Sommergras 128 - Deutsche Haiku-Gesellschaft e. V. - E-Book

Sommergras 128 E-Book

Deutsche Haiku-Gesellschaft e. V.

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Beschreibung

SOMMERGRAS ist die alle drei Monate erscheinende Zeitschrift der Deutschen Haiku Gesellschaft (DHG). Die Ausgabe 128 (März 2020) enthält u. a ausgewählte Haiku, Tanka, Haiga, Haibun, Tan-Renga und Rengay der Mitglieder, Rezensionen, einen Aufruf zum Weiterdichten (Haibun) und ein Essay von Jürgen Grad über Wabi-Sabi-Ästhetik. Mit der Ankündigung der Experimentierecke "HaiQ" wird zu einer kontroversen Diskussion eingeladen.

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Seitenzahl: 86

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Deutsche Haiku-Gesellschaft e. V.

Die Deutsche Haiku-Gesellschaft e. V.1 unterstützt die Förderung und Verbreitung deutschsprachiger Lyrik in traditionellen japanischen Gattungen (Haiku, Tanka, Haibun, Haiga und Kettendichtungen) sowie die Vermittlung japanischer Kultur. Sie organisiert den Kontakt der deutschsprachigen Haiku-Dichter untereinander und pflegt Beziehungen zu entsprechenden Gesellschaften in anderen Ländern. Der Vorstand unterstützt mehrere Arbeits- und Freundeskreise in Deutschland sowie Österreich, die wiederum Mitglieder verschiedener Regionen betreuen und weiterbilden.

1Mitglied der Federation of International Poetry Associations (assoziiertes Mitglied der UNESCO), der Haiku International Association, Tokio, Ehrenmitglied der Haiku Society of America, New York.

Anschrift

Deutsche Haiku-Gesellschaft e. V., z. Hd. Stefan Wolfschütz, Postfach 202548, 20218 Hamburg

VorstandInfo/DHG-Kontakt und Redaktion

Horst-Oliver Buchholz,

[email protected]

Redaktion

Eleonore Nickolay,

[email protected]

Kassenwartin

Petra Klingl,

[email protected]

Website

Stefan Wolfschütz,

[email protected]

Claudia Brefeld,

[email protected]

Internationale Kontakte

Klaus-Dieter Wirth,

[email protected]

Peter Rudolf,

[email protected]

Tony Böhle,

[email protected]

Bankverbindung:

Landessparkasse zu Oldenburg, BLZ 280 501 00, Kto.-Nr. 070 450 085 (BIC: SLZODE22XXX, IBAN: DE97 2805 0100 0070 4500 85)

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

lassen Sie in der neuen SOMMERGRAS-Ausgabe noch einmal den Winter Revue passieren in den von unserer Redaktion ausgewählten Haiku zum Thema. Diese nun so gut wie hinter uns liegende Jahreszeit spiegelt sich auch in einer Anzahl von Haiku aus der Auswahl der außerredaktionellen Jury wider, die bekanntlich aus jeweils drei wechselnden DHG-Mitgliedern besteht. Melden Sie sich doch bitte, wenn Sie einmal daran teilnehmen möchten. SOMMERGRAS lebt schließlich von der Beteiligung und den Beiträgen unserer Leserschaft und der DHG-Mitglieder. Auch in der hier vorliegenden Ausgabe bringen sie sich wieder ein, je nach ihren persönlichen Interessen und Talenten, dichterisch, theoretisch oder berichtend, informierend über ihr konkretes Engagement für das Haiku, das Haiga oder andere verwandte Genres. Einen ganz besonderen Dank möchte ich im Namen der Redaktion und des Vorstandes Stefan Wolfschütz aussprechen, der unsere DHG-Webseite modernisiert hat. In neuem Gewand und mit dem neuen Namen „Hallo Haiku“ ist sie seit Februar online. Stefan Wolfschütz schildert in seinem Bericht, was es an Neuem zu entdecken gibt.

So bleibt mir nur noch, Ihnen eine angenehme und inspirierende Lektüre zu wünschen.

