Sören Wanderkorn - Der Inselkommissar - Moa Graven - E-Book

Sören Wanderkorn - Der Inselkommissar E-Book

Moa Graven

0,0
11,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Liebe Leserin, lieber Leser, ich freue mich, dass Sie sich für meine Ostfrieslandkrimis entschieden haben. Lernen Sie meinen neuen Kommissar Sören Wanderkorn kennen und vielleicht auch lieben. Er tauchte das erste Mal auf, als ich den Juist-Krimi „Mord auf Juist“ schrieb, weil er auf der schönen Insel Urlaub mit seiner Frau Nina machte. Natürlich wurde er prompt in einen Mordfall auf Juist verwickelt und ermittelte gemeinsam mit dem zuständigen Inselkommissar. Mir gefiel sein Charakter schon beim Schreiben und so kam es dann, dass ich ihm eine eigene Reihe widmete, indem er von Düsseldorf nach Norderney wechselte, wo er fortan als Inselkommissar für die Ostfriesischen Inseln zuständig sein wird. Zum Inhalt "Mord auf Juist" Kriminalkommissar Sören Wanderkorn möchte seiner Frau Nina, die eine schlimme gesundheitliche Diagnose zu verkraften hat, eine Freude machen. Deshalb plant der Düsseldorfer eine Auszeit auf der kleinen Insel Juist mit ihr. Was als schöner entspannender Urlaub beginnt, entpuppt sich bald als rasante Kriminalermittlung für Wanderkorn, als ihn der Inselsheriff Dirk Flessner mehr oder weniger in die Sache um den ermordeten Hannes Blank hineinzieht. Zum Inhalt "Tödliche Insel Norderney" Kriminalkommissar Sören Wanderkorn und seine Frau Nina haben ihre Pläne, nach Norderney umzuziehen in die Tat umgesetzt. Von nun an wird Wanderkorn von dort aus als Inselkommissar für die Ostfriesischen Insel als Ermittler tätig sein. Und ein erster Mord lässt auch nicht lange auf sich warten. Auf einer Bank im Kurpark auf Norderney findet man die Leiche der jungen Urlauberin Nicole Geißler. Wanderkorn findet heraus, dass sie sich am Abend zuvor in einer Bar mit dem Skatclub Greetsiel vergnügt hat. Findet sich dort auch der Täter, der sie auf dem Gewissen hat? Zum Inhalt "Kalter Tod auf Norderney" Endlich Winter. Kriminalkommissar Sören Wanderkorn kann es gar nicht abwarten, endlich die Ruhe auf Norderney zu genießen bei langen Spaziergängen am Strand und rauem Wind. Doch seine Entspannung hält nicht lange an. Agnes Niemann findet einen Toten in ihrem Kühlhaus bei der alten Schlachterei, die ihre Eltern einmal betrieben. Wanderkorn nimmt die Ermittlungen auf. Es scheint gar nicht so leicht, die Identität des Opfers zu ermitteln, selbst auf einer Insel nicht.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Einführung
MORD AUF JUIST
Impressum
Zum Inhalt
Die Insel Juist
Inselurlaub
Der Inselpolizist
Insel in Aufruhr
Die Verhöre
Schmallippig
Montag
Hannelore Janssen
Das Abendessen
Das Verhör
Restarbeiten
Die Entscheidung
Mein Brief an Sie, liebe Leserin und lieber Leser,
Matjesstulle Juister Art
Leseprobe aus dem Inselkrimi „Borkumer Verhängnis“ von Moa Graven
TÖDLICHE INSEL NORDERNEY
Impressum
Zum Inhalt
Ein neues Leben
Der erste Arbeitstag
Das Opfer
Die Skatbrüder
Die Befragungen
In Oldenburg
Recherche
Der neue Tag
Nina
Sören
Wer war es denn nun
Die Nadel im Heuhaufen
Wieder zuhause
Mein Brief an Sie, liebe Leserin und lieber Leser,
Rezept Kohlrabi-Möhren Gemüsesuppe
Leseprobe aus „Der Musterschüler“, dem neuen Fall für Kommissar Guntram in Leer von Moa Graven
KALTER TOD AUF NORDERNEY
Impressum
Zum Inhalt
Winter auf der Insel
Momentaufnahmen
In der Dienststelle
Der nächste Tag
Beim Griechen
In Oldenburg
Die Zeugen
Beim Griechen
Gelato Fortella
Puzzleteile
Schuldig oder nicht schuldig
Im Eiscafé
Der Todestag
In der Dienststelle
In Norden
Feiertage
Mein Brief an Sie, liebe Leserin und lieber Leser,
Rezept Schafskäsesalat
Zur Autorin
Die Reihe Inselkommissar Sören Wanderkorn
Die weiteren Krimi-Reihen von Moa Graven im Überblick
Leseprobe aus „Nur über seine Leiche“ mit der Soko Norddeich 117 von Moa Graven
Vielen Dank für Ihr Interesse an meinen Krimis!

Sören Wanderkorn - Der Inselkommissar

Ostfrieslandkrimi Sammelband mit

MORD AUF JUIST

TÖDLICHE INSEL NORDERNEY

KALTER TOD AUF NORDERNEY

 

von Moa Graven

Einführung

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich freue mich, dass Sie sich für meine Ostfrieslandkrimis entschieden haben. Lernen Sie meinen neuen Kommissar Sören Wanderkorn kennen und vielleicht auch lieben. Er tauchte das erste Mal auf, als ich den Juist-Krimi „Mord auf Juist“ schrieb, weil er auf der schönen Insel Urlaub mit seiner Frau Nina machte. Natürlich wurde er prompt in einen Mordfall auf Juist verwickelt und ermittelte gemeinsam mit dem zuständigen Inselkommissar. Mir gefiel sein Charakter schon beim Schreiben und so kam es dann, dass ich ihm eine eigene Reihe widmete, indem er von Düsseldorf nach Norderney wechselte, wo er fortan als Inselkommissar für die Ostfriesischen Inseln zuständig sein wird.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Lesen!

Moa Graven aus dem Krimihaus

 

MORD AUF JUIST

Moa Graven ist Ostfriesin und sie schreibt seit 2013 Krimis. Erst mit fünfzig hat sie die Leidenschaft für das subtile Verbrechen auch für sich entdeckt, als sie einen Fortsetzungskrimi für ein Monatsmagazin schrieb. Seit 2017 lebt die Autorin vom Schreiben und eröffnete ein Krimihaus in Rhauderfehn, wo man sie auch besuchen kann. Seit 2023 wird das Krimihaus zudem als Ferienhaus vermietet.

Impressum

Mord auf Juist – Ostfriesische Inselkrimis Band 7

Ostfrieslandkrimi von Moa Graven

Alle Rechte am Werk liegen bei der Autorin

Erschienen im Criminal-kick-Verlag Ostfriesland

Das Krimihaus – 3. Südwieke 128a – 26817 Rhauderfehn

April 2024

ISBN 9798877741416 (Taschenbuchausgabe)

Umschlaggestaltung: Moa Graven

Zum Inhalt

„Mord auf Juist“ ist der siebte Band aus der Krimi-Reihe Ostfriesische Inselkrimis von Moa Graven, die mit diesem Band komplettiert wird.

 

Kriminalkommissar Sören Wanderkorn möchte seiner Frau Nina, die eine schlimme gesundheitliche Diagnose zu verkraften hat, eine Freude machen. Deshalb plant der Düsseldorfer eine Auszeit auf der kleinen Insel Juist mit ihr. Was als schöner entspannender Urlaub beginnt, entpuppt sich bald als rasante Kriminalermittlung für Wanderkorn, als ihn der Inselsheriff Dirk Flessner mehr oder weniger in die Sache um den ermordeten Hannes Blank hineinzieht.

Die Insel Juist

Sicher, jetzt könnten hier Daten stehen zur Größe der Insel Juist und den Bewohnern. Aber wer einmal auf Juist war, der weiß, dass das gar nicht wichtig ist. Wenn man an seinem Sehnsuchtsort angekommen ist, dann geht man nicht mit dem Maßband rum. Dann atmet tief ein, streckt sein Gesicht der Sonne entgegen und spaziert langsam zum weißen Strand, um den Tag zu genießen. Man blickt auf das unendlich erscheinende Meer und verliert sich im Blick in dem Auf und Ab der Wellen. Habe ich recht? Ich sehe Sie förmlich nicken. Auf Juist gibt es keine Autos, dafür aber als Besonderheit Pferdekutschen, die die Feriengäste über die Insel befördern. Juist ist schmal, lang und lädt zur fußläufigen Umrundung in rund drei Stunden ein. Es gibt einen Süßwassersee und ein verwunschenes Wäldchen zu entdecken.

Und egal, welche Ostfriesische Insel Sie in ihr Herz geschlossen haben und sich schon auf den nächsten Urlaub freuen, Sie haben es sich verdient. Egal, ob Sie Juist lieben, Borkum, Norderney, Langeoog, Baltrum, Wangerooge oder Spiekeroog. Jede Insel hat ihren ganz eigenen Charme.

 

Und nun wünsche ich Ihnen viel Spaß mit meinem Krimi!

 

Ihre Moa Graven

 

 

Wer sich einmal in das Meer und den

weiten Horizont verliebt hat,

der kommt nicht mehr davon los.

Moa Graven

Inselurlaub

Natürlich freuten sie sich auf den Urlaub auf Juist. Und doch gab es da diesen bitteren Beigeschmack. Sören Wanderkorn packte gerade die letzten Koffer in den Wagen, als er hörte, dass im Haus etwas zerbarst. Schnell eilte er wieder in den Flur. Dann sah er das Malheur. Eine große Vase, die schon seit vielen Jahren auf dem kleinen Regal mit den Büchern stand, war zu Boden gefallen und in viele Teile zersprungen.

