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Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »Servus, Franz«, begrüßte Sebastian Trenker den alten Senner. Franz Rohlingers dunkle Augen blitzten vor Vergnügen auf, als er den Bergpfarrer erkannte. »Grüß Gott, Hochwürden«, sagte er. »Schön, daß Sie sich auch einmal wieder sehen lassen. Nehmen S' doch Platz. Ich hol' Ihnen gleich ein Glaserl Milch.« Wie alle Senner auf den umliegenden Almen, so wußte auch er, daß es für den guten Hirten von St. Johann nichts Schöneres nach einem Aufstieg gab, als ein Glas kühler Alpenmilch. Er verschwand im Inneren der Hütte, während Sebastian sich auf der Bank davor niederließ. Hier auf der Selchner-Alm gab es keine richtige Hüttenwirtschaft. In erster Linie produzierte Franz einen erstklassigen Bergkäse. Verirrten sich doch ab und an ein paar Wandersleut' hierher, was durchaus vorkam, wurden sie dennoch von dem alten Senner bewirtet. Zumindest eine warme Mahlzeit hielt er immer bereit, und natürlich gab es auch einige Getränke. Sebastian lehnte sich an die Hüttenwand und schaute zufrieden auf das einmalig schöne Bild, das sich ihm bot. Weit ging sein Blick ins Wachnertal hinunter, über das satte Grün der Almwiesen und dem schroffen Gestein der Berge. In der Ferne zeigten sich die Zwillingsgipfel, »Himmelspitz« und »Wintermaid«. Hinter sich hörte er das Geläut der Glocken, die die Kühe um die Hälse trugen.
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Seitenzahl: 110
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»Servus, Franz«, begrüßte Sebastian Trenker den alten Senner.
Franz Rohlingers dunkle Augen blitzten vor Vergnügen auf, als er den Bergpfarrer erkannte.
»Grüß Gott, Hochwürden«, sagte er. »Schön, daß Sie sich auch einmal wieder sehen lassen. Nehmen S’ doch Platz. Ich hol’ Ihnen gleich ein Glaserl Milch.«
Wie alle Senner auf den umliegenden Almen, so wußte auch er, daß es für den guten Hirten von St. Johann nichts Schöneres nach einem Aufstieg gab, als ein Glas kühler Alpenmilch. Er verschwand im Inneren der Hütte, während Sebastian sich auf der Bank davor niederließ.
Hier auf der Selchner-Alm gab es keine richtige Hüttenwirtschaft. In erster Linie produzierte Franz einen erstklassigen Bergkäse. Verirrten sich doch ab und an ein paar Wandersleut’ hierher, was durchaus vorkam, wurden sie dennoch von dem alten Senner bewirtet. Zumindest eine warme Mahlzeit hielt er immer bereit, und natürlich gab es auch einige Getränke.
Sebastian lehnte sich an die Hüttenwand und schaute zufrieden auf das einmalig schöne Bild, das sich ihm bot. Weit ging sein Blick ins Wachnertal hinunter, über das satte Grün der Almwiesen und dem schroffen Gestein der Berge. In der Ferne zeigten sich die Zwillingsgipfel, »Himmelspitz« und »Wintermaid«. Hinter sich hörte er das Geläut der Glocken, die die Kühe um die Hälse trugen. Zusammen mit einer Herde Ziegen weideten sie am Hang, wo besonders saftiges Gras wuchs, herrlicher Klee und würzige Kräuter. Dieses alles zusammen gab der Milch ihren einzigartigen Geschmack.
Der Pfarrer sah auf, als die Hüttentür geöffnet wurde, doch zu seinem Erstaunen trat nicht der alte Senner heraus, sondern ein Madel, mit langen blonden Haaren. Als es den Mann auf der Bank erblickte, schrak es zusammen und schaute ihn ängstlich an.
»Grüß Gott«, sagte Sebastian und betrachtete die junge Frau genauer.
Sie war etwa Anfang zwanzig und von schlanker Figur. Die Haare rahmten ein niedliches Gesicht ein, das von ihren herrlichen geschwungenen Lippen betont wurde. Sie trug eine bunt gemusterte Hemdbluse und Jeans. Die Füße steckten in Wanderstiefeln.
Der Seelsorger hatte die Frau noch nie gesehen. Sie stammte weder aus St. Johann, noch konnte sie eine Verwandte von Franz Rohlinger sein. Der alte Senner, das wußte Sebastian, hatte keine Angehörigen mehr.
