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Du willst die Wahrheit wissen. Du willst das Geheimnis lüften und die große Story landen. Doch bist du auch bereit, dafür ein Leben in Dunkelheit zu führen? Bist du bereit, dafür zu sterben? Seit Jahrzehnten kursiert in der New Yorker Geschäftswelt das Gerücht über einen Geheimbund, der die Geschäfte an der Wall Street kontrolliert. Ein Zusammenschluss der mächtigsten CEOs, die keine Grenzen kennen, außer ihre eigenen. Doch was, wenn es kein Gerücht ist? Eine Frage, die sich die Reporterin Kate Dawson seit langer Zeit stellt. Sie ist fasziniert von der Macht dieses Zusammenschlusses, doch ihre Recherchen haben sie nie zu einem Ergebnis geführt, das die Existenz dieses Geheimbundes beweisen könnte. Bis zu jener Nacht, in der sie mitten auf dem Campus der TAC-Universität von Unbekannten überfallen wird und ihr niemand Geringeres als der reichste Mann New Yorks zu Hilfe eilt – Richard Fuller. Ein Zusammentreffen, das nicht ohne Folgen bleibt, denn die Leidenschaft zwischen ihnen schaltet Richards eigene Regeln, seine Gesetze und Schutzmechanismen aus. Er weiß, dass er mit dem Feuer spielt, während Kate vollkommen ahnungslos in einen Strudel aus Macht, Intrigen und Leidenschaft gerät und schon bald selbst in größter Gefahr schwebt.
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Richard
Kate
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Epilog – zwei Jahre später
Epilog
Über die Autorin
Jetzt ebenfalls erhältlich - THE APPARTEMENT
Copyright © Freya Miles 2020
Nadine Kapp, Am Alten Bahnhof 3, 50354 Hürth
Cover: Shutterstock
Lektorat: Martina König
Korrektorat: Nicole Bauer
Umschlaggestaltung: NK Design (Nadine Kapp)
Kontakt: [email protected]
Alle Rechte vorbehalten.
Eine Vervielfältigung oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren gestattet. Sämtliche Handlungen und Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Orte, Markennamen und Lieder werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Örtliche Begebenheiten wurden teilweise dem Storyverlauf angepasst. Alle Markennamen und Warenzeichen, die in dieser Geschichte verwendet werden, sind Eigentum der jeweiligen Inhaber.
»Bist du wahnsinnig geworden, hier in der Firma anzurufen und dabei auch noch deinen richtigen Namen zu nennen?«, fragte ich mit fester Stimme, während ich mich ruckartig aus meinem Bürostuhl erhob, den Hörer fest umklammert. Ich musste meine Wut über so viel Dummheit, oder wahrscheinlich war es eher Überheblichkeit, zügeln, doch ich wusste nicht, wie.
»Fuller, wärst du an dein verdammtes Handy gegangen, hätten sich die Probleme erst gar nicht ergeben. Es ist wichtig, die Zeit drängt.«
»Ich habe hier alles unter Kontrolle.«
»Das sagst du immer, aber das hilft mir nicht. Es ist nicht dein verdammtes Geld, das hier auf dem Spiel steht, sondern meins, okay? Also beantworte mir meine Fragen und sag mir, dass der Deal save ist. Dein verdammtes Telefon ist abhörsicher, ich rufe extra über die sichere Leitung an, wir können also sprechen.«
»Ich werde solche Dinge nicht am Telefon ausdiskutieren und ich verbiete mir weitere Anrufe. Wenn du nicht dazu in der Lage bist, diesem Druck standzuhalten, sollte ich mir vielleicht weitere Schritte überlegen.«
Mit diesen Worten beendete ich das Telefongespräch und knallte den Hörer zurück auf die Gabel. Dieses ignorante Arschloch, dem rein gar nicht bewusst zu sein schien, wie viel hier auf dem Spiel stand. Typisch Neulinge, doch es war meine Aufgabe, sie unter Kontrolle zu halten, und das würde ich bei ihm auch noch schaffen.
Ich setzte mich zurück an meinen Schreibtisch und öffnete das Dokument, an dem ich gerade arbeitete. Diese Störung hatte mich vollkommen aus dem Konzept gebracht. Für wen sich dieser kleine Mann hielt, um mit mir auf einer solchen Ebene zu reden. Ja, er gehörte jetzt zu den fünfzehn reichsten Menschen in New York, doch das gab ihm noch lange nicht die Macht, die er gerade zu haben glaubte.
Wie viel einfacher mein Leben wäre, wenn manche Menschen ihren Verstand einschalten würden, um selbstständig zu denken.
»Mister Fuller, die White Inc. Company ist eingetroffen. Alles steht für Sie in Besprechungsraum drei zur Verfügung«, erklang die Stimme meiner persönlichen Assistentin Gina durch den Lautsprecher. Sie war eine kluge Frau, die Erste, die sich seit mehr als einem Jahr auf diesem Posten hielt, was nicht zuletzt daran lag, dass sie glücklich verheiratet war und keinerlei Interesse an meiner Person zeigte. Ein Wunder, da sich die Damenwelt mir sonst gerne zu Füßen schmiss. Ein Phänomen, das wahrscheinlich zu fünfzig Prozent mit meinem guten Aussehen, aber auch mindestens zu fünfzig Prozent mit all meinem Geld zusammenhing. Gina war von diesen Sachen unbeeindruckt. Sie arbeitete lediglich für mich, und das verdammt zuverlässig und effizient.
Im Besprechungsraum angekommen, setzte ich mich auf meinen angestammten Platz an der Kopfseite des Tisches und begrüßte die Anwesenden mit einer kurzen Ansprache. Das alles hier war nur pro forma, der wahre Deal schon lange unter Dach und Fach, doch das ahnte hier noch niemand. Die fünfzehn Millionen Dollar würden schon in den nächsten Tagen fließen. Direkt nachdem die Aktien einen horrenden Sprung verzeichnet hatten. Es war gut so, wie die Geschäfte momentan liefen. Zu gut, doch ich wusste es besser, als mich in falscher Sicherheit zu wiegen. In diesem Business existierte so etwas wie Sicherheit nicht, selbst für mich nicht, und das, obwohl ich der mächtigste Mann dieses ganzen Konstrukts war.
Aufgewachsen in einer der wohlhabendsten Familien New Yorks, war mir schnell klar geworden, wohin ich gehörte. Dass ich einmal den Platz meines Vaters einnehmen würde, war nur eine Frage der Zeit gewesen. Während mein Dad nun mit der Yacht um die Fidschis schipperte, stellte ich sicher, dass alles seinen geregelten Gang ging. Ganz so, wie er es mir beigebracht hatte, wobei mir im direkten Vergleich zu ihm eindeutig mehr Skrupellosigkeit nachgesagt wurde. Was nutzte es mir, warmherzig und mitfühlend zu sein, in einer Welt, in der sich jeder sowieso selbst der Nächste war? Spätestens beim Geld hörte die Freundschaft bei den meisten auf, also brauchte ich erst gar keine Freunde. Zumindest niemanden außer Garrett, mein bester Freund seit Kindertagen.
Er war immer an meiner Seite gewesen, ganz egal, welche Schlagzeilen es um meine Familie gab oder was hinter den dicken Mauern unseres Anwesens geschah. In den Monaten, die mein Vater im Gefängnis verbracht hatte, war er bei mir eingezogen und wir hatten eine WG gegründet, mit unseren unwissenden sechzehn Jahren. Doch umgeben von jeder Menge Personal gab es nichts Einfacheres. Unsere Wäsche wurde gewaschen, unser Essen gekocht, unsere Zimmer aufgeräumt. Es war eine tolle Zeit in einer eigentlich tiefschwarzen Geschichte meiner Familie gewesen, an die ich dank Garrett gerne zurückdachte.
Mein Vater hatte zum damaligen Zeitpunkt meine Mutter windelweich geprügelt, woraufhin ihm auch all seine Kontakte nicht mehr helfen konnten. Er war für einige Monate ins Gefängnis gewandert, während meine Mutter nicht nur ihn, sondern auch mich, das Ebenbild meines Vaters, hinter sich gelassen hatte. Bis heute gab es keinerlei Kontakt zu ihr, eine Situation, die mich mehr belastete, als ich zugeben wollte. Ich sehnte mich danach, mit ihr zu reden, doch sie sah in mir niemand anderen als meinen Vater. Und vielleicht hatte sie recht damit. Vielleicht war ich genauso ein Monster, wenn man bedachte, dass ich als noch skrupelloser und kaltherziger galt …
Nach dem Meeting ging ich nur noch kurz in mein Büro, um einige Unterlagen zu holen, bevor ich mit Tony, meinem Chefbodyguard, das Gebäude verließ. Er fuhr mich wie immer zu meinem Penthouse in der Billionaires’ Avenue, wo ich den Rest des Tages ebenfalls mit Arbeit zubringen würde.
Ich verließ den Aufzug in meiner Etage und atmete tief durch. Nur hier war ich alleine, da ich sonst auf Schritt und Tritt von einem Bodyguard begleitet wurde, zumindest wenn ich in offiziellen Angelegenheiten unterwegs war. Von dem anderen Leben des Richard Fuller, dem Leben in den Abgründen New Yorks, wussten außer meinem Vater nur vierzehn andere Mitglieder. Vierzehn Mitglieder, die jede Aussage über die Existenz des Geheimbundes mit dem Leben bezahlen würden. Mich eingeschlossen.
