Sing Dich Reich - Dat tat Do-Bataille - E-Book

Sing Dich Reich E-Book

Dat tat Do-Bataille

4,6

Beschreibung

Simone ist ein Ex-Supermodel und fährt ihre Beziehung gegen die Wand. Daraufhin gründet sie mit ihrem Neu-Lover und ihrem besten schwulem Freund eine Popband. Sie legen auch gekonnt einen flotten Dreier hin (Nein, kleiner Scherz). Sofia, die Sektenaussteigerin, kommt durch ein Casting dazu und hat künstlerische Ansprüche zu melden während es vor allem Simone um Fame geht. Die Band landet einen Überraschungshit und treten eine Medienlawine los. Vor allem durch Simones einmalige Wunder-Begabung... doch bald erreicht die Band ihren Höhepunkt und stürzt unvermeidlich ab. Sowohl in den Charts als auch privat...

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Ganz herzlichst möchte ich mich bedanken bei:

Nicole Seidel, die sich viel Mühe gegeben hat Seite für Seite zu korrigieren.

Peter von Gersdorff, der mir das tolle Cover entworfen hat.

Bei meinem lieben Mann und allen, die sich angesprochen fühlen!

Inhaltsverzeichnis

Prelude

First Verse

Second Verse

Chorus

Chorus: Repeat

Bridge

Third Verse

Chorus

Fade Out

Prelude

A lain Beauchamp verströmte den harmlosen Humor eines Heinz Erhardt. Im Ausgleich dafür war sein mächtiges Gehänge dem eines Porno-Rammlers würdig. Das konnte jedermann aus 30 Meter Entfernung erkennen. Simone Autre-Poubelle small-talkte mit dem in Windsor-Tuch gekleideten Lebemann am Tresen und fand seine Altherrenwitze dennoch vergnüglich. Der Gründer eines Bostoner Verlagshauses und Multi-zum-Quadrat-Millionär säuselte ihr liebreizende, intelligente Komplimente ins Ohr und verführte sie mit seinem weltgewandten Auftreten. „Meine besten Geschäfte habe ich an der Bar gemacht und nicht am Konferenztisch. Ich war mega”, prahlte der Freizeit-Verleger nun, während sie sich fragte, ob sein schätzender Blick ihrem Körper gelte – seine Worte ließen diese Lesart eindeutig zu. Was sollte es sonst bedeuten? Ihr Erfahrungsschatz mit Männern war reich, doch nicht rühmlich, also entschloss sie nicht zu geizen, gewährte ihm einen Augenaufschlag und griff ihm keck (aber nicht zu fest) in den Schritt. Er wurde sogleich noch zugänglicher und erzählte: „Ich bin verwandt mit dem erfolgreichen Werbetexter Beauchamp aus San Francisco. Kennen sie den?“ Sie verneinte und bestellte sich einen Cosmopolitan. Gekonnt sowie genüsslich zuzzelte sie am Strohhalm, den sie zusätzlich dazu bestellt hatte. Schließlich konnte sie derart ihre erotische Verheißung an den Mann bringen. Beauchamp fand es nicht weiter affig, dass sie aus dem flachen Behälter die Flüssigkeit ansaugte als ob es kein Morgen mehr gäbe. Wie schön, das warme Wetter zu genießen, obwohl es in Deutschland bitterkalt war. Kein Wunder, war ja mitten im Winter. Sie genoss die Sonne und im noch größeren Maße die Zuwendung des Privatiers.

Einen solch interessanten Herrn hatte sie nicht erwartet zu treffen, als sie vor einer Woche auf dem Luxus-Kreuzer “Millions Of Golden Stars In The Caribbean Paradise Silver Cloud 4 – 7” eincheckte. Entgegen der Erwartung, die das Schiff mit seinem Namen weckte, fuhr es nicht in der Karibik herum.

Gestern Abend dann, beim pompösen Captain's Dinner, war ihr Beauchamp aufgefallen. Er war ihr Tischnachbar und ihre Ellenbogen berührten sich, wie sie in Erinnerung hatte. Er fühlte sich dazu ermutigt, ein Gespräch anzustoßen: „Munden ihnen die gelben Steinpilze? Sie sind von einem Waldbauer aus dem Ammerland.“

„Schmeckt ein wenig muffig, aber die Farbe kommt sicherlich von einem seltenen Schimmel, oder?“

„Scherzhaft sagt man, dass die Eber sich gerne über den Pilzen erleichtern.“

Erheitert wandte sie sich ihm zu, sie unterhielten sich über Gott und die Welt. Alain war Agnostiker, Simone versuchte ihn mit ihrer Annäherung an den Zen-Buddhismus zu unterhalten: „Ich bemühe mich immer wieder, mehr Zen in mein Leben einzubringen. Meist misslingt es.“

„Wie sieht denn ihre gelebte Philosophie aus?“

„Alles was ich mache, versuche ich bewusst zu erleben. Wenn ich etwa eine Paprika schäle, konzentriere ich mich darauf und versuche den Moment so intensiv wie möglich auszukosten. Ich erfühle die Farbpigmente, den Geruch der Frische und versuche mir vorzustellen, wie die Paprika aus dem Saatgut gewachsen ist. Schälen als Meditation, verstehen sie?“

„Meditieren bei der Hausarbeit? Das erledigen meine Angestellten.“

„Das ist etwas ganz anderes. Auf den ersten Blick ist eine Paprika eine Paprika und nichts weiter, dennoch ist sie viel mehr. Wenn man es zulässt, kann sie unser Bewusstsein erweitern.“

„Aha. Muss man Paprikas eigentlich schälen?“

„Mmmmh, ist doch egal“, überlegte sie, „mir fällt es zumindest nicht schwer, darin eine tröstliche Ruhe zu finden. Mein Leben ist zu hektisch. Es ist und bleibt aber immerhin eine Möglichkeit, zu sich zu kommen.“ Sie war nicht ganz überzeugt davon, denn ihr offener Mund zeigte ihre Ratlosigkeit an.

„Meine Dame, Karotten muss man doch schälen, Paprika nicht, sofern ich mich recht entsinne. Ich werde diese Sachfrage von meinem Koch klären lassen.“

Eine Möhre konnte nach Simones Ansicht auch eine Erfüllungsgehilfin ihrer Lust sein. Demnach war ihr dieser Zen-Ansatz zu schwach, sie behielt diesen Gedanken aber für sich.

„Ist das nicht etwas eindimensional? Küchenarbeit und so“, bohrte der Milliardär weiter, „klar, man sollte sich auf eine Sache konzentrieren, aber da steckt doch nicht mehr hinter.“

„Doch! Denn was ich mir bewusst mache, lebe ich – und das ist doch wichtig! Es steht doch immer etwas hinter den Dingen, dafür muss man seinen Geist öffnen.“

„Lehrt der Buddhismus nicht auch, dass man sich frei machen soll von seinen Gefühlen?“

„Sind wir jetzt beim Buddhismus gelandet?“

„Ich denke schon, aber sich zu befreien ist eigentlich etwas Universelles. Stichwort Katharsis.“

„Damit habe ich meine Schwierigkeiten. Ich möchte mich schon als humanes Wesen fühlen.“ Dazu gehörten ihrer Ansicht nach auch Leid und Liebe. „Nur zu existieren reicht mir nicht.“

„Ich denke, man kann sich auch freimachen und fühlen. Das geht mit einer gewissen Demut und Lässigkeit einher“, sagte Alain. Sie rätselte, was er in seinem Alter bereits alles gesehen hatte, um in solche philosophischen Dimensionen einzutauchen.

Sie selber hatte es satt, dem Schicksal unterworfen zu werden. Aktiv werden, ihr Glück in die eigene Hand zu nehmen, war nun ihr Ziel. Deswegen war sie in letzter Zeit sehr unruhig geworden, hatte eine nervöse Zuckung am rechten Auge entwickelt und eine Neurodermitis machte sich langsam auf ihrem ansonsten entzückenden Rücken breit. Ihre Sorgen trieben das Ex-Model um - und auf die Kreuzfahrt gen Asien. Ursprünglich wollte sie eine Fashion-Journalistin aus Düsseldorf besuchen, mit der sie auf einem Foto- Shoot hemmungslos herumgeknutscht hatte, aber Anne war gerade mit engen Freunden auf Ibiza.

