Sinfonie des Lebens - Melanie Rössler - E-Book

Sinfonie des Lebens E-Book

Melanie Rössler

3,7

Beschreibung

Dies ist kein Liebesroman. Solltest du auf Schnulzen stehen, leg mein Buch bitte wieder weg. Ich bin Hannah und erzähle dir frei Schnauze meine Geschichte. Unverblümt und ungeschönt. Wenn Scheiße passiert, erzähle ich dir das auch. Ein Roman über das Leben, wie es ist: Ein Parcours aus Fettnäpfchen und Glücksklee.

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Epilog

Prolog

Willkommen in der Hölle.

Frisch gepresster Orangensaft, knusprig duftende Croissants, zart schmelzende Butter und ein randvoll gefülltes Glas mit Nussnougatcreme.

Für die einen ein Traum - für mich nerviger Alltag.

Wer wie ich Dauergast in einem Hotel war und sich kostengünstig mit Halbpension verwöhnen ließ, teilte höchstwahrscheinlich meine überaus pessimistische Meinung. Ich konnte es einfach nicht mehr sehen. Ich sehnte mich nach den angebrannten Toasts mit zerlaufendem Sandwich-Käse und der beinah sauren Milch aus der Tüte, garniert mit dem restlichen Abendbrot des vergangenen Tages. Ich liebte dieses Chaos und es liebte mich. Um nicht zu sagen, dass ich ein gigantischer Anziehungsmagnet für jede Form von Chaos war. Ein Wunder also, dass ich trotzdem jeden Morgen unfallfrei dieses perfekte Frühstück serviert bekam ohne dass die Welt nebenbei in Flammen aufging.

Kapitel 1

Dabei durfte ich nicht vergessen zu erwähnen, dass ich zwei Freunde hatte, die mich hervorragend ergänzten. Mir wurden sie quasi vom Schicksal vor die Haustür gesetzt in meiner Jugend. Da hätten wir zu meiner Linken, wortwörtlich, im quietschgrünen Nachthemd, meine liebe Elfi - eigentlich Elfriede, aber dieser altertümliche Name passt nicht zu ihrer schillernden Persönlichkeit. Von uns auch öfters liebevoll "Tollpatsch" genannt, musste sie einfach einen Gegenstand nur schief ansehen um sich damit zu verletzen. Darum besaß sie mehr Narben und Verletzungen als eine Fußballmannschaft zusammen. Regelmäßige Besuche beim Hausarzt um die Ecke standen bei Elfi auf der Tagesordnung. Ein gewisser Doktor Baroni kannte Elfi bereits als Kleinkind und war deshalb bestens mit ihrer vollständigen Unfallgeschichte vertraut.

Dazu zählten unter anderem ein paar Katzenbisse und ein Schlüsselbeinbruch, sowie ein Loch im Kinn und diverse andere schmerzhafte Verletzungen. Dieser Arzt war ein älterer Herr um die fünfzig mit schütterem Haar und stets mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht. Des Öfteren musste ich meine Freundin bei ihren Besuchen begleiten und war deshalb auch namentlich in der Arztpraxis wie ein bunter Hund bekannt. Insgeheim vermutete ich ja, dass die Arzthelferinnen eine Strichliste führten, wie oft wir in der Woche auftauchten und darüber untereinander Wetten abschlossen.

Der erste Unfall ereignete sich bereits bei ihrer Geburt. Statt anständig und ganz normal zur Welt zu kommen, musste sie mit einem Pömpel aus dem Leib der Mutter herausgezogen werden, damit die Krankenschwester sie zu Gesicht bekam. Vermutlich ahnte sie bereits damals, dass das Leben "da draußen" kein Zuckerschlecken sein würde. Die komplizierte Geburt dauerte über dreizehn Stunden und erst durch die Saugglocke wurde das Baby befreit. Statt eines wohlgeformten Kopfes präsentierte sich dort eine riesige Beule und sie war alles andere als ein süßes Kleinkind, die sie ihren Eltern dann auch mit dreimonatigen Koliken dankte. Von Natur aus stellte sich Elfi als ein komischer Kauz heraus, verbunden mit oft seltsamen Anwandlungen und wollte geschätzt jede fünf Minuten ihr Leben umkrempeln. Ihre Berufswünsche und Lebensziele veränderten sich öfters, als so mancher Mann seine Unterhosen wechselte.