Zugegebenermaßen war es ein recht anstrengendes, einsames Leben, zu dem ich mich nicht einmal freiwillig entschlossen hatte. Ich war hineingeboren worden in dieses Familienerbe und hatte den Posten, genau wie die Firmenleitung, von meinem Vater übernommen. Meine ganze Kindheit und Jugend war ich nur darauf getrimmt worden, ein harter Kerl zu werden, niemandem zu vertrauen und Geheimnisse für mich bewahren zu können. Aus dem Grund gab es auch außer Garrett keinen Menschen in meinem Leben, dem ich vertraute. Erst recht keine Frau, die mich zusätzlich von den für mich wichtigen Aufgaben ablenken würde. Ich vergnügte mich lieber in einem exklusiven Club mit Frauen, die ebenso darauf trainiert waren, Stillschweigen zu bewahren. Diese Art von Nähe und zwischenmenschlicher Beziehung reichte mir definitiv zum Überleben aus. So war ich schließlich erzogen worden.
Irgendwann würde ich hoffentlich eine Frau finden, die bereit war, mein Geheimnis zu behüten, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie. Meine Eltern waren nicht gerade ein Paradebeispiel für eine funktionierende Ehe gewesen und wie man liebte, hatte mir nie jemand gezeigt. Wie man funktionierte, dafür umso mehr.
Ich ließ einen kurzen Blick durch mein Penthouse schweifen, wo alles wie immer adrett an Ort und Stelle lag. Ich liebte diese penible Ordnung, für die meine Haushälterin jeden Tag aufs Neue sorgte. Klare Linien, klare Farbauswahl, keine Spielereien, keine aufwendige Deko, kein Geschnörkel. Von solchen Dingen verstand ich nichts und die Innenarchitekten hatten sich genau an meine Vorgaben gehalten. Für viele wirkte es hier drinnen mit Sicherheit absolut kalt und steril, doch für mich war es genau richtig so.
Es war kalt und steril, wie ich.
Die gesamte untere Etage wurde von einem offenen Raum eingenommen, in dem das Wohnzimmer, die Küche und das Esszimmer untergebracht waren, während sich im oberen Bereich die Bibliothek, mein Arbeitszimmer, zwei Schlafzimmer und zwei Badezimmer befanden. Großzügige zweihundert Quadratmeter mitten in der Stadt, für die mein Vater seinerzeit einen horrenden Preis bezahlt hatte. Durch ihn war mir diese Wohnung zusammen mit der Firma übergeben worden, da es für mich definitiv keine Option gewesen war, im Familienanwesen außerhalb von New York zu bleiben. Die lange Fahrerei war nichts, das ich mochte.
Ich arbeitete noch eine Weile in meinem Arbeitszimmer, welches mir einen atemberaubenden Blick über New Yorks grüne Lunge, den Central Park, offenbarte, bevor mir das Piepsen meiner Uhr signalisierte, dass es Zeit war, eine Dusche zu nehmen und mich in den Mann zu verwandeln, von dessen Existenz kaum jemand etwas wissen durfte.
In meinem Schlafzimmer ging ich zu meinem begehbaren Kleiderschrank, in dem ebenfalls eine penible Ordnung herrschte. Ich wandte mich nicht den vielen maßgeschneiderten Designeranzügen zu, sondern steuerte die andere Seite des Raumes an. Es war Mittwoch, Tag des Treffens. Dementsprechend unauffällig hatte ich mich zu kleiden. Wenn ein Mann mit einem Designeranzug über das Gelände der TAC-Universität laufen würde, hätte ich mir auch gleich ein Schild mit der Aufschrift »Ja, es gibt die Secret Society wirklich und ich bin ihr Anführer« um den Hals hängen können.
Der Schutz des Geheimbundes stand für alle Beteiligten an oberster Stelle, hing für uns alle doch viel zu viel von diesem Bündnis ab.
Ich kleidete mich in eine Jeanshose, einen schwarzen Kapuzenpulli und Sneakers. Ein Blick in den Spiegel ließ mich wie so oft schmunzeln. Ich wirkte in diesem Outfit mindestens fünf Jahre jünger und eher wie der dreiunddreißigjährige Kerl, der ich nun mal war. Kein Vergleich zu dem Typen im Designeranzug mit den gegelten Haaren und der starren Miene, die nichts offenbarte. Manchmal, an Wochenenden, an denen ich nicht in die Firma fuhr, trug ich auch hier zu Hause diese Freizeitklamotten. Mein Vater hatte selbst an freien Tagen immer einen Anzug getragen, schon alleine damit das Personal ihn nicht anders kennenlernte, doch das war mir egal. Meine Haushälterin kannte mich in ganz anderen Situationen. Dafür wurde sie auch angemessen bezahlt und sie hatte einen regelrechten Knebelvertrag unterschrieben.
»Ohne Security«, sagte ich zu dem Wachmann vor meiner Etagentür, während ich in den Aufzug stieg und nach unten in die Tiefgarage fuhr. Es gab keine Diskussionen, denn es war ein Befehl. Ich bestimmte selbst über die Art und Weise meiner Bewachung, auch wenn das meinem Securitymann schon viele schlaflose Nächte beschert hatte. Tony war ein verschwiegener Kerl, der sich genau wie ich nicht gerne mit unnötigem Small Talk aufhielt. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum unsere Zusammenarbeit schon seit all den Jahren so gut funktionierte. Tony war bereits für mich zuständig gewesen, als ich noch ein verwöhnter Teenie gewesen war, der sich nichts hatte sagen lassen. Erst recht nicht von Untergebenen. Mittlerweile hatte ich diese Einstellung grundlegend geändert, sah ich Tony doch schon lange auf Augenhöhe. Er hatte sein Leben vollkommen nach meinem Lebensstil ausgerichtet und mittlerweile waren wir ein eingespieltes Team, auch wenn wir die privaten Worte, die wir je miteinander gewechselt hatten, an einer Hand abzählen konnten.
Ich stieg in das Auto, das ich nur für diese Treffen besaß und das ich freiwillig niemals fahren würde. Ein alter, rostiger dunkelroter Toyota, der gerade so fahrtauglich war. Es war alles Teil der Tarnung. Wenn man bedachte, dass ich sonst Lamborghini, Ferrari oder Porsche fuhr, konnte man sich meine Abneigung gegen diese rostige Mühle wahrscheinlich vorstellen.
Wir alle besaßen diese alten Autos, mit denen wir zu den Treffen kamen. Wer wann wo parkte, war dabei genau festgelegt und rotierte ständig. Heute hatte ich die Arschkarte gezogen, ganz am anderen Ende des Parks, der an den Campus angrenzte, meinen Stellplatz zu haben. Nur weil ich der mächtigste Mann in diesem Bund war, blieb mir so etwas nicht erspart. Gleiches Recht für alle. Außerdem diente es der besseren Tarnung und dafür würde ich alles geben. Es war ein unglaublicher Druck, den ich jeden Morgen als Erstes auf meinen Schultern spürte, wenn ich aufstand, und an den ich jeden Abend als Letztes dachte, bevor ich einschlief. Unsere Vorfahren hatten es jahrhundertelang geschafft, die Secret Society geheim zu halten, und es durfte nicht unter meiner Führung geschehen, dass alles aufflog. Dieser Druck auf meinen Schultern wog schwer, noch schwerer als die Verantwortung für all das Geld und all die Existenzen.
Würde herauskommen, dass wir seit all den Jahren den Aktienmarkt fest in unseren Händen hielten und Strippen zogen, von denen die Welt nicht einmal zu träumen wagte … es würde ein Beben für die gesamte Weltwirtschaft bedeuten. Etwas, das nie passieren durfte und auch nie passieren würde. Nicht unter meiner Führung.
Ich eilte über den Campus und durch eine versteckte Öffnung an der Rückseite eines der altherrschaftlichen Gebäude, welche mich zu einer Anzahl gleich aussehender Gänge in den Untergrund führte. Ich kannte mich hier bestens aus, genau wie die anderen Mitglieder, die ebenfalls die Fluchtwege kannten, falls wir hier auffliegen sollten. Durch das Labyrinth aus Gängen betrat ich nach wenigen Minuten den großen Gewölbekeller, in dem bereits alle Kerzen angezündet waren und die Mitglieder an ihren angestammten Plätzen saßen. Hier unten gab es keinen Strom, keinen Handyempfang und kein Internet, sodass man sicher sein konnte, dass nichts nach außen gelangte. Darum musste ich mir eigentlich keine Sorgen machen, war es doch auch im Sinne der hier anwesenden Männer, dass nichts von diesem Geheimbund je ans Tageslicht kam – und doch herrschte in den Reihen eine gewisse Unruhe, seit Tate Connors vor einigen Wochen die Nachfolge seines Vaters Mitch angetreten hatte. Sein Ruf als Rebell und Quertreiber eilte ihm weit voraus und bis jetzt gab er sich sämtliche Mühe, diesem Ruf gerecht zu werden, inklusive des Anrufs in meinem Büro am heutigen Tag.