Um sie zu betrachten und diese Überlegung anzustellen, brauchte es keine Minute. Dann war das Madel aber auch schon wieder in der Hütte verschwunden, nachdem es dem Fremden auf der Bank kurz zugenickt hatte.
Wenig später kam Franz mit der Milch.
»So, Hochwürden, lassen S’ sich’s schmecken«, sagte er und reichte Sebastian das Glas.
Der nahm einen tiefen Schluck und wischte sich über die Lippen.
»Hast’ Besuch?« fragte er beiläufig.
Der Senner sah zur Hüttentür. Er hob die Arme und ließ sie wieder sinken.
»Das ist eine merkwürdige Geschichte«, berichtete er. »Ich hab’ die Michaela vor ein paar Tagen drunten an der Kachlachklamm aufgelesen. Offenbar hatte sie sich verirrt und wußte net wohin. Na, ich hab’ ihr angeboten, erst einmal hierzubleiben. Platz genug ist ja.«
Er beugte sich zu dem Geistlichen.
»Also, wenn S’ mi’ fragen – da stimmt was net, mit dem Madel. Den ganzen Tag spricht’s kaum ein Wort, und wenn jemand Fremdes kommt, dann versteckt’s sich in der Hütte. G’rad so, als wenn’s befürchtet, daß wer entdecken könnt’, daß ’s sich hier aufhält.«
Das war auch Sebastians Eindruck gewesen. Offenbar hatte die junge Frau nichts von seiner Ankunft gesehen, sonst wäre sie nicht so sorglos herausgekommen. Ihr Erschrecken war ihr ja deutlich anzusehen gewesen.
Das Interesse des Bergpfarrers wurde geweckt. Mit dem Gast auf der Selchner-Alm stimme etwas nicht, und Sebastian war gewillt, herauszubekommen, was das war.
Er ließ sich noch einmal schildern, unter welchen Umständen der Senner auf Michaela getroffen war.
»Das war vorige Woche am späten Freitag abend«, berichtete Franz. »Wissen S’, als das Unwetter über’s Tal hinwegzog. Ich hatte die Ziegen und Kühe zusammengetrieben und festgestellt, daß eine Färse abhanden gekommen war.«
Er deutete auf einen großen Schäferhund, der unablässig um die Tiere lief, die am Hang standen.
»Eigentlich hat der Rex sie gefunden«, fuhr er fort. »Ich bin mit ihm los, um die Kuh zu suchen. An der Klamm stieß der Hund auf das Madel, das sich ganz naß und ängstlich unter einen Felsüberhang verkrochen hatte. Na, ich hab’ die Michaela mitgenommen und nun ist sie da.«
»Spricht sie denn gar net über ihre Vergangenheit? Wer sie ist und woher sie kommt?« wollte Sebastian wissen. »Sie muß doch noch Angehörige haben. Eine Familie, Eltern, vielleicht Geschwister.«
»Kein Wort«, schüttelte Franz den Kopf. »Ich hab’ einmal versucht, etwas zu erfahren, aber da hat sie mich gebeten, ihr keine Fragen zu stellen, und dann saß sie lange Zeit weinend in der Ecke.«
Der Geistliche strich sich nachdenklich über das Kinn. Daß da etwas net stimmte, lag ganz klar auf der Hand. Und daß er, Pfarrer Trenker, herausbekommen mußte, was das war, auch! Allerdings hieß es, behutsam zu Werke zu gehen. Das Madel schien äußerst verängstigt und mißtrauisch. Wenn er gleich darauf bestand, mit Michaela zu sprechen, würde der Seelsorger bei ihr bestimmt auf Abwehr stoßen. Am besten war es wohl, wenn er sich erst einmal zurückzog und in den nächsten Tagen noch einmal heraufkam. In der Zwischenzeit würde sie von Franz erfahren haben, wer der Mann war, den sie heute noch so bange angesehen hatte. Vielleicht half ihr dieses Wissen, Vertrauen zu Sebastian aufzubauen.
Der Bergpfarrer stand auf und reichte dem Senner das leere Glas.
»Dank’ schön, Franzl«, sagte er. »Für’s erste würd’ ich wieder hinabsteigen. Aber ganz bestimmt komm’ ich bald wieder her.«
»Das wär’ schön, Hochwürden«, nickte der Alte. »Das Madel braucht Hilfe, ich spür’s. Und wenn da einer helfen kann, dann Sie.«
Er sah dem Pfarrer nach und ging dann in die Hütte.
