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Solomon Kane, ein Puritaner der elisabethanischen Zeit, ist ein glühender Verfechter der Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Abenteuern zieht er durch die Welt. Mit seinem Degen, den er meisterhaft zu führen versteht, rächt er begangenes Unrecht und bekämpft das Böse, wo immer er es findet …
Robert E. Howard, Autor der weltbekannten CONAN-Serie, hatte schon in frühester Jugend ein besonderes Interesse für Mythen, barbarische Völker, versunkene Kulturen und dunkle Geheimnisse entwickelt. Diesem Interesse verdanken wir auch die Figur des Solomon Kane, Howards ersten Fantasy-Helden, von dem sechs Abenteuer in diesem Band enthalten sind.
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Robert E. Howard
Schritte in der Gruft
- Die Abenteuer des Solomon Kane -
Erzählungen
Neuausgabe
Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv
Cover: © by Elena Schweitzer 123/RF mit Bärenklau Exklusiv, 2024
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Eduard Lukschandl
Korrektorat: Bärenklau Exklusiv
Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau (OT), Gemeinde Oberkrämer. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang
Alle Rechte vorbehalten
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Schritte in der Gruft
- Die Abenteuer des Solomon Kane -
Auf dem Pfad der Rache
Das Skelett des Magiers
Der Moorgeist
Schatten des Todes
Der Ruf des Dschungels
Schritte in der Gruft
Solomon Kane, ein Puritaner der elisabethanischen Zeit, ist ein glühender Verfechter der Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Abenteuern zieht er durch die Welt. Mit seinem Degen, den er meisterhaft zu führen versteht, rächt er begangenes Unrecht und bekämpft das Böse, wo immer er es findet …
Robert E. Howard, Autor der weltbekannten CONAN-Serie, hatte schon in frühester Jugend ein besonderes Interesse für Mythen, barbarische Völker, versunkene Kulturen und dunkle Geheimnisse entwickelt. Diesem Interesse verdanken wir auch die Figur des Solomon Kane, Howards ersten Fantasy-Helden.
Folgende sechs Solomon Kane Abenteuer, die Europa und Afrika zum Schauplatz haben, sind in diesem Band enthalten:
› Auf dem Pfad der Rache
› Das Skelett des Magiers
› Der Moosgeist
› Schatten des Todes
› Der Ruf des Dschungels
› Schritte in der Gruft
***
Sechs Erzählungen von Robert E. Howard
übersetzt von Eduard Lukschandl
Die Klingen klirrten gegeneinander. Funken sprühten.
Zwei Augenpaare belauerten einander mit wilden Blicken: Das eine Paar war schwarz, das andere blau. Die Kämpfer keuchten, ihre Füße scharrten auf dem Boden, als sie vorgingen und zurückwichen.
Der Schwarzäugige machte eine Finte und stieß dann mit der Geschwindigkeit einer Natter zu. Der Blauäugige parierte mit einer halbkreisförmigen Bewegung seiner sehnigen Hand, und seine Riposte kam wie der Blitz eines Sommergewitters.
»Haltet ein, Gentlemen!«
Ein beleibter Mann trennte die Degen der beiden Kämpfer mit seinem juwelenbesetzten Rapier. In der anderen Hand hielt er einen dreieckigen Hut.
»Haltet ein! Die Sache ist entschieden und die Ehre wieder hergestellt! Sir George ist verletzt!«
Der schwarzäugige Mann versteckte den linken Arm, der blutete, hinter dem Rücken.
»Tretet beiseite!«, rief er zornig. »Es ist nur ein Kratzer! Nichts ist entschieden! Das hat keine Bedeutung. Hier geht es bis zum Tod!«
»Aye, geht zur Seite, Sir Rupert«, sagte der andere ruhig, aber seine blauen Augen blitzten wie Stahl. »Diese Sache kann nur durch den Tod eines von uns entschieden werden!«
»Steckt die Waffen weg, ihr jungen Kampfhähne!«, verlangte Sir Rupert. »Ich befehle es als Richter! Herr Doktor, wollt ihr bitte nach Sir Georges Wunde sehen. Jack Hollinster, steckt Eure Klinge in die Scheide! In meinem Distrikt dulde ich keinen Mord, solange mein Name Rupert d’Arcy ist.«
Der junge Hollinster sagte nichts und folgte auch nicht der Aufforderung des cholerischen Richters, aber er senkte seine Waffe, stand schweigend da und bedachte die Gesellschaft mit Blicken unter gerunzelten Augenbrauen.
