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Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »Feierabend, endlich!« Die attraktive Frau, die diesen Stoßseufzer von sich gab, sah Michael Lindner auffordernd an. »Hast' noch Lust, auf ein Bier im ›Bräustübl‹?« fragte Hanna Rendel. »Es ist doch so ein schönes Wetter.« Michael schüttelte bedauernd den Kopf. »Geht leider nicht«, antwortete er. »Du weißt doch, ich muß Lena aus dem Kindergarten abholen.« Die dunkelhaarige Kollegin runzelte die Stirn. Immer das Kind, dachte sie ärgerlich. Dann hatte sie eine Idee. »Was hältst denn davon, wenn wir deine Tochter gemeinsam abholen und dann zu mir fahren«, schlug sie vor. »Ich koch' uns was Schönes zum Abendessen, und später können wir draußen, im Garten, spielen.« Der junge Mann mit dem markanten Gesicht hatte seine Mappe gepackt und den Computer abgedeckt. »Das ist lieb gemeint, Hanna, aber leider unmöglich. Du weißt doch, daß heut' mein letzter Arbeitstag ist. Morgen fahren Lena und ich in die Ferien. Da gibt's noch einiges vorzubereiten, und die Kleine muß früh ins Bett.«
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Seitenzahl: 107
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»Feierabend, endlich!«
Die attraktive Frau, die diesen Stoßseufzer von sich gab, sah Michael Lindner auffordernd an.
»Hast’ noch Lust, auf ein Bier im ›Bräustübl‹?« fragte Hanna Rendel. »Es ist doch so ein schönes Wetter.«
Michael schüttelte bedauernd den Kopf.
»Geht leider nicht«, antwortete er. »Du weißt doch, ich muß Lena aus dem Kindergarten abholen.«
Die dunkelhaarige Kollegin runzelte die Stirn. Immer das Kind, dachte sie ärgerlich. Dann hatte sie eine Idee.
»Was hältst denn davon, wenn wir deine Tochter gemeinsam abholen und dann zu mir fahren«, schlug sie vor. »Ich koch’ uns was Schönes zum Abendessen, und später können wir draußen, im Garten, spielen.«
Der junge Mann mit dem markanten Gesicht hatte seine Mappe gepackt und den Computer abgedeckt.
»Das ist lieb gemeint, Hanna, aber leider unmöglich. Du weißt doch, daß heut’ mein letzter Arbeitstag ist. Morgen fahren Lena und ich in die Ferien. Da gibt’s noch einiges vorzubereiten, und die Kleine muß früh ins Bett.«
Hanna biß sich auf die Lippen. Natürlich wußte sie, daß Michael ab morgen Urlaub hatte. Deshalb ja auch der Versuch, ihn noch einzuladen. Ihr eigener Urlaub würde erst in zehn Tagen beginnen. Hanna fragte sich, wie sie es aushalten sollte, ihn so lange nicht zu sehen.
»Schad’«, sagte sie. »Wo soll’s denn überhaupt hingeh’n?«
»In die Berge«, lautete die Antwort. »Wir fahren nach Sankt Johann. Hier in Bayern, net in Tirol.«
»Ach, in die Alpen? Meinst’ denn, daß es das Richtige für Lena ist? Ich weiß net, nur auf den Almen herumkraxeln – Kinder wollen doch viel lieber ans Meer: Schwimmen und Bootfahren.«
Der Manager lächelte.
»Stell’ dir vor, all das kann man dort auch machen«, erwiderte er. »Ganz in der Nähe liegt der Achsteinsee, ein sehr romantisches Gewässer, jedenfalls am Abend, wenn Ruhe eingekehrt ist. Tagsüber denkt man, an der Nordsee zu sein, soviel Betrieb herrscht da. Und in Sankt Johann gibt’s auch für Kinder viel zu erleben. Außerdem ist’s dort schön ruhig, net so von Touristen überlaufen, wie anderswo. Ich bin früher mit meinen Eltern oft in den Ferien dort gewesen.«
Den letzten Satz hatte er mit einem wehen Zug um den Lippen gesagt, aber das konnte Hanna nicht sehen, weil sie an ihrem Arbeitsplatz beschäftigt war.
Michael Lindner sah auf die Uhr.