Er hingegen dachte in demselben Moment an sein Aktien-Portfolio und wie er Simone öffnen konnte. Das eine hatte mit dem anderen sehr viel gemein. Die Frauenwelt zeigte sich generell zugeneigt, wenn er betonte, wie er seine Aktien zusammenstellte und wie viele Yachten er besaß. Doch nach den 21 Gängen warden Beteiligten die Lust auf jegliche Aktivität vergangen.

Völlig gelassen hingegen traf sie heute Beauchamp an der Theke auf dem Achterdeck. Sie schwiegen sich an, was ihr zupasskam. In der blauen Weite suchte sie die Stille, fand jedoch nichts anderes vor als das Flirren seiner sonoren Männerstimme. Alain erhob sich gerade. Nachdem auch sie ihren Cocktail eilig geleert hatte, gingen sie im stillen Einverständnis Seite an Seite. Sie sog den Duft des Meeres ein. Allein sein After-Shave mit einer zu dominanten Ingwer-Cayenne-Pfeffer-Note mochte nicht zur See passen.

Auf dem Weg zu seiner Kabine, die sich „Princess Sweetness“-Suite schimpfte, aber höchstens drittklassigen Plastik-Komfort bot, tauschten sie von Geilheit aufgeladene Nettigkeiten aus. „Ich bin ein gesegneter Mann, dass ich mich an ihrer Schönheit laben darf.“ Vor lauter Erregung löste und krampfte sein gesamter Unterkörper. Er verschwieg gekonnt den feuchten Furz, der seine Unterhose einnässte.

Sie aber war im Gegensatz zu ihrem Begleiter ernsthaft an seiner Person interessiert. Dennoch sollte er lediglich ein Vier-Minuten-Lebensabschnittspartner werden, der sie nach der potenten Tristesse nicht weiter interessieren sollte. Zumindest nicht auf privater Ebene.

Jetzt aber konzentrierte sie sich auf Alains Zunge, die ihr einen Hauch zu gierig erschien. Er hatte wohl lange nicht mehr davon Gebrauch gemacht. Schließlich war er im gestandenen Alter (sie schätzte ihn auf Anfang 70) und hatte laut eigener Auskunft kaum Zeit, um sich mit einer, geschweige denn seiner, Frau zu vergnügen. Sie war erstaunt, dass sein Geschlecht wie das eines 15-Jährigen funktionierte, was ihr höchste Anerkennung abverlangte.

Jäh jedoch wurde ihr bei dem Gedanken, dass er in dem Alter ihres Vaters war, richtig übel. Eigentlich passte Alain nicht in ihr Beuteschema, das sie zugegebenermaßen freizügig gestaltete: Sie kostete an allen Männern, die nicht gerade invalide Sozialfälle, altersdement oder süchtig nach Potenzpillen waren. Sie schloss die Augen, war im Geiste bereits wieder auf dem Achterdeck, um sich die Brise im gelben Meer um das verwöhnte Näschen (sie wollte in Zukunft besser auf ihre Nasenscheidewand achten; eben diese war durch ihren Drogenkonsum dünn und brüchig geworden) wehen zu lassen. Dass solch ein simples „Natur-Erlebnis“ besser sein konnte als ein paar Milligramm Amphetamin im Blut hätte sie nicht gedacht.

Dabei gab sich Alain gerade redlich Mühe: Er leckte sie genüsslich sauber. Genau an ihrem wunden Punkt war er gerade angelangt. Mit kreisenden Bewegungen trieb er sie gekonnt in den Wahnsinn. Dabei stellte er sich geschickter an als jede Katzenzunge. Sie jubilierte, war nur noch weich und nachgiebig und mehr als bereit. Sie lag mit geöffneten Schenkeln, die sie nun noch weiter spreizte, auf dem Bett und blickte aus dem offenstehenden Bullauge während er noch tiefer schleckte. Malerisch hingen die Wolken über ihnen. Fast hatte sie den Eindruck, dass sie unter freiem Himmel bumsten. Die Seeluft erfrischte ihre Sinne, und wenn die beiden nicht so abgelenkt wären, würden sie sich wahrscheinlich an dem Panorama erfreuen. So aber sahen sie nicht die Lachmöwen, die hoch in der Luft kreisten und kreischten. Genauso wenig beeindruckten die auftauchenden Delfine und das unendliche Wasser. Die Tropen, das Plätschern, die Sehnsucht… Simone ließ sich treiben. Fast war der Sex so sinnlich wie eine stundenlange Kundalini-Meditation. Wenige Minuten später lag er schwitzend in ihr und sie sorgte für eine kaskadenartige Lautuntermalung.

„Darf ich ihn sie kommen?“, bevor sie reagieren konnte, zuckte sein Pimmel wie ein elektrischer Aal. Sie spürte wie er sich schnell zurückzog. Doch keine 15 Jahre mehr, bewertete sie die Situation, als sein Senior-Samen begann aus ihrer Mitte zu laufen. Das Rinnsal war warm und wässrig. Sofort danach blickte er gehetzt auf seine „Lange und Söhne“-Uhr (natürlich limitiert) und schaltete seinen Tablet-PC ein. Sie ging freiwillig. Das erste Ineinander-Stecken hatte sie sich romantischer vorgestellt. Oder dreckiger, mit Standard-Nummern gab sie sich lange nicht mehr zufrieden, aber beim Sex gesiezt zu werden war selbst für ihre Umstände fremdartig.

Nachdem Beauchamp sein Sozialleben aufgefrischt hat, fasste sie den Entschluss, ihrem Leben eine neue Wendung zu geben. Für die Unbeschwertheit ihrer Jugendtage, die längst nicht einmal eine schwammige Erinnerung war, wäre sie bereit auf alles Annehmliche zu verzichten. Was waren ihr Designer-Klamotten, Ruhm und falsche Freunde wert? Ihr Model-Leben fühlte sich falsch an. Der Glamour war hohl, sie war leer und ausgebrannt. Das kurze Glück eines Koks-Kicks konnte sie nicht langfristig auffangen, erkannte sie.

Die Seereise nach Vietnam kam wie gerufen, um sich eine Auszeit zu gönnen und über die wesentlichen Dinge des Lebens nachzudenken. Ihr Freund Marco Stehbach erwartete sie bereits ungeduldig in Saigon. Im Auftrag eines namhaften Sterne-Kochs eröffnete er dort eine neue Edel-Gastronomie mit einer Wellness-Abteilung im römischen Stil, Restaurant mit offener Show-Küche und einem pakistanischen Tanzsaal. Sein Kumpel Donchu Dare war auch vor Ort, um zu assistieren. Seinen kreativen Kopf, den man auch in wirtschaftlichen Dingen um Rat fragen konnte, stellte Marco ohne zu zögern ein. Die beiden waren ein gutes Team, Freundschaft und Business war eine kongeniale Verbindung für sie. Donchu schlug etwa vor, zur Eröffnung künstlichen Nebel mit Austern-Aroma einzusetzen, damit die Geladenen vor Paparazzis weitestgehend geschützt waren. Die VIPs würden die Diskretion zu würdigen wissen, solange sie nicht Mariah hießen. Nebenbei würden sie Appetit auf das Buffet bekommen.

Simone hoffte, ihren Mister Big Charming Prince Perfect auf dem roten Teppich zu treffen. Einst hatte sie sich in Marco verliebt, da war er noch kleiner Hotelier in seinem Heimatort Datteln. Doch als der Ehrgeiz ihn packte und er den Turbogang einlegte, hangelte er scheinbar mühelos die Karriereleiter steil aufwärts. Er wurde bigger als Mister Big, larger than life, kurzum ihr selbst imaginierter Traumtyp in Vollendung. Seine Dienste waren so gefragt, dass er sich als Berater selbstständig machte – und nunmehr im Geld schwamm. Das war die Sonnenseite. Zu Simones Bedauern schlug sein Erfolg um in Machtgier und Wichtig-Wichserei. Sie distanzierte sich allmählich in immer schnelleren Umdrehungen von ihm als die Trommel ihrer Waschmaschine ihr Erbrochenes aus ihren Klamotten entfernen konnte.