»Gentlemen«, sagte ich und nahm meinen Platz an der Kopfseite des Holztisches ein, an dem schon unsere Vorfahren gesessen und Entscheidungen gefällt hatten. »Der Deal mit der White Inc. Company ist heute wie erwartet über die Bühne gegangen. Das haben Sie mit Sicherheit schon den Aktienkursen entnehmen können. Die fünfzehn Millionen fließen in den nächsten Tagen, das Geschäft ist erfolgreich abgeschlossen. Dahingegen bereitet mir der Deal mit dem Pharmakonzern Rantex einige Kopfschmerzen. Lösungsvorschläge?«, fragte ich und blickte in die Runde. Es war immer wieder amüsant, all die sonst so gestriegelten Geschäftsleute in ihren Freizeitklamotten zu sehen. Ihnen erging es dabei, wie ich wusste, ganz genau wie mir. Das veränderte Aussehen war Teil des Doppellebens, dem wir alle auf eine gewisse Art und Weise zugestimmt hatten. Manche von uns freiwillig und manche von uns, weil es die Familiendynastie nicht anders zuließ. So wie bei mir.
Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und lauschte den Ausführungen der anderen mächtigen Männer. Sie alle leiteten die größten Unternehmen hier in New York. Geballtes Fachwissen, unendlich viel Macht und noch mehr Ego, das in diesen Treffen oft und gerne aufeinanderprallte, doch das letzte Wort lag noch immer bei mir. Ich traf die Entscheidungen, ich bestimmte, was geschah und was nicht, und egal wie sehr die Alphatiere sich auch wehrten – es war Gesetz.
»Nein!«, stöhnte ich leise und tastete mit meiner Hand und noch geschlossenen Augen nach dem Wecker, der so erbarmungslos klingelte. Ich musste aufstehen, wie auch immer mir das nach nur zwei Stunden Schlaf gelingen sollte. Müde! Mein Körper war einfach nur müde. Wie hatte ich auch nur so dämlich sein können, gleich drei Jobs auf einmal anzunehmen. Gut, okay, Geld verdiente sich nicht von alleine und schon gar nicht durch Faulheit, aber drei Jobs! Und noch dazu waren mir zwei der drei Jobs definitiv spannender vorgekommen, als sie es schlussendlich waren. Ach verdammt …
Lustlos setzte ich mich in meinem Bett auf und zwinkerte gegen die Sonne an, die bereits erbarmungslos in meine kleine Zweizimmerwohnung schien – in der ich dringend mal wieder aufräumen und Staub wischen musste. Ich betrachtete, wie die Staubkörner mit den Sonnenstrahlen um die Wette tanzten, und stöhnte noch einmal laut auf. Ein Ende war in Sicht. Nur noch drei Tage, dann würde ich die Nachtreportage beenden können, um mich endlich wieder auf meinen normalen Job, und auf den Job, der mir Spaß machte, konzentrieren zu können.
Ich arbeitete als Journalistin bei der New York Times, ein Traum für so viele junge Schreiberlinge wie mich, doch nichts davon war mir in irgendeiner Art und Weise zugeflogen. Harte Arbeit, immer die besten Noten im Studium und unermüdlicher Einsatz hatten mich zu diesem Job gebracht, für den ich lebte. Und doch langweilte er mich zwischendurch, da ich sehr viel Recherche aus dem Büro heraus betrieb und viel weniger draußen unterwegs war, als ich es erhofft hatte. Genau dafür war ich den Nachtjob eingegangen. Eine Reportage über New Yorks berüchtigten Nachtclub, das Seven Inn, und seinen Besitzer Juan Miguel Estefano. Ein Hochstapler und Wichtigtuer, der keinerlei Kontakte zu irgendwelchen Kartellen oder dem New Yorker Untergrund hatte, so wie er anfänglich selbst behauptet hatte. Wahrscheinlich wäre es genau ab der Behauptung Zeit geworden, ihm kein Wort mehr zu glauben und skeptisch zu werden, doch ich hatte diesen Job angefangen, ich würde ihn auch beenden. Ganz egal, wie langweilig er auch war. Wenigstens kam ich mal raus, denn feiern ging ich normalerweise gar nicht. Nie.
Ich hatte mir erhofft, interessante Gäste zu sehen, Leute kennenzulernen, die irgendetwas mit dem berühmt-berüchtigten New Yorker Untergrund zu tun hatten, doch außer dem normalen Partyvolk kam niemand, der für mich von Interesse war. Diese ganze Reportage würde eine einzige langweilige Berichterstattung über das normale New Yorker Nachtleben werden. Keine Enthüllungsstory, keine Gefahr. Einfach nichts. Da konnte ich gut und gerne weiterhin in meinem schicken New Yorker Büro sitzen, Internetrecherche betreiben und gute Artikel schreiben. Es brachte mich auf der Karriereleiter und persönlich definitiv nicht weiter, mir die Nächte in irgendwelchen dubiosen Nachtclubs um die Ohren zu schlagen.
Missmutig erhob ich mich aus meinem Bett und tapste unter die Dusche, in der Hoffnung, dadurch etwas wacher zu werden. Doch selbst der Kaffee brachte diesen Erfolg nicht. Ich trank ihn wie immer, während ich den Artikel weiter bearbeitete, mit den immer gleichen Erfahrungen, die ich auch am gestrigen Tag gesammelt hatte.
Auf der Arbeit gab es keine feste Uhrzeit, zu der ich unbedingt dort sein musste, und doch versuchte ich immer, um Punkt neun im Büro zu sein, damit ich genug getan bekam und meiner Arbeit nicht hinterherhinkte. Es war ein heiß umkämpfter Job und wenn ich keine guten Leistungen mehr brachte, würden die oberen Bosse mich schneller ersetzen, als ich bis drei zählen konnte. Und auch wenn es wahrscheinlich vollkommen hirnrissig war – ich liebte diesen Druck. Er ließ mich jeden Tag das Beste geben und genau das war es, was ich wollte. Mal ganz davon abgesehen, dass das Geld sogar dafür reichte, mir eine Wohnung mitten im Big Apple zu finanzieren.
Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie ich vor mittlerweile fünf Jahren hierhergezogen war. Den ganzen Weg aus Colorado, für meinen Traumjob. Es war mir nicht schwergefallen, das Landleben hinter mir zu lassen, wobei es mit meinen Eltern und meinen Freunden natürlich ganz anders aussah. Ich vermisste sie oft, zumal ich es leider nicht schaffte, öfter als einmal im Jahr zu Besuch zu kommen. Dafür gab ich im Job zu viel oder ich nahm andere Jobs an, während ich Urlaub bei der Times hatte. Ich lebte für meine Arbeit und dafür, irgendwann einmal die ganz große Story landen zu können, um die Titelblätter aller Zeitungen zu zieren. Ein Traum, den viel zu viele junge Journalistinnen erreichen wollten, mit der Ausnahme, dass ich bereit war, unglaublich hart dafür zu arbeiten.
Mein dritter Job, dem ich nun seit einigen Wochen nachging, war mir dagegen eine absolute Herzensangelegenheit. Ich war Teil einer Initiative an New Yorks berühmter TAC-Universität, wo ich angehenden Journalistinnen und Journalisten alle zwei Wochen mit Rat und Tat zur Seite stand, ihnen Fragen beantwortete und dabei auch mit ihnen über das wahre Leben in diesem Beruf sprach. Ein Job, um den ich regelrecht gekämpft hatte, zumal er mir automatisch auch Zugang zur Bibliothek dieser Universität beschaffte, in der ich hoffentlich meine Studien über die sogenannte Secret Society endlich vorantreiben konnte. Schließlich war der sogenannte Geheimbund der Millionäre vor Hunderten von Jahren hier gegründet worden, zumindest wenn man all den Sagen glaubte. Mein Vater, seines Zeichens begnadeter Hobby-Verschwörungstheoretiker, hatte mich schon als angehende Journalistin mit seiner Theorie infiziert, dass es in New York eine geheime Gesellschaft gab, die Aktienkurse beeinflusste und Vermögen so verteilte, wie sie es wollte. Als Mathematiker und passionierter Zahlenjongleur hatte er mir seine Theorie oft anhand von wechselnden Aktienkursen und Gewinnschwankungen bei einigen Firmen zu erklären versucht, doch ich verstand von all diesen Dingen nichts.
Anfangs hatte ich ihn ausgelacht, bis er mir von der sagenumwobenen Secret Society erzählt hatte. Es gab bis heute keinerlei Beweise für deren Existenz, doch Gerüchte besagten, dass sie sich vor Hunderten von Jahren an der TAC-Universität gegründet hatte und noch immer existierte. Doch bis jetzt waren meine Recherchen in der Uni-Bibliothek genauso im Sande verlaufen wie all meine anderen Anstrengungen in diese Richtung.
