4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €
Der Winter am Meer kann so romantisch sein! Schnee glitzert auf dem hellen Sandstrand, und die heranrollenden Nordseewellen spülen alle Sorgen weg. In der Theorie zumindest, denn Sorgen hat Svantje genug. In ihrer Ladenkasse herrscht Ebbe, weil im Winter die Touristen ausbleiben, um hübsche Souvenirs vom Meer zu kaufen. Und dann schlittert sie wegen einer Unachtsamkeit auch noch mit dem Auto in einen Graben! Zum Glück taucht ein charmanter Helfer auf. Als Svantje sich mit einer Einladung in ihr kleines Café bedanken will, zeigt Nils sich abweisend. Na gut, dann eben nicht! Auf ein unverbindliches Techtelmechtel mit jemandem, den nur eine Stippvisite auf die Insel verschlagen hat, kann sie sowieso verzichten. Bei einer Lesenacht im Leuchtturm kommen sie sich näher, aber Svantje hat Angst sich auf Nils einzulassen, weil sie weiß, dass Nils nicht bleiben wird. Oder doch?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
INSELKÜSSE & STRANDKORBGLÜCK
BUCH FÜNF
Copyright © 2024 by Karin Lindberg
All rights reserved.
Lektorat Dorothea Kenneweg
Korrektorat Ruth Pöß
Covergestaltung Catrin Rausch
No part of this book may be reproduced in any form or by any electronic or mechanical means, including information storage and retrieval systems, without written permission from the author, except for the use of brief quotations in a book review.
Karin Baldvinsson
Am Petersberg 6a
21407 Deutsch Evern
Weitere Informationen unter www.karinlindberg.info.
Auf meiner Website könnt ihr den kostenlosen Newsletter abonnieren.
Klappentext Schneeglitzernd verliebt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Epilog
Hol dir dein Geschenk
Mehr aus Notrum von Karin Könicke
Mehr aus Nortrum von Lotte Römer
Über die Autorin
Der Winter am Meer kann so romantisch sein! Schnee glitzert auf dem hellen Sandstrand, und die heranrollenden Nordseewellen spülen alle Sorgen weg. In der Theorie zumindest, denn Sorgen hat Svantje genug. In ihrer Ladenkasse herrscht Ebbe, weil im Winter die Touristen ausbleiben, um hübsche Souvenirs vom Meer zu kaufen. Und dann schlittert sie wegen einer Unachtsamkeit auch noch mit dem Auto in einen Graben! Zum Glück taucht ein charmanter Helfer auf.
Als Svantje sich mit einer Einladung in ihr kleines Café bedanken will, zeigt Nils sich abweisend. Na gut, dann eben nicht! Auf ein unverbindliches Techtelmechtel mit jemandem, den nur eine Stippvisite auf die Insel verschlagen hat, kann sie sowieso verzichten.
Bei einer Lesenacht im Leuchtturm kommen sie sich näher, aber Svantje hat Angst sich auf Nils einzulassen, weil sie weiß, dass Nils nicht bleiben wird. Oder doch?
Entweder die oder keine! Ich musste mich schnell entscheiden, denn es war die letzte Fähre, ehe der Betrieb wegen des schlechten Wetters eingestellt wurde. Obwohl ich nun schon seit einigen Jahren auf einer kleinen Nordseeinsel lebte, war bislang keine große Seefahrerin aus mir geworden. Mir war gerade sogar recht mulmig zumute, aber wenn ich jetzt nicht mit meinem kleinen Lieferwagen an Bord fuhr, musste ich mehrere Nächte auf dem Festland verbringen. Gott allein wusste, wie lange dieser Herbststurm dauern würde. Eisiger Wind blies von überall her, und dicke Regentropfen prasselten vom Himmel. Kein Wunder – im November war das Wetter unberechenbar. Letztes Jahr hatten wir zu Allerheiligen strahlenden Sonnenschein und fünfzehn Grad gehabt, heute lag die Temperatur bei gefühlten minus zwölf Grad. Ich hatte allerdings mehr Bammel vor dem Seegang, die Wellen konnten sich bei einem Sturm in der Nordsee meterhoch auftürmen. Ich würde die schaukelige Überfahrt nach Nortrum schon überleben – das hoffte ich zumindest. Irgendwo, ganz tief in mir drin, schlummerten Urängste, die ich jetzt überwinden musste. Es war bereits dunkel, das Neonlicht am Hafen und auf der Fähre verpasste dem Szenario einen gruseligen Touch. Ich hatte nichts gegen einen guten Thriller, aber nicht, wenn ich die Hauptrolle darin spielte.
