Sonntagsschüsse 2 - Jonas Philipps - E-Book

Sonntagsschüsse 2 E-Book

Jonas Philipps

0,0

Beschreibung

Rassige Derbys, feierwütige Fußballspieler, cholerische Spielleiter und einfältige Zuschauer der Kreisklasse - die deftig-humorvollen Geschichten über den TSV Weiherfelden gehen in die zweite Runde. In seiner vierten Saison in Oberfranken wartet das nächste turbulente Jahr auf Marco. Er möchte Annika einen Heiratsantrag machen. Seine Baustelle bringt ihn an den Rand des Wahnsinns. Und mit neuem Trainer und legendären Neuzugängen peilt seine Mannschaft den Meistertitel der Kreisklasse Nord an. Als dann noch eine naive Wette hinzukommt, ist alles angerichtet für eine unvergessliche Saison. Wird dem TSV Weiherfelden der ersehnte Aufstieg gelingen?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 444

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Books on Demand GmbH

In de Tarpen 42

22848 Norderstedt

Deutschland

[email protected]

www.jonas-philipps.de

Über den ersten Teil

Sonntagsschüsse - Fußballfieber in der Kreisklasse

Juli 2017, Autor: Jonas Philipps, Verlag: Books on Demand

ISBN: 978-3-7448-1944-2 / E-Book-ISBN: 978-3-7448-6042-0

Der junge Amateurfußballer Marco Tanner zieht mit seinen Eltern von Hamburg nach Oberfranken. In seinem neuen Heimatort Weiherfelden macht er sich nicht nur wegen des fußballerischen Talents einen Namen. Während Marco in der schrulligen Kreisklasse Nord die zünftigen Untiefen des fränkischen Wesens erkundet, stolpert er mit sympathischer Naivität von einem Fettnäpfchen ins nächste.

Doch plötzlich wird es ernst! Die hoch gehandelte Mannschaft steckt mitten im Abstiegskampf. Marco muss sich entscheiden, was er nach dem Zivildienst mit seinem Leben anfangen möchte. Und die komplizierte Hassliebe zur süßen Annika bringt Marco beinahe um den Verstand. Der Auftakt zu einem turbulenten Saisonfinale!

Fränkisches Wörterbuch auf meiner Homepage

Einige Dialoge im Buch verwenden fränkischen Dialekt. Ein zugehöriges Wörterbuch findet ihr auf meiner Homepage unter www.jonas-philipps.de > Sonntagsschüsse > Glossar.

Über den Autor

Jonas Philipps wurde im Jahr 1981 in Forchheim geboren. Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen im Landkreis Bamberg.

Nach ersten Gehversuchen im Genre Fantasy fokussierte sich Philipps auf witzige, unterhaltsame Romane rund um Sport und Musik. „Sonntagsschüsse - Das Bierdeckel-Dilemma“ ist Jonas Philipps zweites Buch über den TSV Weiherfelden.

Inhaltsverzeichnis

Trainingsauftakt

DJK Dreientor – TSV Weiherfelden

FSV Eggenheim – TSV Weiherfelden

TSV Weiherfelden – TSV Kranz

1. FC Hohentannen - TSV Weiherfelden

TSV Weiherfelden – TV Helmersdorf

SV Ebensreus - TSV Weiherfelden

TSV Weiherfelden – FC Streitenburg

SC Hohenstein - TSV Weiherfelden

TSV Weiherfelden – SpVgg Fahrten

1. FC Leimbach - TSV Weiherfelden

Viktoria Settenheim - TSV Weiherfelden

TSV Weiherfelden - SC Weinsburg

VfB Rüsselberg - TSV Weiherfelden

TSV Weiherfelden – BSC Elsen

1. FC Heroldsburg - TSV Weiherfelden

Hallenturnier in Bergfried

1. FC Kirchthein - TSV Weiherfelden

TSV Weiherfelden – 1. FC Hohentannen

TV Helmersdorf - TSV Weiherfelden

TSV Weiherfelden – FSV Eggenheim

TSV Kranz - TSV Weiherfelden

TSV Weiherfelden - SV Ebensreus

FC Streitenburg - TSV Weiherfelden

TSV Weiherfelden - SC Hohenstein

SpVgg Fahrten - TSV Weiherfelden

TSV Weiherfelden – 1. FC Leimbach

Spielfrei

TSV Weiherfelden – Viktoria Settenheim

SC Weinsburg - TSV Weiherfelden

TSV Weiherfelden – VfB Rüsselberg

BSC Elsen - TSV Weiherfelden

TSV Weiherfelden – 1. FC Heroldsburg

TSV Weiherfelden – SV Obsthofen

Sommerpause

Schlusswort & Danksagung

Trainingsauftakt

Ächzend tastete ich nach dem Handy, das nervtötend auf dem Nachttisch vor sich hin vibrierte. Mein verschlafener Blick streifte den Radiowecker. 03.40? Was zum Teufel ...

„Ja?“, grummelte ich heiser in das Telefon.

Niklas…Na toll. Auch das noch!

„Alter, hast du schon mal auf die Uhr geschaut?“

Beinahe fielen mir die Augen zu. Aber Max’ Grölen im Hintergrund weckte mich wieder auf.

„Ihr Deppen seid doch nicht ganz dicht!“

Gähnend wälzte ich mich aus dem Bett und schlüpfte mit halbgeöffneten Augen in meine Jeans. Was mach’ ich hier eigentlich?

„Marco? Ist was passiert?“, flüsterte Annika mit einem nervösen Seitenblick zu unserem zwischen uns schlummernden Sohn Timo.

„Wie man’s nimmt.“

„Was bedeutet das?“

„Niklas und Max stehen in Grunzenbach vor der verschlossenen Disco und kommen nicht heim.“

Ihr süßes, schlaftrunkenes Gesicht starrte mich ungläubig an. „Und was machst du jetzt bitte?“

„Na was wohl? Ich hol die beiden Chaoten ab!“

Seufzend drehte sie sich auf die andere Seite. „Fußballer!“

Mit einem wissenden Augenrollen streifte ich mir ein T-Shirt über und schlich Richtung Tür.

„Richte Niklas aus, dass ich ihn wie in der sechsten Klasse verhaue, wenn er uns nochmal mitten in der Nacht aus dem Bett klingelt!“

Ungläubig hielt ich inne. „Du hast Niklas verhauen?“

„Er hatte es verdient.“

Daran hegte ich keinen Zweifel.

In dem Augenblick, als ich die Türklinke erreicht hatte, zerriss ein herzzerreißendes Schluchzen die Stille.

Fluchend drückte Annika Timo an sich. „Ich korrigiere: Richte Niklas bitte aus, dass ich ihn eigenhändig umbringe!“

Als ich eine halbe Stunde später auf dem Parkplatz in Grunzenbach vorfuhr, waren die beiden vereinsamten Gestalten nicht schwer zu finden. Niklas saß mit knallroten Augen wie ein Häuflein Elend auf einer Treppe. Max lag zusammengekauert auf seinem Schoß und schnarchte mit zwei Straßenpfosten im Arm vor sich hin.

„Na endlich. Warum hast du so lange gebraucht?“, raunte Niklas schläfrig. Was für eine freundliche Begrüßung ...

„Du weißt schon, dass ein Kind neben mir im Bett schläft, wenn du mich mitten in der Nacht anrufst, oder?“, fauchte ich meinen Kumpel an.

Niklas druckste unschuldig herum, nickte aber schließlich mit dem Kopf.

„Und warum rufst du dann ausgerechnet einen Familienvater an?“

„Alle anderen haben nicht gehört.“

Na prima! Ich war also wieder mal der Depp vom Dienst.

„Also, auf geht’s: Einsteigen!“

Erschöpft rappelte sich Niklas auf und schleifte Max unsanft hinter sich her.

„Ich soll dir übrigens von Annika ausrichten, dass sie dich entweder wie in alten Schulzeiten verhaut oder umbringt.“

Bildete ich mir das nur ein, oder sah Niklas plötzlich noch ein wenig blasser aus?

Nachdem wir Max mitsamt den beiden Straßenpfosten, an denen er sich vehement festklammerte, auf dem Rücksitz angeschnallt hatten, konnte ich endlich losfahren. Ich stellte mich auf eine langweilige Fahrt durch die sternenklare Nacht ein. Aber Niklas erwies sich selbst im Vollrausch noch gesprächiger als mein Radio.

„Euch ist schon klar, dass wir morgen um 10 Trainingsauftakt haben, oder?“, erkundigte ich mich vorwurfsvoll.

„Na und?“

„Naja, ich mein ja nur. Neuer Trainer, erster Eindruck und so …“

„Der Karl wird schon noch lernen, dass es in der Kreisklasse anders zugeht als in der Landesliga“, fand Niklas leichthin.