„Es tut mir leid“, sagte seine Frau, die wusste, dass es ein wichtiges Erbstück für ihren Mann war. Seine Mutter hatte sie ihm überlassen, kurz, bevor sie starb.

„Ach“, sagte er, „das ist doch nicht schlimm. Es war nur eine Vase.“ Schnell beugte er sich nach unten, um die gröbsten Scherben einzusammeln. „Ich hole mal ein Kehrblech“, meinte er dann und kam wieder hoch und legte die Scherben auf das nun freie Regal. Dann nahm er seine Frau, die noch immer betreten an der Tür stand, in den Arm. Es standen Tränen in seinen Augen und in ihren wohl auch. Es war erst vier Monate her, seitdem Nina die schlimme Diagnose erfahren hatte. Grüner Star. Und es war nichts mehr zu machen, sie würde mit der Zeit immer schlechter sehen können. Ja, vermutlich sogar eines Tages erblinden, wenn es ganz schlecht für sie lief. Sie zitterte in seinen Armen, als sie sich wieder voneinander lösten. „Wirklich Nina“, sagte er und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, „die Vase ist mir völlig egal.“

„Aber du hast sie von deiner Mutter“, widersprach sie mit bebender Stimme. Sie wusste, dass ihr Mann und seine Mutter immer ein ganz besonderes Verhältnis zueinander gehabt hatten.

„Nina, weißt du was, wir lassen das jetzt einfach alles hier liegen und fahren nach Norddeich. Genauso, wie wir es für heute geplant haben. Ich bin mir sicher, dass die Scherben immer noch dort liegen, wenn wir zurückkommen.“ Er zwinkerte ihr zu.

Nina lächelte jetzt endlich. „Na gut“, sagte sie und folgte ihm nach draußen.

Sören Wanderkorn schloss die Haustür ab und dann ging er mit seiner Frau an der Hand zum Wagen. Bevor er einstieg, sah er noch einmal zurück zum Mehrfamilienhaus, in dem ihm und seiner Frau eine großzügige Wohnung im Erdgeschoss gehörte. Er hatte an alles gedacht. Die Fenster waren verschlossen und alle Türen zweimal ins Schloss gedreht. Sicher, wenn jemand hier einbrechen wollte, dann konnte er natürlich einen Weg finden, ging es ihm durch den Sinn. Aber ändern konnte man das eben auch nicht. Sie verreisten nicht oft, er und Nina. Sein Beruf als Kriminalkommissar in Düsseldorf ließ ihm kaum Zeit für normale Wochenenden mit seiner Frau. Doch jetzt hatte er sich mal durchgesetzt und einen dreiwöchigen Urlaub beantragt. Und wenn der Stadtdirektor persönlich erschossen wird, hatte er zu seinem Vorgesetzten gesagt, ihr werdet mich nicht damit behelligen. Meine Frau geht jetzt vor. Dem war nicht widersprochen worden.

Erst, als sie aus der Stadt herausgefahren waren und der Autobahnverkehr etwas entspannter wurde, konnte Wanderkorn durchatmen. Nina saß neben ihm und blätterte in einem Magazin für Literatur herum. Seitdem sie wusste, dass es schlecht um ihre Sehkraft bestellt war, las sie praktisch ununterbrochen. Das machte ihm ein wenig Sorgen. Er musste praktisch tatenlos dabei zusehen, wie seine Frau litt. Das behagte ihm ganz und gar nicht.

Nach gut zweieinhalb Stunden bekamen beide das Gefühl, dass sie der Großstadt endlich entronnen waren. Nur plattes Land. Man konnte so weit sehen, bis der Horizont den Boden berührte. Überall nur grüne Wiesen und dunkle Wälder in der Ferne. Es war für beide das erste Mal, dass sie Ostfriesland besuchten. Wanderkorn hatte lange im Internet nach einem Ort gesucht, wo sie beide mal so richtig zur Ruhe kommen konnten. Es sollte nicht allzu weit weg sein von zuhause und doch weit genug, damit man ihn nicht zurück in den Dienst rufen konnte. Schließlich war er auf die Ostfriesischen Inseln gestoßen. Die Wahl fiel dann auf die Insel Juist, weil es dort keine Autos, sondern nur Pferdekutschen gab. Er und Nina hatten bei der Vorstellung, mal nicht um Autos herumlaufen zu müssen, geschmunzelt. Unvorstellbar für Großstädter, sich nicht einer Blechlawine anschließen zu müssen, wenn man morgens das Haus verließ.

„Können wir gleich kurz mal anhalten?“, fragte Nina und sie legte ihr Magazin zur Seite.

„Sicher“, erwiderte Wanderkorn, „möchtest du auf die Toilette?“

„Nein, das ist es nicht“, sagte sie, „ich möchte einfach mal riechen und spüren, wie es sich hier anfühlt bei dem ganzen Grün.“

Er lächelte sie an. Sie wirkte glücklich. Mehr gab es im Moment nicht für ihn, was zählte. Nach wenigen hundert Metern erreichten sie einen Rastplatz und er setzte den Blinker. Kurz darauf stiegen die beiden aus. Nina reckte den Kopf nach hinten und schloss die Augen. Dann atmete sie tief ein und wieder aus. Wanderkorn beobachtete sie dabei und sendete ein stummes Gebet zum Himmel. Es gab immer wieder Ausnahmen, hatte der Arzt gesagt, nicht jeder werde am Ende erblinden.

„Komm“, sagte sie, als sie die Augen wieder geöffnet hatte, „wir setzen uns kurz auf die Bank dort drüben.“

„Soll ich den Kaffee und die Brote holen, die wir mitgenommen haben?“, fragte er zurück.

„Oh ja, das wäre schön.“

Sie schwiegen, während sie tranken und aßen und dem vorbeifließenden Verkehr auf der Autobahn nachsahen. Und selbst der Lärm, den diese Wagen verursachten und zu ihnen herübertrugen, war nichts im Vergleich zu dem, was sie zuhause gewöhnt waren.

„Es ist schön hier“, sagte Nina schließlich, „wir hätten schon viel eher nach Ostfriesland fahren sollen.“

„Ganz bestimmt hast du recht“, sagte er mit Blick auf die Uhr, „aber ich denke, so langsam sollten wir weiterfahren, wenn wir die gebuchte Fähre noch erwischen wollen.“

„Oh, natürlich“, sagte sie und räumte schnell alle Sachen auf dem Tisch zusammen.

Sie setzten ihre Fahrt fort und erreichten bald darauf Emden, das sie nur streiften, während sie weiter Richtung Norddeich fuhren, von wo aus die Fähre nach Juist ablegen sollte.

 

Erst, als sie auf den Parkplatz fuhren, erkannten sie, in welches Getümmel sie sich gleich stürzen würden. So viele Menschen wollten genau dasselbe wie sie. Auf einer Insel entspannen. Die schönste Zeit des Jahres verbringen, wie man so schön sagte.

„Puh“, sagte Nina, als sie ihren Sicherheitsgurt löste, „damit hatte ich gar nicht gerechnet.“

„Noch können wir uns anders entscheiden“, erwiderte Wanderkorn.

„Aber nein, wo denkst du hin. Ich will jetzt nach Juist. Punkt.“ Entschlossen stieg sie aus und schlug die Autotür hinter sich zu.

Auch Wanderkorn stieg aus und er ging zum Heck des Wagens, um die beiden Rollkoffer aus dem Kofferraum zu hieven. Nina legte sich ihren Rucksack über die Schultern. Er bot ihr an, auch den zu nehmen, doch sie lehnte dankend ab.

Da sie die Tickets für die Fähre bereits online erstanden hatten, mussten sie sich nicht am Schalter anstellen, sondern sie konnten direkt zum Fähranleger durchgehen. Das Schiff lag bereits im Hafen, doch noch gab es keinen Zutritt für die Gäste, die teilweise auf den Stufen in der Sonne saßen und die schöne Stimmung genossen.

Dann endlich war es soweit. Der Tross der Urlauber setzte sich in Bewegung, als der Bootsmann den Eingang freigemacht hatte und die Tickets kontrollierte.

Wanderkorn und seine Frau ließen sich von der Menge treiben und sie stellten ihr Gepäck unten in der Fähre ab, so, wie es auch die anderen Gäste machten, um dann nach oben an Deck zu gehen. Nina hatte Glück und sie ergatterte sogar noch zwei Sitzplätze neben einer Familie mit drei kleineren Kindern. Sie mochte Kinder. Selber war ihr dieses Glück nie beschieden gewesen. Sie und Sören hatten es dem Zufall überlassen, ob sie eine Familie gründen würden, als sie vor fast zwanzig Jahren geheiratet hatten. Es sollte wohl nicht sein. Irgendwann hörten auch die Gespräche darüber auf, woran es wohl liegen könnte, dass sie nicht schwanger wurde. Nun war das Thema schon lange keines mehr. Nina hatte ihre Passion eines Tages in der Schriftstellerei entdeckt, als sie in einem Online-Forum auf Menschen traf, die sich einfach so zur eigenen Bereicherung über Literatur austauschten und auch selber Schreibproben hochluden. Irgendwann traute auch Nina sich, etwas ins Netz zu stellen. Es war eine Geschichte über einen kleinen Jungen, der davon träumte, eines Tages Astronaut zu werden. Die anderen Forumteilnehmer waren hin und her gerissen von ihrer Geschichte und sie ermunterten sie, diese doch fertig zu schreiben und nach einem Verlag zu suchen. Dazu fehlte Nina allerdings damals noch der Mut. Mittlerweile allerdings hatte sie mehrere Kinderbücher über einen kleinen Verlag veröffentlicht, was sie durchaus mit Stolz erfüllte. So konnte auch sie zum Einkommen beitragen.