Um mich abzulenken, verlor ich mich in den Erinnerungen an die wunderbaren Weihnachtsartikel, die ich mir während meiner Tour aufs Festland angeschaut hatte. Inspirationen für meinen Laden hatte ich jetzt mehr als genug und auch weitere Ideen, um in meinem Café eine gemütliche Adventsstimmung zu zaubern, die ich gleich morgen umsetzen wollte. Ich konnte nie genug bekommen von stilvollen Dekoelementen – schon gar nicht zu Weihnachten. Deshalb hatte ich mein Hobby, entgegen aller gut gemeinten Ratschläge, vor ein paar Jahren auch zum Beruf gemacht.
Zum Nachdenken blieb mir zum Glück keine Zeit, denn die Autoschlange fing an zu rollen. Es waren nicht viele Fahrzeuge, denn Nortrum war eine autofreie Insel, nur Leute mit einer Sondergenehmigung – wie ich wegen meines Ladens – durften motorisiert anreisen. Ich startete den Motor meines Caddies und fuhr den anderen in meiner Spur hinterher.
»Jetzt stell dich nicht so an«, sprach ich mir Mut zu. Ein Zurück gab es ohnehin nicht mehr. Und natürlich würde ich die Stunde auf dem Schiff überstehen, auch wenn mein Herzrasen mir gerade etwas anderes signalisieren wollte. Es war nicht das erste Mal, dass ich diese Tour mit der Fähre zurücklegte. Das gehörte dazu, wenn man auf einer Insel wohnte. Im Sommer mochte ich es sogar, gemächlich rüberzuschippern und mir eine leichte Brise durch die Haare wehen zu lassen. Aber bei schlechtem Wetter war und blieb ich eine Landratte, da konnte ich mir einfach nichts schönreden. Meine Finger waren schwitzig, und ich atmete flach, während ich den Wagen über die Laderampe steuerte. Nachdem ich die Handbremse angezogen und den Motor abgestellt hatte, stieg ich aus und stakste mit weichen Knien die Treppen hinauf in den Fahrgastraum.
Es waren nicht viele Leute an Bord, verständlicherweise, denn freiwillig kam bei dem Sauwetter kaum jemand nach Nortrum. Im Sommer sah das anders aus, da musste man zu den beliebtesten Überfahrtszeiten lange im Voraus ein Ticket buchen.
Ich suchte mir ein Plätzchen ganz vorne, um das Meer im Blick behalten zu können. Weil die Deckenlichter noch auf voller Stärke brannten, sah ich derzeit jedoch nur mein eigenes Spiegelbild in den Fensterscheiben. Unter meinen Augen lagen dunkle Ringe, mein blondes Haar war von dem böigen Wind zerzaust und hing mir nach dem Regenschauer strähnig um das Gesicht. Zum Glück hatte ich heute nichts mehr vor – außer heil nach Hause zu kommen.
Die Fähre ruckelte, und eine Durchsage machte mich darauf aufmerksam, dass es losging. Kurz überlegte ich, ob ich mir einen Tee kaufen sollte, um mich an dem Becher festhalten zu können, aber ließ es sein. Man wusste ja nie, wie schaukelig es noch wurde.