Wahrscheinlich war es doch nicht mehr als ein Hirngespinst meines Vaters, doch selbst wenn, so hatte es etwas Gutes, war es doch unser einziges Thema, über das wir wirklich miteinander sprechen konnten. Seitdem ich denken konnte, war mir irgendwann klar gewesen, dass mein Vater anders war als all die anderen Menschen. Er redete nicht viel, fast nie, und wenn, dann nur über Themen, für die er brannte, wie seine Zahlen, mathematische Gleichungen oder eben die Secret Society. Viele Ärzte vermuteten eine Erkrankung hinter seinem Verhalten, eine bestimmte Art des Autismus, doch mein Vater, aber insbesondere meine Mutter, wollte von all diesen Dingen nichts hören. Was würde es auch nutzen, wenn man einen Namen für dieses Verhalten bekam? Ich kannte meinen Vater nicht anders und meine Mutter hatte sich in ihn verliebt, genau so, wie er war und wie er immer sein würde. Die beiden ergänzten sich perfekt, liebten sich abgöttisch und gingen freudestrahlend durch ihr Leben, das mit Sicherheit nicht immer einfach war. Tief in meinem Inneren hoffte ich darauf, irgendwann einmal so glücklich zu werden, wie die beiden es auf ihre ganz eigene Art und Weise waren, doch die Suche nach dem richtigen Mann hatte ich schon vor einiger Zeit aufgegeben.
Ich konzentrierte mich lieber auf meine Arbeit als auf all die Dating-Apps, die mir mehr als nur ein skurriles Date beschert hatten. Für einige amüsante Artikel waren sie gut gewesen, doch nicht für mich und mein Privatleben. Vielleicht würde ich einfach noch mal mit meiner besten Freundin um die Häuser ziehen, sobald ich den Nachtjob beendet hatte und wieder etwas zur Ruhe gekommen war. Auf Amber war immer Verlass, selbst in den unmöglichsten Situationen. Sie liebte ihr Singledasein im Gegensatz zu mir viel zu sehr, um es je freiwillig aufzugeben. Ihr letztes Date hieß Mike und die beiden waren zwei volle Tage nicht aus dem Bett gekommen, bevor sie ihn in den Wind geschossen hatte. Ihrer Ansicht nach gab es auf dieser Welt drei Sorten von Männern. Die schwulen, die deine besten Freunde sein konnten. Die Beziehungskerle, mit denen man prima alt werden konnte, allerdings vor Langeweile bald umkam. Und die Betttypen, mit denen man es allerdings nicht länger als achtundvierzig Stunden aushalten konnte, ohne durchzudrehen.
Ich suchte nach einer Mischung aus allen drei Männern, weshalb ich wohl dazu verdammt war, für den Rest meines Lebens Single zu bleiben. Und das, wo ich mich doch mit einem Mann und fünf Kindern auf einer Farm mitten im Nirgendwo sah. Es war eine Vorstellung, die ich schon seit Kindertagen mit mir herumschleppte. Zwar war ich auf dem Land groß geworden, doch nicht auf einer eigenen Farm. Ich hatte immer voller Neid die Menschen beobachtet, die dort zusammenlebten, ihre eigenen Dinge erwirtschafteten und ihr Wissen an die nächste Generation weitergaben. Ein Traum, der sich für mich nie erfüllen würde. Wahrscheinlich in so vielerlei Hinsicht.
»Guten Morgen, Sonnenschein. Heilige Scheiße, wenn ich dir sage, dass du auch schon mal besser ausgesehen hast, ist das heute wirklich noch ein Kompliment, weißt du das eigentlich?«, fragte Andrew, mein Arbeitskollege und einziger Freund hier in der Times-Redaktion, wo jeder sich selbst am nächsten stand und um seinen Job kämpfte.
»Danke, ich weiß deine lieben und warmherzigen Worte wirklich sehr zu schätzen. Sag mir bitte, dass die Kaffeemaschine in der Küche wieder funktioniert.«
Auf Andrews Gesicht zeichnete sich ein äußerst merkwürdiges Strahlen ab, das ich definitiv nicht deuten konnte. Er hasste den Kaffee hier, doch würde er sich wirklich darüber freuen, mich leiden zu sehen?
»Schätzchen, du wirst ausrasten«, sagte er und legte seinen Arm um meinen Rücken, sodass er mich in Richtung Küche führen konnte.
Im ersten Moment traute ich meinen Augen nicht, als ich den großen Kaffeeautomaten erblickte, der auf der Anrichte stand und vor dem sich bereits eine Schlange freudestrahlender Mitarbeiter versammelt hatte.
»Mit freundlichen Grüßen von Mister Piggins.«
»Unser Chef hat einen Kaffeeautomaten spendiert? Ich dachte, es ist ihm zuwider, wenn wir zu viel Zeit damit verbringen, uns hier unserem leiblichen Wohl zuzuwenden, wie er es immer so schön ausdrückt.«
»Und das wird genau der Grund sein, warum er ihn dort platziert hat. Zwei Minuten bevor er uns von seiner Kündigung berichtet hat und gegangen ist.«
»Mister Piggins ist gegangen? Herrgott noch mal, es ist nicht mal neun Uhr. Ich bin pünktlich. Nicht richtig wach, aber pünktlich. Wann ist das alles denn passiert?«
»Um halb neun. Wir feiern alle noch den Kaffeeautomaten, bevor er uns wahrscheinlich wieder weggenommen wird.«
»Wer zum Teufel soll denn jetzt Piggins’ Nachfolge antreten?«
»Trenton Hill. Steht schon fest. Das Schild wird bereits ausgetauscht.«
»Sie haben schon ein neues Schild für ihn fertig?«
»Herzlich willkommen in unserer täglichen Wohlfühloase, nicht wahr?«
Ich atmete tief durch und schüttelte kurz den Kopf. Wohlfühloase, mit einem brennenden Stuhl unterm Hintern. Wenn ich diesen Job hier verlieren würde, war ich geliefert und konnte zurück nach Colorado gehen, um dort mit viel Glück beim lokalen Newssender zu arbeiten. Eine grauenvolle Vorstellung, die mir schon mehr als einmal den Schlaf geraubt hatte. Ich war geboren für die großen Nachrichten, für die großen Storys, und ich würde mich von nichts und niemandem von diesem Traum abbringen lassen. Auch nicht von der schnelllebigen Personalwirtschaft dieser Zeitung. Niemals!
Mit einem unglaublich köstlichen Latte macchiato nahm ich an meinem Schreibtisch Platz, der direkt gegenüber von Andrews stand. Wir beide saßen in einem Großraumbüro mit vierzig anderen Menschen, doch von den meisten kannte ich noch nicht einmal die Namen. Ich interessierte mich nicht groß für die Leute, die hier mit mir arbeiteten. Viele von ihnen wechselten einfach zu schnell. Außerdem war ich wirklich zum Arbeiten hier und darauf wollte ich mich auch konzentrieren. Nur Andrew, mit dem ich oft privat etwas unternahm, bildete die einzige Ausnahme. Ich hatte ihn seit meiner ersten Minute hier gemocht, mit seiner schrillen, aber unglaublich herzlichen Art. Er hatte mir die Strukturen hier erklärt und mir beigebracht, worauf es wirklich ankam, um seinen Job zu behalten.
»Darf ich kurz um eure Aufmerksamkeit bitten«, erklang eine laute Stimme, doch ich musste nicht mal von meinem Computer aufblicken, um zu wissen, dass es die Ansprache des neuen Chefs war. Er würde uns jetzt versprechen, alles anders zu machen und frischen Wind in die Redaktion zu bringen. So wie seine acht Vorgänger. Irgendwann würde ich mir einen Zettel schreiben müssen, um überhaupt noch zu wissen, wer mein Vorgesetzter hier war. Wenigstens kannte ich das Gesicht von Trenton Hill – und leider nicht nur das. Doch das war ein ganz anderes Thema.
Heute machte ich pünktlich Feierabend, da ich vor meinem Job in der Uni, zu dem ich am heutigen Abend wieder gehen durfte, unbedingt noch eine Runde schlafen wollte. Wenigstens ein Tag ohne den nervigen Nachtjob und das dumme Gerede des Clubbesitzers. Ich war mir sicher, dass ich in meinem Leben noch nie einen Menschen getroffen hatte, der sich wichtiger vorkam als er. Dabei war er nur ein ganz kleines Licht am New Yorker Nachtclubhimmel, doch das würde er mit Sicherheit selbst nie verstehen. Überheblichkeit war bei vielen Menschen, die ich tagtäglich traf, etwas ganz Normales, doch bei ihm nervte sie mich besonders, weil er komplett meine Zeit verschwendete. Nein, heute würde ich mir keine Gedanken um den ganzen Mist machen, sondern mich auf die zwei schönen Stunden mit dem Journalistennachwuchs an der TAC freuen.
Anfangs war es für mich komisch gewesen, wie sie zu mir aufsahen und an meinen Lippen klebten. Die Achtundzwanzigjährige, die schon seit so vielen Jahren bei der Times arbeitete. Wahrscheinlich war es etwas Besonderes, doch ich fühlte mich nicht besonders. Für mich war es mein ganz normales Leben. Viele von den Studierenden würden allerdings wahrscheinlich niemals so weit kommen.
In meinem Appartement schmiss ich meine Sachen einfach auf den Boden und quetschte mich mit meiner Take-away-Schachtel auf das Stückchen Couch, auf dem nichts lag. Verdammt, ich musste aufräumen, sauber machen und die Wäsche waschen. Heute hätte ich fast ohne Höschen zur Arbeit fahren müssen, weil mein Vorrat nun wirklich zu Ende gegangen war. Morgen! Morgen würde ich das alles in Angriff nehmen.