»Himmel, jetzt muß ich mich aber beeilen«, rief er und schnappte seine Mappe. »Also, laß dich net unterkriegen. In einer guten Woche hast’ ja auch Urlaub.«
Er winkte ihr zu und verließ sein Büro in der sechsten Etage eines mehrstöckigen Geschäftshauses in der Nürnberger Innenstadt. Mit dem Aufzug fuhr er in die Tiefgarage hinunter. Dort hatte er seinen Wagen abgestellt. Michael warf die Mappe auf den Rücksitz und setzte sich aufatmend hinter das Lenkrad.
Endlich Feierabend, dieser Stoßseufzer klang ihm noch in den Ohren. Er hätte einen weitaus größeren ausstoßen können – endlich Urlaub!
Gutgelaunt startete er den Motor, fuhr zum Ausgang und fädelte sich in den Verkehr ein. Drei herrliche Wochen lagen vor ihm. Wochen, in denen er sich nur um sich und Lena kümmern wollte.
Auf dem Weg zum Kindergarten hielt er an einem Blumengeschäft und kaufte einen Strauß dunkelroter Rosen. Die Verkäuferin lächelte ihn an. Sie kannte den gutaussehenden Kunden. Michael kam jede Woche einmal herein und kaufte immer die gleichen Blumen.
»Bis zum nächsten Mal«, sagte sie zum Abschied.
»Das wird ein bissel dauern«, antwortete er fröhlich. »Morgen geht’s in die Ferien.«
Die freundliche Frau wünschte ihm einen schönen Urlaub, bevor er jedoch hinaus war, reichte sie ihm einen kleinen Strauß Anemonen.
»Für ihre Tochter.«
Michael bedankte sich. Lena würde sich bestimmt über das Geschenk freuen. Es dauerte einen Moment, bis er in der Nähe des Kindergartens einen Parkplatz gefunden hatte. Rasch stieg er aus und lief das Stück zurück. Sein Herz blühte förmlich auf, als er seine kleine Tochter am Fenster erblickte. Es sah aus, als warte sie schon sehnsüchtig auf ihren Papa.
»Hallo, mein kleiner Engel«, sagte Michael Lindner zärtlich und gab ihr einen Kuß. »Na, war’s schön heut’?«
Lena-Marie Lindner nickte. Der kleine Fratz hatte neckische Locken und ein hübsches, manchmal spitzbübisches Gesicht. Für ihr Alter, sie war gerade mal vier Jahre alt, besaß sie eine verblüffende Intelligenz, ohne dabei altklug zu sein. Außerdem hatte sie die Begabung, durch ihr freundliches Wesen, jederman für sich einzunehmen. Wer Vater und Tochter zusammen sah, konnte unschwer den Stolz des Mannes auf das Kind übersehen.
Rika Winkler erschien. Die Kindergärtnerin wünschte ihnen eine schöne Urlaubszeit und hoffte, daß sie gesund und munter wiederkommen mögen.
»Fahr’n wir jetzt schon in die Berge?« wollte Lena wissen, als sie hinten in ihrem Kindersitz angeschnallt war.
Ihr Vater mußte unwillkürlich schmunzeln. Seit er ihr davon erzählt hatte, daß sie zusammen in die Berge fahren würden, konnte die Kleine es kaum erwarten.
»Nein, mein Schatz, heut’ net. Du weißt doch, daß ich bis eben noch gearbeitet hab’. Morgen früh geht’s los. Jetzt fahr’n wir erst nach Haus’ und schlafen noch eine Nacht.«
Lenas Blick war auf den Rosenstrauß gefallen.
»Besuchen wir die Mami noch?« fragte sie.
Michael sah sie durch den Rückspiegel an und nickte. Er nahm den Anemonenstrauß und reichte ihn ihr.
»Den schenkt dir die Blumenfrau.«
»Toll«, freute sich das Madel, »da hab’ ich ja auch Blumen für die Mami. Wenn ich die mit nach Haus’ nehm’, dann hab’ ich ja nix mehr davon. Wenn wir aus dem Urlaub zurück sind, dann sind’s schon verblüht. Da soll besser die Mami sie haben.«
Einmal mehr war Michael Lindner über die Gedanken verblüfft, die sich die Vierjährige machte. Gleichzeitig schluckte er, als er an den bevorstehenden Besuch dachte.
*
»Grüß dich, Andrea«, sagte Sebastian Trenker zu der jungen Frau. »Ich hab’ gar net gewußt, daß du schon wieder zuhaus’ bist. Hat’s denn net geklappt mit der Stelle in Garmisch?«
Andrea Mahlinger schüttelte bedauernd den Kopf.