Mit 26 Jahren war sie nun alt genug, um die Männer zu lesen und jung genug, um sie zu verführen. Ihr Aussehen war blendend und ließ sie nach männlichen Maßstäben zu einem Über-Weib mutieren. Sie selbst fand sich total normal, eher spießig. Gewiss war sie zufrieden mit ihrem Aussehen, aber sie zog keine Ego-Show ab. Selbst wenn heuer, kurz nach dem Ende ihrer Model-Karriere, tolle Fotos in der Klatschpresse kursierten. Diese tat sie mit einem Achselzucken ab: „Die Leute meinen, ich sei zu ernsthaft, weil ich auf den Bildern niemals lache. Das rührt aber daher, dass ich mich auf meine Schminke konzentriere.“ Der Ausdruck in den Augen sei entscheidend für den Erfolg.

Sie war als anerkannte Mode-Expertin durch ihre Arbeit beim TV-Magazin „Outrageous Fashion“ eine der breiten Masse bekannte Stil-Ikone geworden. Aufregender als Gwen Stefani, hübscher als Petra Nemcova und lieblicher als Scarlett Johansson. Die selbstreferenziellen Medien erhoben sie zur „Queen of Style“ des Sommers. Die Folge war ein Angebot eines Privatsenders mit einem eigens auf sie zugeschnittenen Format: Unangemeldet soll sie bei Otto Normalo vor der Tür auftauchen und ihn einem Make-Over unterziehen – inklusive des Haustieres, egal, ob es sich dabei um Hund, Katze, Schwein oder Pavian handelte. Dabei sollte sie neben ihrem Fachwissen eine andere - sehr telegene - Stärke anbringen: Sie war schön zwischen den Beinen. Und das wusste sie klug in Szene zu setzen. Auf einen Nenner gebracht, sollte sie Sex vor der Kamera haben. Das Intimste würde abgeblendet werden. Erst lehnte sie das Projekt auf Anraten ihres Managers ab, aber dann erinnerte sie sich ihres Rufes als Teenager – der Vertrag ruhte also nun in ihrer Handtasche. Ihrem Marco hatte sie bis dato noch nichts verraten.

Das wollte sie nun ändern. Den Entschluss fasste sie auf der Taxi-Fahrt vom Hafen in die westlich geprägte Innenstadt von Saigon. Doch als sie Marco und Donchu entgegentrat, die sie in der Lobby des „Hotel Onkel Tem“ erwarteten, verschlug es ihr aus Scham die Sprache. Die beiden Männer sahen ausgeruht aus – das ging leicht, wenn man die Hotelführung inne hat. Die zahlreichen Helfer wie Visagist, Frisör, Masseur, Assistent, Personal Trainer, Koch, Butler und Palmen- Wedler sorgten sich rund um die Uhr um das Wohlbefinden. Auch wenn sie in der ersten Adresse am Platz abgestiegen sind, hatten sie ihre eigene Armada an Angestellten in Rufweite. Simone fand es übertrieben, erfuhr aber von Donchu, dass es sich ziemte: „Ich habe es gewiss nicht nötig, aber so etwas gehört sich doch. Man muss doch bedenken, was ich repräsentiere.“

„Das ist mir nicht ganz klar“, schaltete sich Marco ein, „wir sind doch hier, um unser Restaurant aufzumachen. Wozu brauchst du da deinen eigenen Barista und Wellness-Öl-Anmischer?“

„Das spricht sich herum, und unsere Geschäftspartner sind geblendet.“

„Du hast so Recht“, klopfte ihm Marco auf die Schulter. Um ihre Fremd-Verlegenheit zu überspielen nahm Simone einen langen Schluck von dem natriumarmen Gletscherwasser (ein Liter zu 800 US-Dollar) und erzählte: „Wisst ihr, ich habe letztens auf der Fashion Week in Berlin Richard T. Thommsen getroffen. Die Superhusche hat mir vorgespielt, sie habe Frau und Kind und fühle sich großartig als Vater. Das erinnert mich an dich, Donchu. Dir geht es nicht besonders, oder?“

„Wie kommst du darauf? Ich habe nichts mit dem Schauspieler zu tun.“

„Du siehst genauso arrogant aus!“ Sie hatten sich noch nie richtig verstanden, aber jetzt kam zum Tragen, was lange unter der Oberfläche gebrodelt hatte. Einen Freund ihres Freundes konnte sie einfach nicht neben sich dulden – schließlich war sie eine Frau! Hinzu kam, dass sie enttäuscht war, dass Marco sie nicht persönlich am Hafen abgeholte hatte und auch keinen Blumenstrauß zur Hand hatte.

„Nur, weil ich als Europäer auf diese Saigonesen herabschaue? Die sind alle gleich, setzen ihre Lächel-Maske auf und freuen sich darüber, uns Weiße übers Ohr zu hauen. Da fühle ich mich als deutscher Normling zu geil.“

„Donchu, du bist selber ein Mischling!“

„Nur, weil mein Vater Asiate ist. Meine Mutter ist dafür zu 120 Prozent auf Österreicherin geeicht. Und vergiss nicht, ich habe einen internationalen Künstlernamen.“

„Um deine Herkunft zu verschleiern?“ Darauf ging er nicht ein.

Um die Gemüter abzukühlen, gab Marco die Gerüchte wieder, die besagten, dass Thommsen im nächsten Hollywood-Blockbuster eine Frau im schrillen Fummel spielen werde. „Das Drehbuch hat delikaterweise eine Transexuelle geschrieben. Dabei hat sie sich auf die Lebensgeschichte einer Dragqueen aus Melbourne gestützt – umgesetzt wird es nun von einem schwulen Regisseur.“

Simone ergänzte: „Und früher hat Richard als Musical-Tänzer am Broadway brilliert. Er ist derzeit laut Umfrage der beliebteste männliche Darsteller. Die Frauen verehren ihn, die Männer beneiden ihn. Außer die Schwulen, die verarschen ihn. Höhö.“

„Klar, es ist nicht nur Branchen-Insidern hinlänglich bekannt, dass er immer in Begleitung seines persönlichen Sekretärs reist“, beteiligte sich auch Donchu wieder am Gespräch. „Ich habe übrigens gestern 12 Kristall-Lüster für den Empfangsraum ausgewählt. Hat nur 500.000 Euro gekostet.“

„Davon kann ich einen Monat lang alle meine Lieblingsboutiquen ernähren!“, bemühte sich Simone um einen lebensnahen Vergleich.

„Aber die sind gülden, original aus Nancy des 12. Jahrhunderts!“

„Nun, da wir beide Geschäftspartner sind, nehme ich dich in Schutz. Unsere Gäste würden es merken, wenn es gefakte Leuchter wären. Versailles hätte mir aber besser gefallen.“

„Wie könnt ihr eigentlich zusammenarbeiten? Ich würde da einen Nervenzusammenbruch nach dem anderen kriegen.“

„Donchu ist ja lediglich mein creative director. Finanziell habe ich den Überblick.“

„Also, du bist der Denker und er der Fantast – so klappt das natürlich.“

„Er kümmert sich aber auch um die Baugenehmigung, die haben wir immer noch nicht in der Tasche. Obwohl wir fertig sind. Ist hier aber üblich, die Lizenzen bekommt eigentlich jeder, der diskret genug spendet“, informierte ihr Freund.

„Ich hab das alles im Griff, die Mafia-Gerüchte um den Stadtrat sind aber völlig haltlos“, meinte sein Untergebener.

„Donchu, wo bekomme ich in Hoo-Tschiii-Ming-City gutes Porzellan? Möchte ich mir als Souvenir mitnehmen.“ Simone gab sich versöhnlich, denn sie war harmoniebedürftig. Außerdem wollte sie unter vier Augen vortasten, was Marco von einer Trennung halten würde, nur für den Fall, dass sie ihrer Dual-Seele begegnen würde. Das war aber nicht sehr wahrscheinlich, wie sie selber wusste, denn der nächste Mann sollte nicht nur gepflegt, charmant, witzig sein und beruflichen Erfolg vorweisen, sondern auch ein Rauhbein, Raucher, allenfalls Spontan-Kokser und Triathlon-Sportler sein. Zudem schätzte sie keine Typen, die ihre eigene gute Optik als Ego-Booster missbrauchten. Aber schön sollte er sein, musste nicht unbedingt auf dem Cover der Mens Health posiert haben. Vogue Hommes International würde genügen, sie hatte gelernt genügsam zu sein.