Einer der kleinen Jungen quengelte, weil seine Schwester offenbar den größeren Lolli von der Mama bekommen hatte. Das Mädchen indes hielt ihren Lolli fest in beiden Händen, als ihr Bruder versuchte, ihr diesen zu entreißen. Die Mutter verdrehte die Augen. Dabei traf ihr Blick den von Nina.

„Entschuldigen Sie“, sagte die Mutter, „bestimmt hört er gleich auf mit dem Gemaule.“

„Ach, schon gut“, sagte Nina und lächelte. Wie mochte es sich wohl anfühlen, wenn man drei kleine Kinder hatte. Sie beneidete die Frau, die offenbar kurz davor schien, die Nerven zu verlieren. „Warten Sie“, sagte Nina, „ich habe da vielleicht etwas, das vom Lolli ablenken könnte.“ Sie setzte ihren Rucksack auf den Boden und kramte kurz darin herum. Dann zog sie ein kleines buntes Büchlein hervor und reichte es der Mutter. „Vielleicht hilft das ja.“

„Oh“, sagte die Mutter, „das ist ja wirklich sehr nett von Ihnen.“

Im nächsten Moment hatte der bisher quengelnde Sohn ihr das Buch entrissen und blätterte nun neugierig darin herum.

„Es geht da um einen kleinen Jungen, der auf den Mond fliegen möchte“, erklärte Nina. „Es war das erste Buch, das ich jemals geschrieben habe.“

„Das ist von Ihnen?“, fragte die Mutter mit leichter Ehrfurcht in der Stimme. Sicher konnte sich die ausgepowerte Frau gar nicht vorstellen, wie es war, wenn man seine Ruhe hatte und an einem Buch arbeitete.

„Ja“, sagte Nina, „aber denken Sie jetzt nur nicht, dass ich eine berühmte Schriftstellerin bin. Es sind nur ein paar Kinderbücher, die ich geschrieben habe.“

„Das finde ich total klasse“, sagte die Mutter und sah nun gemeinsam mit ihrem Sohn in das Buch. „Ich wünschte, ich hätte mal die Zeit dafür, einfach das zu tun, wonach mir gerade der Sinn steht.“

„Wünschen wir uns nicht immer das, was wir gerade nicht haben“, sinnierte Nina und in dem Moment griff Wanderkorn, der die Unterhaltung schweigend mit angehört hatte, nach ihrer Hand und drückte sie ganz fest.

„Ja, da haben Sie wohl recht“, pflichtete ihr die Mutter nun bei und sah wieder zu ihr. „Eigentlich liebe ich meine Schreihälse ja über alles. Nur manchmal, da ... ach, Sie wissen schon.“

„Auf jeden Fall geht es jetzt nicht mehr um den Lolli“, lachte Nina.

Das Gespräch schien vorbei und sie sah nun mit ihrem Mann hinaus aufs Meer.

 

Die Überfahrt mit der Fähre dauerte rund neunzig Minuten und Nina genoss jede einzelne davon. Es gab kein schönes Geräusch, als das, wenn sich die Wellen brachen und gegen die Fähre klatschten. Das Glitzern der Sonne auf der Wasseroberfläche wirkte wie tausend kleine Diamanten, nach denen man nur zu greifen brauchte, wenn man das Glück suchte. Plötzlich erschien ihr das Leben in Düsseldorf wie ein unaushaltbarer Zustand im Vergleich zu der Weite, die ihr hier die Arme entgegenstreckte. Sie lebten in der Großstadt wie in einem Hamsterrad. Dieser Gedanke kam ihr gewiss nicht zum ersten Mal. Sie war auf dem Land aufgewachsen, auch, wenn es nicht so platt wie in Ostfriesland gewesen war, so hatte sie das Leben dort genossen. Erst, als Sören die Leitung der Sondereinheit bei der Kriminalpolizei in Düsseldorf übernommen hatte vor fast zwölf Jahren, da waren sie in die Stadt gezogen. Weil es praktischer war für ihn, um zu seinem Arbeitsort zu kommen. Wären sie auf dem Land geblieben, dann hätte er sich aufgrund seiner Arbeitseinsätze eine Wohnung gemietet, wo er hätte im Notfall übernachten können. Das wollten sie beide nicht. Es ging ihr so vieles beim Anblick der schaukelnden Wellen durch den Sinn, worüber sie schon sehr lange gar nicht mehr nachgedacht hatte. Das war sicher ein Zeichen, dass die Entschleunigung langsam einsetzte. Sie freute sich sehr auf die nächsten drei Wochen.

Dann legte die Fähre an und die Menschen eilten zu ihrem Gepäck. Jeder wollte offenbar der erste sein, der die Insel betrat. Wanderkorn und Nina indes hatten es nicht sehr eilig. Sie blieben noch eine Weile sitzen, bis sich das Oberdeck geleert hatte. Dann standen auch sie auf und gingen nach unten. Nur noch wenige Taschen und Koffer standen neben ihren und sie verließen die Fähre.

„Sieh nur“, rief Nina aus, als sie an Land gegangen war. „Dort ist tatsächlich eine Pferdekutsche, genauso, wie du es mir vorgelesen hast, als du diesen Urlaub gebucht hast.“

„Möchtest du, dass wir eine nehmen und damit zum Hotel fahren?“, fragte er zurück. Es amüsierte ihn, sie so zu sehen. Wie ein kleines Mädchen auf Klassenfahrt. Sie hatte ihren jugendlichen Charme noch nicht eingebüßt, auch wenn sie langsam auf die fünfzig zuschritt.

„Wie weit ist es denn bis zu unserem Hotel?“, fragte sie zögerlich. „Ich meine, wir können ja auch immer noch mit einer Kutsche über die Insel fahren, das muss ja nicht gleich heute sein.“

Auch das war typisch für Nina, dachte er, immer versuchte sie, zu sparen. Er würde ihr nicht sagen, was diese drei Wochen auf der Insel kosteten, nahm er sich vor. Sie sollte einfach nur unbeschwert und glücklich sein. „Es mögen rund fünfhundert Meter oder so sein“, gab er zur Antwort.

„Also, das können wir aber wirklich zu Fuß gehen“, meinte sie und zog die Stirn kraus.

„Ach was“, sagte er und dann winkte er einem Kutscher zu, der auf Fahrgäste zu warten schien. „Wenn wir schon mal hier sind, dann wollen wir auch alles mitnehmen.“ Schon ging er auf die Kutsche los und sie folgte ihm. Wanderkorn hievte die Koffer und Ninas Rucksack hinein und dann nahmen auch sie beide Platz.

„Wo soll es denn hingehen?“, fragte der Kutscher und nahm von ihnen persönlich kaum Notiz.

„Zum Strandhotel“, erwiderte Wanderkorn.

„Aha. Und zu welchem? Wir haben da zwei.“

„Ach so, Moment.“ Wanderkorn kramte in seiner Jackentasche herum, wo er die Buchung ausgedruckt eingesteckt hatte. „Es ist das Kurhaus, falls das weiterhilft.“

„Oh, das Kurhaus“, wiederholte der Kutscher, „sehr feudal. Dann wollen wir mal.“ Er machte ein schnalzendes Geräusch und zog kurz an den Zügeln seiner Pferde. Diese setzten sich darauf in Bewegung. Die Fahrt ging los.

„Ob das den Tieren Spaß macht“, flüsterte Nina ihrem Mann zu.

„Es ist ihr Job“, flüsterte er zurück. „Mach dir darüber keine Gedanken. Sie sehen doch gesund und wohlgenährt aus.“

Sie nickte und sah sich die Gegend an. Sie fuhren an vielen Gästen vorbei, die sich zu Fuß zu ihrer Unterkunft auf den Weg gemacht hatten. Und es dauerte gar nicht lange, da hielt die Kutsche und der Kutscher drehte sich um.

„Da wären wir“, sagte er, „macht zwanzig Euro.“

Wow, dachte Wanderkorn. Und er mochte sich gar nicht ausmalen, was seiner Frau gerade durch den Kopf ging. Dann zog er sein Portemonnaie heraus und bezahlte mit einem Schein. Dann nahm er das Gepäck heraus. Die Kutsche setzte sich wieder in Bewegung zu einem neuen Ziel.

„Das ist unser Hotel?“, fragte Nina und sie konnte es kaum glauben. „Das ist ja praktisch ein Palast. Das kostet sicher ein Vermögen, hier zu wohnen.“

„Schatz“, sagte er, während er ihr einen Kuss auf die Stirn drückte, „mach dir darüber bitte keine Gedanken. Wie viele Jahre waren wir beide jetzt nicht in Urlaub? Na also. Ich finde, wir haben uns mal eine richtig schöne Auszeit in einem feudalen Hotel verdient.“

Er nahm die Koffer und zog sie mit sich, während Nina ihm mit ihrem Rucksack über der Schulter folgte.

Nach dem Check-in wurden sie von einem Pagen in den zweiten Stock zu ihrem Appartement geführt. Wanderkorn zog wieder sein Portemonnaie hervor und klaubte ein paar Silbermünzen zusammen. Dann waren er und Nina alleine, als sich die Tür hinter dem Pagen schloss.

„Das ist der Wahnsinn“, stieß Nina aus und sie ließ sich rücklings auf das große weiche Bett, das direkt vor dem großzügigen Panoramafenster stand, fallen. „Das ist, als wäre ich im Paradies angekommen.“

„Man kann von hier aus aufs Meer sehen“, erwiderte er. Auch er hatte es sich nicht derart traumhaft ausgemalt. Mit dem Paradies lag seine Frau gar nicht so falsch. Und die Preise waren dort sicher ähnlich wie hier. Sie hatte recht, er zahlte ein Vermögen für diese drei Wochen. Doch die Zeit mit Nina war ihm jeden Euro wert.

