Schokohasenküsse - Heike Wanner - E-Book

Schokohasenküsse E-Book

Heike Wanner

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Beschreibung

Jedes Jahr zu Ostern treffen sich die Goldsteins in ihrem Ferienhaus im Odenwald. Als Familie feiert man solche Feste schließlich gemeinsam. Doch dieses Mal läuft nicht alles nach Plan, und so findet sich plötzlich der älteste Sohn Alexander in der ungewohnten Rolle des Gastgebers wieder, der für das leibliche Wohl von zehn Personen zu sorgen hat. Zum Glück erklärt sich seine Zufallsbekanntschaft Sina spontan bereit, ihm zu helfen. Erleichtert willigt Alexander ein, obwohl er so gut sie nichts über Sina weiß - außer, dass sie ein kleines Café besitzt und eine begnadete Köchin ist. Was er aber nicht ahnt: Sie ist seit viele Monaten unsterblich in ihn verliebt. Mit ihren raffinierten Kreationen brät und backt sich Sina schnell in die Herzen von Alexanders Verwandtschaft. Doch wird es ihr auch gelingen, sein Herz zu erobern?

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Kurzbeschreibung:

Jedes Jahr zu Ostern treffen sich die Goldsteins in ihrem Ferienhaus im Odenwald. Als Familie feiert man solche Feste schließlich gemeinsam. Doch dieses Mal läuft nicht alles nach Plan, und so findet sich plötzlich der älteste Sohn Alexander in der ungewohnten Rolle des Gastgebers wieder, der für das leibliche Wohl von zehn Personen zu sorgen hat.

Zum Glück erklärt sich seine Zufallsbekanntschaft Sina spontan bereit, ihm zu helfen. Erleichtert willigt Alexander ein, obwohl er so gut sie nichts über Sina weiß - außer, dass sie ein kleines Café besitzt und eine begnadete Köchin ist. Was er aber nicht ahnt: Sie ist seit viele Monaten unsterblich in ihn verliebt.

Mit ihren raffinierten Kreationen brät und backt sich Sina schnell in die Herzen von Alexanders Verwandtschaft. Doch wird es ihr auch gelingen, sein Herz zu erobern?

Heike Wanner

Schokohasenküsse

Eine Frühlingsgeschichte

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2018 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2018 by Heike Wanner

Lektorat: Rainer Schöttle

Korrektorat: Anika Beer

Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon, München

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-117-1

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Inhalt

Kapitel 1: Schokoladenmuffin und Cappuccino

Kapitel 2: Trostbonbons mit Himbeergeschmack

Kapitel 3: Süßer Tee mit Kandis und Mandelgebäck

Kapitel 4: Blechkuchen mit Marzipanstreuseln

Kapitel 5: Feine Nuss-Nougat-Kringel

Kapitel 6: Kokos-Mousse mit pürierten Erdbeeren

Kapitel 7: Mitternachtstrüffel mit salzigem Karamell

Kapitel 8: Feiner Hefezopf mit Butter und Rosinen

Kapitel 9: Schokohasenküsse

Kapitel 10: Odenwälder Kirschlikör

Kapitel 11: Zitronendrops

Kapitel 12: Apfelpfannkuchen mit Zimt-Sirup

Kapitel 13: Tuttifrutti-Kaugummizigaretten

Kapitel 14: Rhabarberstreusel mit Vanillesoße

Kapitel 15: Eierlikör und Erdnussflips

Kapitel 16: Katerfrühstück

Kapitel 17: Glückskekse

Kapitel 1

Schokoladenmuffin und Cappuccino

Sina

Er heißt Alexander Goldstein und kommt jeden Morgen in meine Bäckerei.

Zwischen 7.25 Uhr und 7.28 Uhr.

Von Montag bis Freitag.

Immer pünktlich.

Und immer ein wenig in Eile.

Um 7.45 Uhr geht seine S-Bahn, die ihn in die Frankfurter Innenstadt bringt. Dort arbeitet er bei einem großen Bauunternehmer. Erfolgreich, wie ich vermute, denn seine Anzüge, sein Smartphone und selbst seine Aktentasche sehen nicht nur topmodisch, sondern auch ziemlich teuer aus.

