Sklavin - Melanie Marchande - E-Book

Sklavin E-Book

Melanie Marchande

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Beschreibung

Ich wünschte, ich könnte dir erzählen, dass ich gestohlen worden bin.

Entführt in einem Land der Dritten Welt, gegen meinen Willen verkauft, während meine verzweifelte Familie zu Hause wartete und in den Nachrichten über mich berichtet wurde.

Ich wünschte, ich könnte dir so eine Geschichte erzählen, denn dann könntest du es verstehen.

Was war aber wirklich passiert? Ich ging mit offenen Augen in mein Schicksal. Aber bevor du sagst, ich verdiene, was auch immer mit mir passiert ist, solltest du eines wissen: Ich war verzweifelt. Ich war allein. Ich hatte Angst um mein Leben. Du hättest das Gleiche getan.

Und ich dachte, es könnte unmöglich noch schlimmer werden.

Aber dann wachte ich in der Dunkelheit auf, unfähig, mich zu bewegen. Es gab nur eine Sache, bei der ich mir sicher war: Ich war nicht mehr allein.

Und dann hörte ich SEINE Stimme...

Sklavin ist eine Dark Romance, die sich an erwachsene Leser richtet, die sich nicht durch Themen wie Entführung, Menschenhandel und Gewalt gestört fühlen. Das Buch ist 110.000 Wörter lang und enthält explizite Sexszenen.

Aus dem Buch

"Vielleicht auch nicht. Du brauchst eine angemessene Bestrafung, nicht wahr? Du brauchst deinen Meister, damit er dich zurechtweist."
Die Worte kamen ihm so sanft von den Lippen, so natürlich, als wäre er dazu geboren worden. Zu necken und zu erregen, zu befehlen und zu erschrecken, damit ich mich weniger wie ein Mensch fühlte. Aber gleichzeitig fühlte ich mich lebendiger als je zuvor.
Plötzlich schlug er mit der flachen Hand auf meinen Arsch. Er schlug mich hart und brutal, aber jeder Schlag schickte auch einen Reiz durch meine Mitte und erregte mich durch den Schmerz noch mehr.
Was zum Teufel war los mit mir?

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SKLAVIN

DARK ROMANCE

MELANIE MARCHANDE

MARA BLACK

Übersetzt vonIVY WINTER

INHALT

Vorwort

Stoker

Porträtaufnahmen

Tate

Offene Türen

Tates Regeln

Vermutlich tot

Entschuldigungen

Das Syndikat

Ein neues Kapitel

Der Keller

Fieber

Das Kreisspiel

Wach

Warten auf den Zug

Gebrochen

Nicht so

Vertrauen

Blumen

Die unmögliche Wahl

Gesundung

Ein guter Zuhörer

Wildpferde

Narben

Normal

Vipers Geschichte

Die neue Regel

Der Plan

Das heilige Gesetz der Gastfreundschaft

Götter und Monster

Eine neue Welt

Der Recke am Scheideweg

Erklärungen zum Buch

Nachwort

Über die Autorin

VORWORT

Das ist ein Roman über Menschen mit sehr vielen Fehlern. Sie werden schlechte Entscheidungen treffen. Sie werden sich gegenseitig verletzen. Sie werden Dinge tun, sodass du dir wünschst, dass du in das Buch springen und sie anschreien könntest.

Einige der Szenen werden dich vielleicht verärgern. Einige von ihnen könnten dich wütend machen. Wenn du nach einer unbeschwerten Liebesgeschichte suchst, in der die Guten weiß und die Bösen schwarz tragen, die Moral einfach ist und die Leute die Dinge nie so in den Sand setzen, dass es kein Zurück mehr gibt - dann such dir bitte ein anderes Buch.

Aber wenn du von Liebesgeschichten fasziniert bist, die im Dunkeln beginnen - wenn du dein Vergnügen mit ein wenig Schmerz vermischt genießt, wenn du denkst, dass Menschen eine zweite Chance verdienen...

Willkommen in meiner Welt.

Mara Black

PS: Bitte trage dich in meinen Newsletter unter www.wellreadloris.com/newsletter ein.

STOKER

AUTUMN

So bin ich nicht.

Das hier bin nicht ich.

Das hier passiert nicht.

Das hier ist nicht mein Leben.

Seine Hand schloss sich um mein Handgelenk. Kalt und unnachgiebig wie Stahl. Mein Atem blieb mir im Hals stecken und ich kroch instinktiv rückwärts, in dem Wissen, dass es nicht helfen würde, aber ich konnte nicht aufhören.

Das hier ist nicht mein Leben.

Wie bin ich hierher geraten?

Ich wünschte, ich könnte dir sagen, dass ich entführt worden bin. Entführt auf der Straße in einem Land der Dritten Welt, gegen meinen Willen verkauft, während meine verzweifelte Familie zu Hause wartete und betete und in den Nachrichten über mich sprach. Ich wünschte, ich könnte dir das sagen, denn dann würdest du es vielleicht verstehen.

Als ich die Hoffnung verlor, gab es nicht mehr viele Leute, die unsere Geschichten erzählen konnten. Es gab fast keine Sympathie, kein Verständnis für uns. Wir gingen mit offenen Augen in den Untergang.

Mit Sicherheit haben wir das, was auch immer mit uns passiert ist, verdient.

Es wäre sinnlos, zu versuchen, die hübschen Lügen zu erklären. Wie sie sich so sehr bemühten, uns zu überzeugen, dass alles in Ordnung sein würde. Wie wenig sie uns überzeugen mussten, manchmal zumindest. Wie leer unsere Augen vor Angst waren, wie Tiere in die Enge getrieben und manchmal war das Essen, das sie uns gaben, das erste seit Tagen.

Sie verbreiteten die Botschaft in den richtigen Kreisen. Sie sorgten dafür, dass jeder, der verzweifelt war, wusste, dass sie existierten.

Sie haben Gerüchte verbreitet.

Irgendwo in Paris gibt es ein schönes Mädchen, das glücklich als Konkubine eines reichen Mannes lebt. In Kyoto lebt noch eine andere, mit leuchtend blauen Augen. Sie lernt Klarinette zu spielen. Eine lebt sogar hier in deiner Stadt. Du bist ihr vielleicht auf der Straße begegnet und hast es nicht einmal gemerkt.

Sie sind so glücklich und zufrieden, diese Mädchen. Sie bekommen immer genug zu essen und jemand kümmert sich um ihre Bedürfnisse. Willst du nicht so werden wie sie?

Jeder kannte eine, die zu ihnen gegangen war. Jeder kannte eine, die von der Straße verschwand und von der man nie wieder hörte.

Jeder wollte glauben, dass sie das Mädchen in Paris oder Kyoto oder direkt die Straße runter war, aber sie wussten, dass es nicht so war.

Aber manchmal war das Leben so zum Verzweifeln, dass sie es sich selbst glauben machten.

Junge Männer gingen manchmal durch die Straßen und verteilten Karten an alle Frauen, die diesen besonderen Blick hatten. Als wären sie am Rande der völligen Verzweiflung.

Als ob sie alles tun würden.

Die Karte war aus dickem, cremefarbenem Papier. Sie war edel gedruckt, mit Prägung, die Kanten so scharf, dass man sich schneiden konnte.

Auf der Vorderseite stand nur ein Wort.

STOKER

Ich trug diese Karte einen ganzen Winter lang bei mir.

Meine Freundin Nikki war bereits verschwunden. Wir stritten uns darüber, Tränen strömten, wir schrien uns gegenseitig auf der Straße an, bis ein Polizeiauto mit blinkenden Lichtern anhielt. Als Nikki ihnen sagte, wohin sie gehen wollte, boten sie ihr eine Fahrt an.

Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.

Als wir uns beide hatten, hatte ich wenigstens jemanden, mit dem ich reden konnte. Egal wie schlimm die Dinge auch wurden - wir hatten immer uns beide. Das Geräusch ihrer Atmung wiegte mich wieder in den Schlaf, wenn ich aus meinen seltsamen Alpträumen aufwachte. Alpträume, die mich so lange verfolgten, dass ich mich nicht erinnern konnte, wann sie begonnen hatten.

Vielleicht schon, als ich noch im Haus meiner Eltern gelebt habe. Bevor alles den Bach runterging. Bevor der Mann, der sich selbst Birdy nannte, kam und mich vor die Wahl stellte.

Wähle einen von ihnen, Schätzchen.

Wähle einen von ihnen aus oder ich werde sie beide töten.

Wenn man darüber nachdenkt, dann hätten sich meine Alpträume darauf beziehen sollen. Auf Birdy. Über seine Aufforderung eine unmögliche Entscheidung zu treffen, die schreckliche nagende Schuld, mit der ich jeden Tag kämpfte. Die Zweifel. Die Frage „Was wäre passiert, wenn ich mich anders entschieden hätte?“

Aber stattdessen hatte ich Alpträume über einen anderen Mann.

Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen. Er trug stets schnittige Anzüge und blieb im Schatten verborgen. In meinen Alpträumen gab es immer viele Ecken, in die das Licht einfach nicht gelangen konnte. Ich war erstarrt, völlig bewegungsunfähig und starrte ihn an. Ich beobachtete ihn, wie er den Raum wie ein wildes Tier durchschritt und erwartete jeden Moment, dass er sich auf mich stürzen würde.

Um dann was zu tun? Ich wusste es nicht.

Das war der schlimmste Teil.

Ich wachte fröstelnd auf, seine Stimme glatt und kalt wie Marmor, hallte in meinen Ohren nach.

Du gehörst jetzt mir.

Jetzt, da ich allein war, wartete er jede Nacht in meinen Alpträumen auf mich. Ich wachte keuchend auf, mein Herz raste, ein seltsames Summen ging durch meinen Körper, das nicht wegging, egal wie sehr ich meine Augen zusammendrückte, um es zu ignorieren.

Mein Leben mit Nikki war hart, aber wir haben es trotzdem irgendwie geschafft zu überleben. Ohne sie, die mir den Rücken freihielt, ohne einen anderen menschlichen Körper, an den ich mich in den kältesten Nächten schmiegen konnte - war es sogar leicht zu vergessen, dass ich ein Mensch war.

Und das war der schlimmste Teil.

Ich hatte nichts mehr. Ich wurde gejagt. Ich war die meiste Zeit hungrig, schmutzig und immer war mir entweder zu kalt oder zu heiß. Aber das Schlimmste daran war, dass ich mich nicht mehr wie ein Mensch fühlte. Wie konnte ich das sein? Niemand würde es zulassen, dass ein Mensch so lebte.

Und dann hörte ich die Gerüchte.

Birdy rückte näher. Er kannte meinen letzten bekannten Aufenthaltsort; eine Slumsiedlung, in der ich mich, dumm genug, für eine Weile niederließ. Ich habe nie meinen richtigen Namen benutzt, und ich sah kaum noch so aus wie vor fünf Jahren. Aber jetzt wussten seine Schläger, wo sie suchen mussten. Sie wussten, wen sie fragen mussten.

Ich wurde gejagt.

Ich war weniger als ein Mensch und so stand ich also vor dem leeren Lagerhaus im Zentrum der Stadt. Es war von einer gespenstischen Stille umgeben.

Es gab keine Türen, die ich öffnen konnte. Ich kletterte auf einige Kisten, um durch die schmutzigen Fenster hineinzuschauen. Aber die Halle sah verlassen aus. Als ich mich das nächste Mal umdrehte, stand hinter mir ein schickes schwarzes Auto, dessen Motor im Leerlauf war. Lautlos.

Das Seitenfenster des Fahrers fuhr nach unten.

"Stoker?", fragte der Mann.

Ich hielt die Karte in meiner Hand.

"Ja", sagte ich.

Er nickte kurz. "Steig ein."

Ich kletterte auf den Rücksitz.

"Du hast eine gute Entscheidung getroffen", sagte der Mann, als er auf die Hauptstraße hinausfuhr. "Das ist der Beginn eines neuen Lebens für dich."

Ich verrenkte mir fast den Hals, als ich versuchte, bis zur Spitze des Hauses zu schauen. Es war mehrere Stockwerke hoch, ganz aus Glas und poliertem Stahl, mit einem riesigen Torbogen und einer Reihe von Drehtüren, die in eine prunkvolle Lobby führten. Es sah wie ein Luxushotel aus.

Es sah so aus. Aber das war es nicht.

Mein Fahrer nahm mich mit in den Aufzug, der so schnell fuhr, dass mein nüchterner Magen Probleme machte und führte mich in einen Raum. Es war ein sauberes, gut ausgestattetes kleines Schlafzimmer. Nicht ganz so luxuriös, wie die Fassade des Gebäudes mich hatte glauben lassen, aber ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ein richtiges Bett gesehen hatte.

Der Fahrer schloss die Tür hinter sich ab und setzte sich auf einen Stuhl in der Ecke.

"Geh duschen", sagte er. "Mach dich sauber. Wenn du fertig bist, ziehst du das Kleid im Badezimmer an und kommst hierher zurück. Ich zeige dir den Weg zu deinem Dinner-Meeting."

Abendessen. Mein Magen rumorte, aber diesmal aus einem anderen Grund.

Ich duschte so schnell ich konnte, im Hinblick auf das Essen, das auf mich wartete, aber auch entschlossen, den Schmutz von meiner Haut und aus meinen Haaren zu entfernen. Während ich mich mit dem flauschigsten Handtuch trocknete, das ich je angefasst hatte, sah ich mein neues Kleid an, das in der Ecke hing.

"Kleid" war ein großzügiger Begriff. Es war eher ein Stück Stoff oder eine Art modifiziertes Bettlaken, mit einer Art Kordel, die um die Taille ging. Aber jetzt war es undenkbar, dass ich meine dreckige, alte Kleidung wieder anzog. Und wie auch immer, er hatte mir gesagt, ich solle das hier tragen. Ich konnte meine Tätigkeit bei Stoker gleich richtig beginnen.

Ich zog mir das Kleid über den Kopf und band die Schärpe so fest ich konnte. Es war zu groß für mich und der Saum des Kleides schliff über den Boden. Aber immerhin war es ein Stück Kleidung.

Der Kopf des Fahrers fuhr herum, als ich das Badezimmer verließ. Er stand auf und trat zu mir hinüber, ein, zwei, drei große Schritte, bis er so nah war, dass mein Puls zu rasen begann. Sollte es wirklich so schnell losgehen? Ich war nicht dumm - ich wusste, dass ich meinen Körper an diese Männer verkaufen würde, wer auch immer sie waren. Aber jetzt? Schon?

Nein. Er unternahm keinen Versuch, um mich zu berühren. Er hat mich nur...geprüft, wurde mir klar. Er ging im Kreis um mich herum, seine Augen glitten über mich.

"Heb dein Kleid hoch", sagte er. "Bis zur Taille."

Mein Gesicht wurde rot. Im Badezimmer war keine Unterwäsche für mich gewesen und das musste er wissen. Ich schluckte einen aufsteigenden Klumpen in meinem Hals herunter und tat, was er wollte.

Er kniete vor mir nieder, sein Gesicht war so kühl und leidenschaftslos, als wäre er tatsächlich ein Arzt in einem Untersuchungszimmer. "Spreiz deine Beine."

Das tat ich.

"Halte dich offen."

Zitternd senkte ich meine Finger und spreizte meine Schamlippen auseinander. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte.

"Gut", sagte er, stand abrupt auf und wischte sich die Hände ab. Meine Augen fielen sofort auf seinen Schritt, als ob ich eine Art körperliche Reaktion erwarten würde, um seine mentale Loslösung auszugleichen. Aber er war meinetwegen nicht erregt. Natürlich war er das nicht. Wie dumm war ich, einfach davon auszugehen, dass ein Mann, dessen Job es wahrscheinlich war, obdachlose Muschis zu bewerten, an mir interessiert wäre?

"Erzähl mir von deiner Sexualgeschichte", sagte er und verschränkte seine Arme.

Ich schüttelte nur den Kopf.

"Keine?", sagte er und sah so aus, als könnte er es nicht glauben. "Dann bist du also noch Jungfrau."

Ich nickte.

"Ist dein Jungfernhäutchen intakt?"

Ich räusperte mich. "Ich denke... Ich denke schon."

"Das ist sehr gut", sagte er und seine Stimme nahm zum ersten Mal seit unserer Begegnung einen beruhigenden Ton an. "Es nützt nicht viel, Jungfrau zu sein, wenn wir dich nicht als solche bewerben können."

Mir gefror das Blut in den Adern und ich konnte spüren, wie ich bleich wurde.

Er griff nach etwas in seiner Tasche - einem Maßband. Er rollte es ab und trat wieder näher an mich heran, wickelte es um meine Brüste und murmelte eine Zahl. Nachdem er meine Taille und meine Hüften gemessen hatte, schob er das Maßband zurück in seine Tasche und zog ein kleines Notizbuch heraus, wo er meine Maße aufschrieb.

"Komm", sagte er und schnippte mit den Fingern. "Es ist Zeit für das Abendessen. Das Direktorium wird sich sehr freuen, dich kennenzulernen."

Ich folgte ihm barfuß durch die langen Gänge, unter dem warmen, einladenden Licht der Lampen, das meine Nerven aber nicht beruhigte. Was, wenn ich mich einfach umdrehte und davonlief, würden sie mich dann fangen?

Es war eine lächerliche Frage, das wusste ich.