Zwar gab es bei jedem Menschen eine derart gelagerte Phase, allerdings entwickelte war es sich in ihrem Alter so langsam nur noch zum Mäuse melken. Außerdem testete sie so ziemlich jede Berufsbranche, da blieb nicht mehr viel übrig zum Ausprobieren. Momentan möchte meine Freundin gerne Hebamme werden oder alternativ Erzieherin - einfach um möglichst vielen Kindern auf diesem Planeten zu helfen. Allerdings erschien es mir schleierhaft wie sie dies bewerkstelligen wollte, indem sie kleine Schreibündel aus Leibern holte oder auf Rotzlümmel im Kindergarten aufpasste. Nun ja, wer weiß, wie lange diese Phase wohl andauern würde. Als gute Freundin würde ich sie natürlich dabei unterstützen, aber bissige Kommentare konnte ich mir keinesfalls verkneifen. Was sie ganz genau wusste.

Nun aber zum charmanten Herrn, der zu meiner Rechten schnarchte und schützend eine Hand um sein bestes Stück hielt, als hätte er Angst, sein kleiner Freund würde sich aus dem Staub machen. Sein nicht unbedingt sehr kunstvoller Name Gustav bot mir immer einen gewünschten Anlass, mich über ihn lustig zu machen, woraufhin dieser "Gustl" mich am liebsten erwürgen möchte, so wie es Homer Simpson mit seinem Sohn tat. Als personifiziertes Selbstbewusstsein kannten wir Gustav, das sich nicht nur bei seinen sämtlichen Auftritten in neuen Territorien auszahlte, sondern auch für einen Pluspunkt bei der Frauenwelt sorgte. Unser kleiner Macho hatte aber ein Problem: Mit sicherem Griff suchte er sich immer die Sorte Frau aus, die dazu neigte eine Klette zu sein. Unser wild gelockter Wuschelkopf liebte mollige, meist typische graue Mäuse, die ihr Glück gar nicht fassen konnten, einem solch attraktiven Kerl zu gefallen. Nicht selten mutierten sie sogar zu Stalkerin. Nach Beendigung einer Beziehung trafen zuerst flehende Sms ein, danach penetrante Anrufe und teilweise sogar noch bittstellerische Briefe. Dann warfen die von Zorn erfüllten Verfasserinnen dieser Nachrichten Steine nachts durchs Fenster und dazwischen tauchten die zutiefst enttäuschte Frauen alkoholisiert vor der Wohnung auf, um in erbärmlicher Weise zu weinen.

Aber wer durfte das alles ausbaden und die weinerlichen, flehenden oder wutschäumenden Anrufe entgegennehmen? Genau, meiner Wenigkeit wurde diese Ehre zuteil. Mittlerweile war ich Profi als Telefonistin und würde dies gerne in meinem Lebenslauf als herausragende Qualifikation erwähnen. Natürlich taten mir die Frauen auch leid - ein bisschen, aber wie konnten sie nur so verdammt anhänglich und extrem nervig sein?

Beziehungsweise die unbestrittene Tatsache vehement zu ignorieren, dass es einfach aus und vorbei war?

Vielleicht sollte noch seine Herkunft erwähnt werden. Auf einem Bauernhof wuchs er nämlich auf, wo die Herren, ganz altertümlich, das Sagen hatten und Frauen nur zum Beischlaf oder dem Kochen dienten. Wobei ersteres, im Fall Gustav, wichtiger als das Kochen war - der Lieferservice konnte schließlich auch Mahlzeiten herbeizaubern. Sein dominanter Vater brachte es zwar als Landwirt im Leben weit, jedoch hatte er meiner Meinung nach ein Herz aus Stein. Wer seine Frau jemals kennen lernte, weiß worum es sich handelte. Dieses hingebungsvolle, zärtliche und bezaubernde Wesen brachte sogar mein sarkastisches Herz zum Schmelzen. Dennoch hielt sie seit über dreißig Jahren diesen Gefühlstrampel aus und liebte ihn abgöttisch - obwohl er zu keinerlei Zärtlichkeiten fähig war.

Um zurück auf den schnarchenden Mann neben mir zu kommen, muss ich noch eines erwähnen. Dieser wilde Vogel mit einer Vorliebe für ausgewaschene Latzhosen ist in beruflicher Sicht ebenfalls ein absolut hoffnungsloser Fall wie Elfi - und ich. Zwischen Nebenjobs pendelte er hin und her, mimte nachts den Türsteher in einem Club in der Innenstadt und wusste auch nicht so recht, welcher Beruf sich überhaupt für ihn eignete.

