Schriften aus dem Nachlaß 1892-1938 - Sigmund Freud - E-Book

Schriften aus dem Nachlaß 1892-1938 E-Book

Sigmund Freud

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Beschreibung

Gesammelte Werke in Einzelbänden, Band XVII: Beiträge zu den Studien über Hysterie Eine erfüllte Traumahnung Psychoanalyse und Telepathie Das Medusenhaupt Die Ichspaltung im Abwehrvorgang Abriß der Psychoanalyse Ergebnisse, Ideen, Probleme

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Sigmund Freud

Band 17:Schriften aus dem Nachlaß 1892-1938

Fischer e-books

VORWORT DER HERAUSGEBER

Der wissenschaftliche Nachlass Sigmund Freuds, den die Herausgeber in diesem Band zusammenfassen, ist seinem Umfang nach gering. Die Ursache dafür liegt in der Arbeitsweise des Autors. Freud schrieb für die Publikation; er übergab der Öffentlichkeit, was fertiggestellt war, und vernichtete wieder, was als Vorarbeit überholt war oder ihm nicht druckreif schien. Die wenigen in diesem Band enthaltenen Entwürfe und Skizzen sind Ausnahmen, die diesem Schicksal aus verschiedenen Gründen entgangen sind.

Beispiele für zufällige Erhaltung sind die drei kurzen „Beiträge zu den Studien über Hysterie“. Sie entstammen dem schriftlichen Gedankenaustausch zwischen Breuer und Freud aus der Zeit vor der Publikation ihrer gemeinsamen Arbeiten. In einem Brief vom 8.X. 1909 bestätigt Freud ihre Rückstellung wie folgt: „Nehmen Sie meinen ergebensten Dank für die Überlassung der alten Skizzen und Entwürfe, die mir in der Tat sehr interessant erscheinen. Mit dem Abschnitt über den Anfall dürfte es sich so verhalten wie Sie vermuten, doch habe ich Manuskripte nach dem Druck nicht mehr aufbewahrt.“

Das Vorhandensein des Artikels „Eine erfüllte Traumahnung“ und der unausgeführten Skizze „Das Medusenhaupt“ ist nicht weiter begründet. Beide dürften der Vernichtung durch Zufall entgangen sein.

„Psychoanalyse und Telepathie“ ist für die mündliche Mitteilung vor dem engeren Zentralvorstand der psychoanalytischen Vereinigung geschrieben. Als solche Adresse ist es persönlicher gehalten und enthält mehr Einzelheiten als für die Veröffentlichung im Druck geplant{viii} war. Die Herausgeber haben sich durch diese grössere Ausführlichkeit bestimmen lassen, die Arbeit (mit einigen wenigen Auslassungen) in der ursprünglichen Form abzudrucken, obwohl ihre Ergebnisse den Lesern aus den späteren Verarbeitungen bekannt sind.

Auch die „Ansprache an die Mitglieder usw.“ ist für die mündliche Mitteilung und nicht für den Druck geschrieben. Es ist im Augenblick nicht möglich festzustellen, ob sie in den „B’nai B’rith Mitteilungen für Österreich“ Jahrgang 1926, (für „dem Verbande nicht Angehörende als Manuskript gedruckt“) erschienen ist. Die Herausgeber entschlossen sich zu ihrer Aufnahme in diesen Band nicht wegen des wissenschaftlichen Inhalts, sondern weil sie bestimmte Gedankengänge Freuds zu Problemen von allgemeinem Interesse entwickelt.

