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»Der Mond ist ihr einziger Zeuge in dieser blutigen Nacht …« Es ist der Wunsch jedes mallorquinischen Mädchens, den Titel der Miss Balear zu gewinnen. Für die junge und schöne Dita erfüllt sich dieser Traum in einem angesagten Club in Palma de Mallorca. Doch in der gleichen Nacht wird die Schöne brutal ermordet am Strand aufgefunden. Als einzigen Hinweis entdeckt man neben der Leiche die Platinkarte des deutschen Fußball-Stars Oliver Delgado. Die ehrgeizige Inspectora Ana Ortega und der eigenwillige Europol-Ermittler Lars Brückner übernehmen den Fall. Bald stoßen sie auf geheime Erotik-Partys von jungen Elite-Studentinnen mit eigenartigen Vorlieben. Was verbergen diese jungen Frauen? Und warum ist der Verdächtige Oliver Delgado wie vom Erdboden verschwunden? Ana Ortega und Lars Brückner stehen lange Zeit vor einem Rätsel, bis sie ein dunkles Geheimnis lüften, das vor vielen Jahren in einer Klinik begann … B.C. Schillers neuer Küstenkrimi zeigt Ihnen die dunklen Seiten der Insel! Jeder Krimi ist abgeschlossen und kann unabhängig voneinander gelesen werden.
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Impressum
Anmerkung
Über die Autoren B.C. Schiller
Bücher von B.C. Schiller
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Danksagung
Sämtliche Figuren und Ereignisse dieses Romans sind der Fantasie entsprungen. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist zufällig und von den Autoren nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung der Blue Velvet Management GmbH urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.
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Oktober 2019, März 2021, Februar 2023, Dezember 2023
ISBN: 978-3-9504651-3-6
Lektorat& Korrektorat: Wolma Krefting, bueropia.de
Titelgestaltung: www.afp.at
Foto credits:
scenery of dramatic sunset with rocks at foreground: 741203506, abamjiwa al-hadi, copyright shutterstock
A long sea groyne with beacon on the beach at Hengistbury Head near Bournemouth in Dorset: 131976542, Helen Hotson, copyright shutterstock
Model of Asian woman, rear view full length portrait isolated on white background: 161444264, elwynn, copyright shutterstock
Wir haben uns erlaubt, einige Namen und Örtlichkeiten aus Spannungsgründen neu zu erfinden, anders zu benennen und auch zu verlegen. Sie als Leser werden uns diese Freiheiten sicher nachsehen.
Barbara und Christian Schiller leben und arbeiten in Wien und auf Mallorca mit ihren beiden Ridgebacks Calisto & Emilio. Gemeinsam waren sie über 20 Jahren in der Marketing- und Werbebranche tätig und haben ein totales Faible für spannende Krimis und packende Thriller.
B.C. Schiller gehören zu den erfolgreichsten Spannungs-Autoren im deutschsprachigen Raum. Bisher haben sie mit ihren Krimis über drei Millionen Leser begeistert.
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ANA ORTEGA Küstenkrimi:
MÄDCHENSCHULD – ist der erste Band der neuen spannenden Inselkrimi-Reihe mit der Inspectora Ana Ortega und dem Europol-Ermittler Lars Brückner. Die Krimi sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.
SCHÖNE TOTE – der zweite Band mit Ana Ortega und Lars Brückner.
FAMILIENBLUT – der dritte Band mit Ana Ortega und Lars Brückner.
Die Krimis sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.
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TONY-BRAUN-THRILLER:
TOTES SOMMERMÄDCHEN – der erste Tony-Braun–Thriller –
»Wie alles begann«
TÖTEN IST GANZ EINFACH – der zweite Tony-Braun-Thriller
FREUNDE MÜSSEN TÖTEN – der dritte Tony-Braun-Thriller
ALLE MÜSSEN STERBEN – der vierte Tony-Braun-Thriller
DER STILLE DUFT DES TODES – der fünfte Tony-Braun-Thriller
RATTENKINDER – der sechste Tony-Braun-Thriller
RABENSCHWESTER – der siebte Tony-Braun-Thriller
STILLER BEOBACHTER – der achte Tony-Braun-Thriller
STRANDMÄDCHENTOD – der neunte Tony-Braun-Thriller
STILLES GRABESKIND – der zehnte Tony-Braun-Thriller
Alle Tony-Braun-Thriller waren monatelang Bestseller in den Charts. Die Thriller sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.