Natürlich würden sie das. Sobald eine Frau durch diese Türen schritt, wurde sie nie wieder gesehen.

Wir gingen viele Gänge hinunter, vorbei an vielen Türen und ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, was mir bevorstand. Ich bemühte mich sehr, nicht an das Essen zu denken, aber mein Magen knurrte wütend und ich fühlte mich benommen.

Als der Mann schließlich innehielt und eine massive Holztür aufschob, atmete ich tief durch und folgte ihm hinein.

In dem Raum war ein massiver Tisch, der sich fast über die gesamte Länge des Raumes erstreckte. Mehrere Männer, von denen keiner besonders einprägsam aussah, saßen um ihn herum. An einem der leeren Plätze stand bereits ein Teller voll gebratenem Hähnchen, Kartoffelpüree, grünen Bohnen und einem Klumpen Preiselbeersauce. Zwei Gläser, eines mit Eiswasser und eines mit reichlich Rotwein, rundeten das Angebot ab.

Mir wurde der Mund wässrig, ohne dass ich es kontrollieren konnte.

"Hallo, Liebes", sagte einer der Männer und stand von seinem Platz auf. "Ich bin Mr. Craig. Bitte, setz dich hin."

Er musste nicht zweimal bitten. Ich schob mich, ohne zu zögern, auf den Stuhl und griff nach der Gabel, aber der Fahrer schnappte sie sich mit der Hand weg, bevor ich sie erreichen konnte. Ich sah ihn flehentlich an.

"Der Vertrag." Er klopfte auf den Papierstapel, der neben dem Teller lag. "Du musst zuerst unterschreiben."

Diese Wichser.

Ich atmete tief durch, nahm die Papiere und versuchte tapfer, sie zu lesen. Aber mit dem Geruch des Essens so nah, der verlockenden Auswahl an Köstlichkeiten, die ich seit Jahren nicht mehr probiert hatte, konnte ich den Text nicht verstehen. Die Worte gingen über Seiten und Seiten und ich tat so, als würde ich sie lesen, aber mein Kopf konnte keinen klaren Gedanken fassen. Die Sätze waren so lang, so juristisch, ohne Schaubilder unmöglich zu verstehen. Meine Hände zitterten, als der Fahrer einen Stift ausstreckte.

Es nützt nicht viel, frei zu sein, wenn es bedeutet, dass man verhungern muss.

Ich nahm den Stift und krakelte so etwas wie meinen Namen.

"Ausgezeichnet!" Mr. Craig klatschte in die Hände.

Ich hörte ihn kaum. Ich hatte bereits die Gabel genommen und schob schneller das Essen in den Mund, als ich schlucken konnte. Ich konnte seine Augen auf mir spüren und es gefiel mir nicht besonders. Aber ein Teil der Schwäche und der Benommenheit aufgrund vieler Tage ohne Nahrung, begann bereits zu verblassen.

"Ich bin sicher, dass du schon viel über uns gehört hast", sagte Mr. Craig. "Gerüchte, Horrorgeschichten... die Wahrheit ist, dass wir einen wichtigen Service bieten. Wir verbinden Menschen. Die Männer, die unsere Agentur benutzen, sind im schlimmsten Fall etwas... seltsam. Exzentrisch, manchmal, könnte man sagen. Sie haben Schwierigkeiten, auf übliche Weise Beziehungen einzugehen.

"Warum also nicht einfach Profis engagieren?", fuhr er fort und nahm meine Frage vorweg - oder was meine Frage gewesen wäre, wenn mein Mund nicht mit Brathähnchen gefüllt gewesen wäre. "Viele von ihnen tun es. Viele von ihnen tun es schon seit Jahren. Aber es ist eine gefährliche, unsichere Welt da draußen für einen Freier. Man weiß nie, wann man in eine Situation gerät, die einen ins Gefängnis oder auf die Liste der Sexualstraftäter bringt. Es ist sehr schwierig, irgendeine Art von wahrer Intimität oder langfristiger Bindung mit diesen Frauen zu bilden. Sie ändern ihre Namen, wechseln von Agentur zu Agentur, machen sich schwer auffindbar. Es ist zum Selbstschutz. Aber es sorgt für eine unbefriedigende Erfahrung. Was wir anbieten, ist etwas Einzigartiges. Ein glücklicher Mittelweg zwischen einer Freundin und einem Callgirl. Die Fantasie eines jeden Mannes. Für eine einmalige Pauschale wird eine unserer Frauen für einen bestimmten Zeitraum bei ihnen wohnen."

Eigentum.

Dieses Wort hallte immer wieder in meinem Kopf, während Mr. Craig sich bemühte, es zu vermeiden.

"Es ist ein verbreitetes Missverständnis, dass unsere Mädchen kein Geld bekommen", sagte er. "Oder ihre Freiheit aufgeben. Das ist nicht wahr. Sie können im Rahmen der vertraglichen Vereinbarung völlig frei nach eigenem Ermessen handeln. Die meisten von ihnen finden jedoch, dass ihr Leben angenehmer ist..., wenn sie für unsere Kunden empfänglich sind."

Er blinzelte auf eine unschuldige, großväterliche Weise. Mein Teller war leer und ich war fast fertig mit dem Kauen. Ich schaute nach unten, dann wieder nach oben in sein Gesicht.

"Also, was passiert als nächstes?", fragte ich.

Mr. Craig lächelte. "Direkt auf den Punkt", sagte er. "Das gefällt mir. Nun, nach einer kurzen medizinischen Untersuchung und dem Hübsch-Machen, ist das erste, was wir tun, ein paar Fotos für unseren Katalog zu schießen. Sobald du in der Datenbank bist, heißt es warten. Aber etwas sagt mir, dass du nicht lange warten wirst." Bei diesen Worten bekam ich am ganzen Körper Gänsehaut.

Plötzlich räusperte sich einer der stillen Männer. Es war der, der links von Mr. Craig war. Er machte eine leichte Geste, die zwei Männer steckten ihre Köpfe zusammen und murmelten hin und her. Dank der unglaublichen Breite des Tisches konnte ich kein einziges Wort verstehen. Ein- oder zweimal kritzelte der stille Mann etwas auf seinen Notizblock und zeigte auf ihn. Mr. Craig schien irritiert.

"Es tut mir leid, Liebes", sagte er und sah mich an. "Ich fürchte, wir haben einige dringende Angelegenheiten zu besprechen. Du musst uns für eine Weile entschuldigen. Joshua, kannst du schauen, ob der Arzt für ihre Untersuchung zur Verfügung steht?"

Der Fahrer nickte kurz und bündig. Er zog ein sperriges Telefon aus der Tasche und drückte ein paar Knöpfe. Ich starrte ihn neugierig an und erkannte, dass ich ein solches Gerät seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Nicht, seitdem das Funknetz nicht mehr funktionierte und sie schnell zu nutzlosem Spielzeug wurden. Besonders, wenn Strom so schwer zu bekommen war. Aber das, das Joshua hatte, war anders. Es hatte eine lange Antenne und ein massives Batteriepack. Das Telefon musste mit einem Satellitennetzwerk verbunden sein. Ich hatte Gerüchte gehört, dass ein paar mächtige Männer immer noch die wenigen kontrollierten, die übrig waren. Anscheinend war es also wahr.

"Komm", sagte er einen Moment später und stand auf. Er schnippte mit dem Finger, als ob es Zweifel gäbe, mit wem er sprach.

Ich folgte ihm durch endlose Flure, durch unmarkierte Doppeltüren, zu einem riesigen gefliesten Raum, der bis auf die Untersuchungsliege in der Mitte weitgehend leer war.

Es hingen alle möglichen Geräte an den Wänden und mehr versteckte sich sicherlich in den Schubladen. Ich verbrachte einen Moment damit, all die modernen medizinischen Geräte anzustarren, die ich seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen hatte. War es so, wie die andere Hälfte lebte?

Das Einzige, was seltsam schien, war ein riesiger Kamin in einer Ecke des Raumes. Neben ihm war eine Reihe von Schürhaken aufgehängt. Einer von ihnen lag im Feuer, der Griff lag auf den Fliesen. Aber als die Tür aufging, wurde meine Aufmerksamkeit schnell verlagert.

"Oh, hallo", sagte der Arzt, als er hereinkam. Er war ein lächelnder alter Mann mit Haarbüscheln in den Ohren. Ich schwor, dass er einige meiner Kontrolluntersuchungen gemacht hatte, als ich ein kleines Mädchen gewesen war. Eine andere Zeit, ein anderes Leben. Es war absolut nichts Unheimliches an ihm. Und das machte es umso schlimmer.

