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Er ist der einzige lebende Erstbesteiger von zwei Achttausendern, der letzte Berggefährte von Hermann Buhl, der »Kameramann der Achttausender« und bildete mit Julie Tullis das »höchste Filmteam der Welt«. Wer die spannenden, vergnügten und dramatischen Geschichten seines Lebens liest, versteht, warum Kurt Diemberger noch immer für das Abenteuer lebt.
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Für Hildegard und Karen,Igor und Georg,und für Jana, Yantsen und Ruby
ISBN 978-3-492-97246-8 Dezember 2016 © Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2007 Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de Covermotiv: Archiv Kurt Diemberger Die Dokumente und Briefe sowie die Fotos dieses Buches stammen, wenn nicht anders angegeben, vom Autor bzw. aus seinem Archiv (© Kurt Diemberger) oder dem »Highest Filmteam-Archiv« (© Kurt Diemberger und © Terry Tullis). Karten und Skizzen: Karen Diemberger Litho: Lorenz & Zeller, Inning a. A. Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck
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Einleitung: Der Seiltanz
Im Auf und Ab des Lebens … zwischen Zirmsee und Everest
In diesem Buch geht es um Rätsel, Glück und Fluch der Berge – aber nicht nur darum, es ist auch der Seiltanz meines Lebens, den ich skizziere. Ich sage: skizziere – mehr erlaubt der knappe Raum nicht. Da sind Streiflichter aus den Anfängen in den Alpen, auch entscheidende Erlebnisse, die mich verstehen ließen, wohin der oft gefährliche Weg führt, Höhepunkte und Krisen an den Gipfeln des Himalaya, lockende Rätsel in der Ferne, im Urwald bei den Indios, in Tibet im Winter – und das Daheim, das Leben mit den Deinen, mit Freunden und dem Seiltanz des Alltags.
Als Seiltänzer gehst du zwischen den Spitzen der Berge einen luftigen Weg, vielleicht um das manchem schwer verständliche Hochgefühl zu empfinden, nicht abzustürzen! Das gilt auch fürs Leben selbst, und da wissen wir es doch alle: Schaffst du es, oder schaffst du es nicht? Du schaffst es – und das ist das Ziel, die Freude, die Genugtuung! Doch das ist nur die eine Seite.
Immer wieder zieht es mich hinauf, dieses Dasein dort oben ist so voll wunderbarer Erkenntnisse; inmitten der Kräfte, die empordrängen, und denen, die nach unten ziehen, ist alles stärker … die Freude, die Liebe, die Angst – die Berge sind wie große Freunde, Beschützer. Sie geben dir Gleichgewicht und erheben dich über so manches kleinliche Geschwätz und Feilschen in den Tälern.
Allerdings nicht immer: Der Alpinismus bringt heute leider auch das hinauf. Oder es sind Außenseiter, die schlicht und einfach ein Geschäft wittern – oder Taktiker, für die der Alpinismus nur ein Hilfsmittel ist, um aufs Podium zu gelangen. Ruhm, Ehre, Anerkennung – die bislang versagt blieb –, auch sie treiben empor und manchmal in schreckliche Tragödien hinein. Aber der Berg entblößt. Berge sind große Prüfsteine – und was man als den Fluch der Berge bezeichnet, ist oft nichts als die Konsequenz der Natur. Die Berge selbst wollen uns kein Übel!
Glück spielt bei alledem eine Rolle: Meist wissen wir es garnicht, was geschehen wäre, wenn wir nur eine Stunde später oder fünf Minuten früher losgegangen wären – du wärst vielleicht schon nicht mehr da. Dasselbe gilt für die Wahl des »richtigen« Tages bei einem Aufstieg im Himalaya – oder bei einer Wanddurchsteigung in den Alpen; es braucht Gespür, so wie einst mein Freund Wolfi es bewiesen hat, als er sich in der Eigerwand zur Umkehr entschloß, weil plötzlich noch andere Seilschaften auf der Route waren – sie überlebten nicht. Er hatte im letzten Augenblick das Vorhandensein einer Gruppe in der Riesenwand als böses Omen erkannt.