Sir George zögerte, aber als einer seiner Sekundanten ihm eindringlich etwas ins Ohr flüsterte, gab er zögernd nach, überreichte dem Sprecher seinen Degen und ließ den Arzt seine Wunde behandeln.
Die trostlose Umgebung passte zu dem Geschehen. Das Land war eben und nur stellenweise mit dürrem Gras bewachsen und ging in einen weißen Sandstrand über, auf dem Treibholz lag. Dahinter hob und senkte sich grau und ruhelos die See. Das einzige Zeichen von Leben auf den wie tot wirkenden Wassern war ein einzelnes Segel in großer Entfernung. Landeinwärts erhoben sich die schäbigen Hütten einer kleinen Ortschaft auf der anderen Seite eines öden Moores, das in Strandnähe begann.
In dieser unfreundlichen Landschaft bildete die farbige Gruppe am Strand einen eigenartigen Kontrast. Die bleiche Herbstsonne spiegelte sich in den glänzenden Klingen, den mit Edelsteinen verzierten Griffen, den Silberknöpfen der Mäntel einiger Männer und den Goldverzierungen an Sir Ruperts dreieckigem Hut.
Sir Georges Sekundanten halfen diesem in den Rock und Hollinsters Sekundant, ein kräftiger junger Man in schlichter Kleidung, forderte ihn auf, sich ebenfalls anzuziehen. Aber Jack schob ihn beiseite. Plötzlich sprang er mit dem blanken Degen in der Hand zwei Schritte vor und rief mit erregter Stimme: »Sir George Banway, nehmt Euch in Acht! Ein Kratzer am Arm löscht noch lange nicht die Beleidigung aus, von der Ihr wohl wisst! Wenn sich unsere Wege das nächste Mal kreuzen, wird kein Richter da sein, Eure räudige Haut zu retten!«
Mit einem wilden Fluch wirbelte der Angesprochene herum, und Sir Rupert sprang brüllend dazwischen: »Mein Herr, wie könnt Ihr es wagen …«
Hollinster schnitt eine Grimasse, wandte sich um, schob mit einer wilden Bewegung den Degen in die Scheide und ging von dannen. Sir George machte Anstalten, ihm zu folgen, aber sein Freund flüsterte ihm wiederum etwas ins Ohr und machte eine Armbewegung gegen das Meer hin. Banways Blick richtete sich auf das einsame Segel, das so aussah, als wäre es gegen den Himmel gemalt, und er nickte grimmig.
*
Hollinster schritt schweigend den Strand entlang. Seinen Hut hielt er in der Hand, seinen Überrock trug er über den Arm geworfen. Der kühle Wind spielte in seinen schweißverklebten Locken, vermochte jedoch nicht, seine aufgewühlten Gedanken zu beruhigen. Handel, sein Sekundant, folgte ihm schweigend. Nach einiger Zeit wurde die Umgebung wilder und zerklüfteter. Moosbewachsene Felsen standen dicht am Strand.
Weiter draußen war ein gefährliches Riff.
Jack Hollinster hielt an, wandte sein Gesicht der See zu und begann aus vollem Herzen zu fluchen. Der beeindruckte Zeuge dieses Monologs erfuhr, dass er, Hollinster, es aus tiefster Seele bedauerte, nicht seinen Degen bis an den Griff in das schwarze Herz George Banways, dieses verdammten Schuftes, versenkt zu haben.
