Sommerblüten - Katharina Stoll - E-Book

Sommerblüten E-Book

Katharina Stoll

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Beschreibung

Mein Cousin Matthias und ich verbrachten jedes Jahr unsere Sommerferien bei unseren Großeltern. Abseits des Dorfes gelegen gab es vor dem Waldrand nur noch zwei Gehöfte. Auf dem letzten wohnten meine Oma und mein Opa. Es war ein riesiger Bauernhof mit Kühen, Schweinen, einem Pferd, Hühnern, Kaninchen und allem was man brauchte, um die Tiere und die Bewohner des Hofes zu versorgen. Hier waren alle gleich, auch die Wochentage. Es existierte kein Wochenbeginn und kein Wochenende. Die verstrichene Zeit lasen wir einzig an der Folge der Mahlzeiten ab. Die Sonne ging jeden Tag einmal auf, das Gras wuchs mittwochs wie sonntags, die Tiere hatten täglich Hunger und spielen konnten wir, solange uns was einfiel und bis die Sonne wieder unterging. Von klein auf erfinden wir Geschichten. In der Summe sind sie unser Leben und unsere Identität. Mein Cousin und ich haben darin Superkräfte. Wir sind die, die wir sein können, wenn die Fantasie uns spazieren führt. Jeder kann auf diese Art reisen. Die Welten sind unzählbar und die Abenteuer erzählbar.

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Für Erwachsene in Kinderschuhen

von Katharina Stoll

Books on Demand

Autorin: Katharina Stoll

Sportliche Wortakrobatin seit Kindertagen. So schnell wie sie entdeckt kaum jemand die Doppelbedeutung der Worte. Nach ihrem Sportstudium leitete sie mehrere Jahre den Gesundheitstrainingsbereich eines Automobilherstellers.

Aktuell entwirft sie gesund heitere Bewegungskonzepte für Unternehmen und schreibt Beiträge für diverse Medien.

Zeichnerin: Sophie Stoll

Eine Rednerin vor dem Herrn, kaum das sie laufen konnte. Malbegeistert wie viele Kinder konzentriert sie sich aktuell auf Comickurse und stellt ihre ersten eigenen Trickfilme her. Sie möchte später Regisseurin bzw. Synchronsprecherin werden.

Inhalt

Glückliche Kinder

Der Marsch

Die Friedensfahrt

Die Grünleuchter

Die Grünleuchter haben überlebt

Der Tag beginnt

Am Abend

Sommerpause

Autorisiert

Hochspannung

Zur Arbeit

Zügel los!

Die Fernsehmacher mit Durchblick

Tango & Cash

Guter Hund

Waldzeit bereit

Waldzeit bereit 2

Nachwort

Glückliche Kinder

”Mein Cousin Matthias und ich verbrachten jedes Jahr unsere Sommerferien bei unseren Großeltern. Abseits des Dorfes gelegen gab es vor dem Waldrand nur noch zwei Gehöfte. Auf dem letzten wohnten meine Oma und mein Opa. Es war ein riesiger Bauernhof mit Kühen, Schweinen, einem Pferd, Hühnern, Kaninchen und allem was man brauchte, um die Tiere und die Bewohner des Hofes zu versorgen. Hier waren alle gleich, auch die Wochentage.

Es existierte kein Wochenbeginn und kein Wochenende. Die verstrichene Zeit lasen wir einzig an der Folge der Mahlzeiten ab. Die Sonne ging jeden Tag einmal auf, das Gras wuchs mittwochs wie sonntags, die Tiere hatten täglich Hunger und spielen konnten wir, solange uns was einfiel und bis die Sonne wieder unterging.

Mein Opa war damals ein sehr ruhiger und strenger Mann. Als ich klein war, habe ich ihn selten redend oder lachend erlebt. Es lag wohl an seiner Art, denn selbst wenn wir mit unserem Gackern den Hühnern Konkurrenz machten: Unser Opa blieb stets leiser als wir. Vielleicht lag es auch daran, dass er, solange wir bei ihm waren, die Verantwortung für uns trug. Es war noch nicht so lange her, dass die letzte von seinen drei erwachsenen Töchtern das Haus verlassen hatte. Nun war er praktisch im erweiterten Erziehungsurlaub mit seinen Enkeln. So unergründlich für uns Kinder sein Wesen auch war, seine Liebe zu uns war durchschaubar. Er war unser Opa und wir seine Enkelchen.

Zu den Mahlzeiten setzte er sich stets als Erster an den Tisch. Anscheinend nahm er sie ernst, denn nie verlor er auch nur ein Wort dabei - räuspern zählt nicht. Zudem gab es feste Verhaltensregeln, die mit „Beide Hände auf den Tisch und neben den Teller oder das Brettchen!“ begannen.