Seiltanz? Es wäre falsch zu meinen, hier nur Geschichten über Situationen zu finden, in denen es »knapp vorbei« ging – wo man also noch einmal davongekommen ist. Es sind vielmehr die großen und kleinen Geschichten des Lebens, dieses bunte Auf und Ab, das einem begegnet; sie erstehen wieder, wenn ich so vor mich hindenke … In diesem Buch bin ich der Schmetterling, der von Blüte zu Blüte streift, so wie sie ihm begegnen – aber der da und dort, wo es von großer Bedeutung ist, auch verharrt und »der Sache« auf den Grund geht – dort, wo es wichtig ist. So und nicht anders soll dieses Buch verstanden sein.
Bologna
Kurt Diemberger
IN DEN ALPEN
Der Glockner, Gold, Kristalle … und eine Handvoll Glühwürmchen
Es ist niemals ausgeschlossen, daß es noch weitergeht.Das beste Zeichen vor einem großen Fund ist völlig taubes Gestein.Ich muß doch noch einmal in die ganz hinterste Ecke schauen!Fündig zu werden – ist wie ein Kuß der Unendlichkeit.
Sucher-Weisheiten
»Da taucht weit hinten oben ein weißer Spitz auf. Das muß der Glockner sein! Aber es dauert nicht lange, dann erhebt sich ein höherer Gipfel, höher in dem Maße, als wir aufwärtskommen. Wir schwören, daß das jetzt der Glockner ist. Nochmals geht’s uns so, aber dann sehen wir ihn wirklich, schlank und spitz, hoch emporragend über alles, ins blendende Weiß des Neuschnees gehüllt. Und ich juble bei seinem Anblick. Wenn ich doch nur raufkönnte. Ganz leise, fast noch unbewußt regt sich der Wunsch in mir, um gleich wieder zu verschwinden gegenüber dem Verstand, der sagt: Laß doch das, so was kommt ja für dich garnicht in Frage, wie du nur überhaupt auf die lächerliche Idee kommen kannst.«
Tagebuchnotizen auf dem Weg nach Heiligenblut; die Straße ist meist so steil, daß wir unsere mit Dreigang ausgerüsteten Räder schieben müssen.
Drei Tage später: Ich habe mir Steigeisen ausgeborgt, trainiere mit Walter, einem Wiener Studenten, der auch den Glockner vorhat, an einem grasigen Steilhang. »Breitbeinig gehen! Der schlimmste Fehler ist, mit den Zacken des rechten Eisens im linken Wadelstutzen oder Hosenbein hängenzubleiben – und umgekehrt!« belehrt mich der Wiener – verglichen mit mir 17jährigem Anfänger ist er, alpinistisch gesehen, ein Experte. Prompt aber verhakle ich mich und falle zwei Meter – verdammt, geht das schnell! schießt es mir durch den Kopf, während ich mich zwischen blühenden Alpenrosen am Rande des Absatzes festkralle. Ich schwöre mir, dort droben besser aufzupassen! Ob wir überhaupt hinaufkommen? »Wunderbar schimmert der Johannisberg herüber. Hoch droben am Glockner sieht man die Adlersruh, und ihn selber stolz und gerade aufragen.« Keine Frage: Wir versuchen es! Auch wenn ich nur die kurze Lederhose und Kniestrümpfe dabei habe! Bin doch vom Kristallsuchen in den Hohen Tauern gegen die Kälte abgehärtet.
Zwei Tage später, im Aufstieg mit Walter – ohne Seil – am luftigen, dem Hauptgipfel vorgelagerten Kleinglockner. »Vor uns sind mehrere Partien, alle schwer angeseilt. Wir überholen sie leicht, aber es geht schon verflucht steil rauf … angesichts der abschüssigen Tiefe paßt man eben doch gut auf. Die Eisen halten schlecht, der Schnee ist zu tief. Schließlich sind wir aber doch oben am Kleinglockner. Längst sind wir im Nebel, und so sehen wir auch nicht, wie grausig tief es nach Norden runtergeht. Ein kurzes Gratstück, dann folgt die Glocknerscharte über der Pallavicinirinne (gar nicht so arg, schwindlig darf man halt nicht sein). Da ist über uns schon das Kreuz … ist schon toll, hätt ich mir auch nicht gedacht, daß man so einfach hier raufkann. Sehen tun wir freilich nichts«, erzählt mein Tagebuch. Wir warten eine halbe Stunde, aber der eisige, wallende Nebel hört nicht auf – er umwallt auch meine bloßen Knie, und je mehr Zeit vergeht, desto einleuchtender wird mir, warum alle, die hier heraufkommen, Bundhosen haben.
