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Sara ist Anfang 50 und frisch geschieden. Als ihr Exmann dann auch noch verlangt, dass sie sich um den Verkauf seines Motorrads kümmert, hat sie genug. Kurzerhand entführt sie das wertvolle Liebhaberstück. Ihrer besten Freundin Jessica liegt eigentlich nichts ferner als eine Reise auf dem Motorrad. Aber sie lässt sich überreden. Kurz darauf verlassen die beiden Freundinnen Stockholm und düsen in Richtung Süden. Und damit beginnt das eigentliche Abenteuer erst, bei dem die beiden Freundinnen die Liebe und das Leben endlich zu genießen lernen.
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Das Buch
Nie hätte Sara damit gerechnet, dass ihr Mann sich nach so langer Zeit plötzlich scheiden lassen will. Sie führen doch eine glückliche Ehe! Dachte sie zumindest. Jetzt fühlt sie, die als Reisejournalistin oft und gern allein unterwegs ist, sich zum ersten Mal einsam. Als sie auf eine Anzeige für einen Aufenthalt auf einem Schloss in der Toskana stößt, überredet sie kurzerhand ihre beste Freundin Jessica zu einer Motorradtour von Stockholm bis nach Italien.
Jessica, die sich nur in schönen Kleidern und hohen Schuhen wohl fühlt, ist zunächst wenig begeistert von Saras Vorschlag. Aber ihrer besten Freundin kann sie nichts abschlagen.
Dann begegnet ihnen der gutaussehende Texas, der ebenfalls in die Toskana unterwegs ist. Und plötzlich nimmt die Reise eine ganz unverhoffte Wendung …
Die Autorin
Åsa Hellberg wurde 1962 in Fjällbacka geboren. Heute lebt sie mit Sohn, Katze und ihrem Lebensgefährten in Stockholm. Sie arbeitete unter anderem als Flugbegleiterin, Coach und Dozentin, bevor sie mit dem Schreiben begann. Mit ihren Bestseller-Romanen schrieb sie sich auf Anhieb in die Herzen der Leserinnen.
Von Åsa Hellberg sind in unserem Hause bereits erschienen:
SommerfreundinnenHerzensschwesternSommerreise
Åsa Hellberg
Sommerreise
Roman
Aus dem Schwedischenvon Hanna Granz
List Taschenbuch
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ISBN 978-3-8437-1302-3
© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016© Åsa Hellberg 2015Titel der schwedischen Originalausgabe: Toscana tur och retur(Bokförlaget Forum 2015)Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, MünchenTitelabbildung: © stockfood/Great Stock
E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Für Minuno
Herzlich willkommen auf unserem Schloss in der Toskana!
Nur wenige Kilometer von Pisa entfernt, liegt es inmitten hauseigener Weinberge. Schwelgen Sie im Schatten der Olivenbäume, dem Anblick goldener Sonnenblumenfelder und dem Duft von Zypressen und Lavendel. Lauschen Sie der Musik großer Meister, und lassen Sie sich von den besten Köchen Italiens an reichgedeckten Tischen verwöhnen.
Im Sommer bieten wir Ihnen zudem eine Fülle von Aktivitäten:
Geführte Touren durch die Weinberge, die Sie bei einem gemeinsamen Abendessen inklusive Weinverkostung ausklingen lassen können.
Oder reizt es Sie, in dunklen Wäldern auf Trüffel-Suche zu gehen? Anschließend können Sie die Delikatesse auf einer eigens für Sie im Steinofen gebackenen Pizza genießen.
Anfang Juni findet unser jährliches Motorradtreffen statt, zu dem wir Gäste aus ganz Europa erwarten. Im selben Monat arrangieren wir ein langes Wochenende für Liebhaber der Barockmusik.
Sie sind Single? Dann bieten wir Ihnen eine Woche »Liebe zwischen Turm und Zinne«, eine Gelegenheit für den Romantiker, in einer Umgebung, der kaum jemand widerstehen kann, die große Liebe zu finden.
Bequem wohnen Sie in unseren Turmzimmern, wo das Himmelbett mit feinster Bettwäsche für Sie gemacht ist. Dort werden Sie schlafen wie Gott in Italien.
Benvenuto!
Immer wieder hatte Jessica in den vergangenen Monaten Essen aus dem Asia-Restaurant mitgebracht. Sie hatte Sara in den Arm genommen, wenn sie eine ihrer Heulattacken hatte, den Müll runtergetragen, das Geschirr abgewaschen und angeboten, über Nacht bei ihr zu bleiben. Jessica war wirklich ein Schatz. Sie hatte sie buchstäblich durch den gesamten Prozess getragen.
Arm dran, wer keine beste Freundin hat, dachte Sara.
Ein ganzes Leben musste vom Eigenheim auf die Größe einer kleinen Wohnung reduziert werden. Aber hin und wieder musste Sara auch unter Tränen lächeln, wenn sie in den Kartons auf dem Dachboden auf Erinnerungen stieß. Zum Beispiel die Fotoalben. Zwei pubertierende, pickelige Mädchen. Schon damals war Jessica einen ganzen Kopf größer gewesen als sie. Auf einem Bild hatten sie sich die Arme um die Schultern gelegt. Wie alt mochten sie gewesen sein, siebzehn? Was für ein Unterschied es doch war, richtige Fotos in der Hand zu halten, statt sie sich lediglich auf dem Computer anzusehen! Künftig würde sie wieder mehr Bilder ausdrucken und rahmen. Das würde sich an den Wänden ihrer neuen Wohnung bestimmt gut machen.
Hinter dem Karton mit den Fotos stand eine Kiste Schallplatten, die Danne und sie in ihren ersten gemeinsamen Jahren rauf und runter gespielt hatten. Sie zögerte einen Moment, dann beschloss sie, sie wegzuwerfen. Den Soundtrack zu Saturday Night Fever, Abba, 10cc und Supertramp – alles gab es auf Spotify, falls sie es sich tatsächlich noch einmal anhören wollte. Die Platten hätten ohnehin keinen Platz in ihrer neuen Wohnung. Wunden lecken und Erinnerungen wälzen konnte sie nach dem Umzug, falls es dann noch nötig sein sollte.
Sie würde sich in der neuen Wohnung verkriechen und in Selbstmitleid versinken.
Zumindest für eine Weile.
Eventuell würde sie hinausgehen, wenn eines ihrer Kinder sie brauchte. Doch das war eher unwahrscheinlich, sie lebten längst ihr eigenes Leben. Alle drei waren erwachsen und schienen durch die Scheidung keinen größeren Schaden davongetragen zu haben. Weder Pontus noch Emelie waren sonderlich überrascht gewesen, und Charlotte, das jüngste und pragmatischste ihrer Kinder, hatte gemeint, Danne und sie hätten doch ohnehin schon getrennte Leben geführt, da Sara so viel reiste. Damit hatte sie natürlich recht, doch Sara hatte immer gedacht, ihre Ehe würde es aushalten, dass sie Bedürfnisse hatte, die über die Familie hinausgingen. Ihre Tochter hatte offenbar früh verstanden, dass das nicht funktionierte, zumindest nicht mit einem Mann wie Danne.
Hätte Danne nicht so schnell eine Neue kennengelernt, hätte sie sich jetzt wohl auch schon besser gefühlt. Sara hatte eigentlich gehofft, dass sie durch eine zeitweilige Trennung zueinander zurückfinden würden, und nicht damit gerechnet, dass er sofort eine neue Beziehung eingehen würde.
Der nächste Karton enthielt ihre Reiseberichte, die allerersten, die konnte sie nicht wegwerfen. Noch immer träumte sie davon, irgendwann ein Buch über ihre Abenteuer zu schreiben, und dann brauchte sie die Aufzeichnungen als Erinnerungsstütze. Natürlich brachte sie schon viel in ihren Reportagen und Lesungen unter, doch das war nur ein Bruchteil dessen, was sie erzählen könnte, wenn sie vierhundert Seiten zur Verfügung hätte.
