Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Mit dem Bergpfarrer Sebastian Trenker hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Sein größtes Lebenswerk ist die Romanserie, die er geschaffen hat. Seit Jahrzehnten entwickelt er die Romanfigur, die ihm ans Herz gewachsen ist, kontinuierlich weiter. "Der Bergpfarrer" wurde nicht von ungefähr in zwei erfolgreichen TV-Spielfilmen im ZDF zur Hauptsendezeit ausgestrahlt mit jeweils 6 Millionen erreichten Zuschauern. Wundervolle, Familienromane die die Herzen aller höherschlagen lassen. Der sechsundvierzigjährige Tobias Hellmann erinnerte sich noch haargenau an die Worte, die Pfarrer Trenker in der kleinen Pfarrkirche von St. Johann gesprochen hatte: »Tobias, nehmen Sie Ihre Braut Caroline als Ihre Frau an und versprechen Sie, ihr die Treue zu halten in guten und in bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit, und sie zu lieben, zu achten und zu ehren, bis der Tod Sie scheidet?« Er hatte laut und deutlich mit Ja geantwortet. Die gleiche Frage hatte der Pfarrer Caroline gestellt, und auch ihre Antwort hatte Ja gelautet. Das war ein halbes Jahr her. Und nun hatte Tobias das Gefühl, vor den Trümmern seiner Illusion von Liebe und Glück zu stehen. Er betrieb in Garmisch ein IT-Unternehmen und hatte geschäftlich viel um die Ohren. Darüber hinaus saß er im Gemeinderat, und dieser Job war manches Mal auch ziemlich zeitraubend. Heute, es war ein Freitag, hatte er etwas früher Schluss gemacht. Er war kurz nach Mittag nach Hause gekommen und hatte nur seine zwölfjährige Tochter Janina sowie den vierzehnjährigen Patrick angetroffen. Sie hatten ihm erklärt, dass Caroline nicht anwesend war, als sie vor etwa einer halben Stunde von der Schule heimgekommen waren. Wo verbrachte sie ihre Tage? Denn die Zeiten, in denen sie nicht zu Hause war, häuften sich, und die Erklärungen, die Caroline lieferte, waren mehr als dürftig. Tobias glaubte ihr nicht – nicht mehr. Er stand am Fenster im Wohnzimmer seines Hauses am Ortsrand von St. Johann und starrte blicklos durch die Scheibe auf einen unbestimmten Punkt im Garten. Es war Anfang Juni, der Kirschbaum trug eine Unmenge von Früchten, die allerdings noch grün und ungenießbar waren, die Rosen und eine Reihe weiterer Blumen blühten im Garten um die Wette. Überhaupt war alles grün und bunt und sein Auge hätte sich erfreuen können, wäre es nicht von Kummer und Leid getrübt gewesen. Dreimal hatte Tobias versucht, seine Frau telefonisch zu erreichen. Sie hatte ihr Mobiltelefon ausgeschaltet.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 132
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Der sechsundvierzigjährige Tobias Hellmann erinnerte sich noch haargenau an die Worte, die Pfarrer Trenker in der kleinen Pfarrkirche von St. Johann gesprochen hatte: »Tobias, nehmen Sie Ihre Braut Caroline als Ihre Frau an und versprechen Sie, ihr die Treue zu halten in guten und in bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit, und sie zu lieben, zu achten und zu ehren, bis der Tod Sie scheidet?«
Er hatte laut und deutlich mit Ja geantwortet.
Die gleiche Frage hatte der Pfarrer Caroline gestellt, und auch ihre Antwort hatte Ja gelautet.
Das war ein halbes Jahr her. Und nun hatte Tobias das Gefühl, vor den Trümmern seiner Illusion von Liebe und Glück zu stehen.
Er betrieb in Garmisch ein IT-Unternehmen und hatte geschäftlich viel um die Ohren. Darüber hinaus saß er im Gemeinderat, und dieser Job war manches Mal auch ziemlich zeitraubend. Heute, es war ein Freitag, hatte er etwas früher Schluss gemacht. Er war kurz nach Mittag nach Hause gekommen und hatte nur seine zwölfjährige Tochter Janina sowie den vierzehnjährigen Patrick angetroffen. Sie hatten ihm erklärt, dass Caroline nicht anwesend war, als sie vor etwa einer halben Stunde von der Schule heimgekommen waren.