Außerdem scheint ihn dieser Job so sehr in Anspruch zu nehmen, dass ihm kaum Zeit für die kleinen, alltäglichen Dinge des Lebens bleibt. Deshalb beschäftigt er auch eine Putzfrau, bestellt die meisten Lebensmittel online, gibt seine Hemden zum Bügeln in die Wäscherei und kauft all seine Snacks bei mir im Laden.

Zum Frühstück will er immer einen Schokoladenmuffin und einen großen Cappuccino. Für die Mittagspause darf es auch gern etwas Herzhaftes sein: Ein Sandwich, eine pikant gefüllte Teigtasche oder eine Käsebrezel. Dazu nimmt er einen Salat, eine große Flasche Mineralwasser und einen frisch gepressten Orangensaft. Und am Nachmittag gönnt er sich ein Stück Kuchen, das ich ihm doppelt einpacke, damit es schön frisch bleibt.

Er kann sich diese üppige Speisenfolge leisten – sowohl finanziell als auch, was seine Figur betrifft. Denn er ist Mitglied im angesagtesten Fitnessstudio der Stadt, rudert am Wochenende auf dem Main und verbringt seine Ferien in exotischen Luxushotels mit großem Sportangebot.

Auch sonst achtet er sehr auf seine Gesundheit, geht regelmäßig zum Zahnarzt und hat, bis auf kleinere Probleme im rechten Knie, noch keine Beschwerden. Sollte er auch noch nicht, schließlich ist er erst neunundzwanzig Jahre alt. Sternzeichen Skorpion. Evangelisch. Mit einem Master in Innenarchitektur, inklusive eines Auslandssemesters in Florida.

Und – ganz wichtig! – Single.

Woher ich das alles weiß?

Weil ich zuhören kann.

Wie die meisten meiner Kunden, so kramt auch Alexander Goldstein sofort sein Telefon hervor, wenn es bei mir im Geschäft voll wird, und er mal etwas länger warten muss.

Eigentlich finde ich dieses Verhalten extrem unhöflich. Denn in dem Moment, wo das Handy eingeschaltet wird, wird die Aufmerksamkeit für die Umgebung auf ein Minimum zurückgefahren. Oft genug muss ich meine Kunden mehrmals ansprechen, bevor sie reagieren. Was haben die Leute eigentlich gemacht, bevor es Mobiltelefone gab? In die Luft gestarrt? Bis hundert gezählt? Das Kuchenangebot bewundert?

Ich weiß es schon gar nicht mehr so genau.

Bei Alexander ist es sowieso etwas völlig anderes: Ihm kann ich einfach nicht böse sein, wenn er am Handy hängt.

Im Gegenteil!

Er spielt nämlich nicht nur damit herum, sondern telefoniert auch gern. Regelmäßig ruft er seine Sekretärin an. Seine Freunde. Diverse Handwerker. Geschäftspartner. Und natürlich seine Verwandtschaft. Insbesondere seine Mutter scheint sehr neugierig zu sein und fragt viele interessante Dinge.

Ich muss gar nichts weiter machen als mich beim Bedienen auf diese Telefongespräche zu konzentrieren. Was mir trotz des Stimmengewirrs normalerweise auch ganz gut gelingt. Auf diese Weise werden meine Informationen über ihn ständig aktualisiert.

Warum ich das mache?

Weil ich neugierig bin.

Und weil ich gar nicht anders kann. Nicht, was ihn betrifft.

Denn seit unserem ersten Treffen vor zwei Jahren, einem Monat und elf Tagen bin ich rettungslos und unsterblich in Alexander Goldstein verliebt.

Alexander

Die Schokoladenmuffins sind meistens noch warm, wenn ich sie kaufe. Und sie duften köstlich nach Vanille, Butter und Karamell. Am liebsten würde ich meine Nase während der gesamten S-Bahnfahrt in die Papiertüte stecken.

Aber das würde ziemlich albern aussehen, also beherrsche ich mich. Stattdessen wende ich mich morgens im Zug immer dem Zweitschönsten zu, was der Tag zu bieten hat: dem leckeren Cappuccino, der in einem knallbunten Pappbecher mit himmelblauem Deckel serviert wird. Und übrigens fast ebenso gut duftet wie der Muffin. Nach dem ersten vorsichtigen Schluck kann ich förmlich spüren, wie der heiße Kaffee durch meine Adern fließt und meine Lebensgeister weckt.