Donchu erklärte sich bereit, ihr unter die Arme zu greifen und wollte ihr einen Antik-Laden zeigen, den er erst kürzlich entdeckt hatte. Sie nahmen Platz in einem Cyclo. Der junge Vietnamese legte sofort los. Die klassischen Fassaden der französchen Kolonial-Villen beeindruckten Simone. Sie warf einen ausführlichen Blick auf den schweißnassen Nacken des jungen Radfahrers, der sich redlich abmühte, sie ohne Unfall zum Antik-Laden zu transportieren. Dabei referierte Donchu über den Vietnamkrieg und die bösen Amis, überspitzte, übertrieb in bester Reporter-Manier und ließ wesentliche Fakten aus. Seine Zuhörerin schaltete ab als er in die Raubtier-Kapitalismus-Kritik verfiel.

Da es nicht möglich war in Ruhe durch die hechelnde, stinkende Stadt zu spazieren, nutzte sie die Fahrt, um sich einen Eindruck über die City zu verschaffen. Selbst dann drohte der Mega-Moloch sie zu verschlingen. Donchu ließ nun seine Eindrücke passieren: „Es ist total krank hier. Die Leute sind so besessen vom beruflichen Aufstieg und „making money“, dass sie darüber alles andere vergessen. Die Armut, die Ungerechtigkeit, die Korruption!“

„Sag mal, bist du jetzt Attac-Anhänger?“, fragte sie leicht belustigt. Sie kannte ihn nur als selbstsüchtigen, konsumfreudigen Darsteller seiner Wünsche.

„Nein, im Ernst! Wenn du dir zum Beispiel ein Moped ausleihst, solltest du dich darauf gefasst machen, dass du innerhalb der nächsten 500 Meter anhalten musst. Der Verleiher hat nämlich Nägel auf die Straße gestreut, damit du zurückmusst und für die Reparatur draufzahlst.“

„Jetzt weiß ich ja Bescheid. Vielleicht würden wir es im umgekehrten Fall genauso halten?“, versuchte sie ihn zu beruhigen, obwohl sie als Viel-Reiserin gewahr war, dass solche Methoden schon längst nicht mehr angewandt wurden. Selbst der abgezockteste Rad-Verleiher sah ein, dass man die westlichen Devisen nur im Land behielt, wenn man sie nicht zu offensichtlich auspresste.

„Das sind Verbrecher! Schweine-Kommunisten! Das ist doch irre. Die lassen sogar ihre Landsmänner auf offener Straße verbluten. Das habe ich letzte Woche bei einem Verkehrsunfall hautnah miterlebt!“

„Mein Gott, da hat doch wohl jemand den Notarzt gerufen?“

„Nein, hörst du mir nicht zu? Kann ja keiner zahlen.“

„Und du? Du hast doch etwas unternommen?“

„Was denn? Die mögen uns Langnasen nicht. Sollen die doch zusehen, wie sie zurechtkommen. Diese bettelnden Kinder nerven mich tot. Hau ab!“, schrie er einem kleinen Mädchen zu, das wagte mit einigen Ansichtskarten von der Hai-Lang-Bucht zu winken. Sie lief davon, so kam er nicht in den Genuss, die Postkarten von umgefallenen Grabsteinen (mit Jahresdaten!) zu bewundern. Doch Donchu redete sich in Rage: „Und diese eklatante Unverschämtheit aller Orten! Weißt du, was mir passiert ist?“

„Ein westlicher Geschäftsmann wollte dich am Nachtmarkt für fünf US-Dollar mitnehmen?“, stichelte sie vergnügt.

„Achwo! Die Jungs hier nehmen gerne den Euro. Nein!“, rief er aus und scheuchte einen Straßenköter weg, „mir wurde von einer jungen Vietnamesin eine Thai-Massage angeboten! Im Hotel!“

Simone überlegte, worin für ihren Begleiter der eigentliche Skandal bestand und entschied, den Choleriker nicht in ihre Pläne einzuweihen. Sie würde einfach Schluss mit Marco machen. Sie konnte eben nicht einmal mehr sein hundsteuren Duft ertragen, den er sich in Mailand nach seinem Wunsch anfertigen ließ. Eigentlich hätte sie sich ebenso effektiv am Telefon mit Marco auseinanderdividieren können. Sie fuhren durch die Innenstadt, entlang der Prachtmeile Dong Khoi, die ehemals unter französischer Besatzung Rue Catinat hieß, und nun Designer-Shops bereithielt. Einige Straßenzüge weiter kamen sie zum Stehen.

Nachdem sie in dem Antik-Laden handgefertigtes Porzellan zum überteuerten Preis erstanden hatte, flüchteten Donchu und Simone vom Gehupe, Gequietsche, Gedränge und von der allgemeinen Hektik genervt, in ihr Sechs-Sterne-Hotel. Ohne an einer offenen Garküche gehalten zu haben. An einem „Stand“, der nur aus Zeitungspapier bestand, bereitete eine gebrechliche Arme Frühlingsrollen am Boden zu. Die Füllung würde nicht nur Fleisch und frische Kräuter beinhalten, ein angemessener Teil wäre sicherlich der Dreck vom Straßenrand. Ungeachtet dessen schnippelte sie die Zutaten weiter zurecht, hackte sie klein und frittierte die Rollen in einer Friteuse, die ihren Platz gleichfalls auf dem Sand der Straße fand. Inmitten einer Wolke von Staub und Abgasen. Obwohl es die westliche Touristin reizte, hielt Donchu sie davon ab, zu kosten. Er wusste um ihren nervösen Magen. Was ihr Noch-Freund seinem Kompagnon wohl noch alles Intimes verraten hatte?

In ihrer „Lotus Silk“-Suite tranken Simone, die sich vorher von Donchu verabschiedet hatte, und Marco eine Flasche Reiswein der Hausmarke „Skinny Buddha“. Sie näselte: „Gibt’s hier kein vernünftiges Getränk ab 300 Euro?“

„Schatz, ich kann dir den tollen weißen Tee bestellen, der nur an den Nordhängen des Himalay wächst.“

Marco berichtete begeistert und gelöst von seinem neuen Hobby: dem rückwärtigen Gummistiefel-Weitwurf. Er organisierte für seinen Verein „Acht- Meilen-Gummi“ die internationalen Wettkämpfe. Es war kein Scherz, nächsten Monat sollte ein Weltrekordversuch im „Paris der Tropen“ stattfinden. Zwischen Arbeit und Hobby zerrieb es ihn, wie er freimütig zugab. Dass erklärt seine Gereiztheit, dachte sich Simone.

„Ich will nach der Eröffnung mit dem Job aufhören“, kündigte er unvermittelt an, „dann kontaktiere ich Regina… - wird mal wieder Zeit, sich anzunähern.“ Ein dreckiges Lächeln umspielte seine Lippen.

„Deine Ex?!“, Simone hatte nicht vor, weiterzudenken, sagte lediglich bestimmt: „Marco, es ist aus.“

„Ich verstehe dich nicht. Regina hat sich wirklich um meine persönlichen Bedürfnisse gekümmert“.

„C'est fini!“

„Aber Schatz, lass mich erklären…“

„Ich habe mich deutlich ausgedrückt. Es ist vorbei!“, schnaufte sie kurz vorm Hyperventilieren.

Dann blieb ihr die Luft weg. Nur 6 Sekunden. Hatte er die Verve, sie mit einem erneuten Geständnis zu demütigen? Er würde beileibe seine zahlreichen Affären weiterführen. Sie war ein Hornochse, zu dumm, auf sich selbst aufzupassen.

„Sie hat für mich eingekauft, unsere Verlobungsringe, Schatz!“

Simone kochte über, der feine Herr Stehbach ging einfach über ihren letzten Satz hinweg, als ob es keine Rolle spielte, was sie dachte und fühlte. Sie erhob sich, übersah seine Verblüffung, und schmiss in ihrer Rage das kostbare und soeben erstandene Porzellan gegen die Wand.

„Simone, was sagst du zu meinem Antrag?“

„Aha! Dein Antrag?! Es dreht sich hier alles nur um dich! Ich bin auch da, da, da! Und dort, dort und dort!“, hektisch zeigte sie mit ihren Händen in alle vier Ecken des Raumes.

Sie ließ ihren wie zu Stein erstarrten Freund stehen, rauschte aus der Suite und begab sich in die Haus-Bar. Dort, an derTheke, traf sie Alain Beauchamp wieder. Erleichtert prostete sie ihm zu und deutete ihm, ihr Gesellschaft zu leisten. Ansonsten hatte sie nur noch die Wahl gehabt, ihre Kreditkarte zu überziehen und die gesamte Cruise-Collection von Nada Nada aufzukaufen. Zum Trotz in Kleidergröße 42! Nun widmete sie sich dem Altspund mit dem Essig-Gürkchen.