»Und jetzt«, knurrte er, »sieht es so aus, dass der Kerl mir nie wieder in ehrlichem Zweikampf gegenüberstehen wird, nun, da er meinen Stahl gekostet hat. Aber bei Gott …«
»Beruhige dich, Jack«, mahnte Handel. Er war Hollinsters bester Freund, aber er verstand nicht, dass Hollinster in solche Wut verfallen konnte. »Du hast es ihm gegeben. Du hast ehrlich gesiegt. Letzten Endes kannst du einen Mann kaum dafür töten, was er getan hat.«
»Nicht?«, rief Jack wild. »Kann ich einen Mann für diese Beleidigung nicht töten? Nun, vielleicht nicht einen Mann, wohl aber diesen erbärmlichen Schuft von einem Adeligen! Ist dir bewusst, dass er in aller Öffentlichkeit Mary Garvin verleumdete, das Mädchen, das ich liebe?
Dass er in der Schenke ihren Namen in den Schmutz zerrte? Ich …«
»Das verstehe ich wohl«, seufzte Handel, »habe ich es doch schon oftmals in allen Details gehört. Aber ich weiß auch, dass du ihm einen Becher Wein ins Gesicht geschüttet, ihn auf das Hinterteil geschlagen, seinen Tisch umgestürzt und den Mann obendrein zwei- oder dreimal getreten hast. Glaube mir, Jack, das muss für jeden reichen! Sir George ist von hohem Stand, und du bist nur der Sohn eines Kapitäns im Ruhestand, auch wenn du dich in der Fremde durch Tapferkeit ausgezeichnet hast.
Vergiss nicht, Jack, dass Sir George eigentlich gar nicht gegen dich hätte zu kämpfen brauchen. Er hätte sich auf seinen Stand berufen können und dich von seinen Dienern auspeitschen lassen.«
»Hätte er das getan«, knirschte Hollinster zwischen zusammengebissenen Zähnen, »dann hätte ich ihm eine Pistolenkugel zwischen seine schwarzen Augen gejagt.
Dick, lass mir meine Eigenheiten. Ich weiß, du predigst den rechten Weg – den Pfad der Geduld und der Bescheidenheit. Ich habe aber an Orten gelebt, wo die einzige Hilfe eines Mannes der Degen an seiner Seite war, und ich habe ungestümes Blut geerbt. Und jetzt ist dieses Blut in äußerstem Aufruhr. Er wusste, dass ich Mary liebe, und dennoch saß er da und beleidigte sie in meiner Anwesenheit – aye, mir direkt ins Gesicht mit einem höhnischen Grinsen! Und warum? Weil er Geld hat, Länder, Titel, eine einflussreiche Verwandtschaft und edles Blut. Ich bin ein armer Mann und der Sohn eines armen Mannes und trage mein Vermögen in einer Scheide an meiner Seite. Wären ich oder Mary von edler Abstammung gewesen, dann hätte er uns respektiert und …«
»Pah!«, unterbrach Handel. »Wann hat Sir George Banway jemals etwas respektiert? Er hat seinen üblen Ruf in dieser Gegend wohl verdient. Er respektiert bloß seine eigenen Wünsche und Begierden.«
»Und er stellt Mary nach«, grollte der andere wütend. »Nun, vielleicht wird er sie nehmen wie so manche andere Maid hier, aber zuerst muss er Jack Hollinster töten.
Dick, ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich halte es für besser, wenn du mich ein wenig allein lässt. Im Augenblick gebe ich für niemanden eine gute Gesellschaft ab, und ich benötige die Einsamkeit und den kalten Atem der See, um mein brennendes Blut abzukühlen.«
»Du suchst doch wohl nicht Sir George auf?«, fragte Randel zögernd.
Jack machte eine ungeduldige Handbewegung.
»Ich verspreche, den entgegengesetzten Weg einzuschlagen. Sir George hat sich nach Hause begeben, um seinen Kratzer behandeln zu lassen. Er wird sich zwei Wochen nicht blicken lassen.«
»Aber Jack, seine Männer haben einen schlechten Ruf. Ist es ohne Risiko für dich?«
Jack grinste wölfisch.
»Keine Angst; schlägt er auf diese Weise zu, so in der Dunkelheit der Nacht und nicht am helllichten Tag.«
*
Handel ging auf das Dorf zu und schüttelte zweifelnd den Kopf, während Jack seinen Weg entlang des Strandes fortsetzte. Jeder Schritt entfernte ihn weiter von den Behausungen der Menschen und tiefer in die düstere Region wilden Landes und wilden Wassers. Der Wind schnitt wie ein Messer durch seine Kleidung, aber er zog sich nicht den Mantel an. Wie ein Leichentuch lastete der graue Schimmer des Tages über seiner Seele, und er verfluchte das Land und das Klima.
