Schwarze Löcher der Astronomie und Ökonomie - Peter Rützler - E-Book

Schwarze Löcher der Astronomie und Ökonomie E-Book

Peter Rützler

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Beschreibung

Viele meinen, dass die Welten der Astronomie und der Ökonomie keine Gemeinsamkeiten aufweisen. Das Buch zeigt das Gegenteil. Sie werden viele spannende und aufschlussreiche Einblicke in die beiden Welten erhalten. Peter Rützler verbindet diese geschickt miteinander und bildet damit viele überraschende Brücken zwischen den anscheinend so fremden Welten. Neben Schwarzen Löchern erfahren Sie auch von unersättlichem Hunger, dunklen Gesellen, spektakulären Kollapsen, wachsender Unordnung oder parallelen Welten.

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Peter Rützler

Schwarze Löcher der Astronomie und Ökonomie

Erstaunliche Parallelen zwischen den beiden Welten

Titelbild: Vollmond mit Flugzeugkondensstreifen (eigenes Bild)

Das wurde ohne Hilfe von künstlicher Intelligenz geschrieben.

© 2023 Peter Rützler, Meilen

Korrektorat: MoellerMedia, Wuppertal

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschliesslich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Für Corina

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Prolog

1 Die Geburt aus dem Nichts

1.1 Und es ward Sein

1.2 Ohne Imagination kein Wirtschaften

1.3 Der nicht-materielle Keim der beiden Welten

2 Es ist kompliziert und mysteriös

2.1 Von rasend-glutheiss zu ereignislos-frostig

2.2 Von gemächlich-kühl zu chaotisch-hitzig

2.3 Gegensätzlicher Verlauf mit vielen Fragen

3 Die Grossen fressen die Kleinen

3.1 Die allumfassende Schwerkraft

3.2 Der unersättliche Hunger nach Mehr

3.3 Den Grundkräften sind Grenzen gesetzt

4 Schwarze Löcher sind zahlreich

4.1 Der grenzenlose Gravitationskollaps

4.2 Grosse Pleiten und ihre Ursachen

4.3 Neuanfang nach dem Kollaps

5 Der Zufall als Spielverderber

5.1 Gott würfelt doch

5.2 Modelle sind immer unvollkommen

5.3 Zum Glück sind die Welten nicht vorherbestimmt

6 Dunkle Gesellen

6.1 Das Dunkle im Universum

6.2 Das Wirtschaften im Schatten

6.3 Das Dunkle tritt ins Licht

7 Es wird immer weniger (oder mehr)

7.1 Entropie kennt nur eine Richtung

7.2 Ressourcen sind knapp

7.3 Am Schluss bleibt nichts übrig

8 Parallelwelten

8.1 Multidimensionen und Multiversen

8.2 Der Kampf der Wirtschaftssysteme

8.3 Illusionen fallen irgendwann

Epilog

Verwendete und vertiefende Literatur

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Schwarze Löcher der Astronomie und Ökonomie

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Prolog

Das Titelbild zeigt anschaulich, was ich mit diesem Buch versuchen werde. Das Bild habe ich kurz nach Sonnenuntergang von meinem Garten aus gemacht. Es zeigt nicht den Feuerring eines Schwarzen Lochs sondern den Vollmond, der von Flugzeugkondensstreifen regelrecht umwoben wird. Der Mond ist das von uns aus gesehen nächste und grösste Himmelsobjekt. Er ist unzweifelhaft ein astronomisches Objekt und hat auch die Wissenschaft der Astronomie vor allem in ihrer Anfangsphase stark geprägt. Kondensstreifen sind Wolken aus Eiskristallen, die sich aus dem dampf- und russhaltigen Triebwerkabgas in grosser Höhe bei klarem Himmel bilden. Sie sind die flüchtigen Spuren von Flugzeugen, die kurz davor den Himmel gequert haben. Flugzeuge transportieren Menschen und Güter über grosse Distanzen – zuweilen sogar ohne Zwischenstopp beinahe um die halbe Erde. Sie sind ein wichtiger Repräsentant und auch Zweig der globalen Wirtschaft.

In diesem Buch möchte ich zwei Welten und deren Wissenschaften zusammenbringen, die auf den ersten Blick keine Schnittmenge aufweisen und die – soweit ich weiss – auch noch nie derart ausführlich miteinander in Beziehung gebracht worden sind. Es handelt sich um die Welten der Astronomie und der Ökonomie. Die ersten spontanen Reaktionen meiner Freunde und Kollegen auf mein Buchprojekt waren immer dieselben: «Diese beiden Welten sind grundverschieden. Ich sehe keine Gemeinsamkeiten, aber ich würde gerne mehr davon hören.» Die offensichtlich fehlende gemeinsame Basis liess mich viele Jahre zögern, das Projekt in Angriff zu nehmen.

Ich muss kurz ausholen, wieso ich überhaupt auf diese verwegene Idee kam, Astronomie und Ökonomie zu kombinieren. Meine Matura1 schloss ich mit dem Typus C ab, also der mathematisch–naturwissenschaftlichen Ausrichtung. Und den Naturwissenschaften blieb ich auch im ersten Studienjahr treu, denn ich studierte Chemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Chemie stellte sich dann doch nicht als das Richtige für mich heraus. Im Sinne eines Tapetenwechsels machte ich dann eine 180-Grad-Drehung und begann ein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität St. Gallen. Dieses schloss ich schliesslich mit dem Doktortitel ab. Mein gesamtes Berufsleben drehte sich dann um die Wirtschaft. Ich habe den Wechsel nie bereut.

Trotzdem hielt mein Interesse an den Naturwissenschaften an, besonders die Astronomie hatte mich in ihren Bann gezogen. Seit mehr als dreissig Jahren verfolge ich ihre Entwicklung nun mit grosser Aufmerksamkeit. In meiner Freizeit habe ich Tausende Artikel und Bücher über Astronomie gelesen. Sie fasziniert mich stets aufs Neue, insbesondere, wenn wieder einmal etwas Grösseres entdeckt wird. Diese Passion hat mich seit der Mittelschule nie mehr losgelassen. In dieser langen Zeit konnte ich mir einen guten Überblick zum aktuellen Forschungsstand der Astronomie verschaffen.