„So ein Zufall, du bist auch hier untergebracht?“

„Ja, ich dachte mir, als alter Mann gönne ich mir die Innenarchitektur eines alten Palazzo. Dafür ist das Hotel weltweit bekannt. Und für seine Bar.“

„Schade, dass du nicht 20 Jahre jünger bist“, bekundete sie freimütig, „dann könnten wir richtig Gas geben.“

„Du meinst von der Art, die wir auf der Fahrt hatten?“

„Nein“, lachte sie ehrlich, „ich meine eher die Art, von der man etwas hat.“

„Ich verstehe. Für den Fall stelle ich dir meinen Sohnemann vor. Er kommt morgen!“

Simones Augen lebten vor Hoffnung kurz auf. In ihrem Geist stellte sich Frau Immerfeucht einen gereiften brustbehaarten Playboy vor, mit dem sie sich einlassen konnte. So wie sie sich kannte, würde sich ja doch nicht Festes daraus ergeben, trotzdem sagte sie: „Okay, Deal! Treffen wir uns morgen einfach hier, so gegen neun Uhr?“

„Gemacht!“ Er bestellte ihr zum Abschluss einen doppelten Wodka mit Milch.

„Klasse, wenn es klappt. Falls nicht, kannst du mir auch alle deine Neffen vorstellen.“

„Da habe ich genug Men-Power in petto. Von 10 bis 50.“

„Nanny spiele ich nicht, aber es wird ja wohl jemand dabei sein, der mich länger hämmert als du.“

„Gut, unter 15 Jahren kannst du dann vergessen. Ist in Vietnam illegal.“

„Das nenne ich mal eine ausgezeichnete Reisevorbereitung.“

„In meinem Alter und bei meinem Renommée muss ich aufpassen.“

„Hey, ich war 13 beim ersten Mal! Der Typ war 21, eine halbe Katastrophe in der Nachbarschaft. Soviel zu meiner Person.“

„Und ich hatte mal eine 13-Jährige.“

„Oh.“

„Rothaarig.“

„Achso.“

„Prost!“

„Auf dass es besser wird.“

Entgegen der Abmachung kam Alain am nächsten Abend nicht zur Verabredung. Als Simone eine Viertelstunde nach der vereinbarten Zeit eintrudelte war sie überrascht, von einem blonden Hünen in Empfang genommen zu werden. Er stellte sich sogleich vor, Boston Robert Beauchamp. Er entsprach ihrem Ebenbild, nur in männlich. Blaue Augen, blondes feines Haar, optimaler Körperbau. Sie waren sich auf Anhieb sympathisch, unterhielten sich ohne Geholper und Gestottere. Die Chemie knisterte.

„Du hast ja einen lustigen Vornamen.“

„Ja, mein Vater liiiiiiebt“, er dehnte den Vokal maßlos lang, „einfach diese Stadt. Sie gehört ihm quasi fast zu einem Viertel.“

„Na, dann stehen dir ja alle Türe weit offen.“

„Weißt du wie anstrengend es ist, alles machen zu können ohne wirklich etwas machen zu wollen? Ich bin talentlos.“

„Boston, du bist doch sprachbegabt! Ich könnte mich nicht in einem so vollendeten Vietnamesisch mit dem Kellner unterhalten. “

„Nunja, ich spreche es schlecht, aber ich kann in sieben verschiedenen Sprachen fragen, wo es zum Prada-Flagstore geht! Ich bin sicher, du sprichst auch bestimmt Hermès.“

Seine Augen leuchteten sie von innen heraus an, sein Esprit riss sie mit. Wie der Vater, so der Sohn.

„Ja, das kann ich auch, du siehst ja meinen Foulard, aber ich kann sogar noch mehr: Das ist mir zu billig kann ich auch in den wichtigsten Weltsprachen“, hielt sie mit.

„Da bist du mir voraus“, er gönnte sich einen Blick in seinen Nun's Island-Whiskey und seufzte, „aber Luxus ist ja nicht alles.“

„Du lebst doch ein Leben auf der Überholspur, worüber beklagst du dich eigentlich? Es gibt doch keinen Grund.“

„Ein Leben in der ersten Klasse führe ich wohl in der Tat, aber leider habe ich keinen gültigen Fahrschein.“

„Verstehe ich jetzt nicht. Dann kauf dir einen.“

„Deine Naivität nähert sich deiner Dummheit an, meine Liebe.“

„Das war jetzt aber sehr stark journalistisch verkürzt.“ Sie kippte ihren Longdrink über seine Hose.

Der Abend war für Simone beendet. Sie zahlte, grämte sich ihrer Zeitverschwendung und eiste sich los. Später stieg sie leblos ins Bett. Da sie aufgrund der Zeitverschiebung nicht schlafen konnte, rief sie Felix Frohgemut in Berlin an. Selbst wenn sie ihn mitten aus dem Tiefschlaf herausreißen würde, sie musste seine Stimme hören. Er war seit Kindertagen ihr bester Freund gewesen. Mit ihm teilte sie ihren ersten Herzschmerz, den er zu gut nachfühlen konnte.

Seinerzeit waren sie in denselben Typ verliebt, wie sich nachher herausstellte, stand dieser tatsächlich auf ukrainische Vollweiber mit Überbiss und Kopftuch. Doch das ist eine andere Geschichte.

Am Hörer nun seufzte sie: „Ich bin so allein hier!“

„Alleine oder einsam?“

„Schätze, beides.“ Das war keine gute Erkenntnis.

„Du hast endlich Schluss gemacht?“

„Ja, ich sollte mich gut fühlen, aber er hatte ja auch seine guten Seiten.“

„Von welcher genau sprichst du? Er ist ein Triebtier, hat niemals Rücksicht auf deine Gefühle genommen und erst recht keine Zeit für eure Beziehung. Wenn du wieder hier bist, stoßen wir mit einem Glas Cava an.“

„Er hat Verlobungsringe besorgen lassen. Ist das nicht geschmacklos, sie nicht selber auszusuchen?“

„Wenn er dich wirklich, wirklich, wirklich lieben würde, hätte er einfach die teuersten genommen. Mit Brillanten. Und zwar im „Star-Cut“-Schliff.“

„Oder den „Kaleidoskop“-Schliff.“

„In Hinsicht auf eure Hochzeit, die ja nicht mehr stattfindet, hätte auch das Schleifen im „Hornissen- Nest“-Stil gepasst.“

„Das gibt’s wirklich?“

„Jo, bin doch ausgewiesener Fachmann für Diamanten, seitdem ich meinem letzten Freund fremdgegangen bin, mein Schmuckstück.“

„Du bist mein bester. Was würde ich ohne dich machen?“

„Am besten einen Strick nehmen. Ich muss los, meine Frühschicht fängt gleich an.“

Zack, aufgelegt. Simone wünschte in diesem Moment, er sei kein blöder Radio-Moderator eines Piratensenders. Er nahm die Sache viel zu ernst, überlegte sie, schließlich hätte sie als eine Freundin in der Klemme doch den Vorrang haben müssen! Vor allem den Kürzeren gegenüber einem unbezahlten Job zu ziehen, auch wenn es sein eigener Sender war, stufte sie niedriger ein, als eine gemeine Hausmilbe ohne Kauwerkzeuge. Sie verstand, dass das Radio sein Kind war. Sein Herzblut steckte in diesem Projekt, das er nach seinem Studium der Kunstgeschichte gestartet hatte. Es wurde so erfolgreich, dass er nun drei weitere Überzeugungstäter an seiner Seite hatte und über eine weitere Expansion nachdachte. Der Haken war, dass er keine Sendelizenz der Landesrundfunkbehörde erhalten hatte – und das auch niemals in Erwägung ziehen würde. Als Revoluzzer und „Erbe“ im Hauptberuf stand er auf weiter Flur ziemlich alleine da. Pragmatischerweise sah er ein: „An der Spitze ist man immer nur für sich. Da kann ich auch links und schwul sein. Und Frohgemut heißen.“

Simones zurückerlangte Freiheit im Single-Status verlangte am nächsten Nachmittag nach einer Privat- Botox-Club-Karte eines Beauty-Spas. Als Mitglied würde sie nunmehr nur noch 180 US-Dollar zahlen anstatt 200 im „Body Count“-Wellness-Tempel, das im letzten Herbst eröffnet hatte. Maximal 12 Behandlungen konnte sie im Jahr in Anspruch nehmen. Blieb nur die Frage zu klären, ob sie so häufig in Saigon wäre. Danach suchte sie einige Boutiquen im Nobelviertel auf bis sie das richtige Outfit für den Abend zusammengestellt hatte.