Seine Seele hungerte nach den fernen, warmen Ländern, in denen er gewandert war, aber vor seinem geistigen Auge erschien ein lachendes, mädchenhaftes Gesicht, das von goldenen Locken gekrönt war und in dessen Augen eine Wärme lag, die selbst dieses kahle Land mild und angenehm machte.
Da wurde er in seinen Gedanken durch den Anblick eines anderen Gesichts gestört; es war dunkel und spöttisch, hatte schwarze, grausame Augen, und unter einem schmalen schwarzen Schnurrbart verzog sich bösartig ein grausamer Mund. Jack Hollinster fluchte ausgiebig. Eine tiefe Stimme unterbrach sein Fluchen: »Junger Mann, Eure Worte sind wie der Klang von Posaunen und Becken: voll Aufruhr und Wut, jedoch ohne Bedeutung.«
Jack wirbelte herum und griff an den Degen. Auf einem großen grauen Felsbrocken saß ein Fremdling. Der Mann erhob sich, als Jack sich ihm zuwandte, entfaltete einen weiten, schwarzen Umhang und legte ihn sich über den Arm.
Hollinster betrachtete ihn neugierig. Der Mann würde überall sofort Aufmerksamkeit erregen. Er war um eine gute Handbreit größer als Hollinster, der selbst Leute von durchschnittlicher Größe beträchtlich überragte.
Kein Gramm Fett oder überflüssiges Fleisch hing an den Knochen, und doch wirkte der Mann nicht gebrechlich oder auch nur dünn. Im Gegenteil zeugten seine breiten Schultern, seine mächtige Brust und die langen Gliedmaßen von Kraft, Flinkheit und Ausdauer, verrieten den Fechter ebenso deutlich wie das lange Rapier an seinem Gürtel. Der Mann erinnerte Jack vor allem an die schlanken, grauen Wölfe, denen er auf den sibirischen Steppen begegnet war.
Aber es war das Gesicht, das zuerst die Aufmerksamkeit des jungen Mannes erregte. Es war ziemlich lang, glattrasiert und von einer seltsamen Blässe, die dem Mann mit den eingefallenen Wangen ein fast leichenhaftes Aussehen verlieh – bis man ihm in die Augen sah. Diese leuchteten mit dynamischer Vitalität, jedoch verhalten und eisern beherrscht. Als Jack Hollinster in diese Augen blickte und ihre seltsame Macht verspürte, konnte er nicht ihre Farbe feststellen. Es lag das Grau alten Eisens in ihnen, aber auch die Bläue der tiefsten Tiefen der Nordsee. Darüber befanden sich dichte, schwarze Brauen, und der Gesamteindruck war entschieden mephistophelisch.
Die Kleidung des Fremden war auffallend schlicht.
Keine Feder zierte seinen schwarzen Schlapphut. Von Hals bis Fuß war er in enganliegende Gewänder in düsteren Farben gehüllt, ohne jeden Schmuck oder Verzierung. Kein Ring schmückte seine kräftigen Finger, kein Edelstein funkelte am Griff seines Rapiers, und die lange Klinge stak in einer einfachen Lederscheide. An den Kleidern waren keine Silberknöpfe und an den Schuhen keine glänzenden Schnallen. Sonderbarerweise wurde die düstere Monotonie seiner Kleidung durch eine breite Schärpe unterbrochen, die auf Zigeunerart um seine Taille geschlungen war. Die Schärpe war aus orientalischer Seide, schimmerte grün, und die Griffe eines Dolches und zweier Pistolen ragten daraus hervor.
