Siedler-Serie, Band 1–8 - Janette Oke - E-Book

Siedler-Serie, Band 1–8 E-Book

Janette Oke

0,0

Beschreibung

Band 1: Nach dem Verlust ihres Mannes muss die schwangere Marty allein den Sprung in ein neues Leben wagen. Das ungewöhnliche Angebot des Farmers Clark Davis eröffnet ihr eine neue Perspektive. Zögernd lässt sie sich auf das Leben an seiner Seite ein - und erkennt, dass es auch für sie eine hoffungsvolle Zukunft gibt. Band 2: Clark und Marty kämpfen für ihre wachsende Familie und die Gemeinschaft. Der Glaube an Gott, Zusammenhalt und der Wille, das Unmögliche zu schaffen, geben ihnen die nötige Kraft, um die Herausforderungen des beschwerlichen Farmlebens zu meistern. Eine ergreifende Geschichte über den Mut, gemeinsam neue Wege zu beschreiten. Band 3: Missie und Willie verlassen voller Träume die Heimat, um im Westen ein neues Leben zu beginnen. Doch Heimweh und die Herausforderungen der Wildnis setzen ihnen zu. Kann Missie in dieser rauen Umgebung wirklich glücklich werden? Band 4: Das ersehnte Wiedersehen mit ihrer Tochter Missie wird für Marty und Clark von einem schweren Unglück überschattet. Ein dramatischer Wettlauf gegen die Zeit beginnt, als Clark in einem Minenunglück in Lebensgefahr gerät. Band 5: Als Marty erneut schwanger wird, ahnt niemand, dass auch Dunkelheit ins Leben der Familie tritt: Lukes Frau Kate verliert ihr Baby. Im Angesicht des Leids wird ihr Gottvertrauen auf eine harte Probe gestellt. Band 6: Belinda, die jüngste Tochter der Familie Davis, pflegt die Kranken - und verliert dabei fast ihr Herz an denselben Mann wie ihre Freundinnen. Eifersucht, Sehnsucht und ein neuer Weg bestimmen ihr Leben. Band 7: Auf der Suche nach Erfüllung geht Belinda nach Boston. Doch das Großstadtleben bringt mehr Leere als Glück mit sich. Wird sie erkennen, was sie wirklich braucht, um innere Zufriedenheit zu finden? Band 8: In Boston merkt Belinda, dass Reichtum allein nicht glücklich macht. Erst als sie Gott in den Mittelpunkt stellt, findet sie Frieden und den Mut, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 2588

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

 

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

 

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.

 

Die amerikanischen Originalausgaben erschienen im Verlag Bethany House Publishers unter den Titeln

„Love Comes Softly“ (© 1979 by Janette Oke)

„Love’s Enduring Promise“ (© 1980 by Janette Oke)

„Love’s Long Journey“ (© 1982 by Janette Oke)

„Love’s Abiding Joy“ (© 1983 by Janette Oke)

„Love’s Unending Legacy“ (© 1984 by Janette Oke)

„Love’s Unfolding Dreams“ (© 1987 by Janette Oke)

„Love Takes Wings“ (© 1988 by Janette Oke)

„Love Finds a Home“ (© 1989 by Janette Oke)

 

© der deutschen Ausgaben 1984–1990 Gerth Medien

in der SCM Verlagsgruppe GmbH

Berliner Ring 62, 35576 Wetzlar

 

Erschienen im Februar 2025

ISBN 978-3-96122-716-7

 

Umschlaggestaltung: Gert Wagner unter Verwendung bildgebender Generatoren

Erstellung E-Book: Uhl + Massopust, Aalen

 

www.gerth.de

Über die Autorin

Janette Oke wurde 1935 auf einer Farm in Alberta, Kanada, geboren. Sie ist Mutter von vier erwachsenen Kindern. Mit ihrem Ehemann Edward wohnt sie in Alberta, nahe der Farm ihrer Eltern, die zu einem Museum umgerüstet wurde.

Janette Oke

Liebe wächst wie ein Baum

Die Siedlerserie, Band 1Aus dem Amerikanischen von Beate Peter

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.Die amerikanische Originalausgabe erschien im Verlag Bethany House Publishers unter dem Titel „Love Comes Softly“ (© 1979 by Janette Oke)

© der deutschen Ausgabe 1984 Gerth Medien

in der SCM Verlagsgruppe GmbH

Berliner Ring 62, 35576 WetzlarErschienen im Februar 2025

ISBN 978-3-96122-708-2Umschlaggestaltung: Gert Wagner unter Verwendung bildgebender Generatoren

Erstellung E-Book: Uhl + Massopust, Aalenwww.gerth.de

Es ist ein Schnitter

Die beinahe grellen Strahlen der Morgensonne verhießen einen ungewöhnlich warmen Oktobertag. Mühsam wachte Marty nach einem unruhigen, von Albträumen gequälten Schlaf auf. Was war nur mit ihr los? Sie begrüßte doch sonst jeden neuen Tag voller Schwung und Abenteuerlust! Langsam kam ihr alles wieder zum Bewusstsein und sie ließ sich voller Schmerz auf ihr Lager zurückfallen. Ihr schmaler Körper wurde von Schluchzen geschüttelt.

Clem war nicht mehr bei ihr! Der starke, fröhliche, jungenhafte Clem, der ihr Herz so stürmisch erobert hatte. Es waren nicht einmal zwei Jahre her, dass sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. So selbstsicher war er aufgetreten, dass er beinahe großtuerisch gewirkt hatte. Vierzehn kurze Monate später war sie eine verheiratete Frau auf dem Weg nach Westen an der Seite des Mannes, den sie über alles liebte – bis gestern, als ihre ganze Welt zusammenbrach.

Gestern waren ein paar Männer zu ihr an den Planwagen gekommen und hatten ihr ohne große Umschweife berichtet, Clem sei tot. Sein Pferd war gestürzt. Er war gleich tot gewesen. Das Pferd hatten sie erschießen müssen. Ob sie mitkommen wollte?

Nein, sie würde hier bleiben.

Sollte einer von ihnen seine Frau zu ihr rüberschicken?

Nein, sie würde schon allein zurechtkommen.

Sie würden die Leiche versorgen. Die Frauen verstanden etwas davon. Die Nachbarn würden dann die Beerdigung vorbereiten. Zum Glück im Unglück war der Pastor gerade in der Gegend. Er hatte eigentlich heute weiterreisen wollen, aber bestimmt würde er einen Tag länger bleiben. Wollte sie wirklich nicht mitkommen?

Nein, nein, sie wollte lieber hier bleiben.

Aber sie war doch ganz allein.

Das war schon recht. Sie wollte allein sein.

Also gut, dann würden sie morgen wiederkommen. Sie sollte sich nicht sorgen. Es würde schon alles in Ordnung gehen.

Vielen Dank. –

Und dann waren sie losgeritten und hatten ihren Clem mitgenommen. Sie hatten ihn, in eine Decke gewickelt, auf dem Pferd eines Nachbarn festgebunden. Der Nachbar hatte das Pferd vorsichtig am Zaumzeug geführt.

Und jetzt war es Morgen, und die Sonne schien hell. Warum schien die Sonne bloß? Warum stimmte die ganze Natur nicht in die düstere Kälte ein, die ihr Herz frösteln ließ?

„O Clem! Clem!“, rief sie verzweifelt. „Was soll ich jetzt bloß anfangen?“

Es kam ihr nicht einmal in den Sinn, dass sie mitten im Herbst mutterseelenallein hier im rauen Westen war, dass es kein Zurück für sie gab, dass sie keinen Menschen kannte und dass sie Clems Baby unter ihrem Herzen trug. Ihr ganzes Denken und Fühlen war nur ein einziger dumpfer Schmerz.

Clem war so begeistert nach Westen losgezogen. „Dort im Westen gibt’s alles, was das Herz begehrt! Land kann sich jeder nehmen, so viel er will.“

„Ja, aber die wilden Tiere? Und die Indianer?“, hatte sie bange gefragt.

Er hatte sie bloß ausgelacht und sie mit seinen starken Armen durch die Luft gewirbelt.

„Und ’n Haus haben wir auch nicht. Bis wir da sind, ist es doch fast Winter!“

„Dazu gibt’s doch Nachbarn. Ich hab gehört, da draußen hilft einer dem andern.“

Und das hätten sie auch getan. Sie hätten sogar notfalls ihre reife Ernte stehen und liegen gelassen, um einem Neuling tatkräftig zu helfen, weil sie nämlich die eisigen Winde und Schneestürme des strengen Winters am eigenen Leibe erfahren hatten.

„Es wird schon alles gut werden. Zerbrich dir nur nicht den Kopf!“, hatte Clem zuversichtlich gesagt.

Sie hatten an einem Farmhaus hier in der Nähe angehalten, um sich nach den örtlichen Bodenverhältnissen zu erkundigen. Bei einer dampfenden Tasse Kaffee hatte der freundliche Farmer ihnen erklärt, dass er das Land bis unten an den Fluss bewirtschaftete, aber dass das fruchtbare Land dahinter bis hin zu den Bergen noch niemandem gehörte. Clem hätte am liebsten einen Luftsprung gemacht. Der bloße Gedanke, seinem Traum so nahe zu sein, wollte seine Begeisterung schier übersprudeln lassen. Voller Aufregung trieb er die Pferde zur Eile an, doch der mehrmals geflickte Wagen konnte dem Tempo nicht standhalten. Kurz vor dem Ziel brach ein Rad, und es sah so aus, als sei der Wagen jetzt endgültig nicht mehr zu reparieren.