Wo verbrachte sie ihre Tage? Denn die Zeiten, in denen sie nicht zu Hause war, häuften sich, und die Erklärungen, die Caroline lieferte, waren mehr als dürftig. Sie wäre shoppen gewesen, hätte eine Cousine besucht, war bei einer früheren Freundin zu Besuch, hätte eine längere Wanderung unternommen …
Tobias glaubte ihr nicht – nicht mehr.
Er stand am Fenster im Wohnzimmer seines Hauses am Ortsrand von St. Johann und starrte blicklos durch die Scheibe auf einen unbestimmten Punkt im Garten. Es war Anfang Juni, der Kirschbaum trug eine Unmenge von Früchten, die allerdings noch grün und ungenießbar waren, die Rosen und eine Reihe weiterer Blumen blühten im Garten um die Wette. Überhaupt war alles grün und bunt und sein Auge hätte sich erfreuen können, wäre es nicht von Kummer und Leid getrübt gewesen.
Dreimal hatte Tobias versucht, seine Frau telefonisch zu erreichen. Sie hatte ihr Mobiltelefon ausgeschaltet. War es, weil sie nicht gestört werden wollte, bei dem, was sie gerade tat?
Tobias war sicher, dass ein anderer Mann im Spiel war.
Er war den Tränen nahe. Sie hatten sich im vorigen Jahr zum ersten Mal gesehen, als sie ihn in einem Landgasthof bedient hatte. Sie stamme aus Österreich hatte sie ihm erzählt, und er hatte sich regelrecht schockverliebt. Ein halbes Jahr später hatten sie sich das Jawort gegeben. Seine beiden Kinder aus erster Ehe hatten sie voll und ganz akzeptiert, Patrick und Janina waren von Caroline begeistert. Sie hatte aber auch ein ausgesprochen einnehmendes Wesen und kam überall sehr gut an, denn sie verstand es, mit ihrem Lächeln jeden zu verzaubern.
Warum tut sie dir das an?
Ist es ihr wirklich nur darum gegangen, gut versorgt zu sein? Himmel, du hast ihr doch sämtliche Freiheiten gelassen. Du stellst ihr viel Geld zur Verfügung, schränkst sie nicht ein, du hast sie auf Händen getragen und hättest ihr die Sterne vom Himmel heruntergeholt …
Verbittert wandte er sich ab. Sein Gesicht war Spiegelbild seiner Empfindungen. Nahe daran zu resignieren, ging er in die Küche, öffnete den Kühlschrank und nahm eine Tüte Milch heraus. Die Gefahr, in Depression zu verfallen war bei ihm groß. Caroline beteuerte zwar immer wieder, ihn zu lieben, doch das stufte er inzwischen als Lippenbekenntnisse und Schutzbehauptungen ein. Würde sie ihn lieben, würde sie ihn nicht so schlecht behandeln.
Tobias schenkte sich ein Glas mit Milch ein und trank in kleinen Schlucken. Patrick schaute zur Tür herein. »Ich fahr’ zum Fußballtraining, Papa«, gab er Bescheid, zog den Kopf zurück und verschwand.
Von oben, wo sich die Schlafräume befanden, erklang das Orgelspiel seiner Tochter. Das Keyboard hatte sich Janina zu Weihnachten gewünscht, und seitdem übte sie mit einer Verbissenheit, die ihresgleichen suchte.
Normalerweise würde er sich darüber freuen. Aber er konnte keine Freude mehr empfinden. Er dachte an Trennung. Seine Toleranz hatte Grenzen. Den gehörnten Ehemann wollte er auf keinen Fall spielen. Das Problem war, dass er Caroline trotz allem liebte. Manchmal fragte er sich, ob sie ihn verhext hatte. In Situationen wie jetzt, da ihn die Schwermut regelrecht erdrückte und eine quälende Unsicherheit in ihm wütete, war er bereit, ihr knallhart zu sagen, dass er ihr Verhalten nicht länger zu akzeptieren bereit sei und sie ihre Koffer packen und das Haus verlassen solle. Sobald er ihr in die graugrünen Augen schaute, die die Tiefe von Bergseen zu haben schienen, war es mit seiner Entschlossenheit vorbei. Seine Courage war dann wie weggeblasen, und er versuchte sogar zu glauben, was sie ihm an Ausreden und Ausflüchten auftischte.
Die ganze Situation machte ihn krank, ging ihm an die Substanz, ließ ihn in den Nächten schlecht schlafen, und während des Tages hatte er Mühe, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren.