»Gerade geht einer mit weichen Knien über den kurzen Schneegrat zwischen Klein- und Großglockner.« Doch Spaß beiseite: Beim Abstieg in der steilen Schneeflanke verhakle ich mich einmal trotz aller Aufmerksamkeit mit einem Steigeisen an den Stutzen, kann aber eingedenk Walters Warnung das Gleichgewicht halten. Mit Hallo geht’s bald darauf zu Tal. Der Glockner gehört uns!
Wohin jetzt? Irgendwie reizt mich ein See – hoch oben, nahe dem über dreitausend Meter hohen Sonnblick und dem fast gleich hohen Hocharn, lauter Berge, die für ihre Kristallfunde berühmt sind – ja und Gold hat man auch dort gefunden. »Schon die alten Römer …«, heißt es immer wieder, nicht anders als drüben im Habachtal, wo man die tiefgrünen, feurigen Smaragde finden kann – wenn man großes Glück hat. Ich scheine es zu haben, manchmal glaube ich, die Berge wollen mir ihre Schätze geben, und fündig zu werden ist wie ein Kuß der Unendlichkeit … ein Geschenk der Gipfel, mit denen ich irgendwie auf du und du lebe wie mit den Kristallen. Vielleicht braucht es da einen bestimmten Sinn dafür, ein Hineinlauschen in die Natur, ich habe sonst keine Erklärung, wieso ich einfach dorthin gehe, wohin mir irgend etwas rät zu gehen … und es erweist sich als der richtige Weg. Auch wenn es ein Seiltanz wird. Mein Glück im Habachtal kann ich nicht anders erklären, obwohl es nur von kurzer Dauer war: Die zweiköpfige Belegschaft des alten Smaragdstollens hatte vor diesem halbverfallenen Loch in einer Wand weit oben in 2400Meter Höhe schon tagelang nach Smaragden gewaschen. Sie hatten eine Reihe schöner »Sammlersteine« beisammen – weiße oder hellgrüne Kristalle, auch dunklere, aber voll von Sprüngen und Unreinheiten, und sie waren eigentlich recht zufrieden. Reine, wertvolle Smaragde sind ja eine große Seltenheit und werden fast nie gefunden.
Die beiden waren freundlich zu mir: Mit einer winzigen Chance und einem großen Eimer entschwand ich in die Dunkelheit des Stollens. Einmal durfte ich ihn füllen. Vielleicht war in dem Glimmerschlamm ein Sammlerstein. Der sollte dann mir gehören.
Wasser tropfte im Halbdunkel, ich tastete mich vorwärts … dann sagte mir ein Gefühl: Hier! Es ist genug – nimm den Schlamm vom Grund auf, wo alle immer drübergingen, wo das Wasser tropft und wäscht, seit langer, langer Zeit. Ich füllte den Eimer mit dem nassen Schlamm des Bodens und ging zurück. Als wir den silbrigen Glimmerbrei im Licht der Sonne unterm Wasserstrahl zerrührten, traute ich meinen Augen nicht: Ein hübscher Sammlerstein kam zum Vorschein, und siehe da, sogar noch einer, ich habe doch einen Glücksstern! – Plötzlich starrten wir alle drei wie gebannt auf das Gitter: Da lag ein herrlicher Smaragd, dunkelgrün, voll Feuer und vollkommen fehlerlos. Keiner sprach ein Wort.
»Dann wußte ich, was jetzt kam: Ich mußte den Stein abliefern. Ich sah ihn noch lange an, sein herrliches grünes Feuer im Licht der Sonne, ehe ich mich von ihm trennte. Mein Glück hatte nur einen Augenblick gedauert.«
So hatte mir diesmal irgendeine Idee im Kopf geraten, ehe ich zum See hinaufstieg, auf einen braunen runden Berg zu gehen, der den treffenden Namen Sandkopf trug – er war zwar ein Dreitausender, doch als Gipfel völlig uninteressant. Trotzdem, wenn ich bloß nach dem Anschein geurteilt hätte, wäre ich niemals fündig geworden oder der Wahrheit nähergekommen. Dieser unscheinbare Berg erwies sich als eine Schatzkammer – und ich kam mir vor wie im Märchen von den Sterntalern, die vom Himmel fielen und die ein kleines Mädchen bloß aufzulesen brauchte. »Mit der Nase am Boden geh ich dahin. Alle Augenblicke finde ich einen Bergkristall. Klein zwar, aber klar und rein wie ein Tautropfen leuchten sie zwischen dem rostfarbenen Grus heraus. Immer wieder.« Warum ist das Licht, das aus den Kristallen hervordringt, so anders, so verzaubernd? Ich weiß es nicht, aber es ist so.