Sie hatten an Ort und Stelle ein Lager für die Nacht aufgeschlagen. Clem hatte Steine und Aststücke unter dem Wagen aufgeschichtet, um ihn halbwegs gerade zu halten. Zu allem Unglück mussten sie am nächsten Morgen entdecken, dass eins der beiden Pferde sich über Nacht losgerissen hatte und davongelaufen war. Sein durchgerissener Zügel hing lose an dem Baum, an dem Clem es angebunden hatte. Auf dem anderen Pferd war Clem dann losgeritten, um Hilfe zu holen, und jetzt würde er nie wiederkommen! Kein Stück Land würde je seinen Namen tragen. Er war nicht einmal dazu gekommen, sein eigenes Haus zu bauen.

Geräusche von draußen rissen sie aus ihren Gedanken. Mit tränenverschleierten Augen lugte sie unter der Plane hervor. Vier Männer mit ernsten Gesichtern schaufelten in der Erde unter der größten Fichte ein Loch. Erneut brach der Schmerz in ihr auf. Clems Grab! Was die Männer da aushoben, war Clems Grab! Sie hatte nicht geträumt. Es war alles wahr. Clem war tot. Sie war allein und jetzt sollte ihr Clem auf geborgtem Boden begraben werden.

„O Clem, was mach ich bloß?“

Sie weinte sich aus, bis keine Tränen mehr kamen. Die Männer schaufelten noch immer. Jedes Scharren versetzte ihrem Herzen einen neuen Hieb.

Auf einmal hörte sie mehr Stimmen. Das mussten die anderen Nachbarn sein. Wenn sie sich nur zusammenreißen konnte! Clem würde sich sonst für sie geschämt haben.

Sie stand von ihrem Lager auf, strich sich über das zerzauste Haar und zog ihr dunkelblaues Überkleid an. Das schien ihr das einzig angemessene Kleid zu sein. Ein besseres hatte sie nicht. Mit einem Handtuch und einem Kamm in der Hand kletterte sie vom Wagen und ging zum Brunnen hinüber, um sich das rot geweinte Gesicht zu kühlen und ihr wirres Haar in Ordnung zu bringen. Dann straffte sie die Schultern, hob den Kopf und ging ihren neuen Nachbarn entgegen.

Alle zeigten ihr stille Anteilnahme. Marty spürte es. Das war kein gespieltes Mitleid, sondern ein aufrichtiges Verstehen. So war es im Westen. Das Leben war nicht einfach hier. Fast jeder der Nachbarn hatte selbst einmal Schweres erlebt. Man ließ sich durch so etwas nicht unterkriegen; man durfte sich einfach nicht unterkriegen lassen. Das Leben ging weiter. Für Gefühlsduselei hatte hier niemand weder Zeit noch Kraft. Mit den schweren Zeiten musste man irgendwie fertig werden. Der Tod war etwas ganz Natürliches, und wenn es auch nicht leicht war, musste man sich aufraffen und weitergehen.

Der Reiseprediger hielt die Grabrede. Er sagte etwas von trauernden Hinterbliebenen, die in diesem Fall aus einer einsamen, schmalen Person und ihrem ungeborenen Kind bestanden.

Der Prediger sprach Worte des Trostes und der Ermutigung. Die Nachbarn hörten in stillem Mitgefühl zu. Jeder von ihnen hatte irgendwann einmal ähnliche Worte gehört. Nach der kurzen Grabrede drehte sich Marty um und ging zum Wagen zurück, während die vier Männer mit den Schaufeln Erde auf den einfachen Holzsarg häuften. Mehrere Nachbarn hatten die halbe Nacht damit zugebracht, Clems Sarg zu tischlern. Als Marty gerade im Gehen begriffen war, trat eine der Frauen auf sie zu und legte ihr die Hand auf die Schulter.

„Ich bin Wanda Marshall“, sagte sie. „Wir haben zwar nur ein Zimmer, aber Sie können gern für ein paar Tage bei uns wohnen, damit Sie nicht so alleine sind.“

„Vielen Dank“, antwortete Marty kaum hörbar, „aber ich will Ihnen nicht zur Last fallen. Ich glaub, ich bleib einfach erst mal hier in dem Wagen. Außerdem brauch ich Zeit zum Nachdenken.“

„Ja, das kann ich gut verstehen“, sagte die Frau und ging weiter.

Marty hatte ihren Wagen noch nicht erreicht, als die weiche Hand einer älteren Frau sich ihr entgegenstreckte.

„Ist nicht einfach, so was! Hab ich selbst mal durchmachen müssen. Hab meinen ersten Mann vor Jahren auch unter die Erde bringen müssen.“

Sie hielt inne, bevor sie weitersprach.

„Sie haben sich bestimmt noch keine Gedanken gemacht, wie’s jetzt weitergehen soll, oder?“

Wortlos schüttelte Marty den Kopf.

„’ne Schlafstelle kann ich Ihnen nicht bieten; unser Haus ist voll bis unters Dach. Aber was zu essen, das können Sie bei uns kriegen. Wenn Sie Ihren Wagen neben unser Haus stellen wollen, helfen wir Ihnen gern mit Ihren Sachen, und mein Ben, Ben Graham heißt er, der bringt Sie dann in die Stadt, wenn Sie so weit sind.“

„Danke“, sagte Marty leise, „aber ich glaub, ich bleib fürs Erste hier.“

Wie hätte sie auch gestehen können, dass sie keinen blanken Heller in der Tasche hatte und dass sie sich ohne Geld in der Stadt keinen einzigen Tag halten konnte? Und wer würde schon eine junge, ungelernte Frau in ihren Umständen einstellen? Gab es überhaupt eine Zukunft für sie?

Ihre bleischweren Beine trugen sie zum Wagen. Sie hob die Plane und kletterte unter das Verdeck. Am liebsten hätte sie sich vor aller Welt verkrochen, um nur ja nie wieder einer Menschenseele begegnen zu müssen.

Es wurde Mittag. Die glühende Hitze legte sich wie eine schwere Decke auf sie. Alles drehte sich vor ihren Augen. Schließlich kletterte sie wieder aus dem Wagen und setzte sich ins Gras neben das zerborstene Rad. Die ganze Welt erschien ihr so trügerisch, unwirklich; dann schlug der dumpfe, lähmende Schmerz wieder wie eine Ozeanwelle über ihrem Kopf zusammen. Verzweifelt versuchte sie, Klarheit in ihre Gedanken zu bringen, als eine Stimme sie plötzlich aufschreckte.

„Ma’am.“

Sie sah auf. Vor ihr stand ein hochgewachsener Mann. Verlegen drehte er seinen Hut in seinen braun gebrannten Händen. Sie erkannte ihn als einen der Nachbarn, die das Grab ausgehoben hatten. Er war breitschultrig, und aus seinen Augen sprach eine Weisheit und Einsicht, die den jungen Gesichtszügen zu widersprechen schienen. Sie sah ihn einfach nur an, ohne seine Anrede zu erwidern.

„Ma’am, ich weiß, jetzt ist nicht die beste Zeit für so was, wo Ihr Mann kaum unter der Erde ist, aber ich kann’s mir nicht leisten, auf ’ne andere Gelegenheit zu warten.“

Er räusperte sich und sah ihr ins Gesicht.

„Übrigens, ich heiße Clark Davis“, beeilte er sich zu sagen, „und ich meine, Sie und ich könnten einander jetzt gut gebrauchen.“

Marty holte tief Luft, aber er hob die Hand und sprach schnell weiter.

„Einen Augenblick!“, sagte er bestimmt. „Das ist ganz natürlich. Sie haben Ihren Mann verloren und jetzt stehen Sie ganz allein da.“

Er warf einen Blick auf das zerborstene Wagenrad.

„Geld haben Sie sicher auch keins, um zu Ihren Eltern zurückzufahren – falls Sie überhaupt noch Eltern haben, heißt das. Und selbst dann geht bis zum Frühjahr kein Treck mehr in Richtung Osten. Und ich, ich bin auch nicht viel besser dran.“

Er hielt inne und schaute auf seinen Hut, den er zwischen den Händen drehte. Dann sah er sie wieder an und sprach weiter.

„Ich hab ’n kleines Mädchen – fast noch ’n Baby –, und das braucht ’ne Mama. Also, ich dachte, wenn Sie mich heiraten“ – er beugte sich zu ihr herunter und sah ihr geradewegs in die Augen –, „dann wär uns beiden geholfen. Ich hätte Ihnen gern mehr Zeit gelassen, aber der Prediger reist morgen weiter. Kommt erst im April oder Mai wieder. Deshalb muss es heute sein!“

Martys Augen standen weit offen vor Entsetzen. „Ich weiß, ich weiß“, warf er ein, „’s kommt alles ’n bisschen schnell, aber was bleibt uns schon anderes übrig?“

Ja, allerdings!, dachte Marty mit ihrem schwindeligen Kopf, was bleibt schon anderes übrig? Lieber sterb ich! Lieber sterb ich, als dass ich Sie heirate! Ich will nie wieder ’nen Mann sehen. Machen Sie bloß, dass Sie wegkommen!