*
»Ist er fort? Wer war der Mann? Was wollte er?«
Hastig und ohne Pause hatte Michaela ihre Fragen gestellt. Dabei blickte sie immer wieder aufgeregt aus dem Fenster. Franz Rohlinger sah sie kopfschüttelnd an.
»Madel, nun beruhig’ dich erst mal«, sagte er. »Was bist’ denn bloß so ängstlich?«
Er ging durch den kleinen Flur in die Küche und stellte das Milchglas in das Spülbecken. Die junge Frau folgte ihm.
»Hat er sich nach mir erkundigt? Wollte er meinen Namen wissen?«
Der Senner holte tief Luft.
»Ja«, antwortete er. »Er hat sich nach dir erkundigt und wollte wissen, wer du bist, wie du heißt und wo du herkommst.«
Sie riß die Augen vor Entsetzen weit auf und sah ihn mit flackerndem Blick an.
»Und du? Was hast’ ihm geantwortet?«
Franz verzog den Mundwinkel.
»Was hätt’ ich ihm denn schon groß antworten können? Ich weiß ja selbst nix von dir«, erwiderte er. »Aber vielleicht magst’ ja mit ihm reden, wenn er wieder heraufkommt?«
»Er…, er kommt zurück?«
Mit einer fahrigen Bewegung fuhr sie sich durch das Haar.
»Aber, warum denn? Was will er denn? Wer ist der Mann denn? Kennst’ ihn etwa?«
Der Senner hatte sich an den Tisch gesetzt und machte sich daran, die Kartoffeln, die in einem Korb darauf standen, zu schälen.
»Freilich kenn’ ich ihn«, gab er zurück. »Das war Sebastian Trenker, unser Pfarrer d’runten in Sankt Johann.«
Michaela sah ihn ungläubig an.
»Was? Das ist der Pfarrer?«
Sie konnte es nicht glauben, denn so wie der Mann ausschaute, konnte er alles mögliche sein. Sportler vielleicht, oder gar ein Filmstar.
Forschend sah sie den alten Senner an. Wollte er sie etwa verulken? Ein Pfarrer, der so sportlich und agil aussah? Dazu mit braungebranntem Gesicht, das eher an einen Prominenten erinnerte, als an einen Geistlichen.
»Kannst mir ruhig glauben«, meinte der Alte, als habe er ihre Gedanken gelesen. »Es ist so, wie ich’s gesagt hab’. Aber du brauchst dich vor ihm net zu fürchten. Der Pfarrer Trenker ist ein Seelsorger, der immer für seine Schäfchen da ist. Wenn du ein Problem hast, dann brauchst dich nur an ihn zu wenden und wirst ganz bestimmt net abgewiesen.«
Er betrachtete sie eindringlich.
»Du hast doch ein Problem, net wahr?«
Das junge Madel antwortete nicht. Statt dessen drehte es sich um und ging in die Kammer, die es seit ein paar Tagen bewohnte.
Franz Rohlinger sah Michaela kopfschüttelnd hinterher. Er wurde einfach nicht aus ihr schlau. Das es da etwas gab, das sie bedrückte, war nicht zu übersehen. Aber so sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht, an sie heranzukommen und herauszufinden, was ihr Problem war. Mochte sein, daß der Pfarrer mehr Erfolg damit hatte. Nicht, daß Franz das Madel wieder loswerden wollte, im Gegenteil. Seit Michaela bei ihm wohnte, hatte er erst gemerkt, wie einsam es in den vergangenen Jahren, die er alleine hier lebte, immer gewesen ist. Seine einzige Verwandte, eine Cousine seiner Mutter, war vor einer Ewigkeit verstorben, so daß er sich kaum noch an sie erinnern konnte. Seitdem war er auch nur selten drunten im Dorf gewesen. Das was er an Vorräten brauchte wurde ihm heraufgebracht, und im Winter wohnte er auf dem Brandstetterhof, zu dem die Selchnerhütte gehörte.
Doch die gemeinsamen Tage mit der jungen Frau belebten den Alten. Er stellte sich vor, Michaela wäre seine Enkeltochter, die sie auch vom Alter her hätte sein können, und sah sich in der Rolle des Großvaters.
Eine schöne Vorstellung, besonders, wenn sie abends im Schein der untergehenden Sonne vor der Hütte saßen und jeder seinen eigenen Gedanken nachhing.