Als das Telefon klingelte, spielte sie kurz mit dem Gedanken, nicht ranzugehen, doch dann sah sie, dass es Jessica war. Schwer ließ sie sich auf einen Umzugskarton sinken, der mitten in der Bodenkammer stand.
»Hilf mir packen«, bat sie halbherzig. Jessica war viel zu sentimental, als dass sie beim Aufräumen eine Hilfe gewesen wäre. Sie hätte alles hinterfragt, was Sara wegwerfen wollte.
»Vergiss es. Aber ich kann dich gern moralisch unterstützen. Ich könnte dich anfeuern oder was dich sonst aufbauen würde und was eine beste Freundin leisten kann.«
»Danke, das ist lieb.« Sara schob einen Karton zur Seite, den Hörer zwischen Kinn und Schulter geklemmt.
»Entschuldige, ich weiß, es ist die Hölle für dich. Kannst du mich brauchen, wenn ich verspreche, ganz still zu sein? Wenn ich ein Taxi nehme, bin ich in einer Viertelstunde bei dir.«
»Du fängst doch sofort an zu heulen, wenn ich etwas wegschmeiße. Außerdem bräuchtest du einen Blaumann, das müsstest du erst mal googeln, um zu wissen, was das ist. Ich dachte immer, ich hätte alles im Griff, aber den ganzen Kram auf dem Dachboden hatte ich dabei wohl vergessen.«
Sie seufzte. Oh Gott, es war so schmutzig überall! Sie würde selbst noch einmal putzen müssen, bevor die Reinigungsfirma kam.
»Und Danne hat nicht angeboten, dir ein bisschen zu helfen?«
Sara lachte rau. »Nein, das hat er hübsch bleibenlassen. Er will sogar, dass ich sein Motorrad verkaufe. Ich darf zehntausend behalten, wenn ich es für hunderttausend verkaufe. Ich erkenne ihn gar nicht wieder. Irgendwo habe ich gelesen, Menschen verändern sich durch eine Scheidung, und das stimmt wohl.« Sie machte eine kurze Pause. »Findest du, dass ich mich verändert habe?«
»Wahrscheinlich eher in Bezug auf ihn als auf mich«, erwiderte Jessica. »Du bist trauriger und müder, aber das ist nach dem, was du durchgemacht hast, ja auch kein Wunder. Was sagen die Kinder eigentlich, haben sie ihm verziehen?«
»Ich glaube nicht, dass sie ihm etwas vorwerfen. Charlotte sagte neulich, sie hätte es kommen sehen.«
Jessica seufzte.
»Was denn? Bist du enttäuscht, dass es nicht so ausgeht wie in deinen Büchern?«
Sara musste trotz allem lächeln. Niemand schrieb so schöne Happy Ends wie Jessica. Allerdings handelten die Bücher ihrer Freundin auch nicht von langen Ehen, sondern davon, wie Menschen sich kennenlernten und sich verliebten. Wenn sie sich dann gekriegt hatten, war das Buch zu Ende.
»Es gibt viele Autoren, die über Scheidungen schreiben«, sagte Jessica. »Aber mir ist das zu traurig. Ich freue mich lieber darauf, deine neue Liebe als Roman zu verarbeiten.«
»Dann wird nichts aus dem Buch, das kann ich dir jetzt schon sagen. Ich werde mich jetzt ganz auf mich selbst konzentrieren.«
Sara lachte, meinte jedoch, was sie sagte. Seit die Kinder aus dem Haus waren, hatte sie einen Lebensstil gefunden, der ihr gefiel. Dass Danne nicht mehr da war, wenn sie von ihren Reisen heimkehrte, daran würde sie sich gewöhnen müssen. Sie hatte schließlich keine andere Wahl.
»Fehlt er dir?«
»Ständig. Ich bin gern zu ihm nach Hause gekommen.«
»Es ist so traurig.«
»Ja.«
Sara schaute an die Decke, um nicht schon wieder in Tränen auszubrechen. Das große Weinen war eigentlich vorbei, aber manchmal – wenn jemand sie bemitleidete oder sie, wie jetzt, ihre Sachen zusammenpackte – ging es wieder von vorne los.
»Ich muss weiterpacken.« Sie streckte den Rücken durch, dem die niedrige Bodenkammer nicht gut bekam. Zum Glück war sie bald fertig hier oben.
»Aber du rufst an, wenn du mich brauchst, ja? Ich sitze ohnehin nur vor einem leeren Blatt Papier.«
»Keine Idee für einen Roman?«
»Keine einzige. Ich hoffe auf das Autorentreffen in Malmö: dass die Begegnungen mit den anderen mein Gehirn wieder auf Trab bringen. Normalerweise fällt es mir so leicht, meine Figuren zu finden, und jetzt habe ich keinen Schimmer, wer der oder die Liebenden in meinem neuen Buch werden sollen.«
»Wo wir gerade bei Liebe sind, du hast nichts mehr von J…«
»Nein«, fiel Jessica ihr ins Wort, »das habe ich nicht und ich will auch seinen Namen nicht hören. Siebenundzwanzig Jahre älter und noch immer genauso pathetisch, ich weiß. Und ich weiß auch, was du sagen willst, nämlich, dass wir uns aussprechen müssen.«
»Vielleicht wird es Zeit, dass du deinen Anteil an eurem Drama erkennst.«
»Mhm. So wie du selbst das so gut kannst, wolltest du sagen?«
»Das habe ich jetzt nicht gehört … Hallo, hallo … Die Verbindung ist ganz schlecht, ich leg jetzt auf.«
Jessica lachte. »Wir hören uns später noch mal.«
Vor fünfzehn Jahren hatte sie sich auf die Warteliste für eine Wohnung setzen lassen. Sie hatte gedacht, sie und Danne würden das Haus vielleicht verkaufen wollen, wenn die Kinder ausgezogen waren. Jedes Jahr hatte sie die Gebühren bezahlt, obwohl sie gar keine Wohnung suchte. Schließlich hatten sie ja ihr Haus, nur dreihundert Meter vom Zentrum von Farsta entfernt. Als frisch verheiratetes Ehepaar hatten sie es sich noch nicht leisten können, aber als das dritte Kind unterwegs gewesen war, war es schließlich so weit. Danne war zum Verkaufsleiter befördert worden, und Sara arbeitete in Teilzeit als Journalistin, so dass sie es endlich kaufen konnten.
Jetzt wollte sie nur noch weg. Nicht aus Farsta, aber aus dem Haus. Es war leer und kalt, wenn man ganz allein darin wohnte.
Sie hatte die Schlüssel zur Wohnung bekommen und würde so bald wie möglich dort einziehen. Einige Sachen waren bereits dort, ein Umzugsunternehmen brauchte sie nicht. Das meiste hatte sie bei Ikea neu gekauft, sie nahmen 799 Kronen dafür, alles nach Hause zu bringen und in die Wohnung zu tragen, und so stand alles, was sie sich ausgesucht hatte, bereits in ihrem neuen Heim. Das Bett war einen Meter zwanzig breit. Mehr ging nicht, wenn sie auch ein Sofa haben wollte: ein einfaches weißes, das sie mit Kissen und Decken bestücken wollte. Gardinen, ein Bücherregal sowie Teppiche nahm sie aus dem Haus mit. Die Teppiche hatten ihrer Mutter gehört, die wollte sie auf keinen Fall wegwerfen.