„Kennst du ihn denn näher?“

„Wer kennt den Karl nicht. Eine echte Legende in Weiherfelden!“

Ich selbst hatte unseren neuen Coach Karl Adler noch nie getroffen. Aber ich hatte viel von ihm gehört und war zum Zerreißen gespannt. Er war erst 33 und vergangene Saison noch als Kapitän in der Landesliga aufgelaufen. Keine Frage, der neue Spielertrainer war mit Sicherheit eine große Verstärkung für unsere Mannschaft.

„Und die anderen Neuzugänge?“

„Der Schorsch ist auch eine Granate. Und ein oder zwei der Jugendspieler haben schon auch was drauf.“

Konnten wir diesmal also endlich um den Aufstieg mitspielen? Die erfahrenen Verstärkungen machten definitiv Hoffnung! Unser eingespieltes Team musste in den vergangenen Jahren kaum Abgänge verkraften. Natürlich hatte sich der eine oder andere Spieler aus Altersgründen in den wohlverdienten Ruhestand in die Altherrenmannschaft verabschiedet. Allen voran der altgediente Libero Klaus Meier. Aber ansonsten war es der Vereinsführung gelungen, den Kern unserer Elf zusammenzuhalten.

Ich ließ meine Gedanken schweifen und blendete Niklas’ immer sinnloser werdendes Geplapper aus. Ich freute mich auf die nächste Saison beim TSV Weiherfelden. Trotzdem wäre ich in der Sommerpause beinahe in Versuchung geraten. Neben attraktiven Angeboten aus der Bezirksliga war Annikas Vater mir unablässig in den Ohren gelegen.

Unser Start war besser gewesen, als ich es erwartet hatte. Beim ersten Treffen hatte ich geschlottert vor Angst. Ein Weiherfeldener Fußballer, der bei einem One-Night-Stand die Tochter eines eingefleischten Obsthofeners geschwängert hatte, war so ziemlich der größtmögliche Affront, den man sich in Franken leisten konnte. Aber vermutlich hatte es ihm doch imponiert, dass ich mich um das gemeinsame Kind kümmerte, dass ich seine Tochter nicht im Stich ließ. Nach anfänglicher Skepsis hatte er mich als Schwiegersohn in spe akzeptiert. Und es funktionierte gar nicht schlecht. Zumindest solange kein Fußballspiel zwischen Weiherfelden und Obsthofen auf dem Programm stand.

Doch das hatte sich nun erstmal erledigt. Während wir im sicheren Mittelfeld gelandet waren, war der SV Obsthofen in der Vorsaison ruhmreich in die Kreisliga aufgestiegen. Eine passende Gelegenheit für Annikas Vater, mir wieder mit seinem Anliegen auf die Nerven zu gehen, doch endlich nach Obsthofen zu wechseln. Kreisliga … Das hörte sich schon attraktiv an. Raus aus dieser rustikalen Kreisklasse Nord. Einen sauberen, gepflegten Fußball spielen. Sie hatten mir sogar ein monatliches Handgeld geboten, das ich während meinem Studium gewiss gebrauchen konnte. Ein kleines Kind war teuer. Annika und ich waren stets knapp bei Kasse.

Aber es war faszinierend, was drei schöne Jahre im Herzen Oberfrankens aus einem Menschen machten. Ich fühlte mich wie ein waschechter Weiherfeldener, ein Hamburger Jung, der in seinem Herzen schon immer Oberfranke gewesen war. Ein Wechsel zum SV Obsthofen käme einem Hochverrat gleich. Ich wollte meine Mannschaft nicht im Stich lassen. Und gute Freunde wie Stefan, Niklas und Max nicht vor den Kopf stoßen, indem ich zum Erzfeind überlief.

Hundemüde half ich Niklas, den völlig weggetretenen Max Hölzelein in seine kleine Wohnung zu schleppen. Wir legten ihn fürsorglich auf dem Schuhschränkchen in der Garderobe ab, wo er sich schmatzend an die beiden Straßenpfosten klammerte und selig weiterschlief.

Endlich war ich auch Niklas und seine nimmermüde Klappe los und konnte mich wieder neben Annika und Timo ins warme Bett kuscheln. Ein harter Tag erwartete mich. Der Wetterbericht hatte für den Trainingsauftakt einen glühend heißen Sonntagvormittag vorhergesagt. Ich brauchte dringend Schlaf! Und den sollte ich bekommen. Zumindest eine halbe Stunde lang. Dann hüpfte plötzlich ein quietschfideler kleiner Mann auf mir herum und rief: „Papi! Aufstehen! Timo wach.“

Und in Annikas schadenfroher Miene erkannte ich alles, nur kein Mitleid.

Wenige Stunden später stand ich verschlafen vor dem Weiherfeldener Sportgelände, betrachte lächelnd den stolzen Schriftzug über der Eingangstür des Sportheims, in dem wir so viele lustige Momente erlebt hatten. Ja, hier war ich zu Hause. Hier wollte ich spielen. Mit dieser Truppe musste ich den Aufstieg in die Kreisliga schaffen.

Ich öffnete die Tür. Ein kleingewachsener Mann Mitte 30 mit einem mächtigen Brustkorb wie ein Bär trat gerade aus dem Wirtschaftsraum und schlenderte die Treppe hinab. Mit einem schelmischen Schmunzeln musterte er mich. Plötzlich stürzte er. Mir stockte der Atem. Kopfüber fiel er die Treppe herunter. Zwei Stufen, drei Stufen, vier Stufen. Er überschlug sich. Oh mein Gott!

Als er mit mehreren Purzelbäumen die komplette Treppe hinabgestürzt war, blieb er regungslos am Boden liegen. Kreidebleich starrte ich ihn an. War er tot? Oder schwer verletzt? Voller Panik rannte ich zu ihm. Niklas und Harald lugten mit fragenden Blicken aus der Toilette, wo sie ihren „Angstwiss“ vor dem Trainingsauftakt hinter sich gebracht hatten. Stirnrunzelnd schüttelten sie den Kopf und machten keinerlei Anstalten, dem Mann zu helfen. Was war nur los mit ihnen? Sie konnten ihn doch nicht einfach so liegen lassen! Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Mein Erste-Hilfe-Kurs aus dem Zivildienst war vor Schreck vergessen. Aufgeregt sprach ich den Mann an: „Hallo? Ist alles in Ordnung? Können Sie mich hören?“

Das Herz hämmerte in meiner Brust. Da, er bewegte sich! Verwegen grinsend blickte er mich an: „Na klar. Alles in Ordnung.“

Lachend stand er auf, schnappte sich seine Sporttasche und eilte prustend in die Umkleidekabine, um sich dort für das Training fertigzumachen.

Wie vom Blitz getroffen blieb ich zurück. Was war das denn jetzt gewesen? Ich kannte den Mann nicht, hatte aber von einem zweiten renommierten Neuzugang gehört: Georg Weiler. Auch er war ein Eigengewächs aus der Weiherfeldener Jugend, der es bis in die Zweite Bundesliga geschafft hatte. Zuletzt hatte er mit unserem neuen Trainer Karl Adler in der Landesliga gespielt und war seinem Ruf gefolgt, gemeinsam zum Heimatverein zurückzukehren. Endlich löste ich mich aus meiner Schreckensstarre, griff kopfschüttelnd nach meiner Sporttasche und folgte unserem durchgeknallten Neuzugang in die Kabine.

Dort herrschte wie immer reges Treiben. Die Spieler, allen voran Niklas Dinger, plapperten wie die Wasserfälle. Ein großgewachsener, schlaksiger dunkelhaariger Mann mit einem auffälligen Schnurrbart stand in angespannter Erwartung in kurzer Hose und Trikot an der Eingangstür. Das musste unser neuer Trainer sein.

Hastig zog ich mich um. Ich konnte den Trainingsauftakt kaum erwarten. War der Jugendspieler Kevin Mai wirklich so gut, wie es seine 50 Saisontore in der A-Jugend vermuten ließen? Konnte ich mit den beiden neuen Landesligaspielern mithalten? Würde es der ebenfalls aus der eigenen Jugend zu uns gestoßene Torwart Alfred Escher schaffen, dem etablierten Stammtorwart „Rumpelstilzchen“ Andreas die Hölle heiß zu machen? Bei so vielen hoffnungsvollen Neuzugängen musste sich jeder von uns neu beweisen, vor allem bei einem neuen Trainer, bei dem jeder wieder bei Null begann.

Ich schnürte meine Fußballschuhe zu, griff nach einem Ball und eilte die Treppe hinauf. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel. Der Platz war in einem guten Zustand. Zufrieden sog ich die warme, sanft nach Gras duftende Luft in meine Nase. Alles war angerichtet für einen großartigen Trainingsauftakt.

Alle Spieler waren bis in die Haarspitzen motiviert. Nach dem obligatorischen lockeren Fünf-gegen-Zwei Aufwärmspiel, in Franken „Eckla“ genannt, drehten wir ein paar Runden um den Platz und dehnten uns. Dann ging es los.