Die Einhaltung dieser Regel war nicht allzu schwer für uns. Das Brotmesser auf dem Tisch war für Schnitzübungen auf den Holzbrettchen überaus reizvoll. Übung macht den Meister – und seine Finger kurz und kürzer. Wie Verliebte es tun, ritzten wir unsere Initialen und wie ein Schnitzer ganze Meisterwerke in das Brett. Auch wir waren traditionsverbunden.

Die zweite Regel, „Bei Tisch muss aufgegessen werden“, hatte es dagegen in sich. Selbst für unsere von Hausschlachtungen gut trainierten Kinderbäuche war die Erfüllung kaum einzuhalten. Um den Augenblick des Nachschlags nicht zu verpassen, wuselte unsere herzensgute Oma immer in Lauerstellung um uns herum. Sobald unten im Teller Rotkäppchens Kopfbedeckung sichtbar wurde, gab sie uns – zack! – eine Kelle voll gutgemeinten Nachschlags. „Essen muss man immer ordentlich!“, hielt sie uns an. „Ordentlich“ stand dabei für -reichlich- und für -alles auf-. Hatten wir uns einmal bis zur Märchenwiese vorgelöffelt, bekamen wir ein Stück Brot gereicht. Damit wurde der Resthappen sauber aus den Tellern geputzt. Abgewaschen wurde dann trotzdem noch. Um die Zeit, die wir zum Aufessen brauchten, überschaubar zu halten, motivierte man uns mit einem kleinen Reim. Der Erste, der seinen Teller sauber hatte, war der Kaiser, der Zweite König, dann folgten Edelmann, Bürger, Bauer, Bettelmann. Der König hat also einen großen Magen – ich einen ungewöhnlich kleinen … oder einen redseligen Mund.

Die Menge war aber noch nicht das größte Hindernis bei der Einhaltung der Tischregeln. Wirklich zu knabbern hatten wir an der „Weder-Sprechen-noch-Lachen-Vorschrift“. So wie unser „Mutterplanet“, die Sonne, gewaltige Eruptionen ausstößt, reagierten auch wir mit erhöhtem Strahlen, wenn wir an einem Tisch saßen. Ausbrüche dieser Art waren bei uns Sonnenkindern unlenkbar. Erschwerend kam hinzu, dass unsere Oma ebenfalls, oftmals auch grenzüberschreitend, im verbotenen Land des Lächelns wanderte. Manchmal entwickelte sich daraus dann eine Art Wettkampf zwischen uns, dessen Ziel es war, den anderen zum Lachen anzustacheln, ohne selbst darin zu enden. Merkte mein Opa das, schaute er von seinem Teller kurz hoch und sprach ein Machtwort. Der Sinn eines Spiels ist es zu gewinnen, daher machte das Machtwort uns nicht immer gleich zu lautlosen Kindern.

Wenn wir es mal übertrieben, war es unsere Oma, die Opas Einzeiler in ganze Sätze kleidete und uns damit beruhigte. Sein Lieblingswort war „Nanu!“. Er sagte es in einem Ton, als würde er eine ganze Horde wilder Ziegenböcke damit bändigen wollen. Es war bestimmend, klar auf den Punkt gebracht und enthielt, was zu sagen war. Wirklich witzig war jedoch, dass er dieses vollkommene Wort ausnahmslos gebrauchte. Man hörte es aus dem Kuhstall, wenn die Färse nicht parierte, bei den Schafen, wenn sie mit dem Futternapf und einem „Gongggg“ zurechtgewiesen wurden und eben auch bei Tisch, wenn es zu lustig wurde. Immerhin wurden wir demnach wohl alle gleich behandelt.

Eines lauen Tages saßen wir, die Stille bekämpfend, am Tisch zusammen. Nichts ahnend, was in unserem steifen Opa brodelte. Mit einem Mal passierte es – Törö – Opa pupste lautstark, wohlgemerkt ohne eine Miene zu verziehen. Kurz irritiert blickten wir in Opas großes Gesicht. Doch anders als in seinem Darm, regte sich darin nichts. Gelassen kaute er weiter auf seinem Brot. Eben nur einmal durch den Mund ein und den Po wieder ausgeatmet. Ist der Rede nicht wert. Das sah meine Oma anders. Sie sah uns lächelnd an und kommentierte spaßig: „Wer keine Miete zahlt, muss raus!“ Wir lachten, alle zusammen, bis auf Opa, der Pupsen nicht lustig fand. Mit seinem bestimmenden „Nanu!“, versuchte er wieder Ruhe in die „aufgeheizte Luft“ zu bringen.

Vergebens, Matthias und ich beruhigten uns den ganzen Tag nicht mehr. Solange uns Omas Witz und Opas „Nanu!“ in den Ohren lag wurden wir bei den Mahlzeiten immer wieder „Bettelmänner“.