Hollinsters Blick wanderte über die sonderbare Erscheinung, und er fragte sich, wie der Mann wohl hierhergekommen sein mochte. Er machte den Eindruck eines Puritaners, aber dennoch war etwas an ihm …
»Wie seid Ihr hierhergekommen?«, fragte Jack geradeaus. »Und wie kommt es, dass ich Euch nicht sah, ehe Ihr mich anspracht?«
»Ich kam wie alle ehrlichen Männer, junger Herr«, gab die tiefe Stimme zur Antwort, als der Sprecher sich wieder in den weiten Umhang hüllte und wieder auf dem Felsblock Platz nahm, »nämlich auf meinen beiden Beinen. Und was die andere Frage betrifft: Derjenige, der so sehr mit sich selbst beschäftigt ist, dass er den Namen des Herrn unnütz in den Mund nimmt, sieht weder seine Freunde noch seine Feinde.«
»Wer seid Ihr?«
»Mein Name ist Solomon Kane, junger Herr; ein Mann ohne Heimat – einstens aus Devon.«
Jack runzelte die Stirn. Der Puritaner musste irgendwo irgendwann den unverwechselbaren Dialekt von Devonshire zur Gänze verloren haben. Von der Sprache her mochte er überall in England beheimatet sein – sowohl im Norden wie auch im Süden.
»Ihr seid weit herumgekommen, Sir?«
»Meine Wanderungen haben mich durch viele fremde Länder geführt, junger Mann.«
Da kam Hollinster ein Gedanke, und er betrachtete sein Gegenüber mit erneutem Interesse.
»Wart Ihr nicht eine Zeitlang Hauptmann in der französischen Armee, und wart Ihr nicht in …« Er nannte einen bestimmten Ort.
Kanes Stirn verfinsterte sich.
»Aye. Ich führte einen Haufen gottloser Manner, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, wenngleich unsere Sache gerecht war. Bei der Einnahme der Stadt, die Ihr nanntet, wurden unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit viele üble Taten begangen, und mein Herz litt darunter. Nun, seither ist viel Wasser unter der Brücke hindurchgeflossen, und ich habe einige der blutigen Erinnerungen im Meer ertränkt …
Und wenn wir schon vom Meer sprechen, junger Mann; was haltet Ihr von jenem Schiff, das seit der Morgendämmerung des gestrigen Tages dort ankert?«
Ein schlanker Finger wies gegen die offene See, und Jack schüttelte den Kopf.
»Es liegt zu weit draußen. Ich kann es nicht deutlich ausmachen.«
Die düsteren Augen bohrten sich in die seinen, und Hollister zweifelte nicht daran, dass der Blick imstande wäre, die Entfernung zu überwinden und den Namen des Schiffes zu lesen, der auf seinen Bug gemalt war.
Diese seltsamen Augen schienen alles zu vermögen.
»Es ist in der Tat ein wenig zu weit entfernt«, sagte Kane, »aber ich glaube es am Aufbau seiner Masten zu erkennen. Ich würde ganz gern den Herrn des Schiffes treffen.«
Jack schwieg. Es gab keinen Hafen in der Nähe, aber bei ruhigem Wetter mochte ein Schiff leicht weiter herankommen und außerhalb des Riffes ankern. Vielleicht handelte es sich um ein Schmugglerschiff. An dieser abgelegenen Küste, an der man nur selten Zollbeamte sah, herrschte stets ein ziemlich reger, aber ungesetzlicher Handel.
»Habt Ihr je von einem gewissen Jonas Hardraker gehört, den man den Fischadler nennt?«
Hollinster fuhr zusammen. Der gefürchtete Name war an allen Küsten der zivilisierten und an vielen der unzivilisierten Welt bekannt, denn der Besitzer hatte durch berüchtigte Taten dafür gesorgt. Jack versuchte im Gesicht des Fremden zu lesen, aber die düsteren Augen waren undurchdringlich.
»Der blutige Pirat? Nach dem, was ich zuletzt von ihm hörte, soll er in der karibischen See kreuzen.«
Kane nickte.
»Lügen sind rascher als das schnellste Schiff. Der Fischadler kreuzt dort, wo sich sein Schiff befindet, und wo sein Schiff ist, weiß nur sein Meister, der Teufel.«
Er erhob sich und zog den Umhang enger um sich.