Im Trainingsspiel war gehörig Feuer! Ein neuer Trainer. Eine neue Saison. Das beflügelte. Jeder wollte sich zeigen. Insbesondere die jüngeren Spieler und die nicht in Weiherfelden geborenen wie Stefan Schmidt oder ich, die der neue Coach heute zum ersten Mal spielen sah. Der erste Eindruck zählte. Und wir alle wollten Karl Adler zeigen, was wir drauf hatten.

Es spielte die etablierte erste Mannschaft aus der Vorsaison gegen die zweite Mannschaft, in der sich alle Neuzugänge wiederfanden. Und das machte es zu einem ausgeglichenen Duell.

Auch Perspektivspieler Max Hölzelein war im Training für gewöhnlich auf dem Niveau eines gestandenen Erstmannschaftsspielers. Sein Problem war, wie bereits vor drei Jahren, sein ausschweifender Lebenswandel am Wochenende. An Sonntagen war er generell nicht zu gebrauchen. In diesem Spiel aber machte er uns im defensiven Mittelfeld das Leben schwer. Georg Weiler entpuppte sich als bissige Kampfmaschine auf dem Flügel. Er gewann nahezu jeden Zweikampf. Mein Freund Niklas hatte einen harten Vormittag gegen diesen erfahrenen Gegenspieler. Mit unbändiger Kraft, einer beeindruckenden Schnelligkeit für einen Mann Mitte 30 und einem feinen Fuß für Flanken und Freistöße, war Georg ein ständiger Unruheherd. Sein martialischer Sturz an der Sportheimtreppe schien ihn in keiner Weise zu beeinträchtigen.

Und Karl Adler war die erwartete Granate. Er zog hinter den Spitzen die Fäden, zeigte sich als spielstarker und torgefährlicher Anführer. Ein Spielertrainer, wie ihn sich jede Kreisklassen-Mannschaft wünschte. Doch am meisten zu schaffen machte uns der junge Kevin Mai auf dem linken Flügel. Der ging dort ab wie eine Rakete. Sein Antritt war der Wahnsinn. Und mit seinem starken linken Fuß feuerte er aus allen Rohren.

Aber wir steckten nicht auf. Harald Gepard rannte sich die Pferdelunge aus dem Leib. Niemand von uns wollte sich die Blöße geben, gegen die zweite Mannschaft den Kürzeren zu ziehen. Ich selbst warf mich wie ein Berserker in jeden Zweikampf und stand dem neuen Coach giftig auf den Füßen. Unsere Bahnen auf dem Feld kreuzten sich nicht selten. Ich wollte ihn höchstpersönlich spüren lassen, dass es kein Vergnügen war, gegen mich spielen zu müssen. Dominik Prien warf sich todesmutig in Kevins Schüsse. Michael Meister setzte sich gewohnt kantig gegen die überforderte Abwehr unserer zweiten Mannschaft durch. Es war ein offener Schlagabtausch. Und die beiden Torhüter nahmen sich nichts. Nachdem Alfred Escher einen fulminanten Schuss von Stefan Schmidt entschärft hatte, konnte Andreas Stieler diese Herausforderung nicht auf sich sitzen lassen. Zum ersten Mal seit Jahren schien er einen gleichwertigen Konkurrenten zu haben. Rumpelstilzchen war in Weiherfelden eine Legende. Doch er wusste um seine gelegentlichen Aussetzer. Ein ebenso reaktionsstarker Torwart, der sich nicht so viele Leichtsinnsfehler leistete, konnte eine ernste Bedrohung für ihn darstellen. Andreas hechtete sich nach jedem noch so aussichtslosen Ball. Und nach jeder Wahnsinnsparade blickte er mit gefletschten Zähnen zu seinem Kontrahenten Alfred.

Das Spiel endete 4-4. Karl Adler war zufrieden. „Starke Leistung, Männer. Ich habe mich nicht in euch getäuscht. Ihr bringt alles mit, um diese Saison endlich oben mitzuspielen. Wir werden die nächsten Wochen hart trainieren. Wenn ihr alle mitzieht, sind wir am Ende der Vorbereitung topfit. Und dann muss uns in dieser Klasse erstmal jemand schlagen!“

Das Ziel war klar. Die Ambitionen hoch. Ich dachte an mein allererstes Training in Weiherfelden zurück, vor exakt drei Jahren. Damals hatte ich auch damit gerechnet, dass wir mit etwas Glück um den Aufstieg mitspielten. Am Ende schrammten wir nur ein Haar am Abstieg vorbei. Die Kreisklasse Nord hatte ihre eigenen Gesetze. Das hatte ich inzwischen schmerzlich gelernt. Aber mit diesen Neuzugängen war mehr drin als nur ein Platz im gesicherten Mittelfeld. Ich war euphorisch. Und an den leuchtenden Augen meiner Mitspieler erkannte ich, dass es ihnen genauso ging.

„Ich hatte wirklich gedacht, dass ich einen Notarzt rufen muss“, sagte ich in der Dusche zu Georg Weiler.

„Jaja, bei neuen Leuten funktioniert das immer wieder.“

Ich verstand nicht recht, was er meinte. Offensichtlich hatte er die vielen Fragezeichen in meinem Gesicht gesehen.

„Ich arbeite als Stuntman. Und Treppen runterpurzeln, um Leute zu erschrecken, die mich noch nicht kennen, ist sozusagen ein Hobby von mir.“

Am liebsten hätte ich ihn in der Dusche umgegrätscht. Ich hatte mir ernsthaft Sorgen um ihn gemacht! Meine Kollegen grinsten schadenfroh. Die spinnen, die Franken!

Nach dem Training gab es ein Mittagessen für die Mannschaft. Anschließend setzten wir uns zusammen und tranken noch ein oder zwei Bier. Bis auf Max Hölzelein schüttete keiner einen halben Kasten in sich hinein. Schließlich wollte man beim neuen Trainer nicht gleich zu Beginn der Saison einen schlechten Eindruck hinterlassen. Max waren solche Überlegungen wie immer fremd. Er lallte fröhlich durch die Gegend und stellte von Beginn an klar, dass er keine Ambitionen auf einen Stammplatz in der ersten Mannschaft hegte.

Ich selbst seilte mich relativ früh ab. Es war Sonntag, und ich wollte noch etwas Zeit mit meiner Familie verbringen. Annika und ich wohnten nun seit gut zwei Jahren zusammen. Und wir waren sehr glücklich miteinander. Unser Sohn Timo war beinahe zwei Jahre alt. Wie lebten übergangsweise in einer kleinen Kellerwohnung im Haus meiner Eltern. Es war gar nicht so einfach gewesen, Annika von einem Umzug nach Weiherfelden zu überzeugen. Doch es war die beste und vor allen Dingen kostengünstigste Variante. Und ein erster Meilenstein in meinem Geheimplan, dass Timo in jedem Falle ein Weiherfeldener Fußballtrikot tragen und kein abtrünniger Obsthofener werden sollte.

Ich war fertig vom anstrengenden Training, dessen Intensität ich nach der Sommerpause nicht mehr gewohnt war. Aber Kinder kennen keine Gnade. Zwei volle Stunden musste ich noch auf dem Fußboden herumkriechen und Eisenbahn spielen. Aber die Freude in Timos Augen war es allemal wert. Nachdem wir zu Abend gegessen hatten, brachte ich den kleinen Mann ins Bett. Ich las ihm eine Geschichte vor, kuschelte mich an ihn, bis er eingeschlafen war, und verließ anschließend mit dem Babyfon bewaffnet das Zimmer.

Annika war im Badezimmer. Sie hatte sich ein heißes Entspannungsbad eingelassen. Erwartungsvoll spitzte ich ins Bad. Und ich wurde nicht enttäuscht. Annika lag nackt im Badewasser und las ein Buch. Sie hatte mir vom ersten Tag an den Kopf verdreht. Wie sonst sollte man es sich erklären, dass ich mit einer Frau zusammen war, die mich bei unserem ersten Treffen halbnackt ans Bett gefesselt hatte und dann fluchtartig abgehauen war. Bei ihrem Anblick wurde mir ganz heiß. Ich stellte mich neben die Badewanne, zog mein T-Shirt über den Kopf und blickte sie gierig an. Annika lächelte kopfschüttelnd und rückte ein wenig zur Seite, um mir zu signalisieren, dass noch Platz für mich war. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich streifte die Hose ab und sprang zu meiner Süßen in die Badewanne. Dort gab ich Annika einen langen, innigen Kuss. Gerade als ich beginnen wollte, mit meiner Hand ihre Brüste zu streicheln, zischte ein knackendes Rauschen durch die elektrisierte Luft.

