Sommerby 4. Am schönsten ist es in Sommerby - Kirsten Boie - E-Book

Sommerby 4. Am schönsten ist es in Sommerby E-Book

Kirsten Boie

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Beschreibung

Frühling in Sommerby Mats, Martha und Mikkel fahren in den Osterferien viel lieber nach Sommerby als mit Mama und Papa nach Mallorca. Mikkel kann es kaum abwarten, bei Oma Inge anzukommen: Sie hat ihm eine Überraschung versprochen! Eine, die immer größer wird, je länger man darauf wartet. Mats hat ein Geheimnis: Er hat eine Prinzessin im Schuppen versteckt! Die ist zwar nicht besonders nett, aber eben eine echte Prinzessin, die sich dringend vor ihrem bösen Stiefvater verstecken muss. Natürlich ist Mats noch zu klein, um die Nachricht, dass ein weggelaufenes Mädchen gesucht wird, mit der vermeintlichen Prinzessin im Schuppen in Verbindung zu bringen. Martha hilft im Café Schnasselbude aus, weil ihr Freund Enes zum Schüleraustausch in den USA ist. Doch leider antwortet Enes so selten auf ihre Nachrichten. Und dann schickt er seiner Mutter auch noch ein Foto von sich mit einem anderen Mädchen. Erstaunlich, dass sie alle bei dem Trubel überhaupt Zeit finden, Ostereier zu suchen … Band 4 der Sommerby-Reihe von Bestsellerautorin Kirsten Boie ist eine wunderbare Frühlingsgeschichte für Kinder ab 10 Jahren. Ein hyggeliges Abenteuer für die ganze Familie! Am schönsten ist es in Sommerby: Ein Ferienabenteuer an der Ostsee - Lieblingsthemen Freundschaft, Familie und Ferien: Eine wunderbare Abenteuergeschichte für Kinder ab 10 Jahren. - Zum Vor- und Selberlesen: Ein Mehrgenerationenbuch für gemütliche, gemeinsame Vorlesestunden in der Familie. - Lang ersehnt und endlich da: Der vierte Band der Erfolgsreihe von Bestsellerautorin Kirsten Boie mit über 300.000 verkauften Exemplaren. - Stimmungsvoll illustriert: Die zauberhaften Bilder von Verena Körting erwecken die Geschichte zum Leben.Sehnsucht nach Sommerby. In der Erfolgsreihe sind bisher folgende Titel erschienen: - Band 1: Ein Sommer in Sommerby - Band 2: Zurück in Sommerby - Band 3: Für immer Sommerby 

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Über dieses Buch

Da fühlt es sich an, als ob sie das Glück einfach nur einatmen muss. So sollte der Frühling sein, denkt Martha.

 

Natürlich wollen Mats, Martha und Mikkel lieber ihre Osterferien in Sommerby verbringen als auf Gomera. Mikkel kann es gar nicht abwarten, denn Oma Inge hat ihm eine Überraschung versprochen! Eine, die größer wird, je länger man drauf wartet … Martha steht vor ganz neuen Schwierigkeiten – so, wie man sie eben hat, wenn der erste feste Freund am anderen Ende der Welt ist. Und Mats verbirgt vor allen ein Geheimnis, das sogar noch größer als Oma Inges Überraschung ist! Erstaunlich, dass sie bei all dem Trubel auch noch Zeit zum Ostereiersuchen finden.

 

Kirsten Boie verzaubert uns einmal mehr! Der Frühling und das Leben – beide sind nirgendwo schöner als in Sommerby.

Prolog

In der kleinen Stadt ist es Frühling geworden.

Schon vor Ostern kommen wieder die Feriengäste, nur wenige zuerst, dann mit zunehmenden Sonnenstrahlen immer mehr; bis die Ferienwohnungen und die Betten in den Gasthöfen allmählich belegt sind.

»Nu geit dat wedder los!«, sagen die Einheimischen, wenn die Fremden auf den schmalen Bürgersteigen und der kopfsteingepflasterten Straße hinunter zum Hafen schlendern, vorbei an den Rosenstöcken vor jedem Haus, an denen schon die ersten Blätter zu sehen sind.

»Nun geht das wieder los! Und jetzt kommt auch noch Ostern«, und an ihrem Ton kann man hören, dass sie sich nicht sicher sind, ob sie sich freuen sollen oder doch zurücksehnen nach der Ruhe der Wintermonate, in denen ihre Stadt ihnen allein gehört hat.

Aber die Fremden sind es, von denen viele in der kleinen Stadt leben, und darum haben die Menschen längst gelernt, immer freundlich zu ihnen zu sein; sie lächeln und erklären ihnen, wo es Souvenirs gibt und einen Lebensmittelladen und wie sie zum Hafen kommen – obwohl man den doch schon sieht, kaum hat man vom Parkplatz aus die Stadt betreten.

Dann stehen die Gäste im Hafen vor dem Imbiss mit den Fischbrötchen und vor der Bude mit dem Eis; sie sehen verzückt auf die blaugrünen Fischernetze und die Stapel der zerschrammten Fischkästen in Weiß und Rot und Blau und Gelb, in denen die Fischer frühmorgens ihren Fang angeliefert haben; und manche von ihnen werfen auch einen Blick über das Wasser, wo auf der gegenüberliegenden Seite, gar nicht weit entfernt, auf einer Landzunge ein kleines Haus einsam in der Frühlingssonne liegt.