Mich wunderte es immer wieder, dass ich unsere langen durchzechten Nächte mit anschließender Pyjama-Party in meinem Hotelzimmer, noch so liebte. Es gibt zweifellos wesentlich Schöneres, als zwischen zwei Alkoholleichen zu liegen, dadurch einen steifen Nacken zu bekommen und mit einem elenden Mordskater am nächsten Morgen aufzuwachen. Aber so langsam spürte ich sowieso mit jedem weiteren Lebensjahr schmerzhaft alle Knochen. Mit dem Rücken hatte ich seit meiner Jugend Probleme, als ich mit dreizehn Jahren einen üppigen Vorbau bekam und über Nacht in die Pubertät verfrachtet wurde. Das war nicht sehr angenehm. Ein kleiner Gartenzwerg mit Monsterbusen. Dementsprechend fiel auch der Spitzname in der Schule für mich aus: Melone.

Oh! So langsam rührte sich etwas neben mir. Zeit meine inneren Monologe zu beenden und einen Blick nach draußen zu wagen.

Etwas schwermütig öffnete ich meine vom Schlaf verklebten Augen und spähte vorsichtig hinaus in die weite Welt meines Zimmers, das ich mein Eigen nennen konnte. Jedenfalls solange ich die Rechnung regelmäßig bezahlte, was nicht so leicht war, da ich über keine feste Anstellung verfügte. Mein Blick fiel augenblicklich auf mein Frühstückstablett, wegen dem ich die Augen vor fünf Minuten wieder schloss. Uärks...

„Mmmh, rieche ich da etwa Croissants?“

Ah, Elfi hörte das Flehen der wartenden Blätterteigstücke und erbarmte sich natürlich großherzig sie von ihrem Schicksal als verarmtes Gebäck zu erlösen.

„Guten Morgen erstmal. Ihr habt mich schon wieder wie eine Ölsardine eingequetscht! Ich bestehe beim nächsten Mal auf mein Bett und zwar allein!“

„Oh, Miss Miesepeter, ich wünsche dir ebenfalls einen herrlichen Samstagmorgen!“, trällerte Elfi in ihrer glockenklaren Sopranstimme und stupste mich in die Seite. In diesem Moment ertönte ein lauter Schnarcher von dem Deckenhaufen rechts von uns und die braunen Locken von Gustl tauchten aus dem Getümmel langsam auf.

„Seid leise ihr zwei Tratschtanten, so früh ertrage ich noch kein Geschnatter.“, grummelte er tief aus den Decken hervor und sein Arm warf ein großes blaues Kissen nach uns.

Instinktiv legte ich schützend den rechten Arm vor mein Gesicht und wollte gerade lautstark zum Protest ansetzen, als das Missgeschick schon geschah. Gerade wollte Elfi in eines der Croissants beißen, als sie das Kissen seitlich am Kopf traf und sie mitsamt Tablett und Decken hochkant aus dem Bett zu Boden fiel. Die Teller flogen durch die Luft und die Croissants verteilten sich quer über dem Bett. Damit kehrte mein geliebtes Chaos mit einem Schlag zurück!

„Na, so kann der Morgen ja starten. Ein tollpatschiger Frosch und ein tollwütiger Bär! So mag ich das.“, bemerkte ich mit einem süffisanten Grinsen und half Elfi dabei, sich wieder aufzurappeln.

„Ja, ja, hör auf so zu glotzen! Ich kann ja nichts dafür, dass die Satinbettwäsche so gemeingefährlich glitschig ist!“

Mit einem tiefen Seufzer schwang sich nun auch Gustav aus dem wohligen Territorium und schlurfte voll positiver Energie ins Bad. Peng! Etwa eine halbe Stunde später lagen wir wieder wie die Sardinen im Bett, das Tablett und die Scherben wurden entfernt, aber die Auswirkungen des gestrigen Abends machten sich jetzt bemerkbar. Gesegnet mit überwältigenden Kopfschmerzen und furchtbaren Qualen bei jeder einzelnen Bewegung sowie Mangelerscheinungen aus Schlaf und auch noch die hapernde Hygiene kamen wir am Tiefpunkt des Befindens an. Jeder versuchte dabei den anderen mit Wehklagen zu übertrumpfen.