Müllers Tortensofa steht in verschnörkelter weißer Schrift auf dem Plastikdeckel. Ein ziemlich alberner Name für so ein tolles Geschäft.

Zum Glück habe ich mich vor zwei Jahren dadurch nicht abschrecken lassen, sondern bin einfach dem verführerischen Duft nach frisch gebackenem Kuchen gefolgt – und fand mich plötzlich in einer winzigen Bäckerei wieder, die erstaunlich viel zu bieten hat. Inzwischen bin ich längst Stammkunde geworden und habe mich hundertfach durch das gesamte Sortiment gegessen.

Ich liebe diesen Laden!

Tolles Angebot, moderate Preise und günstige Lage direkt am S-Bahnhof – was will man mehr? Außerdem wird man immer mit einem freundlichen Lächeln bedient.

Zugegeben: Bei der Einrichtung des Geschäftes wurden sämtliche Konzepte harmonischer Raumgestaltung missachtet. Als Innenarchitekt stört mich das schon ein bisschen. Farben, Materialien und Proportionen wirken nicht aufeinander abgestimmt, sondern wurden bunt kombiniert. Auch Beleuchtung und Akustik sind eher suboptimal.

Überraschenderweise ist bei diesem Stil-Mix aber trotzdem etwas halbwegs Ansprechendes herausgekommen. Ein altes, gläsernes Kuchenbuffet nimmt fast die Hälfte des Verkaufsraums ein, gut gefüllt mit goldbraunen Muffins, knusprigen Waffeln und saftigen Blechkuchen. Daneben, in einem separaten Bereich des Buffets, sind die herzhaften Backwaren angerichtet: Laugenbrötchen, Käsebrezel, belegte Brote, bunte Pizza-Stückchen und gefüllte Teigtaschen.

Natürlich darf auch ein großer Kaffee-Vollautomat nicht fehlen, der hinter der Theke auf einem alten Holztisch steht, eingerahmt von mehreren Stapeln mit Tassen, Tellern und Servietten. Darüber hängt eine lange schwarze Tafel, auf der in schnörkelloser Kreideschrift die täglichen Angebote notiert werden.

Gleich am Eingang kann man sich aus einem modernen Kühlregal bedienen, das mit frisch gepressten Säften, Salaten, Milchgetränken und Mineralwasser gut sortiert ist. Und mitten im Schaufenster steht ein geblümtes Sofa, das dem Geschäft seinen Namen gegeben hat. Blaue Kissen, ein schmaler Tisch mit Spitzendecke und eine alte Stehlampe mit Troddeln geben dem Ganzen etwas Retromäßiges, aber auch sehr Gemütliches.

Trotzdem – wer setzt sich schon freiwillig ins Schaufenster?

Ich bestimmt nicht.

Ich habe das bislang nur ein einziges Mal gemacht, allerdings nicht ganz freiwillig. Damals handelte es sich um einen Notfall mit einer alten Dame, ich kann mich gar nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern.

Ist schon zu lange her.

Sina

Bei mir war es Liebe auf den ersten Blick – damals, vor zwei Jahren, einem Monat und elf Tagen.

Ich weiß noch genau, dass ich an diesem Februarmorgen gerade auf der Leiter stand und dabei war, die Angebotstafel neu zu beschriften. Ich weiß sogar noch, dass ich die Worte Schokoladenbrötchen und Zwiebelstange bereits geschrieben hatte und auf der Suche nach bunter Kreide war, die ich mir vorher in die Hosentasche gesteckt hatte.

Und dann öffnete sich plötzlich die Tür, und Alexander kam herein. Sehr elegant, mit dunklem Mantel, grauem Wollschal, schwarzer Hose und Lederschuhen. In der einen Hand hielt er eine Aktentasche, in der anderen einen Regenschirm. Beide Accessoires waren schlicht, passten aber perfekt zu seiner Kleidung.

Doch es war nicht dieses geschmackvolle Outfit, das mich sofort in den Bann zog, sondern sein Gesicht: Klare, hellblaue Augen, dunkle, kurzgeschnittene Haare, hohe Wangenknochen, gebräunte Haut und ein kleines Grübchen am Kinn – das sich übrigens immer dann verstärkt, wenn er lächelt, wie ich später noch oft genug feststellen konnte.