Die Kirschbäume blühen strahlend weiß, und auch die Knospen der Apfelbäume in zartem Rosa beginnen, sich zu öffnen; aber die Stauden der wuchernden Herbstanemonen am Ufer trauen sich noch kaum aus dem Boden: Da kann man das Haus dahinter gut erkennen. Eine alte weiße Kate ist es, von Fachwerk gehalten und mit einem bemoosten Reetdach, vor der an einem hölzernen Steg ein kleines Boot mit hochgeklapptem Außenbordmotor auf den Wellen dümpelt; und egal, wie sehr die Gäste ihre Augen auch anstrengen, eine Straße, die zum Haus führt, können sie nirgendwo entdecken.

»Wer wohl darin wohnt?«, fragen sie verwirrt, und für einen winzigen Augenblick versuchen sie, sich auszumalen, wie das Leben dort drüben aussehen mag.

Ruhig gleiten zwischen der kleinen Stadt und der Landzunge die ersten Segelboote vorbei, auf ihrem Weg zur Mündung in die Ostsee, oder in der entgegengesetzten Richtung zur alten Wikingerstadt; und vom Ausflugsdampfer Ostseeprinzessin, der vor einer halben Stunde an der Brücke neben dem Seenotkreuzer Nis Randers festgemacht hat, um den Passagieren einen kurzen Landgang durch die malerischen Straßen zu erlauben, ruft das Schiffshorn jetzt die Passagiere zurück an Bord. Darum werfen sie nur noch einen letzten sehnsüchtigen Blick auf das kleine Haus auf der Landzunge, bevor sie sich umdrehen, um die Abfahrt nicht zu verpassen.

Und so stört in diesem Frühjahr niemand Oma Inge in ihrer Kate hinter der Weide in Sommerby. Das hätte sie sich auch verbeten.

Vier Wochen vor dem ersten Tag

1.

Als Mama Oma Inge anruft, um ihr zu sagen, dass die Familie Ostern nach Gomera reist und nicht zu ihr, steht Mikkel hinter der angelehnten Tür und lauscht. Natürlich soll man nicht lauschen. Aber manchmal ist es nötig.

»Nein, ich erkläre dir doch grade, wir kommen nicht!«, sagt Mama. »Hatten wir auch nicht zugesagt, oder? Hatten wir nicht mal drüber geredet, meine ich!«

Dann wird auf der anderen Seite gesprochen, und Mama schüttelt den Kopf. »Vielleicht Himmelfahrt?«, sagt sie. »Und ehrlich gesagt finde ich es merkwürdig, dass du jetzt so tust, als hättest du uns erwartet. Und sogar, als wärst du enttäuscht! Du bist doch zehn Jahre lang ganz gut ohne uns ausgekommen!«

Mikkel zieht den Kopf zwischen die Schultern. Warum redet Mama denn so böse mit Oma Inge? Das soll sie nicht!

»Darf ich, Mama, darf ich auch mal?«, ruft er und reißt die Tür ganz auf. »Ich muss bitte auch mal mit Oma Inge reden!«

Mama seufzt. »Ja, jedenfalls ist es jetzt so, ganz egal, was du sagst, Mutter!«, sagt sie ins Telefon. »Ich wünsche dir schöne Ostern. Und neben mir steht ein junger Mann, der möchte auch mit dir reden!« Und sie hält Mikkel den Hörer hin.

Mikkel holt tief Luft. »Oma?«, sagt er. »Na, Oma?«

»Ach, du bist das, Mikkel!«, sagt Oma Inge, und Mikkel merkt erleichtert, dass ihr Ton mitten im Satz von böse auf freundlich umschaltet. »Na, da freu ich mich aber!«

»Wir wollten dich ehrlich alle besuchen, Oma!«, sagt Mikkel. Vielleicht ist sie dann nicht mehr ganz so traurig? »Mats und Martha auch! Aber Mama und Papa …« Er überlegt einen Augenblick. Dass Oma Inge richtig böse auf Mama und Papa wird, will er schließlich nicht. »Die brauchen mal wieder Sonne, weißt du? Darum ist das! Eigentlich wollten sie viel lieber zu dir!«

»Ist das so, mein Jung, ist das so?«, fragt Oma Inge am anderen Ende. »Hier wartet übrigens eine Oster-Überraschung auf dich, weil ich ja dachte … Aber egal. Wenn ihr Himmelfahrt kommt, wartet die auch noch. Nur nicht mehr ganz so klein.«

Mikkel zieht die Brauen zusammen. »Was ist das, Oma Inge, sag mal!«, ruft er in den Hörer. Wenn etwas zu Ostern kleiner ist als an Himmelfahrt, dann muss es dazwischen doch gewachsen sein, das ist ja logisch. Und wachsen tun eigentlich nur lebendige Dinge. Aber natürlich sind Pflanzen auch lebendig.

»Nee, min Söten, ich hab doch gesagt, es ist eine Überraschung!«, sagt Oma Inge. »Du weißt doch, die darf man nicht verraten!«

Mikkel seufzt. »Na gut!«, sagt er, weil ihm klar ist, dass bei Oma Inge Drängeln nicht hilft. Da kennt er sie inzwischen zu genau.