Seit über zehn Jahren denke ich darüber nach, meinen Beruf mit meiner Passion zu verbinden. Nach langem Zögern nahm ich dieses Buchprojekt dann definitiv vor etwa drei Jahren in Angriff. Ich bin also das Risiko schliesslich doch eingegangen, obschon den meisten Menschen zu einer Verbindung zwischen Astronomie und Ökonomie nichts in den Sinn kommt. Die konkreten, realen Brücken zwischen diesen Welten sind zwar sehr schmal, aber dennoch vorhanden. Die «kleine» wirtschaftliche Welt ist unbestreitbar ein kleiner – in kosmologischen Dimensionen sogar winziger – Teil der «grossen» astronomischen Welt. Dennoch muss sich die Wirtschaftswelt den astronomischen Gesetzmässigkeiten unterwerfen. Dem Gesetz der Schwerkraft hat auch die Wirtschaft zu folgen, die Entropie verläuft auch bei Wirtschaftsprozessen nur in eine Richtung. Wer sich nicht danach richtet, wird auch wirtschaftlich ungemein zur Kasse gebeten. Der Flugzeugbauer Boeing etwa reizte die physikalischen Grenzen beim Flugzeugtyp 737 Max zu sehr aus. Um mehr Sitzplätze in den Flieger hineinzuquetschen, musste das Flugzeug in einem steileren Winkel abheben. Das war zu viel für unerfahrene Piloten. Und tatsächlich stürzten zwei Maschinen ab. Neben den menschlichen Tragödien brachte Boeing diese übermässige Ausreizung der physikalischen Möglichkeiten einen finanziellen Schaden von vielen Milliarden Dollar ein.

Die Verbindung der beiden Wissenschaften miteinander ist hingegen grösser, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Die Astronomie ist aus der Landwirtschaft der frühen Ackerbauern hervorgegangen. Handfeste wirtschaftliche Erfordernisse, wie die genaue Bestimmung des optimalen Zeitpunkts der Aussaat im Frühling, weckten erst das Interesse der Menschen an der Astronomie. Die Wirtschaft half sozusagen der Astronomie auf die Beine. Heutzutage sind die verbindenden Brücken zwischen den beiden Wissenschaften praktisch alle abgerissen. Doch auch in unserer Zeit könnten die beiden Wissenschaften noch viel voneinander lernen, wenn sie sich denn mehr austauschen würden.

Die meisten Vergleiche zwischen den beiden einander so fremden Welten sind in diesem Buch aber nicht konkreter Natur, sondern vielmehr geistige Analogien, Parallelen oder Entsprechungen. Das macht es aber nicht weniger spannend, lassen sich doch auf diese Weise in den beiden Welten jene Bereiche beleuchten, die besondere Aufmerksamkeit verdienen, spektakuläre Aussichten versprechen oder die grössten Herausforderungen darstellen. Deshalb kann ich Ihnen über das aussergewöhnliche und unserer Intuition komplett zuwiderlaufende Phänomen des Schwarzen Lochs oder auch über die ungemeine Bedeutung, Macht und stete Weiterentwicklung des Gelds berichten.

Sie werden Bekanntschaft machen mit dem brodelnden und schäumenden Vakuum, mit einer Spekulationsspirale um Zwiebeln, mit aufgerollten und kompaktifizierten Dimensionen oder einer Hyperinflation, bei der Geldscheine einzig noch zum Heizen dienen. Ich werde Ihnen von Raumfahrern erzählen, die sich in der Zeit verlieren, von Griechen, welche die Wirtschaft verdammen und von einer einzigartigen Fotografie der Frühzeit unseres Universums oder eines supermassiven Schwarzen Lochs. Darüber hinaus berichte ich über ein von Schatten durchsetztes Land, über unermesslich grosse oder kleine Zahlen und über Absorbierungstechnologien für Luft.

Ausserdem werde ich viele geschichtliche Zusammenhänge aufzeigen. Geschichte ist mein drittes Steckenpferd. Ich bin davon überzeugt, dass sich vieles besser verstehen lässt, wenn man den geschichtlichen Hintergrund oder den zeitlichen Verlauf kennt. Und die Geschichte oder der Zeitverlauf sind auch Fingerzeige in die Zukunft. Das erlaubt mir zuweilen, in beiden Welten einige Ausblicke in die Zukunft zu wagen. Ohne zeitliches «Rückwärtsdrehen» des Universums gäbe es keine Urknalltheorie. Es wäre uns auch nicht möglich, die unendliche Leere als das wohl wahrscheinlichste ferne Zukunftsszenario des Kosmos anzunehmen. Chinas aktuelle wirtschaftliche Entwicklung oder auch seine wirtschaftlichen Spannungen mit dem Westen lassen sich ohne Kenntnis der jahrtausendealten chinesischen Geschichte nicht verstehen.

Wir werden auch besondere Momente im Zeitenablauf besuchen – wie die Lichtwerdung im Universum, die Erfindung des Gelds, das Verglühen unserer Sonne oder die Erklärung eines Präsidenten, dass das «Goldfenster» nun geschlossen werde.

Sie werden zudem einige Persönlichkeiten kennen lernen, die in den beiden Welten einen massgeblichen Einfluss ausübten. Mir erschien es immer wichtig, auch die Umstände zu einer bahnbrechenden Erkenntnis oder Tat kennen zu lernen. Sie werden von einem Schweizer Urgestein erfahren, das Entscheidendes sowohl in der Astronomie als auch in der Ökonomie geleistet hat. Ich werde Sie mit einem Ballonfahrer bekannt machen, der mit einem Ballon im Ballon beinahe zu den Sternen aufstieg, um danach umso spektakulärer auf dem Boden zu zerschellen.

Ausserdem werden Sie eine Person kennenlernen, die nicht gerne würfelt und ihre Gedanken mit Eseln verbindet. Es werden erstaunlich viele Geistliche zu Wort kommen, obwohl Religion im Buch nur am Rande gestreift wird. Sie lernen einen ungekrönten Kaiser kennen, der sich als überragender Führer bezeichnet. Und Sie werden auch von Katzen erfahren, die gleichzeitig sowohl wach sind als auch schlafen.

Schliesslich habe ich das Buch auch mit eigenen Erfahrungen oder Erlebnissen angereichert, damit es auch eine persönliche Note erhält.

Das Buch dient vor allem der Unterhaltung. Es soll das Interesse an den beiden Welten wecken oder vertiefen und bestenfalls sogar zum Nachdenken anregen. Ich hoffe, dass mir das gelungen ist. Vielleicht kann ich auch einen Beitrag dazu leisten, dass sich die beiden einander heute so fremden Wissenswelten wieder annähern, sich vermehrt austauschen und voneinander lernen. Anknüpfungspunkte gäbe es genügend, wie etwa der Kampf gegen den Klimawandel. Bei diesem hochkomplexen und lebenswichtigen Thema ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Astronomen und Ökonomen geradezu angezeigt.