Eine Gänsehaut kroch an meiner Wirbelsäule entlang. Kurz fragte ich mich, ob ich nicht doch lieber an Land hätte bleiben sollen, aber ich ließ diesen Gedanken vorüberziehen. Es war jetzt sowieso zu spät dafür, und ich sehnte mich danach, in meinem eigenen Bett zu schlafen. Deshalb versuchte ich mich mit logischen Argumenten zu beruhigen. Wenn es gefährlich wäre, hätte man den Fährbetrieb bereits eingestellt. Da das nicht der Fall war, konnte ich mich entspannen.
Das war natürlich leichter gesagt als getan. Glücklicherweise erinnerte ich mich an eine bestimmte Atemtechnik, die ich bei einem Yoga-Kurs erlernt hatte. Ich zählte beim Einatmen bis acht, hielt die Luft kurz an und zählte beim Ausatmen wieder bis acht. So hatte ich wenigstens etwas zu tun, und es beruhigte mich tatsächlich ein bisschen.
Kurz schloss ich meine Augen und lehnte mich im Sitz zurück. Etwas von der Anspannung fiel von mir ab. Erst jetzt fiel mir auf, wie müde ich war – die letzten Tage waren anstrengend gewesen. Zuerst hatte Linus eine üble Erkältung mit hohem Fieber gehabt, und dann waren die üblichen Termine, Probleme und Aufgaben einer selbstständigen Ladenbetreiberin auf mich eingeprasselt. Heute war ich unter anderem auf dem Festland gewesen, um mit einer Tee-Manufaktur über die neuen Preise und mit einem Dekohersteller über bessere Konditionen für mich zu sprechen. Leider war ich nicht erfolgreich gewesen, man war mir keinen Schritt entgegengekommen. Alles in allem war mein Leben derzeit anstrengend, jeder Tag bot eine neue Herausforderung. Einfach irgendwo zu sitzen, so wie jetzt, konnte ich mir normalerweise nicht erlauben. Ich gähnte und merkte, dass meine übertriebene Panik glücklicherweise abgeflacht war und einer angenehmen Müdigkeit Platz gemacht hatte. Ich spürte, wie ich langsam wegdämmerte.
Als ich das nächste Mal aufwachte, war mir speiübel. Mein Magen fühlte sich an, als hätte ich eine Magen-Darm-Grippe.
Mist!
Daran hätte ich denken sollen. Es war natürlich kein Virus: Ich war schlicht nicht seefest. Das Boot wankte, die hohen Wellen auf offener See waren nun sehr deutlich zu spüren. Ich setzte mich kerzengerade auf, kämpfte gegen den aufsteigenden Brechreiz und atmete flach. Kalter Schweiß brach auf meiner Stirn aus. Verdammt. Ich hätte die Augen gar nicht erst schließen dürfen, das war die wichtigste Regel bei einem schwachen Magen auf See.
Zwei Stühle entfernt von mir setzte sich ein Pärchen mit Tupperdosen in den Händen. Als sie die Deckel öffneten, wehte ein Hauch von gekochten Eiern zu mir herüber.
Das war der berühmte Tropfen.
Ich sprang auf und hielt mir die Hand vor den Mund, ich war kurz davor, mich zu übergeben.
»Sie ist vielleicht schwanger«, hörte ich die Frau zu ihrem Mann sagen, während ich an ihnen vorbeirannte.
Von wem denn!?, wollte ich rufen, ich bin nicht die Jungfrau Maria! Ich verkniff es mir, aber nur, weil ich die beiden ansonsten mit meinem Mageninhalt überschüttet hätte.
Gut, dass ich mich auf der Fähre auskannte, sonst wäre ein peinlicher Auftritt nicht mehr zu verhindern gewesen. Ich rannte die Treppe hinauf und stürmte aufs Deck. Endlich frische Luft!