Dann guckt er vorsichtig über seine Schulter, ob Mama immer noch hinter ihm steht, und auch wenn sie das nicht tut, flüstert er jetzt lieber. »Oma Inge!«, flüstert Mikkel. »Aber wir können doch auch alleine, du! Martha und ich und Mats! Oder findest du das nicht gut?« Und weil es auf der anderen Seite so still bleibt, sagt er noch: »Wir helfen dir geschworen immer beim Abwaschen, und ich kümmer mich um deine Hühner! Dann musst du mal weniger arbeiten!«

Auf der anderen Seite hört er ein komisches Schnauben. »Nee, nee, nee, mein Jung!«, sagt Oma Inge, und wie ihre Stimme jetzt klingt, kann er gar nicht sagen. »So gerne ich dich wieder als meinen Hilfsmann bei mir hätte! Aber nun macht ihr mal schön Familienurlaub!«

»Aber wenn Mama und Papa das doch vielleicht gar nicht wollen?«, flüstert Mikkel verzweifelt. Eine Überraschung, die bis Himmelfahrt gewachsen ist! Sowieso wollte er viel lieber nach Sommerby als nach Gomera, und jetzt muss er das unbedingt. Bis Himmelfahrt hält er es sonst nicht aus. »Die wollen doch vielleicht mal wieder einen Liebesurlaub machen, Oma!«

»Einen was?«, fragt Oma Inge erschrocken, und Mikkel begreift, dass sie ihn nicht versteht. Sie ist ja schon alt. »Ohne die Kinder, Oma Inge!«, flüstert er.

Das hat Mamas beste Freundin Annika neulich nämlich zu Mama gesagt, »vielleicht braucht ihr beiden mal wieder Zeit ganz für euch allein, Nils und du! Das frischt jede alte Liebe auf, glaub mir!«.

Dann hat Annika Mikkel entdeckt. »Das hast du gar nicht gehört, Mikkel!«, hat sie streng gesagt. »Lauschen ist nicht schön!«

Und jetzt ist Mikkel wieder eingefallen, dass Annika sowieso findet, Mama und Papa brauchen einen Liebesurlaub, da passt das doch gerade gut.

»Die müssen ihre alte Liebe auffrischen, Oma!«, sagt er. »Und mit uns geht das doch nicht, sagt Annika! Die möchten bestimmt viel lieber alleine nach Gomera fahren!« Obwohl, so ganz sicher ist er sich da eigentlich nicht.

Aber Oma Inge hat er vielleicht überzeugt. »Klärt ihr das man schön unter euch, Jung!«, sagt sie energisch. »Und dann sagt ihr mir Bescheid. Und deinen Eltern kannst du sagen, ich nehm euch auch gerne allein. Drei so tüchtige Helfer kann ich immer gut brauchen.«

»Ist okay, Oma Inge, ich mach das!«, ruft Mikkel. »Und sag Mahler, dass ich ihn noch lieb habe!«

Aber Oma Inge hat schon aufgelegt, einfach so. Das ist unhöflich. Natürlich hat sie noch nicht so lange Telefon, da weiß sie vielleicht nicht, wie man das richtig macht.

»Tschüs, Oma Inge!«, murmelt Mikkel und stellt das Telefon zurück auf die Basis. Was das wohl für eine Überraschung ist?

2.

Mama und Papa sind ziemlich erstaunt, als Mikkel sagt, Oma Inge will aber bitte, dass die Kinder Ostern zu ihr kommen, sie braucht mal wieder ihre drei tüchtigen Helfer. Und Mama und Papa können dann doch gut alleine nach Gomera fahren. »Wie Annika das gesagt hat, Mama!«, sagt Mikkel und guckt sie verschwörerisch an.

Aber Mama versteht ihn überhaupt nicht. »Was hat Annika gesagt?«, fragt sie ärgerlich.

Mikkel beugt sich zu ihr hin und flüstert ihr ins Ohr: »Für eure alte Liebe! Das frischt die auf.«

Da guckt Mama ihn an, als ob sie nichts versteht, und dann lacht sie und gibt ihm einen Kuss. »Hat Annika nicht gesagt, Lauschen ist nicht schön?«, sagt sie. »Aber natürlich …« Sie dreht sich zu Papa hin. »Was würdest du denn zu einer Woche in der Sonne sagen, Nils, ganz allein, nur mit deiner alten Liebe? Oder überrumpelt dich das jetzt?«

Mats stützt sich auf der Armlehne von Papas Sessel ab. »Du sollst das nicht mit deiner alten Liebe, Papa!«, ruft er erschrocken. »Du darfst nicht mit fremden Frauen wegfahren! Du hast doch Mama!«

»Und die reicht mir auch vollkommen, Matsi!«, sagt Papa. Er lächelt Mama zu. »Ja, meine alte Liebe, fändest du das denn schön?«

Und bevor Mama antworten kann, wendet er sich Martha zu. »Das kommt ja nun ziemlich plötzlich, was?«, sagt er. »Was meinst du dazu, Martha? Wärst du einverstanden, wenn ihr wieder allein zu Oma Inge fahren würdet?«

Martha zögert einen Augenblick. Aber wirklich nur einen winzigen Augenblick. Enes ist natürlich nicht da, und bestimmt ist es jetzt kalt in Sommerby. Aber was denken Mama und Papa denn von ihr, wenn sie eben noch wie die Jungs gesagt hat, dass sie zu Oma Inge will, und nun will sie das plötzlich nicht mehr, nur weil sie ohne Eltern fahren sollen? Das haben sie im Sommer und im Herbst schließlich auch hingekriegt.

Und vor allem, was denkt sie selbst von sich? So abhängig ist sie von Enes doch nicht! Sie hat es schließlich immer schön gefunden bei Oma Inge, auch als noch nicht richtig klar war, dass Enes und sie zusammen sind.

