Seltsame Geschichten I - Wolff Wieland - E-Book

Seltsame Geschichten I E-Book

Wolff Wieland

4,9

Beschreibung

Versprengte Nazi-Schergen unter südlicher Sonne, gebrochene Herzen, Mord und Verrat, wahre Freund- und Feindschaften oder schier das nackte Überleben: Wolff Wieland (Pseudonym), im anderen Leben seit vielen Jahren als erfolgreicher Journalist tätig, legt mit "Seltsame Geschichten I" diesmal eine außergewöhnliche Sammlung von Kurzgeschichten vor, die das Leben schreibt.

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Seitenzahl: 211

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Wolff Wieland (Pseudonym), im anderen Leben seit vielen Jahren als erfolgreicher Journalist tätig, legt mit Seltsame Geschichten I dieses Mal eine außergewöhnliche Sammlung von Kurzgeschichten vor, die das Leben schreibt.

Von Wolff Wieland bereits erschienen:

Dicker Hintern im Café auf Eis (2009),

ISBN: 9-783-8370-3454-7

Dicker Hintern im Café auf Eis 2 (2012),

ISBN: 9-783-8370-3454-7

wolffwieland.prembuch.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Brief an eine verflossene Liebe

Begegnung mit dem Tod

Der Holländer

Der gute Mann aus N

Der seriöse Herr

Der schöne Klaus

Der Rasen

Die Erscheinung

Das kranke Kind

Das Wunderwasser von Granada

Der Schmetterling

Der Eisenmann

Die Verschwiegenheit

Nur ein altes Haus in der Mancha

Reinhard

Walburga, die Schreckliche

Mari-Carmens später Bruder

Die eiserne Rose

Vorwort

Verehrte Leserin und Leser, ich habe jene Gewohnheit, der vermutlich sehr viele Menschen auch erliegen. Das Geschichtenerzählen. Ich stamme aus einer Generation, in der es keine große Sache war, echte Abenteuer zu erleben. Selbstmörderische Sportarten, die es heute für sehr viel Geld zu kaufen gibt, waren uns fremd. Unsere Jugendzeit war gepflastert mit Abenteuern, auch sehr lebensgefährlichen!

Als Kinder badeten wir im Sommer oft in den vom Regenwasser aufgefüllten Bombentrichtern oder in den offenen Kellern der zerstörten Häuser in den vernichteten Städten. Bei dem Heimweg von der Schule konnte man unendlich viel Kriegsmaterial finden. Deshalb war es nichts Besonderes, wenn wir Handgranaten scharf zogen und in die Äcker warfen. Wir fanden es toll, wenn die Erde wie eine Fontäne in die Luft spritzte. Übrigens, der Weg zur Schule musste immer gelaufen werden. Mein Weg war täglich 6 km einfach. Dicke Kinder waren damals mit Sicherheit krank und das ADHS oder Allergien gab es nicht. Denn jeder musste sich täglich richtig bewegen. Das Essen war einfach und wir aßen praktisch alles. Es ist eine Zeit, die wohl in nicht allzu fernen Tagen auch als die gute alte Zeit beschrieben wird, obwohl sie letztlich karg und übel war.