Vielleicht war es keine grandiose Idee, mich bei dem höllischen Wind draußen aufzuhalten, aber derzeit die einzige Alternative zur Kloschüssel. Aus Erfahrung wusste ich, dass ich für die restliche Überfahrt nicht mehr aus den engen Toilettenräumen herauskommen würde, wenn ich dem Brechreiz einmal nachgegeben hatte.
Tatsächlich beruhigte sich mein Magen augenblicklich, nachdem ich die kühle Luft für ein paar Minuten tief eingeatmet hatte. Dafür war mein Gesicht ebenso schnell eingefroren. Mich weiter als wenige Schritte von der Tür zu entfernen, traute ich mich nicht, ich war ja nicht lebensmüde. Die Fähre wurde hin- und hergeschaukelt wie ein Plastikentchen im Wellenbad. Ich konnte trotz der Beleuchtung nicht viel in der tiefschwarzen Nacht erkennen, was mich nicht gerade beruhigte.
Der Gedanke, dass es nicht so schlimm sein konnte, wenn das Deck für Passagiere nicht gesperrt worden war, half ein wenig, nicht gleich wieder panisch zu werden. Doch was schlechtes Wetter auf See betraf, war ich einfach ein Hasenfuß, das war und blieb Fakt.
Ich schlang die Arme um meinen Körper und schloss die Lider für einen Moment. Das stetige Schaukeln des Schiffes vermischte sich mit dem pfeifenden Wind und dem Dröhnen des Dieselmotors.
Pest oder Cholera – Erfrieren oder Übergeben. Ich wählte den Kältetod und blieb draußen, aber schon nach ein paar Minuten war ich mir nicht mehr sicher, ob es die richtige Entscheidung gewesen war. Mir war eiskalt.
Während ich mit meinem Schicksal haderte, dachte ich an den Kommentar der Frau mit dem Eiersalat zurück. Irgendwie hatte sie mich mit ihrer Bemerkung traurig und auch wütend gemacht. Von außen betrachtet mochte es so aussehen, als müsste ich mit meinem Leben glücklich und zufrieden sein. Im Großen und Ganzen stimmte das auch, ich liebte das beschauliche Tun auf der Insel. Ich hatte mir meinen Laden mit dem Café so eingerichtet, wie ich es mir immer gewünscht hatte, und ich lebte mit meinem kleinen Sohn in dem hübschen reetgedeckten Haus. Das war alles so idyllisch wie im Bilderbuch. Nur eines fehlte: Insgeheim wünschte ich mir einen Mann an meiner Seite. Eine Beziehung, in der ich Liebe und Nähe erfuhr. Was das betraf, lebte ich in der Antarktis. So ein Inselwinter konnte verdammt lang werden – und wir hatten erst November. Das war nicht gerade hilfreich in puncto Optimismus. Von einer Schwangerschaft war ich aus Mangel an Möglichkeiten in etwa eine Galaxie weit entfernt. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, wann genau ich das letzte Mal mit einem Mann geschlafen hatte.
Okay, das war eine Lüge.
Es war ewig her.
Sehr lange. Es lag so weit zurück, dass es mir sogar vor mir selbst peinlich war – denn es war Thore gewesen, Linus‘ Papa. Wir hatten damals Freundschaft mit Liebe verwechselt und uns schon bald wieder getrennt. Glücklicherweise verstanden wir uns gut, und er war weiterhin als Freund und Vater meines Sohnes in meinem Leben. Aber es war nicht dasselbe, als wäre ich in einer glücklichen Beziehung. Emanzipation hin oder her, ich wollte nicht für den Rest meines Lebens allein sein. Ich sehnte mich sehr nach einer starken Schulter, an die ich mich auch mal anlehnen konnte. Hinter meinen Lidern begann es zu brennen, aber ich verkniff mir die Tränen.