Nina war vom Bett hochgekommen und nun stand sie neben ihm am Fenster.

„Ich liebe dich“, sagte sie und legte ihre Arme um ihn.

„Ich liebe dich auch.“

Draußen schien die Sonne und viele Spaziergänger waren am Strand unterwegs.

„Komm“, sagte sie, „wir sollten auch rausgehen, oder?“

„Natürlich. Ich mache mich nur kurz frisch und ziehe mit etwas Inselinseltaugliches an.“

Bald darauf gingen sie Hand in Hand in Shorts und Sandalen wie typische Touristen durch den Ort, setzten sich in ein Café, machten einen Abstecher zum Strand und hielten ihre nackten Füße ins Wasser.

Der Inselpolizist

Am nächsten Morgen war Nina alleine im Appartement, nachdem sich Wanderkorn nach dem üppigen Hotelfrühstück auf den Weg gemacht hatte, die Insel zu umrunden. Ein Spaziergang von nur drei Stunden, wie er mit einem Lächeln angemerkt hatte, bevor er losging. Für Nina war das nichts. Mal an den Strand gehen, ja, okay. Aber stundenlang zu laufen, danach stand ihr nicht der Sinn. Sie hatte eher Lust, die Geschäfte zu erkunden. Hier und da eine Kleinigkeit als Andenken zu erstehen und vor allen Dingen wollte sie sich ein schönes Buch kaufen, mit dem sie sich auf die Terrasse des Hotels setzen würde, um zu schmökern. Sie las einfach für ihr Leben gern. Sie rieb sich mit dem linken Zeigefinger über ihr rechtes Auge. Heute hatte sie wieder dieses Gefühl, dass sich darin ein Fremdkörper befand. Sie ging rüber ins Bad und träufelte sich ein paar Tropfen hinein und sie hoffte, dass es sich bald legen würde. Im Urlaub wollte sie wirklich nicht andauernd an ihre bedrohliche Augenerkrankung denken. Danach schlüpfte sie in eine helle Sommerhose und dazu streifte sie ein weißes Shirt über. Es war warm draußen, das spürte man auch im Hotel. Deshalb legte sie sich nur ein leichtes buntes Seidentuch über die Schultern und stieg in ihre dunkelblauen Sandalen. Danach nahm sie ihre Tasche und machte sich auf den Weg.

Es waren viele Menschen wohl mit dem gleichen Gedanken unterwegs und schon bald tauchte Nina ein in die Menge, was ihr sichtlich guttat. Gutgelaunte Stimmen um sie herum, Kinder die lachten. Das lenkte sie von allen bösen Gedanken ab. Und ihrem Auge ging es auch schon wieder besser. Als Erstes ging sie in eine kleine Boutique, ohne den Hintergedanken, etwas kaufen zu wollen. Meistens steuerte sie als Erstes immer den Ständer mit den Tüchern an, weil sie diese liebte. Zuhause in ihrem Schrank gab es Unzählige davon, viele, die sie schon lange nicht mehr getragen hatte. Doch sie schaffte es einfach nicht, sich davon zu trennen. Ein blaugrünes Tuch aus weichem Material hatte es ihr besonders angetan. Es war groß, so dass man es sich sogar als Badetuch hätte umwickeln können, wenn man am Strand war. Sie fackelte nicht lange und suchte nach dem Preis. Der ließ sie dann doch kurz taumeln. Über zweihundert Euro sollte das Tuch kosten. Das hätte sie auch in Düsseldorf dafür bezahlen müssen, das war klar. Aber das war immerhin eine Großstadt. Ach, was soll’s, dachte sie und ging mit dem Tuch zur Kasse. Die junge Frau, die abkassierte, schickte ihr noch mit auf den Weg, dass die Farben des Tuches besonders zu ihren grünblauen Augen passen würden. Nina quittierte es mit einem Lächeln.

Jetzt kaufe ich aber nur noch ein Buch, dachte sie, als sie sich in ein kleines Café im Außenbereich setzte. Ja, im Grunde ärgerte es sie nun sogar, dass sie wieder schwach geworden war. Wann würde sie dieses Tuch jemals tragen. Bestimmt verschwand es zu ihren anderen Schätzen im Schrank. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, es zurückzugeben. Doch diese Blöße wollte sie sich dann doch nicht geben. Sie bestellte sich einen Kaffee und ein Stück Apfelkuchen mit Sahne. Das sollte sie für einen Moment vom eigenen Ärgernis ablenken können. Und tatsächlich, schon bald war sie wieder in der guten Stimmung von vorhin, als sie das Hotel verlassen hatte. Was waren schon zweihundert Euro, wenn man in Urlaub war. Sie genoss die Sonne, die ihr ins Gesicht schien und sie schloss für einen Moment die Augen. Es wäre wirklich dumm gewesen, den schönen Augenblick nicht zu genießen und kleinkrämerisch herumzurechnen. Sören verdiente sehr gut und ihre Einnahmen mit den Kinderbüchern erlaubten es ihr, sich diesen Luxus zu gönnen.

Nachdem sie gezahlt hatte, erkundigte sie sich bei der Bedienung noch nach der Adresse der Buchhandlung. Gerne gab diese darüber Auskunft. Auch das war Nina aufgefallen, hier waren alle Bediensteten immer freundlich, selbst, wenn man ahnte, welchen Stress sie hatten. Dann machte Nina sich auf den Weg dorthin.

 

Wanderkorn war vom Hotel aus direkt an den Strand gegangen und von dort aus hatte er Richtung Westen mit seinem Rundgang begonnen. Mittlerweile war er beim Hammersee angekommen. Auf einer Hinweistafel wurde er darüber informiert, dass dieses Süßwasser einst durch eine Sturmflut entstanden war. Nun bot es vielen Tieren einen Wohnraum zum Leben. Er setzte sich auf eine Bank, um eine kurze Verschnaufpause zu machen. Mit über fünfzig war er auch nicht mehr der fitteste, um drei Stunden am Stück zu laufen. Und im Sand, so hatte er festgestellt, lief es sich ein wenig anstrengender als erwartet. Außerdem waren seine Schuhe, die er sich extra neu für den Urlaub angeschafft hatte, zwar schick, aber eben nicht so bequem wie seine alten Treter, die nun zuhause auf ihn warteten. Er ärgerte sich über diesen echten Anfängerfehler. Wer kaufte sich eigentlich neue Schuhe, wenn er wegfuhr. Das war kindisch. Nina hatte ihm noch davon abgeraten gehabt. Es wird niemand auf deine Füße sehen, glaube mir, hatte sie gesagt. Doch er wusste es natürlich mal wieder besser. Und das rächte sich nun. Vorsichtig streifte er den linken Schuh ab und zog an der Socke, da sah er schon die tiefrote Färbung an seiner Ferse. Na, das konnte ja heiter werden. Und er hatte noch nicht einmal die Hälfte seiner Strecke geschafft. Auf keinen Fall aber würde er jetzt umdrehen und sich vor Nina als Heulsuse präsentieren. Das erlaubte sein Stolz einfach nicht. Er stand auf und kurz darauf hielt er seinen Fuß in den Hammersee, um ihn ein wenig abzukühlen. Das tat wirklich gut. Er merkte, dass ihn jemand aus einiger Entfernung beobachtete, weshalb er seinen Schuh hochhielt und auf seinen Fuß deutete. Der andere Spaziergänger rief etwas, das Wanderkorn nicht verstand und ging lachend weiter.

Nach weiteren zehn Minuten zog Wanderkorn Socke und Schuh ganz vorsichtig wieder über. Er biss die Zähne zusammen und ging weiter. Er sah aufs Meer, das würde ihn vielleicht ein wenig vom Schmerz ablenken. Diese Weite dachte, er ... aua ... oh nein, wie sollte er das bloß aushalten. Hätte er doch nur ein Pflaster dabei gehabt, das er auf die Rötung hätte legen können. Das würde den Druck durch den Schuh etwas abfedern. Aber natürlich hatte er nichts dergleichen mitgenommen, ignorant, wie er war. Ein Groll stieg in ihm hoch, der den Schmerz für einen Moment sogar vergessen ließ. Bald darauf erreichte er das verwunschene Wäldchen, wie er auf einem Schild las. Und da kam ihm dann eine rettende Idee. Er pflückte sich ein paar Blätter von einem Baum und danach setzte er sich auf einen alten knorrigen Ast, um den bösen Schuh erneut abzustreifen. Er lupfte die Socke und legte die Blätter auf die Ferse. Alleine die Abkühlung, die ihm diese bescherten, war ein schönes abmilderndes Gefühl. Die Zeit bei den Pfadfindern war wohl doch nicht ganz umsonst gewesen. In der Natur gab es viele Heil- und Hilfsmittel, fiel ihm wieder ein. Die Blätterschicht war dick genug, so dass er den Schmerz tatsächlich kaum noch oder bestenfalls noch gedämpft spürte, als er den Schuh vorsichtig wieder anzog. Gut gelaunt ging er weiter.

Wanderkorn hatte keine weitere Pause gebraucht, so gut ging es seinem Fuß mittlerweile. Er hatte den Hafen umrundet und nun stand er vor der kleinen Polizeiwache. Er musste schmunzeln. Wenn da überhaupt jemand arbeitete, dann vermutlich nur eine Person. Wie sich so etwas wohl anfühlen mochte. Er ging weiter an das aus roten Klinkern gemauerte Gebäude heran und legte die Hände vor der Sonne schützend über seine Augen, um durch das Fenster hineinzusehen. Nein, dachte er, wie niedlich. Zwei Kinderschreibtische und ein Computer, der wohl auch schon in die Jahre gekommen war. Aber vermutlich passierte auf einer kleinen Insel wie Juist sowieso nicht viel. Höchstens mal ein paar betrunkene Urlaubsgäste, die sich in die Wolle bekamen.