So bin ich meinem Trieb gefolgt und habe begonnen, kurze Geschichten, die in meiner Erinnerung gefesselt sind, aufzuschreiben und einige zu veröffentlichen. Dass die Leser manchmal erstaunt sein werden oder zumindest sein sollten, ist sicherlich mein größter Wunsch. Doch das Wichtigste ist, dass Sie wissen müssen, dass alles, was Sie hier lesen der Wahrheit entspricht! Manchmal schreibe ich in der Ich-Form. Wenn das Erlebte recht peinlich ist, gebe ich dem Protagonisten eben einen Namen. In meiner Zeit als Praktikant bei einer Wochenzeitung war es Standard, normale Sätze mit ca. 25-35 Worten zu schreiben. Das ist heute nicht mehr möglich: Maximal 10 Worte pro Satz! Also, liebe Leser, verzeihen Sie mir, wenn ich mal auf 13 oder 15 Worte komme. Dass der Philosoph Immanuel Kant Sätze mit über 100 Wörtern schrieb und seine Leser diese sogar verstehen konnten, ist unglaublich. Sind wir doofer geworden? Bei einigen Geschichten können Sie auch erfahren, dass mein Lebenslauf recht verschlungen war. Ende des 2. Weltkrieges geboren, erzogen von Lehrern, die ihre Ausbildung noch zu Adolf Hitlers Zeiten hatten! Sie können sich vielleicht doch noch vorstellen, wie auch unsere Hirne vernagelt wurden. Ob das heute nicht auch so ist, wage ich schon zu bezweifeln. Es sind eben immer wieder neue Menschen, die dieselben Torheiten und Fehler machen.

Dazu möchte ich auch noch ein Zitat des Autors Gilbert Chesterton (1874-1936), der den bekannten Pater Brown erfunden hatte, zu dem Thema Krieg und Fanatismus hier niederschreiben:

„Der Mensch ist bereit, für jede Idee oder Religion zu sterben, vorausgesetzt, dass ihm diese Idee oder Religion nicht ganz klar ist.“

Viel Spaß beim Lesen.

Brief an eine verflossene Liebe

Nach Jahren und einer Nacht des Nachdenkens.

Edi war ein noch junger Bursche von vielleicht 22 Jahren. Doch in seinem bisherigen kurzen Leben war ihm nicht allzu viel Gutes widerfahren. Seine Mutter starb ganz plötzlich, da war er gerade mal sieben Jahre alt. Nun musste seine Großmutter für ihn sorgen, das war nicht sehr gut für den kleinen Eduard. Sie liebte ihn überhaupt nicht, wohl deshalb, weil er seinem Großvater wie aus dem Gesicht geschnitten zu sein schien. Dazu mochte die Oma auch noch recht gerne Klosterfrau Melissengeist, die Belohnungsdroge der Hausfrauen jener Zeit. Damit konnten sie ihre latente Trunksucht wunderbar tarnen.

Auch körperlich war Edi kein Riese, eher zäh und grazil und sein schmaler, lockiger Kopf mit den großen dunklen Augen und seinen schmalen Lippen erinnerte an einen heranwachsenden, melancholischen Südländer. Er war ein stiller braver Junge. In der Schule hatte er wenige Freunde. Hätte man ihn gefragt, hätte er wohl gesagt. dass er keinen echten Freund habe. Er hatte noch eine ältere Schwester. Lydia mochte ihn auch nicht. Wohl, weil der gemeinsame Vater den kleinen Edi immer etwas in Schutz nahm, wenn die Großmutter wieder ihre alkoholisierten Launen an dem Jungen abreagierte.

Als Edi mit 14 Jahren mit seinem Jahreszeugnis nach Hause kam und es seinem Vater voll Freude zeigen wollte, fand er ihn nicht. Er suchte überall im Haus und Garten und fand den Vater dann endlich - mit einer Schlinge um den Hals - ganz oben auf dem Dachboden, am Balken hängend, die Beine freischwingend, der Schemel umgestürzt.

Edi lernte den guten Beruf des Maschinenbauers, war fleißig und hatte auch das Haus und etwas Barvermögen geerbt. Da begegnete er Lo, sie war alleine von Ost- nach Westdeutschland geflüchtet und begann eine Lehre in seiner Heimatstadt. Er verliebte sich in sie. Für Edi war es die große und wohl einzige Liebe seines Lebens. Beide lebten in seinem Haus, waren verlobt und planten ein gemeinsames Dasein. Dann kam die deutsche Wiedervereinigung. Die Eltern und Verwanden von Lo gingen bei ihm ein und aus. Er glaubte, endlich eine Familie zu haben und war stolz und glücklich. Alles schien in den richtigen Bahnen zu laufen. Sicherlich, es gab manchmal auch Differenzen. Doch der Hochzeitstermin war geplant und die Vorbereitungen begannen.

