beiden nicht aufgerufen wurden, traute ich mich nicht, das Wartezimmer zu verlassen. Natürlich hätte ich die Gala von mir werfen und so schnell wie möglich hinausrasen können, doch bei meiner momentanen Pechsträhne wäre ich spätestens an der Türschwelle mit einer anderen Patientin zusammengestoßen oder über einen der herumliegenden Bauklötze gestolpert.

Meine Gebete wurden erhört, denn nur wenige Minuten später erschien die resolute Sprechstundenhilfe erneut. »Frau Baum.«

Ich atmete auf, denn im Gegensatz zu mir folgte Lilly ihrer Anweisung unverzüglich und stand schwerfällig auf. Bedauerlicherweise jedoch nur sie. Jakob machte keine Anstalten, sich zu erheben.

Verärgert biss ich mir auf die Unterlippe. Wollte er die Frucht seiner Lenden denn nicht auf dem Ultraschallgerät bewundern? Anscheinend nicht. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und schlug ein Bein über das andere.

Mit einem leisen Seufzen beobachte ich, wie seine kräftigen gebräunten Finger über das Display des Geräts strichen. Diese Finger, die mich bis vor anderthalb Jahren berührt hatten. An jeder Stelle meines Körpers. Ich merkte, dass die Zeitschrift in meiner Hand zu zittern begann. Und obwohl ich davon überzeugt gewesen war, mir Jakob bereits vor Monaten aus dem Kopf geschlagen zu haben, war mir auf einmal nach Weinen zumute. Die kleine Narbe an seinem Kinn, das Tattoo auf der Innenseite seines Unterarms, das Brustwarzenpiercing, das sich unter seinem engen Shirt deutlich abzeichnete, all das war mir schmerzlich vertraut. Tränen stiegen mir in die Augen, und ich schaffte es nicht, sie wegzublinzeln. Nicht einmal ein Papiertaschentuch konnte ich mir aus der Handtasche holen, ohne diese dämliche Zeitschrift abzulegen. Ich zog wenig damenhaft die Nase hoch.

»Frau Weber!«

Die Frau neben mir setzte ihre Tochter auf den Boden und stand auf, was dem kleinen Mädchen überhaupt nicht gefiel, denn es klammerte sich an den Beinen der Mutter fest.

»Auf, auf!«, jammerte es und streckte die Ärmchen nach oben. Einige der Frauen im Wartezimmer blickten in unsere Richtung.

Nimm das Kind hoch!

»Marie-Christin, du weißt doch, dass die Mama dich nicht mehr tragen darf«, sagte die Frau streng und hob mahnend den Zeigefinger.

Marie-Christins rosiges Gesicht nahm die Farbe einer reifen Erdbeere an, sie ballte die Fäustchen, ihr kleiner Mund öffnete sich, und sie setzte zu einem ohrenbetäubenden Geschrei an.

»Auf, auf!«, kreischte sie immer wieder.

Und obwohl ich die Gala mittlerweile so dicht vor mein Gesicht hielt, dass ich mit der Nasenspitze fast das Papier berührte, wusste ich, dass die Blicke aller Wartenden in meine Richtung gingen.

Phantastisch! Bis vor wenigen Sekunden hatte ich Kinder noch gemocht.

Erst nachdem Marie-Christin von ihrer Mutter an der Hand aus dem Wartezimmer geschleift worden war, schaffte ich es, meine verkrampften Finger ein wenig zu entspannen. Doch nur kurz.

»Hey!« Ein paar gelbe Chucks traten in mein Blickfeld und, als ich schicksalsergeben den Kopf hob, schaute ich in Jakobs braune Augen.

Er lächelte mich an. »Ich hab mir vorhin schon gedacht, dass mir diese Locken bekannt vorkommen.«

Ich lasse mir die Haare abschneiden. Ganz kurz. Oder färben. Am besten beides.

»Jakob! Das ist ja eine Überraschung. Du beim Frauenarzt?«

Er nickte. »Darf ich mich neben dich setzen?«

Nein. »Natürlich.« Ich machte eine auffordernde Handbewegung in Richtung des frei gewordenen Stuhls.