Während er meinen Blutdruck kontrollierte und beide Seiten meiner Kehle abtastete, nahm Joshua einen kurzen Anruf in der Ecke entgegen. Ich konzentrierte mich auf sein Gesicht, während das kalte Spekulum in mich eindrang und versuchte, über alles nachzudenken, außer über das, was tatsächlich mit mir geschah.

"Gute Nachrichten", sagte der Arzt schließlich und zog seine Handschuhe aus. "Du bist gesund wie ein Pferd, junge Dame."

Ich lächelte ganz schwach.

Plötzlich schlossen sich Joshuas Hände um meine Schultern. Er hob mich auf die Füße, hielt meine Arme hinter meinen Rücken und bugsierte mich nach vorne. Mein Körper erstarrte, aber er machte einfach weiter und ich hatte keine andere Wahl, als ihm zu folgen.

Er führte mich zum Kamin.

"Das wird wehtun", murmelte er mir ins Ohr, als wir näher kamen. Er klang fast bedauernd. Ich wollte schreien, mich von seinem Griff lösen und weglaufen, aber ich konnte es nicht. Ich wusste, dass ich es nicht konnte. Ich wusste, dass es die Dinge nur noch schlimmer machen würde.

Der Doktor kam auf uns zu und klopfte zerstreut auf die Taschen seines weißen Kittels.

"Tut mir leid, Liebes", sagte er. "Aber es ist sehr wichtig, dass wir dich nicht verlieren, jetzt, wo wir dich haben."

Sein Lächeln beruhigte mich. Ich starrte auf die Flammen und das Brandeisen, dessen Zweck ich nun verstand. Mein Herz raste so heftig, dass ich dachte, dass es versagen würde. Ich betete, dass es das würde, bevor sie die Chance hatten, mir den Rest meiner Würde zu nehmen. Meine Menschlichkeit.

Der Arzt nahm das Brandeisen und ich erkannte das wilde Heulen nicht, das durch den Raum hallte, aber ich wusste, dass ich es sein musste. Ich schloss die Augen, kurz bevor das Brandeisen auf meine Haut traf, bevor der Schmerz sich durch mein Bewusstsein brannte, scharf, grell und allumfassend. Ich schrie und schrie, bis meine Kehle wund war, bis mir schwarz vor Augen wurde und erst dann wurde mir klar, dass meine Augen wieder offen waren - aber ich konnte nichts von dem verarbeiten, was ich sah.

Ich war mir nur schwach bewusst, dass ich weggeschleift wurde und ich musste Tränen aus meinen Augen blinzeln, um zu sehen, was über mir hing. Ein glitzernder Duschkopf. Der Strom von kühlem Wasser brachte ein kleines Maß an Erleichterung für meine Verbrennung, mein Brandzeichen, aber es durchnässte auch mein Kleid. So wie es war. Im Moment war es mir aber egal.

Ich zitterte, als sie mich wegzogen. Ob vom Schock, vom Wasser oder aus einer Kombination von beidem, konnte ich nicht sagen. Die Verbrennung begann sofort wieder zu pochen, sie strahlte Schmerzsignale durch meinen gesamten Körper aus und fühlte sich wie so viel mehr an als nur eine Hautwunde.

Sie setzten mich wieder auf den Rand des Untersuchungstisches und warteten scheinbar darauf, dass ich mich erholen würde. Obwohl jeder Zentimeter meines Körpers schmerzte, fühlte ich mich immer noch taub.

Alle meine schlimmsten Befürchtungen über Stoker waren wahr. Sie versuchten nicht einmal, es zu verstecken. Ich war ihr Eigentum. Sie konnten mich missbrauchen, tauschen und verkaufen, wie sie wollten. Alles, worauf ich hoffen konnte, war, dass mein zukünftiger Besitzer barmherzig sein würde. Aber wie waren die Chancen dafür?

Welche Art von Mann kaufte eine Frau?

Joshua und der Arzt sprachen leise miteinander. Joshua griff immer wieder in seine Tasche und überprüfte sein Telefon. Ich war verzweifelt neugierig und voller Angst, als ich zusah, wie sich der Alptraum mit verstörender Klarheit entwickelte.

"Komm schon." Joshua schnippte mit den Fingern. "Es ist Zeit für die Fotos."

PORTRÄTAUFNAHMEN

AUTUMN

Da ich mich aus so vielen Gründen bereits wie Vieh fühlte, folgte ich ihm hinaus in die Halle. Ich versuchte mich zu erinnern, wohin wir gingen, wie oft wir abbogen, wie viele Türen wir passierten, falls die Informationen jemals nützlich sein sollten. Aber mein Orientierungssinn war bereits durcheinander. Dieses Haus war wie ein Labyrinth und das schmerzende Pochen meiner Verbrennung lenkte mich zusätzlich ab.

Er führte mich in einen anderen Aufzug, noch schneller als der erste und das verursachte eine weitere Welle von Übelkeit, die fast mit dem Schmerz konkurrierte. Als er mich hinausführte, war ich erstaunt, wie anders dieses Stockwerk aussah. Wir waren hinuntergefahren, so weit hinunter, dass wir unter der Erde sein konnten. Es hätte mich nicht überrascht. Obwohl jede Oberfläche noch sauber und strahlend weiß aussah, die Lichter weich leuchteten, fühlte es sich eher wie ein Krankenhaus an.

Ich wusste nicht, was mich erwartete, als wir um die Ecke bogen, aber das war es bestimmt nicht.

Etwa zwanzig Mädchen standen in einer Schlange, sie alle waren ruhig und still. Ihre Augen huschten kurz in meine Richtung, dann wieder zurück auf den Boden. Joshua deutete an, dass ich mich hinter die letzte von ihnen stellen und mich den Wartenden anschließen sollte.

Anscheinend waren wir alle auf dem Weg zu einer Art Klappstuhl in der Mitte des Raumes. Dahinter befand sich eine große, cremefarbene Wand, die mit dem Stoker-Siegel verziert war. Als ob meine Brandmarke nicht genug war. Nacheinander setzte sich jedes Mädchen, den Rücken gerade und ohne zu lächeln. Der Mann hinter der Kamera gab leise Kommandos und fummelte einen Moment lang an ihren Haaren herum, bevor er sich hinter das Objektiv zurückzog. Er schien mit dem Ergebnis nicht besonders glücklich zu sein, aber hinter ihm stand ein größerer, strengerer Mann, der den Mädchen befahl, sich zu bewegen.

Ich hatte mir vorgestellt, dass ich in etwas Verführerisches gekleidet sein würde, auf einem ausgefallenen Möbelstück posieren müsste oder so etwas in der Art. Aber anscheinend war Stokers Katalog pragmatischer als ich gedacht hatte. Es sah nicht einmal nach einer Ganzkörperaufnahme aus. Ich nehme an, dafür waren die Messungen da.

Das Ganze wirkte wie ein Besuch des Schulfotografen und ich fühlte ein hysterisches Lachen in mir aufsteigen. Aber ich unterdrückte es. Der Raum war zu still und die Atmosphäre zu abschreckend. Nur das leise Geräusch der Auslösers und die schlurfenden Schritte all der anderen verzweifelten Frauen waren zu hören.

Ich wollte mit derjenigen vor mir sprechen, nur um zu versuchen, eine Verbindung zu einem anderen Menschen herzustellen. Aber ich hatte das Gefühl, dass es einen Grund für die Stille gab. Wenn ich versuchen würde, meinen Mund zu öffnen, würde der Wachmann hinter dem Fotografen wahrscheinlich ein oder zwei Dinge zu mir sagen.

Bevor ich es merkte, war ich beinahe an der Reihe. Das Mädchen vor mir zitterte, als sie nach vorne trat.

"Nächste", bellte die Wache ein paar Augenblicke später. Ich schluckte hart und begann loszugehen.

Der Stuhl war noch unbequemer, als er aussah und zwang mich in eine unnatürlich perfekte Haltung. Ich hatte keine Zeit, mich zu entscheiden, welchen Gesichtsausdruck ich machen würde, da die Kamera bereits losging und die Wache mich weiterwinkte.

Ich musste wie ein Wrack aussehen. Wollten diese Männer, dass ihre Frauen so aussahen?

So viele Mädchen. Mein Kopf schwirrte. Heutzutage gab es nur noch wenige Währungen, die von Bedeutung waren - Lebensmittel, Medikamente und Drogen. Und es gab nicht sehr viele Menschen, die genug von diesen Dingen hatten, dass sie damit handeln konnten. Wie war Stoker im Geschäft geblieben? Wie viele Mädchen konnte ein mächtiger Mann kaufen?

So viele, wie er wollte.

Waren da draußen Männer, die sich Harems hielten? Oder schlimmer noch... uns benutzten und dann in anonymen Gräbern entsorgten?