Ich jedenfalls habe beim Verfassen des Buchs vieles zu beiden Welten dazugelernt. Und das Lernen soll – gerade mit zunehmenden Alter – der Gesundheit nicht abträglich sein.

Viel Vergnügen beim Lesen!

Meilen, im Mai 2023.

1 Die Geburt aus dem Nichts

«Eine lange Reise beginnt mit dem ersten Schritt», sagt ein Sprichwort. Der Anfang stellt bereits die Weichen für den weiteren Verlauf des Wegs. Für das umfassende Verstehen der ganzen Geschichte ist es unabdingbar, den Anfang zu kennen. Darum beginnen wir mit den Ursprüngen unserer beiden Welten, der Astronomie und Ökonomie. Es zeigt sich, dass beide Welten einen überraschenden Ursprung haben und diese Anfänge trotz der Verschiedenheit der beiden Welten deutliche Parallelen aufweisen. Beginnen wir mit dem Ursprung unserer grossen Welt, der Astronomie.

1.1 Und es ward Sein

Wer hätte gedacht, dass die Welt buchstäblich aus dem Nichts entstanden ist! Es war ein langer Weg bis zu dieser Erkenntnis. Die gesamte Menschheitsgeschichte war geprägt durch die Frage, woher wir kommen und wie unsere Existenz begann. Wir Menschen haben uns im Laufe der Zeit äusserst vielfältige, kreative und zum Teil sehr anschauliche Erklärungen für unseren Ursprung zurechtgelegt. Religionen, Schöpfungsmythen und Philosophien zeugen davon. Und nun stellt sich heraus, dass wir dem Nichts entsprungen sind. Es verwundert nicht, dass sich bis heute viele nicht damit abfinden können. Das gilt selbst für diejenigen, welchen den Weg dazu vorgezeichnet haben.

Einer davon war Albert Einstein (1879–1955), der eigentliche Begründer des heutigen physikalischen Weltmodells. Er konnte nicht einmal hinnehmen, dass sich der Kosmos verändert. Für ihn musste das Universum ewig und statisch sein. Seine über zehn Jahre mühevoll entwickelte Allgemeine Relativitätstheorie liess jedoch kein ewig im Gleichgewicht befindliches Universum zu. Deshalb ergänzte er die Formel um eine kosmologische Konstante, die es als «Gegenkraft» zur Schwerkraft rechnerisch ermöglichen sollte, dass das Universum im Gleichgewicht bleibt und weder kollabiert noch expandiert. Aber auch das half nicht wirklich weiter. Selbst mit der kosmologischen Konstante lässt sich kein stabiles Gleichgewicht erzielen. Es wird berichtet, dass Einstein die kosmologische Konstante, nachdem seine Vorstellung eines statischen Universums widerlegt war, als «seine grösste Eselei» bezeichnet hat.2 Dieser grosse Denker und Revolutionär der Physik konnte sich nur schwer von seiner durch Aristoteles geprägten Weltanschauung eines unveränderlichen und ewigen Universums trennen. Die Vorstellung eines statischen Universums (Steady-State-Theorie) wurde noch bis in die 1960er Jahre durch prominente Physiker vertreten. Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet einer von ihnen – der Brite Fred Hoyle – den Begriff des Big Bang (Urknall) einführte und damit als einer der grössten Kritiker dieser Theorie unbeabsichtigt der heute allgemein anerkannten Urknalltheorie ihren englischen Namen gab.

Das Universum ist nicht statisch, es expandiert

Der erste, der wissenschaftliche Nachweise für ein expandierendes Universum erbrachte, war der geweihte Priester George Lemaître (1894–1966) aus Belgien. Er beschrieb im Jahr 1927 die Expansion des Kosmos als die Ursache für die damals schon gemessene Rotverschiebung des Lichts von Galaxien, zu jener Zeit noch kosmische Nebel genannt. Die Expansion des Raums dehnt die Lichtwellen, macht die Schwingungen länger und verschiebt die Wellenlänge so in Richtung Rot, der längsten für uns sichtbaren Wellenlänge des Lichts. Diese Längsverschiebung wird als kosmologischer Dopplereffekt bezeichnet. Die Galaxien entfernen sich also von uns, der ganze Kosmos expandiert. Der geweihte Jesuitenschüler Lemaître wäre für diese These zu Galileo’s Zeiten noch mit Kerker oder sogar dem Tod bestraft worden. Erstaunlicherweise war aber Papst Pius XII. im Jahr 1951 einer der frühen Befürworter der neuen Theorie des sich ausdehnenden Universums. Auch die Kirche kann lernen.

Leider wird nicht immer dem Ersten der Ruhm zuteil, der ihm gebührt. Die Entdeckung der Expansion des Weltalls wird bis heute vielmehr mit dem Amerikaner Edwin Hubble (1889–1953) verbunden. So wird er unter anderem als Namensgeber des Hubble-Weltraumteleskops geehrt. Hubble veröffentlichte erst im Jahr 1929, zwei Jahre später also als Lemaître, den linearen Zusammenhang zwischen Rotverschiebung und Entfernung der Galaxien. Hubble arbeitete am Mount Wilson Observatorium bei Los Angeles, dem damals weltweit grössten Teleskop. Seine Messergebnisse waren eindeutig: Die Galaxien bewegen sich umso schneller von uns fort, je weiter sie von uns entfernt sind. Und dieser Zusammenhang ist linear. Er ergänzte seine Daten mit fremden Messdaten und machte eine erste fundierte Berechnung der Expansionsrate des Kosmos. Erstaunlicherweise deutete Hubble die von ihm berechnete Relation zwischen Geschwindigkeit und Distanz der Galaxien nicht wirklich als Expansion. Er glaubte wie Einstein an ein statisches Universum. Ein Wegbereiter mehr, der selbst nicht an seine Idee glaubte.