»Leider net, Hochwürden«, antwortete sie. »Ich hatte schon gehofft, daß man mich übernehmen würd’. Aber ich wußt’ ja auch, daß es zunächst nur eine Vertretungsstelle war. Jetzt muß ich halt seh’n, wie’s weitergeht. Wenn nur net die viele Lauferei zum Arbeitsamt wär’. Alle paar Tag’ muß ich in die Stadt und dort vorstellig werden.«
Der Geistliche hatte die junge Frau vor dem Haus ihrer Eltern getroffen. Er war überrascht gewesen, daß Andrea hier war, hatte er sie doch auf ihrer Arbeit, in einem Kindergarten in Garmisch Partenkirchen, vermutet. Erst vor drei Monaten hatte die hübsche blonde Frau die Stelle dort angetreten. Wie sie bereits sagte, erst nur als Vertretung für eine Frau, die in Mutterschutz gegangen war. Doch hatte man ihr Hoffnungen auf eine Übernahme gemacht, falls die Stelle vakant bliebe. Leider hatte sich diese Hoffnung nicht erfüllt, weil die junge Mutter schon bald nach der Entbindung wieder in ihren Beruf zurück wollte.
»Dann drück’ ich dir die Daumen, daß du ganz schnell was
and’res find’st«, sagte Sebastian.
»Dank’ schön, Hochwürden. Aber im Moment hagelt’s nur Absagen. Ich hab’ mich ja schon gleich, nachdem heraus war, daß ich die Stelle in Garmisch net würd’ behalten können, in and’ren Einrichtungen beworben. Bisher jedoch ohne Erfolg.«
»Das ist natürlich bitter«, erwiderte der Bergpfarrer mit einem mitfühlenden Nicken. Er kannte die Fünfundzwanzigjährige seit ihrer Geburt, und liebend gern hätte er Andrea im Kindergarten, hier in St. Johann, untergebracht. Er wußte um ihre Qualitäten als Erzieherin und daß sie ihre Ausbildung mit besten Noten abgeschlossen hatte. Doch leider ging es nicht danach. Die vier Kindergärtnerinnen, die in der Einrichtung, im Gemeindehaus, arbeiteten, hatten diese Stellen schon lange inne, und es sah nicht so aus, als wenn eine von ihnen sich schon bald aus dem Berufsleben zurückziehen wollte.
Sebastian sprach noch ein paar Worte und versuchte, ihr Mut zu machen. Als er zum Pfarrhaus hinüberging, hoffte er, daß es ihm auch gelungen war.
Max war bereits herübergekommen. Der Polizist hatte die Uniform gegen bequeme Freizeitkleidung getauscht und saß behaglich im Pfarrgarten und las Zeitung.
»Irgendwelche Neuigkeiten?« erkundigte Sebastian sich.
Sein Bruder schüttelte den Kopf.
»Zum Glück net«, meinte er. »Endlich mal keine Katastrophen.«
Der Seelsorger hatte sich ebenfalls gesetzt.
»Die kündigen sich auch leider meistens net an.«
Er sah Max geheimnisvoll an.
»Aber ich hab’ eine Neuigkeit..., Michael kommt.«
Der Polizist legte überrascht die Zeitung beiseite.
»Michael Lindner etwa?«
Sebastian nickte.
»Ja, und er bringt seine kleine Tochter mit. Ich bin schon so gespannt darauf, das Madel kennenzulern’n.«
»Mensch, das ist ja eine schöne Nachricht«, freute sich Max. »Wie lang’ hab’ ich den Michael denn net mehr geseh’n. Wart’ mal, das muß jetzt so drei Jahr’ her sein...«
»Fünf«, verbesserte ihn sein Bruder. »Vor fünf Jahren hat er geheiratet. Dem vorausgegangen war die Geschichte mit seinem Vater.«
»Ja, richtig«, nickte Max. »Jetzt erinner’ ich mich. Das war doch eine ganz schlimme Sache.«
Er schaute vor sich hin. Der Bruder des Bergpfarrers und Michael Lindner hatten sich irgendwann einmal kennengelernt, als Michael, damals noch ein junger Bursche, erst mit den Eltern, später, als die Mutter verstorben war, mit dem Vater, immer in St. Johann Urlaub gemacht hatte. Schnell freundeten die beiden sich an und erlebten so manche Gaudi miteinander. Dann, eines Tages, riß der Kontakt ab. Michael kam nicht mehr mit und ließ auch nichts mehr von sich hören.