„Na?“

Wanderkorn erschrak, weil er nicht gehört hatte, dass sich ihm jemand genähert hatte. Schnell drehte er sich um. Vor ihm stand ein älterer Herr in Uniform. Beziehungsweise einer dunkelblauen Hose und einem hellblauen Hemd. Das konnte nur der Inselpolizist sein.

„Hallo“, sagte Wanderkorn. „Entschuldigen Sie, ich wollte einfach nur mal einen Blick hineinwerfen.“

„Das machen viele“, erwiderte der Mann, „ich bin übrigens Dirk Flessner, der Dorfsheriff, wie man mich allgemein nennt.“

„Sören Wanderkorn, Kriminalpolizei.“ Das war ihm tatsächlich nur so herausgerutscht, weil er das Zuhause in Düsseldorf ständig herunterbetete bei seinen Einsätzen. Deshalb zog er eine Schnute. Er hatte sich bestimmt nicht wichtigmachen wollen. Hoffentlich nahm ihm das dieses Landei nicht übel.

„Oh“, sagte Flessner, „Kriminalpolizei.“ Er legte die Hände in die Seiten und wiegte seinen Kopf anerkennend hin und her.

„Sorry, das ist mir nur so rausgerutscht“, erklärte Wanderkorn, „ich bin tatsächlich nur als Urlauber hier. Ich wollte mich nicht wichtigmachen.“

„Na, das werden wir noch sehen. Kommen Sie doch einfach mal mit rein.“

Flessner zog einen Schlüssel aus der Hosentasche und schloss die grün gestrichene Tür auf. Sich nicht mehr zur Wehr setzend folgte Wanderkorn ihm in die kleine Dienststelle. Flessner blieb hinter ihm und ließ die Tür offenstehen. Außerdem machte er noch das eine Fenster in der Nähe seines Schreibtisches auf, bevor er sich daran setzte.

„Bitte“, sagte er und wies auf einen kleinen braunen Stuhl ohne Kissen, der vor seinem Schreibtisch stand. Wanderkorn nickte und nahm Platz. „Sie sind also tatsächlich Kriminalkommissar“, wiederholte Flessner und dabei fixierte er sein Gegenüber mit zusammengekniffenen Augen. „Wo kommen Sie denn her?“

„Aus Düsseldorf“, antwortete Wanderkorn und er rückte auf der glatten Sitzfläche des Stuhles hin und her. „Ich leite dort die Sondereinheit.“

„Junge junge“, machte Flessner, „das hatte ich hier auch noch nicht in meiner Dienststelle. Trunkenbolde und Kleinkriminelle, das ja. Aber einen echten Kriminalkommissar.“

Wanderkorn wurde das Herumgehacke auf seinem Status langsam etwas unangenehm. Nur weil dieses Landei seine Scholle noch nie verlassen hatte, war ein Kriminalkommissar nur wirklich kein Alien.

„Wie gesagt, es ist eigentlich nichts Besonderes“, murmelte er und sah zum offenen Fenster. Wäre er doch nur weitergegangen und hätte nicht hineingesehen.

„Ich hätte da was für Sie“, knurrte Flessner und er griff nach einer Mappe, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag. „Eine ganz frische Leiche. Erst heute Morgen aufgefunden worden. Tot im Stall bei seinen Gäulen.“ Er schob die Mappe rüber zu Wanderkorn.

Er veräppelt dich doch nur, dachte Wanderkorn. Doch der Blick von Flessner sagte ihm etwas anderes. Er wirkte sehr ernst, als er die Mappe losließ. Also schlug Wanderkorn diese auf. Es lag ein Bericht und ein paar Fotos darin. Auf dem ersten Bild sah man einen Mann bäuchlings im Stroh liegen. Zu erkennen waren auch ein paar Pferdebeine. Auf dem nächsten Foto hatte man den Toten bereits umgedreht und Wanderkorn schrak zurück.

„Ich kenne diesen Mann“, sagte er tonlos, „er hat uns gestern, also meine Frau und mich, er hat uns gestern, als wir hier auf der Insel ankamen, mit seiner Kutsche zu unserem Hotel gefahren.“

„Ach ne“, sagte Flessner gedehnt, „das ist ja interessant.“

„Naja, das ist wohl Zufall“, würde ich sagen, wiegelte Wanderkorn ab. „Er hat uns nur bei dem Hotel abgesetzt und ist weitergefahren. Mehr kann ich nicht über den Mann sagen.“ Sein Ziel war es nun, hier so schnell wie möglich wieder rauszukommen. Am besten, er würde Nina gar nichts von dem Vorfall erzählen. Schließlich waren sie hier in Urlaub. Und im Moment sah es ganz danach aus, als ob dieser Flessner es sich in den Kopf gesetzt hätte, ihn in die Sache mit reinzuziehen. Hätte er doch nur seinen Mund gehalten, was den Toten betraf. Wieso hatte er nur erwähnt, dass er ihn kannte. Aber so war er einfach, er konnte nicht aus seiner Haut. Was ihm auf der Zunge lag, das fand immer schnell seinen Weg nach draußen. So ein Mist aber auch.

 

Es gab wohl nicht ein Buch, das Nina während der Stunde, die sie nun schon in der Buchhandlung gestöbert hatte, nicht in die Hand genommen hätte. Ein paar Krimis hatten ihr zugesagt, doch auf Juist, da wollte sie irgendwie etwas anderes lesen. Es musste ja nicht immer Mord und Totschlag sein. Davon hörte sie von ihrem Mann zuhause wirklich schon genug. Vielleicht eine Liebesgeschichte, dachte sie, als sie einen ziemlichen Wälzer in die Hände nahm, der als solcher deklariert war. Es ging natürlich um eine enttäuschte Frau, die sich nach dem Ende einer Beziehung erst einmal eine Auszeit ganz weit weg von zuhause nehmen wollte. Und dann traf sie natürlich durch Zufall auf einen Mann, der eigentlich gar nicht ihr Typ war. Hm, dachte Nina, eigentlich war ja klar, wie das ausging. Und trotzdem liebten die Menschen genau solche Geschichten, weil ihr eigenes Leben meistens in der Enttäuschung steckenblieb.

„Gar nicht so einfach, das Richtige zu finden, oder?“

Nina drehte sich um und sah in die blauesten Augen, die sie jemals gesehen hatte.

„Ähm, nein, das stimmt.“

„Eben waren Sie noch bei den Krimis“, lächelte er. „Ich könnte Ihnen da durchaus einige empfehlen, wenn Sie möchten. Oder soll es doch lieber die große Liebe sein?“

Er flirtet mit mir, dachte Nina. Sie spürte, dass sie rot anlief.

„Auf jeden Fall ein Krimi“, sagte sie und sie hoffte, dass ihr Gesicht gleich wieder den hellen Teint annahm, um den sie viele Frauen beneideten.

Der junge Mann in heller Hose und kleinkariertem hellblauem Hemd ging voraus. Die Ärmel waren hochgekrempelt und seine schlanken langen Arme waren von der Sonne gebräunt und sahen wirklich zum Anbeißen aus. Sie sah zu Boden, weil sie sich für diesen Gedanken schämte. Doch da kam es noch schlimmer. Seine Hose war nur dreiviertel lang und so konnte sie auch auf seine schmalen Fesseln sehen. Seine Füße steckten braungebrannt und nackt in schwarzen modisch angesagten Sandalen. Ich kaufe jetzt einfach irgendeinen Krimi und dann haue ich hier schleunigst ab, dachte Nina.

Dann blieb er vor einem Regal stehen und zog ein Buch von etwa zweihundert Seiten heraus und hielt es ihr hin.

„Das ist nicht so ein dickes Buch“, erklärte er, „aber der Krimi hat es wirklich in sich, das dürfen Sie mir glauben.“

„Ich nehme das Buch“, sagte Nina, ohne es sich weiter angesehen zu haben.

„Tatsächlich?“

„Ja, unbedingt. Ich habe ein wenig getrödelt und jetzt muss ich langsam wieder los. Und wenn Sie sagen, dass der Krimi gut ist, dann vertraue ich auf ihr Urteil.“

„Gerne.“ Er ging Richtung Kasse.

Nina stellte ihre Tasche auf dem schmalen Regal vor dem Tresen ab und es kam, wie es kommen musste. Als sie in ihrem Portemonnaie, das sie herausgezogen hatte, herumkramte, fiel ihre Tasche zu Boden und der Inhalt breitete sich rund um sie herum aus.

„Oh nein, wie ungeschickt“, schimpfte sie mit sich selber und sie beugte sich herab, um alles wieder einzusammeln.

Der Verkäufer war um den Tresen herumgekommen, um ihr zu helfen. Nun hielt er einige Exemplare des kleinen broschierten Kinderbuches in der Hand, das von dem kleinen Jungen erzählte, der auf den Mond fliegen wollte. Fragend sah er Nina an. Dabei lächelte er nicht mehr.

„Ich habe die nicht gestohlen, falls sie das denken“, sagte Nina ärgerlich klingend. „Die sind von mir.“

„Sie sind Nina Wanderkorn?“

„Ja.“ Sie griff nach den kleinen Büchern und zog sie ihm aus den Fingern.