Die Expansionsgeschwindigkeit des Universums wird seitdem als Hubble-Konstante bezeichnet. Im Sinne einer späten Ehrung wurde das dahinterstehende Gesetz von der Internationalen Astronomischen Union im Jahr 2019 in das «Hubble-Lemaître-Gesetz» umbenannt. Derzeit beträgt die Expansionsgeschwindigkeit etwa 70 km pro Sekunde pro Megaparsec. Ein Megaparsec entspricht etwa drei Millionen Lichtjahren. Eine Galaxie, die sich mit einer Entfernung von vierzehn Milliarden Lichtjahren am Rand des für uns sichtbaren Universums befindet, bewegt sich demnach mit etwa 300‘000 Kilometern pro Sekunde von uns fort. Dies entspricht der Lichtgeschwindigkeit und ist auch der Grund, dass wir nicht über eine grössere Entfernung als vierzehn Milliarden Lichtjahre sehen können. Die Expansion des Universums ist heute, auch dank weiterer Nachweise, unbestritten. Neuere Beobachtungen deuten darauf hin, dass die Hubble-Konstante über die Zeit nicht konstant ist, sondern in der letzten Zeit zugenommen hat. Die Expansion des Universums beschleunigt sich.

Der Anfang im Allerkleinsten

Wenn man den Film eines sich ausdehnenden Universums rückwärts laufen lässt, schrumpft es, und die Galaxien rücken immer näher zusammen. In letzter Konsequenz wird das Universum am Ende in einen einzigen Punkt zusammengepresst. Das Bild vom Rückwärtslaufen des Films bedeutet übersetzt natürlich, in der Zeit zurückzugehen. Nach der heute allgemein anerkannten Urknalltheorie war das Universum vor etwa 13.8 Milliarden Jahren auf einen einzigen Punkt reduziert. Das Universum musste also vor knapp vierzehn Milliarden Jahren seinen Anfang im Allerkleinsten gehabt haben.

Wie der Anfang unseres Seins aussah, kann bis heute wissenschaftlich nicht schlüssig erklärt, erst recht nicht nachgewiesen werden. In Einsteins Weltformel führt der Anfang zu mathematisch unzulässigen Lösungen und kann physikalisch nicht gedeutet werden. Am Anfang gilt das Einsteinsche Gesetz nicht. Solche Bereiche, die sich der Einsteinschen Weltformel widersetzen, werden Singularitäten genannt. Das Weltall entsprang nach der Einsteinschen Terminologie einer Singularität. Erst nach Ablauf der sogenannten Planck-Zeit3 von 10-43 Sekunden können physikalische Aussagen getroffen werden. Was vorher war, ist reine Spekulation.

Die Planck-Zeit entspricht einem unermesslich kurzen Zeitabschnitt. Als Menschen ist es uns bei weitem nicht möglich, ihn auch nur annähernd wahrzunehmen. Er ist unfassbar viel kürzer als jeder noch so schnelle Blitz. Die Planck-Zeit korrespondiert mit einem Planck-Volumen von 10-105 m3. Das ist eine immens kleine Zahl mit einer eins nach 105 Stellen nach dem Komma. Das Planck-Volumen ist beinahe unendlich klein, ein Nichts!

Wir sind also buchstäblich aus dem Nichts entsprungen. Der Grieche Parmenides von Elea – er lebte um 500 v. Chr. – vertrat zwar die These: «Aus Nichts wird Nichts» (ex nihilo nihil). Ohne das Nichts gäbe es aber auch kein Sein.

In der Rigveda – dem um ca. 1500 v. Chr. entstandenen, ältesten indischen Schöpfungsmythos – heisst es: «Zu jener Zeit gab es kein Nicht-Sein und kein Sein, nur Dunkel war, verhüllt von Dunkel, und unerkennbar wogte dieses alles.»

Der im Jahr 354 n. Chr. geborene Kirchenlehrer Augustinus von Hippo sagte: «Wenn nichts verginge, gäbe es keine vergangene Zeit, und wenn nichts käme, keine zukünftige, und wenn nichts wäre, keine gegenwärtige Zeit.» Augustinus würden heute die meisten Astronomen zustimmen: Die Zeit wie auch der Raum haben erst nach Ablauf der Planck-Zeit nach dem Urknall ihre heutige Bedeutung erhalten. Davor war Nichts – oder etwas ganz anderes.4

Daraus ergeben sich fundamentale Fragen: Wie kann aus dem Nichts unsere Welt mit den Abermilliarden Galaxien entstanden sein? Woher kam die dafür notwendige Energie und Materie? Einige Physiker erklären den Urknall mit einer aus einer zufälligen Quantenfluktuation des Vakuums entstandenen Blase.5 Das Vakuum wird zwar definiert als Raum mit Nichts darin. Aus Sicht der Quantenphysik gibt es jedoch keinen leeren Raum. Jedes Vakuum enthält ein kochendes Gebräu von virtuellen Teilchen und Antiteilchen, die spontan entstehen und sich gegenseitig wieder vernichten. Grundlage dieser Theorie ist die Unschärferelation des deutschen Physikers Werner Heisenberg. Wir werden ihr später auf den Grund gehen (siehe Abschnitt 5.2).

Quantenbläschen als Ursprung?

Der amerikanische Physiker John Archibald Wheeler (1911– 2008) gab diesem Phänomen den Namen Quantenschaum. Das Vakuum und damit auch die Raumzeit gleichen einer Meeresoberfläche. Aus grosser Entfernung sieht der Ozean glatt aus. Kommt man der Oberfläche näher, erkennt man Bläschen, die einen brodelnden Schaum bilden.

Abb. 1.1: Der Quantenschaum des Vakuums erinnert an das Meer.

(Quelle: eigenes Bild)

Die Summe aller zufällig entstandenen Quantenfluktuationen oder «Bläschen» heben sich physikalisch gegenseitig auf. Einzelne Bläschen unterscheiden sich aber in Bezug auf Energie und andere physikalische Grössen. Falls unser Universum aus einem solchen, zufälligen Bläschen mit seinen «speziellen» Eigenschaften entstanden ist, können diese Besonderheiten eine Erklärung dafür liefern, woher die Energie stammt und weshalb es mehr Materie als Antimaterie gibt.

Nach Ablauf der unfassbar kurzen Planck-Zeit kann die weitere Entwicklung unseres Universums weitgehend durch Theorien, Modelle und Messungen schlüssig erklärt werden. Wir werden die Grundzüge dazu im nächsten Kapitel erläutern. Ich war regelrecht euphorisiert über den Fortschritt der Physik, als ich mich vor mehr als dreissig Jahre das erste Mal mit den Details der Entwicklung des Universums beschäftigte: eine wahre Meisterleistung der Wissenschaft!