Freuen Sie sich auf Neues, freuen Sie sich auf den Frühling!

Ihre Eleonore Nickolay

Frühlingsregen fällt,

und alles, was grünt, hat

plötzlich seinen Namen.

Komatomi*

*Aus: Bambusregen. Haiku und Holzschnitte aus dem „Kagebōshishū“. Übersetzt und herausgegeben von Ekkehard May und Claudia Waltermann

Inhalt

EDITORIAL

WEITERDICHTEN

Ein Haiku zum Winter

Aufruf zum Weiterdichten: Ein Haibun zu einem besonderen Ort

HaiQ – Eine neue Rubrik stellt sich vor

HAIKU-KALEIDOSKOP

Klaus-Dieter Wirth: Grundbausteine des Haiku (XXXIX)

Eleonore Nickolay: Französische Ecke

Haiga: Paul Bernhard und Claudia Brefeld

Jürgen Gad: Die Wabi-Sabi-Ästhetik, Bashōs Haiku und das Gute – oder wie dichtet man ohne zu dichten

Traude Veran: Fotografie und Haiku-Dichtung

Haiga: Paul Bernhard und Claudia Brefeld

NEUE DHG-MITGLIEDER

AUSGEZEICHNET

AUSWAHLEN

Haiku- und Tanka-Auswahl

Mitgliederseite

Haiga: Eleonore Nickolay

Haibun

Haiga: Gabriele Hartmann

Tan-Renga

Haiga: Christof Blumentrath

Rengay

BRIEFE AN DIE REDAKTION

Haiga: Beate Conrad

REZENSIONEN/BESPRECHUNGEN

Rüdiger Jung: Eine Hand voll Glück von Ingo Cesaro (Hrsg. )

Brigitte ten Brink: vollendet und Heilige Quelle von Volker Friebel und Gabriele Hartmann.

Klaus-Dieter Wirth: Haiku-Gedichte aus fünf Jahrhunderten von Eduard Klopfenstein und Masami Ono-Feller

Eleonore Nickolay: Winter – Haiku von Mayuzumi Madoka

Horst-Oliver Buchholz: Das Haiku: Grundwissen – Vertiefungen – der Horizont von Volker Friebel

Thomas Opfermann: Ein Windhauch zu kühl von Askja Modren

BERICHTE

Beate Wirth-Ortmann: Herbst-Haiku-Workshop in Wiesbaden

Rita Rosen: Haiku-Kreis Wiesbaden

Rita Rosen: Haiku und Klänge im Radio

Stefan Wolfschütz: HALLO HAIKU

MITTEILUNGEN

Weiterdichten

Ein Haiku zum Winter

Hat sich zurückgezogen, der Winter; Frühling bricht auf dieser Tage. Aus der kalten Jahreszeit bleiben noch ein paar Erinnerungen – und einige Haiku, die uns erreicht haben, als wir Sie einluden, ein „Haiku zum Winter“ zu dichten. Allen Kreativen herzlichen Dank. So fanden insgesamt 38 dreizeilige Gedichte mit Impressionen, Gedanken und Gefühlen zum Winter in unsere Redaktionsstube. Einige davon haben wir hier für Sie ausgewählt, alle weiteren werden auf der Internetseite der Deutschen Haiku-Gesellschaft veröffentlicht.

Krankenhausfenster vom Dach tropfen langsam die Eiszapfen

Dezemberamsel sie singt ihr den Winter vom Leib

Christa Beau

Martin Berner

Wintersturm. Das Elsternnest im Birkenwipfel hält stand.

Wintersonne kalt wie dein Tod – ein Versprechen.