Später einmal wird der größte Kristall der Erde mich faszinieren, der K2, der sich weißleuchtend über die Bergwüste von Sinkiang erhebt.
»Unheimlich öd sieht die Landschaft aus. Alles braun. Aber gerade das ist der Reiz dieser Trümmerregionen, eigentümlich und doch so bindend; mich zumindest … Über feinen Sandboden, in dem wir leicht einsinken, geht’s zu den kompakten Gipfelfelsen der Berges … Tief unten in seiner ganzen Länge das Fleißtal mit dem schönen blauen Zirmsee. Vis-a-vis der Hocharn … und drüben über einer weiten weißen Firnmulde der Sonnblickgipfel. Weit dahinter türmt es sich schwarz von Wolken von Salzburg her, dunkel und drohend. Es sieht immer mehr nach Unwetter aus. Wir müssen aufbrechen. Ich für meinen Teil wäre ja noch geblieben, aber Erwin hat nichts dafür über.« Auch er, mein Radfahrkumpel aus Norddeutschland, der nicht auf den Glockner wollte, ist an diesem Tag zufrieden: Er hat am Sandkopf ein Hufeisen gefunden – und einen Kristall, der einer Miniaturfestung gleicht.
Zum Zirmsee steige ich alleine auf. Ein weiter Weg. Meine beiden Gefährten bleiben beim »Alten Pocher« zurück … einst der Platz, wo das Golderz zerklopft und gewaschen wurde, heutzutage ein Wirtshaus.
Von oben stürzen kleine Wasserfälle über die Steilstufe vom Zirmsee herab. Rechts liegen die Abbrüche des Sandkopfs.
Nach etwa eineinhalb Stunden habe ich die Steilstufe, die zum See hinaufführt, überwunden und stehe jetzt auf einem vom Gletscher flachgehobelten, breiten, plateauähnlichen Talboden. Vor mir, hinter den Resten einer Hütte, kräuseln sich die kleinen Wellen des Zirmsees, dahinter führt ein weißes Tal, breit und flach zum Hocharn. Nach rechts geht es über Gletscher in rund zwei Stunden zum Zittelhaus auf dem Gipfel des Sonnblicks. Der Höhenunterschied beträgt nur mehr 600Meter, denn der Zirmsee selbst liegt schon 2500Meter hoch. »Ich suche erst in den Schuttfeldern am linken Seeufer, finde aber nichts von Bedeutung. Wo bloß die alten Goldbergwerksstollen sind, die es hier geben soll? Ich gehe weiter und weiter. Schließlich habe ich den ganzen See umwandert. Erst dadurch ist mir klar geworden, wie groß er eigentlich ist. Rundherum liegen auf abgehobelten Sockeln riesige Blöcke. Der See selbst ist ganz ruhig und dunkel. Eine geheimnisvolle Gegend.«
Kurt am Zirmsee in den Hohen Tauern (Juli 1949, Tagebuch)
Die Stimmung ist so eigenartig, daß ich mich hinsetze und den See für mein Tagebuch skizziere. Weit und breit kein Mensch, und ich merke gar nicht, wie die Zeit vergeht.
Aber das war nicht das Letzte, was ich an diesem Tag noch erleben sollte. Plötzlich gewahre ich die herannahende Dunkelheit. Im Laufschritt erreiche ich den Seeausfluß, eile im Schnellschritt hinab zum »Alten Pocher«, mache mich auf den Weg nach Heiligenblut. Inzwischen ist es pechfinster – Kurt, sage ich zu mir, du hast zu lange gezeichnet, zu lange für die Seeumrundung gebraucht! Die Taschenlampe? Nur noch ein schwacher Schein, die Batterie ist am Ende. Im Sternenlicht geht es weiter, immer wieder stolpernd, dem verschwommenen Streifen des Weges folgend. Stimmt der noch? Verkrüppelte Bäume ragen mir aus der Finsternis entgegen, Nadelzweige peitschen mir ins Gesicht – mit weichen Knien folge ich ungefähr der Richtung den Hang hinab, verliere den Weg, lande im Heidekraut, finde ihn wieder … schwer atmend, unruhig taste ich mich weiter, es ist mir, als wäre ich von lauter dunklen Schattenwesen umgeben, die ihre Arme nach mir ausstrecken – und mir ist plötzlich unheimlich.