„Ooh, mein Schädel brummt als ob zwanzig Affen mit winzigen Trommeln darin Samba tanzen würden...“, hörte ich es von Elfi, die ihren Kopf mit systematischen Druckmassagen behandelte. Aus der anderen Ecke brummte ein todmüder Gustl mit Augen so klein wie zwei Briefschlitze:

„Ich will schlafen, haltet endlich die Klappe, geht das nicht in euer Hirn?“

„Ach seid doch beide still, ihr Memmen, mir schmerzen hier alle Glieder und ihr jammert wegen so 'nem Pipifax.“, ertönte meine Antwort auf das Gestöhne der beiden.

Vollgepumpt mit Schmerztabletten bis an die Ohren beschlossen wir später die heiß diskutierten Themen vom Vortag erneut aufzuwärmen. In Gedanken ließ ich den gestrigen Abend Revue passieren und sah mich rückblickend mit meinen Freunden bei dem Konzert, das wir alle unbedingt besuchen wollten, aber sich schlussendlich als der absolute Reinfall entpuppte. Enorm viele Hoffnungen setzten Elfi und ich in den Abend, denn als bedauernswerte Dauersingles wollten wir endlich von einem attraktiven Mann umschwärmt werden oder zumindest einen heißen Flirt landen.

Aufgebrezelt wie für den Laufsteg einer Modenschau in Paris stolzierten wir mit unserem männlichen Freund in Richtung Nachtclub, der ein mutmaßlicher Geheimtipp unter den Partyleuten sein sollte.

Zu Recht ein Geheimtipp, denn als wir im Barbereich ankamen, sahen wir ungefähr zehn Menschen, die alle nicht allzu begeistert dreinblickten. Der übliche Check der Location ging von uns auch eher schlecht als recht vonstatten, als wir die fünf Klapptische bemerkten, die als einzige Anlaufmöglichkeit dienten. Wenn wir von der mickrigen Bar aus Holz und einer winzigen improvisierten Bühne absahen, war der Raum nackt. Mit ein paar einzelnen Postern wurden die drei Bands angekündigt, die heute das Publikum unterhalten sollten. Dabei musste schon gesagt werden, dass die Veranstalter vermutlich ihr gesamtes Budget in die Plakate investierten, denn diese versprachen eindeutig viel mehr, wie die traurige Realität aussah. In unserer stillen Naivität nahmen wir natürlich an, dass dies das Event des Jahres werden würde.

Pustekuchen.

Diese sogenannten "Bands" bestanden aus einem Haufen Teenager, die laut ihrer Meinung eine gute Rockmusik machen würden. Während die Fangemeinde, bestehend aus anderen lästigen pubertierenden Zwerge, bei der ersten Gruppe wild hin und her hüpfte wie die Karnickel beim Rammeln, standen die etwas vernünftigeren und enttäuschten Zuschauer unseres Alters bloß am Rande des Geschehens. Entweder hielten sie sich an ihren Getränken fest oder blickten im Minutentakt auf die Uhr. Wir nutzten also die verschenkte Zeit um uns ordentlich zu betrinken und über das Leben zu jammern. Erstens sehnten wir uns nach richtig guter Musik und des Weiteren fühlten wir uns einsam und alt.

„Schau dir all die jungen Dinger an, schlank und rank und voller Energie... was ist nur aus uns geworden?", meinte Elfi missmutig an mich gewandt während sie voller Neid ihren Strohhalm malträtierte, um nicht dem Mädchen die Augen auszukratzen, die mit ihrer bewundernswerten Figur an uns vorbei schlenderte.

„Jetzt mach mal halblang, wir sind erst fünfundzwanzig und du jammerst jetzt schon wie eine alte Jungfer! Wie soll das mal aussehen, wenn wir erstmal zehn Jahre älter sind?“, war mein einziger Kommentar zum Thema Alter, denn meine beste Methode dafür war die Verdrängung. Diese beherrschte ich außerordentlich gut, nahe an der Perfektion.

„Hach, aber eins sag ich euch. Ich vermisse die Zeiten als wir noch voller Träume und Ziele steckten und uns am liebsten alle auf einmal erfüllen wollten! Und was haben wir bisher erreicht? Nichts! Außer ein paar Nebenjobs und missglückte Beziehungen, die uns nichts als Ärger einhandelten."

„Mmh...du hast Recht. Was sollen wir denn bloß dagegen tun? Ich habe schon noch einiges vor in meinem Leben, aber alles scheint so hoch gegriffen zu sein, wenn ich etwas möchte. Oder ist ein liebender Partner etwa zu viel verlangt?"