»Nee, finde ich nice«, sagt sie. »Verreist ihr ruhig mal alleine, ihr Turteltäubchen.« Und sie kichert auf eine Weise, dass Mikkel sie ganz komisch anguckt.

Das versteht er natürlich noch nicht. Muss er ja auch gar nicht. Es ist doch toll, dass er Mama und Papa überredet hat. Oder überzeugt. Überzeugen ist besser als überreden, sagt Mama immer.

»Ich ruf Oma Inge an!«, ruft Mikkel. Dann ist er schon am Telefon.

Der erste Tag (Mittwoch vor Ostern)

3.

Und dann kommen endlich die Osterferien, und es sieht aus, als ob es ein Ostern ganz ohne Schnee und vielleicht sogar mit Sonnenschein werden will. Jedenfalls scheint die Sonne, als Mama die Kinder zu Oma Inge bringt.

»Du meine Güte, ist das ein Gedränge!«, sagt Mama, als ihr Auto an der roten Ampel vor der Klappbrücke über den Meeresarm anhalten muss, weil gerade beide Flügel der Brücke nach oben gehen. Jetzt ist die Durchfahrt für die Segelboote mit ihren hohen Masten frei. »Sind das alles Ostertouristen? Man glaubt gar nicht, dass diese Menge Leute herkommen! Hier ist es doch eigentlich wirklich nicht so aufregend!«

Mikkel wirft einen Blick aus dem Fenster auf die Promenade am Hafenrand. Tatsächlich schlendern da so viele Menschen am Wasser entlang, dass manche von ihnen bestimmt von ziemlich weit hergekommen sind. In den kleinen Dörfern um die Stadt herum leben ja gar nicht so viele Leute.

Mama tippt das Gaspedal an, weil sich vor ihnen der Brückenflügel schon wieder senkt. Gleich können sie auf die andere Seite fahren.

»Fahren wir nachher auch mal hin, Mama?«, fragt Mats aufgeregt. Er hat sich quer über Mikkels Beine geschmissen, um auf der richtigen Seite aus dem Fenster zu gucken. »Hier ist so viel los!«

Mama schüttelt energisch den Kopf, während der Wagen anrollt. »Menschenmassen hab ich in Hamburg genug, vielen Dank!«, sagt sie. »Ich denke, nach Sommerby fahren wir, um so richtig unsere Ruhe zu haben?«

Mats guckt skeptisch Mamas Gesicht im Rückspiegel an. Er findet nicht, dass man bei Oma Inge Ruhe hat. Wenn sie da waren, war immer ziemlich viel los, mehr als zu Hause eigentlich. Zu Hause ist immer nur Kita und Fußball und Malkurs, aber in Sommerby waren der Makler-Verbrecher und der gemeine Marder und der gefährliche Schnee. Und alleine mit dem Boot fahren durften Martha, Mikkel und er auch. Da hat er doch überhaupt nicht seine Ruhe gehabt! Aber Mama versteht das vielleicht nicht so gut.

»Ich will ja gar nicht meine Ruhe!«, sagt er.

Mikkel windet sich schon die ganze Zeit unter dem Gewicht seines kleinen Bruders, der noch immer quer über seinen Beinen liegt und aus dem Fenster guckt. Er überlegt einen winzigen Augenblick, ob er vielleicht auch gerne in die Stadt fahren würde. Aber wenn er endlich wieder bei Mahler und Oma Inges Hühnern und Gänsen und ihrem Kater Tiger ist, will er doch nicht gleich wieder los, nur um beim Gedrängel auf der Hafenpromenade mitzumachen!

»Nun lass Mama mal in Ruhe, Matsi!«, sagt er und versucht, Mats von seinen Knien runterzuschubsen. »Die musste so anstrengend Auto fahren. Gleich sind wir ja da!«

Am frühlingsklaren Himmel schwimmen im Zeitlupentempo Wölkchen wie ausgefranste Wattebäusche von links nach rechts. Genau, gleich sind wir da!, denkt Martha, und sie wundert sich, dass sich schon jetzt wieder dieses wunderbare Sommerby-Gefühl bei ihr anschleicht, obwohl sie noch nicht mal angekommen sind. Aber die blühenden Schlehen und Kirschbäume und die letzten Krokusse und Osterglocken, die überall in den Gärten an der Landstraße das Wintergrau vertreiben, sehen aus wie ein Versprechen.

Am Dorfeingang von Sommerby misst ein Gerät wie eine Ampel schon von Weitem die Geschwindigkeit der Autos, und ein roter Smiley macht ein böses Gesicht; danach blinkt die Zahl 53 auf.

»Langsamer!«, brüllen Mikkel und Mats. »Langsamer, Mama!« Dann atmen sie auf, als der Smiley grün wird und lächelt. »Achtundvierzig!«, sagt Mikkel. »Jetzt hast du sie fröhlich gemacht.«

4.

»Krischan Boysen!«, ruft Mikkel, als Mama ihren Wagen vor dem vorletzten Haus in der kleinen Sackgasse abgestellt hat, die von der Dorfstraße aus zum Wasser führt. Am Ende der Straße kommt gleich der Zaun. Und dahinter ist die Weide, und auf der anderen Seite der Weide liegt Oma Inges Kate mit dem Bootssteg. Direkt am Wasser.

»Krischan Boysen, wir sind wieder da!« Und Mikkel will gerade die kleine Tür im großen Dielentor öffnen, als Krischan Boysen schon nach draußen kommt.