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DUNKELSTEIG – Trilogie - Krimi:
DUNKELSTEIG: der erste Band mit Felicitas Laudon
DUNKELSTEIG – SCHULD –der zweite Band mit Felicitas Laudon
DUNKELSTEIG – BÖSE: der dritte und letzte Band mit Felicitas Laudon
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Psychothriller:
DIE FOTOGRAFIN
DIE SCHWESTER
DIE EINSAME BRAUT
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Die TARGA-HENDRICKS-Thriller:
DER MOMENT, BEVOR DU STIRBST – der erste Fall mit Targa Hendricks
IMMER WENN DU TÖTEST – der zweite Fall mit Targa Hendricks
DUNKELTOT, WIE DEINE SEELE – der dritte Fall mit Targa Hendricks
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Die DAVID-STEIN-Thriller:
DER HUNDEFLÜSTERER – David Steins erster Auftrag
SCHWARZER SKOPRION – David Steins zweiter Auftrag
ROTE WÜSTENBLUME – David Steins dritter Auftrag
RUSSISCHES MÄDCHEN – David Steins vierter Auftrag
FREMDE GELIEBTE – David Steins fünfter Auftrag
EISIGE GEDANKEN – David Steins sechster Auftrag
TODESFALTER – David Steins siebter Auftrag
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Die LEVI-KANT-Wien-Krimi:
BÖSES GEHEIMNIS – der erste Cold Case
BÖSE TRÄNEN – der zweite Cold Case
BÖSES SCHWEIGEN – der dritte Cold Case
Tauchen Sie ein in die B.C. Schiller Krimi & Thriller-Welt.
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Der Mond ist ihr einziger Zeuge in dieser blutigen Nacht.
»Ich bin die Königin!«, ruft sie und läuft barfuß die Dünen hinunter zum Meer. Fahles Mondlicht streicht über die goldene Krone auf dem dunklen Haar, und in der glänzenden Schärpe spiegeln sich die Sterne.
Es ist still, nur das leise Rauschen des Meeres ist zu hören, das gierig an den Felsen leckt. Im bleichen Mondschein glitzern die Wellen wie Edelsteine, und wenn sie genau auf den Klang der Brandung hören würde, so wäre da ein leises Raunen zu vernehmen: »Einsam wirst du sterben in dieser Nacht.«
Doch in ihrem Kopf klingt noch immer die Musik aus dem Club als Nachhall ihres großen Triumphes. Der DJ-Sound, mit dem die Abstimmung auf der großen Leinwand untermalt wurde. Sie wiegt sich im Takt und denkt zurück an das überwältigende Glücksgefühl, als auf der Anzeigetafel ihr Name als Siegerin aufleuchtet. Sie ist aufgeputscht und ihr Blut voller Adrenalin über den unerwarteten Gewinn des Titels. Immer wieder sieht sie wie in einer Endlosschleife die Bilder, als ihr die Veranstalterin lächelnd die Krone auf den Kopf drückt.
»Ich werde dich trotzdem immer lieben!«, ruft sie dem Schatten nach, der schnell aus ihrem Blickfeld verschwindet. Mit ihm wollte sie ihre Freude und das Leben teilen, doch es kam alles anders. Sie winkt ihm hinterher und ihre gute Laune verfliegt, als sie einsam am Ufer zurückbleibt. Am liebsten möchte sie der im Dunkel untertauchenden Gestalt folgen und alles ungeschehen machen, die Zeit zurückdrehen. Ihr schlanker Körper in dem Designerkleid mit den blutroten Pailletten wirft schwarze Umrisse wie eine Mangazeichnung über den Strand, als sie zu laufen beginnt. Doch dann bleibt sie abrupt stehen und schaut auf das Display ihres Handys, wo noch immer die einsame WhatsApp-Nachricht aufleuchtet: »Das wirst du noch bereuen, du hässliche Kröte.« Die restlichen Hasskommentare auf Instagram hat sie bereits gelöscht und alle Hater eliminiert. Morgen wird sie ihre Konkurrentin zur Rede stellen. Doch noch ahnt sie nicht, dass es für sie kein Morgen geben wird.
»Was soll ich bloß tun?«, ruft sie traurig den Mond an.
»Es ist für alles zu spät«, flüstert plötzlich die Stimme einer Gestalt, die schlagartig vor ihr aus dem Nichts auftaucht.
Sie sieht, wie die Person einen Gegenstand aus der Tasche zieht, der auf den ersten Blick wie eine silberne Haarnadel aussieht. Doch es ist ein schlankes Stilett, das ihr den Tod bringt. Wie gebannt starrt sie auf diese leuchtende Schlange, die sich blitzschnell nähert und sich mitten in ihr Herz bohrt.
»Oh bitte nicht«, flüstert sie und spürt merkwürdigerweise keinen Schmerz. Der Schaft der dünnen Klinge glitzert im vorüberhuschenden Licht eines Scheinwerfers, der von einem Fischerboot weit draußen kommt. Sie dreht sich zum Meer und will den Fischern winken, will um Hilfe rufen, aber kein Laut dringt aus ihrem Mund.