Wichtiger als diese mehr zufällige Auswahl aus den früheren Schriften sind die Arbeiten aus dem Jahre 1938, die den eigentlichen wissenschaftlichen Nachlass Freuds enthalten. Sie umschreiben den Problemkreis, mit dem Freud in seinen letzten Arbeitsjahren beschäftigt war. Ihre Erhaltung und Aufnahme bedarf keiner weiteren Begründung: es sind unfertige Arbeiten, deren Vollendung durch die letzte Erkrankung des Autors unterbrochen wurde. Der „Abriss der Psychoanalyse“ entstand aus der Bemühung, eine Darstellung der Psychoanalyse zu geben, die knapper und elementarer sein sollte als die bis dahin vorhandenen. Der Versuch schien Freud nicht gelungen. Er begann in „Some Elementary Lessons etc.“ die Arbeit umzuschreiben, um ihr eine andere noch mehr vereinfachte Fassung zu geben. Der englische Titel dieser Arbeit trägt der neuen Umgebung Rechnung, für deren Leserkreis sie bestimmt war. Die „Ichspaltung im Abwehrvorgang“ gibt Rechenschaft von dem Versuch, Vorgänge der Ichentwicklung unter einem neuen Gesichtspunkt, dem der Spaltung und Synthese, anzusehen, „Ergebnisse, Ideen, Probleme“ haben die bei Freud übliche Form der tagebuchartigen Aufzeichnung von Überlegungen, die sich ihm aus der täglichen Arbeit an Patienten ergaben und gewöhnlich den ersten Ansatzpunkt für spätere Arbeiten enthielten. Sie sind das einzige Blatt dieser Art, das erhalten ist. Alle ähnlichen Notizen aus den vorhergehenden Jahren sind von Freud selbst vor seiner Abreise von Wien vernichtet worden.

Im Besitze der Herausgeber befinden sich ausser dem hier veröffentlichten Material noch die zahlreichen Briefe Freuds, die zum Teil wertvolle wissenschaftliche Hinweise enthalten, einige verstreute Anmerkungen zu verschiedenen Themen, die durch andere Veröffentlichungen überholt erscheinen, eine ausführliche Krankengeschichte des „Rattenmannes“ (Bemerkungen zu einem Fall von Zwangsneurose), die sich aus Gründen der ärztlichen Diskretion zur Publikation nicht eignet, und eine erste Fassung des „Moses“, die vielleicht in einem späteren Zeitpunkt der Öffentlichkeit übergeben werden kann.

 

London, im August 1940.

BEITRÄGE ZU DEN „STUDIEN ÜBER HYSTERIE“

BRIEF AN JOSEF BREUER

{4}

Brief an Josef Breuer, vom 29.6.1892 datiert. Die in eckigen Klammern eingefassten Sätze und Worte sind im Manuskript durchgestrichen.

{5}

29.6.92.

Verehrtester

 

Die Befriedigung, mit welcher ich Ihnen arglos meine paar Seiten überreichte, ist dem Unbehagen gewichen, welches sich an beständige Denkschmerzen zu knüpfen pflegt. Ich quäle mich mit dem Problem, wie man etwas so Körperhaftes wie unsere Hysterielehre flächenhaft darstellen kann. Die Hauptfrage ist wohl die, stellen wir es historisch dar, fangen mit allen oder den zwei besten Krankengeschichten an, oder vielmehr dogmatisch mit unseren zur Erklärung erfundenen Theorien. Ich neige mich der letzteren Entscheidung zu und würde so gliedern:

Unsere Theorien:

Der Satz von der Konstanz der Erregungssumme.

Die Theorie der Erinnerung.

Der Satz, dass der Inhalt verschiedener Bewusstseinszustände nicht miteinander assoziiert wird.

Die Entstehung der hysterischen Dauersymptome: Traum, Autohypnose, Affekt und Wirkung des absoluten Traumas. Die drei ersten Momente auf Disposition, das letzte auf Aetiologie bezüglich. Die Dauersymptome entsprächen normalem Mechanismus, sie sind [Reaktionsversuche, zum Teil auf abnormen Wegen, das Hysterische daran, dass sie bleiben. Der Grund für ihr Verbleiben liegt im Satz c).] Verschiebungen von Erregungs-[Nebenthema]summen z.T.auf abnorme Wege (innere Veränderung), welche nicht gelöst werden. Grund der Verschiebung: Versuch der Reaktion, Grund des{6} Verbleibens: Satz c) von der Isolierung für die Assoziation. – Vergleich mit Hypnose –

Nebenthema: Über die Art der Verschiebung: Lokalisation der hysterischen Dauersymptome.

Der hysterische Anfall: Gleichfalls Reaktionsversuch auf Wege des Erinnerns usw.

Die Entstehung der hysterischen Stigmata: Recht dunkel, einige Andeutungen.

Die pathologische Formel der Hysterie: Dispositions- und accidentelle Hysterie. Die Reihe, die ich aufgestellt. Die Grösse der Erregungssumme, Begriff des Traumas, der zweite Bewusstseinszustand.