Trotzdem erzeugt die Erklärung des Ursprungs aus dem Quantenschaum mit seinen virtuellen Teilchen, Bläschen und Quantenfluktuationen, der wie eine heisse Suppe in einem Kochtopf brodelt, bei mir den Beigeschmack des Fantastischen. Denn diese Theorien basieren zwar auf zum Teil bemerkenswerten mathematischen Modellen, sind aber nicht überprüfbar. Wir sind weit davon entfernt, die extremen Energien, die im Ursprung herrschten, zu Messzwecken künstlich erzeugen zu können. Der Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider am CERN in Genf – das derzeit energiereichste Experiment – liefert zwar Temperaturen, die mehr als einhunderttausendmal heisser sind als das Innere unserer Sonne. Diese Temperaturen liegen aber immer noch um viele Zehnerpotenzen unterhalb der Temperatur des Urknalls. Eine experimentelle Nachvermessung des Ursprungs ist in weiter Ferne oder sogar unmöglich. Die Theorien von Quantenblasen als Ursprung unseres Universums sind deshalb Spekulation.

Und selbst wenn sie stimmten, bliebe immer noch die Frage des Davor. Als ich mich vor vielen Jahren mit meinem damaligen Chef – dem CEO eines multinationalen Industrieunternehmens – enthusiastisch über die Fortschritte der Urknalltheorie unterhielt, sagte er trocken: «Es ist immer das Gleiche mit der Wissenschaft. Sobald etwas erklärt ist, gibt es immer die nächste Ebene des Unerklärten.» Für ihn als Ingenieur war damit die Sache erledigt.

1.2 Ohne Imagination kein Wirtschaften

Die Wirtschaft wird oft als etwas sehr Materielles und Substanzielles aufgefasst. Es geht um den Austausch von Gütern. Die Güter werden in Produktionsanlagen hergestellt, die dafür Ressourcen benötigen. Die Verteilung der Güter erfordert eine Infrastruktur wie Lagerhallen, Transportmittel und Transportwege. Trotzdem hat die Wirtschaft ihren Ursprung in etwas ganz und gar nicht Materiellem: Es ist die Imagination oder das Vorstellungsvermögen des Menschen, welches ein Wirtschaften erst möglich gemacht hat.

Imagination: der strategische Erfolgsfaktor des Homo sapiens

Schon der schottische Philosoph und Aufklärer Adam Smith (1723–1790) erkannte die Bedeutung der Imagination für unser Zusammenleben. Smith begründete die moderne Nationalökonomie und war Professor für Moralphilosophie. Ein Fachgebiet Ökonomie gab es im Ausklang des 18. Jahrhunderts noch nicht. Moral, Philosophie und Ökonomie waren bei Smith noch unter einem Dach. Eine Vorstellung, die heute nicht mehr viele teilen. In seinem ersten Bestseller «The Theory of Moral Sentiments» stellt er das spezifisch menschliche Vorstellungsvermögen, die Imagination, als natürliche Eigenschaft (passion) des menschlichen Zusammenlebens dar. Diese Fähigkeit ist nach Smith eine aktive Kraft und bewirkt eine Integration der Individuen zu einem Gesamten.

Damit eine Idee eine breite Wirkung entfalten kann, braucht es neben dem Imaginationsvermögen auch die Fähigkeit, die Idee weiterzugeben und sie in vielen Köpfen zu verankern. Zwischenmenschliche Kommunikation ist der Schlüssel dazu. Wir Menschen lieben den Klatsch und Tratsch. Schon der prähistorische Homo sapiens hat am Lagerfeuer vermutlich viel geplaudert und damit bestimmte Ideen, meist in Form von Geschichten, weiterverbreitet. Heute sind sich viele Anthropologen einig, dass das imaginative Entwickeln von gemeinsamen Vorstellungen ein herausragender, wenn nicht sogar der entscheidende Faktor für die äusserst erfolgreiche Entfaltung des modernen Menschen ist. Yuval Harari – der sehr populäre israelische Geschichtswissenschaftler und Bestsellerautor – sagt dazu: «Götter, Nationen, Geld, Menschenrechte und Gesetze gibt es gar nicht – sie existieren nur in unserer kollektiven Vorstellungswelt.»6 Und sie gibt es nur, weil wir Menschen Geschichten erfinden und sie einander erzählen.

Ohne die gemeinsame Vorstellungskraft der Menschen wäre die heutige Weltwirtschaft schlichtweg nicht denkbar. Auf der ganzen Welt aktive Konzerne mit Hunderttausenden von Mitarbeitern und Millionen von Kunden könnten ohne Vorstellungsvermögen nicht existieren. Als ich für Holcim arbeitete, den weltweit grössten Baustoffhersteller mit 80‘000 Mitarbeitern, fühlte ich mich immer sofort «zuhause», wenn ich eine der Niederlassungen des Konzerns in irgendeiner verlassenen Ecke der Welt besuchte. Ich hatte keine Mühe, mich mit Arbeitskollegen auszutauschen, auch wenn ich sie das erste Mal traf. Sie kamen mir sehr vertraut vor. Denn wir hatten alle eine gemeinsame Vorstellung davon, was Holcim war, und fühlten uns mit dem Unternehmen eng verbunden. Schon allein das Sichten eines Holcim-Logos an einem Flughafen erzeugte ein wohliges Zugehörigkeitsgefühl bei mir.

Selbstverständlich geben sich die Unternehmen grosse Mühe, eine möglichst positive, gemeinsame Basis an Vorstellungen bei den Mitarbeitern, aber auch den Stakeholdern zu schaffen. Schlagwörter dazu sind Corporate Identity, Image, Brand, Unternehmenskultur und –kommunikation. Das Gleiche gilt in etwa auch für Nationen und das Nationalbewusstsein, für die Religion und Religionszugehörigkeit, für Kultur und kulturelle Gemeinschaften.

In der Wirtschaft liefe ohne das menschliche Imaginationsvermögen gar nichts. Ein Produkt im Internet zu kaufen, wäre zum Beispiel gar nicht möglich, wenn wir nicht fähig wären, uns aus dem Computerbild oder der Beschreibung das Produkt vorzustellen. Ohne Imagination könnten die meisten Bedürfnisse nicht entstehen oder geweckt werden. Ein gemeinsames Arbeiten hin auf ein Ziel oder eine strategische Ausrichtung – alles Vorstellungen – liesse sich nicht verwirklichen. Es gäbe keine Kreativität, keine Innovation und keinen Fortschritt. Die Zusammenarbeit von vielen Beteiligten, auch über grosse Distanzen oder ohne direkten persönlichen Kontakt, benötigt gemeinsame Ideen und Visionen. Es braucht grosse Vorstellungskraft, um als Investor in Unternehmen oder Projekte zu investieren. Für grosse Organisationen wie Unternehmen, Staaten oder Vereinigungen sind gemeinsame Vorstellungen eine unabdingbare Daseinsvoraussetzung.