»Ich hab euch gehört, mein Jung, ich hab euch gehört!«, sagt er. »Und da freu ich mich bannig, glaubst du wohl!«

»Ich auch, Krischan Boysen!«, sagt Mikkel. Aber das müsste er gar nicht sagen, so sehr leuchten seine Augen.

»Hallo, Krischan!«, sagt Mama und hält ihm die Hand entgegen. »Hilfst du uns beim Tragen?«

Martha steigt als Letzte aus dem Auto. »Hallo, Krischan Boysen!«, sagt sie auch; und plötzlich schießt ihr ein Gedanke durch den Kopf. Warum hat sie da vorher gar nicht drüber nachgedacht?

Wie lange werden sie ihn wohl noch so nennen? Jedenfalls sagen sie jetzt Du zu ihm, seit er Oma Inge den Verlobungsring gegeben hat, das ist doch schön. Aber sagen Mats, Mikkel und sie beim nächsten Besuch vielleicht sogar schon Opa zu ihm? Eigentlich ist es doch komisch, dass sie von Oma Inge gar nichts mehr dazu gehört haben.

»Da wird Inge sich aber freuen!«, sagt Krischan und schnappt sich den Tragekorb, der im Kofferraum steht, mit einer Wolldecke abgedeckt. Die Kinder nehmen ihr Gepäck selber. »Na, Leonie, für dich muss ich ja nichts schleppen, was? Inge sagt, du willst heute schon wieder zurück.«

Mama lächelt. »Wenn ich das richtig verstanden habe, war das sogar Inges Idee!«, sagt sie. »Dass Nils und ich mal wieder alleine Urlaub machen.«

»So?«, sagt Krischan Boysen, aber als er die Pforte öffnet, sieht er sie nicht an.

Mama nickt. »Und wir haben doch noch den ganzen Sommer vor uns, da gibt es bestimmt genug Zeit für Besuche«, sagt sie. Vielleicht ein bisschen zu energisch.

Krischan Boysen wirft ihr einen merkwürdigen Blick zu, aber dann lächelt er. »Da hast du recht, mein Deern, da hast du recht«, sagt er.

Und bei Martha stellt sich langsam ein seltsames Gefühl ein. Seit Weihnachten wollten Mama und Papa schon nicht zu Oma Inge, und nun Ostern auch wieder nicht. Dabei hatten sie doch zu Weihnachten sogar die teuren Architektenpläne für den Umbau von Oma Inges Haus mitgebracht, weil sie in Zukunft öfter kommen wollten! Aber nun ist es schon Ostern, und vom Umbau ist noch nichts zu sehen, und Mama und Papa wollen lieber nach Gomera. Was bedeutet das denn?

Martha holt einmal tief Luft, dann geht sie durch die Pforte, die Krischan Boysen erst im letzten Sommer in den Zaun gesetzt hat, damit man nicht mehr immer darübersteigen muss, wenn man von Oma Inges Haus ins Dorf will. Sie sieht gleich, dass quer über die Weide, wo früher nur die Kühe gegrast haben, ein schmaler Weg ins Gras getreten ist. Da hat Krischan Boysen Oma Inge wohl öfter besucht. Und Oma Inge Krischan Boysen. Das muss man logisch auch, wenn man verlobt ist.

Unzählige Gänseblümchen haben weiß-gelbe Tupfer auf die Weide gesetzt, und hoch am Himmel über ihnen steht eine Lerche still in der Luft und singt. Nur wenige Schritte entfernt heben die Kühe kurz ihre Köpfe, bevor sie gelangweilt weiter das frühlingsfrische Gras fressen.

»Oma Inge, wir kommen!«, ruft Mats und fängt an, zu rennen. Seine SpongeBob-Tasche schlägt ihm dabei gegen die Beine, aber das macht ihm vielleicht gar nichts aus.

Genau, Oma Inge, wir kommen!, denkt Martha. Und da lass ich mir doch die Freude nicht von lauter blöden Gedanken kaputtmachen! Jetzt sind wir erst mal in Sommerby. Und dann werden wir ja sehen.

5.

Natürlich hat Oma Inge zur Begrüßung wieder ihre gute Bluse angezogen, und natürlich hat sie in der Küche auch wieder den Kaffeetisch für alle gedeckt. Das war in den Herbstferien und vor Weihnachten schon genauso.

»Zwetschgenkuchen!«, sagt sie und zeigt zufrieden auf die Kuchenplatte. Der Kuchen ist so frisch gebacken, dass die ganze Küche duftet. »Erdbeeren sind ja noch lange nicht. Ist doch gut, wenn man im Herbst was einfriert. Wer sick wat wohrt, de het wat! Setzt euch erst mal hin! Auspacken könnt ihr hinterher immer noch.«

Martha sieht, dass Krischan Boysen eine winzige Sekunde zögert, und was das nun bedeuten soll, weiß sie überhaupt nicht. Aber fragen geht natürlich nicht. Und sowieso hat er sich jetzt doch schon auf dem unbequemen Hocker niedergelassen, sieben Küchenstühle hat Oma Inge schließlich nicht. Dabei haben Weihnachten für ein paar Tage sogar noch Enes und Dilara und Aylin mit bei Oma Inge gewohnt! Da hat man mal gesehen, was alles geht, wenn es nötig ist.