Nachdem ich mich mit dem Take-away-Essen vollgestopft hatte, schloss ich einfach die Augen, woraufhin ich tatsächlich sofort einschlief. Auf der Couch, inmitten des ganzen Chaos. Einzig meiner Handyerinnerung war es zu verdanken, dass ich pünktlich in der Uni ankam, wo die Studierenden bereits auf mich warteten. Ich liebte es, hier zu sein, wo ich an meine eigene Studienzeit erinnert wurde. Mit all den Partys, den Saufgelagen bis tief in die Nacht, den kleinen und großen Dramen rund um Freundschaften und Beziehungen. Dass ich aber wirklich noch einmal Teil des Ganzen sein würde – damit hatte ich bei Weitem nicht gerechnet. Und doch war ich heute mittendrin statt nur dabei. Die eine Stunde Schlaf auf meiner chaotischen Couch hatte mich scheinbar so weit nach vorne gebracht, dass von Müdigkeit keine Spur mehr war, als ich die Verbindungsparty betrat. Zwar war ich mit Abstand die Älteste hier, doch darauf kam es nicht an. Die Studenten hatten mich überredet, und warum nicht? Ein bisschen Spaß hatte noch niemandem geschadet.
Und Spaß war genau das, was ich an diesem Abend erlebte. Ich unterhielt mich mit den Leuten aus meinem Kurs, aber auch mit vielen anderen, die an der TAC studierten. Zu meiner Überraschung unterschied sich das Studentenleben hier nicht einmal so sehr von dem, was ich im fernen Colorado erlebt hatte, außer natürlich, dass man hier New York direkt vor der Tür hatte und dadurch ganz andere Möglichkeiten. Das musste nicht immer von Vorteil sein, bei dem geringen Studentenbudget und den hohen Kosten dieser Stadt. Alleine der Gedanke, noch einmal mit so wenig Geld auskommen zu müssen … Solange ich meinen Job bei der Times behielt, würde ich mir darüber hoffentlich niemals Gedanken machen müssen.
Erst gegen drei Uhr in der Nacht verabschiedete ich mich von den Leuten, mit denen ich die meiste Zeit des Abends zusammen gewesen war, was allerdings nicht zuletzt daran lag, dass zwei dieser Herren es eindeutig auf mich abgesehen hatten. Mit ihrem Alkoholpegel stieg auch ihre Aufdringlichkeit, weshalb ich mich lieber schnell aus der ganzen Situation zurückziehen wollte, bevor es noch unangenehmer wurde.
Ich verließ das Verbindungshaus schnellen Schrittes und sah mich dabei ein paar Mal um, da ich sicherstellen wollte, dass sie mir nicht folgten, doch da hatte ich meine Rechnung ohne die ekeligen Kerle gemacht. Ich hatte sie von Anfang an kaum ausstehen können, bei dem puren Blick in ihre lüsternen Augen. Wahrscheinlich hatten sie sich vorgenommen, die reife Frau zu knallen und damit die Größten und Coolsten zu sein. Es war ein verdammter Fehler gewesen, auf diese Party zu gehen, auf der ich wirklich nichts verloren hatte.
Ich konnte sie hinter mir hören, sie riefen meinen Namen, weshalb ich meinen Schritt beschleunigte. Es lag ein riesiges, spärlich beleuchtetes Areal zwischen mir und der U-Bahn, die ich nach Hause nehmen musste.
»Nun bleib doch stehen, wir wollen uns doch nur richtig von dir verabschieden, Baby«, rief einer der Männer, während ich weiter zielstrebig voranging. Mein Herz klopfte hämmernd gegen meine Brust, während mein Körper vollumfänglich in den Panikmodus umschaltete. Ich hatte Angst. So unglaublich große Angst. Solche Szenen kannte ich aus den schlechten Hollywood-Gruselfilmen oder aus Thrillern. Ich musste hier weg, und zwar so schnell wie möglich.
Es war der Moment, als mich zwei Hände von hinten umfassten, als ich realisierte, dass ich den Kampf nicht gewinnen konnte.
»Lass mich los«, rief ich ungehalten und versuchte, die Hände abzuschütteln, doch ohne Erfolg.
»Zier dich doch nicht so. Ich habe dir doch gesagt, dass wir uns nur kurz von dir verabschieden wollen. Was ist das denn für ein Benehmen? Du tauchst hier uneingeladen auf unserer Verbindungsparty auf und willst dich dafür noch nicht einmal erkenntlich zeigen?«
»Lass mich los!«, rief ich wieder und versuchte, um mich zu schlagen, doch die beiden hielten mich zu fest. Ich konnte mich kein einziges Stück bewegen.
Es war der Moment, als der Kerl vor mir von etwas getroffen wurde und zu Boden stürzte, als ich realisierte, dass es noch eine Chance gab. Ohne nachzudenken, stieß ich mein Bein nach hinten, in seine Eingeweide, doch das beeindruckte ihn nur lange genug, um mich loszulassen. Minuten später fiel er allerdings mit einem anderen Mann zu Boden.
Ich lief weg, weg von diesen Männern, weg von dem, was hätte passieren können, nur um nach einigen Minuten doch noch einmal innezuhalten. Es war jemand Fremdes dort gewesen. Jemand, der mich gerettet hatte. Und der nun ganz alleine in dieser Situation war. Ich konnte ihn nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Ich musste ihm helfen, so wie er mir geholfen hatte.
Meine vernebelten Gedanken schienen kaum Sinn zu ergeben, so sehr stand ich unter Schock. Ich zitterte am ganzen Körper, während ich dort stand und versuchte, eine Entscheidung zu treffen. Ich musste dem Mann helfen – oder wer auch immer mir zu Hilfe geeilt war.
»Hiermit schließe ich die Sitzung für heute. Das Verlassen des Gebäudes erfolgt nach dem festgelegten Plan«, sagte ich wie zum Ende jeder Sitzung und nickte den anwesenden Mitgliedern kurz zu.
Es war bereits nach drei, also spät genug, um ungesehen den Campus zu verlassen. Wir alle mussten morgen früh wieder fit sein, doch man gewöhnte sich an die Nächte ohne viel Schlaf. Es war wichtiger, als abends zu kommen oder zu gehen, wenn die Studenten sich noch auf dem Campus tummelten.
Ich verließ als Erster das Gebäude, das einzig Gute daran, den abgelegenen Parkplatz sein Eigen nennen zu müssen. Wie immer zog ich mir die Kapuze ins Gesicht und verließ das Gebäude schnellen Schrittes, wobei ich nie auf dem direkten Weg zu meinem Auto ging, sondern immer einen kleinen Umweg machte. Es war wichtig, dass man mir nicht folgen konnte, und erst wenn ich davon überzeugt war, würde ich zum Auto gehen. Ein Verhalten, das mir zu meiner eigenen Sicherheit wieder und wieder von Tony eingebläut worden war.
Ich bog gerade um die Kurve einer eher schlecht einsehbaren Ecke, als ich plötzlich den Schrei einer Frau vernahm, dicht gefolgt von einem Wimmern. Männerstimmen waren ebenfalls zu hören. Ich wusste, dass ich gehen musste. Hier gesehen zu werden, war viel zu gefährlich, und doch konnte ich nicht einfach ignorieren, was mir gerade zu Ohren gekommen war. Schon von Weitem erkannte ich, dass die Frau in höchster Gefahr schwebte. Zwei Männer … Ich durfte nicht auffallen, ich durfte nicht gesehen werden.
»Bitte nicht«, flehte sie, während ihr der Mann, der vor ihr stand, durchs Gesicht strich. Das war genug! Ich würde keine Frau einfach ihrem Schicksal überlassen.
Und so stürzte ich mich auf den Typen und überraschte ihn, da er mich nicht hatte kommen sehen. Ich schaffte es, ihn zu Boden zu bringen, während die Frau sich wohl losreißen konnte. Zumindest sah ich, wie sie weglief, während sich der zweite Mann auf mich stürzte und wir gemeinsam zu Boden fielen. Ich war ein durchtrainierter Kerl, weshalb es mir schnell gelang, die Oberhand zu gewinnen. Nur leider nicht über zwei ausgewachsene Kerle, für die Training wohl ebenfalls kein Fremdwort zu sein schien. Und ehe ich mich versah, war ich mittendrin in einer waschechten Prügelei. Ein Schlag traf mich in die Magengegend, während ich zeitgleich einen Schlag im Gesicht eines der Männer landete. Ein weiterer Schlag traf dann mein Gesicht.
»Ich habe die Polizei gerufen. Sie sind auf dem Weg hierher!«, erklang die Frauenstimme wieder, gefolgt von einem Schrei, da einer der Männer sie wohl erneut ergriffen hatte. Ich nutzte die Gunst der Stunde, sprang auf und verpasste dem abgelenkten Kerl einen rechten Haken, sodass er zu Boden ging.
»Komm!«, rief ich, während ich das Handgelenk der Frau umschloss und einfach loslief. Ich musste weg von hier und konnte sie nicht stehen lassen.