Aber er schien ihre Gedanken nicht zu erraten.

„Ich hab mich schwergetan, meiner Missie Mama und Pa zugleich zu sein, aber die viele Feldarbeit tut sich auch nicht von allein. Ich hab ’n ordentliches Stück Land und ’n Häuschen drauf, klein, aber gemütlich, und ich könnte Ihnen alles, was ’ne Frau so zum Leben braucht, bieten, wenn Sie sich dafür um meine Missie kümmern. Sie werden sie mögen. ’s ist ’n nettes kleines Ding.“

Er machte eine Pause und zog tief die Luft ein.

„Sie braucht ’ne Mutter, meine Missie. Mehr verlang ich gar nicht von Ihnen, Ma’am, als dass Sie Missies Mama sind. Weiter nichts. Sie und Missie können das Schlafzimmer haben. Ich zieh dann in den Anbau. Und …“ Er zögerte einen Moment lang. „Und außerdem versprech ich Ihnen das eine: Mit dem nächsten Treck können Sie wieder nach Osten fahren, wenn Sie sich bei mir nicht wohlfühlen. Ich bezahl Ihnen die Überlandkutsche zu Ihrer Familie. Nur eine Bedingung hab ich, und zwar, dass Sie Missie mitnehmen. Ist einfach nicht fair, dass so ’n armes kleines Ding keine Mama hat.“

Unvermittelt stand er auf.

„So, jetzt lass ich Sie allein, damit Sie sich’s in Ruhe überlegen können. Viel Zeit haben wir nicht mehr.“

Er drehte sich um und ging. An seinen gesenkten Schultern konnte sie sehen, wie viel Überwindung ihn seine Worte gekostet hatten. Trotzdem war sie fassungslos vor Zorn. Was für eine grobe Unverschämtheit, einer Frau, die gerade ihren Mann verloren hat, einen Heiratsantrag zu machen! Lieber würde sie sterben! Der Tod war besser als so etwas!

Aber Clems Baby? Nein, das Baby sollte nicht sterben. Das wollte sie nicht. Ach, sie wusste nicht mehr ein noch aus. Sie hatte nichts und niemanden hier in diesem gottverlassenen Westen. Ihre Eltern und alle ihre Freundinnen waren weit, weit weg. Sie war mutterseelenallein. Dieser Rohling von einem Mann hatte recht: Sie war auf ihn angewiesen und sie hasste ihn dafür.

„Dieser elende Westen! Wär ich doch bloß nie hierher gekommen! Und dieser Grobian! Wie ich ihn hasse!“

So sehr sie aber auch innerlich tobte, im Grunde wusste sie genau, dass sie keine andere Wahl hatte.

Schließlich wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und stand auf. Nie im Leben würde sie hier im grünen Gras darauf warten, dass er in seiner großzügigen Art wiederkam, um sich nach ihrer Entscheidung zu erkundigen. Trotzig kletterte sie auf den Wagen und machte sich daran, ihr spärliches Hab und Gut zusammenzupacken.

Eine Mama für Missie

Schweigend saßen sie nebeneinander auf seinem Wagen. Der Prediger war nach der Beerdigung zu den Grahams zum Essen gegangen. Missie war auch dort, damit die älteren Mädchen auf sie aufpassen konnten, während ihr Pa bei der Beerdigung war. Gleich würden sie sich vom Pastor trauen lassen, Missie abholen und dann zum Gehöft fahren. Marty saß stumm und wie gelähmt da. Der leichte Fahrtwind blies ihr das wirre Haar in ihr heißes Gesicht. Clark Davis sah sie besorgt von der Seite an.

„Wir sind gleich da. Ist mächtig heiß heute. Sie könnten ’ne Sonnenhaube gebrauchen.“

Sie starrte wortlos vor sich hin. Die Sonne schien ihr also auf den Kopf. Na, wenn schon! Es gab ohnehin nichts Schlimmeres mehr auf der Welt, das ihr jetzt noch zustoßen könnte. Sie sah schnell zur Seite, damit er ihre aufsteigenden Tränen nicht bemerkte. Von diesem herzlosen Menschen, der da neben ihr saß, wollte sie kein Mitleid.

Die Pferde trotteten mühsam vorwärts. Marty taten alle Glieder weh von dem Rütteln und Schütteln des Wagens auf der staubigen, zerfurchten Straße.

Endlich tauchte das Gehöft der Grahams am Fuß einiger sanften Hügel auf. Sie fuhren in den Hof hinein. Der Mann sprang vom Wagen und reichte ihr die Hand. Sie war zu benommen, um seine Hilfe auszuschlagen. Wenn sie allein vom Wagen geklettert wäre, befürchtete sie, wäre sie flach auf der Erde gelandet. Er hob sie mühelos vom Wagen und stellte sie sicher auf ihre Füße, bevor er sie losließ. Dann machte er die Zügel fest und ließ sie vor sich ins Haus gehen.

Sie war viel zu betäubt, um wahrzunehmen, was um sie her geschah. Später konnte sie sich nur noch daran erinnern, wie eine überraschte Frau ihnen die Tür öffnete und verwundert von einem zum andern sah. Innen warteten mehrere Leute offensichtlich auf das Mittagessen. In einer Ecke sah sie den Prediger mit einem Mann sitzen. Der Mann war wohl Ben Graham. Das Haus schien voller Kinder zu sein. Sie versuchte nicht einmal, sie zu zählen. Clark Davis erklärte Mrs Graham, dem Pastor und Ben den Grund ihres Kommens.

„Wir haben uns gedacht –“

„Was heißt hier: wir?“, wollte sie aufbrausen. „Sie meinen wohl: ich! –“

„Wir haben uns gedacht, wir wollten schnell heiraten, bevor der Prediger weiterzieht. Mrs Claridge hier braucht ’n Dach über dem Kopf und Missie braucht ’ne Mama.“

Wie durch dichten Nebel hörte sie Mrs Graham sagen: „Das ist auch das einzig Vernünftige“, und der Prediger schloss sich an: „Ja, ja, natürlich.“

Tisch und Stühle wurden beiseitegeräumt, und bevor sie wusste, wie ihr geschah, hörte sie den Prediger seine kurze Traurede halten. Irgendwie musste sie das Jawort an der richtigen Stelle herausgebracht haben, denn anschließend erklärte der Prediger sie und Clark Davis als „Mann und Frau“.

Wieder wurde umgeräumt. Mrs Graham deckte den Tisch und lud Marty und Clark zum Essen ein. Und dann saßen alle am Tisch. Die kleineren Kinder hatten schon gegessen, während die Erwachsenen bei der Beerdigung waren. Dem Dankgebet, das der Prediger sprach, folgte eine lebhafte Unterhaltung. Marty musste wohl etwas gegessen haben, obwohl sie sich später nicht mehr erinnern konnte, was es war. Sie reagierte auf alles mechanisch wie eine Marionettenpuppe, die ungelenk an langen Fäden tanzt.

Und wieder geriet alles um sie herum in Bewegung. Der Prediger nahm sein Essenspaket für unterwegs in Empfang und verabschiedete sich. Einer von den älteren Jungen holte sein Pferd aus dem Stall. Bevor der Prediger sich auf den Weg machte, ging er auf Marty zu, nahm ihre Hand in die seine und wünschte ihr mit einfachen und aufrichtigen Worten den Segen und die Kraft Gottes für die kommenden Wochen und Monate. Ben und Clark begleiteten ihn zu seinem Pferd, und Mrs Graham winkte ihm zum Abschied vom Haus aus nach. Dann ritt er los und Mrs Graham ging ins Haus zurück. Die Männer traten an den Zaun, um Clarks Gespann loszumachen.

„Sally Anne, weck Missie und mach sie fertig! Laura und Nellie, ihr spült mir inzwischen das Geschirr!“

Daraufhin machte sie sich an ihrem Herd zu schaffen. Marty nahm das Treiben um sie her nur verschwommen wahr. Inmitten von allem Lärm und Trubel saß sie stumm und benommen da.

Nach einer Weile kam Sally Anne mit einem kleinen schlaftrunkenen Bündel wieder ins Zimmer. Marty sah nichts als tiefblaue Augen und ein verschlafenes, aber freundliches Lächeln in dem kleinen Gesicht. Das muss wohl Missie sein, dachte sie teilnahmslos. Sie hatte recht. Als Clark in dem Moment zur Tür hereinkam, jauchzte die Kleine vor Freude auf und streckte ihm die Ärmchen entgegen. Er hob sie auf und drückte sie an sich. Dann dankte er den Gastgebern und sagte zu Marty, es sei an der Zeit, nach Hause zu fahren.

Mrs Graham begleitete sie zu ihrem Wagen. Mit keinem Wort erwähnte sie die Hochzeit. Überhaupt hatte niemand ihr irgendwelche Glückwünsche ausgesprochen. Darüber war Marty erleichtert. Ein falsches Wort, auch wenn es noch so gut gemeint war, hätte sie um ihre Fassung gebracht, das wusste sie genau. Zum Glück war kein einziges Wort über die Trauung gefallen. Diese einfachen Leute hier im Westen waren einfühlsame Menschen.