„Paaaaapiiiii!“, rief eine dünne Stimme, die so süß war, dass man ihr selbst in diesem ungünstigen Moment nicht böse sein konnte. „Nochmal kommen! Wieder wach!“

DJK Dreientor – TSV Weiherfelden (Pokalspiel)

Wir hatten es uns in der kleinen Kellerwohnung gemütlich gemacht. Sie war schön eingerichtet. Viel Geld hatten wir nicht. Aber das wollten wir ändern. Annika arbeitete wieder einen Tag pro Woche bei der Bank. Wir planten, dass sie auf drei Tage aufstocken sollte, sobald Timo in den Kindergarten kommen würde. Und ich war Student. Doch nach den Sommerferien stand mein erstes Referendariat an. Das würde ein wenig Geld in die Kasse spülen. Und bald - nach Abschluss meines Studiums - wäre unsere Zukunft gesichert.

Das war auch bitter nötig. Denn mit jedem Tag entwickelte sich Timo weiter und entdeckte mehr von der Welt. Die winzige Wohnung im Keller meiner Eltern wurde uns zu klein. Es war offensichtlich, dass wir etwas unternehmen mussten. Da kam uns der Bausparer, von dem ich bis vor wenigen Wochen noch nichts gewusst hatte, gerade recht.

Meine Eltern hatten den Vertrag zu meiner Geburt abgeschlossen und gemeinsam mit den Großeltern stetig etwas einbezahlt. Der Bausparer eröffnete uns plötzlich neue Möglichkeiten. Annika hatte dank ihrer Tätigkeit in der Bank gute Beziehungen. Wir rechneten also mit einem günstigen Kredit. Mit der Aussicht auf mein künftiges Gehalt als Lehrer konnten wir etwas gegen die beengte Wohnsituation unternehmen.

Die ersten Kostenvoranschläge für einen Hausbau mit dem Kauf eines Bauplatzes holten meinen anfänglichen Enthusiasmus schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. Deshalb hatten wir einen Termin mit einem Bauzeichner vereinbart, um alternative Optionen zu besprechen.

„Ein Anbau ist immer etwas kompliziert. Aber der Platz ist da. Möglich wäre es."

„Wie genau würde man sowas denn angehen?"

„Man kann den Anbau lange Zeit autark hochziehen. In einem gewissen Rahmen. Irgendwann muss man dann einen Durchbruch machen. Das gibt etwas Dreck und Staub, aber das geht vorbei."

Wehmütig ließ mein Vater seinen Blick über den Hof und seinen geliebten Garten streifen:„Puh, wie viel Platz braucht denn so ein Anbau?"

„Das kommt ganz darauf an, wie man ihn gestaltet. Entweder wir bauen in den Hof raus, dann büßt ihr aber einiges an nutzbarer Hoffläche ein. Wenn ihr hingegen hinten Richtung Garten ausbaut, werdet ihr die Hälfte des Rasens verlieren. Mindestens. Was genau habt ihr euch denn vorgestellt?"

„Naja, das hängt davon ab, was alles machbar ist."

„Machbar ist immer alles. Es ist nur eine Frage des Geldes."

„Also ein unbegrenztes Budget haben wir schon mal nicht. Wir würden gern die Kellerwohnung miteinbeziehen. Die drei Zimmer, in denen wir aktuell wohnen, könnten zum Beispiel die künftigen Schlafzimmer sein."

Die Diskussion wurde immer detaillierter. Wir ließen uns zu den Vor- und Nachteilen eines Holzrahmenanbaus gegenüber einem klassischen Steinanbau beraten.

„Wenn ihr nicht eure Hoffläche oder euren Garten verlieren wollt, könnten wir die Hanglage etwas ausnutzen und den Anbau auf Stahlträgern im Garten aufsetzen. Dann habt ihr bei Regen ein Dach über dem Kopf und im Sommer Schatten.“

„Meinst du, das geht?“

„Klar. Wir können die aktuelle Wohnung zwei Meter nach außen erweitern, dann verliert ihr nur ein bisschen von der Rasenfläche. Und über ein Treppenhaus könnt ihr von den Schlafräumen in die Wohnräume gehen." Der Bauzeichner war sichtlich begeistert von seiner kreativen Idee. „Genau, und damit die Statik nicht ganz so teuer wird, lasten wir auf den Garagen ab. Das müsste funktionieren. Es trifft sich wirklich gut, dass ihr hinten im Garten noch die beiden Garagen habt."

So ganz konnte ich mir das Konzept noch nicht vorstellen. Aber er sagte uns zu, dass er ein paar Zeichnungen anfertigen würde. Das hörte sich schon mal gut an. Es fiel mir leider sehr schwer, mich in diese Bauplanung hineinzuversetzen. Schließlich konnte ich gerade mal einen Hammer oder einen Schraubenzieher halten. Ein junger Mann, der nach zehn Minuten Straßenfegen Blasen an den Fingern bekam, war nicht für große Eigenleistungen beim Hausbau geschaffen.

„Lasst mich mal ein oder zwei Vorschläge zu Papier bringen. Dann setzen wir uns nochmal zusammen. Aber ich glaube, die Idee wird gut. Und definitiv günstiger als ein kompletter Neubau inklusive Bauplatz."

Günstiger klang mit Blick auf unser klammes Konto sehr gut.

„Das hat sich doch vielversprechend angehört. Meinst du nicht?", sagte ich nach dem Termin zu Annika.

„Ja, es ist eine interessante Option."

Ihre Stimme klang alles andere als begeistert. Aber ich glaubte zu wissen, woran das lag. Es war das alte Thema …

„Ich kann doch nicht nach Weiherfelden ziehen! Was sollen meine Freundinnen von mir denken?"

„Du wohnst doch schon seit anderthalb Jahren in Weiherfelden."

„Genau! Und damit habe ich mein Exil abgesessen. Nun steht die Rückkehr in das gelobte Land an."

„Das gelobte Land", prustete ich. „Ein Volk von hinterlistigen Banditen seid ihr, die arme, unschuldige Fußballspieler nackt durch ihre Flure treiben."

„Besser als ein Volk von naiven Tröpfen, die das mit sich machen lassen."

Ich liebte ihren Humor, auch wenn sie mir das Leben mal wieder schwer machte. „Aber Weiherfelden ist nicht Sibirien. Was sollen denn meine Mannschaftskollegen sagen, wenn ich nach Obsthofen ziehe?“

„Aber du bist ein Preuße. Dir wird man das verzeihen."

„Im Herzen bin ich schon Franke! Und das ist, was zählt!", wehrte ich mich.

„Solange du den Senf noch ohne t schreibst, bist du kein Franke. Und einem heimatlosen Preußen kann es doch egal sein, ob er in Weiherfelden oder Obsthofen wohnt."

„Dann treffen wir uns eben auf neutralem Boden."

„Wir könnten nach Möhrich ziehen. Da hast du sicher viele Freunde, seit du vor sechs Wochen mit deinem Siegtor ihren Abstieg besiegelt hast", grinste sie bissig.

Warum zum Teufel ist dieses Teufelsweib nur so schlagfertig?

„Aber mal ehrlich … Ist es nicht einfacher, wenn wir Oma und Opa mit im Haus haben?"

„Wir können ja auch in Obsthofen anbauen."

„Wo sollen wir denn bei deinen Eltern anbauen? Auf dem Gehsteig?"

„Dann müssen wir eben ein eigenes Haus bauen."

„Und von was bezahlen wir den Bauplatz, Fräulein Bankkauffrau?"

Zum Glück kam Timo in dem Augenblick von seiner Oma zurück. „Hunger", piepste er.

Annika seufzte. „Die Verhandlungen sind damit noch nicht beendet, mein kleiner preußischer Freund", rief sie mir augenzwinkernd zu und kümmerte sich um Timos Abendessen.

Ich war verzweifelt. Das war wirklich eine harte Nuss. Nach Obsthofen ziehen? Ins Feindesland? Ich war froh, dass der SV Obsthofen endlich aufgestiegen war. Dann musste ich mir in den Derbys zumindest keine Anfeindungen wie „Frauendieb", „Hamburger Stricher" oder „Nackedei" mehr anhören. Irgendwie hatte das Obsthofener Publikum es mir übel genommen, eines ihrer schönsten Mädels weggeschnappt zu haben. Am Obsthofener Sportplatz war ich der Staatsfeind Nummer 1. Nein, nach Obsthofen würden mich keine zehn Pferde bringen. Aber was waren schon zehn Pferde gegen Annikas schlagfertiges Mundwerk?