Kurz gesagt: Er sah fantastisch aus, und ich konnte meine Augen einfach nicht mehr von ihm abwenden. Als er mich auf der Leiter entdeckte, immer noch mit einer Hand in der Hosentasche, runzelte er die Stirn, und für einen winzig kleinen Moment trafen sich unsere Blicke.

Hatte ich jemals ein schöneres Blau gesehen?

Nein, gab ich mir selbst die Antwort.

Das hier war eine Premiere, eine besonders intensive und mitreißende noch dazu. Blöd nur, dass ich dabei auf einer Leiter stand. Meine Knie wackelten, und jetzt wurde mir auch noch schwindelig. Vorsichtshalber hielt ich mich mit der freien Hand an der Leiter fest.

„Guten Morgen zusammen“, sagte er mit angenehm dunklem Tonfall und reihte sich in die Schlange der Kunden ein, die von Ellie, meiner einzigen Angestellten, langsam abgearbeitet wurde.

O Gott, diese Stimme!

Ich unterdrückte einen begeisterten Seufzer, während ich mein Gleichgewicht stabilisierte und so tat, als müsse ich die Kreide, die ich jetzt endlich aus der Hosentasche hervorgekramt hatte, auf Wasserflecken untersuchen.

Eine ziemlich sinnlose Tätigkeit, aber Hauptsache, ich sah dabei beschäftigt aus! Aus den Augenwinkeln heraus jedoch beobachtete ich den neuen Kunden genau. Er wartete geduldig in der Schlange, sah sich dabei im Laden um und hielt dann einer jungen Mutter mit Kinderwagen die Eingangstür auf.

Jetzt hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre vor Begeisterung tatsächlich von der Leiter geflogen. Dieser Mann war nicht nur ausgesprochen gutaussehend, sondern auch noch achtsam und höflich!

Übrigens ein Eindruck, der sich in den nächsten Wochen noch verstärken sollte. Und der bis heute anhält. Denn immer noch macht Alexander jedes Mal, wenn er nahe am Eingang warten muss, den anderen Kunden die Tür auf. Manchmal lässt er sogar Kunden vor, die es noch eiliger haben als er.

Am meisten beeindruckt hat mich seine Hilfsbereitschaft jedoch, als es einer älteren Dame im vergangenen Winter bei mir im Laden schlecht wurde.

Es war ein sehr kalter, schneereicher Tag. Das Geschäft war warm und voller Kunden, die Luft stickig. Ellie und ich kamen kaum mit dem Bedienen hinterher. Deshalb bemerkte ich auch nicht sofort, dass sich eine grauhaarige Frau im Lodenmantel plötzlich unwohl fühlte. Erst als Alexander sie ansprach und zum Sofa führte, wurde ich aufmerksam. Doch da hatten sich die beiden bereits gesetzt, und Alexander redete beruhigend auf sie ein.

Als ich an den Tisch trat, blickte er nur kurz auf und bestellte ein Glas Wasser bei mir, bevor er sich wieder ganz auf die ältere Dame konzentrierte.

Zum Glück ging es ihr nach ein paar Minuten wieder besser, aber Alexander bestand trotzdem darauf, seinen Schützling nach Hause zu begleiten.

Seit diesem Erlebnis mag ich ihn noch viel lieber.

Falls das überhaupt möglich ist …

Kapitel 2

Trostbonbons mit Himbeergeschmack

Alexander

„Wie bitte?“

Ich kann kaum glauben, was ich gerade durchs Telefon gehört habe und frage sicherheitshalber noch einmal nach.

„Dieses Mal wirst du dich um den Haushalt und die Verpflegung kümmern müssen“, wiederholt meine Mutter bereitwillig, wobei sie erneut das Du im Satz überdeutlich betont. „Ich kann das ja schlecht selbst machen, und dein Vater hat genug mit Oma und mir zu tun.“

„Aber … aber …“ Ich weiß echt nicht, was ich sagen soll.

Im Laufe der letzten Minute wurde ich nicht nur mit der Neuigkeit konfrontiert, dass meine Mutter sich gestern beim Wandern den Fuß gebrochen hat, und dass das Rheuma bei meiner Oma immer schlimmer wird. Nein, ich musste auch noch zur Kenntnis nehmen, dass meine Mutter die gesamte Organisation unseres anstehenden Familientreffens mir überlassen will.

Mir!