Die beiden Frauen verabschiedeten sich schlicht und als neue Nachbarinnen voneinander, doch Mrs Grahams Worte kamen von Herzen, als sie sagte: „In ’n paar Tagen, wenn Sie sich ’n bisschen eingelebt haben, komm ich mal rüber. Bin ja froh, dass ich endlich jemanden zum Plaudern in der Nachbarschaft hab!“

Marty bedankte sich und das Gespann zog an. Vor ihnen lag wieder die heiße, staubige Straße.

„Da ist es – da drüben!“

Marty schreckte aus ihren Gedanken auf. Ihre Augen folgten Clarks ausgestrecktem Arm.

Von Bäumen nach Norden hin geschützt und neben einer kleinen Bodenerhebung lag das Gehöft, das dem Mann an ihrer Seite gehörte. Ein Stück abseits von den Feldern stand ein kleines, aber wohnliches Haus mit einem Brunnen davor und einem Garten daneben. Ein paar Sträucher zierten den Pfad zur Haustür, und sogar aus der Entfernung konnte Marty die Farben der Herbstblumen erkennen.

Auf der einen Seite war ein wind- und wetterfester Stall für die Pferde und das Vieh. Dahinter, inmitten einer kleinen Baumgruppe, stand der Schweinestall. Zwischen all diesen Gebäuden verstreut standen ein Hühnerstall und mehrere andere kleine Holzschuppen. Sie würde sich wohl bald mit jedem einzelnen Gebäude vertraut machen müssen. Im Moment war sie jedoch viel zu erschöpft, um sich weiter dafür zu interessieren.

„Sieht ja richtig gut aus“, murmelte sie beinahe gegen ihren Willen. Irgendwie sah das Gehöft so sehr dem ähnlich, von dem sie und Clem geträumt hatten, dass sie plötzlich wieder ein Schluchzen abschütteln musste. Sie fiel in ihr Schweigen zurück und war froh, dass Missie in ihrer freudigen Aufregung beim Anblick ihres Zuhauses die ganze Aufmerksamkeit ihres Vaters in Anspruch nahm.

Als sie vor dem Häuschen anhielten, kam ihnen ein Hund entgegengelaufen und begrüßte Clark und Missie stürmisch.

Clark half Marty vom Wagen. „Am besten gehen Sie gleich schnurstracks ins Haus, damit Sie aus der heißen Sonne kommen“, sagte er besorgt. „Wenn Sie sich hinlegen wollen, das Schlafzimmer ist gleich hinter dem Wohnzimmer. Ich kümmer mich dann schon um Missie und alles andere. Fürs Feld ist es jetzt sowieso zu spät.“

Er hielt ihr die Tür offen und ließ sie in das fremde Haus eintreten, das von jetzt an ihr Zuhause sein sollte. Dann nahm er Missie bei der Hand und folgte ihr.

Sie sah sich nicht einmal im Hausinnern um, sondern ging geradewegs auf das Schlafzimmer zu. Sie spürte, dass sie sich nicht mehr lange auf den Beinen halten konnte. Vor dem sauber gemachten Bett zog sie nur ihre Schuhe aus, bevor sie sich darauffallen ließ. Im Haus war es kühler als draußen. Die Müdigkeit übermannte sie. Sie weinte noch ein paar Minuten; dann sank sie in einen tiefen, aber unruhigen Schlaf.

Der Ehevertrag

Marty schreckte aus ihrem Schlaf. Draußen war es ja schon fast dunkel! Der Duft von Kaffee und gebratenem Speck hing in der Luft. Jetzt erst spürte sie, wie hungrig sie war. Missies fröhliches Plappern drang von der Küche her ins Schlafzimmer, und plötzlich wusste sie wieder, wo sie war. Schnell stieg sie aus dem Bett, schlüpfte in ihre Schuhe und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Sie sah bestimmt furchtbar zerzaust aus, aber wen kümmerte das schon! Neben der Kommode fand sie zu ihrer Überraschung ihre Truhe vor. Alles, was sie besaß, befand sich in dieser Truhe.

Sie öffnete den Deckel, zog eine Haarbürste hervor und strich sich damit durch ihr Haar. Dann band sie es mit einer Schleife auf dem Hinterkopf zusammen. So sah sie schon etwas manierlicher aus, hoffte sie. Sie strich sich das zerknitterte Kleid glatt und machte sich daran, den köstlichen Küchendüften nachzugehen.

Clark warf ihr einen fragenden Blick zu, als sie die Küche betrat, und deutete dann auf einen Stuhl am Tisch.

„Mit meinen Kochkünsten ist’s nicht weit her“, erklärte er, „aber zum Sattwerden wird’s wohl langen.“

Marty setzte sich und Clark stellte einen Teller mit Pfannkuchen vor sie auf den Tisch. Dann ging er an den Herd zurück, um die dampfende Kaffeekanne zu holen. Eigentlich wäre das ja jetzt ihre Aufgabe gewesen, dachte sie betreten. Von jetzt an würde sie ihre Arbeit pflichtgemäß erledigen.

Clark setzte sich zu ihr an den Tisch. Sie wollte sich gerade einen Pfannkuchen auf den Teller nehmen, als Clarks Stimme sie unterbrach: „Himmlischer Vater, wir danken dir für diese guten Sachen, die du uns geschenkt hast. Sei doch mit dieser jungen Frau hier und gib ihr deinen Trost. Segne dieses Haus und alle, die darin wohnen. Amen.“

Marty starrte ihn an, wie er mit geschlossenen Augen zu einem Gott betete, den sie weder sehen noch hören konnte – und dabei war er nicht einmal Prediger! Klar, sie hatte schon öfters von Leuten gehört, die einen Gott außerhalb der Kirche hatten, eine Religion, die über Hochzeiten und Beerdigungen hinausreichte, aber sie hatte noch nie so jemanden mit eigenen Augen gesehen. Eigentlich war es ihr auch lieber gewesen. Nun, er hatte also einen Gott. Hatte der ihm vielleicht viel genützt? Er hatte immerhin noch jemand anders für seine Missie gebraucht, oder? Da schien ihm sein Gott keine große Hilfe gewesen zu sein. Na, ihr sollte es jedenfalls gleich sein. Wenn sie sich nicht irrte, hielten die Leute, die so einen Gott hatten, nichts vom Trinken und waren gut zu ihren Frauen. Mit etwas Glück würden ihr solche Sorgen schon einmal erspart bleiben. Plötzlich stieg eine neue Woge der Verzweiflung in ihr auf. Sie wusste absolut nichts über diesen Mann, der ihr da am Tisch gegenübersaß. Wer wusste, was er für ein Mensch war? Vielleicht würde sie eines Tages heilfroh darüber sein, dass er so religiös war. Das konnte ihr noch manchen Kummer ersparen.

„Haben Sie denn keinen Hunger?“

Seine Worte ließen sie zusammenfahren. Sie hatte in Gedanken versunken dagesessen.

„Doch, sicher“, stotterte sie und nahm den Teller, den er ihr reichte.

Missie aß mit einem für so eine kleine Person überraschenden Appetit, während sie fröhlich mit ihrem Pa plauderte. Hier und da schien Marty ein Wort in ihrem Plappern zu erkennen, aber sie gab sich keine besondere Mühe zu verstehen, was das Kind sagte.

Nach dem Essen erbot sich Marty, das Geschirr zu spülen. Clark nickte und sagte, er würde dann Missie zu Bett bringen. Er zeigte ihr, wo die Geschirrtücher waren, und begann, Missie auszuziehen und zum Schlafengehen fertig zu machen.

Marty machte sich an die Arbeit. Als sie die Türen und Schubladen einer fremden, verstorbenen Frau öffnete, beschlich sie ein ungekanntes Schaudern. Sie musste sich einfach dazu zwingen, dieses Gefühl abzuschütteln. Schließlich hatte sie von jetzt an in dieser Küche als ihrer eigenen zu wirtschaften. Trotzdem konnte sie sich ihres Schauderns nicht ganz erwehren.

Sie schüttete das Spülwasser draußen bei einem Rosenbusch aus. Als sie wieder in die Küche kam, setzte Clark sich gerade an den Tisch.

„Sie schläft schon fest“, sagte er.

Marty hängte das Geschirrtuch zum Trocknen an den Haken. „Was mach ich nun?“, fragte sie sich, aber da sorgte er schon für den nächsten Schritt.

„Die Schubladen in der Kommode sind alle leer. Ich hab meine Sachen in den Anbau rübergeschafft. Sie können Ihre Sachen gleich einräumen, damit’s ’n bisschen gemütlicher für Sie wird. Fühlen Sie sich nur zu Hause hier. Wenn Sie irgendwas brauchen, machen Sie mir ’ne Liste. Samstags fahr ich nämlich meistens in die Stadt, um einzukaufen. Da kann ich Ihre Bestellung gleich mitbringen. Wenn Sie sich erst mal ’n bisschen eingelebt haben, vielleicht hätten Sie Lust, mal mitzukommen, damit Sie sich alles selbst aussuchen können.

So, jetzt ist’s aber Zeit zum Schlafengehen. War’n langer Tag heute. Ich weiß, das Leben ist im Moment nicht einfach für Sie. Missie und ich wollen’s Ihnen nicht schwerer machen, als es schon ist.“

Er machte eine kurze Pause, bevor er sie eindringlich ansah und dann weitersprach.