Vor allem aber wäre der Austausch von Gut gegen Geld unmöglich. Die Idee des Gelds ist eine der grössten imaginären Leistungen des Menschen. Dass jemand lebensnotwendiges Korn gegen eine für nichts zu gebrauchende Münze eintauscht, ist eine erstaunliche Entwicklung. Mit den neuen Zahlungsmitteln wie dem Bitcoin wird diese noch auf die Spitze getrieben. Hier gibt es nicht einmal mehr eine materielle Münze, sondern nur noch einen virtuellen Code als Gegenleistung. Kurzum: Die Imagination ist die Grundvoraussetzung für das Wirtschaften, wie wir es kennen.

Diese Fähigkeit der kollektiven Imagination ist einzigartig und in der Tierwelt nicht zu beobachten. Eine Krähe – eines der intelligentesten Tiere – würde nicht eine einzige Nuss aus ihrem Vorrat abgeben, selbst wenn wir ihr eine Million Bitcoins böten, mit der sie Milliarden Nüsse erwerben könnte. Vielleicht wäre etwas zu erreichen, wenn wir ihr eine besonders glänzende Münze vorlegen würden. Bei der mit der Krähe verwandten Elster, bekannt für ihre Vorliebe für glänzende Objekte, wäre die Chance unter Umständen grösser. Trotz ihres Rufs als diebischer Vogel würde aber auch sie auf die Herausgabe der Nuss verzichten.

Vor kurzem gelang es zwar Forschern, Kapuzineraffen mittels Konditionierung dazu zu bringen, Futter gegen Gegenstände wie Plastikchips oder Metallstopfen abzugeben, die sie dann dazu verwendeten, Leckereien einzutauschen. Dies war jedoch nur möglich, weil ihnen dieses Verhalten über längere Zeit antrainiert wurde und die Affen unbeliebtes Futter abgeben konnten. Bei leckerem Futter hörten die Affen auf zu tauschen und behielten die Leckereien für sich. In der freien Natur ist ein solches Verhalten nicht beobachtet worden.7

Erste Zeichen menschlicher Imagination liegen weit zurück

Erste bis heute erhaltene Zeichen seiner einzigartigen imaginativen Fähigkeiten lieferte der Homo sapiens vor etwa 40‘000 Jahren. Innerhalb weniger Jahrtausende hinterliess der prähistorische Mensch an vielen Orten der Welt, vor allem in Westeuropa, bemerkenswerte Werke der menschlichen Vorstellungskraft. Beispiele aus dieser als kognitive Revolution bezeichneten Periode sind die «Venus vom Hohle Fels», eine abstrakte Darstellung einer Frau, oder der «Löwenmensch», eine Figur, die halb Mensch halb Höhlenlöwe ist. Ebenso eindrückliche Beweise finden sich in den Höhlenmalereien in Südfrankreich und Spanien, besonders spektakulär in der Höhle von Lascaux.

Abb. 1.2: Venus vom Hohle Fels.

(Quelle: Ramessos/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)

Abb. 1.3: Löwenmensch. Beide Figuren jeweils 40‘000 Jahre alt.

(Quelle: Dagmar Hollmann/Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)

Abb. 1.4: Steinzeitliche Malerei in der Höhle von Lascaux: Schachtszene mit Mann und Vogelkopf.

(Quelle: I, Peter8/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)

Alle diese Kunstwerke sind mehr als nur die Wiedergabe der Natur. Es sind Werke, die von einer komplexen Gedankenwelt, abstrakter Imagination und irrealen Vorstellungen zeugen. Der Mensch hat sich endgültig vom Naturwesen zum modernen Menschen gewandelt.

Ist das auch die Zeit, in der sich erste Formen des Wirtschaftens herausbildeten? Zumindest bezeugen Muschelfunde, dass der Steinzeitmensch von den Höhlen von Lascaux bis zur entfernten Atlantikküste vordrang. Vielleicht dienten die Muscheln als Handelsgut oder sogar als «Zahlungsmittel».

Neolithische Revolution ohne Umsturz

Das Wirtschaften, verstanden als planmässiger und effizienter Einsatz von knappen Ressourcen zur Bedürfnisbefriedigung, fand in grösserem Umfang wohl erst statt, als der Mensch sesshaft und zum Ackerbauer wurde. Dieser als Neolithische Revolution bezeichnete Wandel erfolgte vor etwa 11‘000 Jahren im Nahen Osten. Der Mensch fing an, Wildgräser und andere Pflanzen gezielt auszusäen, zu ernten, zu lagern und zu verarbeiten.

Er optimierte die Pflanzen in Zuchtversuchen und machte sie damit ertragreicher und leichter zu ernten. Bei den Gräsern säte er etwa nur solche Pflanzen aus, bei denen die Körner an den Ähren haften blieben und nicht auf den Boden fielen. Damit ersparte sich der neolithische Bauer das mühevolle Aufsammeln der reifen Körner. Auch pflanzte er im nächsten Jahr nur Samen wieder ein, die grösser waren und mehr Ertrag versprachen. Auf diese Weise wurden die ersten Getreidesorten entwickelt. Auch die alkoholische Gärung von Getreide wurde bereits sehr früh genutzt. Ein Bier konnten sich bereits die neolithischen Bauern genehmigen.

In gleicher Weise wurden im Nahen Osten Erbsen, Linsen, Kichererbsen, Linsenwicke und Flachs gezüchtet. Wenig später begann der Bauer, Wildziegen und Wildschafe zu domestizieren. Und bald wagten sich die Züchter auch an das Wildschwein und den Auerochsen. Auch hier wiederholten sie die gleichen Erfolgsrezepte: Tiere mit besonders nützlichen Eigenschaften, wie zahme oder fleischreiche Tiere, wurden zur Zucht ausgewählt. Über Jahrhunderte bildeten sich dann diese Eigenschaften immer stärker aus, und die Tiere entwickelten sich immer mehr zu den heute bekannten Nutz- und Haustierrassen.