{7}

ZUR THEORIE DES HYSTERISCHEN ANFALLES

(GEMEINSAM MIT JOSEF BREUER)

{8}

Das Manuskript, ein Entwurf, der an Breuer gesendet wurde, in der Handschrift Freuds geschrieben, trägt das Datum: Wien, Ende November 1892. Einzelne Abschnitte sind in der vorläufigen Mitteilung „Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene“ (Neurologisches Zentralblatt, Jahrgang 1893; „Studien über Hysterie“ 1895) enthalten. Die Arbeit ist mit Zustimmung der Erben Breuers in der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse und Imago, Band XXV, 1940, Heft 2, erschienen.

{9}

Es gibt, soviel uns bekannt ist, noch keine Theorie des hysterischen Anfalles, sondern bloss eine von Charcot herrührende Beschreibung desselben, welche sich auf die selten vorkommende, unverkürzte „grande attaque hystérique“ bezieht. Ein solcher „typischer“ Anfall besteht nach Charcot aus vier Phasen, 1) der epileptoiden, 2) den grossen Bewegungen, 3) der Phase der „attitudes passionelles“, 4) dem „délire terminal“. Indem sich einzelne dieser Phasen selbständig machen, verlängern, modifizieren oder ausfallen, entstehen nach Charcot alle jene mannigfaltigen Formen von hysterischen Anfällen, die man als Arzt häufiger als die typische grande attaque zu beobachten Gelegenheit hat.

Diese Beschreibung bietet keinerlei Aufklärung über einen etwaigen Zusammenhang der einzelnen Phasen, über die Bedeutung des Anfalles im Gesamtbilde der Hysterie oder über die Modifikation der Anfälle bei den einzelnen Kranken. Wir gehen vielleicht nicht irre, wenn wir vermuten, dass bei der Mehrzahl der Ärzte die Neigung vorherrscht, im hysterischen Anfall eine „periodische Entladung der motorischen und psychischen Zentren der Hirnrinde“ zu sehen.

Wir sind zu unseren Anschauungen über den hysterischen Anfall dadurch gelangt, dass wir Hysterische mit hypnotischer Suggestion behandelten und durch Ausfragen in der Hypnose ihre psychischen Vorgänge während des Anfalles erforschten. Wir stellen folgende Sätze über den hysterischen Anfall auf, denen wir noch die Bemerkung vorausschicken, dass wir die Annahme einer Dissoziation – Spaltung des Bewusstseinsinhaltes – für unentbehrlich zur Erklärung hysterischer Phänomene erachten.

{10}

Konstanter und wesentlicher Inhalt eines (wiederkehrenden) hysterischen Anfalles ist die Wiederkehr eines psychischen Zustandes, den der Kranke bereits früher einmal erlebt hat, mit anderen Worten, die Wiederkehr einer Erinnerung.

Wir behaupten also, dass das wesentliche Stück des hysterischen Anfalles in der Charcot’schen Phase der attitudes passionelles enthalten ist. In vielen Fällen ist es ganz offenkundig, dass diese Phase eine Erinnerung aus dem Leben des Kranken, und zwar häufig immer die nämliche, enthält. In anderen Fällen aber scheint eine solche Phase zu fehlen, der Anfall besteht anscheinend nur aus motorischen Phänomenen, epileptoiden Zuckungen, einem kataleptischen oder schlafähnlichen Ruhezustand, aber auch in diesen Fällen gestattet die Ausforschung in der Hypnose den sicheren Nachweis eines psychischen Erinnerungsvorganges, wie er sich sonst in der phase passionelle augenfällig verrät.

Die motorischen Erscheinungen des Anfalles sind nie ausser Zusammenhang mit dem psychischen Inhalt desselben; sie stellen entweder den allgemeinen Ausdruck der begleitenden Gemütsbewegung dar oder entsprechen genau jenen Aktionen, welche der halluzinatorische Erinnerungsvorgang mit sich bringt.

Die Erinnerung, welche den Inhalt des hysterischen Anfalles bildet, ist keine beliebige, sondern ist die Wiederkehr jenes Erlebnisses, welches den hysterischen Ausbruch verursacht hat – des psychischen Traumas.