Es war Mitte September, Edi kam nach Hause und das war leer. Er suchte nach Lo im Haus und Garten. Er fand nur ein Blatt Papier auf dem gemeinsamen Bett, auf dem sie geschrieben hatte, dass sie ihn verlassen habe. Einfach so. Die Antwort auf die Frage, warum sie das getan hatte, blieb ihm verborgen. So vermutete er vielleicht zu Recht, dass es Intrigen von ihrer Familie oder von seiner Schwester gewesen waren. Es blieb für ihn ein Rätsel.

Es sind Jahre vergangen. Ein halbes Leben. Irgendwie hat er sein Dasein weiter gelebt. Eine feste Beziehung wollte er nicht, weil er Angst vor dem Seelenschmerz hatte. Doch, so glaubte er, dass nun die Zeit reif wäre, seiner Verflossenen einen Brief zu schreiben. So fasste er wohl den folgenschwersten Entschluss seines Lebens und begann zu schreiben:

Liebste Lo,

viel Zeit ist vergangen, Du hast einen Sohn, der Dir wohl alles bedeutet. Der stressige Alltag überwuchert Dich und ist für Dich überall. Schnelle Jahre sind verflogen, untergetaucht im ewigen Nichts. Zum Verweilen, um an gute frühere Dinge zu denken, ist Deine Zeit zu gering oder Du willst nicht so recht daran denken. Doch, dass es Dir genau so geht wie mir und vermutlich allen Menschen, die irgendwann das unvergleichliche Gefühl der sorgenfreien Liebe und Lust erlebt haben, dies zu verdrängen ist sinnlos.

Die Menschen erkennen immer erst, was Glück ist, wenn es vorbei ist. Mir geht das manchmal so. Immer wieder steigt aus dem Unterbewusstsein genau all das nach oben, was Mann/Frau unbedingt vergessen wollten. Seltsamerweise erinnert man sich viel genauer an die schönen und originellen Dinge. Wenn ich - nach Dir - mit irgendeiner Frau intim zusammen war und danach meine Gedanken wandern ließ, erscheinen manchmal genau die Bilder in meiner Erinnerung, die ich vergessen wollte. Und dabei spieltest Du sogar eine Hauptrolle. Das, was bei der Trennung einst so schlimm erschien, dieses tiefe unendlich schwarze Nichts nach diesem Schock, wird unwichtiger und die Gedanken dazu werden milder.

Es beginnt irgendwann, dass Vergleiche anders, realistischer ausfallen, als noch vor einer früheren Zeit. Natürlich weißt Du, warum das so ist. Ich hatte Dir das mit dem Einfluss durch die Hormone auf unser Verhalten und Denken sicherlich genauestens erklärt, deswegen will ich jetzt nicht so oberschlau zu diesem Thema weiter schreiben. Doch eines weißt Du auch: Es ist ganz einfach, jetzt ist auch für Dich längst die Zeit angebrochen, in der die Lebensöde auch bei Dir beginnt. Doch dein Junge, er fordert Dich und gibt Dir den Lebenssinn Deiner Existenz auf dieser Welt. Es sind diese wunderbaren Momente mit ihm, die Du erleben kannst, die es wert machen, zu leben. Nur ein Kind kann das Leben lebenswert machen.

Ich hoffe natürlich, und das meine ich ganz ehrlich, dass Deine Partnerwahl damals wirklich richtig war und Du noch so unbeschwert frei lachen kannst, dass Du keinen Streit und keine Lügerei, die Du wie die Pest hasst, ertragen musst. Ich weiß aber auch, dass Du alles tust, um einen Mann nicht zu verlieren. ALLES! Selbst die größten Dummheiten und Fehler. Nicht nur ich; auch Du gehst mit offenen Augen bis zum Ende. Bis die ewige Nacht Dich umschließt und vielleicht sogar erlöst.