Unsinn! sage ich mir, die Trolle gibt’s nicht mehr! Andere vom Menschen vertriebene Waldgeister? Wieder stolpere ich, weil ich in einer kaum zu ahnenden Kehre den Weg abschneiden will. Wasser rauscht irgendwo. Finsternis. Kein Mensch ist hier – nur diese Schattenwesen mit ihren stachligen Armen … es ist wie eine Flucht vor ihnen. Auf einmal, was ist das? Ein winziges grünes Licht vor mir auf dem Grund – es ist so vertraulich, so freundlich. Ich hebe das Glühwürmchen auf, halte es in der hohlen Hand und sehe sein Leuchten – so stark, daß sogar meine Finger sich noch in der Dunkelheit abheben. Über mir der schemenhafte Umriß eines Baumes. Ich setze mich nieder, lehne mich an seinen Stamm, und während ich in das lebendige Leuchten in meiner Hand blicke, verfliegt die Furcht vor den unbekannten Wesen der Nacht rund um mich. Es sind Bäume, Kurt! Lebendige Bäume … so lebendig wie das Licht in deiner Hand. Im Weitergehen finde ich noch mehr Glühwürmchen, schließlich habe ich sechs oder sieben in meiner hohlen Hand, die leuchtet jetzt wie ein zauberhafter Scheinwerfer. Und ich gehe ganz sachte dahin – es ist ja keine Eile nötig! Die Bäume rundum unter dem Sternenhimmel umschließen uns wie ein dunkler, sich ändernder Kreis, in dessen Zentrum dieses wunderbare Licht ist … und es wandert mit mir zu Tal. Natürlich reicht dabei der Schein nicht bis auf den Weg, aber ich stolpere kaum noch – muß doch auf meine Glühwürmchen achten! Ehe der Wald zu Ende ist, bekommt jedes seinen Platz unter einem Baum … und ich gehe in der Finsternis weiter.
»Mitten in der Nacht komme ich in Heiligenblut an. Im Einschlafen denke ich nochmals an den seltsamen See. Man muß wohl etwas ganz umfassen, um es richtig zu verstehen. Ob ich wohl je einmal das Goldbergwerk finden werde?«
In Salzburg krabbelt Anfang der siebziger Jahre ein kleiner Bub ums Haus in der Nähe des Leopoldskroner Weihers; plötzlich findet er etwas am Boden, hebt es auf, reicht es begeistert der Oma. Es ist ein dreieckiger Stein, ein gleichseitiges Dreieck mit etwa zwei Zentimeter Kantenlänge … ein Steinchen! Es hat die Symmetrie einer Kristallfläche.
Das Steinchen wird zum Anfang seiner geologischen Laufbahn, seiner ihm wohl von der Natur mitgegebenen Leidenschaft, die ihn zu den Kristallen treibt, in alte aufgelassene Goldstollen hinein – in die Höhlen des Untersbergs, wo er sich zu Hause fühlt wie ein Murmeltier im Bau. Wo Georg das wohl herhat? … Keine Frage – er ist mein Sohn, und die Leidenschaft für Kristalle und überhaupt das Suchen muß ihm wohl von Geburt an im Blut gelegen haben. Was seltsam und unerklärlich bleibt, ist aber die Tatsache, daß es ihn, obwohl ich ihm nie von meinem Weg um den Zirmsee erzählt habe, nicht nur hinauf zum Hocharn und Sonnblick mit ihren Kristallklüften trieb, nein, es hat ihn derart in diesen Winkel über dem dunklen See gezogen, daß er beschloß, diesem geheimnisvollen Platz seine Forschertätigkeit zu widmen!
Das Thema seiner Diplomarbeit? Das Goldbergwerk überm Zirmsee. Was ich nicht fand – er hat’s gefunden.