»Gott hat mich an viele seltsame Orte geführt und über viele seltsame Pfade«, sagte er düster. »Einige waren gut und viele waren schlecht; manchmal schien ich ohne Ziel und Zweck zu wandern, doch jedes Mal, wenn ich tief nachdachte, konnte ich einen Grund dafür erkennen. Hört zu, junger Mann! Abgesehen von den Feuern der Hölle gibt es kein heißeres Feuer als die blaue Flamme der Rache, die Tag und Nacht ohne Unterlass das Herz eines Mannes verbrennt, bis er sich in Blut ertränkt.
In der Vergangenheit war es oftmals meine Pflicht, verschiedene schlechte Menschen ihres Lebens zu berauben. Nun, der Herr ist mein Licht und mein Weg, und mir deucht, er hat mir meinen Feind in die Hände gegeben.«
Mit diesen Worten schritt Kane mit langen, katzenhaften Schritten von dannen, während Hollinster ihm verwundert nachstarrte.
*
Jack Hollinster erwachte aus unruhigen Träumen. Er setzte sich im Bett auf und blickte um sich. Draußen war der Mond noch nicht aufgegangen, aber im Fenster zeichneten sich schwarz gegen das Sternenlicht breite Schultern ab. Ein warnendes »Pssst!«, drang an seine Ohren.
Jack erhob sich, zog den Degen aus der Scheide, die am Bettpfosten hing, und trat ans Fenster. Er erkannte ein bärtiges Gesicht, in dem zwei kleine Augen funkelten.
Der Mann atmete schwer, als wäre er weit gerannt.
»Nimm deinen Degen, Junge, und folge mir«, kam ein eindringliches Flüstern. »Er hat sie.«
»Wer hat wen?«
»Sir George«, flüsterte es wieder. »Er schickte ihr ein Schreiben mit deinem Namen drauf, sie soll zum Felsen kommen, und seine Kerle schnappten sie und …«
»Mary Garvin?«
»So wahr ich hier stehe, Herr!«
Das Zimmer schien sich um ihn zu drehen. Hollinster hatte einen Angriff gegen sich selbst erwartet, nicht aber damit gerechnet, dass die Bösartigkeit von Sir George so weit gehen würde, das hilflose Mädchen zu entführen.
»Verdammt sei seine schwarze Seele«, knirschte er zwischen zusammengebissenen Zähnen, als er sich hastig ankleidete. »Wo ist sie jetzt?«
»Sie haben sie in sein Haus gebracht, Herr.«
»Und wer bist du?«
»Ich bin der arme Sam vom Stall bei der Schenke, Herr. Ich habe gesehen, wie sie sie packten.«
Angezogen und mit dem Degen in der Hand, kletterte Hollinster durchs Fenster.
»Ich danke dir, Sam«, sagte er. »Wenn ich am Leben bleibe, werde ich es dir nicht vergessen.«
Sam grinste und entblößte dabei gelbe Zähne. »Ich gehe mit dir, Herr; ich habe ein paar Dinge mit Sir George abzurechnen!« Er schwenkte einen groben Knüttel.
»So folge mir.«
Sir George Banways altes Herrschaftshaus, das er zusammen mit ein paar hässlichen Dienern und einigen alten Weibern bewohnte, befand sich zwei Meilen vom Dorf entfernt am Strand, aber in entgegengesetzter Richtung zu der, die Jack am Vortag eingeschlagen hatte. Es war unförmig und groß, reparaturbedürftig und die Eichenbalken vom Alter geschwärzt. Man erzählte sich viele böse Geschichten darüber, und außer den Raufbolden und Rohlingen, die das Vertrauen des Besitzers genossen, hatte es niemand aus dem Dorf je betreten. Es war von keiner Mauer umgeben, nur von einigen verwilderten Buschreihen und ein paar Bäumen. Das Moor reichte bis zur Hinterseite, und zwischen der Vorderseite und dem felsigen Meeresstrand erstreckte sich ein etwa zweihundert Schritt breiter Sandstreifen. Die Felsen am Ufer direkt vor dem Haus waren ungewöhnlich hoch und zerklüftet. Man sagte sich, es befänden sich geheimnisvolle Höhlen dazwischen und darunter, doch wusste niemand etwas Genaues, denn Sir George betrachtete diesen Teil des Ufers als sein Eigentum und pflegte Vorwitzige, die den Gerüchten nachgehen wollten, mit seiner Muskete zu beschießen.