Unendlich müde schleppt sie sich durch den Sand auf das Wasser zu. Genauso wie die Liebe verschwindet auch das Leben aus ihrem Körper. Niemand hat damit gerechnet, dass sie die Misswahl gewinnt. Doch was nützt ihr das jetzt? Sie spürt, dass sie bald stirbt, dass ihr Leben einfach viel zu kurz war, dass sie diesen Triumph niemals wird auskosten können. Noch sträubt sie sich und kämpft gegen das Unausweichliche an. Der Wind wird stärker, zerrt an ihren Haaren, flüstert ihr wissend ins Ohr: »Das ist dein Ende!«
Mit einem Mal strömt das Blut fast ungehindert aus der Wunde, mit jedem Schlag des Herzens spritzt es wie eine Fontäne in den Sand. Sie strauchelt und fällt auf die Knie, versucht aufzustehen, schafft es aber nicht. Immer mehr Blut durchnässt ihr Kleid, tropft auf den Boden und zieht eine rote Spur des Todes über den vom Mondlicht erhellten unberührten Strand.
Das schmale Haus in der Calle Desperado war schon lange abbruchreif, aber die Flügel des gemalten Engels auf der brüchigen Fassade bewahrten es davor.
Mit gesenkten Köpfen hockten zwei Männer auf dem Gehsteig vor einem Schachbrett und schienen die Welt ringsherum nicht wahrzunehmen. Als auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Mülltonne von zwei Jungen mit lautem Lachen umgeworfen wurde und sich der Inhalt auf dem rissigen Asphalt verteilte, blickte einer der beiden Spieler nur kurz auf, um sich dann wieder der Partie zu widmen.
»Hey, könnt ihr nicht woanders Schach spielen? Ihr blockiert den Gehweg und das ist schlecht fürs Geschäft«, schimpfte eine grell geschminkte Frau, die an der Straßenecke in aufreizender Pose auf Kunden wartete.
»Pass lieber auf, mit wem du dich da anlegst«, warnte José, einer der beiden Schachspieler, die Frau. »Der Mann ist Polizist.« Er zeigte ein zahnloses Grinsen.
»Was will die Lady von uns?«, fragte Lars Brückner und schob seinen König von der Grundlinie ein Feld weiter. Er arbeitete erst seit einiger Zeit als Europol-Beamter in Palma und war nicht ganz freiwillig von Hamburg nach Mallorca versetzt worden.
»Wir behindern den Verkehr.« José schüttelte sich vor Lachen über das gelungene Wortspiel.
»Du warst auch schon witziger«, meinte Lars und wartete auf den nächsten Zug seines Gegners.
»Und du hast schon besser gespielt.« José zog seinen Turm drei Felder vor. »Schach.«
»Verdammt, den Turm habe ich doch glatt übersehen«, brummte Lars und stützte das Kinn auf seine Hände. Er dachte eine Weile nach und wägte seine Möglichkeiten ab. »Da ist heute wohl nicht mehr viel zu machen.« Seufzend kippte er seinen König um und wischte sich die Hände an seinen Jeans ab.
»Wird Zeit, dass ich mich wieder an die Arbeit mache.«
Lars stand auf und streckte sich. »Regnet es hier überhaupt nie?«, fragte er José und sah hinauf in den Himmel, der schon am Morgen gnadenlos blau erstrahlte.
»Warte bloß, bis ein Unwetter über die Insel zieht. Dann gibt’s mehr Regen, als dir lieb ist.« José sammelte mit seinen dürren Fingern die Schachfiguren ein und verstaute sie in einer Papiertüte. »Du schuldest mir zehn Euro.«
»Ich wusste gar nicht, dass wir um Geld gespielt haben«, wunderte sich Lars.
»Es geht immer um Kohle«, erwiderte José und hielt die Hand auf. Ein Sonnenstrahl traf sein faltiges Gesicht, das mit der verwitterten Hausmauer zu verschmelzen schien.
»Wer hat eigentlich den Engel auf diese Hausmauer gemalt?«, fragte Lars nachdenklich, während er José den Zehneuroschein in die Hand drückte.
»Keine Ahnung.« José zuckte mit den Schultern. »Hier in Son Gotleu sind doch alle Künstler.«
»Wenn du das sagst, wird es wohl stimmen«, meinte Lars. »Die Zimmer meiner Vermieterin haben ja auch einen künstlerischen Touch.« Er dachte dabei an die farbenfrohen Wände seiner Bleibe in Carmen Mirandas Pension. Zu Beginn war Lars von dem leuchtenden Orange irritiert gewesen, aber mittlerweile fand er sogar, dass es sich positiv auf sein Gemüt auswirkte.
Seine Kollegin Ana Ortega hatte ihm das Zimmer in der Herberge ihrer Tante vermittelt und gemeint, dass sich Lars in der Umgebung nicht wohlfühlen würde. Das Gegenteil war der Fall. Der Stadtteil Son Gotleu war ein sogenannter sozialer Brennpunkt von Palma de Mallorca, aber das machte Lars nichts aus. Er hatte jahrelang über einem Boxstudio auf dem Hamburger Kiez gewohnt und wusste daher, wie man sich verhalten musste und dass die meisten Bewohner friedlich waren, wenn man sie in Ruhe ließ.
»Spielen wir am Abend noch eine Partie?«, fragte José zum Abschied.
»Wenn es nicht zu heiß ist.« Lars fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn.