„Was … was ist mit Nora und Tom?“ Gerade noch rechtzeitig fallen mir meine große Schwester und mein Schwager ein.

„Nora?“, wiederholt meine Mutter gedehnt. „Auf keinen Fall. Du weißt doch, dass das nicht geht. Sie hat gerade erst …“

„Warte mal!“, unterbreche ich sie, denn ich stehe in meiner Lieblingsbäckerei an der Theke und bin in diesem Moment an der Reihe. Hastig bestelle ich Kaffee, Muffin, Sandwich und Kuchen, bevor ich mich wieder dem Telefon zuwende. „Okay, ich kann wieder zuhören.“

„Wo bist du?“, will meine Mutter wissen.

„Im Bäckerladen.“

„Alexander! Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst mich nicht von unterwegs aus anrufen? Ich kann es nicht leiden, wenn ich nicht deine volle Aufmerksamkeit habe.“

„Du hast meine volle Aufmerksamkeit“, versichere ich ihr. „Ich rede nur mit dir.“

„Gerade hast du aber auch mit jemand anderem gesprochen.“

„Das war nur eine Verkäuferin, das zählt nicht.“

Ich werfe einen flüchtigen Blick hinter die Theke. Dort stehen, wie eigentlich jeden Morgen, zwei junge Frauen. Die eine ist klein, blond und ein wenig mollig. Ich glaube, das ist die Inhaberin. Die andere ist groß, mager, rothaarig und hat mindestens fünf silberne Ringe im Ohrläppchen.

In jedem.

„Neun Euro sechzig“, sagt die Blonde jetzt zu mir. Sie lächelt nicht ganz so freundlich wie sonst.

Ich schiebe einen Zehn-Euro-Schein über die Theke und signalisiere ihr, dass sie den Rest behalten kann. Sie bedankt sich mit einem geschäftsmäßigen Nicken, aber immer noch ohne Lächeln.

„Deine Schwester hat drei Kinder“, nimmt meine Mutter ihren ursprünglichen Gesprächsfaden wieder auf. „Darf ich dich daran erinnern, dass sie erst vor Kurzem Zwillinge bekommen hat? Sie und Tom sind wegen der Babys Tag und Nacht auf den Beinen und können sich unmöglich auch noch um sechs Erwachsene kümmern.“

„Sechs? Wieso sechs?“, hake ich nach und packe die Gebäcktüten in meine Tasche. Nicht ganz so einfach, wenn man nur eine Hand zur Verfügung hat.

„Du, ich, dein Vater, Oma, dein Bruder und seine Freundin“, zählt meine Mutter auf. „Wenn du auch noch jemanden mitbringst, sind wir sogar sieben.“

„Wie? Jonathan hat schon wieder eine Neue?“ Den letzten Teil ihrer Bemerkung ignoriere ich absichtlich.

Ich bringe bestimmt niemanden mit.

Die Sache zwischen Michelle und mir ist mein kleines Geheimnis, das niemanden etwas angeht. Und das soll auch noch eine Weile so bleiben.

Außerdem kann ich mir meine elegante, aber immer ein wenig unnahbar wirkende Freundin nur schwerlich im Kreis meiner lauten und chaotischen Familie vorstellen.

„Ja, Jonathan hat eine neue Partnerin. Letzte Woche hat er sie mitgebracht, als wir alle bei Nora zu Besuch waren. Schade, dass du da keine Zeit hattest! Sie heißt Kim und ist ein ganz besonders nettes Mädchen“, entgegnet meine Mutter. Ihr naiver Optimismus rührt mich. Mein Bruder hatte schon haufenweise nette Mädchen, die aber alle früher oder später das Weite gesucht haben. „Vielleicht ist sie endlich die Richtige.“

Das kann ich mir kaum vorstellen. Jonathan ist bequem, träge, gammelt am liebsten herum und hält sich mit irgendwelchen Aushilfsjobs über Wasser, während der Rest der Familie vergeblich darauf wartet, dass er endlich sein Studium abschließt. Also nicht gerade das, was man eine gute Partie nennen würde.

Aber ich behalte meine Zweifel für mich. „Vielleicht“, entgegne ich nur und wende mich zur Tür. Draußen regnet es mittlerweile in Strömen. Mist! Ich habe keinen Schirm dabei. „Kann sie kochen?“

„Alexander!“, schimpft meine Mutter. „Das werden wir ihr nicht zumuten.“

Ach ja? Aber mir anscheinend schon!