Als er ein Geräusch vernahm, wie es ein Automotor verursachte, ging er zum Fenster und schaute hinaus in den Hof.
Es war Carolines roter Mini Cooper, der durch die Einfahrt rollte und vor der Doppelgarage anhielt. Der Motor erstarb, sie stieg aus und nahm eine Papiertüte, die zwei dünne Griffe besaß, vom Rücksitz, warf die Tür zu und kam zum Haus.
Caroline war eine attraktive Frau, blondhaarig, mittelgroß, schlank und trotzdem fraulich proportioniert. Die Haare hatte sie am Hinterkopf zusammengesteckt, was ihrem gleichmäßigen Gesicht sehr viel Geltung verlieh. Sie war salopp gekleidet; Jeans, T-Shirt, weiße Sneakers. Nichts an ihr war künstlich. Nicht einmal ihre Lippen oder die Augen waren geschminkt. Sie war – um es mit einfachen Worten auszudrücken - eine natürliche Schönheit.
Ihr Anblick versetzte Tobias einen Stich. Sie wirkte so ehrlich, so integer, so bodenständig und – liebenswert, und es war für den vom Auf und Ab seiner Gefühle gebeutelten Mann schwer zu glauben, dass sie ihn dermaßen kaltschnäuzig und skrupellos ausnutzen und betrügen sollte.
Er merkte, wie seine Entschlossenheit ins Wanken geriet. Nach kurzem Zögern ging er zur Tür hinaus und betrat den Flur im selben Moment, in dem sie zur Haustür hereinkam. »Was ist das denn?«, rief sie überrascht. »Du bist heut’ schon nach Hause gekommen? Das muss ich ja glatt im Kalender vermerken. Sieben Uhr oder später ist normalerweise deine Zeit, zu der du von der Arbeit heimkommst.«
Bleib’ hart!, machte er sich selber Mut. So kann’s net weitergehen.
Er räusperte sich, schluckte und stieß hervor: »Wo kommst du her?«
Carolines Lächeln gerann. Seine knappe Frage und sein verschlossenes Gesicht verhießen nichts Gutes. »Wie bist du denn drauf?«, fragte sie ausweichend und ging ins Wohnzimmer, als wollte sie vor ihm fliehen.
Er folgte ihr. »Los, raus mit der Sprache!«, fuhr er sie an. »Wo kommst du her?«
»Ich war in Innsbruck und hab’ mich dort mit einer Freundin getroffen. Sie hat mich neulich angerufen.«
»So, so, Freundin«, brummte er. »Mir ist nix bekannt, dass du eine Freundin in Innsbruck hast. Du zauberst die Freundinnen und Cousinen aus dem Hut, wie es dir beliebt, wie?« Tobias erschrak geradezu vor seinen eigenen Worten. So kannte er sich selber nicht.
Er war jetzt richtig wütend. »Sag’ mir die Wahrheit, Caro, du hast einen anderen. Wahrscheinlich hattest du ihn schon, als wir geheiratet haben. Ist das der Dank?«
Ihr Gesicht überschattete sich. »Der Dank wofür?«
Tobias winkte ab. »Egal. Also los, Caro: Raus mit der Wahrheit. Wer ist der Kerl, und seit wann kennst du ihn? Hast du mir, als du mir deine Liebe beteuert hast, nur Sand in die Augen gestreut? Hast du mich überhaupt je geliebt? Um was ist es dir gegangen? Los, schenk’ mir endlich reinen Wein ein.«
»Ich will nicht drüber sprechen«, murmelte sie und es klang irgendwie müde und hoffnungslos. »Ich kann dir aber versichern, Tobias, dass ich dich geliebt habe und immer noch liebe. Dich und deine beiden Kinder.«
Ungläubig starrte Tobias seine Frau an. »Ja, aber …«
Seine Entschiedenheit, die Entschlossenheit, Nägel mit Köpfen zu machen, zerbröckelte. Er fand keine Worte, die Verunsicherung ließ ihn würgend schlucken und er begann seine Hände zu kneten. Am Schlimmsten aber war für ihn die Tatsache, dass er sich seiner Schwäche voll und ganz bewusst war. »Wie – soll – ich – dir das glauben?«, stammelte er schließlich und sah die Tränen in ihren Augen.