Joshua führte mich einen weiteren endlosen Flur hinunter. Ich fühlte mich taub und stellte mit herkulischer Anstrengung einen Fuß vor den anderen. Ich wollte einfach aufgeben. Auf den Boden fallen und mich weigern, mich zu bewegen, sie tun lassen, was sie wollten. Ich würde katatonisch werden und ich würde nichts mehr fühlen.

Nein.

Eine Stimme in mir widersprach.

Wage es ja nicht. Dein Leben ist noch nicht vorbei. Nicht nach all dem, was du durchgemacht hast.

Ich wollte nicht wieder wacher werden und mich all dem stellen müssen, aber der Schmerz meiner Brandmarke holte mich wieder in die Realität zurück.

Wir waren jetzt wieder in einem Aufzug und fuhren noch weitere Stockwerke hinunter. Diesmal war ich mir sicher, dass wir weit unter der Erdoberfläche sein mussten, tief unter den Straßen und Kanälen. Joshua führte mich einen Flur hinunter, der mit nummerierten Türen gesäumt war. Das Ende des Flurs war nicht zu erkennen. Schließlich hielt er an einer der Türen an und drückte seinen Daumen auf eine kleine schwarze Box neben der Tür, bis ein winziges Licht grün aufleuchtete und die Tür sich öffnete.

"Du wirst eine Weile hier bleiben", sagte er und führte mich hinein. Es war ein Raum von der Größe eines großen Kleiderschranks - sauber, fensterlos, mit einem Bett, einem Waschbecken und einer glänzenden Chrom-Toilette in der Ecke.

Eine Gefängniszelle.

Ich drehte mich um und fragte ihn, wie lange. Nicht, dass ich eine Antwort erwartete, sondern nur, um den Klang meiner eigenen Stimme zu hören. Um mich daran zu erinnern, dass ich noch am Leben war. Aber die Tür war bereits geschlossen.

Ich war allein, in Stille, mit nichts anderem als meinen Gedanken.

“Du gehörst jetzt mir.”

Ich wand und drehte mich, verrenkte mich, versuchte zu fliehen. Aber etwas hielt mich nieder. Ich war erstarrt, bewegungsunfähig, unfähig zu schreien, egal wie sehr ich es versuchte. Und selbst wenn ich könnte, wer würde mich hören?

Wen interessierte es schon?

Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen. Ich konnte sein Gesicht nie erkennen. Selbst als er mir näher kam, näher als je zuvor, mich berührte, seine Finger sich um mein Handgelenk schlossen, blieben seine Gesichtszüge im Schatten verborgen.

Ich versuchte, das prickelnde Gefühl zu ignorieren, das sich bei seiner Berührung durch meinen Arm zog. Die Elektrizität. Ich bekam eine Gänsehaut und dabei war alles, was er tat, meinen Arm zu halten.

Ich gehörte ihm.

Ich akzeptiere es vielleicht nicht, aber die Reaktion meines Körpers bewies, dass er mich auf eine Weise kontrollierte, die ich nicht verstand.

"Nein", flüsterte ich vergeblich.

"Nein, was?", flüsterte er zurück. Sein Griff wurde fester.

"Ich will das nicht. Bitte." Ich begann zu weinen.

"Oh?"

Sein Daumen streichelte die empfindliche Unterseite meines Handgelenks und ich erschauderte.

Obwohl ich sein Gesicht nicht sehen konnte, wusste ich, dass er lächelte.

Joshua kam am nächsten Morgen frühmorgens zu mir. Ich war aus meinem Alptraum erwacht, vom Schweiß durchtränkt und war den Rest der Nacht, die Knie fest an meiner Brust, wach geblieben.

"Ich brauche eine Dusche", sagte ich zu ihm, sobald er die Tür aufschloss.

"Du wirst früh genug eine bekommen." Sein Gesichtsausdruck war irritiert und beunruhigt. "Komm. Mr. Charles möchte, dass du heute einen Gast unterhältst."

Aus der Art und Weise, wie er es sagte, schätzte ich, dass er mit dem Plan nicht einverstanden war. Es war das erste Mal, dass ich ihn echte Emotionen zeigen sah, und ich hoffte, dass es ihn ein wenig gesprächig machen würde.

"Was für ein Gast?", fragte ich ihn.

"Die einzige Art, die wir haben." Er ging zügig voran und ich musste mich bemühen, Schritt zu halten. "Sie nennen sie potenzielle Kunden."

Sie. Eine interessante Wortwahl.

Einen Moment. Kunden?

"Jetzt schon?" Mein Herz setzte für einen Moment aus. "Aber ich bin... ich bin gerade erst angekommen."

"Du wirst nicht sofort gehen", sagte er. "Der Gast weiß das. Aber er sah dich im Katalog und wollte dich während seiner Verabredung treffen."

"Oh." Das klang nicht besonders beruhigend.

Warum zum Teufel habe ich mich auf das hier eingelassen?

Weil es eine bessere Option zu sein schien, als sich auf der Straße zu verkaufen, bis Birdy dich schließlich findet.

"Dieser Gast ist sehr speziell", fuhr Joshua fort. "Also musst du dich von deiner besten Seite zeigen. Wenn er dich mag, werden wir dich durch das beschleunigte Trainingsprogramm führen."

"Training für was?" Ich bedauerte, die Frage gestellt zu haben, sobald sie aus meinem Mund kam.

Er blickte mich kurz an, mit einem Ausdruck, den ich nicht ganz lesen konnte. "Zwei Wochen. Alle möglichen Dinge. Etikette. Tanzen. Kochen und Servieren von Speisen. Unterwerfung in allen Aspekten, einschließlich des Schlafzimmers."

Ich zog einen Atemzug durch meine Zähne, unfähig, mich selbst zu stoppen.

"Es ist nicht so schlimm", sagte er schlichtweg. "Man gewöhnt sich daran."

Zwei Wochen? Beschleunigtes Programm? Unterwerfung?

Sie wollten mich wirklich in eine Sklavin verwandeln. Zumindest wollten sie es versuchen.

"Das ist eine Menge zu lernen in zwei Wochen", sagte ich.

Er sah mich wieder an, als wollte er etwas sagen, konnte es aber nicht.

Nach einer langen Aufzugsfahrt wurde mir klar, dass er mich zurück in den großen Besprechungsraum brachte. Auch durch die geschlossenen Türen waren laute Stimmen auf dem Flur zu hören. Ich konnte keine Worte verstehen. Nur Wut und Frustration.

Als sich die Türen öffneten, verstummte das Gespräch abrupt. Alle Männer am Tisch sahen auf, sahen mich an.

Ich presste meine Zähne zusammen und starrte zurück. Ich wollte sie glauben lassen, dass ich kaum der Rede wert war.

"Meine Herren, wir werden diese Diskussion später fortsetzen", sagte Mr. Charles.

"Wir können sie jetzt fortsetzen", protestierte ein junger Mann. Er blickte mich immer wieder an, seine Augen verschlangen meinen Körper auf eine Weise, die mich krank machte. 

"Das ist absurd. Werden wir wirklich dem Wunsch eines toten Mannes nachgeben? Seht sie euch an. Sie wird einen guten Preis erzielen."

"Es gibt keine Diskussion", sagte Mr. Charles. "Sie hätte nie in den Katalog kommen dürfen. Aber ich wurde nicht um meine Genehmigung gebeten. Wir lassen sie Mr. Farber treffen, aber er wird sie nicht mehr mögen als die anderen. Besonders, wenn er hört, dass sie untrainiert ist."

Der jüngere Mann stieß einen angewiderten Seufzer aus. 

"Ich will nur, dass mein Einwand zur Kenntnis genommen wird. Glaubst du wirklich, der alte Mann würde das immer noch wollen, wenn er wüsste, was wir wissen? Würde er weiterhin versuchen, den kaltblütigen Mörder zu besänftigen, den er so sehr liebte?"

Mr. Charles starrte mich an. "Lambert", zischte er und wurde für einen Moment bösartig. Mir gefror das Blut in meinen Adern. "Das reicht jetzt."

Lambert hob eine Augenbraue in meine Richtung und ich zitterte. "Ich denke nur, dass sie es verdient zu wissen, für wen sie bestimmt ist."

Worüber zur Hölle sprach er überhaupt?

"Nun, wenn Mr. Farber sie mag, wird diese ganze Diskussion hinfällig sein", sagte Mr. Charles milde. "Du kannst also vielleicht doch noch deinen Willen durchsetzen."

"Du weißt, dass er sie mögen wird", sagte Lambert sauer. "Er hat noch nie eine von ihnen nicht gemocht. Ich glaube, er kommt nur wegen der Gratisgetränke und zum Herumprotzen." Er grinste. "Nachdem er seine Nase gerümpft hat, wie er es immer tut, hast du wirklich vor, dieses arme Ding zu..."

Er hielt inne und sah Mr. Charles ins Gesicht.