„Ich hab Sie nur geheiratet, damit Missie wieder ’ne Mama hat. Ich tät mich freuen, wenn sie Sie auch so nennen dürfte.“

Das klang beinahe wie ein Befehl. Marty spürte das deutlich und ihr Blick hielt dem seinen trotzig stand. Sie schwieg. Nun wusste sie also, was von ihr erwartet wurde. Er bot ihr ein Dach über dem Kopf und als Gegenleistung dafür hatte sie sein Kind zu versorgen. Sie wollte keine Almosen. Sie würde sich ihr Brot schon redlich verdienen. Jetzt war sie also Missies neue Mama. Ohne ein Wort drehte sie sich um und ging zum Schlafzimmer. Dort machte sie die Tür hinter sich zu und lehnte sich daran. Als sie innerlich ruhiger geworden war, trat sie an das Kinderbettchen. Die Petroleumlampe verbreitete ein sanftes Licht.

„Also gut, Missie“, flüsterte sie, „komm, wir schließen ’nen Friedensvertrag: Du wirst ’n artiges Mädchen, und ich tu mein Bestes, um dir ’ne gute Mama zu sein.“

Die Kleine sah so winzig und hilflos in ihrem Bettchen aus. Marty musste im Stillen denken, dass dieses kleine Wesen mit ihren nicht einmal zwei Jahren schon ein schweres Schicksal hatte hinnehmen müssen. Was hatte sie nur getan, dass sie ihre Mutter so früh verlieren musste? Marty spürte, wie ihr eigenes Kind sich in ihr regte. Sie legte eine Hand auf die Stelle, die langsam, fast unmerklich, von Tag zu Tag wuchs und bald der ganzen Welt zu wissen geben würde, dass sie eine werdende Mutter war. Was, wenn sie ihr eigenes Kind einmal mutterlos zurücklassen müsste? Der Gedanke versetzte sie in helles Entsetzen. Nochmals sah sie auf die schlafende Kleine mit den braunen Locken und dem Feengesichtchen hinunter. Etwas rührte sich in ihrem Herzen. Liebe war es nicht, aber es war ein Schritt in die richtige Richtung.

Am nächsten Morgen stand Marty auf, sobald sie Clark die Haustür hinter sich schließen hörte. Er ging nach draußen, um seine erste Stallrunde zu machen. Sie zog sich leise an, um Missie nicht zu wecken, und ging in die Küche. Sie war fest entschlossen, ihren Teil des Ehevertrags pflichtgemäß zu erfüllen. Sie würde sich das Dach über dem Kopf und das tägliche Brot schon redlich verdienen. Sie wollte keinem Mann etwas schuldig sein, und schon gar nicht diesem kaltherzigen Rohling, dessen Namen sie jetzt trug. Sie weigerte sich, ihn als ihren Ehemann anzuerkennen. Und was den Namen betraf, dachte sie, würde sie sich immer wieder bewusst daran erinnern müssen, dass sie jetzt nicht mehr Martha Claridge hieß, sondern Martha Davis. Ob es das Gesetz wohl erlaubte, dass sie ihren alten Namen einfach beibehielt? Bestimmt konnte niemand etwas dagegen einwenden, wenn sie sich Martha Lucinda Claridge Davis nannte. Plötzlich fiel ihr ein, dass ihr ungeborenes Kind automatisch Davis heißen würde.

„Oh nein!“, rief sie verzweifelt und verbarg das Gesicht in den Händen. „Nein, das will ich nicht! Mein Kind soll doch Clems Namen tragen!“

So sehr sie sich aber auch dagegen auflehnte, wusste sie im Grunde doch, dass sie sich auch hier geschlagen geben musste. Sie war mit diesem Mann verheiratet; daran war nichts mehr zu rütteln, und das Kind, das in diese Ehe hineingeboren werden würde, würde seinen Namen bekommen, auch wenn es hundertmal Clems Sohn war. Oh, wie sie diesen Mann hasste!

„Trotzdem kann mich keiner daran hindern, mein Baby mit Vornamen Claridge zu nennen“, sagte sie sich mit vor Zorn bebender Stimme. Sie wischte sich die Tränen mit dem Ärmel aus dem Gesicht, hob ihr Kinn trotzig in die Luft und machte sich an die Arbeit.

Das Feuer brannte schon in dem schwarzen Herd. Marty war froh, dass sie sich nicht auch noch damit plagen musste. Mit ihren anderen Aufgaben hatte sie schon mehr als genug zu kämpfen. Sie öffnete nacheinander alle Küchenschränke, bis sie unter den fest verschlossenen Konserven den Kaffee gefunden hatte. Wo die Kaffeekanne war, wusste sie zum Glück. Die hatte sie doch gestern Abend selbst gespült und weggestellt. Auf einem Schemel neben der Tür stand ein Eimer mit frischem Wasser, und es dauerte nicht lange, bis sie den Kaffee aufgesetzt hatte.

„Das hätten wir schon mal erledigt“, murmelte sie. „Und was nun?“

Nach einigem Suchen hatte sie die Zutaten für ein paar Pfannkuchen beisammen. Pfannkuchen konnte sie aus dem Stegreif backen. Clem und sie hatten sich unterwegs praktisch von Pfannkuchen ernährt; andere Lebensmittel hatten sie kaum zur Verfügung gehabt. Es würde nicht einfach für sie sein, vollständige Mahlzeiten zuzubereiten. Sie würde es halt lernen müssen. Zum Lernen war sie schließlich nicht zu dumm, oder? Zuerst musste sie herausfinden, wo in dieser verflixten Küche alles aufbewahrt wurde. Marty gehörte nicht zu denen, die gern fluchten, wenn sie auch mit ihren jungen Jahren schon allerhand Schimpfwörter zu hören bekommen hatte. Jetzt hätte sie aber am liebsten eine ganze Kanonade losgelassen. Stattdessen bediente sie sich eines der weniger kräftigen Ausdrücke, die sie bei ihrem Vater oft gehört hatte.

„Verflixt!“, rief sie ein ums andere Mal. „Was soll ich denn bloß machen?“

Mit Pfannkuchen und Kaffee würde Clark sich bestimmt nicht zufriedengeben, aber wo sollte sie etwas anderes hernehmen? Die Schränke standen voller Dosen und Gläser, aber zum Frühstück eignete sich Eingemachtes nur schlecht.

Hühner! Sie hatte doch draußen einen Hühnerstall gesehen, und wo Hühner sind, da gibt es auch Eier. Auf dem Weg nach draußen durch den Vorraum fiel ihr Blick auf eine merkwürdige Maschinerie in der Ecke. Es sah wie ein Flaschenzug aus. Das Seil verschwand in einem Loch im Boden, das mit einer ausgesägten Holzplatte lose abgedeckt war. Sie war neugierig. Ob es wohl zu gewagt war, wenn sie sich das Gerät einmal näher ansah? Vorsichtig hob sie die Falltür am Griff in die Höhe. Zuerst konnte sie gar nichts erkennen; dann, als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, glaubte sie, den Deckel einer großen hölzernen Kiste zu entdecken. Aha, dafür war also der Flaschenzug gedacht! Sie griff nach den Seilen und begann, die Kiste nach oben zu hieven. Es brauchte ihre ganze Kraft, aber endlich hatte sie es geschafft.

Mit der Kiste stieg ein kühler Luftzug zu ihr herauf. Marty band das Seil an einem Haken fest, der für diesen Zweck in die Wand geschlagen zu sein schien. Die Kiste hatte eine Vorderseite aus Fliegendraht, durch den sie verschiedene Lebensmittel erkennen konnte. Sie öffnete die kleine Tür darin. Ihr stockte der Atem. So viele gute Sachen hatte sie lange nicht mehr auf einmal gesehen: ein Körbchen mit Eiern, Steinguttöpfe mit frischer Sahne, Milch und Butter, Pakete mit Schinken und Speck. Auf der oberen Lade waren frisches Gemüse, mehrere kleine Marmeladengläser und – Wunder über Wunder! – frischer Honig. Das war bestimmt wilder Honig. Welche Entdeckung! Jetzt war das Frühstück ein Kinderspiel. Sie nahm eine Speckseite und ein paar Eier aus der Kiste. Dann suchte sie ein Glas Marmelade aus und wollte die Kiste wieder hinunterlassen, als ihr einfiel, dass Missie viel frische Milch brauchte, solange genug davon da war. Und vielleicht mochte Clark ja gern Sahne im Kaffee. Das wusste sie nicht genau; im Grunde wusste sie überhaupt nichts von diesem Mann.

Vorsichtig ließ sie die Kiste wieder in die Versenkung hinunter und klappte die Falltür darüber. Mit ihrem Fund in den Armen ging sie befriedigt in die Küche zurück, um den Rest des Frühstücks aufzutischen.

Der Kaffeeduft erinnerte sie wieder daran, wie hungrig sie war. Sie holte Teller und Tassen aus dem Schrank und deckte flink den Tisch. Sie hoffte, dass sie alles frisch und heiß vom Herd auf den Tisch bringen konnte, wenn Clark mit seiner Stallrunde fertig war; aber wie lange er dazu brauchen würde, wusste sie nicht.