Meinem Liebesleben konnte ich nur einen Namen geben: Es war ein Trauerspiel. Und meine Chancen, einem Mann mit Potenzial für mehr zu begegnen, standen schlecht. Auf Nortrum wohnte niemand, der Single war und mein Herz höherschlagen ließ.
Von attraktiven männlichen Touristen hielt ich mich fern, die suchten ja doch nur nach einem Urlaubsflirt. An einer kurzweiligen Ablenkung hatte ich kein Interesse. Ich wollte ein »Für immer«, auch wenn ich irgendwie nicht mehr glaubte, dass ich mich wieder richtig verlieben könnte. Es klang schon in meinem Kopf pathetisch, aber es stimmte: Als gebranntes Kind scheute ich das Feuer. Einmal hatte mir ein Mann sehr viel bedeutet, allerdings hatte er mir seine Liebe nie bedingungslos geschenkt. Es war schmerzhaft gewesen, das zu erkennen, und womöglich war der Schmerz noch immer nicht ganz verarbeitet, dabei hatte mir auch Thore nicht helfen können.
Thore war eine sichere Wahl gewesen, aber wirklich geliebt hatte ich ihn nie, jedenfalls nicht so, wie es Mann und Frau eigentlich tun sollten. Ihm war es genauso ergangen. Er zumindest hatte Glück gehabt und im letzten Sommer seine erste große Liebe wiedergefunden. Seitdem waren die beiden unzertrennlich, und ich freute mich für sie.
Allmählich verlor ich jedoch die Hoffnung, dass eine glückliche Beziehung für mich in diesem Leben noch vorgesehen war. Ich war anscheinend zum Alleinsein verdammt. Aber es war so anstrengend, jeden Kampf allein ausfechten zu müssen. Vor allem im Winter.
Okay, jetzt wurde ich theatralisch. Ich verzog meinen Mund und verbot mir, an die übrigen Probleme meines Lebens zu denken.
Zu spät. Die lange Liste blinkte sofort wie ein Schild mit Leuchtreklame in meinem Kopf, ganz oben stand: Finanzen.
Es war das ewige Lied. Mein Café Schrägstrich Dekoladen warf im Sommer etwas ab, die Laufkundschaft kaufte das ein oder andere Inselsouvenir für das Urlaubsgefühl zuhause. Die Krabbenbrötchen gingen weg wie die buchstäblichen heißen Semmeln, und auch die Tortenkreationen, die ich täglich im Café anbot, wurden gern und oft bestellt. Im Winter sah das leider anders aus. Ganz anders. Da konnte ich mich eher schlecht als recht über Wasser halten. Ich hatte zwei Kredite zu bedienen, mein Konto war im Dauerminus. Kurzum: Mir stand das Wasser bis zum Hals.
Eine besonders hohe Welle ließ die Fähre bedenklich schaukeln und lenkte mich von meinem düsteren Gedankensumpf ab. Ich trat zwei Schritte nach vorne, um mich an der Reling festzuhalten, und schaute mich erneut um. Viel konnte ich jedoch nicht erkennen. Moment. Doch da war noch etwas. Nein, nicht etwas: jemand.
Ein Mann in dicker Winterjacke stand am Bug, komisch, dass er mir vorhin gar nicht aufgefallen war. Er sah mindestens so deprimiert aus, wie ich mich fühlte. Natürlich ging ich nicht zu ihm und fragte auch nicht, was los war. An einem guten Tag würde ich einen lustigen Spruch raushauen, um ihn aufzumuntern, aber heute hatte ich mit mir selbst zu tun. Außerdem war ich mittlerweile halb erfroren, und gerade schien mir die Aussicht, mich in der warmen Toilette einzuschließen, doch erfreulicher, als mit steifgefrorenen Gliedern über den Jordan zu flattern. Apropos Jordan. Ich warf einen letzten Blick zu dem Mann hinüber und hoffte, dass er sich nicht über Bord ins Wasser stürzen würde. Warum sonst sollte er hier draußen im schlimmsten Wetter herumstehen und düster ins Nichts starren?