Diese Züchtungen waren schwierig und nicht immer erfolgreich. Genanalysen zeigen zum Beispiel, dass alle heutigen Rinder in Europa und im Nahen Osten wahrscheinlich von einer einzigen Herde abstammen. Der Mensch machte sich mit diesen neuen Techniken vom Jagdglück unabhängig und vermied Hunger und Unterernährung. Er produzierte gezielt auf Vorrat, die domestizierten Pflanzen und Tiere garantierten dauerhaftes Jagdglück und eine geregelte Ernährung.

In anderen Weltgegenden geschah Ähnliches zu späteren Zeitpunkten und unabhängig vom Nahen Osten: Die Nahrungsgrundlagen der ersten Bauern in Südostasien waren Reis, Soja, Hirse und Bohne sowie das Yak und das Schwein. In Neuguinea kultivierte man Banane, Taro und Jams. In Mittel- und Südamerika bildeten Mais, Bohne, Kürbis, Kartoffel, Maniok, Erdnuss, Klee, Quinoa, Meerschweinchen und Lama die Basis der Ernährung. In Westafrika pflanzte man Hirse und Bohne und züchtete das Rind.

Der Übergang vom Sammler und Jäger zum sesshaften Ackerbauern geschah jedoch nicht in wenigen Jahren, wie der Begriff Neolithische Revolution suggeriert, sondern erstreckte sich in manchen Gegenden über Tausende von Jahren. An vielen Orten erhielten sich Mischformen: Jäger und Sammler, die nebenbei auch Getreide anbauten, oder saisonale Bauern, die etwa die Hälfte der Zeit in Siedlungen lebten und frühe Landwirtschaft betrieben, um dann für den Rest des Jahres in zerstreuten Gruppen ihrer Jäger- und Sammlerleidenschaft nachzugehen.

Das Experiment Landwirtschaft scheiterte fatal bei den ersten mitteleuropäischen Bauern, die heute zur «Bandkeramikkultur» gezählt werden. Um etwa 5‘000 v. Chr. errichteten sie in Mitteleuropa erste landwirtschaftlich geprägte Dörfer. Diese Dörfer gingen jedoch allesamt in einer Zeit des Umsturzes um etwa 4‘500 v. Chr. auf grausige Weise unter. In diesen ehemaligen Dörfern wurden Massengräber entdeckt, in denen Menschen jeglichen Alters und Geschlechts wild durcheinander «entsorgt» worden waren. Es war, als ob die Eroberer (Jäger und Sammler?) diese neue Kulturform mit aller Gewalt einstampfen und den ursprünglichen «wilden» Naturzustand wieder herstellen wollten. Es brauchte in Mitteleuropa mehr als tausend Jahre, bis erneut extensiv Ackerbau betrieben wurde.8

In diesen Übergangsphasen zeigte sich der Mensch erstaunlich experimentierfreudig und ideenreich. Einmal mehr zeichnete er sich durch seine ausserordentliche Imaginationsfähigkeit aus.

Obschon bis heute noch Jäger- und Sammlergesellschaften existieren, setzte sich in fast allen Gebieten der Erde, auch unabhängig voneinander, schliesslich die Landwirtschaft durch. Mit dem Ackerbau verbunden ist die Sesshaftigkeit. Relativ schnell entstanden grössere Siedlungen. Im gut erforschten Dorf Çatalhöyük in Nordanatolien lebten bereits vor 8‘500 Jahren 2‘500 Menschen.

Der Wandel brachte auch grundlegende Techniken und Fertigkeiten des Wirtschaftens hervor: Je nach Tier und Pflanze wurde typenspezifisch produziert, verarbeitet und gelagert. Werkzeuge erleichterten die Arbeiten: So gab es etwa Steinsicheln und Ritzpflüge für die Produktion, Mahlsteine für die Verarbeitung oder Keramiktöpfe für die Lagerung des Korns. Erste Ansätze der Arbeitsteilung bildeten sich heraus, vor allem zwischen Männern und Frauen. Frauen kümmerten sich um den Haushalt und arbeiteten auf dem Feld. Männer stellten Werkzeuge her, hüteten das Vieh und gingen auf die Jagd. Es entwickelte sich der Handel, da mehr als das zum Leben Notwendige produziert werden konnte. Mit diesen Überschüssen liess sich handeln. Die Neolithische «Revolution» löste ein beispielsloses Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum aus.

Schattenseiten der Revolution

Leider hatte die Neolithische Revolution, wie alle Revolutionen, auch ihre Schattenseiten. Das Zusammenleben von Hunderten oder Tausenden Menschen und Tieren auf engem Raum und unter oft katastrophalen hygienischen Bedingungen war Nährboden von Seuchen und Epidemien. Neue Krankheiten entstanden aus der Wohngemeinschaft mit den Tieren. Beispiele dafür sind Masern und Pocken. Die Masern entwickelten sich aus einer Mutation des Erregers der Rinderpest, und die Pocken wurden vermutlich von Nagetieren auf den Menschen übertragen. Dass sich das auch in unserer modernen Zeit wiederholen kann, haben wir mit der Corona-Pandemie hautnah erlebt.

Das «neue Leben» brachte aber noch weitere Unannehmlichkeiten mit sich: Das viele Bücken bei der Feldarbeit verursachte Schäden am Skelett, der Steinstaub vom Malen des Mehls schleifte die Zähne ab, und die gegenüber den Sammlern und Jägern einseitige Ernährung liess die Körpergrösse schrumpfen. Die Lebenserwartung sank mit dem Sesshaftwerden deutlich ab. Die bäuerliche Lebensweise mit gesicherter Ernährung bewirkte im Gegenzug einen Anstieg der Geburtenrate und überkompensierte damit die gesunkene Lebenserwartung deutlich.

Alle diese revolutionären Entwicklungen wären ohne das Imaginations- und Abstraktionsvermögen des Menschen nicht möglich gewesen. Die Idee, Getreidekörner zu horten, sie Monate später in den Boden einzupflanzen, um wieder Monate später neues Korn zu ernten, ist ein wahrhaft schöpferischer Akt der Vorstellungskraft. Auch die Erkenntnis, dass sich mit einer selektiven Auswahl von bestimmten Pflanzen oder Tieren bei der Fortpflanzung ein optimiertes Resultat erzielen lässt, setzt eine hohe Stufe der Imagination voraus. Die Imagination ist nicht nur die Voraussetzung für das Wirtschaften, sondern hat auch bei der Entstehung des Wirtschaftens eine herausragende Rolle gespielt.