»Kein Wunder, dass du bei der Hitze schwitzt. Du hast ja auch immer diesen komischen Mantel an.« José deutete auf den dünnen Parka, den Lars über seinem Hemd trug.
»Der ist aus einem speziellen Stoff, der bei Wärme kühlt. Ist dasselbe Prinzip wie mit heißem Tee, den man bei hohen Temperaturen trinken soll.«
»Ach was, bla, bla!« José machte eine abschätzige Handbewegung. »Ich bleibe lieber bei meinem Bier. Das spüle ich einfach runter und dann spüre ich die Hitze gar nicht mehr.«
»Also vielleicht bis zum Abend.« Lars stand auf und klopfte dem Alten freundschaftlich auf die Schulter, dann blickte er die Straße entlang.
Es war zwar noch früher Vormittag, aber so wie es aussah, würde es wieder ein heißer Tag mit endlosem Sonnenschein werden. Während er zu seinem Wagen ging, dachte Lars an den Fall, den er im Moment bearbeitete. Die Frau eines Immobilienmanagers war der Policia Nacional bei einer Routinekontrolle mit einem Paket Koks ins Netz gegangen. Da die Frau eine deutsche Staatsbürgerin war, wurde auch Lars mit den Ermittlungen betraut.
»Das ist alles zum Kotzen hier«, murmelte Lars, während er im Schatten der Häuser zu dem bewachten Parkplatz schlenderte. Und damit meinte er nicht nur die Sonne, sondern auch die langweiligen Fälle, die ihn unterforderten.
Früher war Lars Leiter einer internationalen Europol-Abteilung gewesen, aber bei den Ermittlungen zu einem Pädophilen-Ring hatte er seine Gegner unterschätzt. Er erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem sein Leben eine jähe Wendung genommen hatte:
»Ich hole Misaki heute ab«, hatte er zu seiner japanischen Frau Yoko gesagt. Lars fuhr die Straße entlang und sah in der Ferne bereits den Kindergarten, ein flaches Gebäude mit buntem Gartenzaun, den seine vierjährige Tochter besuchte. Auf der Straße kam ihm ein schwarzer Lieferwagen entgegen, auf den Lars nicht weiter achtete. Langsam fuhr er auf den Parkplatz und stieg aus. Freute sich schon darauf, seine Tochter in die Arme zu schließen.
»Hat Misaki etwas vergessen?«, fragte ihn Agnes, die Kindergärtnerin, am Gartentor.
»Wieso vergessen?« Lars verstand nicht, was die junge Frau in der Strickjacke meinte.
»Misaki wurde doch soeben von einem Ihrer Mitarbeiter abgeholt. Der Mann sagte, Sie hätten einen wichtigen Termin.«
»Ich habe niemanden beauftragt, Misaki abzuholen.« Lars spürte, wie sich vor seinen Augen alles zu drehen begann und er musste sich am Gartentor festhalten.
»Aber der Mann hatte eine Mail von Ihnen auf seinem Handy.« Agnes dröselte nervös an einem Faden ihrer Strickjacke. »Sonst hätte ich ihm doch niemals erlaubt, Misaki mitzunehmen.«
»Ich habe keine Mail geschickt«, antwortete Lars mit rauer Stimme. »Wann war das?«
»Gerade eben, sie müssen dem Wagen auf der Straße begegnet sein. Stimmt etwas nicht?«, fragte Agnes und zog verunsichert die Schultern hoch.
»War das ein schwarzer Lieferwagen?«
»Ja, genau.«
»Verdammt!« Lars drehte sich auf dem Absatz um, lief zu seinem Wagen und wendete ihn mit quietschenden Reifen. Raste die Straße entlang, sah weiter vorne einen schwarzen Lieferwagen, gab Gas und überholte. Schnitt den Kastenwagen und zwang ihn zum Anhalten. Sprang mit gezogener Waffe aus dem Auto, riss die Fahrertür des Wagens auf und hielt dem Fahrer die Pistole an die Schläfe.
»Wo ist Misaki?«, rief er und zwang den Fahrer auszusteigen.
»Öffnen Sie sofort die Tür!«
»Bitte tun Sie mir nichts. Ich habe Familie«, stammelte der dickliche Mann, dem der Schweiß ausbrach.
»Aufmachen!«, brüllte Lars.
Gehorsam öffnete der Mann die rückwärtigen Türen des Transporters. Im Inneren lagen Drahtrollen, Eisenstangen und ein Pressluftbohrer.
»Das gibt’s doch nicht«, murmelte Lars und sprang auf die Ladefläche. Durchsuchte in Windeseile den Laderaum. Nichts. Keine Spur seiner Tochter. Er hatte einen falschen Kastenwagen gestoppt. Das war der Anfang vom Ende.