Reinhard Dellbrügge

Loretta Gaukel

Neujahrsabend im Dorf unterwegs nur der Mond

weiße Hussen die Kinder spielen Winter

Claus Hansson

Gabriele Hartmann

Verschneiter Weg sie fragt ihn nach ihrem eigenen Namen

Winterregen Im Mülleimer verwelken seine Rosen

Birgit Heid

Deborah Karl-Brandt

wach geküsst mitten in der Nacht – erstes Schneelicht

Die Zeit bleibt stehen. Nun fängt der Wintermond an zu fließen

Gérard Krebs

Masami Ono-Feller

Schneeweg – unter den Spuren schlummert der Frühling

Neuschnee frische Fährten und Spuren erzählen

Angelica Seithe

Claudia Skera

tiefer Winterwald seine Stille betreten seine Stille in mir

Klaus-Dieter Wirth

Besonders gefallen hat ein Haiku von Eva Limbach, das die meisten Punkte der Juroren bekam. Wir gratulieren! Das Haiku lautet:

wie warm er hält

der schwarze Mantel den ich

niemals tragen wollte

Ein sehr klares Haiku, einfach im besten Sinne. Das Empfinden von Wärme, ein Gefühl also, ist es, das hier zu einer Erkenntnis führt. Der schwarze Mantel, aufgegeben zuvor, nicht gemocht, vielleicht gar aussortiert, gibt die Wärme, gibt etwas wie Geborgenheit. Wir lernen hier Achtsamkeit, achtsam sein auch mit den Dingen, denen wir uns nicht (mehr) zuwenden, die wir abgelegt haben. Sie könnten Wert haben, den wir noch nicht erkannten.

Gedankliche Erkenntnis in einem Haiku ist zumeist heikel, denn ein Haiku ist seiner Natur nach nicht explizit belehrend. Hier aber ist der Gedanke poetisch geglückt, denn die Erkenntnis wird nicht ausgesprochen, sie vermittelt sich vielmehr ungesagt durch eine sinnliche Erfahrung. Eine glückliche Fügung, aus der ein gelungenes Haiku entstanden ist.

Kommentiert von Horst-Oliver Buchholz

Aufruf: Ein Haibun zu einem besonderen Ort

Wohl jeder von uns hat einen Ort, den er als besonders erfährt und empfindet. Sei es wegen seiner Schönheit, sei es, weil er den Ort mit besonderen Erinnerungen verbindet. Lassen Sie sich davon inspirieren! Wir laden Sie herzlich ein, ein Haibun zu schreiben zu einem Ort, der ein besonderer für Sie ist.

Neben der prägnanten und schlichten Sprache, die schon Bashō für ein wesentliches Merkmal des Haibun hielt, liegt eine besondere Kunst des Haibun darin, eine geglückte Verbindung zwischen Prosatext und Haiku zu schaffen. Das Haiku sollte nicht die poetische Zusammenfassung der Prosa sein. Vielmehr sollte eine Verbindung zum Prosatext erkennbar oder wenigstens zu erahnen sein und vielleicht gar darüber hinausweisen, dem Prosatext ein neues Bild an die Seite stellen, ohne die Bindung daran zu verlieren. Wir sind gespannt und freuen uns auf viele Haibun für die kommende Ausgabe!

Einsendungen bitte bis zum 15. April an

[email protected]

Stichwort: Haibun – Ein besonderer Ort

Und bitte denken Sie daran: Es dürfen nur bislang unveröffentlichte Texte eingereicht werden.

HaiQ – Eine neue Rubrik stellt sich vor . . .…

HaiQ, das klingt nach Haiku und doch anders. Diese Beschreibung trifft den angedachten Charakter der neuen Rubrik, die es ab der kommenden SOMMERGRAS-Ausgabe regelmäßig geben soll, ziemlich genau.

Wir möchten Ihnen mit dieser Rubrik einen Raum geben, abseits der etablierten Haiku-Pfade – egal ob traditionell oder Gendai – zu wandeln. Wir möchten Neues ausprobieren, experimentieren, die Grenzen des Haiku ausloten, erweitern, überschreiten . . .…

Senden Sie uns Ihre experimentellen Haiku, gerne auch unfertig, als Rohentwürfe, Fragment, etc.