Zumindest auf dem Fußballplatz standen alle Vorzeichen auf Erfolg. Die Vorbereitung verlief glänzend. Die Trainingseinheiten waren feurig, intensiv und abwechslungsreich. Und in den ersten beiden Vorbereitungsspielen hatten wir unsere Gegner nach allen Regeln der Kunst zerlegt. Karl Adler hatte dabei fünf, Jugendspieler Kevin Mai vier Tore geschossen. Die erste Pokalrunde war angesichts dieser fulminanten Schützenfeste reine Formsache. Schließlich spielten wir gegen die DJK Dreientor. Unser Gegner lief zwar noch immer mit seinem bärenstarken, nimmermüden Spielertrainer auf, der wie ein Duracell-Hase über den Platz wetzte und Sturm, Mittelfeld und Liberoposten gleichzeitig beackerte. Aber an der tristen Situation um diesen funkelnden Stern herum hatte sich in den letzten drei Jahren nichts geändert. Dreientor spielte nach wie vor einen erbärmlichen Fußball.

Mein persönlicher Höhepunkt gleich zu Beginn der ersten Spielhälfte war ein kurz ausgeführter Freistoß. So etwas hatte ich mein Lebtag noch nicht gesehen. Nach einem Foulspiel am Dreientorer Spielertrainer kurz vor der Mittellinie stand ein unbeholfener Rumpelfußballer mit wallendem blonden Haar in der Nähe des Balls. Wie man es in den höheren Spielklassen lernt, schaltete der Spielertrainer sehr schnell. Kaum wieder auf den Beinen, sauste er wieselflink auf seinen Mitspieler zu, um sich anzubieten.

„Spiel mich kurz an“, rief er ihm zu. Der blonde Spieler wusste, was von ihm erwartet wurde. Angestrengt nahm er seinen Trainer ins Visier, der nur noch fünf Meter von ihm entfernt war. Es hätte ausgereicht, den Ball leicht anzutippen, und schon hätte ihn der Spielertrainer mitnehmen können.

Dann trat der Kerl gegen den Ball. Die Kugel donnerte gut fünfzehn Meter entfernt gegen die Bande im Seitenaus. Einige Zuschauer prusteten vor Lachen. Uns Spielern hatte es die Sprache verschlagen.

Wie angewurzelt stand der frustrierte Spielertrainer an seinem Platz, fünf winzige Meter neben seinem filigranen Mannschaftskollegen. Seufzend setzte er sich wieder in Bewegung und kehrte auf den Liberoposten zurück. Er hatte wohl schon lange genug mit den Talenten des DJK Dreientor trainiert, um durch nichts und niemanden mehr aus der Bahn geworfen zu werden.

Ich bewunderte den Spielertrainer für seine stoische Ruhe. Geduldig nahm er Fehlpass um Fehlpass hin, wirbelte unermüdlich weiter und kämpfte, als glaubte er tatsächlich daran, dass er ganz allein das aussichtslose Spiel aus dem Feuer reißen konnte.

Karl Adler hatte siegessicher eine junge erste Elf aufgeboten und mit Georg Weiler und sich selbst zwei absolute Leistungsträger geschont. Natürlich hätten wir selbst mit unserer kompletten zweiten Mannschaft gegen Dreientor gewinnen müssen. Aber manchmal gibt es Tage im Fußball, da geht einfach gar nichts zusammen.

In einer kläglichen Partie legten wir eine erbärmliche Chancenverwertung an den Tag. Drei Pfostenschüsse, einmal Latte, fünfmal aus aussichtsreicher Position den Torwart angeschossen, ohne dass dieser Blinde auch nur im Entferntesten etwas dafür konnte. Unser altes Unvermögen war zurück!

Erinnerungen wurden wach, an die frustrierende Saison von vor drei Jahren, als der Klassenerhalt bis zum letzten Spieltag am seidenen Faden hing. Was war nur los mit uns? Durch einen unnötigen Elfmeter verloren wir gegen diese aus zehn Totalausfällen bestehende Mannschaft mit 0-1.

Karl Adler schäumte vor Wut. Der gute alte Spielleiter Willi, noch immer Herz und Seele unseres ruhmreichen Vereins, beschimpfte uns Spieler mit zornesrotem Kopf in einer Art und Weise, die er sich sonst für die gegnerischen Fans vorbehielt: „Ihr daaben, unfähigen, faulen Säcke! Seid ihr eserten Vollpfosten noch bei Trost? Gegen Dreientor aus dem Pokal auszuscheiden! Euch sollte man an euren Schnürsenkeln aufknüpfen!" Ich vermute, das waren noch die nettesten Worte, die Willi an jenem Tage für uns übrig hatte. Der Rest war mir noch zu fränkisch. Die unerschöpfliche Vielfalt der Flüche aus Willis Mund brachten mich noch immer zum Verzweifeln.

Zurück in der Umkleidekabine herrschte Grabesstille, ehe der neue Trainer das Wort an Martin „Lupo“ Kruse richtete. „Was ist nur los mit dir? Du kannst doch den Stürmer nicht umholzen, wenn der Ball schon zehn Meter weg ist!"

„Ich hab gedacht, ich erwisch den Ball noch", wollte sich dieser rechtfertigen. Und erntete nur ungläubige Blicke von unserem neuen Coach.

„Aber der Ball war schon seit Sekunden mehrere Meter weg …Wie wolltest du den noch erwischen?"

Niklas, Harald und ich blickten uns an. Es kostete uns große Mühe, ein unangebrachtes Grinsen zu vermeiden. Jeder Ausdruck von Freude war an diesem Tag absolut unpassend. Karl Adler würde sicher noch viel Spaß mit dem ungelenken Verteidiger Martin haben. Wir blinzelten uns stumm zu und machten eine geistige Notiz, Karl beim nächsten Training über Martins fragwürdiges Reaktionsvermögen aufzuklären.

„Dann sind wir also aus dem Pokal ausgeschieden", stellte Karl trocken fest. „Morgen Training!“, knurrte er. „Ohne Ball!"

Und damit verließ er die Kabine. Es war alles gesagt. Auch die Zuschauer grummelten und machten keinen Hehl aus ihrer Unzufriedenheit. Allen voran der Regisseur: „Ich hab’s doch gleich gesagt. Ein guter Spieler ist nicht automatisch auch ein guter Trainer!", polterte er. „Selbst ein genialer Fußballer wie Alfredo Di Stéfano hat sich als Trainer hartgetan. Findet ihr es nicht auch anmaßend von Karl, dass er glaubt, nur weil er aus der Landesliga kommt, kann er diese Mannschaft trainieren?"

Ganz so pessimistisch sahen es die anderen Zuschauer nicht. Bislang waren die Ergebnisse doch gar nicht so schlecht gewesen. Doch der Regisseur war nicht zu bremsen: „Merkt euch meine Worte: Der kann froh sein, wenn er den ersten Spieltag noch erlebt. Vom Hof gejagt hätte man solche Leute früher, wenn man gegen so einen Gegner aus dem Pokal fliegt. Da muss der Trainer einfach die Verantwortung übernehmen! Und da hilft es uns gar nichts, dass er ein guter Fußballer ist. Ein Trainer ist das nicht. Da muss man die Mannschaft schon weiterentwickeln, und motivieren, und ein gutes Training zusammenstellen. Das wird heuer wieder nichts. Wir können froh sein, wenn wir nicht absteigen!"

Der auf die bittere Niederlage folgende Tag war hart. Sehr hart sogar. Der enttäuschte Karl scheuchte uns zwei Stunden lang erbarmungslos über den Platz.

Doch am Samstag war der Zorn bereits verraucht. Im nächsten Testspiel hatten wir unseren chancenlosen Gegner mit 7-1 deklassiert. Und am Abend folgte der traditionelle Einstand der Neuzugänge, die gemeinsam ein Spanferkel und fünf Kästen Bier für ihre Mannschaftskollegen spendierten.

Wir stopften das zarte Fleisch mit den fränkischen Klößen in unsere hungrigen Mägen. Dann floss das Bier in Strömen. Es war ein typischer Abend im Weiherfeldener Sportheim: Feuchtfröhlich, ausschweifend und ganz schön einfallsreich, wenn es darum ging, die Bierquelle nie versiegen zu lassen.

„Verdammt, wir haben kein Freibier mehr." Es überraschte niemanden, dass Max Hölzelein derjenige war, dem der Mangel als Erster auffiel.

„Dann ist es an der Zeit, die Spielführer zu bestimmen."

Skeptisch blickten wir unseren Trainer an. Was hatte das damit zu tun? Und war jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt, mit einem Durchschnittswert von zwei Promille den Kapitän zu wählen?

„Ich habe mir schon meine Gedanken gemacht nach den ersten Wochen", kündigte Karl an.

Unsere Blicke durchbohrten den Coach. Normalerweise wurden die Spielführer in Weiherfelden von den Spielern gewählt. Offenbar war Demokratie in den höheren Ligen nicht üblich.

„Ich weiß, ein guter Trainer hätte das vorher mit euch abgestimmt. Aber ich bin kein guter Trainer." Was wollte er uns mit dieser Rede nur sagen? War er schon so voll, dass er sich vor versammelter Mannschaft um Kopf und Kragen redete?