Als es noch schlimmer kam und die Welt rings um ihn zu zerbröckeln begann und schließlich in Trümmern lag, nahm sich Lars eine Auszeit. Er begab sich in Therapie und schließlich in ein japanisches Zen-Kloster. Dort versuchte er mithilfe eines Zen-Meisters, seinem Leben wieder einen Sinn zu geben:
»Krieche in die Höhle«, befahl ihm der Meister. »Aber Vorsicht, es sind Ratten darin.« Lars biss die Zähne zusammen und kroch in das Dunkel, hörte das Fiepen und Trippeln, spürte kleine Krallen, die über seine Arme und Beine huschten. Aber er hielt durch. »Komm wieder heraus. Es gibt keine Ratten in der Höhle. Das passiert nur in deinem Kopf. Du denkst, dein Leben ist grauenhaft? Dann ist es das auch.«
Lars verstand, was der Meister damit meinte und bekam langsam sein Leben wieder in den Griff. Zunächst ging alles gut, doch dann erfuhr er von einem seiner Informanten den Namen des Mannes, der den Auftrag zur Entführung seiner Tochter gegeben hatte.
Das war ein ehrbarer Hamburger Bürger mit großem Einfluss, den Lars bald zu spüren bekam. Er wurde nach Mallorca zwangsversetzt, um dort gemeinsam mit der Policia Nacional gegen straffällige Deutsche vorzugehen. Seine neue Partnerin hieß Ana Ortega, war eine junge mallorquinische Polizistin, mit deren kratzbürstiger Art Lars noch immer seine Probleme hatte.
Das alles ging Lars durch den Kopf, als er zu dem Parkplatz ging, auf dem sein Wagen stand. Das Gelände war von einem hohen Maschendrahtzaun umgeben, um Diebe abzuhalten. Doch das Tor war geöffnet und das kleine Steinhäuschen, in dem sonst ein Wächter saß, leer.
Zwischen den Autoreihen sah Lars zwei junge Burschen in bunten Trainingsanzügen und modischen Sneakers, die von Wagen zu Wagen schlenderten und an den Türen rüttelten. Als sie einen unversperrten SUV entdeckten, setzten sie sich blitzschnell hinein, um ihn zu durchsuchen.
»Das darf doch nicht wahr sein«, brummelte Lars und beschleunigte seine Schritte. Von dem Wächter war weit und breit nichts zu sehen, als Lars an dem Häuschen vorbeilief. Schnell checkte Lars die Umgebung. Zum Glück waren bei dem Geländewagen die Seitenspiegel eingeklappt, so konnte er sich unbemerkt dem Wagen nähern. Mit einem Ruck riss er die Tür auf.
»Policia! Was tut ihr hier?«, rief er. Die beiden Burschen blickten überrascht auf und versuchten, an Lars vorbei zu flüchten.
»Halt, schön dableiben«, sagte Lars und hielt einen der beiden am Arm fest, während der andere davonrannte. Erst jetzt sah er, dass der Dieb fast noch ein Kind war. »Mann, was macht ihr für eine Scheiße«, meinte Lars und gab dem Jungen eine Kopfnuss.
»Haut bloß ab und lasst euch nicht mehr hier blicken! Sonst buchte ich euch ein!«
»Tut uns leid, Señor«, erwiderte der Junge, drückte sich an Lars vorbei und sauste blitzschnell seinem Freund hinterher.
»Na, das sind schöne Früchtchen«, murmelte Lars. Aus der gegenüberliegenden Bar stürzte mit einem Mal der Parkwächter und lief hastig über die Straße.
»Was ist hier los?«, fragte der Mann und blickte argwöhnisch auf Lars. Doch als er ihn erkannte, hellte sich seine Miene auf. »Ach, Sie sind es.«
»Jemand wollte diesen Wagen stehlen«, erklärte Lars und wies auf den Geländewagen. »Es ist Ihr Job, auf die Autos aufzupassen. Wo sind Sie gewesen?«
»Ich hatte etwas Wichtiges zu erledigen«, antwortete der Wächter, der mehrere Lotterielose in der Hand hielt. »Wir sind eine Spielergemeinschaft und kaufen gemeinsam Lose für die kleine Esmeralda, die schwer krank ist. Ihre Familie kann sich die Operation in Amerika nicht leisten. Ich verwalte die Lose. Wenn wir gewinnen, dann kann Esmeralda sofort operiert werden und hat eine Überlebenschance.«
»Oh, das wusste ich nicht. Was für ein toller Zusammenhalt«, erwiderte Lars.
»Bitte sagen Sie nichts zu den Betreibern des Parkplatzes«, bat ihn der Wächter. »Sonst bin ich den Job los.«
»Keine Angst, ich verrate Sie nicht.«
In diesem Moment schrillte sein Handy.
»Ich bin’s«, hörte er die dröhnende Stimme von Pedro »El Papa« Gonzales, dem Chef der Policia Nacional. »Wo bist du?«
»Hola, El Papa. Ich bin gerade auf dem Weg zu der Managergattin wegen der Koksgeschichte«, erklärte Lars und klemmte das Handy zwischen Schulter und Wange, während er seine Autoschlüssel suchte.