Okay, verdammt. Was, wenn diese Vorstellung nicht nur meinen eigenen trüben Gedanken entsprang? Jetzt konnte ich mich nicht einfach nach drinnen verkrümeln. Das war mit meinem Gewissen nicht zu vereinbaren. Nicht auszudenken, wenn er wirklich ins Meer springen würde. Ich würde meines Lebens nicht mehr froh werden, weil ich es hätte verhindern können. Deshalb kämpfte ich mich durch Wind, Graupel und Regen zu ihm.
»Ist alles in Ordnung bei Ihnen?«, wollte ich wissen. Ich musste schreien, damit er mich überhaupt hören konnte.
Der Mann hob seinen Kopf und wandte sich mir zu. In seinem Blick las ich keine Todessehnsucht, zum Glück. Aber ich sah etwas anderes: tiefe Einsamkeit.
Sein Gesicht war kantig geschnitten mit markanten Kieferknochen und einem dunklen Bartschatten. Die Augenfarbe konnte ich nicht erkennen, dafür war das Wetter zu verrückt und die Beleuchtung zu spärlich.
»Was haben Sie gesagt?«, schrie er zurück.
»Ich will wissen, ob es Ihnen gut geht!«, brüllte ich.
Er zuckte die Schultern, als fände er meine Frage merkwürdig. »Klar! Was glauben Sie denn? Ich suche nicht nach einem Gespräch, danke«, erwiderte er nach einem Moment und wandte sich ab.
Okay, da war meine Fantasie wohl mit mir durchgegangen. Wie peinlich. Aber ich hatte nur eine höfliche Frage gestellt, das sollte eigentlich kein Problem sein. Glaubte er etwa, dass ich ihn anmachen wollte?
Nein, danke. Was für ein komischer Kauz. »Na, dann viel Spaß noch!«, wünschte ich in einer Lautstärke, die meine Stimmbänder reizte. Ich musste husten, hob meine Hand zum Abschied und hastete hinein.
Unten angekommen ließ ich mich zitternd auf einen Sitzplatz weitab von anderen Menschen nieder und wartete, dass meine Glieder wieder auftauten. Bis zur Durchsage, dass man jetzt zu seinem Wagen gehen durfte, war es mir nicht gelungen, die Kälte in mir zu vertreiben. Ich bibberte weiterhin, aber wenigstens war mir nur noch leicht flau im Magen und nicht mehr speiübel.
Heute war ich froh darüber, dass es mir als Ladenbesitzerin erlaubt war, auf Nortrum Auto zu fahren. Groß war die Insel zwar nicht, aber bei diesem Wetter schickte man wahrlich keinen Hund vor die Tür.
Ich fröstelte und wünschte mir eine Sitzheizung, die mein Caddy leider nicht hatte. Deshalb stellte ich den Temperaturregler auf volle Pulle, obwohl der Motor noch nicht mal lief. Den durfte ich erst starten, wenn die Ladeluke aufging.
Das Anlegemanöver verlief etwas ruckelig, aber glücklicherweise hatte ich nicht vorne geparkt, da wurde mir immer ganz anders, wenn ich sah, wie waghalsig die Fährleute an der Rampe herumsprangen.
Als es ein paar Minuten später endlich losging und ich die Handbremse löste, um von der Fähre zu kommen, stieß ich einen erleichterten Seufzer aus. Was für ein Tag!
Böiger Wind rüttelte immer wieder an meinem Wagen. Es war stockfinster, da halfen auch die spärlich gesäten Straßenlaternen nur wenig. Der Graupelschauer hatte zugenommen, meine Scheibenwischer liefen auf höchster Stufe. Ich konnte kaum ein Wort von dem verstehen, was im Radio gesagt wurde. Gerade kam ich durch das kleine Waldstück, danach waren es nur noch ein paar hundert Meter bis zu meinem reetgedeckten Häuschen. Die Straße machte einen großen Bogen nach links. Sobald ich die hohen Bäume hinter mir gelassen hatte, würde es hoffentlich ein wenig heller werden.