„Für solche Beziehungskrüppel wie uns bestimmt schon. Als kleines Kind wollte ich immer einen aufregenden Beruf ergreifen und eine riesige Familie mit mindestens zehn Sprösslingen gründen. Jetzt sieh mich an! Was habe ich davon erfüllt? Null Komma gar nix! Kein atemberaubender Job und in nächster Zukunft wird das auch nix mit dem Nachwuchs."

„So schlecht ist dein Job nun auch wieder nicht. Schau erstmal mein mickriges Leben an, ich habe schließlich nicht mal einen Beruf!"

Jetzt schnaufte Elfi ärgerlich und sank mit dem Kinn noch tiefer in ihr Glas. Ich rutschte an ihre Seite und legte meinen Arm tröstend um sie, als wir beide synchron einen lautstarken Seufzer losließen. Wir dachten in diesem Moment wahrscheinlich dasselbe: Das Leben war schlicht und einfach ungerecht!

„Irgendwas müssen wir unternehmen, so kann das doch nicht weitergehen mit uns zwei Hübschen. Jedes Wochenende hängen wir in irgendeiner Kneipe rum und deprimieren uns bloß gegenseitig. Außerdem ertrage ich den Kater am nächsten Morgen einfach nicht mehr."

Angestrengt überlegten wir uns zum Ziel führende Lösungsstrategien, aber bei diesem Lärmpegel der schrecklichen Musik brachten wir einfach keinen klaren Gedanken zustande. Die Sorgen wurden also vorübergehend mit überteuerten Drinks betäubt. Nach einigen alkoholischen Getränken später kam mir die rettende Idee!

„Wie wäre es denn mit...", wollte ich voller Energie meinen Vorschlag preisgeben, als mich Elfi bereits Kopf schüttelnd unterbrach.

„Mit Lesbisch werden? Nein, danke, ich stehe dann doch lieber auf knackige Muskeln und ein gewisses Equipment da unten."

"An was denkst du denn gleich wieder, du Ferkel! Hör mir lieber zu, bevor du gleich losplapperst.", wies ich sie in ihre Schranken zurück. In aller Ruhe breitete ich meiner Freundin den genialen Plan aus.

"Wir zwei suchen einen attraktiven, liebevollen und interessanten Mann, der unser Leben in bessere Bahnen leitet und uns in jeder Menge Hinsichten glücklich macht. Und wo kann man schneller und einfacher Männer kennen lernen als sonst wo? Genau! Entweder aus dem Katalog, den es zu unseren Ungunsten noch nicht gibt oder im Singleurlaub! Wir nehmen uns einfach mal eine Auszeit und suchen uns irgendwo einen schnuckeligen Beachboy!"

"Moment mal, deine unverhohlene Begeisterung kann ich leider nicht teilen. Erstens: Woher nehmen wir das Geld für deinen Spontanurlaub? Und zweitens können diese Typen aus jedem noch so kleinem Minikaff auf dieser Erde kommen und wir sind zwar bis über beide Ohren verliebt, aber können ihn nie wiedersehen, weil er in Timbuktu lebt? Na aber bitte, da ist ein gewaltiger Haken!"

In diesem Augenblick unterbrach uns Gustav, der bisher schweigend unseren Wortaustausch mitverfolgte.

Er meinte, dass er den richtigen Lösungsansatz für uns parat hätte.

"Da rückst du aber früh damit raus, Einstein! Ein paar Jahre eher hätten es auch getan!"

Mit Misstrauen erwartete ich seine "großartige" Idee und war richtig entsetzt als er sie uns nannte. "Probiert es doch ganz einfach mit Arbeiten. Nicht diese Minijobs, sondern ein richtiger Beruf. Macht Abendkurse, besucht die Volkshochschule, bildet euch fort - macht einfach was in dieser Richtung und ihr werdet sehen, dass man auch im Berufsleben einen potenziellen Partner finden kann."

Zuerst einmal zeigte ich baff darüber, meine Kinnlade stand sperrangelweit offen und ich starrte diesen Berufsguru mit riesengroßen Augen an. Meiner Freundin erging es in ihrer Reaktion da nicht anders, ich konnte fast die Fragezeichen über ihrem Kopf schwirren sehen. So langsam realisierte ich, was Gustav da wirklich von sich gab.

Arbeit? Aus seinem Munde!

Vorsichtig machte ich ihn also darauf aufmerksam, dass er weder einen richtigen Job hatte, geschweige denn eine Traumfrau an seiner Seite. Er tat ja gerade so als wäre er der Überflieger schlechthin!

"Tja, diese Neuigkeiten wollte ich mir bis ganz zum Schluss des Abends aufheben und euch damit überraschen."