»Das überlasse ich dir«, erwiderte sie mit brüchiger Stimme, dann fügte sie leise hinzu: »Bitte, Tobias, vertrau mir.«
Sie verließ das Wohnzimmer und stieg die Treppe empor.
Tobias griff sich an den Kopf. Was sollte er davon halten? War ihr Gefühlsausbruch echt oder hatte sie ihn nur inszeniert? Wenn er gespielt war, dann war das eine oscarreife Leistung.
Tobias taumelte mit weichen Knien zu einem Sessel und ließ sich ächzend darauf fallen, schlug beide Hände vor das Gesicht und versuchte, den Aufruhr in seinem Innersten unter Kontrolle zu bringen.
*
Nach einiger Zeit kam Caroline wieder nach unten und ging in die Küche. Im Haus war es jetzt ruhig. Wenn vor einer Viertelstunde das obere Stockwerk noch voll war von den Klängen der Heimorgel Janinas, dann herrschte jetzt eine Stille wie nach dem Jüngsten Tag.
Caroline schaute aus dem Fenster und sah, dass Tobias’ Audi nicht mehr auf dem Platz vor der Garage stand. Sie warf einen Blick auf die Uhr, und ihr kam in den Sinn, dass Janina jeden Freitagnachmittag auf dem Reiterhof von Jana Mirl und Oliver Breitengraser zwei Reitstunden absolvierte, und zwar von fünfzehn bis siebzehn Uhr.
Caroline war froh, alleine zu sein. Sie hätte es nicht ertragen, wenn Tobias sie weiter mit seinen Fragen bombardiert hätte. Dabei war ihr klar, dass sie es bald nicht länger verheimlichen konnte. Irgendwann kam die Stunde der Wahrheit, und sie würde reinen Tisch machen müssen. Doch was dann?
Ihr war klar, dass sie von Anfang an ehrlich hätte sein müssen. Aber die Angst, dass Tobias dann einen Rückzieher machte, war zu groß gewesen. Sie liebte ihn wirklich. Es ihm jetzt zu sagen, wagte sie jedoch auch nicht, denn sie befürchtete, dass er kein Verständnis für ihr Schweigen haben würde.
Sie war ratlos, sagte sich aber, dass sie ihr Geheimnis so lange hüten würde, wie es ihr möglich war. Denn völlig frei von Hintergedanken war sie nicht gewesen, als sie Tobias das Jawort gegeben hatte. Der Gedanke, plötzlich über Geld verfügen zu können, das sie so notwendig benötigte, war absolut verlockend. Sie schämte sich deswegen, sagte sich aber gleichzeitig, dass der Zweck die Mittel heiligte.
Sie schaltete den Kaffeeautomaten ein, stellte eine Tasse unter die beiden Auslaufventile, belegte sich eine Scheibe Brot mit Käse, streute etwas Pfeffer und Paprika darauf, und begab sich mit dem Kaffee und dem Brot ins Wohnzimmer. Dort machte sie es sich in einem der schweren Sessel bequem, schaltete per Fernbedienung den Fernseher ein, suchte ein Programm, das ihr zusprach, dann aß sie das Brot.
Sie konnte sich jedoch nicht auf die Sendung konzentrieren. Gefühl und Verstand lagen bei ihr in zäher Zwietracht. Das Gefühl sagte ihr, dass sie nicht länger schweigen sollte, der Verstand aber trichterte ihr ein, dass sie womöglich ihr eigenes Grab schaufelte, wenn sie ihr Schweigen brach.
Sie brachte einfach den Mut nicht auf. Und zu einem gewissen Grad war es auch Berechnung, die sie leitete. Sie war eben keine Heilige. Aber sie tat es ja nicht für sich.
Irgendwie hatte Caroline das Gefühl, an einem Wendepunkt in ihrem Leben angekommen zu sein. Wie sie sich auch verhielt, es konnte bestimmend für ihre Zukunft sein.
Das Brot war gegessen, in kleinen Schlucken trank sie den heißen Kaffee. Sie war müde. Dass sie in Innsbruck gewesen war, hatte sie keineswegs erfunden. Die Entfernung betrug zwar nur um die fünfzig Kilometer, dennoch fühlte sie sich abgekämpft. Sie lehnte sich weit zurück und döste ein.
Als sie im Treppenhaus Geräusche vernahm, schreckte sie hoch und erhob sich. In dem Moment ging die Tür auf und Tobias betrat das Wohnzimmer. »Grüaß di«, grüßte er kurz angebunden.