„Wow“, sagte er und lächelte wieder, „meine kleine Nichte ist verrückt nach Ihren Büchern. Wenn ich ihr erzähle, dass Sie hier in der Buchhandlung waren, dann möchte sie bestimmt ein Autogramm von Ihnen haben.“

Nina hatte mittlerweile alles wieder in ihre Tasche gestopft und sah ihn mit hochrotem Kopf mürrisch an.

„Ich bin hier nur in Urlaub“, sagte sie patzig. „Kann ich bitte den Krimi bezahlen. Ich habe es wirklich eilig.“

„Ja sicher, entschuldigen Sie bitte.“

Schnell ging er wieder hinter den Tresen und nannte ihr den Betrag, den sie zu zahlen hatte. Nun tat er ihr ein wenig leid. Er hatte ja nichts falsch gemacht, außer, dass er einfach gut aussah und sie aus der Fassung gebracht hatte.

„Es tut mir leid“, sagte sie, „eigentlich bin ich nicht so zickig.“

„Ach nein?“ Betont ernst sah er sie an.

Dann prusteten beide los vor Lachen.

 

Wanderkorn hatte im Hotelzimmer nachgesehen, als er von seiner Exkursion zurückgekehrt war, weil er seine Frau unten im Essbereich nicht hatte finden können. Doch auch dort war sie nicht. Und so nutzte er die Zeit bis zu ihrer Rückkehr, um sich vollumfänglich seinem lädierten Fuß zu widmen. Er ließ etwas Wasser in die Duschwanne ein und tauchte seine beiden Füße in ein warmes Kamillenbad. Das tat wirklich tut. Nie wieder werde ich neue Schuhe mit in den Urlaub nehmen, schwor er sich, als er sogar ein wenig schläfrig wurde in seinem Korbstuhl.

„Sören?“

Das war Nina, die nach ihm rief.

„Ich bin im Bad, Liebling“, antwortete er und zog die Füße aus dem Wasser, das schon langsam abkühlte. „Ich bin sofort bei dir.“

Schnell zog er sich frische Socken an und ging hinüber zu Nina, die sich vor das große Panoramafenster gesetzt hatte und in einem Buch las. Als sie ihn hörte, sah sie auf.

„Ein neues Buch?“, fragte er und ging zu ihr, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben.

„Ja“, erwiderte sie gutgelaunt, „stell dir das mal vor, ich war in der Inselbuchhandlung und da kamen wir zufällig auf meine Tätigkeit als Kinderbuchautorin zu sprechen. Und weißt du was, man möchte mich dort für ein oder sogar zwei Lesungen einladen.“

„Wow“, erwiderte er, „das ist ja wirklich ein voller Erfolg.“ Im Moment wusste er noch nicht, wie er ihr seine Kröte, dass er nun vom Inselsheriff dazu verdonnert worden war, bei einem Mordfall zu helfen, so sanft wie möglich in den Magen drücken sollte. Und das jetzt, wo sie so gut gelaunt war. Am besten, er schob das Ganze noch ein wenig auf. Vielleicht bis zum Abend, wenn sie ins Restaurant gingen und guten Wein tranken. In solch einer Stimmung, da ließ es sich vielleicht leichter über tote Kutscher sprechen. Er setzte sich zu ihr und sah mit ihr aufs Meer.

„Und wie war dein Ausflug?“, fragte Nina.

„Sag mal, wollen wir vielleicht eine Kleinigkeit essen gehen?“, gab er zurück.

„Hm“, machte Nina, „einen Salat würde ich schon gerne essen. Bis zum Abend ist es doch noch eine ganze Weile hin.“ Sie verschwieg, dass sie bereits ein Stück Kuchen mit Sahne verdrückt hatte.

„Na, dann lass uns doch ins Restaurant gehen, ich habe gesehen, dass das Buffet bereits angerichtet ist. Es sind schon einige Gäste dort.“

Sie machten sich fertig und verließen ihr Hotelzimmer.

Beim Essen ließ er sich dann von ihr noch einmal haarklein berichten, was sich in der Buchhandlung zugetragen hatte.

„Sören“, sagte sie dann, als sie geendet hatte, „und jetzt raus mit der Sprache. Ich kenne dich wirklich lange genug, um zu wissen, dass du mir etwas verschweigst.“

„Oh, sieht man es mir so deutlich an?“, fragte er geknickt. Für einen Moment dachte er daran, ihr von seinem Malheur mit den Schuhen zu berichten. Doch dann entschied er sich anders. Er wollte nicht wie ein Jammerlappen wirken. „Nun ja“, sagte er, „ich habe vieles gesehen bei meiner Inselumrundung, einen schönen See, einen urigen Wald, schöne alte Gebäude und ...“.

„Und?“

„Naja, ich weiß auch gar nicht, wie es geschehen konnte, aber irgendwann, da saß im Büro der Inselpolizei.“

Sie lachte. „Das hätte ich mir ja denken können, du kannst einfach nicht ohne deine Arbeit.“

„Aber so war es nicht“, protestierte er, „ich bin gewiss nicht freiwillig da reingegangen, aber der Dorfsheriff hat mich dabei erwischt, wie ich durchs Fenster hineinsah. Und schwupp, war ich in seinen Fängen und es gab kein Entrinnen mehr für mich.“

„Da hat er dich bestimmt in die vielen Verbrechen der Insel eingeweiht, oder?“, neckte Nina ihn.

„Ach“, seufzte Wanderkorn, „wenn es nur das gewesen wäre.“

Nun wurde sie ernster.

„Was ist denn passiert?“, fragte sie einer Eingebung folgend.

„Es gab einen Mord“, erwiderte Wanderkorn und er war froh, es endlich ausgesprochen zu haben. „Heute Morgen hat man einen Kutscher tot im Stroh bei seinen Pferden gefunden.“

„Nein“, stieß Nina ungewollt lauter aus, so dass sich einige Gäste zu ihnen beiden umsahen. Mit gesenkter Stimme fuhr sie deshalb fort: „Aber du hast doch hoffentlich nichts mit der Sache zu tun, oder?“

Er wusste, wie sie es meinte. Und doch konnte er ihr die Kröte, die eigentlich für den Abend gedacht war, nun nicht mehr ersparen. „Dirk Flessner erwartet meine Hilfe“, murmelte er.

„Aber warum? Du hast ihm doch hoffentlich gesagt, dass wir hier nur Urlaub machen.“

„Natürlich habe ich das“, antwortete er, „aber da gibt es noch etwas. Der Kutscher, den man tot aufgefunden hat, er ist derselbe Mann, der uns beide gestern zum Hotel gebracht hat.“

„Nein“, rief Nina wieder aus. Dann senkte sie die Stimme wieder. „Bist du dir da ganz sicher.“

„Absolut. Flessner hat mir Fotos gezeigt.“

„Mein Gott“, sagte Nina und schob ihren fast leeren Teller zur Seite, „wären wir doch nur woanders hingefahren. Aber vermutlich wärst du auch da wieder in einen Fall geraten.“ Sie lächelte ihn an. „Also, wenn du ihm wirklich helfen möchtest, dann mach das ruhig. Schließlich habe ich auch eine Lesung angenommen, was ja streng genommen auch Arbeit bedeutet.“

„Danke Liebes“, sagte Wanderkorn sichtlich erleichtert.

„Aber wer hat diesen Mann nur umgebracht“, sagte Nina und sie versuchte, sich das Gesicht des Mannes in Erinnerung zu rufen, der sie gefahren hatte. So recht gelang es ihr allerdings nicht. Dafür war er ihr zu unwichtig gewesen. Im Nachhinein, wo er nun tot war, tat es ihr ein wenig leid.

„Tja“, seufzte Wanderkorn, „da man ihn heute Morgen erst gefunden hat, gibt es natürlich noch keine großartigen Erkenntnisse dazu.“

„Natürlich. Und wie sieht deine Mitarbeit hier auf der Insel nun aus?“

„Flessner weiß, dass ich hier nur Urlaub mache“, versicherte Wanderkorn noch einmal, „er bat mich nur, Augen und Ohren offenzuhalten und für morgen früh hat er mich wieder zum Tee eingeladen.“

„Verstehe.“ Sie zwinkerte ihm zu.

„Aber wenn du etwas dagegen hast und etwas anderes unternehmen möchtest, dann sage ich ihm natürlich ab“, beeilte er sich, zu sagen.

„Nein, das musst du nicht. Ich habe ja mein neues Buch. Du weißt, wie gerne ich in der Sonne sitze und lese. Und wenn du auf Verbrecherjagd gehst, dann brauche ich auch kein schlechtes Gewissen zu haben, dass ich wohl eher ein Faultier bin.“ Sie lächelte ihn an.

Zufrieden aßen sie zu Ende und bestellten sich im Anschluss noch einen Espresso nach dem Essen. Danach gingen sie nach oben auf ihr Zimmer, wo Wanderkorn sich aufs Bett legte, um ein wenig zu schlafen. Nina ging nach draußen auf die kleine Terrasse und setzte sich in einen gemütlichen Korbstuhl, um zu lesen. Allerdings fielen auch ihr bald die Augen zu, so dass sie in einen leichten Schlaf fiel, der ihre Träume wieder Richtung Buchhandlung schickte.

Insel in Aufruhr

Natürlich machte es auf dem kleinen Eiland schnell die Runde, dass es einen Mord ausgerechnet auf dem schönen Töwerland gegeben hatte. Das Telefon beim Inselsheriff stand gar nicht mehr still, nachdem Wanderkorn ihn verlassen hatte. Es war nicht so, dass viele etwas zum Tod von Hannes Blank, dem stummen Kutscher, wie ihn viele genannt hatten, beizutragen gewusst hätten. Nein, sie wollten einfach nur ein paar Details von Flessner hören, um dann mit ihren Nachbarn darüber zu diskutieren, was da wohl vorgefallen sein könnte.