"Nein! Du willst doch wohl nicht sagen, dass du Arbeit gefunden hast? Die dir Spaß macht? Und auch noch gut bezahlt ist?"

Das Staunen wurde immer größer - wie unsere Augen.

"Und ein nettes Mädel an der Angel?", meldete sich Elfi wieder zu Wort.

"Pfff...nett ist die kleine Schwester von Scheiße. Nein, mal ehrlich, ich habe seit letzter Woche eine feste Anstellung. Ich habe die ehrenvolle Aufgabe eine Filiale eines Fitnessstudio-Kette zu leiten. Dadurch, dass ich im FittyHeaven Stammgast war und ab und an aushilfsmäßig einen Kurs leitete, kannte mich der Chef schon persönlich. Tja und dieser hat offensichtlich mein Potenzial erkannt."

"Respekt, ich hätte nie gedacht, dass so ein verantwortungsvoller Posten etwas für dich ist."

"Gut, dass ich in der Schule den Zusatzkurs in Buchführung gemacht habe."

"Ja, der einzige Kurs, den du überhaupt fertiggemacht hast, im Gegensatz zu den fünf anderen.", warf Elfi amüsiert dazwischen.

"Genau, ... erinnere mich nur an die Schandtaten meiner Vergangenheit! Aber unter anderem dank diesem Kurs habe ich alle Voraussetzungen erfüllt und bin jetzt ein Mann mit festem Gehalt auf dem Konto."

"Und Vitamin B."

Trotz dieser überaus erfreulichen und überraschenden Nachricht - die wir mit einer Runde Schnaps feierten - musste ich nachhaken, wie es denn mit der angeblichen Traumfrau aussah.

"Wie gesagt, im Berufsleben wird man fündig. Besonders im Fitnessstudio sind ja Scharen von Menschen, da bin ich mir auch sicher, dass dort bald meine Herzdame dabei sein wird!"

"Moment mal du Schlaukopf. Es gibt also noch gar keine? Und nervst jetzt schon mit deinen Gardinenpredigten? Vergiss es."

Beschwichtigend hielt Gustav seine Hände hoch und erklärte in beruhigendem Tonfall:

"Mädels, zurück zum eigentlichen Thema: Ich möchte nicht, dass ihr euch einfach eine simple Arbeit sucht, sondern wir machen daraus eine schmackhafte Wette. So geht das jedenfalls nicht mit euch weiter. Ich habe es erkannt, wie durch eine plötzliche Eingebung. Jetzt muss es nur noch euch wie Schuppen von den Augen fallen. Ich gebe euch ein Jahr lang dafür Zeit und in diesem Zeitraum kümmert ihr euch um euer Leben! Aber richtig und damit basta!“

Keiner von uns beiden wusste in diesem Moment so recht, was da mit unserem Freund plötzlich geschah. Schien er doch in den letzten Tagen so gleichbleibend unverändert, mutierte er nun zum komplett anderen Menschen. Diese Vernunft und der Ernst, uns beide am Schlafittchen zu packen und uns damit glasklar den Weg zu weisen, stellten sich als unglaublich für einen sonst eher pragmatischen Mann heraus. Tatsächlich hörte er sich wie ein erwachsender Mensch an. "Klar, ihr seid jetzt total überrumpelt und werdet mich noch eine Ewigkeit mit euren Glubschaugen anstarren, aber wirklich, ich habe sozusagen von Gott oder wer auch immer dort oben sitzt, einen gewaltigen Tritt in den Hintern bekommen. Jetzt bin ich völlig am Boden der Tatsachen angelangt, während ihr noch auf unserer Teenager-Traumwolke schwebt. Wer kann euch da besser helfen als ich, der die gleichen Startvoraussetzungen besaß?"

Nach seinem tiefsinnigen Monolog stand er auf und holte noch zwei große Gläser Bier, um Elfi und mich wieder in die Realität zurück zu bringen. In einem Zug leerte ich den Becher aus und begann langsam zu begreifen, wie die ganze Sache ablaufen sollte.

"Du verlangst sozusagen, wir sollen aus der Arbeitssuche eine Art Wette machen? Aber bei so einem Wettkampf gibt es auch immer einen Gewinn für den Sieger, oder?"

Darauf grinste Gustav von einem Ohr zum anderen und meinte dann geheimnisvoll:

"Da lasse ich mir noch etwas Großartiges für euch beide einfallen, keine Sorge. Aber zuerst erkläre ich euch die Bedingungen und ihr Ziel."