Zusammenstoß am frühen Morgen

Marty wollte gerade den Teig für die Pfannkuchen rühren, als sie Missie vom Schlafzimmer her hörte. Am besten holte sie sie zuerst aus dem Bett und zog sie an, beschloss sie und ließ ihre Zutaten auf der Anrichte stehen. Kaum hatte Missie sie in der Schlafzimmertür entdeckt, da wich ihr erwartungsvolles Lächeln einem erschrockenen Ausdruck.

„Morgen, Missie!“, sagte Marty und hob das Kind aus ihrem Bettchen auf ihr eigenes Bett.

„So, wo haben wir denn deine Kleider?“, fragte sie mehr sich selbst als die Kleine.

In der großen Kommode konnten sie nicht sein, denn dort hatte Marty gestern Abend alle Schubladen aufgezogen, als sie den Inhalt ihrer Truhe eingeräumt hatte. Sie sah sich in dem Zimmer um. Unter dem Fenster stand eine kleine Kommode, in der sie Missies Sachen fand. Sie suchte ein paar Kleidungsstücke hervor, die ihr für diesen Tag angebracht erschienen. Missie hatte wirklich niedliche Kleidchen. Ihre Mama musste geschickt mit Nadel und Faden umzugehen gewusst haben.

Marty wandte sich wieder der Kleinen zu, die sie die ganze Zeit über mit weit aufgerissenen Augen angestarrt hatte. Marty legte Missies Sachen auf das Bett und streckte die Arme nach ihr aus. Missie, die inzwischen begriffen hatte, dass diese fremde Frau im Begriff war, sie anzuziehen, brüllte plötzlich wie am Spieß.

„Missie, hör auf mit dem Gebrüll!“, rief Marty, aber Missie war noch lange nicht fertig. Sie steigerte sich regelrecht in ihre Angst – oder war es Zorn? – hinein.

„Ich will zu meinem Pa!“, schluchzte sie zwischen zwei markerschütternden Schreien.

„Also gut“, gab Marty sich geschlagen und hob die um sich tretende Missie auf. Dann sammelte sie ihre Kleidungsstücke vom Bett auf und trug das Mädchen samt ihren Sachen in die Küche. Dort lud sie sie in einer Ecke ab. Missie riss schmollend ihre Kleider an sich. Sie schluchzte noch immer.

Marty wollte sich gerade ihrem Pfannkuchenteig wieder zuwenden, als der Kaffee sprudelnd überkochte. Mit einem Satz sprang sie zum Herd und zog die Kanne von der Herdplatte. Der Herd glühte ja förmlich vor Hitze! Sie sah sich nach einem Lappen um, mit dem sie die Herdplatte sauber wischen konnte, konnte aber nichts Geeignetes entdecken. Schnell lief sie ins Schlafzimmer und zog ein abgetragenes Kleidungsstück aus der Schublade hervor. Mit dem Teil war sowieso kein großer Staat mehr zu machen, beschloss sie; als Lappen war es gerade richtig. Missie schrie noch immer, als sie jetzt den Herd abwischte. Ausgerechnet in dem Augenblick betrat Clark die Küche. Er sah von der verzweifelten Marty, die sich inzwischen obendrein auch noch einen verbrannten Finger eingehandelt hatte, zu Missie in ihrer Ecke, wo sie, hemmungslos schreiend, ihre Kleider umklammert hielt.

Marty wandte sich vom Herd ab. Mehr konnte sie im Moment an der bespritzten Herdplatte nicht tun. Sie schleuderte den nassen, übel riechenden Lumpen in die Ecke. Aus ihren Augen blitzte es, als sie jetzt auf Missie zeigte.

„Sie will nicht, dass ich sie anziehe!“, entschuldigte sie sich. „Sitzt einfach da und brüllt nach ihrem Pa.“

Clarks Antwort überraschte sie maßlos.

„’n Kind hat wohl ’n ziemlich kurzes Gedächtnis, scheint mir“, sagte er so ruhig und gelassen, dass Marty sprachlos mit den Augen blinzelte.

„Sie hat doch tatsächlich schon vergessen, wie’s ist, ’ne Mama zu haben.“

Ohne einen weiteren Blick auf Missie ging er auf den Schrank zu.

„Sie wird halt lernen müssen, dass Sie jetzt ihre Mama sind und dass Sie hier das Sagen haben. So, jetzt nehmen Sie sie mit ins Schlafzimmer und ziehen Sie sie an. Ich kümmer mich dann schon um das hier.“ Damit meinte er die in Unordnung geratene Küche und das halbfertige Frühstück. Dann ging er ans Fenster und öffnete es, damit die Hitze von dem zischenden Herd abziehen konnte. Dabei sah er weder Marty noch Missie an.

Marty atmete tief ein und bückte sich, um Missie aufzuheben. Die schrie von Neuem los, strampelte und schlug wie wild um sich, als sie jetzt aus der Küche getragen wurde.

„Du, nimm dich bloß in Acht!“, stieß Marty zwischen den Zähnen hervor. „Hast du unser Abkommen schon vergessen? Du sollst artig sein und ich will deine Mama sein. Du bist aber alles andere als artig!“ Missie hörte nicht einmal zu.

Marty setzte sie auf dem Bett ab. Da hörte sie Missie plötzlich laut und deutlich zwischen zwei Schluchzern sagen: „Ich will zu meiner Mama.“

Also konnte sie sich doch erinnern. Martys Zorn begann dahinzuschmelzen. Vielleicht erging es Missie mit ihr ja genauso wie ihr mit Clark: Sie war aufgebracht, aber machtlos. Plötzlich nahm sie es ihr nicht mehr übel, dass sie so geschrien und getobt hatte. Sie hätte es ihr ja am liebsten gleichgetan, wenn das Leben sie nicht gelehrt hätte, wie zwecklos solche Ausbrüche waren.

„Ach, Missie“, seufzte sie, „ich weiß ja, wie dir zumute ist. Wir müssen uns halt langsam, aber sicher aneinander gewöhnen, da hilft alles nichts. Aber zuerst müssen wir dich irgendwie anziehen.“ Sie legte sich Missies Sachen in der Reihenfolge, in der sie sie brauchen würde, zurecht. Wenn sie erst einmal mit Missie beschäftigt war, würde ihr keine freie Hand zum Sortieren bleiben. Sie setzte sich und nahm das widerwillige Kind auf den Schoß. Missie trat und schlug noch immer um sich. Nein, Angst war das nicht. Marty spürte es genau. Das Kind war schlichtweg rasend vor Wut.

„Missie, hör auf!“ Aber Martys Stimme ging völlig in Missies Geschrei unter. Da holte Marty aus und versetzte ihr zwei kräftige Klapse auf das Hinterteil. Ob es nun der reine Schreck war oder ob das Kind begriffen hatte, dass der Machtkampf verloren war, wusste Marty nicht zu sagen, doch schlagartig ließ das ungestüme Schreien und Toben nach. Missie schluckte und atmete zwar noch schwer, aber sie wehrte sich nicht mehr, während Marty sie anzog.

Als die Kleine endlich fertig angezogen neben der erschöpften Marty mit ihrem aufgelösten Haar saß, tauschten die beiden stumm einen forschenden Blick aus.

„Du armes Ding!“, flüsterte Marty schließlich und zog die Kleine an sich. Zu ihrer Überraschung ließ Missie es geschehen und schmiegte sich sogar an sie. Eine Weile saßen die beiden so da, bis Marty gewahr wurde, dass die Kleine nicht einmal mehr schluchzte.

Von der Küche her drang der Duft von gebratenem Speck ins Schlafzimmer. Marty löste sich von dem kleinen Mädchen, stand auf und kämmte erst ihr eigenes Haar, dann Missies dunkle Locken. Sie nahm das Kind auf und trug es in die Küche, wo sie ihm mit einem feuchten Tuch das rot geweinte Gesichtchen abwusch. Clark sah nicht einmal auf. Da tut er schon wieder meine Arbeit!, dachte Marty vorwurfsvoll. Die Pfannkuchen lagen, fein säuberlich aufgestapelt, auf dem Teller, die Spiegeleier waren fertig, und der Speck zischte in der Pfanne. In den beiden Tassen dampfte schon der Kaffee, und auf Missies Platz wartete ein kleines Glas Milch auf sie. Sie brauchten sich nur noch an den Tisch zu setzen. Er nahm den Speck aus der Pfanne, stellte ihn auf den Tisch und setzte sich ihr gegenüber.

Dieses Mal wusste sie Bescheid. Er betete doch immer vor dem Essen. Sie neigte den Kopf und wartete schweigend. Nichts geschah. Dann hörte sie ein leises Blättern von dünnen Buchseiten. Sie sah verstohlen auf. Clark blätterte in seiner Bibel; er suchte wohl nach einer bestimmten Stelle. Sie spürte eine heiße Röte in ihr Gesicht steigen, aber Clark sah nicht auf.

„Heute lesen wir Psalm 121“, sagte er und begann zu lesen:

„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt meine Hilfe?“

Marty dachte im Stillen, wie gleichgültig es ihr war, woher ihre Hilfe kam, wenn sie nur überhaupt kam. Doch da hatte sie schon ein paar Verse verpasst. Schnell richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf das, was Clark vorlas.