Der Marsch

”Das weitläufige Grundstück meiner Großeltern mit dem Feld ringsherum, dem angrenzenden Wald und den Dingen, die man hier finden konnte, war eine großartige Quelle unversiegbarer Ideen. Besonders die Scheune hatte es uns angetan. Dorthin zog es uns wie an einen magischen fremden Ort voller Geheimnisse. Sie war vollkommen! Aus Holz gebaut und nur der Boden war mit roten Mauersteinen gepflastert. Die Scheune bestand aus drei Teilen. An den Seiten befanden sich vorn und hinten jeweils zwei riesige Scheunentore, die knapp bis unter das Dach reichten. An deren Innenseite baumelte ein langer Riegel, mit dem man das Tor öffnen und schließen konnte. Nur auf der linken Vorderseite liefen die Tore auf Schienen. Sie waren groß und schwer und gaben daher beim Öffnen genau wie wir, angestrengte Geräusche von sich.

An diesem hitzigen Sommertag war uns der kalte Atem der Scheune mehr als willkommen. Matthias und ich kletterten über eine Leiter meist unter das Dach. Im mittleren Teil der Scheune gab es nur eine Ebene, auf der sich Strohballen stapelten. Rechts und links davon ging es weiter auf einen kleinen Spitzboden hinauf. Dort lagerten alte Gerätschaften und Bretter. Die Bohlen der zweiten Ebene waren oft etwas morsch, so dass man nie genau wusste, welche von ihnen das Aus bedeuteten. Da wir in unserem Alter jedoch höchstens in die Klasse der Strohgewichte einzustufen waren, war das Betreten der Bretter, die für uns Abenteuer bedeuteten, wahrscheinlich lange nicht so gefährlich, wie es uns unsere Großeltern weismachen wollten.

An diesem Tag blieben wir allerdings im „Untergrund“. Ein leicht herber, etwas miefiger Duft erweckte hier unser volles Interesse. Wir nahmen die Witterung auf! Da es keine Fenster gab, war es selbst bei Tag immer ein wenig dunkel in der Scheune. Einzig die Ritzen der Bretterwände und die Tore ließen ein Guckloch für die Sonne. Die Geruchsfährte und unsere Furchtlosigkeit führten uns jedoch schnell in den mittleren Teil der Scheune, in der die Schrotkiste stand. Mit feinem weißen Staub bedeckt, lagerte in ihr keine Munition, sondern grob zerkleinertes Getreide. Die Nasen nach oben gerichtet, erklommen wir mit unseren gelenkigen Kinderbeinen die hohe Kiste und stießen nun in direktem Kontakt auf Opas wahre Schätze.

Zu jener Zeit arbeitete unser Großvater bei der „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft“, kurz LPG, und fuhr jeden Tag mit seinem Mofa zur Arbeit. Wenn es kalt war, trug er eine von seinen Wattejacken und in den Gummistiefeln sorgten Rosshaarsocken für wohlige Wärme. Beim Anblick der Sachen gerieten unsere Gesichter in wahres Entzücken. Für uns war eines sofort klar, diese filzigen, dicken, mausgrauen, riesigen Jacken mussten wir unbedingt haben!

Matthias und ich beschlossen, wie richtige Soldaten marschieren zu gehen. Gewiss war, dass Opa die Winterjacken im Sommer nicht brauchen würde. Deren Entwendung war daher für uns ein „Kinderspiel“. Erfahren beseitigten wir die „Schneespuren“, die es durch das Hochklettern auf die staubige Kiste gab. Spuren schaffen Verdacht, gerade wenn sie weiß sind und es draußen heiß ist! Matthias und ich pusteten also alles wieder zusammen und beseitigten mit dem Besen die letzten Verwehungen. Abschließend griffen wir in die Schrotkiste und verteilten jeder eine Kinderhand zerdrücktes Getreide gleichmäßig oben drauf. Es sah alles aus wie vorher, gut gemacht!

Als sich schließlich der Staubnebel verzog, standen zwei Armisten, deren Beine man unter den „Mänteln“ in riesigen Stiefeln vermutete, zum Abmarsch bereit. Flitzebogen umgeschnallt, man wehrt sich mit dem, was man hat, und … irgendetwas fehlte noch. Ja genau, das Käppi. Klar, da waren doch noch die wohlig warmen Stiefelsocken meines Opas. Was er in den Stiefeln trug, sollte groß genug für unsere Köpfe sein. Und tatsächlich, auch sie passten uns wie angegossen. Zum Verwechseln ähnlich mit den Originalen der Armee! So getarnt, schlurften wir im Gleichschritt Riehtung Wald. „Und eins und zwei und drei und vier, der Feind er zittert, doch niemals Wir! Vaterland, in unser Hand!“ Was auch immer das für seine Bewohner zu bedeuten hatte. Stark genug waren wir alle mal!