Für Marcos Eröffnung des „Tante Ha“-Restaurants suchte sie sich eine Tunnelzughose aus matter Seide aus und ein passendes Top in Bambus-Gold. Getreu ihrem Motto „Ich habe einen einfachen Geschmack, ich nehme nur das auffälligste und teuerste, was funkelt“ waren die Kleidungsstücke die perfekte Wahl. Sie freute sich auf das Gesicht ihres Ex-Freundes (wie leicht ihr das doch über die Lippen ging!), da sie wusste, dass ihre Kurven betont wurden und jedermann scharfmachen würden. Das war der einzige Grund dort aufzutauchen. Außerdem wollte sie sich den Glanz der neuen Edel-Herberge um keinen Preis der Welt entgehen lassen. In nicht unerheblichem Maße kam hinzu, dass sie Marco klar machen konnte, dass sie gut auf ihren eigenen Füßen stehen konnte. Außerdem wollte sie sich in ein oder mehrere Sex-Abenteuer stürzen, um in den Armen fremder Business-Männer Trost zu finden. Als Single fühlte sie sich jetzt bereits nicht mehr wohl in ihrer Haut und ziemlich alleine unter der Bettdecke. Ihre Hand wärmte nur ihre Scham, nicht den den ganzen Leib.

Dafür strahlte sie eine Überdosis Star-Appeal auf dem roten Teppich aus. Die Asiaten waren relativ unkritisch, was ihre Schönheit betraf: Alles, was aus dem Westen stammte, war per se exzellent. Sie hätte gar in einem Muffin-Top auftreten können, meinte sie. So konnte sie sich gelassen im Blitzlichter-Gewitter sonnen und wurde diskret von einem überaus schlanken Mittvierziger, Inhaber einer Software-Firma, untergehakt und ins Restaurant geleitet. Für den Abend war Stefan Stiefelkind ihr ein sehr wohl gesonnener Begleiter. Zufällig machte er sie mit dem Vater von Donchu bekannt, der ihr berichtete, dass sein Erstgeborener ein neues Projekt plane und nach Deutschland ziehen werde. Er kommentierte charmant: „Zum Glück hat er kein Kind. Das würde ich meinem Enkel nicht zumuten lassen.“

„Wollen, sie meinen wollen.“

„Nein, lassen“, lächelte er.

Zum Glück zog Stefan sie fort auf die mutige Glas- Makassar-Ebenholz-Terasse von „Tante Ha“, von der sie einen Rundum-Blick auf das weitläufige Grundstück hatten. Der Hubschrauber-andeplatz lag nahe an einem künstlich angelegten Teich mit Koi-Karpfen, Schnapp- Schildkröten und Krampf-Fischen. Sie kämpften nicht, sie krampften. Das war eine Höchstleistung für die Züchter, die es tatsächlich hinbekamen, dass ihre Tiere regelmäßig alle 30 Sekunden zuckten und manchmal aus dem Wasser hüpften. Bevor Stefan darüber lachen konnte, nieselte ihn die Sprinkler-Anlage ein. Sein Anblick verleitete Simone dazu, ihm das Nass von seinem Gesicht zu lecken. Sie fing bei dem Ohrläppchen an und stellte fest, dass es sich um Sekt handelte, womit der Rasen veredelt wurde. Leider zog er alle Insekten unter 50 Zentimeter im weiten Umkreis an.

„Darf man stören?“

„Oh, Marco! Nein, ja, du störst doch nicht. Ihr kennt euch?“

„Klaro, der Stiefelkind ist mein Cousin. Er hat dem Komitee der Stadt 10.000 Euro zugesteckt. Aus reiner Freundlichkeit.“

„Mir ist bekannt, dass man hier bürokratische Hürden mit Geld überwindet.“

Stefan widersprach: „Ich nenne das direkte Steuer. Ich bezahle und bekomme sofort den Service, den ich erwarte.“

Marco ging nicht darauf ein: „Die Kacke dampft jetzt glühend heiß! Wir haben die Polizei am Hals.“

„Mist, wie kann das passieren? Ich habe es wirklich als Spende für das Waisenhaus verkleidet.“

„Mein Lieber, du hast es aber auf das Privatkonto des Oberbürgermeisters geschoben. Ich weiß, das war so abgesprochen, aber das war reichlich dumm von dir, Stefan!“

„Ich kann doch nichts dafür. Was ist denn überhaupt passiert?“

„Eine kleine politische Revolte. Sein Konkurrent hat Wind davon bekommen. Ich schätze mal, der wiederum macht gemeinsame Sache mit dem Bankdirektor. Wir sind nur das Bauernopfer.“

„Ist ja wie in Deutschland!“, rief Stefan aus. Das war das Stichwort für Simone, die es plötzlich ganz eilig hatte, nach Hause zu kommen. Sie dachte an die gemütliche Erdgeschosswohnung ihres besten Freundes Felix. An seinen Rattan-Korbsessel, in dem sie, gewappnet mit Glühwein und Öcher Printen, lange Winterabende verbracht hatte. Mit und auch ohne ihn. Sie wollte nur noch weg von den kriminellen Machenschaften dieser Familienbande. Raus aus diesem Schein-Sein, herein ins frostige Berlin.

„Und dich hinterhältige Schlampe will ich hier nicht mehr sehen. Was rede ich, ich will den Rest meiner wertvollen Lebenszeit von dir verschont bleiben. Hier hast du!“, er schleuderte ihr die Trauringe direkt in ihr goldenes Bustier. Immerhin ergänzten die Ringe in ihrem Ausschnitt das Glamour-Outfit perfekt.

„Du Pickel-Popel!“, reagierte sie prompt.

„Du Hexe, du bösartiges Model!“

„Du noch nicht mal fickbares, rotziges, kotziges…“, in Ermangelung eines fortschrittlichen Gossenslangs würgte sie, „örgh, ärgrrr, glpft, ächz und ätz,….Pickel- Geifer-Popel-Virus ohne Fortpflanzungsorgaaaane! Wenn überhaupt, setze ich selber dem Ganzen hier ein Ende.“

„Du, du, du“, er verschluckte sich fast, „Popel-Nasenschleim-Dirne!“

„Du Klauer! Popel hab ich bereits verwendet. Und ich bin keine Dirne, sondern allenfalls eine Luxus-Mätresse mit Extra-Vorzügen, vielseitig einsetzbar und kaum zu bezahlen!“

„Dann bist du halt ein Igel ohne Stacheln, eine Erdbeere ohne Kerne, eine Gurke ohne Länge, eine Gulaschsuppe ohne Kartoffeln!“

„Ha! Treffer! Ja, weil ich das Fleisch bin! Ich bin das Salz, das Gulasch und die Kartoffeln der Handelsklasse 1a in deiner verwichsten Hausmannskost.“

„Güteklasse Extra meinst du wohl.“

Da sie sich nicht weiter zu helfen wusste, machte sie Wichsbewegungen mit ihrer Linken und maulte mit ironischen Ansinnen: „Tooor, versenkt – so tief, dass du es nicht mal erkennen kannst!“

„Du Cover-Flittchen, es hat keinen Sinn mit uns beiden. Ich bin off.“

„Halt, mein Freundchen, ich gestatte es dir nicht, mich fertig zu machen. Ich blocke dich auf Facebook und jetzt zieh Leine!“

Sie las die Ringe auf während Stefan versuchte sie zu besänftigten: „Die Dinge haben nur die Bedeutung, die du ihnen zugestehst.“

„Stimmt, so ein Stückchen Metall bedeutet gar nichts.“

Sie bedauerte den letzten Satz als sie die Gravur von Chopard las und fluchte lauthals: „Fuck! Aus der Chopardissimo-Reihe. Unter 3.000 Euro! Was bildet er sich ein.