Währenddessen kam Elfi allmählich wieder zu Bewusstsein und nickte bloß zustimmend. Anscheinend fand sie noch keine Worte dafür, die ihr über die Lippen kommen wollten und zeigte sich überwältigt über die Flut der Informationen. Gerade räusperte sich Gustav geräuschvoll, um zu einer Rede anzusetzen.

Doch es unterbrachen ihn die kreischenden Gitarrenklänge dieser Möchtegern-Band. Wir wandten uns etwas entsetzt und mit dröhnenden Trommelfellen zur Veranstaltung um.

Einzelne Fans in der kleinen Menge hüpften wie die Flummies auf und ab, während andere ihre Smartphones zückten, um diesen denkwürdigen Moment mit einem Selfie in Ewigkeit festzuhalten.

"Ich frage mich jedes Mal, was daran so interessant ist, sämtliche Erlebnisse seines Lebens ins Netz zu stellen. Wenn ich da an so manche Internetseite denke, breitet sich das ganze Privatleben der Jugendlichen vor einem aus. Äh, da wird mir ganz schlecht.", sagte Elfi kopfschüttelnd.

"Stimmt. Und die ganzen Fotos, die dort drin sind! Manche entblößen sich bis auf ihr Höschen und zeigen das der halben Welt. Also so ordinär waren nicht einmal wir."

"Ja ja, du unschuldiges Lämmchen vom Land, ihr beide ward auch nicht ganz knusper! Wenn ich da an so manche Partynächte in unserer Jugendzeit denke, hui, da ist manchen Jungs beim Anblick eurer nicht verdeckten Haut schon ganz wuschig geworden."

Kichernd gestand ich diese Anschuldigungen ein und schwelgte gleichzeitig in alten Erinnerungen, als wir noch absolute Partymäuschen waren und dabei so allerhand Männerherzen brachen. Mittlerweile standen nur noch schmierige oder zwielichtige Typen auf solch übermäßig freizügige Bekleidung. Wir mussten uns also dem Alter entsprechend kleiden.

"Was heißt hier unserem Alter entsprechend? Sind wir etwa schon alte Greise? Noch sind wir knackige Mittzwanziger! Klar, bauchfrei sollten wir nicht mehr rumlaufen und Ausschnitte, bei denen die Brüste fast raushüpfen, sollten allerdings vermieden werden."

"Du hast Recht, wir denken halt nicht mehr nur noch an den gewissen Sexappeal, sondern an den Tragekomfort mit einer schlichten Schönheit.", kommentierte ich grinsend und zwinkerte Elfi zu.

"Weniger ist ja bekanntlich mehr."

Damit wandten Gustl, meine Freundin und ich uns wieder mit voller Aufmerksamkeit unseren Getränken zu, sodass unser zukünftiger Wettmeister mit seinen Erläuterungen beginnen konnte.

Kapitel 2

Nun denn, ihr beide wollt also endlich eine vernünftige Arbeit und als Bonus obendrein einen Mann, der natürlich der Traummann schlechthin ist. Der einfache Weg wäre zum Arbeitsamt zu gehen, sich beraten zu lassen - fertig. Aber da ihr zwei etwas Besonderes wollt, gebe ich euch einige spezielle Möglichkeiten, die ihr ausschöpfen solltet. Danach könnt ihr ja immer noch die langweiligere Alternative wählen. Und bitte, verspricht mir eins! Keine extraordinären Berufe, die überhaupt kein Mensch kennt oder die unmöglich zu erreichen sind. Wählt ausgesprochen weise nach euren Talenten und Vorlieben aus. Außerdem habt ihr dabei einen gewissen Zeitrahmen zu erfüllen, um eure Ziele zu erreichen. In spätestens einem Jahr versammeln wir uns wieder hier, falls es diese Veranstaltung noch einmal geben wird und schauen, welche Erfolge ihr verbuchen konntet. Ihr sollt euch Jobs und Männer suchen und hier sind eure Lokalitäten und Optionen: Diverse Chatrooms, Stellenmärkte, Zeitungen, Mund zu Mundpropaganda oder irgendwelche Aushänge in Schaufenster oder bei Firmen."

"Soweit ist mir alles klar, aber was meinst du mit der Mundpropaganda?", wandte ich stirnrunzelnd ein.