Und Gold? Ja, auch – sagt er beiläufig –, aber nur mikroskopisch. Na ja, denk ich mir im stillen, die Schwammerlsucherregeln gelten wohl auch im Schoß der Erde. Tatsache ist, daß Georg ein Wissenschaftler und Praktiker ist, der jetzt schon das ganze Bergwerk kartiert hat, es in- und auswendig kennt, von phantastischen, jahrhundertealten Pumpwerken erzählt, die das eingedrungene Wasser aus der Tiefe der Stollen durch bis zu zwölf Meter hohe, ineinandergesteckte Holzrohre an die Oberfläche beförderten – ein verborgenes Meisterwerk der alten Bergleute. Er erzählt von Werkzeugen, Holzschüsseln, Ledersäcken, die unter dem schützenden Panzer der sogenannten Kleinen Eiszeit dort oben in über 2500Meter Höhe wie in einer Kühltruhe den zerstörenden Einwirkungen der Witterung widerstehen konnten. Ja, da ist sogar noch ein 300Jahre alter Besen aus Birkenreisern erhalten: Das Erz war so kostbar, daß auch die kleinsten Stäubchen mit solchen Besen zusammengekehrt wurden! Wieso »Kühltruhe«? Ab 1650 wurde es allgemein kälter, 1850 erreichte diese kurze Eiszeit ihr Maximum, dann wurde es wieder wärmer bis 1910 – für rund zweihundert Jahre war der Bergbau dort oben unmöglich.
Wenn Georg erzählt, vergeht die Zeit wie im Flug, in seinen blauen Augen im scharfgeschnittenen Gesicht unter den blonden, etwas wirren Haarsträhnen steht die Begeisterung über das Leben im Inneren des Berges, und man merkt ihm den Hang zur Präzision an: Die Bretter da drinnen seien den Gängen durch das Muttergestein genau angepaßt worden, es habe eigene Zimmerleute gegeben, die sie genau nach Maß anfertigten. Alles Lärchenholz!
»Wir haben das Alter bestimmt – der Baum wurde etwa um 1550 oder 1650 gefällt. Man hat daraus Haspeln und die Kolbenpumpen des Pumpwerks hergestellt, hat die Holzrohre mit Ringen zusammengefügt, so daß sie die notwendige Höhe von zwölf Metern erreicht haben; auf jedem Meter Rohr lastet der Druck von einer Tonne!« Funktioniert habe das so ähnlich wie eine Fahrradpumpe, im Prinzip ja ganz einfach – meint er mit einem Lächeln. Ich kann bloß den Kopf schütteln: Das müssen tüchtige Kerle gewesen sein, vor 400Jahren solch eine technische Anlage im Inneren des Berges zu installieren – noch dazu in 2500Meter Höhe!
Daß der Zugang ins alte Bergwerk auch heute manchmal recht schwierig ist, glaubt man ihm gern – »letztes Mal haben wir zwölf Stunden gebraucht, bis wir uns durch den Schnee zum Eingang durchgebuddelt hatten«. Hin und wieder lädt Georg einen Bergfreund ein, ihm bei den Messungen im Berg zu helfen – aber das ist nicht jedermanns Sache. Selbst Rollo Steffens, der sich vor den Nordwänden des Eiger, der Grandes Jorasses, des Matterhorns nicht gefürchtet hat, empfand – wie er mir erzählte – »die Enge der oft weniger als schulterbreiten Stollen und Tunnels als unendlich erdrückend, ich nahm zum Ende einen großen Schluck aus Georgs deponierter Rumflasche und war froh, als ich das Tageslicht wiedersah«. Was Rollos »Treibstoff« in der Finsternis angeht, gab mir mein Sohn schmunzelnd eine etwas genauere Beschreibung: »Der Kameramann hatte Höhlenangst, je weiter er in den Berg eindrang, desto intensiver. Rollo war aber ein guter Helfer, willig war er auch, mit einem Trick: Eine Flasche Rum machte ihm Mut, je tiefer im Berg, desto mehr brauchte er, ob seine Ablesungen immer richtig waren, weiß ich nicht.«
Vom alten Biwakplatz der Bergleute hat Rollo, mein späterer Seilgefährte auf der Chinaseite des Karakorum, nichts erzählt. Georg schwärmt davon: »Es ist richtig gemütlich. Der Platz hat wegen des Gebirgsdrucks ein tonnenförmiges Profil, die uralten Wände sind alle handgeschremmt – einfach nur mit Schlägel und Eisen … man kann bequem liegen und sitzen. Temperatur um die null Grad.«
Dann erzählt er von einem Begleitumstand, der wohl so manchen Besucher abschrecken wird – es sind die Mäuse. »Sie kommen im Frühjahr in Scharen aus dem Tal bis zum Zittelhaus, nagen alles an: Gummihandschuhe, Isolierband, Kerzen, Seife, Plastik, Kabel.« Georgs Schlafsack hat 15Löcher! Allerdings können diese Tierchen auch ganz possierlich sein: Am K2-Gletscher beobachteten Julie Tullis und ich Bergmäuse, die das Küchenzelt der Italiener auf 4500Meter »entdeckt« hatten. Sie saßen auf den Hinterbeinen und knabberten harte, ungekochte Spaghetti, die sie mit den Vorderpfoten festhielten und mit den kleinen Zähnchen in unglaublicher Geschwindigkeit genüßlich zerfrästen! Wir gaben uns Mühe, sie bei ihrem Festmahl in der Bergwüste nicht zu stören.