Dieses Verhältnis ist wiederum augenfällig in jenen klassischen Fällen traumatischer Hysterie, wie sie Charcot bei Männern kennen gelehrt, in denen das früher nicht hysterische Individuum von einem einzigen grossen Schreck an (Eisenbahnunfall, Sturz etc.) der Neurose verfällt. Hier bildet der Inhalt des Anfalles die halluzinatorische Reproduktion jenes mit Lebensgefahr verbundenen Ereignisses, etwa nebst den Gedankengängen und Sinneseindrücken, die das bedrohte Individuum damals ange{11}sponnen. Aber diese Fälle verhalten sich nicht abweichend von der gemeinen weiblichen Hysterie, sondern sind geradezu vorbildlich für dieselbe. Erforscht man bei letzterer den Inhalt der Anfälle auf dem angegebenen Wege, so stösst man auf Erlebnisse, welche gleichfalls ihrer Natur nach geeignet sind als Trauma zu wirken (Schreck, Kränkung, Enttäuschung). In der Regel wird das vereinzelte grosse Trauma hier ersetzt durch eine Reihe von kleineren Traumen, die durch Gleichartigkeit oder indem sie Stücke einer Leidensgeschichte bilden, zusammengehalten werden. Solche Kranke haben dann auch häufig verschiedene Arten von Anfällen, jede Art mit besonderem Erinnerungsinhalt. – Man wird durch diese Tatsache dazu veranlasst, dem Begriff der traumatischen Hysterie eine grössere Ausdehnung zu geben.

In einer dritten Gruppe von Fällen findet man als Inhalt der Anfälle Erinnerungen, denen man an und für sich einen traumatischen Wert nicht zugestehen würde, die denselben aber offenbar dem Umstande verdanken, dass sie sich durch Zusammentreffen mit einem Moment krankhaft gesteigerter Disposition assoziiert haben und so zu Traumen erhoben worden sind.

Die Erinnerung, welche den Inhalt des hysterischen Anfalles bildet, ist eine unbewusste, korrekter gesprochen: sie gehört dem zweiten, bei jeder Hysterie mehr oder minder hoch organisierten Bewusstseinszustande an. Demgemäss fehlt sie auch dem Gedächtnis des Kranken in seinem Normalzustande gänzlich oder ist nur summarisch in demselben vorhanden. Wenn es gelingt, diese Erinnerung gänzlich ins normale Bewusstsein zu ziehen, hört deren Wirksamkeit zur Erzeugung von Anfällen auf. Während des Anfalles selbst befindet sich der Kranke völlig oder teilweise im zweiten Bewusstseinszustand. Im ersten Falle ist er in seinem normalen Leben für den ganzen Anfall amnestisch; im zweiten nimmt er seine Zustandsveränderung und motorischen Äusserungen wahr, während der psychische Vorgang während des Anfalles ihm verborgen bleibt. Derselbe{12} kann aber jederzeit durch die Hypnose geweckt werden.

Die Frage nach der Herkunft des Erinnerungsinhaltes hysterischer Anfälle fällt zusammen mit der Frage, welche Bedingungen dafür massgebend seien, dass ein Erlebnis (Vorstellung, Vorsatz etc.) anstatt ins normale ins zweite Bewusstsein aufgenommen wird. Wir haben von diesen Bedingungen bei Hysterischen zwei mit Sicherheit erkannt.

Wenn der Hysterische ein Erlebnis mit Absicht vergessen will, einen Vorsatz, eine Vorstellung gewaltsam von sich weist, hemmt und unterdrückt, so geraten dadurch diese psychischen Akte in den zweiten Bewusstseinszustand, äussern von dort aus ihre permanenten Wirkungen, und die Erinnerung an sie kommt als hysterischer Anfall wieder. (Hysterie der Nonnen, der enthaltsamen Frauen, der wohlerzogenen Knaben, der Personen, welche Hang zur Kunst, zum Theater in sich verspüren etc.)

In den zweiten Bewusstseinszustand geraten auch jene Eindrücke, welche während eines ungewöhnlichen psychischen Zustandes (Affekt, Ekstase, Autohypnose) empfangen worden sind.