Ich erinnere mich gerne daran, dass wir keinen einzigen Streit hatten, nicht mal, als wir uns noch einmal heimlich in München getroffen hatten. Weißt Du noch, ich hatte ganz stark abgenommen und konnte meine Augen nicht von Dir lassen! Und ich denke oft daran, als wir vor dem Hotel standen und wir uns in die Hand geschworen hatten, im Kontakt zu bleiben, zueinander immer offen zu sein. Nicht nur, weil wir diverse „Leichen im Keller“ haben und diese immer unsere Geheimnisse bleiben werden, sondern weil Du auch genau weißt, dass mein Rat und meine Hilfen Dir ein ganzes Leben lang sicher und von großem Vorteil waren und auch wären. Weil Du weißt, dass das Meiste Deines wirtschaftlichen Lebens durch meine Raffinesse entstanden ist. Wobei ich jetzt NICHT sagen will, dass Du das ohne mich nicht geschafft hättest! Warum das so kindisch und kleinlich gekommen ist mit uns, das verstehe ich nicht, doch ist das jetzt auch total unwichtig.

Aber, ich will Dir schon sagen, dass ICH dieses Versprechen, das wir uns gegeben haben, bis heute gehalten habe! Übrigens, ich hatte doch nicht die geringste Chance, mit Dir diese lächerlichen Unklarheiten ALLEINE zu bereden und einen sinnvollen Plan zu machen, denn, wenn wir unter vier Augen gesprochen hätten, wüsstest Du vieles richtig! Es ist doch lächerlich, dass ich Dich finanziell betrogen haben soll, wie viel Geld hast Du denn auf dem schwei.... Konto? Und vieles gäbe es, nach wie vor, zu besprechen. Aber dafür brauche ich Dich, oder nicht? Nun gut, das Zeug kann ich jetzt nicht schreiben.

Du hast ja mitbekommen, dass ich vor einigen Jahren einen großen finanziellen Fehler begangen hatte. Es war MEINE GIER und auch die unterschwellige Angst, im Alter arm zu sein! Nun habe ich mich wieder langsam erholt, es wird besser! Schade ist nur, dass ich meinen Besitz immer noch nicht verkaufen konnte, vielleicht will ich zu viel, aber es wird schon klappen. Oder es bleibt für meine Erben. Na ja, ich schaue natürlich auch auf meinen „Abreißkalender“ und der wird jetzt schon verdammt dünn! Liebe Lo..., Geld ist nicht alles und ist sicherlich nicht der Lebenssinn.

Nun, ich fühle mich wohl, den Krebs habe ich vermutlich besiegt, ich hoffe dass auch bei Dir, liebe LO..., keine dunklen Wolken der Ungewissheit zu sehen sind. Ich möchte Dir soviel erzählen und berichten, möchte Geschichten von Deinem Jungen hören. Weißt Du, das Leben ist mehr als die Ansammlung und das Anreihen von Alltäglichem. Es ist die Pflege des EIGENEN Lebens. Im letzten Drittel eines Lebens zehrt jeder Mensch vom Erlebten aus früheren Zeiten, er braucht ECHTE Freunde, denn sonst verkümmert er, nicht nur geistig.

Mach’ die Augen auf und erinnere Dich an die vielen Gespräche, die wir hatten. Erinnere Dich an Andalusien, an diese uralte, gefasste Schwefelquelle, in der schon römische Legionäre gebadet haben. Denke an diesen Baum, am Hang der Schlucht, mit der verwunschenen, seit Jahrhunderten vergessenen Römerstraße, in den Bergen von Málaga und Ronda. Der unsere Initialen, umrahmt von einem Herzen, trägt. Dieses Zeichen unserer ehrlichen Liebe, wird für uns in dieser Wildnis, um viele Jahrhunderte überleben. Vielleicht kannst Du das irgendwann einmal Deinem erwachsenen Sohn erzählen, dann wenn Du alt und verbraucht bist, dann, wenn die Erinnerungen aus dieser unbeschwerten Zeit wieder ganz in dein Gedächtnis zurückkommen. Vielleicht hast Du die Größe dazu, wer weiß?