Der neue kleine Küchentisch war von Mio und so hübsch, dass sie sich gut vorstellen konnte, den ganzen Tag daran zu sitzen. Meistens wohl allein, aber vielleicht ja auch mit den Kindern oder hin und wieder mit Jessica. Dass es dann eng würde, machte ihr nichts aus, im Gegenteil, sie wollte, dass die Wände näher rückten, sie umarmten und sagten, bald wäre alles wieder gut.
Was sie aus dem Haus mitnehmen wollte, packte sie also in ihr Auto. Sie musste mehrmals fahren, aber das war es ihr wert. Ein Paar aus ihrem Bekanntenkreis hatte nämlich richtig Pech gehabt bei seinem Umzug. Nicht genug damit, dass die Firma getrödelt hatte, die Packer hatten auch Lampen zerbrochen, was natürlich erst herauskam, als die Besitzer alles ausgepackt hatten. Sara hatte viel zu viel Angst um ihre Sachen, als dass sie sie jemand anderem anvertraut hätte.
Die sieben Kristallgläser ihrer Mutter, die Sara noch nie benutzt hatte, hatte sie sorgfältig in Zeitungspapier eingeschlagen. Und noch während sie den Karton in die Wohnung trug, beschloss sie, dass jetzt Schluss damit war, schöne Sachen im Schrank herumstehen zu lassen. Von jetzt an würde sie Stoffservietten, schöne Gläser und Geschirr aus feinstem Porzellan benutzen. Sie würde Obst in die großen, handbemalten Schüsseln legen und ihren Kaffee aus den Tassen von Villeroy & Boch trinken. Mehr als zehn Jahre hatten diese unangerührt im Schrank gestanden. Sie hatte sie sich selbst gegönnt, als sie ihr erstes großes Honorar bekommen hatte. Heute hätte sie mehrere Dutzend in der Woche kaufen können, so viel Publikum kam zu ihren Lesungen, doch es war, als wären sie besonders kostbar, gerade weil sie sie gekauft hatte, als sie es sich eigentlich nicht leisten konnte.
Als sie die Wohnungstür aufschloss, sprach sie stumm ein kleines Gebet: Lieber Gott im Himmel und auf Erden, hilf mir, etwas zu finden, auf das ich mich freuen kann.
Es war, als würde Vasastan erwachen: Die Straßencafés rund um Jessicas Wohnung stellten Tische und Stühle nach draußen, und wenn sie nicht auf dem Weg zu ihrer Mutter gewesen wäre, hätte sie sich einen Augenblick hingesetzt, obwohl es nach wie vor kühl war. In Skåne ist bestimmt schon Sommer, dachte Jessica und zog den Mantel fester um sich.
Jessica hatte höhere Erwartungen an das Autorentreffen in Malmö, als sie noch bei der Anmeldung gedacht hatte. Sie war Schreibblockaden einfach nicht gewohnt. Normalerweise strömten die Worte nur so aus ihr heraus, sobald sie den Computer einschaltete. Jetzt dauerte die Flaute schon seit Wochen an, was ja im Grunde nicht weiter schlimm gewesen wäre, aber es ging ihr immer so schlecht, wenn sie nicht schrieb. Nur beim Schreiben konnte sie ihr Elend vergessen. In ihrer fiktiven Welt konnte sie Happy Ends erfinden, so viele sie wollte, auch wenn die Wirklichkeit ganz anders aussah. Zumindest für Jessica Romin.
Normalerweise brauchte sie ein halbes Jahr, um etwas Lesbares zustande zu bringen, doch jetzt hatte sie nicht einmal den Funken einer Idee. Die Männer, die sie in Malmö treffen würde, waren jeder für sich eine Inspiration, das ließ hoffen. Die männlichen Protagonisten fielen ihr nämlich immer besonders schwer. Sara meinte, das läge an Jessicas begrenzter Erfahrung mit dem anderen Geschlecht, sie müsse mehr ausgehen und sich amüsieren. Und da war vielleicht sogar etwas dran. Wer Jessicas Bücher las, musste glauben, ihr Leben bestünde darin, mit immer neuen Typen anzubandeln. Niemand wusste, wie es wirklich war. Literarisch war Jessica sehr erfolgreich, aber das war leider auch schon alles.
Und heute hatte sie überhaupt keine Zeit, an künftige Bücher zu denken. Der Besuch bei ihrer Mutter Astrid würde den gesamten Nachmittag in Anspruch nehmen. Lasse war ganz bestimmt nicht dort gewesen, obwohl er es versprochen hatte und obwohl es doch auch seine Mutter war. Er verließ sich einfach darauf, dass sie sich um alles kümmerte.
»Du hast doch Zeit und kannst es dir leisten. Ich muss arbeiten, um über die Runden zu kommen«, hatte er gesagt und dabei gelacht. Aber Jessica wusste, dass er es ernst meinte.
»Du meinst wohl, das bräuchte ich nicht?«
»Doch, aber du schaffst deine Arbeit in nur einem halben Jahr, während ich jeden Tag von acht bis fünf arbeiten muss.«
Da war es heraus, und es hatte keinen Sinn, ihm zu widersprechen. Er glaubte immer noch, ihre Arbeit wäre beendet, wenn das Manuskript abgegeben war.
Im Übrigen war das gar nicht der springende Punkt, Astrid war schließlich ihrer beider Mutter. Noch dazu fragte sie immer nach Lasse. Und dann spürte Jessica jedes Mal den alten Zorn aufwallen, die andauernde Eifersucht: Lasse, Lasse, Lasse.
Ihre eigenen Erfolge ignorierte ihre Mutter oder tat sie mit einer Handbewegung ab.
»Sch, ist ja schon gut«, sagte sie, wenn Jessica versuchte, sich hervorzutun. Es war albern, aber aus irgendeinem Grund war ihr die Anerkennung der Mutter immer noch wichtig.
Aber selbst wenn Königin Silvia gesagt hätte, sie läse Jessicas Bücher, hätte ihre Mutter immer noch genauso reagiert: »Sch, ist ja schon gut.« Dass Jessica diejenige war, die sich um alles kümmerte, sowohl ökonomisch als auch praktisch, spielte überhaupt keine Rolle. Wo ist Lasse?, würde immer ihre erste Frage sein.
Seit dem Schlaganfall vor fünf Jahren lebte Astrid im Heim, und dreimal die Woche, sonntags, dienstags und freitags, war Jessica dort. Während intensiver Arbeitsphasen versuchte sie, die Besuche auf den Nachmittag zu legen, wenn sie ohnehin nichts mehr schaffte. Doch die ständige Verpflichtung zehrte. Lasse hatte versprochen, einzuspringen, wenn sie in Malmö war. Er hatte zwar geseufzt, aber gesagt, er werde sein Bestes tun, was auch immer das bedeutete. Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken.
Jessica schloss ihren Honda Civic auf, und noch während sie sich hinter das Steuer setzte und den roten Startknopf drückte, wünschte sie, der Tag wäre vorbei.
Es hatte Vor- und Nachteile, berühmt zu sein. Jessica lächelte sich durch die Gänge des Pflegeheims. Sie wusste, dass man sie genau beobachtete. Aber sie war kein Mensch, der wegen allem und jedem eine Szene machte. Wäre sie ein bisschen streitlustiger gewesen, wäre vielleicht ihr Bruder etwas präsenter gewesen. Und ihre Mutter weniger fordernd. Ich habe es mir selbst zuzuschreiben, dachte sie und öffnete die Zimmertür.