Wir fügen hinzu, dass diese beiden Bedingungen sich häufig durch inneren Zusammenhang kombinieren und dass ausser ihnen noch andere anzunehmen sind.

Wenn man von dem übrigens weiter tragenden Satze ausgeht, dass das Nervensystem bestrebt ist, etwas in seinen Funktionsverhältnissen, was man die „Erregungssumme“ nennen mag, konstant zu erhalten, und dass es diese Bedingung der Gesundheit durchsetzt, indem es jeden sensibeln Erregungszuwachs assoziativ erledigt oder durch entsprechende motorische{13} Reaktion abführt, gelangt man zu einer gemeinsamen Eigentümlichkeit derjenigen psychischen Erlebnisse, die man als Inhalt hysterischer Anfälle vorfindet. Es sind durchwegs Eindrücke, denen die adäquate Abfuhr versagt ist, sei es weil die Kranken aus Furcht vor peinlichen Seelenkämpfen die Erledigung von sich weisen, sei es weil (wie bei sexuellen Eindrücken) Schamhaftigkeit und soziale Verhältnisse sie verbieten, oder endlich weil diese Eindrücke in Zuständen empfangen worden sind, in denen das Nervensystem der Aufgabe der Erledigung unfähig war.

Man gewinnt auf diesem Wege auch eine für die Lehre von der Hysterie brauchbare Definition des psychischen Traumas. Zum psychischen Trauma wird jeder Eindruck, dessen Erledigung durch assoziative Denkarbeit oder motorische Reaktion dem Nervensystem Schwierigkeiten bereitet.

{14}
{15}

NOTIZ „III“

{16}

Das Manuskript ist ein undatierter Entwurf, es stammt offenbar aus dem Jahre 1892 und ist „III“ überschrieben.

{17}

Wir haben im Vorstehenden als eine Tatsache der Beobachtung anführen müssen, dass die Erinnerungen, welche hinter hysterischen Phänomenen stecken, dem Gedächtnis der Kranken, über das sie verfügen, fehlen, während sie sich in der Hypnose mit halluzinatorischer Lebhaftigkeit wachrufen lassen. Wir haben ferner angeführt, dass eine Reihe von solchen Erinnerungen sich auf Vorfälle in eigentümlichen Zuständen wie Schreckkataplexie, Halbträume, Autohypnose u.dgl. bezieht, deren Inhalt nicht in Assoziativverkehr mit dem normalen Bewusstsein steht. Es war uns also bereits soweit unmöglich, die Bedingung für das Zustandekommen hysterischer Phänomene zu erörtern, ohne auf diejenige Annahme einzugehen, welche eine Charakteristik der hysterischen Disposition versucht, nämlich, dass es bei der Hysterie leicht zur zeitweiligen Dissoziation des Bewusstseinsinhaltes und zur Absprengung einzelner nicht im assoziativen Verkehr stehenden Vorstellungskomplexe kommt. Wir suchen also die hysterische Disposition darin, dass solche Zustände entweder spontan (auf innere Ursachen hin) auftreten oder dass sie leicht durch äussere Einflüsse provoziert werden, wobei wir eine Reihe von wechselnder Beteiligung der beiden Faktoren gelten lassen.

Wir heissen diese Zustände hypnoide und heben als wesentlich für sie hervor, dass ihr Inhalt mehr minder vom übrigen Bewusstseinsinhalt abgesperrt, also der assoziativen Erledigung beraubt ist, wie wir im Traum und Wachen, Vorbild verschiedener Zustände, nicht zu assoziieren sondern nur{18} unter einander[1] geneigt sind. Bei disponierten Personen könnte jeder Affekt zu einer solchen Abspaltung Anlass geben, und der im Affekt empfangene Eindruck würde so zum Trauma, auch wenn er dazu an sich nicht geeignet ist. Der Eindruck könnte auch selbst diesen Affekt machen. In ihrer voll entwickelten Form bildeten diese hypnoiden Zustände, die miteinander assoziierbar sind, die condition seconde etc. der bekannten Fälle. Rudimente dieser Anlage wären überall anzuerkennen und sind durch geeignete Traumen auch bei nicht disponierten Personen zu entwickeln. Insbesondere eignet sich das Sexualleben dazu, Inhalt (solcher Traumen[2]) zu bilden, mit dem mächtigen Gegensatz, den es zur sonstigen Person bildet und der Unreagierbarkeit seiner Vorstellungen.