„Der Herr behütet dich; der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand, dass dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts. Der Herr behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele. Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit.“

Beinahe zärtlich legte er die Bibel auf ein kleines Regal neben dem Tisch zurück und faltete die Hände zum Gebet. Wieder war Marty nicht darauf gefasst gewesen.

Verflixt!, dachte sie. Nächstes Mal muss ich eben besser aufpassen. Aber dann hörte sie Clarks Gebet aufmerksam zu.

„Unser Herr, wir danken dir für diesen neuen Tag und deinen reichen Segen.“

Segen?, dachte Marty. Ein brüllendes Kind, übergekochter Kaffee und ’n verbrannter Finger. Segen?

Aber Clark betete unbeirrt weiter.

„Danke, Herr, dass das erste schwere Stück Weg mit Missie geschafft ist. Steh du ihrer neuen Mama bei!“

Er nennt mich nie beim Namen, wenn er mit seinem Gott redet, dachte Marty, immer bloß: Missies Mama. Wenn dieser Gott ihn überhaupt hört, dann weiß er hoffentlich, wen er damit meint. Ich kann nämlich alle Hilfe gebrauchen, die ich nur kriegen kann.

Marty hörte einen Teller klappern. Wieder hatte sie ihre Gedanken schweifen lassen und den Rest des Gebets verpasst. Schnell hob sie den hochroten Kopf. Zum Glück hatte Clark ihre Verlegenheit nicht bemerkt.

Das Frühstück verlief recht schweigsam. Nach ihrem Machtkampf mit Marty war Missie zu erschöpft zum Plaudern; auch Clark schien mit seinen Gedanken woanders zu sein. Marty überlegte indessen, wie sie den Vormittag verbringen würde.

Zuerst würde sie das Geschirr abwaschen und den Herd gründlich säubern. Und dann? Ihre wenigen Kleidungsstücke konnten eine Wäsche vertragen. Sie würde auch gern ihre Decken waschen, um sie sauber in die Truhe legen zu können. Wenn sie mit dem nächsten Treck wieder nach Osten zog, würde sie sie brauchen.

Schließlich überlegte sie, wie sie ihre Kleider flicken konnte. Wenn sie doch nur ein paar Stoffreste hätte! Clark hatte gesagt, dass er samstags in die Stadt führe. Heute war Mittwoch. Sie würde die Vorräte in den Schränken durchsehen und ihm eine Liste mit allem, was fehlte, mitgeben. Sie warf einen verstohlenen Blick zu ihm hinüber. Glücklich sah er wahrhaftig nicht aus. Eher grübelnd, als ob er seine Gedanken zu ordnen versuche.

Da unterbrach Missie mit einem zufriedenen Seufzen die Stille. „Alle, alle, Pa.“ Sie schob ihren Teller von sich. Verschwunden war der finstere Ausdruck von ihrem kleinen Gesicht.

„Fein gemacht, Pas großes Mädchen!“, lobte er sie, und dann plauderten die beiden, ohne dass Marty sich auch nur bemühte, der Unterhaltung zu folgen. Zwischendurch stand Clark auf, um die beiden Kaffeetassen nachzufüllen. Marty biss sich auf die Unterlippe. Das wäre doch ihre Aufgabe gewesen!

Clark schob seinen Teller weg und nahm einen Schluck Kaffee. Dann sah er ihr über den Tisch hinweg ins Gesicht. Sie erwiderte seinen Blick, obwohl ihr etwas unwohl dabei zumute war.

„Am besten erklär ich Ihnen, wo alles in diesem Haushalt zu finden ist. Die Kühlkiste haben Sie ja schon selbst entdeckt. Gut! Hinterm Haus haben wir außerdem ’nen Gemüsekeller. Die meisten Sachen aus dem Garten liegen schon längst darin. Da unten steht auch ’n Regal mit Eingemachtem, aber Sie müssen sich ’ne Lampe mitnehmen, wenn Sie was raufholen wollen. Ist nämlich dunkel dort. Neben dem Gemüsekeller steht ’n kleines Räucherhaus. Da ist im Moment nicht mehr viel drin. Nächste Woche schlachten wir für den Winter. Zwei von den Nachbarn und ich tun uns immer zusammen dafür. Hühner haben wir auch, wegen der Eier und zum Schlachten. Im Moment sind genug da, dass wir ab und zu eins essen können. Außer unserem Anteil am Schweinefleisch gibt’s wenig frisches Fleisch, bis es kälter wird. Im Winter jagen wir; das Wild hält sich dann besser. Hin und wieder schlachten wir auch ’n Rind, wenn’s an Fleisch fehlt. Im Bach gibt’s außerdem Fische. Wenn ich mal mit der Arbeit früher fertig werde, geh ich manchmal an den Bach zum Angeln. Es geht uns also nicht schlecht.“

Das war keine Prahlerei, lediglich eine Feststellung. „Unser Land ist brauchbar, und der Herrgott hat’s reich gesegnet. Die letzten vier Jahre haben wir prima Ernten gehabt. Die Herde ist ziemlich groß geworden, und Schweine und Hühner haben wir auch genug. Alles, was wir zum Warentausch brauchen, können wir neben dem Haus anbauen, und die Saatkisten sind alle voll. Es ist auch etwas Geld da; nicht viel, aber wenn wir mehr brauchen, können wir jederzeit ’n Schwein verkaufen. Wir sind besser dran als manch einer, aber den Nachbarn hier geht’s auch nicht übel. War keine schlechte Idee, in den Westen zu ziehen.

Von dem Mann auf der anderen Seite vom Bach hab ich vor ’n paar Jahren ’n paar Obststecklinge geholt. Wird nicht mehr allzulange dauern, bis wir Obst kriegen. Die Äpfel kommen vielleicht schon nächstes Jahr.

Ich sag Ihnen das alles, damit Sie ’n bisschen besser Bescheid wissen. Scheuen Sie sich nur nicht, zu mir zu kommen, wenn Sie was für sich selbst oder Missie brauchen. Vornehm sind wir nicht gerade, aber es soll uns auch an nichts fehlen.“

Nach dieser langen Rede erhob er sich von seinem Stuhl und stand einen Moment schweigend da, als ob er überlegte, was er ihr sonst noch zu erklären hatte.

„Wir haben im Moment zwei Milchkühe und eine kalbt demnächst. Milch und Butter kriegen wir also in Hülle und Fülle. Außer dem Gespann haben wir ’n gutes Reitpferd, für den Fall, dass Sie mal raus möchten, um die Nachbarn zu besuchen. Zu Mrs Graham ist’s nicht weit. Bessere Gesellschaft kann man sich wohl als Frau nicht wünschen. Ich glaub, mit der werden Sie schnell warm werden, auch wenn sie ’n bisschen älter ist als Sie.

Mit der Feldarbeit bin ich für diesen Herbst fertig. Wenn mir bis zum ersten Frost noch genug Zeit bleibt, will ich aber noch ’n paar Runden pflügen. Davor geh ich auf zwei, drei Tage zu ’nem Nachbarn rüber, um ihm bei der Ernte zu helfen. Der ist spät dran dieses Jahr. Ich fahr noch heut zu ihm. Jedd Larson heißt er. Die werden mich zum Essen einladen; also komm ich erst heute Abend wieder. Sie können sich derweil hier ’n bisschen einleben und mit Missie anfreunden, und vielleicht gibt’s dann von heute an kein Gebrüll mehr am frühen Morgen.“

Er beugte sich zu Missie hinunter und hob sie mit seinen starken Armen in die Luft.

„Willst du mit Pa kommen, Dan und Charlie aus dem Stall holen?“

Die Kleine jubelte fröhlich ihre Zustimmung und gemeinsam zogen sie los.

Marty regte sich. „Kein Gebrüll mehr am frühen Morgen.“ Das war seine einzige Bemerkung zu diesem Zwischenfall gewesen. Er hatte der Szene wenig Beachtung geschenkt, aber vielleicht hatte ihn das Ganze doch mehr gestört, als er sich anmerken ließ.

Sie begann, den Tisch abzuräumen. Sie hatte so viel auf einmal gehört, dass sie sich später alles in Ruhe durch den Kopf gehen lassen musste. Im Moment hatte sie erst einmal andere Dinge vor.

Sie würde sich einen großen Kessel suchen, in dem sie Waschwasser heiß machen konnte. Vielleicht würde sie sogar irgendwo Nadel und Faden auftreiben, sodass sie später ihre Kleider flicken konnte.

Als sie gerade vor dem Spülbecken stand, kam Clark wieder, um Missie abzuliefern. Er löste sich mühsam aus ihrer Umklammerung. Missie hatte gelernt, ihren Pa ständig zu begleiten. Sie würde sich nur schwer daran gewöhnen, dass von jetzt an alles anders werden sollte.

Nachdem Clark gegangen war und Missie mit Weinen aufgehört hatte, stellte Marty die letzten Teller in den Schrank zurück und machte sich daran, die Herdplatte zu scheuern. Anschließend fegte sie den Fußboden. Jetzt konnte sie sich endlich ihren eigenen Plänen widmen.