»Hallo, Mama, ich habe uns etwas zum Kaffee mitgebracht«, rief sie fröhlich und schaute auf die zerbrechliche Gestalt im Bett herab. Sie hatte mit der Ärztin über den Gewichtsverlust ihrer Mutter gesprochen, ob es einen physischen Grund dafür gäbe, dass ihr Appetit so schlecht wäre. Doch offenbar bestand keine akute Gefahr. »Eine leichte Depression, das ist nichts Ungewöhnliches«, hatte die Ärztin gesagt und war weitergerauscht. Dass Jessica eine erfolgreiche Autorin war, schien sie kein bisschen zu beeindrucken. Die Elite las ihre Bücher eben nicht, oder sie gab es zumindest nicht zu.
Jessica setzte sich auf die Bettkante und holte Zimtschnecken aus der Tasche.
»Wie geht es dir?«, fragte sie.
»Wo ist Lasse?«
Jessica lächelte und hoffte, es sähe echt aus.
»Er hat auf der Arbeit viel zu tun. Soll ich dir helfen, dich hinzusetzen?«
»Gern.«
Jessica zog ihre Mutter hoch, um die Kissen in ihrem Rücken aufzuschütteln, und erschrak, als sie durch das Nachthemd ihr Rückgrat spürte.
»Frau Romin, ich glaube, Sie müssen mal ein paar Kilo zulegen«, sagte sie in leichtem Ton, obwohl es ihr die Kehle zuschnürte.
Die Mutter hustete und räusperte sich.
»Kann sein«, sagte sie tonlos. »Wann darf ich wieder nach Hause? Es ist langweilig hier. Und wenn ich zu dünn bin, dann deshalb, weil das Essen hier so schlecht ist. Außerdem ist das Personal ziemlich pampig.« Sie hustete erneut, und ihr magerer Körper schüttelte sich. »Du hättest wirklich etwas Besseres finden können, wenn ihr mich schon abschieben musstet.«
Jessica wusste, dass sie losheulen würde, wenn sie ihre Mutter jetzt ansähe. Sie hatte enorme Schuldgefühle, weil sie die Verantwortung für sie an das Pflegeheim abgegeben hatte. Die Alternative wäre gewesen, sie selbst zu pflegen, wie es viele Angehörige taten. Aber eben nicht Jessica, die egoistische Schriftstellerin. Die steckte ihre arme Mutter einfach in ein Pflegeheim in Danvikstull. Mit Meerblick zwar, frisch zubereitetem Essen und gut ausgebildetem Personal, doch da Astrid immer zerbrechlicher wurde, hatte dies auf ihr Wohlbefinden offenbar keine Auswirkungen. Lediglich Jessicas Gewissen wurde dadurch etwas entlastet. Astrid litt vor allem darunter, nicht mehr aktiv sein zu können, und es war Jessica, an der sie ihre Enttäuschung ausließ.
»Das hier ist doch jetzt dein Zuhause«, sagte Jessica. Sie versuchte aufmunternd zu klingen, wich dem Blick ihrer Mutter jedoch aus. Sie schämte sich, obwohl sie wusste, dass es keine Alternative gab. Ihre Mutter bekam hier eine ausgezeichnete Pflege. Jessica selbst hätte das so nie leisten können.
Wenn es wärmer gewesen wäre, hätte sie sie im Rollstuhl mit in den Garten nehmen können, um die Aussicht auf den Djurgården zu genießen. Aber es war noch viel zu kalt für den völlig geschwächten Körper ihrer Mutter.
Sie packte die Zimtschnecken aus und legte sie auf einen Teller.
»Ich hole uns nur noch schnell Kaffee«, sagte sie und stand auf. Vor der Tür schaute sie auf die Uhr. Nur noch ein Stündchen ungefähr, dann würde ihre Mutter sie bitten, wieder zu gehen. Gott sei Dank.
Manchmal dachte sie daran, was ihr Vater immer gesagt hatte. »Ein Romin arbeitet hart, vergiss das nie, mein Kind.« Er selbst war konsequenterweise am Arbeitsplatz gestorben, an seinem Schreibtisch. Da besuchte Jessica gerade die zweite Klasse des Gymnasiums.
So wie sie jetzt um die Aufmerksamkeit ihrer Mutter rang, hatte sie damals bei ihm Anerkennung gesucht. Aber die hatte sie auch bekommen. Er wäre unendlich stolz auf sie gewesen, als ihr erstes Buch angenommen wurde. Wie alt war sie da eigentlich gewesen, dreißig? Sie wusste es nicht mehr. Es half nichts, darüber nachzudenken, was einmal war. Das war seine Devise gewesen, und Jessica musste ihm recht geben. Grübeln führte zu nichts, und sie hatte ihre Strategien entwickelt, um nicht allzu viel nachdenken zu müssen. Das Schreiben war eine davon. Es hatte einige Jahre gedauert, bis es zu ihrem Broterwerb geworden war. Davor hatte es sie vor allem von anderem abgelenkt, das war damals die Hauptsache gewesen.
Ihre Mutter beschwerte sich, wie schlecht sie behandelt wurde, und Jessica nickte und lächelte mitfühlend, damit sie glaubte, sie lausche ihr aufmerksam. Tatsächlich jedoch flüchtete sie sich – wie immer – in ihre eigenen Gedanken.
Frau trifft Mann. Wie schwer konnte das sein? Wenn Malmö ihr nichts brachte, wusste sie nicht, was sie noch tun sollte, um Stoff für ihr nächstes Buch zu finden. Das meiste hatte sie bereits versucht. Sie war spazieren gegangen, hatte gelesen und Fernsehserien geschaut. Unterhaltungssendungen im Radio gehört. Geredet.
Mittlerweile war sie so weit, zu denken, der Ideenmangel könne etwas mit dem Klimakterium zu tun haben. Manche litten ja überhaupt nicht unter dem Übergangsalter, aber zu denen gehörte Jessica leider nicht.
Sie schwitzte schon beim Gedanken daran.
Sie schwitzte, wenn sie sich bewegte.
Sie schwitzte, wenn sie wach war, aber nicht so viel, wie sie schwitzte, wenn sie schlief.
Ihre Gynäkologin hatte ihr geraten, noch ein halbes Jahr abzuwarten, ob es nicht besser würde, doch nach vier Monaten hatte sich immer noch nichts geändert. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer, und Jessica schlief immer schlechter. Zweimal pro Nacht stand sie auf. Einmal, um sich abzukühlen, trotz des offenen Schlafzimmerfensters, und einmal, um auf die Toilette zu gehen. Sie rechnete aus, dass sie effektiv etwa vier bis fünf Stunden pro Nacht schlief.
Da war es vielleicht gar nicht so verwunderlich, dass sie nicht so fit war wie sonst.
Endlich schloss sie die Zimmertür ihrer Mutter von außen und ging an die frische Luft.
Mit der Zeitung vor sich blieb sie am Küchentisch sitzen. »Herzlich willkommen auf unserem Schloss in der Toskana …«
Das Schloss. Der Schlossherr. Der Verrat an ihrer Familie.
Sara dachte mittlerweile nur noch selten daran, es war so unendlich lange her. Ein ganzes Familienleben. Manchmal hatte sie überlegt, ob Dannes Vorwurf, sie ließe ihn nicht wirklich an sich heran, wohl mit ihren Erfahrungen von damals zu tun haben könnte. Aber woher wusste man, was stimmte und was nicht?
»Du kannst nicht mir die Schuld an allem geben«, hatte Danne gesagt. »Schließlich hast du dich entschieden herumzureisen, statt mit mir zu Hause zu bleiben. Was glaubst du, wie sich das anfühlt? Ich habe nicht vor, weiter ein schlechtes Gewissen zu haben. Denk wenigstens einmal über dein Verhalten nach. Ich bin nie an dein Innerstes herangekommen, und warum das so ist, kann ich mir immer noch nicht erklären. Vielleicht hast du etwas erlebt, wovon du mir nie etwas erzählt hast.«
Dass sie damals abserviert worden war, hatte sie längst verwunden, als sie Danne kennengelernt hatte. Zumindest hatte sie das immer angenommen. Dagegen hatte sie ihm tatsächlich nicht alles erzählt. Es gab ihrer Ansicht nach keinen Grund, über Dinge zu reden, die man erlebt hatte und für die man sich schämte. Wenn Danne über all seine Reinfälle sprechen wollte, konnte er das gern tun. Er war jedoch auch nicht besonders offen zu ihr gewesen, zumindest nicht in den letzten Monaten. Und wenn er jetzt behauptete, sie ließe ihn nicht an sich heran, so war das doch nur ein Vorwand. Er brauchte einfach etwas, worauf er die Schuld schieben konnte.