Plötzlich geriet mein Auto ins Schlingern, die Reifen des Caddys verloren an Bodenhaftung. Es geschah wie in Zeitlupe, ich konnte gar nichts tun, es war ein Albtraum. Der Wagen drehte sich im Kreis, rutschte von der Straße ab und schlitterte in den Graben, wo er zum Stehen kam.
Mein Herz pochte wie verrückt, mein Brustkorb hob und senkte sich schnell. Ich stieß das böse S-Wort aus, das ich in Gegenwart meines fünfjährigen Sohnes niemals in den Mund nahm, und hielt das Lenkrad fest umklammert. Als ob das noch etwas ändern würde!
Ich atmete gepresst und stellte nach einer weiteren Schrecksekunde erleichtert fest, dass wohl kein schlimmerer Schaden entstanden war. Mir ging es gut. Zum Glück war kein Baumstamm in der Nähe gewesen, das Wäldchen hatte ich hinter mir gelassen. Um mich zu beruhigen, holte ich ein paarmal tief Luft.
»Verdammt, was mache ich denn jetzt nur?«, sprach ich nach einem Moment laut aus, was ich dachte. Was für ein Schlamassel! Da hatte ich die Überfahrt heil überstanden und landete dann wegen einer Unachtsamkeit im Graben.
In dieser Sekunde sah ich Scheinwerfer auf der Straße hinter mir näherkommen. Das Fahrzeug wurde langsamer, bis es schließlich direkt neben mir zum Stehen kam. Es handelte sich um einen dunklen Lieferwagen mit weißer Aufschrift, die ich nicht entziffern konnte. Ein Mann sprang heraus und kam auf mich zugelaufen.
Warum ich mich nicht rührte, konnte ich nicht sagen, aber ich war immer noch wie gelähmt. Vermutlich stand ich unter Schock.
Der Mann zog die Fahrertür auf. »Sind Sie verletzt?«, wollte er von mir wissen, er klang ernsthaft besorgt. Mit seiner Frage kam ein Schwall eiskalter Luft und Graupelschauer in mein Auto geweht, was mich aus meiner Starre riss. Ich konnte zwar nicht viel erkennen, aber irgendwoher kam er mir bekannt vor.
»Ich glaube nicht«, erwiderte ich und merkte, wie zittrig meine Stimme klang.
Er war ganz sicher noch keine Vierzig, aber er war auch nicht mehr blutjung.
Dann dämmerte mir, wer er war, und ich erstarrte erneut. Es war der komische Kauz von der Fähre! Kurz befürchtete ich, dass er gleich einen Macho-Spruch raushauen würde, von wegen Frauen am Steuer. Als er stattdessen fragte: »Soll ich mal nachschauen?«, begriff ich nicht sofort, was er meinte. Nachschauen? Vermutlich guckte ich in etwa so intelligent wie eine gehirnamputierte Kuh, woraufhin er mit einem leisen Lächeln zu einer Erklärung ansetzte. »Ihr Wagen, ich prüfe, ob alles okay ist, dann kann ich Sie vielleicht aus dem Graben ziehen. Ein Abschleppseil habe ich dabei.«
Ein Mann für alle Fälle, schoss es mir durch den Kopf, und ich spürte, dass sich eine Welle der Erleichterung in mir ausbreitete. Ich war nicht mehr allein, mir wurde geholfen. Ein Glück! Er war sich nicht zu schade anzupacken. Und soweit ich das beurteilen konnte, sah er auch noch recht ansehnlich aus. Er wohnte garantiert nicht auf Nortrum. So jemanden wie ihn hätte ich längst kennengelernt.
Gott.