Sie hatte noch nie einen ganzen Haushalt zu versorgen gehabt, aber sie war fest entschlossen, ihr Bestes zu tun. Clark sollte sich seines Zuhauses nie schämen müssen, solange sie für Sauberkeit und Ordnung verantwortlich war. Wenn sie mit ihrer Wäsche fertig war, würde sie sich um den Haushalt kümmern. Man konnte ihm ansehen, dass ein Mann hier allein gewirtschaftet hatte. Clark hatte seine Sache zwar nicht schlecht gemacht, aber es fehlte eben doch eine Frau. In ein paar Tagen würde alles schon besser aussehen.

Wieder eine Niederlage

Am späten Nachmittag hatte Marty endlich alle ihre Sachen und sogar ein paar von Clarks und Missies Kleidungsstücken gewaschen. Heute war es längst nicht so heiß wie gestern, dachte Marty erleichtert. Diese Hitze hätte sie keinen Tag länger ertragen können. Immerhin war es Mitte Oktober und heute war ein recht angenehmer Altweibersommertag.

Marty stand vor der Tür und sah in die Ferne. Hinter den sanften Hügeln erhoben sich die schneebedeckten Berge in ihrer Majestät. Ob es wohl diese Berge waren, von denen Clark sich Gottes Hilfe erbetet hatte?

Die Bäume in der näheren Umgebung flammten goldfarben und rot. Blätter tanzten im böigen Nordwind. Wie gern hätte sie die Natur in ihrer Schönheit zusammen mit Clem erlebt! Das Herz wurde ihr schwer, als sie jetzt die Waschschüssel ausleerte.

Missie hielt gerade ihren Mittagsschlaf. Marty war froh, dass sie sich eine Weile nicht um die Kleine kümmern brauchte – fast so froh wie am Morgen, als Clark sich für den ganzen Tag verabschiedet hatte. Wenn sie Glück hatte, würde er gleich mehrere Tage an einem Stück fortbleiben. Aber diese Hoffnung würde sich bestimmt nicht erfüllen.

Eigentlich hatte sie sich heute auf dem Gehöft ein wenig umsehen wollen, aber dazu war sie jetzt viel zu müde. Stattdessen würde sie sich einfach auch hinlegen, solange Missie noch schlief, und ihre Entdeckungsrunde auf später verschieben, überlegte sie sich.

Sie hängte die Spülschüssel wieder an den Nagel an der äußeren Hauswand und ging geradewegs auf bleischweren Beinen zum Schlafzimmer. Im Bett weinte sie vor Erschöpfung, aber dann übermannte sie der Schlaf. Seit Clems Tod hatte sie nicht mehr so tief und ruhig geschlafen wie jetzt.

Verstört schreckte Marty auf. Irgendetwas schien nicht zu stimmen. Was war es nur? Hatte Missie im Schlaf geweint? Nein, das konnte nicht sein. Missie war ja nicht einmal in ihrem Bettchen.

Was, Missie war nicht in ihrem Bettchen? Aber sie hatte sie doch selbst hineingelegt!

Wo war Missie? Mit einem Satz sprang Marty aus dem Bett. Ob Clark nach Hause gekommen war und die Kleine geholt hatte?

„Nur keine Aufregung!“, murmelte sie. „Es wird ihr schon nichts passiert sein.“

Marty sah im Stall nach, ob das Gespann wieder da war. Kein Gespann. Sie ging zwischen den Gebäuden umher und rief nach Missie. Immer weiter entfernte sie sich vom Haus. Allmählich geriet sie in Panik, auch wenn sie sich tapfer dagegen zu wehren versuchte. Wo konnte Missie nur sein? Was sollte sie bloß tun? Tränen strömten ihr übers Gesicht. Ihr Kleid hatte einen Riss abbekommen, und ihre Hände waren von den Rosensträuchern, zwischen denen sie sich durchgezwängt hatte, blutig verkratzt worden. Sie ging am Bachufer auf und ab und suchte das flache, klare Wasser nach Spuren von Missie ab. Nichts.

Vielleicht war sie ja der Straße gefolgt, dachte Marty, und machte sich verzweifelt auf den Weg. So schnell sie konnte, stolperte sie auf der staubigen, zerfurchten Straße vorwärts. So weit hätte das Kind nie allein laufen können, überlegte Marty, aber sie hastete trotzdem weiter. Da sah sie plötzlich Clarks Gespann auf dem Hügel auftauchen.

Sie hätte sich an den Wegrand setzen und darauf warten können, dass das Gespann sie erreichte, aber auf den Gedanken kam sie nicht einmal.

Was sollte sie Clark sagen? Wie konnte sie ihm erklären, was geschehen war? Sie hatte versagt. Man konnte ihr nicht einmal die Fürsorge für ein einziges kleines Kind anvertrauen. Ob Clark wohl wusste, wo sie weitersuchen könnten?

Sie lief dem Wagen entgegen, bis sie ihn endlich erreicht hatte und Clark die Pferde neben ihr zum Stehen brachte. Mit ihrem staub- und tränenverschmierten Gesicht sah sie zu Clark auf – und wer saß da freudestrahlend auf seinen Knien? Missie!

Clark reichte ihr die Hand und half ihr auf den Wagen. Marty war restlos verwirrt. Was mochte er nur von ihr denken? Sie hatte sich blamiert.

Schweigend fuhren sie heim. Warum sagte er denn gar nichts? Außer „Hü!“, hatte er kein Wort gesagt. Auch Missie schwieg. Und das war auch bloß gut so. Wenn dieses kleine Früchtchen sich unterstehen sollte, auch nur ein einziges Wort zu sagen, würde Marty das große Bedürfnis verspüren, ihr eine gepfefferte Ohrfeige zu verpassen. Ihre Erleichterung, das Kind gesund und wohlbehalten wiederzusehen, schlug blitzartig in Zorn um. Martys Gesicht brannte nicht nur von der gehetzten Suche, sondern auch vor Scham.

Doch dann hob sie das Kinn trotzig in die Luft. Er sprach also nicht mit ihr. Na fein, dann würde sie auch nichts mehr sagen. Sollte er doch denken, was er wollte. Sie war ihm keine Erklärung schuldig. Sie hasste ihn sowieso, und von seinem ungezogenen Kind hielt sie auch nicht viel mehr.

Wenn ich’s bloß bis zum nächsten Treck hier aushalten kann! Und dann mach ich, dass ich wegkomme, dass der Staub nur so fliegt!, dachte sie verbissen.

Die Frau in ihr wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen, doch selbst diesen kleinen Trost versagte sie sich.

„Dass du mir bloß nicht losheulst!“, warnte sie sich. „Den Anblick wirst du ihm nicht auch noch gönnen.“

Also saß sie mit hoch erhobenem Kopf und starr nach vorn gerichtetem Blick da, bis sie den Hof erreicht hatten. Voll Verachtung stieg sie an Clarks ausgestreckter Hand vorbei vom Wagen und zerriss sich dabei das Kleid noch ein Stück weiter. Clark stellte Missie auf dem Boden ab, von wo Marty sie recht unsanft aufnahm und ins Haus trug. Missie schien das Ganze nicht im Geringsten zu beeindrucken.

Marty ging schnurstracks in die Küche und machte sich lautstark daran, ein neues Feuer im Herd anzuzünden. Das alte war inzwischen längst ausgegangen.

Wieder hatte sie eine Mahlzeit zu kochen – aber was nur? So sehr sie sich auch den Kopf zerbrach, wusste sie am Ende doch, dass ihr außer Pfannkuchen wieder nichts übrig blieb. Pfannkuchen waren das einzige Gericht, das sie wirklich zubereiten konnte. Na, sollte er doch daran ersticken! Ihr konnte es gleichgültig sein. Warum auch nicht? Schließlich war sie ihm nichts schuldig. Ach, wäre sie doch in ihrem Planwagen geblieben und einfach verhungert! Das wäre immer noch besser gewesen als das.

Obwohl Marty im Feuermachen nicht viel Erfahrung hatte, ließ das Feuer nicht lange auf sich warten, und der Herd war im Nu heiß. Marty dachte noch nicht einmal daran, sich darüber zu freuen, als sie jetzt in der Küche umherstürmte und Kaffee und Pfannkuchenteig zubereitete. Anstatt Speck würde sie heute ein Stück Schinken braten, entschied sie.

Warum machte es ihr nur so viel aus, dass ihr alles, aber auch alles in diesem Haushalt bislang schiefgegangen war? Eigentlich konnte es ihr doch gleichgültig sein, aber das war es halt nicht. Versagen war nun einmal etwas, das man um jeden Preis vermeiden musste. Das hatte sie ihr Leben lang gehört und auch jetzt konnte sie sich davon nicht frei machen.

Während sie darauf wartete, dass die Bratpfanne heiß wurde, warf sie Missie einen finsteren Blick zu.

„Dass du mir bloß nicht wieder wegläufst!“, warnte sie sie und ging schnell nach draußen, um die trockene Wäsche von der Leine zu holen.

Als Clark vom Stall zurückkam, stand das Essen fertig auf dem Tisch. Wenn es ihn überhaupt wunderte, dass es schon wieder Pfannkuchen gab, ließ er es sich nicht anmerken. Marty musste plötzlich feststellen, dass seine Pfannkuchen nicht schlechter als ihre gewesen waren.

„Na, wenn schon!“, kochte es in ihr. „Wenigstens ist mein Kaffee genießbar.“