»Lilly hat einen Termin«, erklärte er, nachdem er neben mir Platz genommen hatte.

»Ach! Und du begleitest sie. Wie nett! Ich war so in meine Zeitschrift vertieft, dass ich euch gar nicht bemerkt habe.« Zumindest konnte ich die nun endlich herunternehmen. Meine Arme waren schon ganz taub.

Jakob warf einen Blick auf den aufgeschlagenen Artikel, und sein Gesicht nahm einen belustigten Ausdruck an.

Frau Geiss hat Geburtstag … Wie viel an Carmen wird wirklich fünfzig?, prangte in übergroßer Schrift über einem Bild der blonden, vollbusigen Frau im Leoparden-Bikini.

Na, herzlichen Glückwunsch!

Jakob beugte sich vor und stützte sich mit den Unterarmen auf seinen Knien ab. »Wie geht es dir?«

Hervorragend. Ich wohne wieder bei meiner Mutter, ich bin Single, du wirst Vater. Danke der Nachfrage! Bei dir auch alles klar?

»Könnte nicht besser sein.« Ich räusperte mich.

»Ich habe gehört, dass du wieder in München wohnst.«

»Ja, seit einiger Zeit schon.«

»Hat es dir in Paris nicht mehr gefallen?«

»Doch, natürlich. Paris ist wundervoll.« Ich knetete nervös meine Hände. »Aber Philippe, mein Vater … Du weißt ja, wie er ist. Die Wohnung hat ihm gehört, ich habe in seinem Verlag gearbeitet … Es ist besser, wenn ich finanziell unabhängig von ihm bin. Und es war nie mein Traumberuf, Reiseführer zu redigieren. Jetzt arbeite ich für eine Frauenzeitschrift. Die Luisa.«

»Die Arbeit gefällt dir?«

Geht so. »Ja, macht total Spaß.«

»Ist dein Vater noch mit Miss Venezuela zusammen?«

Ich rang mir ein Lächeln ab. »Die beiden haben doch erst vor zwei Jahren geheiratet. So schnell schafft es nicht einmal Philippe, eine Ehe an die Wand zu fahren.« Für gewöhnlich brauchte er dazu zwischen drei und fünf Jahren. Zumindest war das der bisherige Schnitt.

Jakob fixierte einige Augenblicke einen unbestimmten Punkt auf der weißen Wand vor ihm. Unsere Beine waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, und ich musste mich zwingen, eine Berührung nicht absichtlich herbeizuführen. Nur einmal noch seine Nähe spüren, durch sein dunkles Haar streichen, in seinen Armen liegen und mich geborgen fühlen …

Jakob drehte sich wieder in meine Richtung, und ertappt wandte ich den Blick ab.

»Nina!«

»Ja«, murmelte ich in Richtung Fußboden.

»Ich weiß, dass das hier ein absolut unpassender Ort dafür ist«, zerschnitten seine Worte leise die Stille zwischen uns, und ich hob den Kopf, öffnete erwartungsvoll die Lippen, »aber ich wollte dir sagen, dass ich mich dir gegenüber anders verhalten hätte, wenn ich gewusst hätte …« Er rieb sich das Kinn. »Ach, Scheiße! Ich bin nicht gut in sowas.«

Wenn ich gewusst hätte, was du für mich empfindest, oder so etwas Ähnliches hatte er sagen wollen. Und obwohl er diese Worte nicht ausgesprochen hatte, drangen sie mir wie spitze Dornen unter die Haut. Was hatte ich auch erwartet? Dass er mir sagte, er könne mich nicht vergessen und würde seine schwangere Freundin sitzen lassen, um mit mir nach Neuseeland auszuwandern?

Ach, Mann! Ich war überhaupt nicht über ihn hinweg. Nach all der Zeit und trotz all meines Bemühens war ich es immer noch nicht. Alle möglichen Bereiche meines Lebens konnte ich kontrollieren, nur mein Herz stellte sich quer. Die Liebe ist ein Arschloch.