Aber ich kenne Dich wohl besser als Du Dich selbst, wenn Du das jetzt gelesen hast, ach Gott, was Du da jetzt denkst! Sei sicher, ich habe keinerlei Hintergedanken. Im Bezug auf Dich hatte ich nie ein einziges schlechtes oder gar bösartig berechnendes Denken. Vielleicht hast Du das eher in Deiner Nähe um Dich, ohne es zu wissen! Niemals hätte ich von Deiner Arbeitskraft leben wollen, im Gegenteil, ich empfand ein Glücksgefühl wenn ich sah, wie erfolgreich Du durch meine Hilfe geworden warst! Von der unbedeutenden Verkäuferin zur anerkannten Geschäftsfrau!

Ich hatte mit Dir keinen schlechten Tag, nicht einmal eine schlechte Minute, und ich habe begonnen, Dich zu lieben, nachdem Du mich damals im Winter, mit Hilfe Deiner Mutter, in dein Heimatdorf „gelockt" hattest. Ich sehe Dich vor mir, mit verschwollenen Tränenaugen und Deinem schönen Mund, übersät mit nässendem Herpes. Da begann meine Liebe zu Dir. Und, als ich Dich warnte, dass der Unterschied zu groß sei, erinnerst Du Dich, was Du damals sagtest und immer wieder in Deinen Liebesbriefen schriebst?

Woher kamen denn diese ständigen verlogenen Anschuldigungen, bis zum heutigen Tag, gegen mich? Von Deiner Mutter! Und Du weißt, warum!

Ich hatte doch Geld genug, wieso sollte ich Dich bestehlen? Du hattest das doch gesehen und gewusst! Und, ich frage Dich jetzt doch, hätte ich nicht viele Möglichkeiten, Dir zu schaden? Niemals, denn ich hatte auch Deine besten Jahre, und Du meine Liebe und immer, bis heute, meinen höchsten Respekt...

Nun lebe ich das Leben, bis zu meinem Ende, immer in vollen Zügen, habe nach wie vor 78 kg, bin glücklich, weil ich malen, schreiben und herrlich kreativ sein kann. Langweiliges, idiotisches Fernsehen will ich nicht. Sex mit lustvoll sinnlicher Erotik ist ein Teil meines Alltags. (Hält bekanntlich am besten fit) Weil ich immer von 8:30 h bis 9:30 h im „Casa Pani“ zum Frühstück sitze, Audienz halte und da viele „Bekannte“ um mich habe, die mich vermutlich ganz gerne haben, weil ich nicht so langweilig bin, wie viele, die man sonst jeden Tag anschauen und auch deren feuchte Füße ertragen muss.

Ein ganz kleines Stückchen bin ich auch wieder stolz, weil ich endlich wieder oben bin. Es hatte mich nach unserer Trennung viel mehr erwischt, als ich erwartet hatte. Das hatte mich wohl etwas verwirrt. Doch das ist Schnee von gestern. Und, die Sache mit Deiner Schwester war auch wunderbar, doch wir sind uns zu ähnlich, also gab`s eine anständige Trennung, getragen von Menschlichkeit und letztlich auch Verstand.

Überlege Dir, was Du jetzt, nachdem Du diesen Brief gelesen hast, tun sollst, sei still, frage keinen anderen und höre auf Deinen Bauch. Hänge diesen Brief nicht in die Familienausstellung, denn sonst gibt es wahrscheinlich böses Blut. Vielleicht hast Du den Mut und vor allem den Wunsch, diesen Zustand des Schweigens zu meiner Person zu überwinden. Ich bin ja in euerer Familie die „persona non grata“. Man spricht meinen Namen nicht aus, aber er ist, logischerweise aufgrund der Vergangenheit und der gestalteten Umgebung, immer gegenwärtig.