Sie ging zur Küchenschublade, um eine Schere zu holen.
Sie würde die Anzeige ausschneiden und an den Kühlschrank heften.
1980. Im Anschluss an den Sommer, den sie bei ihrem Großvater in Pisa verbracht hatte, war dieser mit ihr nach Schweden gekommen. Eigentlich wollte er nur ein paar Wochen bleiben, doch nachdem er den Brief vom Schloss erhalten hatte, vermochte er nicht mehr zurückzukehren.
Die Gräfin, für die er zwanzig Jahre lang gearbeitet hatte, war gestorben. Das war ein harter Schlag für ihn.
Ihr Großvater war beinahe nicht mehr ansprechbar gewesen. Saras Eltern machten sich große Sorgen, und sie durfte in ihrem Zimmer keine laute Musik mehr hören, um Großvater zu schonen. Heute begriff sie es besser als damals. Er hatte nicht nur seine Arbeit verloren. Im Weinkeller des Schlosses befand sich überdies das Wertvollste, das er besaß: die Flaschen, die er für jede Lira gekauft hatte, die er erübrigen konnte. Im Laufe der Jahre hatte er eine Sammlung zusammengestellt, die eine Menge Geld wert war. Doch für Großvater war es mehr als das. Es war sein Lebenswerk.
Etwas zerbrach deshalb endgültig in ihm, als die Kinder der Gräfin in einem weiteren Brief behaupteten, die Flaschen existierten gar nicht, der Großvater würde lügen. Er konnte nie das Gegenteil beweisen. Es war die Gräfin gewesen, die ihm erlaubt hatte, seine Flaschen im Schlosskeller aufzubewahren, nachdem er sein eigenes Haus nach dem Tod der Großmutter verkauft hatte.
Ein Jahr darauf war der Großvater gestorben, nur noch ein Schatten des Kraftmenschen, der von morgens bis abends auf dem Schloss vor den Toren Pisas gearbeitet hatte.
Die Geschichte hatte ihre Familie all die Jahre begleitet. Saras Vater hatte immer gesagt, er könne es nie verzeihen, dass Großvaters Sammlung gestohlen worden war.
Lag es an dem Grafen, dass sie selbst irgendwann nicht mehr daran gedacht hatte?
Eros.
Die Erinnerungen brachen über Sara herein. Sie legte die Schere auf den Tisch.
Er war schön gewesen. Unwiderstehlich. Sara hatte noch nie jemanden wie ihn kennengelernt, und in dem Eifer, ihm zu gefallen, hatte sie sich immer wieder erniedrigen lassen.
Er hatte mit ihr gespielt. Hatte sie geküsst, bis sie zu allem bereit gewesen war. Sie hatte sich für ihn ausgezogen. Hatte zusammen mit anderen, ebenso nackten Frauen, in einem großen Bett gelegen, während Eros langsam darum herumging und sie betrachtete, bis er schließlich diejenige wählte, die er haben wollte.
Sara hatte er nie genommen.
Seit jenem Sommer war sie nicht mehr dort gewesen. Wie war Eros heute? Natürlich hatte er Familie und lauter kleine Grafen und Gräfinnen in die Welt gesetzt. Ein Mann wie er spielte ein paar Jahre, doch dann erfüllte er seine Pflicht. Jemand musste schließlich das Schloss erben, wenn er starb.
Was, wenn sie einfach hinführe? Sie hatte einen Motorradführerschein und eine Maschine in der Garage. Gewiss, die gehörte Danne, und sie hatte den Auftrag, sie für einhunderttausend Kronen zu verkaufen. Doch wenn ihr das nun nicht gelänge und sie deshalb gezwungen wäre, sie selbst zu kaufen? Freilich konnte Danne dann nicht mit einhunderttausend rechnen, sondern musste sich mit fünfzehnhundert zufriedengeben. Und dann würde sie damit nach Italien fahren …
Sara lächelte. Ein Motorradtrip in die Toskana? Nachsehen, was mit Großvaters Wein geschehen war?
Vielleicht war das genau die verrückte Aktion, die sie brauchte, um auf andere Gedanken zu kommen.
Wie immer musste sie das mit Jessica erörtern, und so trafen sie sich drei Stunden später in einem Bistro in Birkastan. Sara nahm die U-Bahn bis zum T-Centralen, dann ging sie rasch zu Fuß zum Eriksplan. Es war ein schöner Tag im Mai, und das Atmen fiel ihr leicht, die Tränen waren endgültig versiegt. Stattdessen freute sie sich darauf, Jessica zu überreden, mit ihr nach Italien zu fahren. Als sie das Restaurant erblickte, fing sie beinahe an zu rennen, so eilig hatte sie es plötzlich, ihr alles zu erzählen.
»Musst du unbedingt zu diesem Autorentreffen in Malmö?«, fragte sie schließlich, und schob sich die Gabel Tiramisu in den Mund. Sie hatte sich ihre Frage aufgehoben, bis sie beide satt waren. Mit einer hungrigen Jessica konnte man nicht reden.
Sara kippte ihren Espresso hinunter. Sie konnte genauso gut jetzt schon mit der italienischen Lebensart beginnen. Auf dem Heimweg würde sie Rückensteak, Parmesan und Rucola einkaufen. Die dazu passende Flasche Barolo hatte sie sicher noch zu Hause.
Jessica lehnte sich mit ihrer Teetasse zurück und sah Sara abwartend an.
»Ja. Warum?«
»Ich wollte dich fragen, ob du nicht lieber mit mir nach Italien möchtest. In die Toskana. Eine Woche im Schloss. Du und ich. Wein, Abenteuer, Männer und eine unglaublich schöne Motorradfahrt dorthin.«
Sie holte tief Luft und wartete gespannt auf Jessicas Reaktion.
»Meine liebe Sara, du hast dir in deinem Leben ja schon manches Verrückte ausgedacht, aber wenn du glaubst, dass du mich, mich auf ein Motorrad bekommst, dann muss ich dich leider enttäuschen. Ich fahre nur mit etwas, in dem ich hochhackige Schuhe und Leopardenkleider tragen kann. Wir können uns gern einen Abend in Malmö treffen, aber ich nehme den Zug dorthin, du kannst ja mit dem Motorrad fahren.«
Sie stieß ein Lachen aus, das normalerweise jede Diskussion beendete. Doch diesmal hatte sie es mit Sara Raphael zu tun.
Wenn Jessica überlegte, wie standhaft sie zunächst Sara gegenüber gewesen war, konnte sie sich im Nachhinein gar nicht erklären, wann das Ganze gekippt war, so dass sie jetzt dabei war, einen Rucksack zu packen.
Einen Rucksack!
Ausgerechnet sie!
Jeder, der Jessica kannte, wusste, dass sie flog oder den Zug nahm, im Hotel übernachtete und ihre Körperfülle auf hohen Absätzen balancierte. Was das anging, lebte Jessica wie ihre Romanheldinnen, die kaum einen Waldspaziergang unternahmen, da sie die starken Gerüche der Natur schwindlig machten.