1.3 Der nicht-materielle Keim der beiden Welten

Beide von uns betrachteten Welten – die astronomische, allumfassende Welt und die kleine ökonomische Teilwelt – erscheinen uns auf den ersten Blick als etwas sehr Materielles. Das Universum mit der Erde, unserem Sonnensystem und den Sternen scheint sich durch Materie zu definieren. Es gibt auch unendlich viel davon. Die Anzahl der für uns sichtbaren Sterne oder Sonnen dürfte eine Milliarde (Galaxien) mal einer Milliarde (Sterne pro Galaxie) übersteigen. Eine unfassbar grosse Zahl.

Auch bei der Wirtschaft geht es im Kern um konkrete Dinge wie Güter oder Produktionsmittel. Der Begriff «materiell» hat sich in der Wirtschaft sogar noch weiterentwickelt. Er wird heute auch auf das Eigentum bezogen und oft als Synonym für geldlich, monetär und selbst wirtschaftlich genutzt: materiell im Sinne eines messbaren (Geld)Werts im Gegensatz zu einem ideellen Wert. Die Wirtschaft repräsentiert sozusagen die «materielle» Welt.

Umso bemerkenswerter ist, dass der Ursprung beider Welten nicht im Materiellen liegt. Beim Universum ist der Ursprung noch nicht abschliessend geklärt. Auf jeden Fall deutet die allgemein anerkannte Urknalltheorie den Anfang zumindest als etwas «extrem» Kleines, ein «Beinahe-Nichts». Je nach Theorie ist der Anfang eine Singularität (Allgemeine Relativitätstheorie) oder das «leere» Vakuum mit seinen virtuellen Teilchen (Blasentheorie). Wir werden später sehen, dass selbst die Materie, wie wir sie kennen, im heutigen Universum einen unbedeutenden Anteil ausmacht.

Die Ökonomie ist selbstverständlich – wie alles, was existiert – auch aus dem Nichts des Urknalls hervorgegangen. 13.8 Milliarden Jahre nach dem Ursprung von allem benötigte sie zur ihrer Entstehung das kollektive Imaginationsvermögen des Menschen sowohl für ihren Anfang als auch für ihre Weiterentwicklung. Ohne gemeinsame Vorstellungen und Ideen gäbe es die Wirtschaft – wie auch die Menschheit als Ganzes – nicht.

Vor einigen Jahren war ich in Namibia, an einem der trockensten Orte der Welt mit einer äusserst klaren Atmosphäre. Ich versuchte mich mit ersten Nachtaufnahmen des Sternenhimmels. Das Funkeln der Milchstrassensterne überwältigte mich. An derart klaren Orten wie diesen kann das menschliche Auge etwa 5‘000 Sterne ausmachen. Mit meinen bescheidenen Fotografierversuchen konnte ich noch einige Tausend Sterne mehr sichtbar machen. Unsere Milchstrasse zählt aber mehrere Hundert Milliarden Sterne, und es gibt mehrere Hundert Milliarden weiterer «Milchstrassen» im für uns sichtbaren Universum. Darüber hinaus existieren sicherlich noch Hunderte Milliarden weiterer Galaxien, die wir nie zu Gesicht bekommen, weil sie mehr als vierzehn Milliarden Lichtjahre von uns entfernt sind.

Das Nachdenken über diese ungeheuer grossen Zahlen machte mich damals in Namibia schwindelig – obschon vielleicht nicht diese Gedanken den Schwindel verursachten, sondern vielmehr das anhaltende Nicken des Kopfes beim Betrachten des Himmels. Mein Gefühl des Verlorenseins in der Unendlichkeit des Alls löste sich allmählich auf, als ich mir den winzigen, beinahe nichtigen Anfang des Universums bewusst machte. Alles ist relativ, würde Einstein sagen.

Abb. 1.5: Eigene Aufnahme mit Kreuz des Südens, Kohlesack und Teil des Milchstrassenbands in Namibia.

(Quelle: eigenes Bild)

Ähnlich ergeht es mir, wenn ich über die Wirtschaft nachsinne. Auch hier ergeben sich schwindelerregende Zahlen: Die zehn reichsten Menschen haben gemäss Forbes im Jahr 2021 mehr als eine Billion Dollar an Vermögen angehäuft, der weltweite, länderübergreifende Güterhandel beläuft sich auf etwa zwanzig Billionen Dollar, und die weltweite Staatsverschuldung nähert sich 300 Billionen Dollar. Diese Zahlen lassen sich leicht niederschreiben. Wenn man sie aber veranschaulichen möchte, ergeben sie kaum mehr fassbare Grössenordnungen. Der Dime, die 10 Cent-Dollarmünze, hat eine Dicke von 1.35 Millimetern. Würden die 300 Billionen Dollar Staatsverschuldung in Dimes aufgeschichtet, könnten 10‘000 solcher Stapel zwischen Erde und Mond errichtet werden. Ein einzelner Stapel Dimes würde die Entfernung zwischen Erde und Sonne um das Zwölffache überragen. Eine ungeheuerliche Vorstellung!

Aber auch hier lassen sich die Relationen wiederfinden. Glücklicherweise existiert real nur der kleinste Teil der dafür notwendigen 3‘000 Billionen Dimes. Das für diese Menge notwendige Kupfer würde die geschätzten weltweiten Kupferreserven um das Zehnfache übersteigen.

Alle diese Billionen von Dollar in den obigen Beispielen sind Summen von sehr vielen, aber im Einzelfall «überschaubaren» Vermögenswerten, Handelsaktivitäten oder Schuldverschreibungen. Die Mehrheit dieser Werte ist auf dem Papier oder in elektronischer Form festgehalten und das Resultat vereinbarter Wertvorstellungen. Damit sind wir wieder beim menschlichen Imaginationsvermögen, das dies erst ermöglicht hat. Die heutige Wirtschaft ist gewissermassen das Resultat des ausserordentlichen humanen kollektiven Vorstellungsvermögens. Mich persönlich beruhigt zudem, dass man auch ohne diese Billionen glücklich leben kann.

Ich möchte aber damit in keiner Weise ausdrücken, dass alles in der Wirtschaft virtuell wäre. Der reale Teil der Wirtschaft hat unsere Welt sehr sicht- und messbar umgestaltet und ist eine grosse Herausforderung für die Zukunft. Klimawandel, Ressourcenausbeutung und Energiehunger sind einige Stichworte dazu. Diese Aspekte werden später (unter anderem in Kapitel 7) beleuchtet.