Flessner selbst kannte den Kutscher natürlich auch. Jedenfalls vom Sehen. Es stimmte schon, er war ein ziemlich ruhiger Geselle gewesen. Aber wer hatte schon immer Lust, sich zu unterhalten, wenn er den ganzen Tag Feriengäste durch die Gegend kutschierte. Bei seinen Befragungen der anderen Kutscher hatte Flessner in Erfahrung gebracht, dass Blank sich lieber mit Pferden unterhielt. Insofern fand Flessner sein Ende im Stall bei den Tieren auch ganz passend. Es hätte schlimmer kommen können. Zum Beispiel als Treibgut im Meer. Ertrunken und an Land gespült. Nein, so war es eigentlich ganz gut gelaufen. Der Leichnam war noch am gestrigen Nachmittag fast ohne großes Aufsehen von der Insel geflogen worden, um in der Gerichtsmedizin weiter untersucht zu werden.

Nun saß Flessner wieder in seinem Büro und setzte einen dritten Ostfriesentee für diesen Tag an, weil er gleich Besuch bekommen würde. Von keinem geringeren als diesem Kriminalkommissar. Auch davon hatte er einigen erzählt, dass er jetzt einen wirklich gewichtigen Ermittler zur Seite habe, der ganz aus Düsseldorf angereist war. In einem Nebensatz erwähnte er dann auf Nachfragen, dass dieser Mensch eigentlich Urlaub machte. Dass er ihn praktisch am Kragen packend mit ins Dienstzimmer gezogen hatte, das behielt er lieber für sich. Es klang immer gut, wenn man überregional vernetzt war. Und Flessner konnte sich jetzt damit weiden.

Der Tee war gerade fertig und stand in einer Keramikkanne auf einem Stövchen, als die Tür aufging und Wanderkorn hereinkam.

„Pünktlich wie die Maurer“, lachte Flessner, „der Tee ist gerade fertig.“

„Das klingt doch gut“, sagte Wanderkorn und schloss die Tür hinter sich. Dann ging er wieder zu Flessners Schreibtisch und setzte sich auf den kargen Stuhl davor.

Flessner schenkte für beide Tee ein und schob Wanderkorn Kandis und Sahne rüber.

„Ich trinke ihn gerne schwarz“, sagte Wanderkorn und er schob die angebotenen Beigaben zurück.

„Das geht auf den Magen“, warnte Flessner, „so ein richtiger Ostfriesentee ist stark und kräftig.“

„Hm, vielleicht sollte ich dann nur eine Tasse trinken“, erwiderte Wanderkorn und nahm nun doch einen Kandis und etwas Sahne. Danach rührte er mit dem kleinen Löffel in der Tasse herum.

Flessner, der wusste, wie man Ostfriesentee richtig trank, nämlich, ohne den Löffel darin tanzen zu lassen, hielt sich mit einer Bemerkung zurück. Er wollte seinen Gast nicht unnötig maßregeln, wo er doch auf seine Unterstützung hoffte.

„Gibt es etwas Neues?“, fragte Wanderkorn, nachdem er an seinem Tee genippt hatte und das Gesicht verzog. Der Tee war praktisch ungenießbar. Selbst mit Kandis und Sahne.

„Ich habe einige Leute befragt“, antwortete Flessner und schlürfte dann seine Tasse leer und schenkte sich sofort nach. Mit schmalem Auge sah er Wanderkorns noch halb gefüllte Tasse. Doch das ließ er unkommentiert. „Hannes Blank, so hieß der arme Tropf, er war eher ein zurückhaltender Geselle, habe ich erfahren. Mitte vierzig, alleinstehend und nicht sehr redselig. Mit den anderen Kutschern hat er praktisch nichts unternommen und sich lieber mit den Pferden unterhalten.“

Da musste Wanderkorn lächeln. Für ihn klang das irgendwie nach einem sehr sympathischen Menschen. Denn auch ihm selber waren Menschen in erster Linie suspekt, was auch mit seinem Beruf als Ermittler zusammenhängen konnte.

„Dass einer von den Gäulen zugetreten haben könnte, können wir ausschließen, hat der Gerichtsmediziner festgestellt“, fuhr Flessner fort, „die Wunde am Hinterkopf stammt von einem etwas schwereren Gegenstand und hat den Blank praktisch augenblicklich die Lichter ausgeknipst.“

„Dann könnte man festhalten, dass Blank im Stall bei seinen Tieren war, als er von hinten angegriffen wurde“, sagte Wanderkorn.

Flessner schürzte kurz die Lippen, dann sagte er: „Ja, so war das wohl.“

„Dann muss es jemanden geben, der eine sehr große Wut auf diesen stummen Kutscher gehabt hat“, fuhr Wanderkorn fort, „und irgendjemand weiß etwas darüber, da bin ich mir ziemlich sicher. Und die anderen Kutscher haben dazu nichts zu sagen gewusst?“

„Nicht einen Ton“, antwortete Flessner und er wiegte seinen Kopf im Zeitlupentempo hin und her, was Wanderkorn an eine Riesenschildkröte erinnerte.

„Wo hat er denn gewohnt?“, fragte Wanderkorn.

„In einem Zimmer in einer kleinen Pension“, antwortete Flessner und er hielt seinen Kopf nun an. „Doch oft, so habe ich von anderen gehört, hat er auch im Stall im Stroh übernachtet.“

„Weil er so gerne mit Pferden sprach“, sagte Wanderkorn mehr zu sich selbst.

„Ja, das war wohl der Grund“, pflichtete ihm Flessner bei.

„Darüber wussten bestimmt eine Menge Leute auf der Insel Bescheid“, fuhr Wanderkorn fort, „ich meine, dass er viel seiner Freizeit im Stall verbracht hat. Also kommen sicher eine Menge Menschen als Täter in Frage.“

„Hm“, machte Flessner, der sich ertappt fühlte. Solche Überlegungen hatte er noch nicht angestellt gehabt. Doch es stimmte schon, was dieser Großstädter da sagte. Deshalb nickte er. „Ja, das könnte man sicher annehmen.“

„Wie lange arbeitete er denn schon als Kutscher auf der Insel?“

Flessner blätterte in seinem kleinen Block mit den Notizen herum. „Jetzt war er im fünften Jahr hier“, antwortete er dann.

„Eine lange Zeit, wo man sich eine Menge Feinde machen kann“, stellte Wanderkorn fest. „Die Frage ist nur, wen er so verärgert haben könnte, wo er doch so zurückhaltend war. Sie kennen doch sicher alle hier auf der Insel. Wenn Sie jemanden als Täter vermuten sollten, wer fiele Ihnen da als erstes ein?“

Flessner schlürfte wieder seinen Tee. Dabei ließ er Wanderkorn, der ihn ebenso ansah, nicht aus den Augen. Am Ende macht er noch mich zum Täter, dachte er, ohne, dass ich mich wehren kann. Dem musste er unbedingt Einhalt gebieten. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, den Kriminalkommissar mit seinem versnobten Gequatsche mit ins Boot zu holen. Er würde noch die ganzen Insulaner gegen sich aufbringen, wenn das draußen die Runde machte, dass der Dorfsheriff seinen Job alleine nicht mehr erledigen konnte. So ein Mist aber auch.

„Niemand?“, fragte Wanderkorn, weil ihm die Antwort von Flessner zu lange dauerte.

„Ne, eigentlich kenne ich hier auf der Insel niemanden, der anderen den Schädel einschlägt“, sagte Flessner schmallippig.

„Das spricht für Ihren Bekanntenkreis“, sagte Wanderkorn und er lachte. Als er merkte, dass Flessner die Ironie nicht verstanden hatte und ihn weiter großmondig ansah, hörte er mit dem Lachen wieder auf. „Aber Spaß beiseite. Ich kann mir nicht denken, dass es jemand von den Urlaubern war, der Hannes Blank erschlagen hat. In der Regel nehmen Urlaub doch kaum wahr, wer da auf dem Kutschbock sitzt. Man ist viel zu sehr von der Landschaft, von der ganzen Stimmung der Insel eingenommen, als dass man sich dafür interessierte, wer einen fährt. Das ging mir und meiner Frau auch so. Ich konnte mich nur an den Mann erinnern, weil ich die Fotos vom Opfer gesehen habe. Ansonsten hätte ich auch nicht mehr sagen können, wie unser Kutscher eigentlich ausgesehen hat.“

Flessner begann damit, dass Teegeschirr abzuräumen und Wanderkorn überkam das dumpfe Gefühl, irgendetwas falsches getan oder gesagt zu haben. Vielleicht war er auch einfach nur zu weit gegangen, als er den Inselpolizisten, der Flessner nun einmal war, direkt gefragt hatte, wer es gewesen sein könnte. Nur, weil er auf einer überschaubaren Insel lebte, wurden ihm die Täter ja auch nicht im Strandkorb präsentiert. Er nahm sich vor, von nun an etwas zurückhaltender zu sein.

„Wir können ja mal zusammen zum Stall gehen“, sagte Flessner, „um uns gemeinsam den Tatort anzusehen.“ Er zog dabei an seinen Hosenträgern, bevor er sich seine blaue Dienstjacke überzog.

„Eine sehr gute Idee“, pflichtete ihm Wanderkorn bei, der gar nicht mehr mit so einer Einladung gerechnet hatte.

Schon bald trotteten die auch vom Äußeren her sehr unterschiedlichen Männer, der eine groß und klobig, der andere schmal und gut gekleidet, nebeneinander her zum Pferdehof.