Glücklicherweise ersparte mir Lillys Eintreten eine Fortführung unseres Gesprächs. Als sie Jakob und mich zusammen sah, weiteten sich ihre runden Augen.

»Nina!«, sagte sie unsicher und presste die Hände auf ihren Babybauch. Dann wandte sie sich an ihren Freund. »Ich bin jetzt mit der Untersuchung fürs Labor fertig. Wir können gleich zur Ärztin rein.« Ihre Stimme klang spröde.

Jakob stand auf und hob unbeholfen die Hand. »Ja … also … war schön, dich mal wieder getroffen zu haben, Nina. Bis bald!«

Hoffentlich nicht!

Ich wartete noch einige Augenblicke, bis ich mir ganz sicher sein konnte, vor dem Wartezimmer nicht mehr auf Lilly und Jakob zu treffen, und stand dann auf. Entschlossen machte ich mich auf den Weg zum Ausgang. Ich hatte Jakob lange genug hinterhergetrauert. Aber jetzt war Schluss damit. Amelie würde mir gleich eine Auswahl möglicher Reisebegleiter präsentieren, und ich würde mir den heißesten von ihnen aussuchen und ein paar richtig tolle Tage mit ihm verbringen. Ja, genau das würde ich tun!

Tom

»Fis, Stevie. Nicht F. Vor der Note steht ein Kreuz.« Ich hämmerte mit dem Zeigefinger auf die Tastatur des Flügels ein. »Irgendwann muss das doch in deinen hohlen Schädel.«

Stevie schob trotzig seine Unterlippe vor. »Wenn du mich weiter beleidigst, werde ich meinen Eltern sagen, dass du eine Fahne hast.«

»Mach doch. Dann bin ich dich endlich los«, erwiderte ich ungerührt, kramte aber zur Sicherheit in meiner Hosentasche nach einem weiteren Kaugummi. »Vielleicht hast du Glück und bekommst eine schicke Blondine als Ersatz. Vermutlich hast du aber genauso großes Pech wie ich in deinem Alter, und deine neue Klavierlehrerin ist alt und grau und hat einen Arsch wie ein Nilpferd.«

»Ich bin blind. Schon vergessen?« Stevie feixte. »Mir brauchst du mit solchen Äußerlichkeiten nicht zu drohen.«

Stimmt! Der kleine Mistkerl konnte nichts sehen. Schon krass, dass Dinge, die bei einer ersten Begegnung noch ein Riesenthema sind, irgendwann überhaupt keine Bedeutung mehr haben. In der Oberstufe hatte unsere Ethiklehrerin Johnny gefragt, ob er schon einmal wegen seiner Hautfarbe diskriminiert worden sei. Und ich hatte in diesem Augenblick nur gedacht: Fuck! Der Kerl ist ja schwarz.

»Hat deine Klavierlehrerin eigentlich wirklich so ausgesehen, oder willst du mir nur Angst machen?«, wollte Stevie wissen.

So ganz wirkungslos schien meine Drohung also nicht gewesen zu sein.

»Die erste schon. Außerdem hat sie mir bei jeder falschen Note mit ihrem Taktstock auf die Finger geschlagen.«

»Du foppst mich.«

Du foppst mich! Ich musste mir das Lachen verkneifen. Man merkte wirklich, dass Stevie von einem Hauslehrer unterrichtet wurde und nicht allzu oft mit Gleichaltrigen zusammenkam.

»Warum sollte ich?«, sagte ich, so ernst es mir möglich war. »Und ihre Methode war ja anscheinend wirkungsvoll. Würde ich sonst hier sitzen und solche Wunderkinder wie dich unterrichten?«

Die Ironie prallte an ihm ab. »Hast du es deinen Eltern gesagt?«

»Klar, aber von meiner Mutter hatte die Alte ja die Anweisung bekommen.«

Der Junge kniff die Lippen zusammen und wusste ganz offensichtlich nicht, was er auf diese Enthüllung erwidern sollte. Er selbst wurde von seinen Eltern behütet wie der Heilige Gral. Vermutlich war es für ihn eine Art Kulturschock zu hören, dass in anderen Familien rauere Sitten herrschten.