Ruf’ mich einfach an oder schreibe mir (Übrigens, ich lese Deine einstigen Liebesbriefe immer wieder gerne, sie sind schön und es war eine wunderbare Zeit) und es kann so sein, wie es unter klugen Menschen normal ist, die sich kennen, kannten, liebten und manchen Streich zusammen erlebten. Doch wenn Du meinst, dass der jetzige Zustand richtig ist, dann höre ich einfach nichts von Dir und Du kannst sicher sein, von mir persönlich total verschont zu werden, weil ja dann unser gegenseitiges Versprechen irgendwann wertlos ist und ich mich daran auch nicht mehr zu halten brauche. Ganz gleich, was kommen mag.

Ich wünsche Dir, liebe Lo, ein tolles, finanzielles und persönliches gesundes Neues Jahr natürlich auch all jenen, die Dir wirklich alles bedeuten.

E.

Dann klebte er den Brief zu, beleckte etwas gedankenverloren die Briefmarke, um sie ganz exakt auf den verschlossenen Brief zu kleben, schrieb mit sauberer Blockschrift ihre Heimatadresse darauf, lief zum Briefkasten. Mit spitzen Daumen, Zeige- und Mittelfinger schob er ganz langsam das Schreiben in den Schlitz. Dann, während schon die ersten Böller krachten und das Silvester zu explodieren schien, begab er sich im Stechschritt zu seinem Haus, ging gemächlich die Treppe zum Dachboden hoch, den er seit damals, als Kind, nie mehr betreten hatte, er betrachtete den Strick, der niemals abgenommen wurde und stellte den immer noch liegenden Schemel in die richtige Position....

Begegnung mit dem Tod

Sonnenschein, endlich etwas Sonnenschein. So dachte ich vermutlich, als ich zum Fenster meines Ateliers sah. Also noch mal ´raus, bevor es wieder regnet. „Versiffter August!“ murmelte ich etwas verdrießlich. Es war wie so häufig bei uns in Franken, kein besonders sonniger August gewesen, doch, wie auch sehr oft, zeigte dieser Septemberanfang wieder die warme Milde des ganz frühen, lauen Herbstes.

Ich trottete, meinen alten, jedoch geliebten Strohhut auf meinen kahlgeschorenen Kopf, die fünfzig Meter zur Eisdiele. Sie ist in der Fußgängerzone zu finden, dort, wo es auch immer viel zu sehen gibt. Wie es eben mal bei mir so ist, wollte ich kein Eis haben. Deshalb ging ich in die Bäckerei nebenan und kaufte mir, wie das in Franken auch üblich ist, ein großes Stück Zwetschgenkuchen, mit Sahne versteht sich! Mit diesem Teller in der Hand ging ich zu der Terrasse meiner geliebten Eisdiele zurück.

Alle Plätze schienen besetzt. Da erspähte ich einen Mann, so Mitte Fünfzig, der einen Tisch und zwei Plätze besetzte. Auf dem einen Stuhl saß er selbst, auf dem anderen Stuhl hatte er seinen Trekking-Rucksack gestellt. Neben dem Mann saß ein vietnamesischer Junge und beide hatten eine Waffel mit einer Kugel Eis in der Hand. Ich fragte den Herren, ob er nicht seinen Rucksack von der Sitzmöglichkeit wegnehmen könne, damit ich mich hinsetzen könnte, weil ich ja einen Kaffee bestellen wollte.

Diese Frage war noch nicht ganz über meine Lippen, da wusste ich schon, wie blöd diese Aufforderung von mir war. Doch der Mann lächelte und sagte: „Bitte gerne, doch ich habe ja nur eine Hand frei. Wenn Sie mir helfen und den Rucksack mit Ihrer einen Hand mit wegheben könnten, gerne!“ Wir lachten uns gegenseitig an und ich sah in seinen Augen so viel Glück, wie ich es noch selten bei jemand gesehen hatte.