Man versteht, dass unsere Therapie darin besteht, die Wirkungen der nicht abreagierten Vorstellungen dadurch aufzuheben, dass wir entweder im Somnambulismus das Trauma wiederaufleben lassen, abreagieren und korrigieren oder in leichterer Hypnose es ins normale Bewusstsein ziehen.

{19}

EINE ERFÜLLTE TRAUMAHNUNG

Das Manuskript trägt das Datum 10. November 1899.

Frau B., eine ausgezeichnete, auch kritische Person erzählt in anderem Zusammenhange, keineswegs tendenziös, dass sie einmal vor Jahren geträumt, sie treffe ihren früheren Hausarzt und Freund, Dr. K., in der Kärntnerstrasse vor dem Laden von Hies. Am nächsten Vormittag geht sie durch diese Strasse und trifft die bezeichnete Person wirklich an der geträumten Stelle. Soweit das Argument. Ich bemerke noch, dass dieses wunderbare Zusammentreffen seine Bedeutung durch kein nachfolgendes Ereignis erwies, also aus dem Zukünftigen nicht zu rechtfertigen ist.

Zur Analyse dient das Examen, welches feststellt, dass der Beweis nicht zu führen ist, sie hätte diesen Traum am Morgen nach der Traumnacht überhaupt vor dem Spaziergang erinnert. Ein solcher Beweis wäre die Niederschrift oder Mitteilung des Traumes vor seiner Erfüllung gewesen. Die Dame muss sich vielmehr ohne Einwendung folgende Darstellung des Sachverhaltes gefallen lassen, die mir die wahrscheinlichere ist: Sie ist eines Vormittags in der Kärntnerstrasse spazieren gegangen und hat vor dem Laden von Hies ihren alten Hausarzt begegnet. Als sie ihn sah, bekam sie die Überzeugung, sie habe die letzte Nacht von eben diesem Zusammentreffen an der nämlichen Stelle geträumt. Nach den für die Deutung neurotischer Symptome geltenden Regeln muss diese Überzeugung eine berechtigte sein. Der Inhalt derselben darf eine Umdeutung erleiden.

Die Vergangenheit der Frau B. enthält folgende Geschichte, zu der Dr. K. in Beziehung steht. Sie wurde jung, ohne volle Einwilligung, an einen älteren aber vermögenden Mann verheiratet, der einige Jahre nachher sein Vermögen verlor, an Tuberkulose erkrankte und{22} starb. Die junge Frau erhielt sich und den Kranken mehrere Jahre lang durch Musikunterricht. Sie fand Freunde im Unglück, einer derselben war der Hausarzt Dr. K., der dem Mann seine Pflege widmete und ihr den Weg zu den ersten Lektionen ebnete. Ein anderer war ein Advokat, auch ein Dr. K., der die desolaten Verhältnisse des ruinierten Kaufmannes in Ordnung brachte, dabei aber um die Liebe der jungen Frau sich bewarb und auch – zum ersten und einzigen Mal – die Leidenschaft in ihr entflammte. Aus dieser Liebesbeziehung wurde kein rechtes Glück, die Bedenken ihrer Erziehung und Denkungsart verdarben der Frau und später der Witwe die Hingebung. In demselben Zusammenhange, der obigen Traum einschliesst, erzählt Frau B. von einer wirklichen Begebenheit jener unglücklichen Zeit, in der sie nach ihrer Schätzung ein merkwürdiges Zusammentreffen sieht. Sie befand sich in ihrem Zimmer, auf dem Boden knieend, den Kopf auf einen Sessel gelegt und schluchzte in leidenschaftlicher Sehnsucht nach ihrem Freund und Helfer, dem Advokaten, als dieser im nämlichen Moment die Türe öffnete, um sie zu besuchen. Wir werden nichts Merkwürdiges in diesem Zusammentreffen finden, wenn wir überlegen, wie oft sie seiner so gedacht und wie oft er sie besucht haben mag. Auch finden sich solche wie verabredete Zufälligkeiten in allen Liebesgeschichten. Doch ist dieses Zusammentreffen wahrscheinlich der eigentliche Inhalt ihres Traumes und die einzige Begründung ihrer Überzeugung, dass jener Traum eingetroffen sei.