MistköterKotzbrockenScheißezensiertPeniskopfWeiblic hesGenital!“

Wenige Tage später bereute Marco, dass er Schluss gemacht hatte. Ihm ging auf, dass er an ihr hing wie ein Kind am Rockzipfel seiner Mutter. Doch es war zu spät, sie war weitergezogen und nicht mehr erreichbar. Sie reagierte weder auf Anrufe noch auf Emails. Er würde es hinnehmen müssen, dabei war sie im Grunde die ideale Begleiterin gewesen. Allerdings kam das Diva-Biest in ihr immer wieder zum Vorschein und ließ sich kaum noch bändigen, tröstete er sich.

First Verse

Kaum in heimatlichen Gefilden angekommen, rief Simone ihren besten Freund an.

„Felix hier.“ Seine Stimme klang so heiter wie der nahende Frühling.

„Und Simone dort, da und drüben.“

„Du bist überall. Von allen Covern lächelst du einem entgegen.“

„Die Urheberin wollte damit sagen: Ich nehme mich jetzt wichtiger, das bin ich mir wert, aber ich will jetzt nicht über mich reden. Was machst du?“

„Wie meinst du? Hier und jetzt? In meinem Bett? In Berlin? Mit meinem Leben? Beruflich? Mit meiner Uhr, die ich gerade nicht finde? Im Universum? Mit meiner Identität? Welche Identität überhaupt? Habe ich eine? Oder du? Was ist eigentlich mit deinen Augenlidern?“

„Halt, stopp, aus! Hast du wieder zu viel Kaffee intus?

Du verträgst ihn einfach nicht.“

„Denke dann aber besser.“

„Schneller und ungefiltert ist nicht automatisch besser.“

„Ich bin verwirrt.“

„Ich auch. Wie immer, wenn wir zu viel koksten.“

„Ich merke, du willst vorbeikommen. Auch ne Kanne Espresso dazu?“

„Zwei Liter! Und vergiss mein Lid, es zuckt halt ab und zu. Will das nicht thematisieren.“

„Okay, aber psychoanalytisch gesehen…“

„Felix, bitte! Bis gleich.“, sie wippte mit ihren Knien, die gegeneinanderschlugen und legte auf.

Felix lümmelte sich zusammen mit Simone auf seiner fuchsia-lackfarbenen Chaiselongue, bevor sie sich entschied, das Rattanmöbel ganz für sich in Beschlag zu nehmen. Das Erbstück seines Opas Jörg Frohgemut war der Mittelpunkt der nüchternen Einrichtung – klare Konturen, kein Schnick und kein Schnack. Ohne das Biedermeier-Kaffeeservice, das Simone aus der hintersten Ecke in der Küche geholt hatte, und den bunt getünchten Hund aus Torf von Hippster Loyd, einem provokanten Künstlerfreund, wäre es eine Wohnung wie aus einem jederlei Design-Katalog gewesen. Allein durch das Chaos seiner Klamotten, Zeitungen, Souvenir-Stücke wie einer Harfe aus Oberbayern und seiner Golfausrüstung ohne Bajonett-Verschlüsse, die er nicht einmal angerührt hatte, entstand so etwas wie gelebte Gemütlichkeit. Die Simone gerade einsaute, denn sie aß Brownies mit Kümmel. Vielmehr probierte sie sie zu verspeisen, doch konnte es ihr einfach nicht gelingen. Sie spuckte in ihrer Not das Gebäck einfach auf seinen anthrazitfarbenen Lammfell-Mantel.

„Macht doch nichts, war ohnehin vom letzten Monat. Die Designerin ist nicht mehr angesagt, es ist zu offensichtlich, dass sie an Krähenfüßen leidet“, beruhigte sie Felix, „und irgendwie war sie zu snobistisch. Das ist doch passe, demokratisch ist das neue elitär.“ Er war besessen von Trends, er dachte nicht in saisonalen Einheiten als vielmehr in Erscheinungsintervallen von Look-Books und blieb sehr gelassen, da er finanziell von der Pionierarbeit seines Opas profitierte und sich etwa eigens eine Couch aus Geld anfertigen ließ, die dann aber leider verbrannt war. „Was solls“, sagte er damals, „dann höre ich halt eine Weile auf, mir Callboys zu bestellen, die mir meine Gegenstände in Brand setzen.“

Eine Menge Geld im Rücken beruhigt halt, wenngleich sein Vermögen im wortwörtlichen Sinn auf Kacke basiert. Sein Großvater hatte mehr aus Jux und Dollerei ein Patent auf Bakterien angemeldet, die tierischen Speichel fraßen und zu echtem Dung machten. Jahrzehnte später entwickelte eine Biotech-Firma einen Bakterien-Zuchtstamm und kaufte die Rechte von Opa Frohgemut auf. Zu einem angemessenen Preis, versteht sich. Leider hatte der unkontrolliert fließende Geldstrom zu Folge, dass sein Vater Hennes spielsüchtig wurde. Er verlor seine Familie, seinen Job als Laborleiter in dem Biotech-Unternehmen, das zufällig die Rechte erworben hatte, und versoff sein Leben. Der Sohn hatte keinen guten Draht zu seinem Vater. Er hatte einfach ein Problem damit, sein Dasein auf mikroskopisch kleinen Kot zu gründen. Das war früher, bevor er erkannte, dass die tierischen Ausscheidungen ihm das Leben erleichtern würden. Seine Revolte führte er nichtsdestotrotz nun mit der Rundfunk-Diktatur seines Senders „Rebells FM“ weiter.

„Du suchst mich also heim“, feixte Felix, „dann muss es ja in Vietnam furchtbar gewesen sein.“

„Es ging. So schlimm war es nicht. Ich bin froh, dass ich es hinter mir habe. Seit ich mich von Marco getrennt habe, ist auch mein Augenleiden fast ganz verschwunden.“

„Gut, ich konnte ihn auch nicht mehr sehen - und wie war das Land? Man hört ja immer wieder, dass Touristen mit Durchfall wiederkommen.“

„Da hat mir Donchu Dare einen guten Tipp gegeben: Alles heiß frittieren lassen und mit ultrascharfem Chili würzen.“

„Das tötet ja nicht nur die Keime, sondern auch meine Magenschleimhäute. Und das allein vom zuhören!“, er kippte sich noch mehr lauwarme Brühe nach, „Wer ist denn dieser Donchu?“

„Der ist unerheblich, vielleicht erkläre ich es dir irgendwann einmal. Auf alle Fälle ist das Land ein riesiger Kontrast zu Deutschland. Diese Herzenswärme der Menschen!“, sie dachte an Donchu und seine Wahrnehmung der vietnamesischen Gesellschaft und ahnte zeitgleich, dass sie sich anhörte wie eine naive Westlerin, die zum ersten mal in diese „exotische, einzigartige“ Welt eingetaucht ist. Ihre Mundwinkel zuckten nach oben.

„Na, da hast du den Trennungsschmerz schnell überwunden. Kommt doch zur rechten Zeit, der Frühling ist zum Verlieben gemacht. Die Lerchen trillern, die Amseln piepsen, die Buntspechte singen, alle sind auf Brautschau.“

„Spechte zählen nicht zu den Singvögeln. Bei dir piept's wohl!“

„Werde ja nicht unverschämt, ich glaube, mein Schwein pfeift.“

„Du musst aber im Bild bleiben, bei unseren Gesprächen verliere ich sonst zu schnell den Überblick. Tschilp, tschilp.“

„Hübscher Vogelgesang. Da brate ich mir doch glatt einen Klapperstorch.“

„Wir leben doch nicht in Kölle.“

„Wusste gar nicht, dass die Rheinländer Storche da haben.“

„Ich spielte auf Vogelgesang an. Der Stadtteil heißt eigentlich Vogelsang, leitet sich bestimmt davon ab, dass dort unsere gefiederten Freunde ausnahmslos melodisch trillieren.“

„Worauf ich bei dem ganzen Gevögel eigentlich hinauswollte, ist etwas ganz persönlich simonelles. Dein Kernthema will jetzt gelöst werden: Wo finden wir einen geeigneten Kerl für dich? Setz auf die große Lösung, der Schatz will gehoben werden.“

„Du hörst dich an wie eine Kartenlegerin.“

„Die güldene Sonne erwartet dich am Horizont.“

„Wie eine Wahrsager-Hexe klingt das.“

„Eine echte oder eine Trickbetrügerin?“

„Pft“, machte sie, „Aber moment mal, wer sagt, dass ich einen Typen brauche?“

„Wir sind unter uns. Mach mir nichts vor. Ich bin dein energetisches unterbewusstes Wissen.“