»Und wo ist Nils?«, fragt Oma Inge und guckt auf den letzten freien Stuhl. Sie fängt an, den Kuchen zu zerschneiden und allen einfach ein Stück auf ihre Teller zu legen. »Mal kurz Hallo sagen wollte er nicht?«

Martha überlegt, ob sie schon gleich etwas sagen soll, essen kann sie den Kuchen jedenfalls nicht. Aber sie hat keine Lust auf Oma Inges Reaktion.

»Ja, das tut Nils wirklich unendlich leid!«, sagt Mama und greift selbst zur Kaffeekanne. »Für dich auch Kaffee, Krischan? Aber der musste beruflich noch einiges erledigen, bevor es nach Gomera gehen kann. Manchmal ist es wirklich ein bisschen viel!«

»Manchmal?«, fragt Oma Inge und wirft ihr einen Blick zu. »Weihnachten ist dein Mann auch erst auf den letzten Drücker gekommen! Da war er in Dubai!«

»Er kann es ja nicht ändern, Mutter!«, sagt Mama. »Alles kann man eben nicht haben. Wenn man so einen guten Job will, dann muss man auch bereit sein, Opfer zu bringen.«

Oma Inge schnaubt. »So gut ist der Job dann vielleicht doch nicht, bei den vielen Opfern!«, sagt sie. »Da muss man vielleicht mal überlegen, was einem wirklich wichtig ist im Leben!«

Martha zieht den Kopf ein. Kaum sind sie angekommen, da streiten Mama und Oma Inge sich schon wieder. Dabei hatte sie Weihnachten gedacht …

»Darüber haben wir schon so oft gesprochen, Mutter!«, sagt Mama. »Bei dem Thema sind wir eben nicht einer Meinung, du und ich, und Punkt. Ich muss leider auch gleich wieder los. Da sollten wir die kurze Zeit, die ich hier bin, besser nicht mit Streiten verbringen.«

Oma Inge sieht sie ungläubig an. »Du musst schon wieder los?«, fragt sie ärgerlich. »Fühl dich nicht gezwungen, den Kuchen lassen die Kinder und ich uns auch alleine schmecken, Leonie!« Ihre Stimme ist mit jedem Satz lauter geworden.

Mikkel zieht den Kopf zwischen die Schultern. So soll es doch nicht anfangen, nicht gleich mit schlechter Laune! Und dann wirft ihm auch noch Mats einen bösen Blick zu, weil sich Mahler ganz selbstverständlich neben Mikkels Stuhl auf den Boden gelegt hat und nicht neben seinen.

Die ganze Zeit schon krault Mikkel Mahler hinter den Ohren. Da konnte er gar nicht richtig zuhören. Aber jetzt muss er sich doch einmischen. Oma Inge soll nicht so böse Sachen sagen. Schließlich versteht Mikkel ganz gut, dass sie das nur tut, weil sie traurig ist.

»Wir bleiben doch hier, Oma Inge!«, sagt er bittend. »Alle Kinder! Martha auch. So viel arbeiten müssen nur Mama und Papa.«

»Na, das ist wenigstens was!«, sagt Oma Inge trocken. »Martha, du isst ja deinen Kuchen gar nicht! Da ist kein Fleisch drin!«

Martha zuckt zusammen. Warum muss das erste Kaffeetrinken schon so schwierig sein?

»Das weiß ich doch!«, murmelt sie. »Bestimmt ist der auch voll lecker! Aber ich bin jetzt nicht mehr nur Vegetarierin, weißt du? Ich bin jetzt vegan.«

»Vegan?«, ruft Oma Inge, und diese neue Nachricht erschüttert sie offenbar so, dass sie ihren Ärger über Mama und Papa glatt vergisst. »Wat schall dat denn? Mööt ji jümmers neeten Tüdelüt utprobeern?«

»Ich probier das ja nicht nur aus, Oma Inge!«, sagt Martha bittend. »Ich mach das schon seit Neujahr! In meiner Klasse ganz viele. Wegen der Umwelt, weißt du?«

Oma Inge schnaubt. »Und mein Zwetschgenkuchen macht wohl die Umwelt kaputt, was?«, ruft sie. »Ji sünd doch all bregenklöterig!«

»Das hat Martha doch gar nicht behauptet, Inge, Deern!«, sagt Krischan Boysen und will besänftigend seine Hand auf Oma Inges Hand legen; aber Oma Inge sitzt auf der anderen Seite, und er zieht ganz schnell seine Hand wieder zurück. »Und das ist bestimmt gar nicht so einfach, vegan zu leben. Da könnten wir Martha vielleicht lieber ein bisschen bewundern.«

»Hol du di dor rut, Krischan!«, sagt Oma Inge. »Na, das kann ja dann lustig werden! Da will ich gerne mal sehen, was du bei mir überhaupt noch essen willst, Martha!«

Martha merkt, wie ihr fast die Tränen kommen. Nun hat sie sich auf diese Ferien gefreut, sogar ohne Enes, und eben hatte sie sogar schon wieder dieses wunderbare Sommerby-Gefühl gespürt. Und jetzt ist Oma Inge böse auf Mama und Papa und auf sie erst recht. Da sagt sie ihr lieber noch nicht, dass in ihrem Rollkoffer zwei kleine Kühltaschen mit Ess-Sachen stecken, die nachher in den Kühlschrank müssen. Vorsichtshalber.

Mikkel schiebt seinen Stuhl zurück. Er hat kurz überlegt, ob er sich noch ein zweites Stück Kuchen nehmen soll. Aber Mahler darf er sowieso nicht damit füttern, das ist bei Oma Inge am Tisch streng verboten, und großen Hunger hat er auch nicht mehr. Und wo die Stimmung grade sowieso so schrecklich ist, geht er lieber nach draußen, um zu gucken, ob da alles in Ordnung ist.