Zwischen jener Szene vom Eintreffen des Wunsches und jenem Traum liegen mehr als 25 Jahre. Frau B. ist unterdes Witwe eines zweiten Mannes geworden, der ihr ein Kind und Vermögen hinterliess. Die Neigung der alten Dame hängt immer noch an dem Manne Dr. K., der jetzt ihr Ratgeber und der Verwalter ihres Vermögens ist und den sie häufig zu sehen gewöhnt ist. Nehmen wir an, sie habe in den Tagen vor dem Traum seinen Besuch erwartet, er sei aber – es ist ihm nicht mehr so dringlich wie einst – ausgeblieben. Dann kann sie leicht in der Nacht einen Sehnsuchtstraum gehabt haben, der sie in frühere Zeiten zurückversetzt. Sie träumt dann wahrscheinlich von einem Rendezvous aus der Zeit der Leidenschaft und die{23} Kette der Traumgedanken läuft zurück bis zu jenem Mal, wo er ohne Verabredung gerade in dem Moment gekommen, da sie sich nach ihm gesehnt. Solche Träume dürften sich jetzt oft bei ihr ereignen; sie sind ein Teil der späten Bestrafung, die dem Weib für seine Grausamkeit in jungen Jahren zu Teil wird. Aber als Abkömmlinge einer unterdrückten Strömung und mit Reminiszenzen an die Rendezvous erfüllt, an die sie seit ihrer zweiten Verheiratung nicht gerne mehr denkt, werden solche Träume nach dem Erwachen wieder beseitigt. So wird es auch unserem angeblich prophetischen Traum ergangen sein. Sie geht dann aus und begegnet an einer an sich gleichgiltigen Stelle der Kärntnerstrasse ihren alten Hausarzt Dr. K. Sie hat ihn sehr lange nicht gesehen, er ist mit den Erregungen jener glücklich-unglücklichen Periode innig verknüpft, er war auch ein Helfer, wir dürfen annehmen, er ist in ihren Gedanken und vielleicht auch in Träumen eine Deckperson, hinter der sie die geliebtere des anderen Dr. K. verbirgt. Diese Begegnung will nun die Erinnerung an den Traum wecken. Es sollte in ihr heissen: Richtig, ich habe ja heute von meinem Rendezvous mit Dr. K. geträumt. Aber diese Erinnerung muss sich dieselbe Entstellung gefallen lassen, der der Traum nur dadurch entgangen ist, dass er gar nicht in der Erinnerung bewahrt wurde. Für den geliebten K. schiebt sich der indifferente K. ein, der an den Traum erinnert; der Inhalt des Traumes – das Rendezvous – überträgt sich auf den Glauben, dass sie von dieser bestimmten Stelle geträumt hat, denn ein Rendezvous besteht darin, dass zwei Personen zur gleichen Zeit an die nämliche Stelle kommen. Wenn dabei dann der Eindruck zu Stande kommt, dass ein Traum in Erfüllung gegangen ist, so bringt sie mit ihm nur die Erinnerung zur Geltung, dass in jener Szene, wo sie sich weinend nach seiner Gegenwart sehnte, ihre Sehnsucht wirklich sofort in Erfüllung gegangen ist.

So ist die nachträgliche Traumschöpfung, die allein die prophetischen Träume ermöglicht, auch nichts anderes als eine Form der Zensurierung, die dem Traum das Durchdringen zum Bewusstsein ermöglicht.

10.Nov.99.

PSYCHOANALYSE UND TELEPATHIE

Das Manuskript ist unbetitelt, trägt das Datum 2. August 1921 und ist für die Zusammenkunft des Zentralvorstandes der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung im Harz Anfang September 1921 geschrieben. Ein grosser Teil des Materials dieser Arbeit ist in der „Neuen Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“ (XXX. Vorlesung, Traum und Okkultismus) verwertet worden.

Der „dritte Fall“, der in der Einleitung dieser Arbeit erwähnt wird, ist vom übrigen Manuskript als Nachtrag abgesondert. Er wurde in die „Vorlesungen“ aufgenommen und ist deshalb hier nicht abgedruckt.

VORBERICHT