„Ich bin ein sehr guter Trainer!", ergänzte Karl lachend. Aha. Na dann ist ja alles gut.

„Kapitän bleibt Harald. Zweiter Kapitän: Georg Weiler. Dritter Kapitän: Marco Tanner."

Dritter Kapitän? In meinem jungen Alter? Was für eine Ehre!

„Irgendwelche Einwände?"

Die Mannschaft war still.

„Dann ist es beschlossen. Erster Kapitän: drei Kästen Bier Einstand. Zweiter Kapitän: zwei Kästen. Dritter Kapitän: ein Kasten. Zahlbar sofort und ohne Abzug!"

Wir hatten also wieder Bier. Verdammt, und mein Geldbeutel war doch so schon klamm genug!

Aber wir waren keine gewöhnliche Mannschaft. Wir waren der TSV Weiherfelden! Und sechs Kästen Bier reichten uns nicht lange. Nicht an jenem Abend. Als die nächste Biernot ausgebrochen war und Max schon am Rande des Zusammenbruchs wegen fortgeschrittener Unterhopfung war, hatte Willi die zündende Idee.

„Achtung bitte. Ich habe etwas zu verkünden. Aufgrund seiner hervorragenden Verdienste im Sportheim des TSV, schlage ich den Regisseur für das Amt des Ehrenspielführers vor!"

Entgeistert starrten wir Willi an. War unser Spielleiter denn von allen guten Geistern verlassen? Ehrenspielführer? Der Regisseur? Seine einzigen bekannten Verdienste waren, dass er sein ganzes verdientes Geld vollumfänglich in die Kasse des TSV-Wirtschaftsbetriebs weitergab. Willi war doch nicht ganz dicht!

Wie vom Donner gerührt erhob der Regisseur den Blick von seinem Bierglas. Er hatte Tränen in den Augen. Ehrenspielführer! Er würde der Uwe Seeler, Franz Beckenbauer und Lothar Matthäus des TSV Weiherfelden in einem sein! Gerührt erhob er sich von seinem Platz und sagte mit bebender Stimme: „Ich nehme diese ehrenvolle Wahl an!"

Feierlich schritt Willi zu ihm, schüttelte ihm die Hand und verkündete mit einem diabolischen Grinsen: „Ehrenspielführer Regisseur: Vier Kästen Bier Einstand!"

Da wussten wir, dass unser Spielleiter ein Genie war.

FSV Eggenheim – TSV Weiherfelden (1. Spieltag)

Der Rest der Vorbereitung verlief glänzend. Bis auf den Ausrutscher in Dreientor hatte unsere Mannschaft mit klaren Siegen gegen stark eingeschätzte Gegner von sich reden gemacht. Bei einer Umfrage unter den Spielleitern aller fünfzehn Mannschaften der Kreisklasse Nord in der regionalen Tageszeitung waren wir somit eine von fünf Mannschaften, die als Favoriten gehandelt wurden.

Der erste Spieltag beim FSV Eggenheim war die Stunde der Wahrheit. Wir kannten den Gegner. Es war ein alter Bekannter in der Kreisklasse Nord. Sie hatten den Rennelefanten in ihren Reihen. Doch ansonsten war die Mannschaft nur Durchschnitt. Jeder erwartete drei Punkte von uns.

Dennoch schwebte die peinliche Torflaute gegen die DJK Dreientor wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen. Der neue Trainer wollte vorbeugen, um zu vermeiden, dass wir auch am 1. Spieltag erfolglos gegen ein Abwehrbollwerk anrannten. Seine Nervosität führte zu ungewöhnlichen Trainingsmaßnahmen.

„Was uns vor dem Tor fehlt, ist Selbstvertrauen! Es ist keiner von euch dabei, der es fußballerisch nicht fertig bringt, den Ball aus fünf Metern Entfernung im leeren Tor unterzubringen. Aber trotzdem ist uns das gegen Dreientor nicht gelungen! Wir dürfen beste Chancen nicht achtlos liegen lassen! Das ist fahrlässig, und so verschenken wir unnötig Punkte. Das müssen wir verbessern!“

Karl hatte sich deshalb für das Abschlusstraining vor dem Saisonauftakt eine Maßnahme überlegt, unser Selbstvertrauen vor dem Tor zu steigern und die Erfahrung im Umgang mit klaren Torchancen zu erhöhen. Wir Feldspieler fanden diese Übung cool. Es machte so richtig Spaß.

Nur unsere armen Torhüter waren alles andere als begeistert. Andreas Stieler schimpfte wie ein Rohrspatz. Sein junger Herausforderer Alfred Escher traute sich nichts zu sagen, schüttelte aber skeptisch und resigniert den Kopf. Denn diesmal wurden die Reflexe unserer Torwarte auf eine ungewöhnliche Art getestet. Es kam nicht mehr so sehr darauf an, die Bälle zu halten. Vielmehr wurden die Reflexe dazu benötigt, den Kopf rechtzeitig aus der Schusslinie zu bekommen.

Der Trainer hatte Volleyschießen aus fünf Metern Entfernung angeordnet. Das spielte sich in etwa so ab: Torwart Andreas stand mit schlotternden Knien in seinem Kasten. Trainer Karl positionierte sich mit einem Haufen Fußbällen neben dem Pfosten. Und wir Spieler stellten uns in Reih und Glied am Fünfmeterraum auf, der, wie der Name schon sagt, nur fünf Meter von der Torlinie entfernt ist. Dann warf der Coach uns die Bälle halbhoch zu, und wir hatten die lustige Aufgabe, die Kugel aus der Luft abzufassen und mit aller Gewalt in Richtung Tor zu hämmern.

Andreas und Alfred versuchten erst gar nicht, diese Schüsse zu parieren. Die Armen hatten viel mehr damit zu tun, nicht von den Schüssen zwischen die Beine, ins Gesicht oder in den Bauch getroffen zu werden. In den folgenden fünfzehn Minuten hauten wir Andreas und Alfred die Bälle regelrecht um die Ohren. Bei jedem Schuss, der unser Rumpelstilzchen auch nur streifte, stapfte Andreas wild schnaubend, schimpfend und unseren Coach verfluchend auf seiner Torlinie herum. Aber es half alles nichts. Trainer Karl war gnadenlos. Ob wir uns dadurch wirklich Selbstvertrauen holten, kann ich bis heute nicht sagen, aber allen bis auf die bemitleidenswerten Torhüter hatte es zumindest höllischen Spaß gemacht.

„Heute zählt es, Jungs“, begann Karl am folgenden Sonntag seine erste Punktspielansprache in der Kabine. „Wir haben gut gearbeitet. Jetzt müssen wir die Früchte unserer Arbeit ernten. Ich kenne diesen Gegner nicht, habe lediglich von Willi gehört, dass sie einen schnellen, robusten Angreifer haben. Dominik, um dem kümmerst du dich bitte. Martin, du hältst dich von ihm fern! Vor allem im Strafraum. Keine unnötigen Fouls.“

Wir grinsten hinter vorgehaltenen Händen. Mit Martin würde Karl sicher noch seinen Spaß haben.

„Das ist unsere Startelf: Andi, du stehst im Tor. Wie spielen wie in der Vorbereitung mit Viererkette: Harald als rechter Außenverteidiger, Niklas als linker Außenverteidiger. Dominik und Martin in der Innenverteidigung. Auf der Sechs: Marco. Rechter Flügel: Georg. Linker Flügel: Kevin. Macht ihnen über die Außen die Hölle heiß!“

Karl schritt zur Taktiktafel an der Wand und schob einige Magneten hin und her. „Wenn die Außenverteidiger nach vorne ziehen, lasst euch in die Viererkette fallen. Wir wollen kein Risiko eingehen, früh in Rückstand zu geraten. Ganz vorn in der Mittelfeldraute werde ich spielen. Stefan und Michael sind die beiden Stürmer. Ich erwarte, dass wir das Spiel kontrollieren. Keine leichtfertigen Ballverluste! Disziplin, die Positionen halten, viel Laufarbeit und Bewegung. Wenn wir unser volles Potenzial ausschöpfen, haben wir hier nichts zu befürchten. Auf geht’s. Macht euch warm und konzentriert euch!“

Wir machten ein gutes Spiel. Schnell führten wir 2-0. Durch einen leichtsinnigen Fehlpass in der Abwehr kam Eggenheim zwar kurzzeitig auf 1-2 heran, aber wir ließen uns davon nicht aus der Ruhe bringen. Die Erfahrung von Georg und Karl tat uns sichtlich gut. Doch es war der Jüngste im Kader, der das Schicksal der Gastgeber besiegelte. Kevin Mai erzielte kurz nach dem Anschlusstreffer das 3-1. Es war sein dritter Treffer an jenem Tag. Nach dem Spiel tranken wir genüsslich zwei Bier im Eggenheimer Sportheim auf unseren Sieg. Ein 3-1 zum Auftakt war ein gutes Ergebnis. Vor allem auswärts. Es gab uns Sicherheit. Und der dreifache Torschütze Kevin Mai strotzte nur so vor Selbstbewusstsein.