Möglicherweise hatte sich ihr Sinneswandel vollzogen, als Sara sie zu diesem Geschäft in der Norra Stationsgatan geschleppt hatte. Zu Beratungszwecken sollte sie sie begleiten, doch wie es dazu gekommen war, dass sie plötzlich selbst von Kopf bis Fuß in Leder gekleidet dastand, hätte sie hinterher nicht mehr sagen können. Sie konnte Sara nicht die alleinige Schuld daran geben. Es lag auch an diesem Verkäufer, der sie wohlwollend lächelnd von oben bis unten gemustert und dann gesagt hatte, er hätte bestimmt eine Montur, die ihr ausgezeichnet stehen würde.
3999 Kronen ärmer, verließen sie das Geschäft, und der Verkäufer hatte augenzwinkernd ein Paar Handschuhe gratis dazugelegt. »Auf diese Hände wollen wir gut aufpassen.«
Es war nicht das erste Mal, dass Jessica auf einen Menschen traf, der davon ausging, sie hätte selbst all die Sexszenen erlebt, die sie in ihren Romanen schilderte. Da sie auf allen Fernsehsofas und Bühnen des Landes präsent war, wurde sie auf der Straße oft wiedererkannt, und die meisten hatten natürlich ein ganz bestimmtes Bild von ihr.
Wenn sie gewusst hätten, wie begrenzt ihre sexuellen Erfahrungen waren! Ihre weiblichen Hauptfiguren nahmen sich, was sie wollten, doch das war Fiktion und nicht selbst erlebt. Es fiel ihr unendlich schwer, Sexszenen zu schreiben, manchmal vergingen drei Stunden, bis sie drei Zeilen geschrieben hatte, und dann änderte sie doch alles noch einmal, wenn sie den Text hinterher redigierte.
»Vielleicht meinte er das gar nicht so, sondern findet nur, dass du nette Bücher schreibst«, wandte Sara ein. Sie öffnete die Heckklappe und packte die neuen Motorradklamotten in ihr Auto. »Vielleicht ist seine Frau Fan von dir.«
»Sportler haben Fans. Autoren haben, wenn sie Glück haben, Leser.«
»Du bekommst massenhaft Briefe und E-Mails, also hast du Fans. Basta«, sagte Sara und warf den Kofferraum zu. »Jetzt fahren wir nach Hause und packen.«
Sara fühlte sich wohl in ihrer kleinen Wohnung, und bereits nach drei Tagen vermisste sie das Haus überhaupt nicht mehr.
Wenn jemand ihr vor einem Jahr gesagt hätte, dass Danne und sie sich innerhalb von sechs Monaten würden scheiden lassen, hätte sie ihn ausgelacht. Wenn man über dreißig Jahre zusammengelebt hatte, ließ man sich doch nicht einfach scheiden! Sara zumindest hatte kein Bedürfnis danach gehabt. Sie war zufrieden gewesen. Schließlich hatten sie es doch gut miteinander. Sie war einfach davon ausgegangen, er hätte es akzeptiert, dass sie regelmäßig auf ihre Reportagereisen ging und dass er diese Zeiten nutzte, um Golf zu spielen und Zeit mit seinen Kumpels zu verbringen. Dieses Arrangement hatte tadellos funktioniert, seit Sara bei der Tageszeitung gekündigt hatte und stattdessen als Freiberuflerin arbeitete. Nach elf Jahren waren sie und ihr Mann ein eingespieltes Team gewesen.
So hatte sie es zumindest empfunden.
Er hatte seine Sachen abgeholt, während sie auf Lesereise in Göteborg gewesen war.
»Feigling«, murmelte sie und packte den Lederanzug aus. Das brachte sie gleich auf angenehmere Gedanken. Sie und Jessica würden auf große Tour gehen.
Sie hielt die Jacke hoch. Von den Achseln über die Brust verliefen Rallyestreifen, und Sara nickte zufrieden, als sie sie über den BH zog.
Diese Italienreise war der Anfang zu etwas Neuem. Sie hatte Dannes Motorrad gekauft und fünfzehnhundert Kronen auf sein Konto überwiesen. Wahrscheinlich würde er wütend werden, doch das kümmerte sie nicht im Geringsten. Sie brauchte eine Maschine, und wenn eine direkt vor ihrer Nase stand, konnte sie die doch nicht einfach an jemand anderen verkaufen. Gut, sie war viele Jahre nicht mehr gefahren und niemals so weit wie jetzt, doch sie hatte noch ein paar Tage zum Üben, bevor Jessica und sie Richtung Süden aufbrechen wollten.
»Bist du dir sicher?«, fragte Jessica und betrachtete skeptisch das glänzende Motorrad und seine Besitzerin, die nicht einmal an den Lenker heranzureichen schien.
Sara verdrehte die Augen und gab ihr den Helm.
»Nun setz ihn schon auf.«
Das war leichter gesagt als getan, und während Sara den Motor startete, zerrte Jessica an dem Visier, um den Helm über den Kopf zu bekommen. Das leicht knackende Geräusch überhörte sie geflissentlich, und schließlich rutschte er an seinen Platz. So etwas ging schon nicht so leicht kaputt. Aber wie eng der saß, war das wirklich so gedacht?
»Setz dich«, sagte Sara und klopfte mit der Hand hinter sich auf den Sitz. »Du siehst übrigens echt sexy aus in deiner Kluft.«
Jessica war in der engen Lederhose kaum die Treppe heruntergekommen, und wahrscheinlich würde sie das Bein nicht über den Sitz bekommen.
Ihr sollte es recht sein. Diese Reise unternahm sie nur, weil Sara verlassen worden war und sie selbst deswegen Schuldgefühle hatte. Sie hatte längst gemerkt, worauf es hinausgelaufen war, hatte gesehen, wie sie sich immer mehr voneinander entfernt hatten. Als Saras beste Freundin hätte sie sie warnen müssen. Bestimmt gab es Beziehungen, die davon profitierten, wenn die Ehepartner nicht zu viel aufeinanderhockten, aber sie hatte Sara gekannt, lange bevor sie und Danne ein Paar geworden waren.
Manchmal hatte Jessica sich gefragt, ob Sara so viel reiste, weil sie es zu Hause nicht aushielt. Wenn sie etwas in dieser Richtung andeutete, hatte Sara sie ganz erstaunt angeschaut, und Jessica begriff, dass sie selbst nie auf diesen Gedanken gekommen wäre. Deshalb war er doch nicht weniger richtig. Danne war ein guter Mann, aber furchtbar langweilig. Und er hatte einen seltsamen Humor. Jessica lächelte manchmal aus Höflichkeit über seine Scherze, wenn man jedoch überlegte, wie witzig Sara war, so bildeten die beiden ein seltsames Paar. Dennoch hatte ihre Beziehung dreißig Jahre gehalten.
Wie seltsam das sein muss, dachte Jessica, in einem eigenen Haus zu wohnen und verheiratet zu sein und sich dann plötzlich als Single in einer Einzimmerwohnung wiederzufinden. Als Single mit einem viel zu großen Motorrad.
»Das kann doch nicht gutgehen«, sagte Jessica. »Wir werden umkippen.«
»Nein, sicher nicht«, sagte Sara. »Ich habe in der Fahrschule gelernt, jemanden auf dem Sozius mitzunehmen. Das ist zwar schon eine Weile her, aber der Fahrlehrer war ein Riese, und mit dem hat es problemlos funktioniert.« Sie setzte den Helm auf und klappte den Ständer ein. »Im Vergleich zu dem bist du eine Feder.« Sie gab ein paarmal Gas, als wollte sie zeigen, dass sie alles im Griff hatte. »Komm, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.« Wieder klopfte sie auf den Sitz und zeigte Jessica, wo die Fußstütze war. »Na los, schwing dich hoch.«
»Ich habe doch gar keinen Platz, wo soll ich denn meine Beine hintun?«
»Vor die Taschen, mein Schatz. Stell dich doch nicht so an, setz dich einfach.«
Sie drehte noch ein paarmal am Gas.