»Lass das bleiben. Den Fall kann jemand anderes bearbeiten. Du fährst sofort zur Cala Gamba.«
»Was soll ich dort tun?«
»In der Bucht gibt es eine Tote. Und es sieht so aus, als hätte ein prominenter Deutscher damit zu tun.«
Das Leben des Kindes beginnt mit dem Tod. Nach der Geburt lief es blau an, gab keinen Laut mehr von sich und alle hielten es für tot.
Kurze Zeit später wird eine junge Frau namens Pilar in die Notaufnahme der Klinik eingeliefert. Sie hat in einem Abbruchhaus Zwillinge auf die Welt gebracht, aber nur ein Baby hat überlebt.
Der Notarzt packt das überlebende Kind in ein Tuch und gibt dem Sanitäter das tote Baby. »Leg es in die Plastikbox.«
Dann stülpt er der bewusstlosen Frau die Sauerstoffmaske über das Gesicht, als man sie auf einer Trage in den Krankenwagen schiebt. »Da ist nicht mehr viel zu machen.«
»Ich kann aber den Puls noch spüren. Sie schafft das.« Der junge Sanitäter beginnt mit einer Herzmassage, während der Krankenwagen durch das nächtliche Palma de Mallorca rast.
»Wozu dieser ganze Aufwand, sie am Leben zu halten, wenn sie sich bei nächstbester Gelegenheit doch wieder einen Schuss setzt.« Der Notarzt klingt pessimistisch, denn er hat schon viele tragische Existenzen wie diese erlebt.
»Sie ist ein Mensch, der leben will«, murmelt der Sanitäter, während er verbissen die Reanimationsversuche fortsetzt. »Wo bringen wir sie hin?«
»Zum Krankenhaus der Nonnen.«
Das Krankenhaus der Nonnen ist ein Armenspital im Zentrum von Palma. Der Rettungswagen hält vor der Notaufnahme. Eine Hilfsschwester und ein Bereitschaftsarzt laufen heraus und wollen die bewusstlose Frau mit einer Transportliege durch den hell erleuchteten Eingang schieben.
»Wer ist das?«, fragt Clara de la Cruz, die Mutter Oberin, die gerade eine rauchende Reinigungskraft gemaßregelt hat.
»Eine Drogensüchtige. Sie hat Zwillinge zur Welt gebracht und ist dann ins Koma gefallen«, antwortet der Sanitäter. »Aber nur eines der Babys hat überlebt.«
»Wie tragisch«, sagt Clara. »Was ist mit der Mutter? Wird sie durchkommen?« Sie betrachtet mitleidig die junge Frau auf der Rollbahre.
»Das hoffen wir. Bringt sie sofort in den OP«, ordnet der Bereitschaftsarzt an.
»Da ist nicht mehr viel zu machen. Sie liegt weiterhin im Koma«, meint der Arzt resigniert einige Zeit später und zieht sich den Mundschutz herunter. »Aber wenigstens hat eines der Babys überlebt.«
»Sind es Buben oder Mädchen?«, fragt Clara den Bereitschaftsarzt.
»Es sind ein Bub und ein Mädchen. Aber nur der Junge hat es geschafft.«
»Was für ein Drama.« Clara tastet automatisch nach ihrem Kreuz, das an einer Kette um ihren Hals hängt, und betet in Gedanken einen Rosenkranz für Pilar, damit sie die Nacht übersteht.
»Was machen wir mit dem toten Säugling?«, fragt der Arzt, der die Plastikbox in den Händen hält.
»Gibt es einen Totenschein?«
»Liegt obenauf.« Der Arzt deutet auf ein Papier, das an die Box geklebt ist.
»Bringen Sie das tote Kind in den Leichenkeller«, sagt Clara hastig zu der Reinigungskraft, denn schon wieder rast ein Krankenwagen auf den Parkplatz. Sie wendet sich ab und verschwindet schnell in die Verwaltungsräume.
Gehorsam trägt die Reinigungskraft die Box mit dem toten Säugling in den Leichenkeller und stellt die Schachtel in ein Regal.
Die Nacht vergeht wie im Flug, denn es herrscht reger Betrieb in dem Armenhospital.
»Was ist mit der Mutter der Zwillinge?«, fragt die Reinigungskraft den Arzt, als sie den Boden im OP aufwischt.
»Ist leider verstorben.«
Nachdem sie ihre Nachtschicht beendet hat, geht sie nach draußen und raucht eine Zigarette. Immer wieder muss sie an das tote Baby im Leichenkeller denken. Sie selbst kann keine Kinder bekommen, deshalb geht ihr der Tod des Säuglings so nahe. Einmal noch will sie das zarte Gesichtchen sehen und geht hinunter in den Keller.
Sie hört mein leises Wimmern und nähert sich der Box, in der das Baby liegt.