Georg hat eine herrliche Sammlung: da sind Amethyste, grüne und rosa Fluorite, tiefschwarze und strahlendweiße Bergkristalle, da sitzen blinkende Pyritwürfelchen auf einem Gespinst von Calzitkristallen, fächerförmig gebündelte Epidote … und zu den meisten weiß er eine Geschichte zu erzählen. Natürlich blickt zwischen den Kristallen still und heimlich auch einmal ein Golddraht hervor, glänzt reines Silbererz, und all das erinnert mich an so manchen Tag mit Hammer und Meißel in den Hohen Tauern. Vor vielen Jahren wollte ich Geologe werden – das war mein Traumberuf. Doch dann begann der Seiltanz meines Lebens – und ich bedaure es nicht.
Jetzt macht Georg das, wovon ich träumte.
Allein durch die Zebruwände
Der Zebru sieht aus wie die aufgestellte Flosse eines Riesenfischs. Wenn die Sonne schräg in die Nordostwand fällt, wird eine feine Zeichnung sichtbar– wie die Strahlen einer Flosse. Das sind Schnee- und Eisrippen. Man findet sie freilich nicht überall und immer, es hängt von den Verhältnissen ab, die in der Wand herrschen. Vor allem im rechten oberen Wandteil ist ein ganzes Muster dunkler Tupfen zu sehen: das sind Felsinseln, die durch die dünne Haut aus Schnee und Eis gedrungen sind. Der obere Rand der Flosse verläuft ziemlich waagerecht, trägt aber doch am linken wie am rechten Ende je einen Gipfelpunkt. Die Wand unterhalb des rechten, nördlichen Gipfels war noch undurchstiegen– zum Südgipfel führte bereits eine Route durch die dort völlig weiße Wand empor, die– mehr nach Norden geneigt– fast immer im Schatten liegt. An der Wurzel der Flosse bilden Felsbänke und die Wölbung eines kleinen Hängegletschers eine Art Sockel. »Klein« kann man das freilich alles nicht unbedingt nennen– die Wandhöhe beträgt immerhin rund siebenhundert Meter! Mein zweifacher Weg durch die Riesenflosse dauerte einen ganzen Tag und brachte mir in vielen abenteuerlichen Stunden rechts eine Erstbegehung im Aufstieg und links den ersten Abstieg durch die Nordwand hinab. Beides im Alleingang.
Ich hatte keinen Gefährten, als ich mich auf den Weg in diese Wand begab, weil der Urlaub meines Seilpartners nach der Durchsteigung der nahen Königswand viel zu früh zu Ende war. Wir waren in ihr höher gekommen, als je jemand vor uns, und hatten sogar das Geheimnis des höchsten Eisbollwerks gelüftet, nun wollte ich wegen der noch unbezwungenen Schlüsselstelle nicht heim. Eigentlich bin ich kein Alleingänger, mir ist es lieber, das Abenteuer mit einem anderen Menschen zu teilen. Womit ich nichts grundsätzlich gegen das Alleingehen sagen will: es ist einfach eine andere Art des Erlebens, meist gefährlicher, manchmal intensiver, an die Grenze des Seins heranführend– kein Mensch antwortet dir, nur du selbst und der Berg.
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