"Nun", sagte der ältere Mann, schüttelte den Blick ab und wandte sich in unsere Richtung. Er wandte sich zuerst an Joshua. "Hast du sie über unseren Gast informiert?"

"Ich glaube nicht, dass sie bereit ist", antwortete Joshua. "Wir können nicht erwarten, dass sie die ganze Show spielt. Das weiß er, nicht wahr?"

Mr. Charles zuckte nur mit den Schultern. "Er trifft fünf Mädchen, ich bezweifle, dass er sich zu sehr auf einen bestimmten Fehler konzentrieren wird. Wenn er sie mag, dann mag er sie."

Joshua sah besorgt aus und ich verstand nicht, warum. Natürlich verstand ich das meiste von dem, was hier passierte, nicht. Es war alles ein seltsames Paralleluniversum, in dem es normal war, über den Verkauf von Menschen zu sprechen.

Anscheinend an Mörder.

Ich war mir nicht sicher, ob ich beten sollte, dass Mr. Farber mich nicht attraktiv fand. Oder dass er mich unerklärlicherweise mochte und mich damit vor dem Schicksal bewahrte, das mich sonst erwartete. Der kaltblütige Mörder klang nicht allzu gut... aber andererseits konnte jeder, der den Tod dieser Männer im Sinn hatte, selbst nicht allzu schlecht sein.

War das so?

Oder konnte er schlimmer sein?

"Das steht leider nicht zur Diskussion", sagte Mr. Charles mit einem eingefrorenen Lächeln. "Mr. Lambert sieht, wen Mr. Lambert sehen will. Das weißt du doch. Macht sie bereit. Er wird um drei Uhr hier sein und ich will, dass sie makellos aussieht."

Joshua brachte mich in eines der anderen Zimmer, die ich bei meiner ersten Ankunft hier gesehen hatte und wartete, während ich duschte. Diesmal hatte er ein enges rotes Kleid für mich zum Anziehen. Es lag sehr eng an, hatte einen tiefen V-Ausschnitt, sodass die Oberseite meines Bauchs sichtbar wurde. Ein paar Zentimeter war der Stoff gerafft, um die Aufmerksamkeit auf die Mitte meines Beckens zu lenken.

Ich war angewiesen worden, das Make-up aufzutragen, das auf dem Tresen auf mich wartete. Der leuchtend rote Lippenstift und der tief rauchige Lidschatten rundeten den Look ab. Ich sah wie eine schreckliche Parodie von wunderschöner Eleganz aus.

Ein Paar passende Stöckelschuhe warteten an der Tür auf mich. Ich zog sie an und betete, dass ich nicht weit in ihnen gehen musste. Das konnte ich nicht, jedenfalls nicht, ohne mir den Knöchel zu verstauchen. Es kam mir in den Sinn, dass sie nicht zum Gehen bestimmt waren.

Ich zitterte.

"Wohin gehen wir?", fragte ich Joshua.

"Nirgendwohin", sagte er. "Mr. Farber wird hierher kommen." Er griff in seine Tasche und holte ein Paar goldener Ohrringe und eine Halskette hervor. "Zieh das an."

Als ich gerade an dem Verschluss herumfummelte, klopfte es an der Tür. Joshua beeilte sich, sie zu öffnen.

Ich hielt den Atem an, als Mr. Farber hereinkam.

Er ging direkt auf mich zu, sein Gesicht war wütend und ernst. Ich zwang mich, nicht zu reagieren, auch wenn er nur wenige Zentimeter von mir entfernt anhielt.

In einem anderen Leben mag er vielleicht gutaussehend gewesen sein, aber es herrschte ein Gestank von Bitterkeit und Verzweiflung um ihn herum. Er ließ mich zurückschrecken, aber ich schluckte es nach unten und erinnerte mich daran, dass dies besser war als die Alternative. Ich lächelte süß und zog meinen Kopf nach oben und zuckte nicht, als er mein Kinn packte und es höher zwang.

Er grinste.

"Wirklich? Das ist das Beste, was Sie anzubieten haben?"

"Sie ist brandneu", sagte Joshua. "Stimmt etwas nicht?"

"Sie sieht nicht so aus wie auf dem Foto." Er sah mich an, aber gleichzeitig tat er es auch nicht wirklich. Seine Augen untersuchten mich wie eine Ware in einem Geschäft. "Ihr Leute müsst mit euren betrügerischen Geschäftspraktiken aufhören."

Ich fühlte mich erleichtert - er wollte mich nicht. Aber ich war auch wütend darüber, wie er mich ansah, mich berührte, als wäre ich ein Stück Müll. Sollte so mein Leben aussehen?

Was, wenn mich niemand wollte?

Was würde Stoker dann tun?

Es war offensichtlich. Sie würden mich zu einem kaltblütigen Mörder schicken.

"Ich versichere Ihnen, alles hier hat seine Richtigkeit", sagte Joshua zackig. "Wenn sie Ihnen nicht gefällt, kein Problem. Es stehen noch vier weitere Frauen für Sie bereit"

Der Mann ging um mich herum und blickte mich abschätzend an. "Wenn es Ihnen wirklich wichtig wäre, mich als Kunden zu behalten, würden Sie sich mehr bemühen, mich zu beeindrucken."

"Wenn Sie sich erinnern, sind Sie nicht wirklich ein Kunde." Joshua begann, die Geduld mit ihm zu verlieren. Aber er hielt sich in Zaum. "Was auch immer Ihr Geschmack ist, es scheint nichts zu sein, was die menschliche Genetik bieten kann. Haben Sie erwogen, eine Frau im Labor zu erschaffen?"

Der Gast stieß ein langes, schreiendes Lachen aus. "Du hast Glück, dass ich gute Laune habe, Junge." Er stieß mit dem Finger an Joshuas Brust, aber der Fahrer zuckte nicht. "Ich habe einen besonderen Geschmack. Das muss ich dir lassen. Aber dieses Angebot ist einfach nur traurig. Diese Schlampe kann nicht mal lächeln." Er drehte sich plötzlich zu mir um und starrte. "Lächle, Schlampe!"

Mein Mundwinkel musste sich nach unten verzogen haben, als ich nicht aufgepasst hatte. Ich zwang meine Mundwinkel wieder nach oben, weil ich nicht darüber nachdenken wollte, was passieren würde, wenn ich es nicht täte.

"Ugh", sagte er mit einer abweisenden Geste und drehte mir den Rücken zu. "Siehst du, wovon ich rede? Sie kann nicht einmal so tun, als würde sie mich mögen. Wie wird es später sein, wenn ich ihr wirklich etwas zum Nachdenken gebe? Das kann ich nicht zulassen. Sie muss perfekt sein für den Preis, den Stoker verlangt. Ich bin hier, weil ich mir keine Schlampe von der Straße holen will. Aber alles, was Sie mir anbieten, ist eine Schlampe von der Straße, die Sie ein wenig aufgehübscht haben. Sollen Ihre Mädchen nicht die Besten sein?"

"Wenn Sie denken, dass Sie es besser können, können Sie uns gerne wieder verlassen." Joshua klopfte mit dem Fuß. "Sind wir hier fertig?"

Die Augen des Gastes fielen auf mich zurück. "Nun. Wie wäre es mit einem Geschmackstest?"

Bitte Gott, nein.

"Jesus Christus", sagte Joshua und ging zur Tür. "Das ist keine verdammte Eisdiele. Können wir bitte weitermachen?"

Der Gast stieß noch ein weiteres Lachen aus und ging schließlich glücklicherweise.

Ich saß taub auf der Bettkante und starrte auf den Boden. Ich war einer Kugel ausgewichen, aber für wie lange? Wie oft noch? Und wie viel schlimmer würde es werden, je länger ich hier blieb?

Joshua kehrte einige Augenblicke später zurück und schnippte wieder mit den Fingern. Gott, ich hasste dieses Geräusch.

"Umziehen", sagte er und hielt ein schlichtes weißes Kleid in meine Richtung. "Schnell. Mr. Charles muss dich wieder sehen."

Mir gefiel der Klang nicht.

Der Besprechungsraum war dezent gedämpft, als wir wieder hereinkamen. Lambert verbarg kaum seine Irritation und das machte mir mehr Angst als alles andere. Er war vielleicht unglaublich unverschämt und nervtötend, schien aber die einzige Person zu sein, die sich für meine Sicherheit einsetzte.

"Gute Nachrichten", sagte Mr. Craig mit einem eiskalten Lächeln. "Die Dinge entwickeln sich noch schneller, als ich dachte. Es ist bereits Zeit für dich, zu deinem neuen Zuhause zu gehen."

Meine Kehle schnürte sich zusammen.

"Jetzt schon?", schaffte ich nach einem Moment zu krächzen.