Vielleicht hatte ich bei diesem kleinen Unfall ja doch einen Schlag auf den Kopf abbekommen. Sinn ergab es jedenfalls nicht, was ich mir da überlegte.
Dass ich mir in dieser abstrusen Situation Gedanken darüber machte, dass er ein Mann war, der meine weiblichen Urinstinkte und innigsten Wünsche nach Nähe und Geborgenheit triggerte, war peinlich genug. Dass ich noch immer wie zur Salzsäule erstarrt im Auto saß, während dieser Fremde nachschaute, ob ich weiterfahren konnte oder stattdessen Bodo mit seinem Trecker anrufen musste, war nicht mehr allein mit dem Schock nach dem Unfall zu entschuldigen.
Unter gewöhnlichen Umständen hatte ich mein Leben im Griff, aber gerade war ich doch ein wenig durch den Wind. Aber das hielt zum Glück nicht lange an. Ich war eine alleinerziehende Mutter und Geschäftsfrau, ich konnte meinen Kram regeln, und genau das würde ich jetzt tun. Deshalb stieg ich aus, merkte aber, dass sich meine Knie doch recht wackelig anfühlten.
Nach einem Augenblick kam er wieder auf mich zu. »Es sieht so weit alles in Ordnung aus. Setzen Sie sich ruhig ins Auto. Ich sehe mal nach dem Abschleppseil und bereite alles vor. Ich gebe Ihnen ein Zeichen, wenn’s losgeht. Dann müssen Sie nur den Gang rausnehmen und den Caddy zurück auf die Straße lenken.«
Das klang nach einer Aufgabe, die ich trotz Schock hinbekommen würde. Ich schaffte es sogar, mir ein Lächeln abzuringen, so froh war ich, dass er vorbeigekommen war, um mir zu helfen. Vielleicht hatte mein erster Eindruck auf der Fähre ja auch getäuscht, das war gut möglich, ich war ja selbst nicht gut drauf gewesen. Weil ich ihn nicht zu lange auf eine Antwort warten lassen wollte, sagte ich: »Das ist super, vielen Dank.«
Er grinste und wirkte damit ganz anders als vorhin auf der Fähre. Auf dem Deck war er tief in Gedanken versunken gewesen und hatte fast ein wenig verloren ausgesehen. »Ich kann verstehen, dass Sie ein bisschen durch den Wind sind, aber es ist ja noch mal gut gegangen. Keine Bange, wir kriegen den Wagen schon wieder auf die Straße.«
Ich nickte und hielt es für das Beste, jetzt nichts Blödes wie »Ich habe auch keine Wassermelone im Kofferraum« zu sagen. Eine Anspielung auf einen Neunzigerjahre-Liebesfilm würde nur dazu führen, dass er mich wirklich für verrückt hielt – was ich nicht auch noch gebrauchen konnte.
Tatsächlich wollte ich nach dem langen Tag nur nach Hause und ins Bett.
Deshalb setzte ich mich in mein Auto und wartete auf sein Zeichen.
Nach wenigen Minuten stand mein Caddy wieder auf der Fahrbahn. Ich stieg aus und sah dem Mann dabei zu, wie er das Abschleppseil zusammenrollte und wegpackte. Meine Scheinwerfer leuchteten auf die Türen seines Sprinters. »Nils Hansen. Möbelmanufaktur«, las ich.
Die Telefonnummer und E-Mail-Adresse konnte ich auch entziffern, ebenso wie eine Adresse in Berlin.
Ich hatte es mir ja schon gedacht, er war nicht von hier.
Die Enttäuschung, die ich verspürte, war verwirrend. Ich schob meinen angeschlagenen Gemütszustand auf die vorausgegangenen Ereignisse und dachte nicht weiter darüber nach.
Trotzdem war ich versucht, mein Handy herauszuholen, um seine Kontaktdaten abzufotografieren. Ich ließ es sein, das hätte doch zu verzweifelt gewirkt.