Merkwürdigerweise ging es gut, und zum ersten Mal an diesem Morgen lächelte Jessica ein bisschen.
Sara drehte den Kopf: »Halt dich an meinen Hüften fest, Süße, es geht los!«
Scheißmotorrad. Sara fluchte, und Jessica heulte.
»Was sollen wir denn jetzt machen?«, schluchzte Jessica und versuchte den Helm abzunehmen. Er saß wie angeschraubt, und wenn sie ihn nicht sofort abbekam, würde sie eine Panikattacke bekommen.
Tragödie in Småland. Berühmte Autorin von Motorradhelm erdrosselt. Sie sah die Schlagzeile vor sich, während sie mit beiden Händen an dem Helm zerrte.
»Weiß ich doch nicht«, antwortete Sara wütend und trat gegen den Vorderreifen. »Ich kann nicht fahren und gleichzeitig die Tankanzeige im Auge behalten, wenn du hinter mir sitzt und ständig auf meine Schulter klopfst.«
»Also bin ich schuld, dass das Benzin alle ist?« Verärgert schob Jessica sich das Visier in die Stirn, das sofort wieder herunterklappte.
Sara nahm ihren Helm ab und schüttelte ihr Haar, und wieder einmal wunderte sich Jessica, wie zwei so unterschiedliche Menschen beste Freundinnen sein konnten. Natürlich wusste sie es. Saras Wesen hatte ihre Freundschaft möglich gemacht. Gleich nach dem Kennenlernen in der dritten Klasse der Oberstufe hatte sie Jessica adoptiert, und seitdem waren sie Freundinnen. Es gab keinen besseren Menschen als Sara. Es gab keine bessere Zuhörerin als Sara. Wie sie die endlosen Litaneien über JP ertragen hatte, mit denen Jessica sie über die Jahre gequält hatte, war ihr bis heute ein Rätsel. Sara hatte sie nie verurteilt. Das Einzige, worauf sie beharrte, war, dass sie und JP sich aussprechen müssten, statt vor ihren Problemen davonzulaufen.
Wenn Jessica sich doch nur trauen würde, ihr alles zu erzählen, sie wusste doch tief in ihrem Innern, dass Sara dennoch zu ihr stehen würde. Aber sie wagte es nicht. Die Scham war zu groß. Im Laufe der Jahre hatte sie gigantische Ausmaße angenommen, obwohl sie noch so jung gewesen war, als das alles passiert war.
Eigentlich war Sara erst wieder die Alte geworden, als sie beschlossen hatten, diese Motorradreise zu unternehmen. Allein deshalb war Jessica froh, mitgefahren zu sein. Sie versuchte noch einmal, den Helm herunterzubekommen. Es ging nicht. Sie hielt das Visier hoch.
»Ja, es ist deine Schuld, also fang schon mal an zu winken. Ich werde das nämlich bestimmt nicht tun, so wie ich aussehe.« Inzwischen hatte sie aufgehört zu weinen. Schlimmstenfalls würden sie ein Taxi nehmen müssen, das war alles. Was Jessica anging, so war sie erst mal fertig mit Motorrädern, und sie freute sich schon auf ein warmes Bad und einen Drink in einem netten Hotel. Schließlich waren sie gar nicht mehr so weit von Jönköping entfernt, das hatte sie kurz zuvor auf einem Schild gelesen.
Sara trat an den Fahrbahnrand, und als eine ganze Motorradkarawane angebraust kam, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
»Guck, die nehmen uns mit«, sagte sie und winkte mit einer Hand, während sie sich mit der anderen den Helm wieder aufsetzte. Und genau wie sie gesagt hatte, hielt die ganze Gruppe an.
Sara streckte dem vordersten Fahrer die Hand entgegen und zog gleichzeitig ihren Kinnriemen fest.
»Hallo, ich bin Sara, nett, dass ihr angehalten habt. Uns ist das Benzin ausgegangen.«
»Tja. Ich bin Texas.« Er nahm ihre Hand, ohne Handschuhe oder Helm auszuziehen. »Steig auf, in ein paar Kilometern kommt eine Tankstelle. Und du?« Er sah Jessica fragend an.
»Ach, kümmert euch nicht um mich«, sagte sie. »Ich warte hier und pass auf das Motorrad auf.« Sie lächelte, um ihn davon zu überzeugen, dass das eine gute Idee war.
»Okay«, sagte er. Sara setzte sich hinter ihn und legte ihm die Arme um die Taille. »Dann mal los.«
Nach knapp zwei Minuten tauchte das Tankstellenschild auf.
»Bitte sehr«, sagte Texas und hielt an der Zapfsäule.
Sara stieg vom Motorrad und nahm den Helm ab.
»Ich komme gleich.« Sie sah ihn an und lächelte. Er verschränkte die Arme vor der Brust und schien sie einen Moment zu betrachten. Dann startete er das Motorrad.
»Es dauert bestimmt keine halbe Stunde, zurückzulaufen.« Er klang überhaupt nicht mehr freundlich. Vielleicht hatte sie sich verhört. Wenn jemand etwas sagte und den Helm dabei aufbehielt, konnte man schon mal etwas missverstehen.
»Wär toll, wenn du mich zum Motorrad zurückbringen könntest.«
Er fuhr langsam ein Stück vor und sah sich noch einmal um. Dann beschleunigte er und ließ Sara an der Tankstelle zurück.
Wie bitte? Was war das denn? Sara verstand gar nichts mehr.
»Idiot«, murmelte sie und ging hinein, um einen Kanister zu kaufen. Dabei war sie so davon überzeugt gewesen, dass Motorradfahrer einander halfen! Was war das überhaupt für ein Name: Texas!
Immer noch empört, stapfte sie in die Tankstelle. Sie dachte gar nicht daran, sich länger mit so einem Affen zu beschäftigen. Nicht einmal den Helm hatte er abgenommen! Ein richtiger Macho war das gewesen, wie alle Männer. Jetzt gerade schor sie alle über einen Kamm, und das würde sie wohl auch noch eine Weile tun. Natürlich würde das wieder vorübergehen, vielleicht schon in Italien. Italiener wussten schließlich, wie man mit Frauen umging. Gott, wie sie sich auf diese Gentlemen freute!
Drei Liter mussten genügen. Damit würden sie es bis zur Tankstelle schaffen, und sie war einverstanden mit Jessicas Vorschlag, sich dann ein Hotel zu suchen.
Sie stopfte eine Schaumbanane in den Mund.
Von jetzt an würde sie immer Süßigkeiten im Gepäck haben, falls sie wieder einmal liegenbleiben sollten. Das hatte sie aus diesem kleinen Zwischenfall gelernt.
Sie baumelte mit der Tüte und schlenderte gemächlich zurück. Zwei Tüten Polly-Schokotoffees, drei 200-Gramm-Tafeln Schokolade Schweizer Nuss und zwei Flaschen Wasser. In der anderen Hand trug sie den Benzinkanister. Über Headset telefonierte sie mit Jessica.
»Ja, ich gehe zurück. Ist das nicht frech, mich einfach stehenzulassen? Wie geht es dir, hast du den Helm abbekommen?«
Jessica überlegte, ob sie nicht lieber ohne Helm bis zum Hotel fahren sollte. Das Gefühl der Befreiung, als sie ihn endlich herunterbekommen hatte, war überwältigend gewesen. Aber das Risiko war zu groß: Wenn sie sich nun überschlagen würden! Sie brauchte ihren Kopf noch ein Weilchen, falls sich doch noch ein neuer Roman einstellen sollte. Sie sehnte sich so sehr danach, in den eigenen Text abzutauchen. Nach dieser Isolation, wenn alles andere zweitrangig wurde. Ihr letztes Buch hatte auf Platz eins der Bestsellerliste gestanden, aber ohne neue Ideen konnte sie nichts Vergleichbares schaffen. Und ohne Kopf keine Ideen, also musste der Helm wieder drauf.