Auf dem Weg zum Auto fiel mir auf, dass ich blutete, doch auch dafür hatte ich nun keine Zeit. Auto … ich durfte sie nicht zu meinem Auto führen, doch was blieb mir anderes übrig? Die Frau schwankte hinter mir bedrohlich und wurde immer langsamer, sodass ich sie kurzerhand einfach auf meine Arme nahm, um sie zum Auto zu tragen. Es half mir nichts, wenn sie jetzt hier zusammenbrechen würde. Ihr zarter Körper drückte sich so fest an mich, dass ich ihr Zittern spüren konnte. Erst direkt vor der Rostlaube ließ ich sie runter und half ihr beim Einsteigen, bevor ich selbst das Auto umrundete und den Motor startete. Wir mussten weg von hier. Mit quietschenden Reifen fuhr ich an und holte alles aus der Rostlaube heraus. Wäre ich jetzt mit meinem Lamborghini hier …
Ich fuhr einige Querstraßen weiter, bevor ich den Wagen an den Straßenrand fuhr. Ich musste sichergehen, dass die Frau neben mir noch bei Bewusstsein war. Sie hatte sich noch nicht geregt und auch kein Wort gesprochen, während ihre Haare so in ihr Gesicht hingen, dass ich es nicht erkennen konnte.
»Red mit mir, geht’s dir gut? Bist du bei Bewusstsein?«, fragte ich, was sie aufblicken ließ. Sie schien die ganze Zeit über geweint zu haben. Ihr Gesicht zierten die Spuren der Tränen, während sie mich zwischen mascaraverklebten Wimpern anblickte. Ich kam nicht drum herum, ihre Schönheit wahrzunehmen, trotz des Elends, in dem sie sich gerade befand.
»Dank dir geht es mir gut, was man von dir allerdings nicht behaupten kann.«
Sie streckte die Hand nach meinem Gesicht aus, doch ich hielt sie davon ab, mich zu berühren. Ein Blick in den kleinen Rückspiegel zeigte mir, was ich auf dem Weg zum Auto bereits bemerkt, aber durch das Adrenalin wieder vergessen hatte.
»Du musst in ein Krankenhaus. Sie ist mit Sicherheit gebrochen«, sagte die Fremde neben mir.
»Wo wohnst du? Ich fahre dich nach Hause.«
»Du solltest dich besser erst mal um dich kümmern.«
»Mach dir mal um mich keine Sorgen. Adresse?«
Sie nannte mir eine Adresse im Herzen des Big Apple, was mich nicht minder überraschte, hatte ich sie doch für eine Studentin gehalten. Vielleicht reiche Eltern?
Verdammt, jetzt, wo das Adrenalin nachließ, spürte ich das Pochen in meinem gesamten Gesicht und auch mein Magen schmerzte nun. Ich war es nicht gewohnt, so viele Schläge und Tritte einzustecken.
»Wenn du nicht gekommen wärst …«
»Du solltest als Frau nicht mutterseelenallein um diese Uhrzeit über den Campus laufen«, entfuhr es mir. Ich war wütend auf sie. Wütend darüber, was ich wegen ihr getan hatte. Es stand zu viel auf dem Spiel und ich befand mich schon jetzt mittendrin in dem Schlamassel.
»Ach wirklich?«, fragte sie zurück, allerdings hörte sie sich nur gereizt an. Stattdessen waren die Tränen wieder zurückgekehrt und rollten über ihre Wangen.
»Hör zu, ich werde mich darum kümmern, dass du diesen Typen nie wieder begegnest und sie dir nichts mehr antun werden, okay?«, fragte ich, was sie aufblicken ließ.
»Wer bist du, dass du so etwas sagen kannst?«
Ich schluckte hart. Es war genau die richtige Strategie gewesen, jetzt auch noch den Superboss raushängen zu lassen. Wie richtig, zeigte mir ihre Reaktion.
»Richard Fuller?«, fragte sie, während mein Herz einen Schlag aussetzte. Sie hatte mich erkannt? Ernsthaft?
»Richard wer?«, fragte ich zurück. Ich würde meine Identität garantiert nicht preisgeben.
Ihre Augen musterten mich kritisch in dem spärlichen Licht, das durch die Fensterscheiben hereinfiel. Ohne auf ihre Worte einzugehen, ließ ich den Wagen wieder losrollen. Ich musste diese Frau loswerden.
»Mein Name ist Kate. Kate Dawson.«
»Caleb«, antwortete ich, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie würde wohl selbst merken, dass ich schlecht Richard Fuller sein konnte, in einem solchen Wagen, in einem solchen Aufzug, in einer solchen Gegend, mitten in der Nacht.
»Hier«, sagte sie und reichte mir ihren Schal. »Halt ihn dir unter deine Nase. Ich würde gerne weiterfahren und dich in ein Krankenhaus bringen«, sagte sie, was ich mit einem Kopfschütteln quittierte. Den Schal nahm ich allerdings an, selbst wenn ich ihn ruinieren würde. Es blutete wirklich heftig.
Vor der Adresse angekommen, stieg Kate nicht sofort aus, sondern musterte mich noch einmal. »Wie kann ich mich bei dir bedanken? Du bist nur wegen mir so zugerichtet und …«
»Mach dir keine Gedanken. Ich bin froh, dass dir nicht mehr passiert ist. Und keine Angst wegen dieser Typen, okay?«
Sie nickte, ohne weitere Fragen zu stellen, bevor sie zögerlich aus dem Auto ausstieg. Ich war froh, dass sie einfach die Tür schloss, sodass ich davonfahren konnte. Ich war schon tief genug in die Scheiße geraten.
Mit Mühe steuerte ich den Wagen in die Tiefgarage. Meine Nase schmerzte mittlerweile wie wahnsinnig, meine Augen tränten und mir war schwindelig und schlecht durch das ganze Blut, das ich geschluckt hatte. Ich stieg langsam aus dem Wagen aus und taumelte zum Aufzug, wo der Schwindel immer schlimmer zu werden schien.
Vor meinem Appartement konnte ich mich kaum noch auf den Beinen halten.
»Oh Gott, Mister Fuller!«, rief der Bodyguard, der nachts vor meiner Tür positioniert war, als er mich erblickte. Er griff mir unter den Arm und half mir, in mein Appartement zu kommen, wo er mich auf die Couch setzte.
Das Nächste, was ich realisierte, war Tony, der sich vor mich kniete.
»Mister Fuller?«, fragte er und blickte mich kritisch an. »Wir müssen Sie definitiv ins Krankenhaus bringen«, sagte er.
»Das geht nicht.«
»Was auch immer los ist, ich bin mir sicher, dass Sie eine Lösung dafür finden werden, aber mit den Verletzungen wachen Sie morgen früh im schlimmsten Fall nicht mehr auf.«
»Rufen Sie Garrett an.«
»Garrett kann hier auch kein CT von Ihrem Kopf machen.«
»Garrett. Das alles muss unter dem Radar erfolgen, verstanden?«
Tony atmete tief durch, bevor er wieder aus meinem Blickfeld verschwand. Bei den Kopfschmerzen, die mich heimsuchten, war ich kaum noch in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.
Garrett war Arzt, er würde es schon irgendwie hinkriegen, mich zu untersuchen, ohne daraus einen offiziellen Fall zu machen. Ich brauchte keine Polizisten, die in diesem Fall ermittelten. Es war schon schlimm genug.
»Richard, Mann, was ist los?«, erklang Garretts besorgte Stimme am anderen Ende des Telefons, das Tony mir reichte.
»Kannst du es irgendwie hinkriegen, ohne dass ich gleich die Polizei auf dem Schoß sitzen habe?«
»Klar. Lass dich von Tony herbringen. Geht das?«
»Klar«, erwiderte ich und reichte Tony sein Handy. Es musste gehen.
»Sagen Sie mir bitte, ob wir uns darauf einstellen müssen, dass Sie noch jemand attackiert. Wenn ja, wüsste ich das gerne vorher und nicht erst, wenn ich einem Irren gegenüberstehe.«
»Die ganze Sache hatte nichts mit mir zu tun«, versicherte ich Tony und bat ihn, mir ein paar Tabletten zu besorgen. Ohne würde ich es nicht aushalten, ins Krankenhaus zu fahren.
Ich schluckte zwei Kopfschmerztabletten und verließ dann mit Tonys Hilfe mein Appartement, zum Krankenhaus, wo Tony uns durch den Hintereingang hereinließ.
»Scheiße, Mann! Wer hat dich denn so zugerichtet?«, fragte Garrett sofort, während ich unendlich froh war, mich hinlegen zu können.
»Bin gestürzt.«
»Und ich bin Zirkusclown.«
Ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu, während er sich meine Nase kurz ansah.
»Das sieht nach einem CT aus. Danach reden wir weiter. Ist dir schwindelig, schlecht oder hast du dich übergeben?«
»Schwindelig und schlecht. Außerdem pocht diese verdammte Nase wie wahnsinnig.«
»Wir gucken uns das an. Ich hoffe, du hast es deinem Gegenüber wenigstens so richtig gezeigt.«
»Es waren zwei.«
Garrett warf einen kurzen Blick auf die Uhr, bevor er mich mit weit aufgerissenen Augen wieder anblickte. Es war Mittwochnacht. Er wusste, was ich zu dieser Zeit tat.
»Ich verstehe«, sagte er lediglich. Jetzt dürfte ihm auch klar sein, warum mir die vollkommene Diskretion so wichtig war. Gut, dass Garrett sich in einer Position befand, in der er genau das sicherstellen konnte.