Der Rest ist schnell erzählt. Er hatte diesen Jungen vor 11 Jahren adoptiert. Jetzt wandert er mit ihm, ohne Frau und Mutter, durch das Frankenland. Sie übernachten in den Jugendherbergen, so auch auf der Nürnberger Kaiserburg. „Wissen Sie, ich bin nicht mehr sehr gesund.“ Dabei machte er eine eindeutige Geste, ohne dass dies jedoch für den Jungen zu sehen war. „Aber ich bin so glücklich wie nie zuvor in meinem Leben! Wir sind zwei Wanderburschen, er weiß noch nichts von Geld und ich weiß, dass es für mich nicht mehr wichtig ist. Er wird vermutlich diese gemeinsamen Tage mit mir nie mehr vergessen“.

Nun hob er mit beiden Händen den Rucksack hoch, hievte ihn auf seinen Rücken, der Junge tat mit seinem Rucksäckchen das Gleiche. Dann gab der Mann mir seine kräftige, warme Hand zum Abschied, schenkte mir einen langen Augenblick, dabei sah ich wieder seinen glücklichen Gesichtsausdruck und im Weggehen sagte er fast leise: „Sie verstehen mich vermutlich: Ich genieße meinen letzten Sommer.“ Mir wurde klar: Er wusste, dass es sein letzter Sommer war.

Und ich? Ich hatte vor einigen Minuten über einen schlechten August gelästert? Stand da mit dem Teller in der Hand? Ich fühlte diese unerklärbare Scham über mein Verhalten! Denn neben diesem glücklichen Mann ging auch der unsichtbare Tod, und er wusste das.

Der Holländer

Wer an Holländer denkt, erinnert sich an Blumen, alte Meister der Malerei und vielleicht an die Wohnwagenkolonnen, die jedes Jahr im Sommer die Autobahnen Europas überrollen. Doch dieser Holländer, den ich auf der Fähre von Málaga nach Genua kennen lernte, war keiner dieser Gattung.

Es war Mitte der achtziger Jahre, als noch keiner an den Euro dachte. Das war immer etwas schwierig, wenn man durch Europa oder auch den Maghreb reiste. Ständiges Geldwechseln oder bei der Sparkasse Devisen kaufen, war vor einer Reise Standard.

Ich befand mich auf der Rückreise von Spanien nach Deutschland. Wieder einmal musste ich mich um die verschiedenen Verlage und Agenturen kümmern, von denen ich ja auch bezahlt wurde. So verfrachtete man mein Auto auf die Fähre Richtung Italien, damit ich dann ab Genua weiter nach Deutschland fahren konnte. Dass diese Fähre kein riesig großes Schiff war, bemerkte ich gleich durch die Beobachtung, wie die Fahrzeuge überhaupt auf das Schiff gebracht wurden. Nämlich mit einem großen Netz, in das auch ich fahren musste. Dann stieg ich aus, der Kran hob das Netz mitsamt dem Auto auf Deck und ein Fahrer verstaute mein Fahrzeug irgendwie in dem Bauch dieses Seelenverkäufers. Natürlich war ich auch selbst schuld, dass ich mit dieser Fähre fuhr, denn ich hatte bei meinem Reisebüro in Marbella ein billiges Angebot genommen. Geiz ist geil war auch da schon immer angesagt, nur kannte man diesen Slogan noch nicht.

Bevor es soweit war, musste ich mich selbstverständlich auch hinter Jene anstellen, die früher gekommen waren. So hatte ich Zeit, die Mitfahrer zu beobachten. Die meisten waren braungebrannte Touristen, die sehr ungeduldig waren und ständig an ihren Autos irgendetwas zu suchen schienen. Manche dösten oder schliefen. Andere stritten sich leise mit ihren Beifahrern, Kindern oder Ehepartnern.