Es war richtig angenehm in der Sonne, und als Sara ankam, winkte Jessica fröhlich.
»Komm, setz dich neben mich auf den Stein, hier ist es richtig schön«, rief sie ihr schon von weitem zu.
»Guck, was ich mitgebracht habe«, sagte Sara, setzte sich und hielt ihr eine Tüte Polly hin.
Zwei Minuten später knüllte Jessica sie zusammen. Mit offenem Mund starrte Sara sie an.
»Mund zu«, sagte die Freundin. »Das passiert eben, wenn man mir Süßigkeiten anbietet.«
Sie stand auf und ging zum Motorrad.
»Wie weit sind wir von der Zivilisation entfernt?«, fragte sie. Sara füllte das Benzin ein.
»Ich weiß nicht genau … ungefähr 50 Kilometer?«
»Schön, ich freu mich schon auf die Badewanne.«
»Ich auch«, sagte Sara und drehte den Tankdeckel zu. »Pack deine Sachen zusammen, dann fahren wir.«
Sara war stolz. Bis auf den Zwischenfall mit dem Benzin war bisher alles nach Plan gelaufen. Sie hatte die anderen Verkehrsteilnehmer im Blick, war sich immer bewusst, dass Autofahrer oft Schwierigkeiten haben, von hinten kommende Motorradfahrer richtig einzuordnen, und ging das Ganze so ruhig und umsichtig an, wie sie es Jessica versprochen hatte. Sie hatten es ja auch nicht eilig.
Sie verstaute die restlichen Süßigkeiten und das Wasser in der Motorradtasche und setzte den Helm auf.
»Steig du ruhig zuerst auf, wenn das bequemer für dich ist«, sagte sie zu Jessica und zog den Kinnriemen fest.
»Ich hasse diesen Helm«, sagte Jessica. »Bevor wir morgen weiterfahren, muss ich mir einen neuen kaufen.«
»Natürlich.« Sara stieg auf. Sie drehte den Zündschlüssel und drückte den Startknopf. Nichts. Der Motor tat keinen Mucks. Das Licht funktionierte, aber der Motor nicht.
»Oh, Scheiße«, sagte sie und versuchte es noch einmal. Immer noch nichts. Der Motor rührte sich nicht.
»Ist was kaputt?«, fragte Jessica.
»Woher soll ich das wissen, ich bin doch kein Motorradmechaniker!«
»Jetzt reiß dich aber mal zusammen! Du brauchst mich doch deswegen nicht anzufauchen. Was machen wir jetzt? Sollen wir es stehen lassen und ein Taxi in die Stadt nehmen? Ich glaube, wir können besser nachdenken, wenn wir ein paar Cocktails intus haben.«
»Wenn du glaubst, ich lasse das Motorrad hier stehen, dann hast du dich geirrt. Ich werde einen Abschleppdienst anrufen, vielleicht können die uns helfen, es wieder in Gang zu bekommen.«
Die Nummer hatte sie in ihrem Handy gespeichert, und nachdem sie endlich durchgekommen war, erzählte sie die ganze Geschichte. Dann legte sie auf. Jessica sah sie fragend an. »Massenkarambolage. Vor heute Nacht können sie nicht kommen.«
Jessica lachte auf. »Und jetzt?«
Sara zeigte auf das Gepäck. »Wir zelten.«
Entgeistert starrte Jessica sie an.
»Sag, dass das einer deiner merkwürdigen Scherze ist.«
Aber Sara schüttelte den Kopf und schnallte das Gepäck ab. »Glaub mir, ich würde heute Nacht auch lieber im Hotel schlafen, aber ich werde dieses Ding auf keinen Fall hier alleine lassen.« Sie klopfte auf den Sitz. »Hier«, sie warf Jessica das Zelt zu. »Wir müssen das Motorrad noch ein bisschen in den Wald schieben, damit wir nicht direkt an der Autobahn sind. Kannst du schon mal vorausgehen und uns ein nettes Plätzchen suchen?«
Texas schaute in den Rückspiegel. Er hatte sie wiedererkannt, sobald sie den Helm abgenommen hatte, und anschließend noch einmal sein Gedächtnis überprüft, um wirklich sicherzugehen. Es war diese Journalistin gewesen. Er schüttelte den Kopf. Wann würden diese Leute ihn endlich in Ruhe lassen? Er hatte keine Lust, interviewt zu werden, und Sara war eine richtige Klette gewesen. Sie hatte ihn bestimmt hundertmal angerufen, obwohl er gesagt hatte, dass er nicht wollte. Diese Frau war nicht nur dumm, sie war auch noch unglaublich stur.
Sicherlich war es reiner Zufall, dass sie sich hier begegnet waren, und da er streng darauf achtete, sich von den Kameras fernzuhalten, konnte sie gar nicht wissen, wer er war. Sie hätte ihn nicht einmal erkannt, wenn er den Helm abgenommen hätte. Dennoch war es ihm unangenehm zu wissen, dass sie auf denselben Straßen unterwegs war wie er. Dass sie den Kanister auffüllen und zurücklaufen musste, würde ihm und seinen Freunden zumindest einen kleinen Vorsprung gewähren.
Er hatte sich so auf diesen Urlaub gefreut! Das letzte Jahr war anstrengend gewesen, und er brauchte dringend Entspannung. Etwas mit Freunden unternehmen, an der Maschine herumbasteln, Wein trinken und Zeit mit Lovisa verbringen.
Als Freunde ihm das Motorradtreffen in der Toskana vorgeschlagen hatten, wo Biker aus ganz Europa zusammenkommen würden, hatte er ohne zu zögern ja gesagt. Nicht zuletzt, weil er das Schloss kannte. Texas war alles andere als ein Weinkenner, aber von dieser speziellen Sammlung hatte auch er bereits gehört. Da sollte es richtige Raritäten geben, und so etwas probieren zu dürfen wäre schon etwas Besonderes.
Er schloss zu Lovisa auf, um zu sehen, ob sie okay war, und ihr Lächeln bestätigte ihm, was er gehofft hatte. Dem Äußeren nach war sie das exakte Ebenbild ihrer Mutter. Doch zum Glück war sie nicht so falsch. Seine Tochter war ehrlich, und wenn es ihr langweilig geworden wäre, Kilometer um Kilometer zurückzulegen, dann wäre sie längst umgekehrt. Und zwar ohne von ihm zu verlangen, sie zu begleiten.
Er selbst war zwanzig gewesen, als er seine erste Motorradtour unternommen hatte. Lovisa war fast zehn Jahre älter, jetzt, auf ihrer ersten Fahrt. Er war einundzwanzig gewesen, als sie geboren wurde, aber für sie waren Kinder kein Thema, obwohl sie schon fast dreißig war. Dennoch führte sie ein erfülltes Leben. Sie hatte ihr Medizinstudium abgeschlossen und arbeitete seit ein paar Jahren als Ärztin. Wenn sie irgendwann eine Familie gründen wollte, und da war sie sich nicht einmal sicher, dann würde sie damit noch weitere zehn Jahre warten, hatte sie mal gesagt. Vierzig wäre das richtige Alter. Dazu konnte ihr Vater nichts sagen, es war schließlich ihr Leben. Immerhin hatte er sie überreden können, mit ihm in die Toskana zu fahren, und nun war es wichtig, dass es ihr auch gefiel.
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