"Ja, freie Arbeitsstellen erfährt man zum Beispiel beim Friseurbesuch, über Freunde oder Bekannte, das ist doch ganz simpel. Vielleicht hat irgendeine Freundin im Bekanntenkreis jemanden, der einen Job wüsste oder sogar Single ist. Dann wird schnell ein Dinner unter Freunden arrangiert und voila! Mann und Job auf einen Streich."

„Oh, ja. Dann bin ich aber einmal gespannt, ob das klappen auch wird."

„Verlasst euch bloß nicht darauf, vielleicht biegt er einfach mal um die Ecke, wenn ihr es am wenigsten erwartet! Nichts ist unmöglich."´

Grübelnd über die teils ungeahnten, aber dafür doch so simplen Möglichkeiten standen Elfi und ich bloß noch eine Weile stumm da, eher wir uns auf diese Wette von unserem Freund einließen.

„Okay, ich glaube kaum, dass es uns noch schlechter als jetzt gehen kann, also akzeptiere ich die Bedingungen der Wette. Allerdings möchte ich trotzdem noch wissen, was der Wetteinsatz beziehungsweise der Gewinn ist!"

Heimtückisch schmunzelte Gustav mich an, strich sich die Haare aus dem Gesicht und raunte:

"Nix da, meine Hübsche. Überraschung ist die Mutter der Porzellankiste. Aber einen Wetteinsatz gibt es nicht. Ich vertraue ja auf euch. Aber wenn ihr es nicht schafft, dürft ihr einen Monat lang meine Wohnung putzen."

Seine Wohnung.

Der totale Albtraum jeder Putzfrau.

Blankes Chaos, so weit wie das Auge reicht.

Das reinste Paradies für wuchernden Schimmel und überall tummelnde Kakerlaken.

Meterhohe Geschirrtürme, sowie Berge an Schmutzwäsche und zentimeterdicke Staubschichten.

Da half nicht mal ein Swiffer.

Oder Zewa – mit einem Wisch ist alles weg.

Alles Schwindel.

"Willst du uns umbringen? Da geh ich nicht mal mit einem Schutzanzug rein!"

Daraufhin würgte Elfi theatralisch und präsentierte unserem Freund ihren nach oben ausgestreckten Mittelfinger.

„Vergiss es. Nur über meine Leiche."

Darüber lachte Gustav herzhaft.

„Wette ist Wette. Falls ihr gewinnt, gibt es ja auch einen schönen Gewinn für euch."

„Na gut, da wir sowieso gewinnen, würde ich sagen, dass wir uns darauf einlassen, oder Elfi?"

Widerwillig grummelte sie noch ein paar Minuten herum, bevor sie dann doch zustimmte.

„Aber gibt es sonst noch irgendwelche Bedingungen, die wir einhalten müssen?"

Bevor Gustl uns seine Gedanken mitteilte, grübelte er kurz.

„Meine Damen, erstens, ihr braucht mir gar keine Lügen auftischen, dass ihr innerhalb einer Woche schon alles erfüllt habt, denn ich werde alles genau nachprüfen und wenn ich dazu eure Kontoauszüge konfiszieren muss! Zweitens sucht euch wirklich nur etwas Ernsthaftes und keine Nebenjobs mehr.

Wenn ihr mal dabei unsicher seid, probiert es aus und wenn es nicht perfekt für euch ist, lasst es bleiben. Vertraut mir, dies ist der richtige Weg endlich mal in die Puschen zu kommen, dass aus eurem Leben endlich etwas Anständiges wird."

„Muss das Leben denn anständig sein", ließ ich meinem quälenden Gedanken freien Lauf. Ich möchte doch nicht in einem spießigen Reihenmittelhaus enden und dort bis zum Ende meiner Tage mein Leben als Hausfrau fristen.

"Gute Frage, aber anständig bedeutet nicht gleich spießig. Wenn ihr alt und grau seid, wollt ihr doch auf ein erfülltes und glückliches Leben zurückblicken, oder?

Das meinte ich damit."

„Oh...ja so sollte es eigentlich sein."

Am Thema Älter werden huschten wir bisher vorbei, ohne näher darauf einzugehen, aber jeden betrifft es irgendwann. In unserer Jugend gab es häufig welche, die mit achtzehn Jahren bereits fleißig Pläne schmiedeten, wie sie ihre Lebenszeit verbringen wollten: Einen Beruf finden und von zu Hause ausziehen, danach heiraten und Karriere machen, natürlich hübsche Kinder kriegen - oder sie nur zeugen, sowie reisen, selbstverständlich ein Haus bauen und irgendwann in Rente gehen, um dann glücklich zu sterben. Fertig.