"Ich weiß, ich weiß", sagte er und war kurz davor, seine Hand auf meine Schulter zu legen. "Es war auch nicht meine erste Wahl. Ich hätte dir gerne etwas mehr Zeit gegeben, um dich einzugewöhnen. Aber ich bin mir absolut sicher, dass es dir gut gehen wird."

"Aber ich dachte, er wäre nicht..." Ein paar Männer kamen auf mich zu und ich fühlte, wie Panik in mir aufstieg. "Ich dachte, er wäre nicht interessiert."

"Oh, nicht er", sagte Mr. Charles. "Du gehst an einen besonderen Ort. Das ist eine große Ehre, junge Dame."

Seine Worte entsetzten mich. Ich taumelte vorwärts, aber meine Arme wurden bereits festgehalten. Der kaltblütige Mörder. Dahin schickten sie mich.

In den dunklen Ecken meines Geistes murmelte die Stimme.

Du gehörst jetzt zu mir.

Ich fühlte ein kleines Zwicken in meinem Arm und einen Moment später fühlte ich überhaupt nichts.

TATE

AUTUMN

"Was soll das?", fragte eine Stimme.

Ich blinzelte. Einmal, zweimal, dreimal. War es dunkel oder war ich blind?

"Ich will das nicht", sagte die Stimme.

"Nehmen Sie sie zurück."

Ein kurzes Lachen. Ein anderer Mann sprach und ich erkannte Joshuas Stimme. "Sie wissen, dass ich das nicht tun kann."

Es herrschte eine lange, quälende Stille. Ich blinzelte und blinzelte wieder. Ich versuchte, mich zu bewegen. Etwas stimmte nicht. Meine Arme. Meine Beine. Sie wollten nicht reagieren. Und meine Atmung - sie war mühsam, sie war schwer, als ob etwas meinen Mund bedeckte.

Da ist etwas auf meinem Kopf. Deshalb kann ich nichts sehen.

Ich streckte mich wieder und spürte, wie etwas an meinen Handgelenken und Knöcheln rieb. Ein Seil.

Ich beruhigte mich. Also war ich nicht blind oder verletzt, soweit ich das beurteilen konnte. Das war ein gutes Zeichen.

"Das ist nicht meine Verantwortung", sagte die unbekannte Stimme und fuhr fort, "und sie können Craig sagen..."

"In Ordnung." Joshua unterbrach ihn. "Dann wird Ihr Blut an ihren Händen kleben." Er lachte auf.

Ein weiteres Lachen, diesmal von dem unbekannten Mann. Hart, kurz und beängstigend.

"Glauben Sie, das interessiert mich?"

Joshua machte ein kleines Geräusch. "Wie Sie wollen."

Eine weitere lange Stille und der Klang von etwas - Holz, das gegen Holz kratzte, dachte ich. Eine Tür, die sich öffnete und dann schloss, aber keine normale Tür. Keine Tür in einem Haus. Als ich wieder kämpfte, wurde mir klar, dass ich auf etwas lag, das kratzte. Nicht nur das Seil, sondern alles unter mir kratzte auf meiner Haut. Es fühlte sich vertraut an, obwohl ich es nicht zuordnen konnte.

Ich begann mich methodisch zu bewegen und versuchte, das Seil um meine Handgelenke zu lösen. Es war unmöglich zu sagen, ob es sich dabei um eine sinnvolle Bewegung handelte oder nicht, aber was sollte ich sonst tun?

Nach einer unvorstellbar langen Zeit hörte ich ein leises Geräusch aus der Ecke.

Also war ich nicht allein.

Ich erstarrte.

"Hallo?", rief ich aus. "Wer auch immer Sie sind, bitte - bitte helfen Sie mir."

Keine Antwort.

"Bitte", versuchte ich es noch einmal und hörte, wie meine Stimme fester wurde. "Lassen Sie mich einfach gehen. Ich werde nicht... Ich werde nichts Schlechtes tun. Ich werde es nicht der Polizei sagen. Die würde sowieso nichts tun. Ich werde nicht einmal in Ihr Gesicht schauen, lassen Sie mich einfach gehen."

Nichts.

"Ich tue alles, was Sie wollen", sagte ich. "Ich habe... ich habe Geld."

Nun, es war einen Versuch wert.

Noch ein leises Geräusch.

Und dann sprach er, seine Stimme kalt und glatt wie Marmor.

"Wenn du Geld hättest, wärst du nicht hier", sagte er. Ich zitterte und erkannte, dass die Luft kalt geworden war, egal wie heiß sich mein Gesicht anfühlte... was auch immer es bedeckte. Meine Brustwarzen fühlten sich schmerzhaft steif an.

"Okay, in Ordnung", sagte ich und war begeistert, dass ich endlich eine Reaktion aus ihm herausbekommen hatte. "Aber das ist kein Grund, mich hier draußen sterben zu lassen."

Diese Möglichkeit auszusprechen, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren, aber ich hielt es für notwendig. Er musste verstehen, was hier vor sich ging. Welche Art von Person hatte nicht automatisch Mitgefühl für eine Frau, die gefesselt und hilflos auf dem Boden lag?

Wer zum Teufel war dieser Mann?

Der kaltblütige Mörder.

Ich ignorierte standhaft die Stimme in meinem Hinterkopf.

Lange Zeit war keine Reaktion zu erkennen. Mein Verstand fing an zu rasen.

"Hören Sie zu", sagte ich. "Sie sind offensichtlich kein Freund von Mr. Craig und der Stoker-Agentur. Ich habe Sie mit dem Fahrer reden hören. Ich weiß, wo Sie zu finden sind. Ich weiß, wie man reinkommt. Ich könnte Ihnen Informationen geben."

"Der Fahrer?", wiederholte er ungläubig. Er klang jetzt viel näher. "Ist das alles, von dem du denkst, was er ist?"

"Nun, er... er hat mich zu Stoker gefahren." Ich fühlte mich besonders dumm, aber da war keine Zeit für Selbstzweifel. Das war richtig - er hatte mich ohne Augenbinde dorthin gefahren. Also war ihr Standort kein Geheimnis. Jeder, der es wissen wollte, konnte es wahrscheinlich herausfinden, einschließlich... wer auch immer er war. Dumme, dumme, dummer, dumme Autumn.

"Ist das alles, was er getan hat?" Die Stimme war jetzt noch näher. Es klang fast so, als würde er auf dem Boden hocken, ganz nahe an meinem Gesicht.

"Mehr oder weniger", sagte ich und schluckte hart. "Ich meine, er - hat mich begutachtet. Er hielt mich fest, als der Arzt mich brandmarkte."

Es hatte keinen Sinn, mit diesem Mann alles andere als offen zu sein, dachte ich - aber ich hörte seinen scharfen Atem, während ich sprach.

"Und sonst nichts?", fragte der Mann. Er war jetzt definitiv sehr nah.

"Nichts anderes", bestätigte ich. "Nicht wirklich. Nachdem ich gebrandmarkt wurde, haben sie..." Ich atmete aus. "Sie haben mich für die Nacht in eine Zelle gesteckt. Und dann sah ich einen ihrer Gäste, aber er hat mich nicht ausgewählt. Also brachten sie mich hierher. Ich schätze, das war... heute. Oder gestern. Ich bin mir nicht wirklich sicher, wie lange es her ist."

Und einfach so wurde mir etwas vom Kopf gerissen. Ich schloss die Augen vor dem plötzlichen Lichteinfall und schnappte meinen ersten ungedämpften Atemzug, seit ich aufgewacht war.

Dieser Geruch.

Heu.

Ich war in einer Scheune.

Etwas an meiner Geschichte hatte den Mann offensichtlich fasziniert. Ich öffnete meine Augen wieder, vorsichtig, und erkannte, dass das Licht eigentlich ziemlich schwach war. Es hingen nur ein paar Lampen in den Ecken des Raumes.

Ich drehte meinen Kopf um, um den Mann neben mir anzusehen.

Er war in der Tat ganz in der Nähe. Er hockte neben mir und schaute mich an, als wäre ich ein verletzter Vogel, dem er mit einem Stein den Kopf einschlagen müsste.

Seine Gesichtszüge waren scharf und schön, aber auch kühl - oder vielleicht waren es nur seine dunkelgrauen Augen, die mich so leidenschaftslos ansahen, dass ich überall Gänsehaut bekam. Selbst wenn ich nicht auf dem Boden einer Scheune gefesselt gewesen wäre, hätte er einen imposanten Eindruck gemacht.

Er war groß und schlank, trug einen dunklen Anzug und eine Krawatte. Nichts an ihm sah so aus, als gehörte er auf einen Bauernhof. Aber unter dem Saum seiner Hose konnte ich etwas erkennen, das nicht so richtig ins Bild passte: große, schwarze Stiefel. Es war die Art, die Polizei und Armee getragen hatten, als sie zum ersten Mal versuchten, die Ordnung wiederherzustellen.