»Darf ich bitte aufstehen?«, fragt er.

Nun ist sogar der Blick, den Oma Inge ihm zuwirft, nicht mehr freundlich. »Das bist du doch schon!«, sagt sie. »Ich halte dich nicht zurück!«

Mikkel guckt erschrocken zu ihr hin. »Komm mit, Mahler!«, murmelt er. »Komm mal mit raus!«

Aber das hätte er gar nicht sagen müssen. Als Mikkel aufgestanden ist, hat sich auch Mahler langsam erhoben. Wenigstens das ist in Sommerby immer noch so, wie es sein soll. Wenn Mikkel bei Oma Inge ist, will Mahler sein Hund sein.

6.

Vor der Tür strahlt die Sonne von einem wolkenlosen Himmel, und der ist so hoch, wie er es nur hier oben im Norden bei Oma Inge sein kann, und so tuschkastenblau, dass auch das Wasser vor dem Steg aussieht wie auf Postkarten aus der Südsee.

Neben der Haustür blühen unzählige Schlüsselblumen, und wenn Mikkel Glück hat, sind aus den Löwenzahnblüten auf der Weide Pusteblumen geworden, bevor er wieder nach Hause fährt. Pusteblumen machen Spaß.

Die piksigen Schlehen in der Hecke sind schon fast verblüht, und wie daruntergekuschelt wachsen winzige Blumenbüschel mit dunkelblauen Blüten. »Veilchen!«, murmelt Mikkel.

Genau. Jetzt soll gefälligst mal alles in Ordnung sein. Jetzt will Mikkel das blöde Gespräch in der Küche vergessen.

»Putt, putt, putt!«, ruft er. Das hat er von Oma Inge gelernt, so muss man die Hühner rufen, wenn man ihnen Futter bringt, dann kommen sie angeflitzt. Das tun sie auch diesmal, dabei hat Mikkel doch gar kein Futter für sie, vielleicht ist das ein bisschen geschummelt. »Putt, putt, putt!« Er beugt sich nach unten. »Ich hab leider gar kein Futter für euch«, sagt er entschuldigend. Man soll auch Hühner nicht reinlegen. »Ich wollte nur Hallo sagen. Nun wisst ihr ja, dass ich wieder da bin.«

Die Hühner gucken ihn erwartungsvoll an, dann verstehen sie endlich, dass sie nicht auf Futter hoffen dürfen, und vielleicht sind sie enttäuscht; jedenfalls machen sie sich gleich wieder auf den Weg.

Aber Mikkel hat gesehen, was er sehen wollte. Alle Hühner sind noch da! Ein Glück! Er kennt sogar ihre Namen. Schließlich sammelt er immer die Eier ein, wenn er in Sommerby ist, damit Oma Inge abends Bauernfrühstück machen kann und Kuchen backen.

»So ein Glück, oder, Mahler?«, murmelt Mikkel, und Mahler wedelt ein winziges bisschen mit dem Schwanz, als ob auch er erleichtert ist. Dabei war er die ganze Zeit da und müsste eigentlich wissen, dass von den Hühnern keins fehlt.

Das war nämlich so schrecklich, als Mikkel zu Weihnachten bei Oma Inge war! Da ist in der Nacht ein Marder in den Hühnerstall eingebrochen und hat Heidrun und Elisabeth und noch zwei andere Hühner umgebracht. Marder machen so was, einfach, weil sie Marder sind, denkt Mikkel. Eigentlich können sie nichts dafür.

Und Oma Inge hat dann sogar noch Hühnersuppe gekocht! Aus ihren eigenen umgebrachten Hühnern! Daran will Mikkel gar nicht mehr denken. Jetzt ist bei den Hühnern, die der Marder nicht erwischt hat, ja alles gut, nun muss er nur noch nach den Gänsen gucken.

Bei den Gänsen kann man sich nämlich leider auch nicht sicher sein. Als Mikkel zum ersten Mal bei Oma Inge war, hat sie ihm erklärt, dass sie ihre Gänse gar nicht hält, weil sie so gerne Tiere mag und weil Gänse super Wachtiere sind, sogar besser als Hunde. Sondern dass sie mit ihrer Gänsezucht Geld verdient, und das bedeutet, dass sie ihre Tiere zum Martinstag und zu Weihnachten verkauft, damit die Leute Gänsebraten essen können. Das ist doch gemein! Dabei haben die Gänse sie vorher die ganze Zeit beschützt und geschnattert, wenn ein Fremder am Steg angelegt hat! Aber das ist Oma Inge wohl egal. Sie ist kein bisschen dankbar.

Mikkel nimmt die Schultern zurück und macht sich ganz gerade. »Komm mal mit, Mahler!«, sagt er, als ob sein Hund das nicht sowieso täte. Es hilft nichts, Mikkel muss tapfer sein. Aber es ist gut, wenn Mahler bei ihm ist, da traut er sich gleich viel mehr, nachzugucken, was mit Oma Inges Gänsen ist.

Im Sommer wollte er zuerst gar nicht glauben, dass Oma Inge ihre Gänse schlachtet. So was tun doch Tierfreunde nicht! Aber dann hat Krischan Boysen ihm erklärt, dass Oma Inge schließlich mit irgendwas ihr Geld verdienen muss, und nur mit ihrer selbst gekochten Marmelade klappt das nicht. Das hat Mikkel verstanden. Trotzdem war er erschrocken, als zu Weihnachten nur noch Oma Inges Brutpaare im Auslauf waren. Da hat er dann einfach weggedacht, es war sowieso so viel los.