„Ehrlich gesagt sieht sie auch nicht so aus, als ob sie kochen könnte“, fährt meine Mutter bedauernd fort. „Nein, mein Lieber, du bist leider der Einzige, dem ich Haushalt und Küche anvertrauen kann.“

„Mama!“, protestiere ich und ahme dabei ihren entrüsteten Tonfall nach. „Weißt du eigentlich, was du von mir verlangst?“

„Natürlich weiß ich das, ich bin ja nicht senil.“

„Ich soll mich von Gründonnerstag bis Ostermontag um unsere ganze Familie kümmern. Und das erfahre ich erst jetzt, am Montag, drei Tage vorher. Das … das ist … das ist …“

Mir fehlen die Worte. Ächzend lasse ich mich auf das geblümte Sofa fallen, und es ist mir heute völlig egal, dass ich mitten im Schaufenster sitze. Solange es regnet, kann ich sowieso nicht raus. Und vorher will ich dieses Thema mit meiner Mutter ausdiskutiert haben.

Ihre Forderungen sind doch völlig absurd!

„Ich kümmere mich seit vierunddreißig Jahren um unsere Familie“, entgegnet sie schnippisch. „Da wirst du das ja wohl mal ein verlängertes Wochenende tun können.“

„Meine Koch- und Backkenntnisse halten sich in Grenzen.“

„Du kannst das, schließlich hast du bei mir gelernt.“

„Das ist schon zehn Jahre her“, sage ich und rücke ein wenig zur Seite, damit die blonde Verkäuferin einen großen Karton mit Süßigkeiten neben mir auf dem Sofa abstellen kann. Feine Himbeerbonbons steht auf der Verpackung. „Willst du nicht lieber alles absagen?“

„Nein. Warum sollte ich?“

„Immerhin hast du deinen Fuß gebrochen und sollst dich bestimmt noch schonen.“

„Ach, papperlapapp! Wo kann ich mich besser erholen als im Kreis meiner Familie?“

„Mir fallen auf Anhieb mindestens hundert andere Orte ein, die erholsamer sind.“

„Mir nicht. Ich brauche dieses Fest ganz dringend. Wir haben wegen Noras komplizierter Schwangerschaft schon Weihnachten nicht miteinander gefeiert. Und außerdem können wir so kurzfristig nicht einfach alles abblasen.“ Für meine Mutter scheint die Diskussion damit beendet zu sein.

Ich versuche trotzdem noch einmal, aus der Nummer rauszukommen. „Wie wäre es, wenn wir eine Küchenhilfe engagieren?“

„Wo willst du denn so schnell noch jemand Gutes finden? Und ein Fremder in unserer Küche? Vergiss es! Das ist …“ Sie bricht ab. „Was knistert denn da bei dir?“

„Bonbontüten.“

„Bist du immer noch in der Bäckerei?“

„Ja. Ich sitze hier fest. Draußen regnet es, und ich habe keinen Schirm dabei.“

„Du Armer!“

Ich fasse es nicht. Meine Mutter hat Mitleid mit mir, weil es regnet. Aber wenn es darum geht, dass ich fünf Tage lang in der Küche stehen soll, kennt sie kein Erbarmen.

„Vielleicht erkälte ich mich ja noch bis Donnerstag und werde krank.“

„Oh nein, das wirst du nicht. Du möchtest uns doch sicherlich nicht den Spaß verderben. Denk doch auch mal an Oma! Sie freut sich schon so.“

Wie unfair! Jetzt hat sie das Killer-Argument gebracht. Meine Großmutter ist nämlich mein schwacher Punkt, ich hänge sehr an ihr.

„Also gut“, seufze ich deshalb. „Du hast gewonnen. Notfalls müsst ihr mit Dosenravioli und Tiefkühlpizza leben.“

Meine Mutter lacht. „Ein bisschen mehr erwarte ich schon.“

Ich verkneife mir die Bemerkung, dass sie darauf lange warten kann, und beende unser Gespräch. Dann lasse ich mich nach hinten gegen die Sofakissen sinken und atme mehrere Male kräftig durch.

Angeblich vertreibt das negative Gedanken.

Funktioniert aber nicht, zumindest nicht bei mir.

Ich bin immer noch verärgert.