Der Tatort war dann recht unspektakulär. Alle Pferde und Kutschen waren natürlich unterwegs und die Tour von Hannes Blank hatte längst jemand anderes übernommen. Die Gäste wollten weiterhin ihren Urlaub genießen, also gab es keine Zeit für große Trauer.

Die Box, in der man das Opfer erschlagen vorgefunden hatte, war mit rotweißem Absperrband gesichert. Im Stroh ließ sich noch die Lage des Toten erahnen und vereinzelt rote Verfärbungen wiesen auf den heimtückischen Mord hin, der hier geschehen war.

„Ob er hier im Stall übernachten wollte, als man ihn erschlagen hat?“, fragte Wanderkorn.

„Das könnte schon sein“, erwiderte Flessner, der sich vor Erschöpfung von den schnellen Schritten Wanderkorns, mit denen er hatte mithalten müssen, an die Wand gegenüber gelehnt hatte.

„Wer wusste davon, dass er hier manchmal auch geschlafen hat? Doch eigentlich nur die anderen Kutscher, oder?“

„Das kann ich natürlich nicht mit Sicherheit beantworten“, sagte Flessner und er wischte sich mit flacher Hand über die Stirn. „Aber ja, das würde ich wohl auch vermuten. Sie wollen also andeuten, dass es einer seiner Kollegen gewesen sein könnte, der Hannes ermordet hat?“

„Ein erster Anhaltspunkt, mehr nicht“, erwiderte Wanderkorn. „Aber ich denke, wir sollten die Kutscher alle einzeln befragen.“

„Ich kann das veranlassen“, sagte Flessner, „ich kenne den Chef hier vom Ganzen und werde mal Kontakt aufnehmen. Soll ich die Befragung in die Abendstunden legen? Ich meine, am Tag, da müssen die Kutscher ja weiter ihren Job erledigen.“

„Ja, das stimmt“, gab Wanderkorn zu, der sich nun in der Misere sah, Nina erklären zu müssen, warum er jetzt sogar auch abends ermittelte. Und das in ihrem gemeinsamen Urlaub.

„Na gut“, sagte Flessner, „dann gehe ich mal zurück in die Dienststelle und setze die Hebel in Bewegung. Ich rufe Sie an, wenn die Termine stehen.“

„Ja, das ist gut“, sagte Wanderkorn. Er blieb noch eine Weile im Stall, als Flessner bereits gegangen war. Jeder, der wollte, konnte sich hier hineinschleichen. Die Ställe wurden niemals abgeschlossen, hatte er gehört. Insofern war der Kreis der potentiellen Täter ganz und gar nicht auf die Kutscherkollegen begrenzt. Er fand es sonderbar, wie bräsig Flessner im Grunde genommen war. Wie würde er wohl vorgehen, wenn er alleine arbeitete. Ob er sich in die Sonne legte, Tee trank und den Täter herbeiträumte. Auf den Hinweis auf die anderen Kutscher war er nur zu gerne angesprungen. Oder ich schüchtere ihn ein, dachte Wanderkorn plötzlich. Vielleicht fühlt er sich durch meine Anwesenheit gehemmt. Gebe ich ihm etwa Anlass durch mein Verhalten, zu denken, dass ich ihn für einen Hinterwäldler halte. Das war bestimmt nicht seine Absicht. Er nahm sich vor, in Zukunft etwas zugänglicher zu wirken.

Er sah noch einmal in die Box, wo der Mord geschehen war. Etwas hatte seine Aufmerksamkeit erneut dorthin gelenkt. Als die Sonne durch das kleine Fenster im rechten Winkel zu Wanderkorns Standort hereingeschienen hatte, meinte er, etwas aufblitzen gesehen zu haben. Jetzt, wo er vor dem Absperrband stand, blinkte da allerdings nichts mehr. Vielleicht eine Sinnestäuschung dachte er. Oder aber auch nicht. Also hob er das Absperrband an und ging darunter hindurch. Er kniete an der Stelle, wo er meinte, eben etwas gesehen zu haben. Er schob das dort liegende Stroh ein wenig hin und her und dann sah er es. Natürlich hatte er keine kleine Plastiktüte für Beweisstücke dabei. Er war ja nicht im Dienst. Er suchte in seiner Jackentasche herum und zog dann ein Päckchen Papiertaschentücher hervor. Die Tücher nahm er heraus und steckte sie wieder in die Tasche. Eines hielt er allerdings zwischen seinem linken Daumen und Zeigefinger. Vorsichtig zog er die Anstecknadel, die er im Stroh entdeckt hatte hervor und ließ sie in den Plastikbeutel gleiten. Johnnys Imbiss, stand auf dem Anstecker. Das konnte wichtig sein oder auch nicht. Auf jeden Fall würde er den Gegenstand jetzt direkt zu Flessner in die Dienststelle bringen.

Der Inselsheriff saß vor einer Tasse Tee, als Wanderkorn ins Büro kam.

„Nanu“, sagte er und zog die Beine vom Schreibtisch, „hatten wir nicht gesagt, dass ich mich melde?“ Er rückte seinen Stuhl zurecht. Es war offensichtlich, dass er sich beim Faulenzen ertappt fühlte.

„Ja, das stimmt“, bestätigte Wanderkorn und ging schnell über die unschöne Situation hinweg. Ihm war es egal, was Flessner hier machte oder auch nicht. „Ich habe da etwas im Stroh gefunden, das wichtig sein könnte“, sagte er und stand nun vor Flessners Schreibtisch und setzte sich auf den Stuhl.

„Im Stroh“, wiederholte Flessner, „etwa in der Box, in der man Blank gefunden hat?“

„Exakt“, sagte Wanderkorn. Dann legte er das Tütchen mit der Anstecknadel auf den Tisch und schob zu Flessner rüber. „Sagt Ihnen der Name Johnnys Imbiss etwas?“

Flessner sah auf den Beutel und kniff die Augen zusammen. „Johnnys Imbiss?“, murmelte er, „kenn ich nicht. Was soll das da sein?“ Er deutete auf den Gegenstand.

„Das ist eine Anstecknadel“, erklärte Wanderkorn, der doch ein wenig enttäuscht war über Flessner Reaktion. Schließlich konnte sie so ein Beweisstück in dem Mordfall schon eine ganze Ecke weiter voranbringen. „Es ist eine Werbung für Johnnys Imbiss.“

„Hm“, machte Flessner, „aber so einen Imbiss haben wir hier nicht auf Juist. Vielleicht gehörte die Anstecknadel ja irgendjemanden, der mal in dem Stall sauber gemacht hat.“

„Oder er gehörte dem Mörder von Hannes Blank“, wollte Wanderkorn die Hoffnung noch nicht in den Wind schießen.

„Oder Blank selber“, entgegnete Flessner, „im Grunde kann sie jedem gehört haben.“

„Auch den Beamten, die die Box nach Spuren abgesucht haben?“ Wanderkorn konnte sich diese Spitze nicht verkneifen.

„Das denke ich eher nicht“, presste Flessner hervor, „denn ich war es, der den Tatort begutachtet hat. Womöglich habe ich diese Nadel da“, er deutete auf den Beutel, „wohl übersehen. Das ist nicht schön, aber wenn man alles alleine am Hals hat, dann kann das schon mal vorkommen und es ist überaus menschlich, denke ich.“

Für Insulaner bestimmt, dachte Wanderkorn grimmig. Es war also nicht einmal ein Gerichtsmediziner vor Ort gewesen, um sich den Leichnam am Tatort anzusehen. Hier arbeitete man offensichtlich noch wie im letzten Jahrtausend. Er hätte jetzt nicht übel Lust gehabt, die Sache einfach hinzuschmeißen. Einfach den Urlaub mit Nina weiter genießen. Doch dann sagte Flessner etwas, dass ihn zurückhielt.

„Es tut mir leid“, sagte Flessner und er klang sehr aufrichtig, „ich hätte sorgfältiger arbeiten müssen, das gebe ich zu. Deshalb freue ich mich ja auch so darüber, dass Sie mich unterstützen. Man wird hier vom Festland aus ziemlich im Stich gelassen.“

Heult er gleich, fragte sich Wanderkorn. Das hätte ihm gerade noch gefehlt.

„Ich helfe ja gerne mit“, beeilte er sich zu sagen, „und so eine blöde Nadel, die hätte wirklich jeder übersehen können. Gerade im Stroh.“

„Auch einen Tee?“, fragte Flessner und er atmete hörbar erleichtert aus.

„Gerne“, sagte Wanderkorn und sah verstohlen auf seine Uhr. Gleich war er mit Nina im Restaurant verabredet. Und so ein Tee auf leeren Magen war auch nicht gerade das, wovon er schon immer geträumt hatte.

Flessner stellte eine Tasse vor ihn hin und schob ihm Kandis und Sahne rüber, weil Wanderkorn mittlerweile seinen Tee genauso trank wie er.

„Danke“, sagte Wanderkorn und er rührte in seiner Tasse herum.

„Hier ist es eben nicht so aufregend wie in der Großstadt“, versuchte Flessner, wieder ein Gespräch in Gang zu bringen. „Bestimmt schnappen Sie da die größten Gangsterbosse der Mafia.“

„Nun ja, so aufregend ist es dann auch wieder nicht“, beschwichtigte Wanderkorn, „es ist auch viel Büroarbeit. Unschöne Tötungsdelikte unter Eheleuten, oft sind auch Kinder betroffen, gerade in bestimmten Vierteln. Dann gibt es auch viel Drogenkriminalität und menschliche Schicksale, wenn die armen Hunde auf der Straße landen, weil sie alles verloren haben.“

Flessner runzelte die Stirn. „Das hört sich alles ganz schön traurig an“, meinte er nachdenklich. „Das belastet Sie bestimmt ganz schön, oder?“