Vor mir stand ein älterer aufgemotzter Mercedes mit belgischen Kennzeichen, der innen und außen äußerst unsauber war. Der dazu passende Fahrer war ein sehr grell und auffallend angezogener Flame. Massiv, mit öligen blonden Haaren, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren, der einige Zentimeter über seinen Hemdkragen hing. Ständig suchte er Kontakt. Das gelang ihm auch prächtig. Er wanderte zwischen den Fahrzeugen umher, unterhielt sich kurz mit den umherstehenden Leuten, um den Wartenden auf die Nerven zu gehen. So kam er irgendwann auch zu mir. Seine Art zu sprechen überraschte mich etwas, weil ich die üblichen Phrasen erwartet hatte. Doch er erzählte gleich von sich und seinen Erfahrungen als Autohändler. Wie man doch aufpassen müsste, um nicht betrogen zu werden. So konnte ich erfahren, dass er Autos nach Marokko, Tunesien und Algerien verkaufte.

Irgendwann waren, bis auf ein Fahrzeug, alle Autos auf, oder besser, in dem Schiff verstaut. Dieses letzte Gefährt war ein Bentley der teuersten Klasse mit holländischem Kennzeichen und deshalb besonders sorgsam zu verladen. Ich konnte noch sehen, wie der Fahrer, ein groß gewachsener blonder Herr Mitte Dreißig und sehr gepflegt, dem Lademeister einen Hundertguldenschein zusteckte. Das zeigte gleich Wirkung. Ganz liebevoll hievten die Seeleute das Prachtstück auf das Deck. Das hatte schon etwas Königliches, da oben! Dieser Mann ging an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

Nach einer kurzen Zeitspanne waren wir auf hoher See und man dachte an das Abendessen. Ich suchte mir einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen. Während mir der Steward mein Bier brachte, stand der bunte, stiernackige Flame schon am Tisch. Er zog den zweiten Stuhl nach außen, dabei fragte er: „Sie gestatten?“ Was sollte ich da sagen? Ich nickte nur und nahm gleich einen großen Schluck von dem viel zu kalten Gesöff.

Der Mann lachte laut und lobte das bayerische Bier und die Gegend um Berchtesgaden. Dann erklärte er mir den Unterschied zwischen den Bayern und den übrigen Deutschen. Er meinte, dass die Bayern ihre internen Probleme nicht über Polizei und Gericht erledigten, sondern untereinander. Erstaunlicherweise ging er mir wieder nicht auf die Nerven, obwohl seine geräuschvolle Art etwas störend war. Andererseits waren die Motorengeräusche auch unüberhörbar, deswegen sprach er vermutlich auch besonders laut. Doch sein Lachen übertönte alles und es war etwas unangenehm, denn andere Leute wollten vielleicht in Ruhe ihr Essen einnehmen.

Dann fragte er mich doch, was ich denn täte. Ich verharrte einen Moment, legte die Gabel zur Seite. Das war so ein Augenblick, in dem vermutlich die Intuition, oder wie man auch sagt, das Bauchgefühl die Antwort vorgibt und man selbst gar keinen großen Einfluss auf die Antwort zu haben scheint. Wie aus der Pistole geschossen sagte ich ganz selbstverständlich: „Ich bin Maler und fälsche Bilder.“

Idiotisch, ich weiß! Aber in diesem Moment veränderte sich dieser Mann blitzartig. Er sah mich einige Sekunden an und erwiderte mit fast leiser Stimme: „Das ist ja interessant, machst du das so richtig profimäßig?“ Ich musste jetzt weiter lügen. Deshalb sagte ich etwas gelangweilt: „Na ja, ich fahre ja deshalb nach München, vielleicht weißt du, dass dort sehr gute, gewiefte Kunsthändler sind? Doch reden wir jetzt hier lieber nicht darüber!“ Er hatte Verständnis und so konnte ich das Gespräch zu meinem Broterwerb beenden, ohne weitere „Geschichten“ erzählen zu müssen. Während wir das Thema änderten und über das Schiff lästerten, kam der vornehme holländische Herr in das Restaurant. Spazierte, ohne uns nur anzuschauen, an einen Tisch und las in irgendeiner Zeitung.