Mein Herz schlug schneller, als ich ihn ansah. Das war also der Mann, vor dem Lambert es für klug hielt, mich zu warnen.

Die Art von Raubtier, vor dem die anderen Raubtiere Angst hatten.

Mein Mund war trocken, aber ich war entschlossen, ihm zu zeigen, dass ich kein Opfer war. Was auch immer er mit mir vorhatte - ich würde kämpfen.

Ich suchte in seinen Augen nach Gefühlen. Einem Zeichen von Menschlichkeit. Aber er war gut auf der Hut, seine Augen zeigten nichts als ein schwaches Zeichen von Neugierde.

Nun, Neugierde war immerhin etwas.

"Erzähle mir", sagte er und jetzt konnte ich sein höhnisches Grinsen sehen, während er sprach. "Erzähle mir, welche streng geheimen Informationen du wohl gesammelt haben wirst, nachdem du ein paar Stunden in Begleitung der feinen Männer von Stoker gewesen bist?" 

Ich starrte ihn an. "Es war zumindest einen Versuch wert", sagte ich. "Sie sollten nicht einmal eine Bestechung benötigen, um mich gehen zu lassen. Jeder anständige Mensch..."

Er unterbrach mich mit einem weiteren kühlen Lachen. "Das ist richtig", sagte er, stand abrupt auf und richtete die Jacke seines gut sitzenden Anzugs. "Jeder anständige Mensch hätte dich schon längst losgebunden. Also, was sagt uns das?" Er fing an, im Raum umherzugehen. Er schlenderte vielmehr - er stand sicherlich an der Spitze der Nahrungskette. Mein ganzer Körper war steif und wartete auf seinen nächsten Atemzug.

Was verheimlichte er?

Ich konnte nicht erklären, warum, aber ich wusste, dass sein Desinteresse kalkuliert war. Eine vorsichtige Maske. Es gab etwas, von dem er nicht wollte, dass ich es sehe, und das bedeutete, dass es ihm wirklich wichtig war, was ich von ihm hielt. Oder etwa nicht? Er konnte nicht so kalt und gefährlich sein, wie Lambert es angedeutet hatte.

Ich kämpfte gegen eine aufsteigende Flut von Panik in meinem Inneren. Alte Erinnerungen stiegen kamen wieder in mir hoch. Das letzte Mal, dass ich Heu gerochen hatte, es angefasst hatte, war, als ich als junges Mädchen zu einem Erntedankfest gegangen bin. Meine Mutter hatte mir gesagt, dass wenn jemand versuchen würde, mich zu entführen, ich von mir selbst erzählen solle. Es wäre wichtig, dass sie dich als ein Mensch sehen.

Es hätte genauso gut vor tausend Jahren sein können, aber ich hielt mich trotzdem an ihren Rat.

"Ich weiß nichts", antwortete ich ihm schließlich. "Ich weiß nichts über Sie, genau wie Sie nichts über mich wissen."

"Ich weiß eine Sache", sagte er und hielt an, um mich anzusehen. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als seine Augen auf mich gerichtet waren. Schätzen. Bewerten. Ein kalter, berechnender Blick, der mich nackt machte. "Ich weiß, was das Einzige ist, was zählt."

"Waren Sie schon mal auf einer Planwagenfahrt?", platzte ich heraus. Er hielt inne und starrte mich an.

"Entschuldigung?", fragte er und sein Mund verzog sich wieder.

"Eine Planwagenfahrt", wiederholte ich. "Sie wissen schon. Bauernhöfe machen das manchmal. Sie fahren einen auf einem Wagen herum und man sitzt auf Heuballen. Ich habe sie als Kind geliebt, aber wenn ich zurückdenke, kann ich mir nicht vorstellen, warum. Es klingt langweilig, nicht wahr?" Ich schaffte es zu kichern und es klang beängstigt, aber menschlich.

Er sah mich einfach weiter an und seine Miene verriet immer noch nichts. Die Intensität seines Blicks ließ meinen Magen verdrehen.

"Ich habe gerade darüber nachgedacht", sagte ich. "Wegen des Heus. Da war auch etwas, das man Heuspringen nennt. Man kletterte eine Leiter hoch und sprang direkt in einen riesigen Heuhaufen. Es war großartig. Bei der Sache sehe ich, ehrlich gesagt, immer noch den Reiz. Wenn ich eine Scheune hätte, würde ich es im Grunde jeden Tag tun."

Er grinste ein wenig und sprach wieder. "Ich weiß, dass du dich an sie verkauft hast."

Aber er sprach diesmal mit etwas weniger Überzeugung.

"Das habe ich nicht", antwortete ich und Wut stieg in meiner Brust auf. "Ich habe einen Vertrag unterschrieben. Ich gehöre niemandem."

"Nun, da liegst du falsch", sagte er, seine Grimasse verwandelte sich in ein kaltes Lächeln. "Im Grunde genommen gehörst du jetzt mir."

Mein Herz flatterte in meiner Brust und der Mann aus meinen Alpträumen wanderte wieder in meinem Hinterkopf herum.

Du gehörst jetzt mir.

"Lassen Sie mich einfach gehen", sagte ich. "Ich habe gehört, dass sie gesagt haben, dass Sie mich nicht wollen. Also lassen Sie mich doch einfach gehen."

Ein kurzes Lachen. "So funktioniert das nicht", sagte er. "Hast du deinen Vertrag gelesen?" Einen Moment später: "Natürlich hast du das nicht. Das tun sie nie."

"Ich war am Verhungern", keifte ich ihn an und rüttelte noch einmal an meinen Fesseln. "Haben Sie eine Ahnung, wie das ist? Natürlich habe ich den Vertrag nicht gelesen. Es spielte keine Rolle. Man kann sich nicht selbst verkaufen. Das ist nicht möglich."

"Das ist es wohl, wenn dir die Gerichte gehören", sagte er. "Das ist es, wenn dir die Polizei, die Richter und die Leute gehören, die die Gesetze schreiben."

Irgendwie wusste ich, dass er Recht hatte. Irgendwie hatte ich es schon immer gewusst. Stoker machte keine Geschäfte, weil sie Formalien einhielten. Nein, sie durften tun, was sie taten.

Es sei denn, er sprach von sich selbst.

Ich war auf der falschen Spur. Schnell änderte ich die Strategie.

"Es spielt keine Rolle", sagte ich. "Die Polizei war sowieso nie ein Freund und Helfer für mich. Ich würde nie zur Polizei gehen, um Hilfe zu bekommen. Wenn Sie mich frei lassen, werde ich mit niemandem reden."

"Du hast Recht", sagte er. "Du wirst keine Chance dazu haben."

Ich erstarrte und starrte ihn an.

"Woher wussten Sie das?", flüsterte ich und ein dunkles Angstgefühl breitete sich in meinem Körper aus.

Er runzelte die Stirn. "Das ist nicht wichtig", sagte er. "Der Punkt ist, dass ich Stoker besser kenne, als man es sich je erhoffen könnte."

"Oh!" Mir wurde klar, dass er immer noch von Stoker sprach. Natürlich tat er das. Worüber sollte er sonst reden?

Er wusste nichts über mich.

Er wusste nicht, dass ich gejagt werde.

"Du scheinst erleichtert", sagte er und kam mir wieder nahe. "Das solltest du aber nicht sein."

"Tut mir leid", sagte ich gereizt. "Wie auch immer, ich habe keine Angst vor Stoker."

"Das solltest du aber." Er griff mit der Hand in die Tasche und zog etwas heraus. Klein. Es passte in seine Handfläche und er drehte es immer wieder um, ohne es mich sehen zu lassen. Die Bewegungen seiner Finger waren faszinierend. Sie waren flink und stark, lang genug, um sich um meinen Hals zu wickeln. "Wenn du vor mir fliehst, werden sie dich zurückfordern, mit allen Mitteln, die nötig sind. Sie behalten sich dieses Recht vor. Es spielt keine Rolle, ob du mit meiner "Erlaubnis" gehst oder nicht." Er lächelte schwach. "Es ist ihnen egal."

"Also sagen Sie es ihnen einfach nicht", forderte ich ihn heraus.

Er lächelte weiter. "Das muss ich nicht einmal."

Ich überlegte einen Moment. Wenn das, was er über Stoker sagte, wahr war - und es hielt sicherlich einer Prüfung stand - dann war ich gut und gerne am Arsch. Egal, wohin ich floh, es gäbe keine Sicherheit für mich.

Es sei denn.

Es sei denn.

Im Grunde genommen gehörst du jetzt mir.

Er drehte das Ding in seiner Hand immer noch wieder und wieder um, und als etwas Licht auf das Objekt fiel, sah ich ein Funkeln.

---ENDE DER LESEPROBE---