»Hallo«, antwortete Caroline und musterte ihn mit fragendem Blick, in dem ihre große Unsicherheit wahrzunehmen war. »Wie war’s beim Reiten?
»Interessiert dich das überhaupt noch?«, kam es bissig zurück. »Deine Interessen liegen doch ganz woanders. Ich hab’, während das Madel geritten ist, Zeit gehabt, nachzudenken, und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es so net weitergehen kann.«
»Wenn ich dir schwör’, dass es keinen anderen Mann gibt in meinem Leben …?«, murmelte die bedrückt und senkte den Blick.
Er begann schon wieder zu schmelzen, in ihm regte sich das Mitgefühl, und er hätte sie am liebsten in die Arme genommen und geküsst – die Lippen, die möglicherweise einige Stunden vorher noch ein anderer Mann geküsst hatte. Der Gedanke holte ihn auf den Boden der Tatsachen zurück.
»Was treibst du dann, wenn du manchmal den ganzen Tag unterwegs bist?«, fragte er und ließ sie nicht aus den Augen, forschte in ihren Zügen und versuchte darin die Antwort auf seine Frage zu lesen.
»Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig!« In Caroline war der Trotz erwacht. Etwas gemäßigter fügte sie hinzu: »Ich hab’s dir jedes Mal erzählt, wo ich war. Du selbst wolltest doch net, dass ich arbeiten geh’. Aber den ganzen Tag daheim herumzusitzen halt’ ich net aus, denn ich hab’ das Gefühl, mir fällt die Decke auf den Kopf. Ich will net in einem goldenen Käfig gefangen sein. Du hast ja kaum Zeit für mich. Arbeit, Arbeit und wieder Arbeit! Sogar an den Wochenenden hockst du stundenlang an deinem PC, oben, in deinem Arbeitszimmer, von wo aus du auf den Computer im Betrieb zugreifen kannst. Das ist für mich net lustig, Tobias. Also hab’ ich mir was gesucht, um mir die Zeit auch ein bissel zu vertreiben. Ich treff’ mich mal mit einer Cousine, mal mit jener, mal mit dieser Freundin, dann wieder mit einer anderen. Was ist schlimm daran? Deine Kinder sind keine Babys mehr, die versorgt werden müssten. Außerdem ist die Zugehfrau da.«
Je länger sie gesprochen hatte, desto gepresster hatte ihre Stimme geklungen, und nun konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten.
»Ist das wirklich der Grund?«, fragte er bestürzt.
»Ja. Ich fühl’ mich einsam hier in dem großen Haus. Natürlich musst du Geld verdienen. Aber ist es erforderlich, dass du sieben Tage in der Woche malochst?«
»Die Kinder haben sich noch net beschwert«, murmelte Tobias versonnen.
»Die haben ihre Freunde, mit denen sie sich treffen. Patrick geht in den Fußballverein, Janina hat die Reitstunden oder geht zum katholischen Mädchenverein, und wenn sie daheim ist, vertreibt sie sich die Zeit mit ihrem Keyboard oder sie lernt für die Schule. Seit ihre Mutter vor elf Jahren gestorben ist, haben sie es gelernt, sich zu beschäftigen. Ich hab’ ab meinem fünfzehnten Lebensjahr gearbeitet. Nachdem wir vor einem halben Jahr geheiratet haben, hatte ich gewissermaßen den goldenen Löffel im Mund, aber dann musste ich mir was suchen, um mir die Zeit zu vertreiben.«
»Das tut mir leid«, murmelte er und bereute, dass er ziemlich harsch zu ihr gewesen war. »Ich hab’s aber doch nur gutgemeint, Schatz. Ich wollt’ dir ein sorgenfreies Leben bieten. Außerdem bin ich ein ziemlich erfolgreicher Geschäftsmann, und ich kann meine Frau doch net in einem Landgasthof als Bedienung arbeiten lassen.«
»Das will ich ja auch gar nimmer«, erklärte Caroline. »Mir passt es so, wie’s im Moment ist. Ich brauch’ halt ein bissel Freiheit. Ich versichere dir aber, bei allem, was mir heilig ist, dass ich dich net mit einem anderen Mann betrüg’.«
Tobias glaubte ihr und ein Stein fiel ihm vom Herzen.
Er atmete regelrecht auf. »Komm her«, stieß er hervor und griff nach ihr, umfasste ihre Oberarme und zog sie zu sich heran.