Die Aussicht auf die kommenden Feiertage gefällt mir ganz und gar nicht. Ich hatte mich auf ein paar nette Stunden im Kreis der Familie gefreut. Frühlingsstimmung, viel frische Luft und gutes Essen. Stattdessen werde ich für alles und jeden verantwortlich sein …

„Hier!“ Eine Knistertüte mit knallroten Süßigkeiten landet auf meiner Brust. „Trostbonbons.“

Sina

Eine blödere Einleitung für ein Gespräch ist mir wohl nicht eingefallen?

„Hier! Trostbonbons.“

Er muss ja denken, dass ich außer „Guten Morgen!“ und „Was darf’s denn sein?“ keinen zusammenhängenden Satz herausbringen kann. Außerdem weiß er jetzt mit Sicherheit, dass ich ihn belauscht habe.

Aber was soll’s?

Ich bin ihm doch sowieso egal, wie ich vorhin bei seiner abfälligen Bemerkung über Verkäuferinnen deutlich herausgehört habe.

Für ihn bin ich nur die Bäckerin.

Die Kucheneinpackerin.

Die Kaffeeköchin.

Erschütternd, aber wahr …

Ach, Mist! Jetzt brauche ich auch Trost!

Kurz entschlossen schnappe ich mir eine weitere Tüte mit Süßigkeiten, reiße die Verpackung auf und stopfe mir fünf Bonbons auf einmal in den Mund. Dann setze ich mich neben ihn. Ein bisschen zu dicht vielleicht, aber das macht jetzt auch nichts mehr.

„Ist … äh … alles in Ordnung bei Ihnen?“ Er richtet sich auf, stellt seine Tüte auf den Tisch und beobachtet mich stirnrunzelnd.

Ich schüttele den Kopf. Reden kann ich gerade nicht.

„Waren das nicht ein paar Bonbons zu viel?“, will er wissen.

Wieder schüttele ich den Kopf, während ich wie eine Verrückte an den Himbeerbonbons herumlutsche, um den Mund wieder frei zu bekommen.

Vergeblich.

Er bemerkt das zum Glück nicht, da er gerade einen Blick aus dem Fenster wirft. „Es regnet immer noch. Darf ich vielleicht noch ein bisschen hier sitzen bleiben und nachdenken?“

Sein Lächeln ist nur angedeutet, haut mich aber, wie üblich, völlig um. Und nach seinem „Übrigens dürfen Sie mir gern dabei Gesellschaft leisten“ vergesse ich sogar, dass ich eigentlich böse auf ihn bin.

Ich nicke und hoffe, dass er mir meine Verlegenheit nicht ansieht. Zum ersten Mal seit zwei Jahren, einem Monat und elf Tagen redet Alexander Goldstein nicht nur das Nötigste mit mir. Nein, er lächelt mich sogar an und fordert mich zum Bleiben auf – und ich sitze ihm gegenüber, mit dem Mund voller Bonbons und einem dümmlichen Grinsen im Gesicht.

Ich muss dringend etwas tun, sonst denkt er am Ende noch, ich wäre genauso albern und blöd, wie mein Gesichtsausdruck es gerade vermuten lässt. So eine günstige Gelegenheit auf ein Gespräch mit ihm bekomme ich bestimmt so schnell nicht wieder!

„Empfulliung“, bringe ich deshalb mühsam heraus und springe auf. „Bin bleich pfurück.“

Rasch laufe ich auf die Personaltoilette und spucke die Bonbons in den Mülleimer. Danach spüle ich meinen Mund aus, wasche das Gesicht und werfe einen kritischen Blick in den Spiegel. Oh je! Warum habe ich mir heute Morgen nicht die Haare gewaschen? Ein wenig Puder hätte auch nicht geschadet, meine Stirn glänzt verschwitzt. Und erst diese abgetragene gelbe Bluse!

Aber es hilft jetzt nichts, ich muss schnell wieder zu ihm. Wer weiß, wie lange er noch dort sitzt? Irgendwann wird der Regen aufhören; im Radio war nur von kurzen Schauern die Rede.