„Ronaldo!“, rief Niklas überschwänglich und streckte Kevin feierlich sein Glas entgegen. Tatsächlich hatte uns Kevin an diesem Tag an den jungen Cristiano Ronaldo erinnert: pfeilschnell, trickreich und mit einem bärenstarken Torabschluss. „Ronaldo“, prosteten wir ihm immer wieder zu. Nach dem zweiten Bier stimmte Kevin endlich in die Rufe mit ein.

Im Sportheim in Weiherfelden sollte die Feier weitergehen. Es herrschte eine riesige Euphorie. Viele Zuschauer saßen bereits im Sportheim, als wir wie die Könige in den Wirtschaftsraum einzogen. „Ronaldo!“, brüllten wir immer wieder aus Leibeskräften. Das Bier floss in Strömen. Und nach einigen weiteren Gläsern war Kevin, der auf dem Platz nur so vor Kraft und Energie strotzte, nur noch ein Häuflein Elend.

„Raldo!“, lallte er immer wieder. Denn Ronaldo konnte er nicht mehr aussprechen. Und so sollte ihm der Spitzname Raldo von jenem Tag an Zeit seines Lebens bleiben.

Die Feierlichkeiten zu unserem ersten Saisonsieg wurden immer ausschweifender. Ein alter Mannschaftskollege saß mit am Tisch: Bernd Hagen. Er hatte seine Karriere im Alter von 27 Jahren beendet. Für die Altherrenmannschaft war er zu jung, für die erste Mannschaft in unserer neuen Besetzung zu langsam. Dabei war er so ein genialer Fußballer. Was für eine Verschwendung! Aber er hatte sich schon an seine neue Rolle gewöhnt: der nächste Klugscheißer am Spielfeldrand.

„In eurer neuen Mannschaft ist schon ganz schön Tempo drin, das muss ich sagen. Aber die Technik ist euch aweng abhandengekommen. Nur Rennen bringt halt auch nichts! Man muss auch was mit dem Ball anzufangen wissen. So wie ich früher! Bei so vielen guten Chancen hättet ihr doch mindestens fünf oder sechs Tore machen müssen. Leichtfertig umgegangen seid ihr damit. Die Technik macht’s, das sag ich euch!“

Wir blickten uns an und rollten mit den Augen. Er war schon beinahe so schlimm wie die alteingesessenen Legenden am Biertisch nach den samstäglichen Bundesligaspielen. Man musste sich fragen, ob er wirklich seine Fußballschuhe oder nicht vielmehr seinen Realismus an den Nagel gehängt hatte. Aber auf einen hanebüchenen Experten mehr oder weniger kam es in Weiherfelden nicht an. Die hatten wir zur Genüge.

Man hörte unseren frischgebackenen Ehrenspielführer Regisseur lautstark am Nachbartisch plärren: „Ich hab’s euch gleich gesagt: Man darf wegen eines verlorenen Pokalspiels nicht in Panik verfallen. Man muss einem neuen Trainer erst die Zeit geben, die er verdient. Und heute hat es der Karl bestätigt. Totgesagte leben länger! Ich hab’s schon immer gesagt. Aber keiner hört ja auf mich!“ So der Regisseur, der Karl Adler vor drei Wochen noch vor dem ersten Punktspiel mit Schimpf und Schande vom Hof jagen wollte. Nicht zu fassen!

Aber nach einem Auftaktsieg interessierte uns der Wahnsinn der Zuschauer nicht weiter. Wir sorgten dafür, dass der Don am Zapfhahn keine ruhige Minute hatte. Ein Bier folgte dem anderen, heisere Raldo-Rufe hallten durch das Sportheim. Und ehe wir uns versahen, war es bereits Mitternacht. Sorgenvoll blickte ich auf die Sportheimuhr. Annika würde mich erschlagen!

Und für den Fall, dass ich diese Nacht überlebte, wartete, wie immer wenn man spät ins Bett ging, schon früh um 6 Uhr ein kleiner Zwerg neben unserem Bett und wollte bespaßt werden. Seufzend trank ich mein Bier in einem großen Zug leer. Die anderen Mitglieder des harten Kerns musterten mich ungläubig: „Entweder du hast einen fulminanten Durst, oder du willst dich abseilen, Marco.“ Die vorwurfsvollen Blicke brachten mich völlig aus dem Konzept.

In Weiherfelden wehrte man sich nicht lange, wenn es darum ging, sich noch ein Bier zu holen. „Ach komm, Don. Eins wird schon noch gehen.“

Während der Don mir das nächste Bier einschenkte, schalteten meine Kollegen den Fernseher an. Es kam gerade Werbung: für Telefonsexnummern.

„Da wollte ich schon immer mal anrufen“, murmelte Niklas mehr zu sich selbst.

Der Rest der volltrunkenen Bande betrachtete ihn mit einem amüsierten Seitenblick: „Kennst du denn keine anderen Möglichkeiten, dich aufzugeilen?“

„Schon, aber es würde mich einfach mal interessieren. Was die so erzählen, wie lange sie einen hinhalten, wie dominant ihre Stimmen klingen…Nur für die Forschung, du weißt schon …“

Wir schüttelten einfach nur den Kopf und widmeten uns wieder den schäumenden Getränken.

„Scheiß drauf! Ich probier das jetzt mal aus.“ Niklas tippte die nächstbeste Nummer in sein Telefon ein und lauschte der lasziven Stimme.

„Naja, eigentlich … Interessieren würde mich das auch mal. Ich ruf mal eine andere Nummer an. Dann können wir unseren Erfahrungsbericht vergleichen“, meinte Max kurzentschlossen. Niklas und ihn sollte man nie gemeinsam in einem Raum lassen. Selten kam etwas Gescheites dabei heraus.

Und wie so oft ließen sich die Mannschaftskollegen von diesem Schwachsinn mitreißen. Die groteske Szene entwickelte eine seltsame Eigendynamik. Einer nach dem anderen zückte sein Handy und machte einen Testanruf bei der nächsten Nummer in der Werbung. Als ich der einzig verbliebene Spieler ohne Telefon am Ohr war, wurde mir dann doch etwas mulmig zumute. Insbesondere unter dem Einfluss von Bier war Gruppenzwang eine sehr gefährliche Angelegenheit.

Grummelnd zückte auch ich mein Handy und machte bei der blödsinnigen Aktion mit. Die Frau am anderen Ende des Telefons war weder freundlich, noch versprühte ihre Stimme eine erotische Ausstrahlung. Sie versuchte kläglich, zwanzig Jahre jünger zu klingen als sie vermutlich in Wirklichkeit war, und irgendwann legte ich gelangweilt auf.

Da war mir meine Annika zuhause tausendmal lieber. Auch wenn sie mich heute Nacht noch zur Sau machen würde, wenn ich so spät und in diesem Zustand im Bett aufschlug.

TSV Weiherfelden – TSV Kranz (2. Spieltag)

Das Fußballtraining beschränkte sich nicht nur auf die erste Mannschaft des TSV. Mein Sohn Timo war schon genauso fußballverrückt wie sein Papa. Tagein tagaus wollte er Fußball mit mir spielen. Und die Sommerferien gaben mir die Gelegenheit, seinen hohen Ansprüchen gerecht zu werden. Zu meinem blanken Entsetzen hatte sein Obsthofener Opa, Annikas Vater, ihn schon soweit beeinflusst, dass er immer der 1. FC Nürnberg sein wollte. Mir selbst war die Rivalität zwischen den Bayern- und den Club-Fans egal. Ich hielt zu meinem FC St. Pauli. Aber der 1. FC Nürnberg? Es musste doch nicht sein, dass mein Sohn sein ganzes Leben deprimiert durch die Welt lief. Konnte er nicht die Gelegenheit beim Schopf packen und einfach ein Bayern-Erfolgsfan werden?

Im Hof meiner Eltern ereignete sich ein ums andere Mal ein harter Schlagabtausch zwischen St. Pauli und dem 1. FCN. Auf tapsigen Beinen legte sich Timo den Ball zurecht. Erwartungsvoll stand ich zwischen den beiden wackligen Plastikpfosten: „Los Timo, schieß aufs Tor!“

Timo nahm Anlauf und schoss mit aller Kraft aufs Tor. Der Ball kullerte auf mich zu. Ich schlug ein ungelenkiges Luftloch, um den Ball ins Tor rollen zu lassen.

„Papa, ich hab aufs Tor geschissen!“, jubelte mein Sohnemann.