Zwei Stunden später konnte ich das Krankenhaus mit einer gebrochenen Nase, einigen Prellungen und einer leichten Gehirnerschütterung wieder verlassen, wobei Garrett mich natürlich nach Hause begleitete. Ich hatte mir schon gedacht, dass er mich nicht so einfach davonkommen lassen würde.
»Ist es aufgeflogen? Kann ich was tun?«, fragte er sofort, als wir alleine in meinem Appartement waren.
Ich ließ mich erschöpft auf die Couch fallen und schüttelte den Kopf. »Im Park wurde eine Frau überfallen. Ich schwöre dir, die Arschlöcher hätten sie vergewaltigt, wäre ich nicht gekommen. Zwei gegen einen.«
»Du warst auch schon mal fitter.«
»Sag das mal den Footballjungs, oder was für eine verdammte Sportart sie auch immer betreiben. Es waren Muskelpakete. Dafür habe ich mich noch recht gut geschlagen. Ich werde noch heute veranlassen, dass sie aus der Uni geworfen werden.«
»Wieso mischst du dich da ein?«
»Weil so ein Dreckspack nichts an der TAC zu suchen hat. Wenn ich könnte, würde ich dafür sorgen, dass sie hinter Schloss und Riegel wandern, doch ich kann mich schlecht zu erkennen geben, richtig?«
»Richtig. Was ist mit der Frau?«
»Ich habe sie nach Hause gefahren und sie hat mich erkannt. Natürlich habe ich so getan, als wäre sie komplett auf dem Holzweg, zumal ich ja auch mit der alten Schrottkarre dort war, wie immer.«
»Und, hat sie dir geglaubt?«
»Ich weiß es nicht, Mann. Mein Kopf brachte mich um, ich habe geblutet wie ein Schwein – keine Ahnung also.«
»Du hättest sie mit einem deiner Horrorverträge knebeln und ihr Schweigegeld zahlen sollen.«
»Glaubst du, das weiß ich nicht? Ich werde mich darum kümmern, schließlich habe ich ihren Namen und ihre Adresse.«
»Du solltest dich jetzt erst mal ausruhen.«
»Ich habe keine Zeit für so was. In zwei Stunden muss ich spätestens im Büro sein und …« Ich hielt inne, nachdem ich aufgestanden war und sich die Welt um mich herum zu drehen begann.
»Ab ins Bett«, entschied Garrett und ließ mir keine andere Wahl, als mich zumindest kurz hinzulegen.
Vielleicht würde ich mit etwas Ruhe auch wieder klarer denken können. Ich musste unbedingt verhindern, dass diese Frau irgendetwas erfuhr!
Eine halbe Ewigkeit. So lange dauerte es, bis ich endlich das Schlüsselloch getroffen hatte, um in mein Appartement eintreten zu können. Meine Hände, mein ganzer Körper, alles zitterte vollkommen unkontrolliert und auch die Tränen liefen unkontrolliert über meine Wangen. Zu tief saß der Schock und zu schwer wogen die Gedanken darüber, was gerade alles hätte passieren können.
Die Männer hätten mich mit Sicherheit vergewaltigt oder mir Gott weiß was angetan, wäre dieser Fremde nicht gekommen. Der Mann, der mit Sicherheit eine gebrochene Nase davongetragen hatte – weil er nicht vorbeigegangen war.
Und was tat ich? Ließ mich von ihm nach Hause fahren und das war’s? Was hätte ich auch tun sollen? Meine Gedanken fuhren Achterbahn, während ich es urplötzlich keine weitere Sekunde in meinen Sachen aushielt. Ich musste duschen, oder besser noch baden. Mich einweichen und meine Haut von den Berührungen reinwaschen, an die ich nie wieder zurückdenken wollte. Schon immer hatte meine Mutter mir gepredigt, dass ich vorsichtiger sein musste. Alleine durch einen dunklen Park gehen, alleine nachts von einer Party nach Hause fahren, alleine dies, alleine das … sie konnte mein Verhalten oft nicht verstehen und heute verstand ich sie dafür zum ersten Mal wirklich. Nie hätte ich gedacht, in eine Situation zu kommen, die doch immer nur anderen passierte. Ich war kein Opfer, keine Frau, die blauäugig in Situationen hineinstolperte, und doch wäre ich heute beinahe genau das geworden: ein Opfer. Ich musste diesem Mann danken … und baden.
Zwei Stunden nach meiner Bad-Orgie saß ich regungslos auf meiner Couch im Wohnzimmer, bis das Klingeln meiner Erinnerung mich aus der Lethargie und den dunklen, furchteinflößenden Gedanken riss, in die ich mich einfach nicht verlieren durfte. Hätte, wäre, wenn … nein, das half mir nicht weiter. Es war nichts passiert und es würde auch nichts passieren. Dafür musste ich froh und dankbar sein, statt hier zu sitzen und vor Schockstarre kaum atmen zu können. Im Gegensatz zu so vielen Frauen dort draußen war mir nichts passiert. Dank dieses wildfremden Mannes.
Richard Fuller.
Mir kam die Ähnlichkeit zwischen den beiden Männern wieder in den Sinn. Er hatte sich als Caleb ausgegeben, ohne mir seinen Nachnamen zu nennen. Obwohl ich mich dringend fertig machen musste, um nicht zu spät zur Arbeit zu kommen, öffnete ich meinen Laptop und gab seinen Namen in die Suchmaschine ein. Sofort erschienen unzählige Fotos, die mein Herz einen Schlag aussetzen ließen. Seine schwarzen Haare waren nicht so streng zurückgegelt gewesen und auch einen formellen Anzug hatte er nicht getragen, doch diese Augen – sie gehörten definitiv dem Mann, der mich gerettet hatte.
Richard Fuller.
Der reichste und einflussreichste Mann New Yorks. Über ihn hatte ich selbst bei der Times schon einige Artikel verfasst, weshalb er mir sofort bekannt vorgekommen war. Doch wieso trieb sich ein Richard Fuller mitten in der Nacht auf dem Campus rum und wieso um alles in der Welt fuhr er ein so altes Auto? Er hatte Milliarden auf der Bank. Vielleicht hatte er unter den Studentinnen heimlich eine Freundin, was niemand herausfinden sollte.
Caleb … nein, es war definitiv dieser Mann auf dem Bild und das würde ich auch beweisen. Wenn er wirklich derjenige war, der mich verteidigt hatte, würde man ihm die Spuren des Kampfes ansehen müssen. Ich musste es einfach wissen – und ich musste mich bei ihm bedanken. Das war das Mindeste, was ich tun konnte.
»Gott, wenn dieser Nachtjob nicht bald aufhört, werden sie dich hier schon alleine deshalb entlassen, weil sie dich für einen Zombie halten und du dem Image der Zeitung schadest, weil alles Überarbeitung schreit«, empfing Andrew mich, als ich mit ein paar Minuten Verspätung an meinem Schreibtisch Platz nahm. »Soll ich dir einen schönen Latte holen? Vielleicht wird dich das ein bisschen auf Vordermann bringen.«
»Ich … Mir ist heute nicht nach reden«, sagte ich, was ihn die Augenbrauen heben ließ.
»Ordentlich gesoffen gestern? Also lieber Aspirin statt Latte?«
»Lieber einfach nur schweigend arbeiten.«
»Oh nein, meine Liebe. Das gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Ach Quatsch. Glaub mir, es ist alles in Ordnung, aber heute brauche ich einfach ein bisschen Zeit für mich.«
»Mitten bei der Arbeit?«
»Würdest du dich momentan trauen, freizunehmen oder gar krankzufeiern?«
Andrew schüttelte den Kopf, was ich mit einem kleinen »Siehst du«-Nicken quittierte. Ich war froh, so einen lieben Arbeitskollegen zu haben, der meinen Wunsch respektierte. Und nicht nur das. Er hielt mir heute sogar den Rücken bei einer Abgabe frei und zog für mich den Karren aus dem Dreck, ohne dass es jemandem auffallen konnte.
Es fiel mir unglaublich schwer, mich zu konzentrieren, da meine Gedanken immer und immer wieder zu der Angst abdrifteten, die ich empfunden hatte, und zu dem Hass. Hass auf diese Typen und auf mich selbst. Ob ich je jemandem davon erzählen würde? Wahrscheinlich nicht. Doch gegen die Männer musste ich etwas unternehmen. Das war ich den anderen Frauen schuldig. Ich konnte nicht einmal darüber nachdenken, wie es der nächsten Frau wohl ergehen würde, wenn gerade nicht zufällig ein unbekannter Retter durch den Park eilte.
Direkt nach Dienstschluss nahm ich all meinen Mut zusammen und suchte die nächste Polizeidienststelle auf, um Anklage gegen die beiden Männer zu erheben. Nur den Namen meines Retters, den verschwieg ich. Ich gab ihn als Caleb aus, so wie er sich mir vorgestellt hatte. Wenn es nicht Richard Fuller war und ich ihm die Polizisten auf den Hals hetzte … ich glaube, es war besser, sich nicht mit diesem mächtigen Mogul anzulegen. Dafür hielt er zu viele Fäden in der Hand. Zumindest, wenn man all den Medienberichten über ihn Glauben schenkte.