»Mein Gott, das Kind lebt!« Vorsichtig hebt sie den Säugling hoch und wickelt ihn schnell in eine Decke. Sanft und mit wiegenden Bewegungen trägt sie ihn davon und drückt ihn an ihre warme Brust, als sie zum Bus läuft. Das alles fühlt sich völlig normal an. Das Herz des Babys beginnt wieder gleichmäßig zu schlagen und es atmet entspannt. Sonnenstrahlen streichen über die zarte Haut, und die Frau beginnt vor Glück zu schluchzen: »Das Mädchen lebt!«
Ana Ortega stand am Strand von Cala Gamba und blinzelte in die Sonne. Sie war Jefe Inspectora der Policia Nacional von Palma und gerade erst am Schauplatz des Verbrechens angekommen. Im Licht der grellen Sonne wirkte das rote Kleid des toten Mädchens wie eine riesige Blutlache, die sich zum Wasser hin ausdehnte. Ein zerfetzter roter Schleier tanzte im Wind und wickelte sich um das blau-weiße Absperrband der Polizei. Flugzeuge stiegen in rascher Folge von dem nahe gelegenen Flughafen von Palma de Mallorca auf und veranstalteten eine brutale Lärmorgie, denn die Start- und Landebahn endete direkt vor dem Strand.
Ana stammte aus Son Gotleu, einem Stadtteil von Palma, der von den Politikern gerne als »sozialer Brennpunkt« bezeichnet wurde. Wer hier wohnte, für den hatte die Zukunft nicht viel zu bieten. Hier lebten die Arbeitslosen, die illegalen Emigranten, die Dealer und Hehler. All jene, die am Rande der Gesellschaft ihr Dasein fristeten. Und in diesem Viertel kam Ana zur Welt. Sie hatte in einer engen Zweizimmerwohnung mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und einem Cousin gelebt. Schon früh verfestigte sich bei ihr der Gedanke, aus Son Gotleu auszubrechen. Jetzt war sie über dreißig und bereits geschieden, ihr Ex-Mann saß wegen Korruption im Gefängnis, ebenso wie ihr Cousin.
›Du schaffst das, dich aus den Klauen dieses Viertels zu befreien‹, hatte sie oft zu sich gesagt und sich noch tiefer in ihre Arbeit verbissen. Als eine junge Frau aus Son Gotleu hatte sie es doppelt schwer in der männerdominierten Hierarchie der Polizei. Aber Ana hatte sich mit Können und Sturheit den Respekt ihrer Kollegen erarbeitet und es bis zur Jefe Inspectora gebracht.
»Wer hat die Tote gefunden?«, fragte sie einen Polizisten, der bei einem dürren Mann im Sportoutfit stand.
»Dieser Jogger hier, ich nehme gerade seine Aussage auf.«
»Ist gut.«
Langsam ging Ana auf die Tote zu. Eine breite, bereits eingetrocknete Blutspur führte quer über den Strand fast bis zur Wasserlinie. Der Wind hatte die langen schwarzen Haare über das Gesicht der Frau geweht. Sie trug ein rotes Designerkleid mit blutroten Pailletten, die in der Sonne funkelten. Ana zog ein paar Latexhandschuhe an und schob mit einem Finger die Haarsträhnen aus der Stirn der Toten. Sie sah die Züge einer ausgesprochen hübschen jungen Frau, aber es war auch ein Gesicht, das Ana nur zu gut kannte.
»Oh mein Gott«, flüsterte sie und zuckte erschrocken zurück. »Das ist ja Dita!«
In Anas Kopf lief wie im Zeitraffer ein Film ab. Dita war die Tochter einer Nachbarin ihrer Mutter gewesen. Ein hübsches Kind, das aber immer ein wenig kränklich wirkte. Doch Dita war sehr aufgeweckt und für ihr Alter ziemlich intelligent. Bereits mit sechs Jahren sprach sie Englisch und wollte Topmodel werden, wie die Mädchen aus den Fernsehshows. Als Ana die Polizeischule besuchte, hatte sie Dita aus den Augen verloren, aber über ihre Mutter Dolores mitbekommen, dass Dita ein Stipendium fürs Colegio bekommen hatte und gelegentlich als Model arbeitete. Genauso wie Ana hatte auch Dita alles darangesetzt, sich ein eigenes Leben zu schaffen, das nichts mehr mit Son Gotleu zu tun hatte. Ana erinnerte sich an die letzte Begegnung an einem heißen Sommertag. Dita stand auf dem Dach und hängte Wäsche auf die kreuz und quer gespannten Leinen.
»Hola, Dita, wie geht’s dem schönsten Mädchen von Palma?«, rief Ana und winkte aus dem Fenster des gegenüberliegenden Hauses.
»Hi, Ana. Es könnte nicht besser sein. In ein paar Wochen bin ich weg von hier«, lachte Dita und schüttelte ihre schwarze Mähne.
»Wo soll’s denn hingehen?«, fragte Ana und bewunderte Dita für ihren Mut, tatsächlich aus Son Gotleu wegzuziehen. Viele Mädchen dieses Viertels träumten sich in andere Länder, aber nur wenige brachten die Energie auf, es zu tun. Dita war eine der wenigen, die es schaffen konnte.