„Hi!“, begrüßt er mich, als ich zurück zum Sofa komme. Inzwischen hat er seine Tüte mit Bonbons ebenfalls aufgerissen. „Die schmecken superfruchtig“, meint er. „Allerdings sollte man immer nur eins nehmen.“

„Ja, ich weiß.“ Dieses Mal bin ich wesentlich vorsichtiger, als ich mich zu ihm setze, und lasse auch genügend Abstand zwischen uns. „Das war dumm von mir.“

„Macht nichts. Es gibt Situationen im Leben, die schreien nach Trostbonbons, das haben Sie ganz richtig erkannt.“ Er deutet auf seine Tüte. „Übrigens vielen Dank für die Bonbons. Und dafür, dass Sie sich zu mir gesetzt haben.“

„Gern geschehen. Sie sehen aus, als könnten Sie gerade ein wenig Zuspruch brauchen.“

„Oh ja!“ Er runzelt die Stirn. „Wenn Sie wüssten!“

Ich könnte ihm jetzt gestehen, dass ich tatsächlich weiß, was für ein Problem er hat. Denn natürlich habe ich das ganze Telefongespräch mit seiner Mutter belauscht. Warum wohl sonst habe ich die Bonbontüten direkt neben ihm eingeräumt?

Aber ich bin lieber still, sonst hält er mich an Ende noch für eine durchgeknallte Stalkerin. Für eine Richtigstellung würde mir die Zeit fehlen.

Und die Argumente.

Denn im Grunde bespitzele ich ihn ja tatsächlich, auch wenn ich das nicht als Stalking bezeichnen würde, sondern eher als heftiges Interesse.

Außerdem weiß ich, dass die meisten Menschen, die eine Bemerkung wie „Wenn Sie wüssten!“ machen, sowieso von selbst zu reden beginnen.

Und richtig, auch Alexander fängt jetzt an zu erzählen. Seine erste Frage überrascht mich allerdings.

„Kennen Sie Heubach im Odenwald?“

Seitdem er es vor zwei Jahren mal am Telefon erwähnt hat, weiß ich natürlich, wo das liegt. Aber ich stelle mich ahnungslos. „Nein.“

„Das ist ein kleines Dorf bei Groß-Umstadt. Schön erhaltenes Fachwerk, ein paar grüne Hügel und viel Wald.“

„Ihre Heimat?“ Auch das weiß ich besser, aber ich will ja mit ihm im Gespräch bleiben.

„Nein. Aber dort, mitten im Wald, steht ein altes Forsthaus, das früher meinen Großeltern gehörte. Vor ein paar Jahren habe ich es zusammen mit meinem Vater von Grund auf renoviert und modernisiert. Seitdem trifft sich meine Familie regelmäßig dort.“

„Also so eine Art Ferienhaus?“

„Noch ist es tatsächlich nur ein Ferienhaus. Aber meine Eltern wollen einziehen, sobald mein Vater in Rente ist.“

„Das klingt doch alles sehr schön.“

Klingt es wirklich!

Ein altes Forsthaus im Grünen. Blühende Bäume. Vogelgezwitscher. Alexander in Jeans und engem T-Shirt.

Beim Holzhacken.

Und schon geht meine Fantasie mit mir durch!

„Na, jedenfalls …“ Geistesabwesend nimmt er sich noch ein Bonbon. „Dieses Jahr wollten wir alle gemeinsam Ostern feiern: Meine Eltern, meine Oma, meine Schwester mit Mann und Kindern und mein Bruder mit seiner neuen Flamme. Aber was passiert?“ Er macht eine kleine Pause und sieht mich erwartungsvoll an.

Ich muss mich echt beherrschen, jetzt nicht mit „Ihre Mutter bricht sich den Fuß“ herauszuplatzen.

„Meine Mutter bricht sich den Fuß“, spricht er genau das aus, was ich gerade gedacht habe.

Ich versuche, ein überraschtes Gesicht zu machen.

„Und jetzt soll ich mich um alles kümmern“, seufzt er.

„Kann das denn niemand anderer übernehmen? Oder zumindest mithelfen?“

„Nein. Mein Vater muss sich um meine Mutter kümmern. Und um meine Oma. Meine Schwester und mein Schwager scheiden auch aus, die haben genug mit ihren Kindern zu tun. Mein Bruder ist … äh … eher … unfähig, und seine neue Freundin anscheinend auch. Meine Mutter will sie auf keinen Fall an den Herd lassen. Genauso wenig übrigens wie eine Küchenhilfe, die ich am liebsten engagieren würde.“