Für den morgigen Tag nahm ich mir fest vor, in Richard Fullers Firma vorbeizugehen und auf einen Termin bei ihm zu bestehen, was wahrscheinlich nicht ganz einfach werden würde. Ich musste ihn einfach sehen und sicherstellen, dass er es wirklich nicht war und ich mich einfach getäuscht hatte.
Erst in der Nacht, als ich im Bett lag und nicht einschlafen konnte, obwohl mein Körper sich nach Schlaf verzehrte, kam mir eine Idee, die mich dazu bewog, kerzengerade im Bett zu sitzen.
Richard Fuller. Der reichste und mächtigste Mogul New Yorks. Nachts. Inkognito. Auf dem Gelände der TAC.
Oh mein Gott!
Vielleicht waren all die Theorien und Hirngespinste über den Geheimbund der Millionäre doch nicht ganz so weit hergeholt, wie ich es erwartet hatte. Jetzt musste ich erst recht zu ihm ins Büro und irgendwie an ihn herankommen. Vielleicht war er mein Schlüssel zu so vielen ungelösten Fragen und zu meinem großen Durchbruch als Journalistin.
Alleine der Gedanke daran, dass ich eines der größten und bestgehüteten Geheimnisse New Yorks lüftete …
Doch vorher musste ich schlafen. Meine Gedanken ordnen – oder es zumindest versuchen.
»Scheiße«, entfuhr es mir, als ich einen Blick auf meinen Wecker warf und mich ruckartig im Bett aufsetzte. Eine Bewegung, bei der ich am liebsten erneut laut geflucht hätte. Wie weh konnte denn bitte so eine verdammte Nase tun?
Viertel nach drei. Es war Viertel nach drei. Am Nachmittag! Und ich hatte bis gerade geschlafen. Was auch immer das für Schmerzmittel waren, die Wirkung war wirklich in vielerlei Hinsicht betäubend gewesen.
»Wieso hast du mich nicht geweckt, verdammt noch mal?«, fragte ich, als ich Garrett lang ausgestreckt auf meiner Couch vor dem Flatscreen wiederfand.
»Weil du genau das brauchtest, Ruhe und Schlaf. An Arbeiten wäre bei den Schmerzen sowieso nicht zu denken gewesen. Wie fühlst du dich?«, fragte er und kam auf mich zu.
»Als hätte mir jemand ganz ordentlich die Fresse poliert.«
»Ich hab heute Morgen deiner persönlichen Assistentin Bescheid gegeben, dass du einen Unfall hattest und daher nicht zur Arbeit erscheinen wirst. Natürlich wird jeder vermuten, dass du dich ordentlich geprügelt hast, weshalb ich schon einmal die Nachricht in Umlauf gebracht habe, dass ich dir beim Squash versehentlich die Nase gebrochen habe.«
»Gute Idee.«
»Gern geschehen. Hast du dich schon im Spiegel angeguckt? Falls nicht, atme vorher ein paar Mal tief durch. Ladys aufreißen fällt in den nächsten zwei bis drei Wochen definitiv aus.«
»Oder sie finden es gerade cool. Verwegener Bad Boy und so.«
»Ich denke, eher nicht, aber gut … spätestens, wenn sie sehen, dass du Richard Fuller bist, wahrscheinlich schon.«
»Wir sollten was zu essen bestellen. Ich verhungere. Orderst du mir eine große Pizza, während ich unter die Dusche springe, in der Hoffnung, mich danach wieder wie ein Mensch zu fühlen?«
»Geht klar.«
Fünf Minuten später wusste ich, wovon Garrett gesprochen hatte, als ich in den Spiegel blickte. »Verdammte Scheiße«, fluchte ich und betrachtete die schwarzen Verfärbungen unter meinen Augen und die Nase, die mindestens ihre doppelte Größe erreicht hatte. Verwegener Look hin oder her, so würde es garantiert nur an meinem Namen liegen, wenn sich eine Frau an meinen Hals warf. Auch wenn es vielleicht eitel wirkte, würde ich so definitiv nicht ausgehen. Die Eröffnung eines neuen Nobelclubs in der Stadt würde ohne mich stattfinden müssen.
Erst unter der Dusche wurde mir wieder bewusst, dass mein Aussehen und die Schmerzen in meinem Gesicht definitiv mein kleinstes Problem waren. Gleich morgen würde ich mit einem entsprechenden Vertrag und einer horrenden Summe bei dieser Kate Dawson auftauchen und sie ruhigstellen. Etwas, das ich persönlich tun wollte, statt einen meiner Handlanger vorzuschicken. So konnte ich auf jeden Fall besser an ihr Gewissen appellieren und daran, dass sie mir noch etwas schuldete. Obwohl das natürlich vollkommener Blödsinn war, doch zur Not würde ich auch diese Karte ausspielen. Hauptsache, sie war ruhiggestellt.
Am nächsten Morgen waren mir die Blicke aller Anwesenden sicher, als ich die Chefetage meines Bürokomplexes betrat.
»Geht es Ihnen gut, Mister Fuller?«, fragte Gina mit hochgezogenen Augenbrauen, während sie mich mitfühlend betrachtete.
»Danke, ja. Alle Termine können wie gewohnt stattfinden. Gab es Komplikationen mit den Absagen von gestern?«
»Nein. Ich habe alle Termine bereits nach Wichtigkeit sortiert und sie entsprechend neu in den nächsten Tagen in Ihren Terminplan einfließen lassen. Falls Sie Änderungen wünschen, teilen Sie es mir doch bitte kurz mit.«
Ich nickte zufrieden und setzte meinen Weg ins Büro fort. Gina war wirklich zu gebrauchen. Genau das meinte ich.
Mein erster Anruf galt meinem Team aus Anwälten, um ihnen den Auftrag durchzugeben, einen entsprechenden Verschwiegenheitsvertrag aufzusetzen und alles über eine gewisse Kate Dawson herauszufinden. Ich durfte in diesem Fall nichts dem Zufall überlassen. Gleichzeitig gab es natürlich immer noch die Chance, dass sie mir die Sache abgekauft hatte und mich für einen gewissen Caleb hielt. Ihr skeptischer Blick war mir dafür allerdings noch viel zu gut in Erinnerung. Wieso hatte sie mich eigentlich so schnell erkannt? Ich war nicht der Typ, der wahllos mit Frauen schlief, weshalb es definitiv nicht sein konnte, dass ich sie schon mal in meinem Bett hatte. Vielleicht stand sie auf reiche Typen und träumte heimlich davon, in die Kreise der Oberen einzuheiraten. Davon gab es leider genug Frauen, von denen ich mit einigen auch schon meine Bekanntschaft hatte machen dürfen. Wahrscheinlich würde ich es nie herausfinden, sie war schließlich nicht verpflichtet, mit mir zu reden – und der Knebelvertrag, für den ich berühmt-berüchtigt war, kam definitiv nicht bei allen Menschen gut an.
»Sie können nicht dort rein! Ma’am. Sicherheitsdienst!«, hörte ich die aufgeregte Stimme meiner Assistentin, was mich dazu bewog, von meinem Stuhl aufzustehen. Ich war gerade im Begriff, die Tür zu öffnen, als ich Tonys harte Stimme hörte. Er war immer in der Nähe meines Büros und würde definitiv keine ungebetenen Gäste zulassen. Schon gar nicht, wenn es eine Gefahr für mich bedeuten könnte.
Mit einem Ruck riss ich die Tür auf, um mir einen Überblick über die Lage zu verschaffen, wobei augenblicklich das Blut in meinen Adern gefror. Zwar hatte diese wunderschöne Frau kaum etwas mit der Frau gemeinsam, die zitternd und weinend in meinen Armen gelegen hatte, doch ich erkannte sie sofort wieder.
Ihre Augen …
»Oh Gott, Sie sind es wirklich!«, sagte sie sofort, während ich versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Verdammt, so viel dann zu dem Versuch, mich als Caleb auszugeben – und der Hoffnung, dass es geklappt haben könnte.
»Lassen Sie sie rein, Tony«, sagte ich und deutete auf mein Büro, während mich viele verschiedene Augenpaare fragend anstarrten. Das war wieder einmal ein gefundenes Fressen für das Bürogeplapper. Der Mann, der sonst nie Termine ohne Voranmeldung abhielt, selbst dann nicht, wenn es Gott persönlich war, ließ urplötzlich eine junge Frau zu sich, und das, nachdem er mit einer gebrochenen Nase und nach einem Krankheitstag hier erschienen war. Herzlichen Glückwunsch, die Lästereien waren auf meiner Seite – obwohl, das waren sie eigentlich immer. Dank meines Rufs, meiner Ausstrahlung und den Millionen auf meinem Konto.
»Gina, keine Anrufe, keine Störungen. Verschieben Sie das nächste Meeting.«
»Aber die Herrschaften haben sich bereits im Konferenzraum drei eingefunden und …«
»Dann schicken Sie sie nach Hause.« Was gab es daran nicht zu verstehen?
Ich schloss die Tür hinter mir und atmete tief durch, bevor ich mich zu der Frau umdrehte, mit der es nun einiges zu besprechen gab. Eine wildfremde, stinknormale Person, die mich in der Hand hielt, wahrscheinlich ohne es zu wissen.