„Komm mir nicht esoterisch. Ich brauche praktische Tipps.“

„Dann bin ich dein Lebens-Coach, dein Lifestyle- Berater.“

„Ok. Außerdem habe ich meine Vorstellungen. Jeden lasse ich nicht mehr an meine Muschi. Sie ist sehr wählerisch geworden.“

„Wovon reden wir eigentlich? Ich meine etwas nachhaltiges. Mit Zukunftsperspektive für künftige Generationen.“

„Du hältst es wie unsere Politiker der großen Volksparteien? Ich verzichte. Da habe ich lieber meinen Spaß.“

„Dann hat sich ja nichts wesentliches geändert, Simone!“

„Doch, ich bin mir sicher, dass die ewig-mythische Verheißung die der Liebe ist. Und das ist ein bitter-süßes Verlangen. Solange mir das zu herb ist, vergnüge ich mich eben mit meinem Körper aus glasiertem Zucker.“

„Du Eye-Candy.“

„Das ist mein kleines Glücksmoment, solange ich auf der Erde bin und unter 30.“

„Aber Glück kann man auch in einem Sandkorn finden!“

„Zitier mich oder friss mich?“

„Du laberst doch wie ein Schriftsteller daher. Auf der stetigen Suche nach dem perfekten Satz.“

„Friss doch die Blutegel, die aus deinen Ohren wachsen.“

Simone wurde urplötzlich sehr müde. Ihre Knochen wogen schwer, sie gähnte während sich Felix fertig machte für die Arbeit. Nicht ohne vorher gemeinsam eine Line gezogen zu haben.

Er sendete von seinem Keller aus, hatte also eine geschätzte halbe Minute Wegstrecke vor sich, die er im Vier-Personen-Aufzug verbrachte. Und das in einer schönen Grunewalder Villa, die 1912 im Stil des Futurismus erbaut worden war. Den Anbau aus Glas und Holz verantwortete übrigens Oskar Niedermann, der aktuell die Müllverwertungsanlage Münchens modernisierte, worauf Felix mit Stolz verwies. Er bewohnte lediglich das Erdgeschoss, der Rest der Villa stand leer. Platz genug für Simone, er würde ihr Unterschlupf gewähren, wie es sich an diesem Tag noch ergeben würde.

In seinem Selbstfahrer-Studio, mit dem voll ausgestatteten Radio-Mischpult, das man ohne weiteres alleine bedienen konnte, erzählte Felix von seiner verzweifelten Freundin. Sein Mikro, das so edel daherkam wie eine Siam-Rassekatze, übertrug seine Botschaft live in den Berliner Himmel. Die etwa 150 bis 200 Zuhörer reagierten kaum. Die Schnittmenge derer, die Simones Ansprüchen an einen Ideal-Mann mit Klasse erfüllten und den Zuhörern des Piratensenders, die in Frage kämen, war wahrscheinlich nicht besonders erwähnenswert. Die Chance, den Traumtypen zu finden, lag bei Null. Denn Felix' Radiostation sendete ausdauernd Walgesänge der Orcas zur Brunftzeit im Fusion-Trance-Remix. Das bedeutete nichts anderes als dass die fiepsigen Töne der Killerwale mit dem Gequietsche von Polstermöbeln unterlegt wurden.

„Rebells FM hier am Start. Der Felix. Heute möchte ich auf meine beste Freundin aufmerksam machen und noch mal daran erinnern, dass ihr anrufen könnt, wenn ihr Interesse an einer lebensfrohen Frau habt, die wunderschön ist. Am Wochenende geht sie gerne ins Kino. Sie findet Sandra Bullock gut, wenn ihr den Humor teilt, meldet euch!“

Das Telefon schwieg. Ein indisches Sitar-Stück setze ein, Tempeltanz oder Regengebet, wer wusste das schon. Er musste dringend mit seinen Redakteuren sprechen. Er hatte es satt, seine Ohren mit irgendwelchen Zupfinstrumenten zu quälen. Gegen den Terror des Massengeschmacks zu schwimmen hatten sie sich nicht umsonst auf die Fahnen geschrieben; und wurden von einer kleinen Mehrheit (in ihrer Wahrnehmung) massiv unterstützt. Doch in letzter Zeit ging selbst dem Chef die Musikauswahl zu weit. Neben Weltfolklore aus Kenia, Sri Lanka und den Antillen sollte es nach seinen Vorstellungen ebenfalls genügend Sendezeit für ein populäres Abziehbild wie Nelly Furtado, Justin Timberlake oder Shakira geben. Er konnte nicht ahnen, welchen Zoff dieser Plan auslösen würde.

In der nächsten Unterbrechung erzählte er seinen Hörern von Simones Familie: Die Eltern Martha und Wilhelm geschieden, weil ihre Oma, die mit ihnen unter einem Dach lebte, den Schwiegersohn nicht akzeptierte, da er ein Baustellen-Koordinator war. Das sei nichts für ihre Tochter, immerhin waren sie vom Landadel. Mit 14 Mille stark verarmt, aber mit den richtigen Kontakten. So konnte Simone bei einer kleinen Model-Agentur in München durchstarten. In dieser Zeit zog Felix aus ihrer gemeinsamen Heimatstadt Braunschweig nach Berlin, um seinem Studium am kunsthistorischen Institut nachzukommen. Schwerpunkt Ostasien.

„Wenn du entfernte Ähnlichkeit mit Wentworth Miller, Baptiste Giabiconi oder Robert Redford hast, stehen die Chancen gut für dich mit einem der angesagtesten Models aus Berlin auszugehen. Nein, es handelt sich nicht um Daria oder Evi, aber meine Freundin ist mindestens genauso attraktiv.“

Ein Stockwerk höher rutschte Simone fast aus als sie Felix Stimme hörte und ihr die Tragweite bewusstwurde. „Ich kann mir selbst helfen“, schallte sie gegen die kahlen Wände, „aber wieso denn um Himmels willen der Redford?!“

Ihr fiel ein Handteller großer Schimmelfleck an der Decke auf, der ihr gefiel. Sie musste Felix nach seiner Schicht dringend ins Gebet nehmen. Ein Gael GarcÍa Bernal war eher nach ihrem Geschmack. Außerdem hatte er keinerlei Recht, sie so „ungeschützt auszuliefern“, wie es ihr PR-Berater formulieren würde. In dieser Situation werde sie nicht beim Fernsehsender aufschlagen. Sie hatte sich sowieso entschlossen, kein Sex-TV-Format zu gestalten, denn sie würde für Geld nicht mehr alles machen. Sie wollte weg vom Image als Edelhure, was ihr seit Anfang ihrer Karriere nachhing und vorauseilte wie der Blitz dem Donnerhall. Aber die Männer, die sie kennenlernte, waren eben mit einem fetten Gehalt und einem Fuhrpark ausgestattet, der ihre Potenz widerspiegeln sollte.

Auch ohne diese zweifelhaften Typen reichte ihr Erspartes zum Glück aus, um sich eine lange Weile über Wasser zu halten. Sie müsste allerdings bei Felix wohnen, denn Bares hatte sie nicht zur Verfügung, da sie kürzlich ihre gesamten Giro-Konten und ihr Depot in Luxemburg gekündigt hatte, damit sie ihre insgesamt 15 Millionen Euro bei der Privatbank „Mole, Anker und Söhne“ in Hamburg unterbringen konnte. Festangelegt, ohne Zugriff ihrerseits. Da ihr Bankberater Herr Gunther, ihr persönlicher Betreuer, der sich um den Rest und die formalen Kleinigkeiten kümmerte, versäumt hat im Folgenden nachzufragen, ob sie noch „flüssig“ sei, musste sie trotz monetären Specks haushalten. Sie hatte es schlicht vergessen mit ihm en detaille abzustimmen, wie sie ihr ganzes Vermögen zusammenziehen wollte ohne auf dem trockenen zu liegen. Sie konnte dennoch nicht widerstehen und den Vertrag auflösen, wenngleich es bedeutete, vorerst den Gürtel enger zu schnallen. Die Verlockung der Zahl „15“ war von ihrem Standpunkt aus unermesslich.

Nach seiner Radio-Show fragte Simone Felix: „Was meinst du, kann ich bei dir wohnen bis ich mir ein Appartement leisten kann?“