»Aber ich wurde hinreichend entschädigt«, fügte ich hinzu, bevor Stevie seinen Glauben an das Gute im Menschen endgültig verlor. »Irgendwann war sie so tatterig, dass sie den Taktstock nicht mehr halten konnte, und ich bekam eine neue Lehrerin. Und die war Mitte dreißig, blond, mit riesigen Möpsen, und hat mir den ersten feuchten Traum meines Lebens beschert.«

Stevie krauste die Nase. »Ich glaube nicht, dass du so mit mir reden solltest. Ich bin schließlich erst zwölf.«

Auch das vergaß ich immer wieder. Das kam davon, dass der Junge immer so altklug daherredete.

»Aber was ein feuchter Traum ist, weißt du.«

Stevie wurde rot.

Ha! Hätte mich auch gewundert. Ich hatte meinen ersten schließlich auch schon mit elf gehabt.

»Lass uns weitermachen.« Ich klopfte ihm auf die Schulter.

Er war schon gestraft genug. Nicht nur, dass er blind wie ein Maulwurf war, Stevie hieß mit gebürtigem Namen auch noch Alfred. Nach seinem Urgroßvater väterlicherseits. Der arme Kerl! Im Zeitalter von Leons, Yannicks und Finns grenzte es schon fast an Körperverletzung, sein Kind nach lange verstorbenen Verwandten zu nennen. Also rief ich ihn Stevie. Nach Stevie Wonder. Erstens, das lag ja wohl auf der Hand, und zweitens, weil er — auch wenn ich das vor ihm nie zugeben würde — tatsächlich ein gewisses Potential besaß.

Mich wunderte es, dass meine Mutter dieses Potential nicht erkannt und ihn an mich weitergereicht hatte. Schließlich gönnte sie sich den Luxus, nur besonders talentierte Schüler zu unterrichten. Wobei … höchstwahrscheinlich hatte sie einfach keine Lust darauf gehabt, sich ihren genialen Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie jemand, der keine Noten sehen konnte, eben diese beibringen sollte. Aber das war es ja gerade, was die Arbeit mit Stevie ausmachte: Anders als die anderen talentbefreiten Holzköpfe aus reichem Haus, mit denen ich mich den ganzen Tag herumschlagen musste, war er auf Noten nicht angewiesen.

»Noch einen Kaffee, Tom?«

Stevies Mutter hatte mit einem Tablett in den Händen das Zimmer betreten. Ich sollte sie Vivian nennen, was ich sehr gerne tat, denn für ihr Alter war sie wirklich gut in Schuss. Halblange dunkle Haare, nette Figur, solider B-Cup. Außerdem wurde ich den Verdacht nicht los, dass ihre Röcke bei jedem meiner Besuche ein paar Millimeter kürzer und figurbetonter wurden. Angefangen hatte unsere Bekanntschaft mit so einem knöchellangen Flatterding. Der Rock, den sie heute trug, reichte nur noch bis oberhalb der Knie und war so eng, dass sie nur dank des langen Schlitzes an seiner Rückseite darin herumstöckeln konnte. Wenn hier nicht nur der Wunsch Vater meiner Gedanken war, war Mutter Vivian entweder mit ähnlicher Blindheit geschlagen wie ihr Sohn, oder sie hatte einen ziemlich seltsamen Geschmack. Denn da ich mich seit Monaten nicht mehr rasiert hatte, sah ich inzwischen so wüst aus, dass es fraglich war, ob ich es noch schaffen würde, ohne zusätzliche Sicherheitskontrollen außer Landes zu kommen.

Ich nickte und setzte meinen artigsten Gesichtsausdruck auf. »Ein Kaffee wäre wunderbar, Vivian.«

Sie schenkte mir ein strahlendes Lächeln, und als sie das Tablett mit dem heißen Getränk vor mir abstellte, beugte sie sich weit nach vorne.

Ich schien es immer noch draufzuhaben.