»Nach Deutschland. Ich kann es gar nicht mehr erwarten, aus diesem Rattennest wegzukommen.«
»Kann ich verstehen.«
»Das Leben ist schön!«, jauchzte Dita und streckte ihre Daumen in die Höhe.
»Ich wünsche dir viel Glück!«, waren Anas letzte Worte an Dita gewesen. Sie hatten sich nicht mehr wiedergesehen. Die sepiafarbenen Bilder der Erinnerung verblassten und machten der harten Realität Platz, in der Dita wie eine nur kurz aufgeblühte Rose tot im Sand lag.
›Wie traurig. Dita hätte es beinahe geschafft‹, dachte Ana. Dita wäre es gelungen, aus Son Gotleu zu entkommen, aus dem ewigen Kreislauf aus Kleinkriminalität und Armut. Aber jetzt hatte das Schicksal unbarmherzig zugeschlagen. An einem Abend, der für Dita wahrscheinlich eine besondere Bedeutung gehabt hatte, war sie brutal ermordet worden.
›Eine verdammte Ungerechtigkeit ist das.‹ Ana blickte in den morgendlich strahlenden Himmel, der ungerührt von der Tragödie am Strand ein Postkartenmotiv abgab. In diesem Moment hob mit ohrenbetäubendem Lärm ein Flugzeug von der Landebahn ab und verschwand wie ein silbriger Riesenvogel in dem blauen Morgendunst.
Seufzend drehte sie sich wieder um und betrachtete die Tote. Dita war eine auffallend attraktive junge Frau gewesen. Ana überlegte und rechnete nach. Dita musste Anfang zwanzig sein. Das rote Designerkleid deutete darauf hin, dass sie ein Event besucht hatte.
»Gab es hier in der Umgebung gestern eine Veranstaltung?«, fragte sie einen Polizisten.
»Ja. Gestern war die Wahl der Miss Balear im Puro Beach Club«, antwortete der Beamte.
»Dann wird Dita sicher dort gewesen sein. Schick sofort einen Mann hinüber, der soll sich erkundigen«, wies sie den Polizisten an. Dann drehte sich Ana zu Francisco, dem Gerichtsmediziner, der stumm neben der Leiche kniete. Francisco machte bei seiner Arbeit immer ein mürrisches Gesichts und wirkte dadurch griesgrämig, aber in Wirklichkeit war er sanft wie ein Lamm.
»Weißt du schon, wie sie gestorben ist?«, fragte Ana.
»Sie hat einen gezielten Messerstich ins Herz erhalten. Sehr präzise und mit großer Kraft, soweit ich das jetzt schon beurteilen kann«, erwiderte Francisco. »Genaueres kann ich dir allerdings erst nach der Obduktion sagen.«
»Danke.« Ana beugte sich über Ditas Körper. Das Kleid war an der Brust blutgetränkt und ein paar der Pailletten fehlten.
»Ist das nicht Dita Fuentes, die neue Miss Balear?«, fragte plötzlich der Polizeifotograf, der soeben an den Tatort gekommen war. »Natürlich, das ist sie.«
»Wie, sie ist die Miss Balear?«, fragte Ana überrascht. »Das ist wirklich tragisch. Die arme Dita.«
»Kennst du sie näher?«, fragte der Polizeifotograf und schoss aus allen möglichen Perspektiven Bilder von der Toten.
»Ja. Sie war die Tochter einer Nachbarin meiner Mutter. Aber dass sie letzte Nacht die Misswahl gewonnen hat, wusste ich nicht.«
»Oh, sie war die neue Miss Balear?«, sagte Francisco beeindruckt. »Da hat sie aber nicht viel von ihrem Titel gehabt.«
»Ja, leider. Das Leben ist manchmal ungerecht. Kannst du mir auch etwas zum Todeszeitpunkt sagen?«
»Ausgehend von ihrer derzeitigen Körpertemperatur schätze ich zwischen Mitternacht und zwei Uhr. Aber Genaueres gibt es wie gesagt erst nach der Obduktion.«
In diesem Moment hielt ein Wagen auf der Straße oberhalb des Strandes und ein hünenhafter Mann stieg aus. Als er Ana entdeckte, winkte er ihr zu und stapfte schwer atmend die Böschung hinunter.
»Ich war gerade drüben im Beach Club. Die Tote ist Dita Fuentes!«, rief er schon von Weitem und wedelte mit einem Blatt Papier. »Sie ist die neue Miss Balear.«
»Das weiß ich bereits und ich kannte sie auch. Sie war die neue Miss Balear«, verbesserte Ana ihren Chef Pedro Gonzales, der von allen nur »El Papa« genannt wurde. »Ihr Tod wird sicher ein ziemliches Medienecho hervorrufen.«
»Deshalb bin ich auch hier«, antwortete El Papa und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Um dir die Aasgeier vom Leibe zu halten.« El Papa deutete nach oben, wo bereits ein Reporterwagen parkte, aus dem gerade zwei Personen mit Kameras stiegen.