Allerdings hatte Franz die
dunkle Ahnung, daß es nicht ewig so würde weitergehen können. Das, was das Madel mit sich herumschleppte, mußte mit seiner Herkunft zusammenhängen. Und da schien es ein düsteres Geheimnis zu geben. Vergeblich hatte sich Franz bisher bemüht, dahinter zu kommen. Jetzt setzte er alle seine Hoffnung auf den Bergpfarrer. Wenn einer dazu in der Lage war, den Schleier zu lüften, der über dieser mysteriösen Angelegenheit lag, dann er.
*
Michaela saß mit angezogenen Knien auf dem Bett und starrte vor sich hin. Der Schrecken, der sie befallen hatte, als sie den Fremden sah, wollte sich nur langsam lösen. Auch wenn es sich bei dem Mann, wie Franz behauptete, um einen Geistlichen handelte, so war sein unvermutetes Auftauchen doch für sie ein Schock gewesen. Schließlich hatte der Senner gesagt, daß sich kaum einmal jemand hierher verirrte.
Diesmal war sie also noch mit einem Schrecken davon gekommen, überlegte sie. Doch, wie würde es morgen sein? Oder übermorgen? So konnte es doch nicht weitergehen. Sie konnte nicht immer weiter fortlaufen und sich verstecken, ihre Flucht mußte doch endlich einmal ein Ende haben!
Mit einem tiefen Seufzer streckte sie sich lang auf dem Bett aus und schloß die Augen. Aber richtig schlafen konnte sie nicht. Im Gegenteil, wie in einem Film sah sie die Ereignisse der vergangenen Tage und Wochen an sich vorüberziehen, und diese Erinnerung weckte auf, was sie bereits vergessen geglaubt hatte. Wie ein kleines Kind, das Schutz sucht, rollte sie sich zusammen und ließ ihren Tränen freien Lauf.
»Ach, Mama«, rief sie leise. »Warum bist’ net bei mir? Du hättest mich bestimmt davor bewahrt. Was soll ich nur machen, Mama? Hilf mir doch, bitte, Mama. Hilf mir!«
Michaela wußte, daß ihr Flehen vergeblich war. Ihre Mutter, die einzige Vertraute und Freundin, die sie hatte, war vor drei Jahren, nach einer schweren Krankheit, verstorben. Seit diesem Tag sah die Welt für das junge Madel anders aus. Die Zweiundzwanzigjährige hatte von Stund’ an niemanden mehr, an den sie sich wenden konnte, wenn sie etwas bedrückte. Ein paar Monate zuvor war sie aus einem Internat, in der Schweiz, nach Hause gekommen. Zurück blieben die Madeln, mit denen sie richtige Freundschaft geschlossen hatte. In München kannte sie kaum einen Menschen.
Ihr Vater hatte alle Hände voll zu tun, die Firma, eine Fabrik für Küchenmöbel, die in dritter Generation der Familie gehörte, zu führen. Um die Tochter kümmerte er sich kaum, schon gar nicht nach dem Tod seiner Frau. Da stürzte er sich noch mehr in die Arbeit, und Michaela sah ihn bestenfalls am Sonntag morgen beim Frühstück.
Bei einer dieser seltenen Gelegenheiten hatte er ihr auch das eröffnet, was letztendlich zu ihrer Flucht geführt hatte. Hals über Kopf war sie davongestürzt, als sie erfuhr, was ihr Vater von ihr erwartete, um die Firma zu retten, die, trotz seiner Bemühungen, immer weiter in die Pleite rutschte.
Aber, was konnte sie dafür? Warum sollte sie dafür büßen? Sie hatte doch mit alledem nichts zu tun! Was wußte sie schon von veralteten Maschinen, hohen Lohnkosten und Billigprodukten aus dem Ausland, die das Geschäft kaputt machten?
Konnte er das wirklich von ihr verlangen?
Die junge Frau war aufgestanden und trocknete ihre Tränen. Nein, sagte sie zu sich selbst, niemals! Lieber würde sie noch weiter fortlaufen. Egal, wohin. Hauptsache, niemand fand ihre Spur.
Wie sie ihren Vater kannte, hatte er längst Himmel und Hölle in Bewegung versetzt, um herauszufinden, wo sie sich aufhielt. Ob er auch auf die Idee kam, hier nach ihr suchen zu lassen? Michaela hatte sich nur an dieses Dorf erinnert, weil sie einmal mit den Eltern in St. Johann die Ferien verbracht hatte. Das war vor acht Jahren gewesen. Sie hoffte, daß ihr Vater nicht auf den Gedanken kam, sie hätte sich hierher geflüchtet. Deshalb auch ihr Schreck, als der Mann vorhin draußen, auf der Bank saß.