»Wann kommt er denn an?«
»Morgen schon«, antwortete Sebastian. »Er hat mich heut’ morgen angerufen. Ursprünglich wollt’ er in der Pension Stubler wohnen, aber ich hab’ ihm gesagt, daß das überhaupt net in Frage kommt. Natürlich werden die zwei uns’re Gäste sein. Ich komm’ gerad’ von der Ria und hab’ das mit ihr geklärt. Stell’ dir vor, die Ria war heilfroh, daß Michael das Zimmer net braucht – sie hat nämlich eine Überbelegung und fragte sich schon händeringend, wo sie ein weiteres Zimmer herbekommt.«
Max Trenker sah seinen Bruder nachdenklich an.
»Daß du dich auch auf den Besuch freust, ist mir schon klar«, meinte er. »Aber wie ich dich kenn’, steckt doch noch was and’res dahinter, daß du Michael hier im Pfarrhaus unterbringst...«
Sebastian schmunzelte.
»Wie du schon sagst – du kennst mich halt...«
*
Michael Lindner lenkte den Wagen auf den Parkplatz. Er half Lena beim Aussteigen und nahm den Rosenstrauß. Das Madel hielt seine Blumen fest und griff nach der Hand des Vaters.
Michael fühlte, wie sein Herz klopfte. Immer wenn er das schmiedeeiserne Tor durchschritt, überkam ihn dieses beklemmende Gefühl. Lena hingegen hüpfte unbekümmert an seiner Seite.
Sie durchquerten die Wege und blieben vor einem Grab stehen, das unter einer großen Ulme lag. Am Kopfende stand ein Stein mit dem Namen der Verstorbenen, darüber ein goldgefaßter, ovaler Rahmen mit dem Bild einer wunderschönen, jungen Frau. Die blonden Haare fielen bis auf die Schulter, und das bezaubernde Lächeln übte immer noch seine Faszination auf den Betrachter aus.
Mein Gott, was für eine schöne Frau, dachte Michael und bemühte sich, in der Gegenwart seiner Tochter nicht zu weinen. Auch jetzt noch, vier Jahre nach Claras Tod, brach es ihm das Herz, wenn er an den Moment dachte, in dem der Arzt im Krankenhaus ihn mit der grausamen Wahrheit konfrontierte.
Eine kurze Zeitspanne war ihnen nur vergönnt geblieben, ein paar Jahre, in denen sie glücklich gewesen waren und das Leben in vollen Zügen genossen hatten. Bis zu jenem Tag, der sich unauslöschlich in Michaels Gehirn eingebrannt hatte.
Lenas Stimme riß ihn aus seinen Gedanken.
»Guten Tag, Mami«, sagte die Kleine. »Schau’, ich hab’ dir auch Blumen mitgebracht, net nur der Papa.«
Sie nahm eine kleine Vase und stellte den Strauß hinein. Währenddessen plapperte sie munter weiter.
»Eigentlich hab’ ich sie ja geschenkt bekommen«, erzählte sie. »Aber, weißt’, morgen fahren der Papi und ich in die Berge, und wenn die Blumen so lang’ daheim bleiben, dann sind’s schon verblüht, wenn wir zurückkommen.«
Lena drehte sich zu ihrem Vater und schaute ihn fragend an.
»Glaubst’, daß die Mama sich darüber freut?«
Michael hatte sich zu ihr hinuntergebückt und drückte sie an sich.
»Ganz bestimmt, Spatzl«, sagte er leise.
Irgendwann hatte Lena ihn gefragt, warum Johanna, das Madel aus dem Nachbarhaus, mit dem sie immer spielte, eine Mama habe, und sie nicht. Er hatte lange nach den richtigen Worten gesucht und ihr dann einfühlsam erzählte, daß sie natürlich auch eine habe, wie jeder Mensch. Ihre Mama aber war jetzt im Himmel, schaute jeden Tag auf sie herab und beschütze ihre kleine Tochter.
Es hatte noch vieler solcher Gespräche bedurft, ehe Lena verstand, daß ihre Mama für immer beim lieben Gott bleiben würde. Es mußte wohl ihr wacher Verstand sein, daß sie es trotz ihres Alters – sie war gerade erst drei gewesen, als sie die Frage nach der Mutter stellte –, nach und nach begriff.