Aber jetzt geht Wegdenken nicht mehr, jetzt ist es Frühling, und gleich wird er sehen, ob der Auslauf inzwischen vielleicht ganz leer ist.

»Ja, komm mal mit, Mahler!«, sagt Mikkel noch mal, als er um die Hausecke biegt.

Und dann ist er so erleichtert! »Oh, sind die süß!«, ruft er und kniet sich vor den Auslauf, in dem bestimmt dreißig Gänseküken herumwuseln, die haben ein flauschiges gelbes Gefieder und picken auf dem Boden, und dass Oma Inge so niedliche Tiere zum Schlachten verkauft, kann Mikkel sich nun wirklich nicht vorstellen. »So süße kleine Gänsekinder!«

Aber da kommen die Gänseeltern schon quer durch den Auslauf an den Zaun gerannt und schnattern aufgeregt und böse. Vielleicht erinnern sie sich nicht mehr an Mikkel und denken, er will ihren Kindern etwas tun? Darum steht er lieber auf und tritt einen Schritt zurück.

»Ihr müsst doch keine Angst vor mir haben!«, sagt er beruhigend. »Ich bin doch Mikkel, wir kennen uns doch!« Aber die Gänse haben ein schlechtes Gedächtnis und wollen nicht aufhören, zu schnattern. »Oma Inge ist die gefährliche Frau!«, flüstert Mikkel. »Ich tu euch bestimmt nichts!«

Dann denkt er, dass Oma Inge jetzt gerade auch nicht gefährlich ist, bis zum Martinstag ist es schließlich noch lange hin. Und den niedlichen Gänseküken tut sie garantiert nichts. Die sind ja viel zu winzig, da lohnt sich der Gänsebraten noch gar nicht. Da sind sie zum Glück noch sicher. Sogar Oma Inge schlachtet ihre Gänse nicht, wenn sie damit kein Geld verdienen kann.

Mikkel läuft zum Haus zurück. Mahler ist immer noch da und will sein Hund sein, und Tiger hat sie auch alle wiedererkannt, und die Hühner picken eifrig im Garten, wie es sich gehört. Und die Gänse sind sogar viel mehr geworden.

Dann ist doch alles gut. Jetzt weiß er genau, dass dieser Besuch wieder richtig schön werden wird.

Und plötzlich fällt es ihm ein. Wo ist denn die Überraschung, die Oma Inge ihm versprochen hatte? Die Überraschung, die bis Himmelfahrt wächst?

Mikkel sieht sich um. Ein Tier ist es jedenfalls nicht, denkt er enttäuscht. Das hätte ich doch entdeckt. Also ist es vielleicht eine Pflanze. Das ist natürlich nicht ganz so schön wie ein Tier, aber ein bisschen schön vielleicht doch. Wenn die Pflanze zum Beispiel ein Kletterbaum ist.

Er läuft in die Küche. »Oma Inge!«, ruft Mikkel, als er die Tür aufreißt. »Oma Inge, wo ist denn meine Überraschung?«

Oma Inge dreht sich nicht mal zu ihm um, sie hebt nur eine Hand, um ihn zu bremsen. »Wer hat dir denn beigebracht, erwachsene Leute mitten im Gespräch zu stören, Bengel?«, sagt sie. »Ja, wegen eurer Umbaupläne, Leonie …«

Aber Mikkel hält es wirklich nicht mehr aus. Er tippt Oma Inge vorsichtig auf den Arm. »Wo ich doch so aufgeregt bin?«, flüstert er. »Die Überraschung?«

Oma Inge seufzt. »Nu tööv man noch ’n lütt beeten, min Jung«, sagt sie.

Mamas Stuhl schabt über den Küchenboden, als sie aufsteht. »Darüber reden wir noch mal in Ruhe, Mutter!«, sagt Mama, und Mikkel versteht, dass sie die Umbaupläne meint, nicht die Überraschung. »Jetzt muss ich wirklich los.«

Mama will nach Hause.

7.

Dann bringen sie alle zusammen Mama zur Pforte im Zaun, nur Oma Inge wollte nicht mitkommen. »Einer muss ja Ordnung machen!«, hat sie grimmig gesagt.

»Ach, lass doch, Oma, wir helfen dir gleich!«, hat Martha gebeten. Bei Oma Inge müssen die Kinder immer das Geschirr abwaschen und abtrocknen, da kann Oma Inge Mama auch gut mit am Auto verabschieden. Hinterher hat sie schließlich Hilfe genug.

Aber Oma Inge hat nur den Kopf geschüttelt und den Teller mit den übrig gebliebenen Kuchenstücken in die Speisekammer getragen.

»Tschüs, Leonie!«, hat sie von da aus gesagt, ohne sich zu Mama umzudrehen. »Nun fahr man schnell los, dass du nicht deine Arbeit verpasst!«

Einen Augenblick hat Mama auf ihren Rücken gestarrt und gewartet, aber offenbar musste Oma Inge in der Speisekammer so viel hin und her räumen, dass sie Mama zum Abschied nicht mal mehr angucken konnte.

»Ja, tschüs dann, Mutter!«, hat Mama gesagt und geseufzt. »Vielleicht schaffen wir es ja zu Himmelfahrt!«