Ich musste lachen und nahm ihn in den Arm. Das war einer der Augenblicke, in denen der Wunsch nach einem zweiten Kind immer größer wurde. Es war einfach das Schönste auf der Welt. Als ich Annika davon erzählte, waren wir einer Meinung: Ein Anbau oder ein Haus musste her, und dann sollte ein zweites Kind folgen.

Auf dem Trainingsplatz des TSV war das Training ein wenig anspruchsvoller. Das Niveau im „Eckla“ war durch die Neuzugänge unglaublich hoch geworden. Wenn man das Unglück hatte, in der Mitte des Vierecks zu stehen, wo man die Bälle abfangen musste, die sich die anderen fünf Spieler an den Außenkanten des Ecks zuspielten, hatte man einen schweren Stand. Karl Adler, Georg Weiler, aber auch erfahrene Spieler wie Michael Meister oder Stefan Schmidt glänzten durch ihre hohe Ballsicherheit.

Aber Georg war nicht nur bei fingierten Treppenstürzen ein Schlitzohr. Beim „Eckla“ testete er mit spitzbübischem Grinsen die technischen Fähigkeiten seiner Mitspieler, indem er ihnen absichtlich schwere Bälle zuspielte. Wenn dann jemand einen Fehler machte und meckerte: „Schorsch, dafür gehst du gefälligst in die Mitte. Was soll ich denn mit so einem Ball anfangen?“, dann wusch der alte Haudegen stets seine Hände in Unschuld: „Ein Guter verarbeitet den!“, war Georgs Standardantwort.

Ich wusste nicht warum, aber immer wenn Georg seine Gegenspieler derart in Bredouille brachte, nannten ihn alle „den Knight Rider“. Natürlich kannte ich die Serie mit David Hasselhof und seinem Wunderauto Kitt. Aber was zum Teufel hatte das mit Georgs schwer zu verarbeitenden Zuspielen im „Eckla“ zu tun? Ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Manchmal war Weiherfelden auch nach drei Jahren noch ein Buch mit sieben Siegeln für mich.

Ich war gerade aus der Mitte des „Ecklas“ herausgekommen, postierte mich neben einem Hütchen, als ich bemerkte, wie Georg mich aus dem Augenwinkel anvisierte.

„Bitte nicht, Knight Rider. Ich war doch gerade erst in der Mitte.“

„Knight Rider?“, wiederholte Georg lachend und blickte mich kopfschüttelnd an. Ich erntete einen unmöglichen Pass, den ich ungelenkig ins Aus stolperte. Verdammt! Ich war schon wieder in der Mitte.

Meine Mitspieler kicherten. „Knight Rider“, wiederholten sie lachend. Was war so lustig daran? Sie sagten das doch auch zu Georg. Die spinnen, die Franken!

Als ich an diesem Abend vom Training nachhause fuhr, freute ich mich auf Annika und Timo, der bestimmt schon süß und unschuldig schlief. Plötzlich formte sich ein Gedanke in meinem Kopf. Ich vergötterte Annika. Wir sprachen bereits über weiteren Nachwuchs. Trotzdem lebten wir noch immer in wilder Ehe. Ja, ich wollte Annika einen Heiratsantrag machen. Aber wann? Und wie?

Wenn, dann musste es etwas ganz Besonderes sein, und ausnahmsweise mal was Romantisches. Schließlich entbehrte unsere Kennenlerngeschichte jeglicher Romantik. Ich wollte unseren Kindern wenigstens vom Heiratsantrag etwas Jugendfreies erzählen können.

Erste Ideen formten sich in meinem Kopf. Ein Meer aus Rosen. Eine leise Ballade im tanzenden Schein der flackernden Duftkerzen. Ja, so sollte es sein. Und die Tatsache, dass Annika in zwei Wochen auf Teilzeitbasis in ihren alten Job bei der Bank zurückkehrte, gab mir die perfekte Gelegenheit, alles zuhause vorzubereiten. Ich war aufgeregt und begeistert, als ich mein Auto in der Einfahrt parkte und die Tür zu unserer Wohnung aufschloss. Ich heirate Annika!

Der Gedanke ließ mich nicht mehr los. Bis das Wochenende vor der Tür stand. In Weiherfelden herrschte Ausnahmezustand. Es war Kerwa. Der Appell unseres Trainers dröhnte noch in meinen Ohren: „Wenn ihr euch unbedingt die Birne wegknallen wollt, dann bitte gleich am Freitag, damit ihr am Sonntag wieder fit seid!“

Annika wusste, was ihr blühte. Sie hatte sich mit Timo nach Obsthofen zu ihren Eltern verkrümelt. „Das Trauerspiel, wenn du nicht mal mehr deine Schuhe ohne meine Hilfe ausziehen kannst, muss ich mir nicht schon wieder geben!“

Wir trafen uns in voller Mannschaftsstärke bei Harald Gepard. Als alteingesessene Familie wohnte unser Kapitän mitten im Ortskern. In seinem Hof türmten sich die Bierkästen.

„Kommt mal rüber, Jungs“, rief plötzlich Haralds Nachbar. Er war ein alter, gebeugter Mann mit runzeliger Haut. Doch die Schnapsflasche hielt er mit eisernem Griff fest. „Ich hab da was Gutes für euch!“

„Tut’s nicht!“, riet Harald augenrollend.

Aber ich war schon zu betrunken, um die Warnung ernstzunehmen. „Vermutlich willst du nur den ganzen guten Schnaps für dich selbst haben.“

„Wenn du meinst …“

Neugierig schnappte ich mir als Erster die Flasche. Ich reckte meine Nase über die Öffnung und schnupperte mit geschlossenen Augen. Bis mich plötzlich eine Gänsehaut kräftig durchschüttelte. Was war denn das für ein Teufelszeug? Dieser stechende Geruch war kein gutes Zeichen.

„Komm, Marco. Jetzt musst du’s auch durchziehen!“

„Habt ihr gedacht, ich kneife?“ Und schon setzte ich an. Und nahm einen kräftigen Schluck.

Der Fusel brannte wie Feuer! Zuerst jagte eine zweite Gänsehautwelle über meinen Körper. Ich schüttelte mich. Dann schossen mir die Tränen in die Augen. Der Hals kratzte, fühlte sich an wie zerfressen. Und der Nachgeschmack des Gesöffs krabbelte von meinem Magen zurück in den Rachen hinauf.

Verzweifelt wirbelte ich herum. Suchte krächzend nach einer Rettung. Da fiel mein Blick auf die Gießkanne. Der Weg war nicht weit. Ich konnte es schaffen.

Prustend hechtete ich zur Gießkanne. Gott sei Dank! Sie ist mit Wasser gefüllt! Hektisch riss ich das Gefäß in die Höhe. Wasser schwappte auf mein T-Shirt. Aber das war mir in dem Moment egal. Mit weit aufgerissenen Augen stemmte ich die Gießkanne höher und setzte an.

„Nicht!“, rief mir Harald noch zu. Er gestikulierte sogar wild mit den Armen. Doch mich konnte nichts und niemand mehr stoppen. Mit kräftigen Schlucken kippte ich die herrlich kühle Flüssigkeit in meinen Hals. „Da ist Dünger drin!“

Was machen die nur mit mir? Und so würgte ich schon wieder …

Der Rest des Abends fühlte sich an, wie hinter einem sanften Nebelschleier verborgen. Alles spielte sich in Zeitlupe ab. Die Stimmen hörte ich nur noch leise. Mit schweren Augen nippte ich an meinem Bier und murmelte die Kerwaslieder mit, die meine Mannschafskollegen neben mir grölten.

„Gehen wir mal zur Bar?“, fragte Niklas.

„Klar. Ich muss nur noch schnell bei der Bank vorbei“, antwortete Max.

„Ich komm auch mit“, lallte ich.

Also stiefelten wir zu sechst in Richtung Bar. Max brauchte eine gefühlte Ewigkeit, bis er die Bankkarte endlich in den Schlitz brachte, damit sich die automatische Schiebetür öffnete.

„Alter, bis wir drin sind, bin ich schon verdurstet!“

Wir traten in die Bank und sahen uns um. Ein junger Kerl namens Udo Ritter lehnte in Biersaufesel-T-Shirt und Sandalen am Geldautomaten, hatte den Kopf auf dem Tastenfeld abgelegt und schlief in dieser unbequemen Position. Max musste sein Gesicht mehrfach zur Seite schieben, um den PIN einzugeben. Zwei Mädels standen kichernd in der anderen Ecke und amüsierten sich prächtig.

Max brauchte schon wieder ewig. Ich betrachtete mein Spiegelbild in der Fensterscheibe. Wow, siehst du mitgenommen aus! Die dunklen Ringe um die glasigen Augen standen mir gar nicht gut. Und mit dem total zerzausten Haar sah ich aus wie ein gerupftes Huhn. „Ich glaub, ich muss mal wieder zum Friseur“, murmelte ich zu mir selbst.