Wir sammeln Ihre Ideen und stellen diese bei passender Gelegenheit der Leserschaft vor, so wie es sich thematisch anbietet. Wichtig ist uns dabei, dass Sie nicht bloß ein Haiku einsenden, sondern kurz (maximal eine DIN A5-Seite) erläutern, wie und warum Sie welche Grenze oder Norm des Etablierten „verletzt“ haben! Was ist neu an Ihrem Haiku, worin besteht seine Fortschrittlichkeit im Vergleich zum Bisherigen?

Diskussionen zu den veröffentlichten Texten – pro und kontra – sind ausdrücklich gewünscht!

HaiQ – Unterstützen Sie uns dabei mit Ihren kreativen Ideen, senden Sie uns Ihre Haiku abseits aller etablierten Normen und Vorgaben!

Claudia Brefeld / Thomas Opfermann

Haiku-Kaleidoskop

Klaus-Dieter Wirth

Grundbausteine des Haiku (XXXIX)

dargestellt an ausgewählten Beispielen

Poetisierung

In Anbetracht der Schwierigkeit, zu einer verbindlichen Definition des Haiku zu gelangen1, kam Martin Lucas2 zu der bemerkenswerten Quintessenz, dass sich das Haiku letztlich gewissermaßen mit jedem neu geschriebenen Haiku jeweils neu definiert. Und als Kernaussage fügte er bezeichnenderweise hinzu: „Haiku needs poetic spell, i. e. not too much of thought.“ („Das Haiku braucht poetischen Zauber, d. h. nicht zu viel Gedankliches.“). Der Flame Diederik De Beir spricht auf der gleichen Linie von „poetischer Spannkraft“3.

Andererseits wird bekanntlich immer wieder darauf hingewiesen, dass Inhalt und Ausdruck möglichst schlicht und unprätentiös zu halten sind. Im Anschluss an die letztere Eigenschaft ist dann auch die folgende Aussage zu interpretieren: „Lack of poetic elegance is one of the characteristics of haiku.“4 („Mangel an poetischer Erlesenheit ist eins der Hauptkennzeichen des Haiku.“).

Zusammengefasst heißt das: Die poetische Komponente ist auf jeden Fall zu pflegen, insbesondere was den Rhythmus und Klang, den treffsicheren Ausdruck, die Ausgewogenheit im Gesamteindruck betrifft. Unbedingt zu vermeiden sind dagegen jegliche Effekthascherei und überzogene Poetizität.

Vorrangig bleibt der „Geist des Haiku“, wiederum ein schwer zu fassender Begriff. Er erschließt sich noch am besten über die Grundkriterien, die die Shōmon-Schule Bashōs herausgearbeitet hat:

wabi

die Ästhetik des Einfachen, Alltäglichen

sabi

die Wertschätzung der Einsamkeit, inneren Heiterkeit

aware

das tiefe Berührtsein vom Vergänglichen, das auch zum Schreiben drängt

karumi

die Unbeschwertheit sowie Leichtigkeit des schlichten Ausdrucks bei tiefstmöglicher Einfühlung

hosomi

die subtile Aura, Feinsinnigkeit eines Haiku

shiori

die Übertragung eines Empfindens in die ein(zig)e ihm angemessene Form

yūgen

das Geheimnisvolle, die Tiefe, Leere, Stille, Andeutung, Undefinierbarkeit

atarashimi

das wahrhaft Neue als Gegenbegriff zum Traditionellen

zōka zuijun

das Streben nach dem Ursprünglichen, Kreativen

fueki ryūko

das Beständige und Veränderliche in Kombination

fūga no makoto

die Wahrhaftigkeit der Dichtung

Wie dem auch sei, die Wichtigkeit und Notwendigkeit der Poetisierung ist allein schon dadurch erwiesen, dass selbst so prosaisch anmutende, thematische Aspekte, wie eine „Feststellung“5 oder „Beschreibung“6 als Grundbausteine des Haiku funktionieren konnten. Im japanischen Haiku kommen als poetische Mittel vor allem die Alliteration und Assonanz7 sowie die Klangmalerei8 zum Zuge.