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Willow ist Ylvis Soulhorse: Die beiden sind ein unschlagbares Team. Ylvi verbringt so viel Zeit wie möglich mit der Schimmelstute und gemeinsam mit ihren Freunden vom Hollerhof erleben sie spannende Reitabenteuer. Pferdegeschichte und Krimi - spannend bis zur letzten Seite! Es kommt Besuch für Willow und Ylvi! Und zwar niemand Geringeres als Willows Besitzer Aiden! Er will sein Pferd vielleicht wieder zu sich zu nehmen. Und dann hat Aiden auch noch seine Nichte dabei, die nicht nur Interesse an Willow hat, sondern auch an Lukas … Ylvi kann es nicht fassen. Als plötzlich kleine Feuer rund um Birkenmoor und den Reiterhof gelegt werden, sind alle alarmiert. Kann Ylvi Willow auf dem Hollerhof halten und den Feuerteufel überführen? Das Finale der beliebten Buchreihe über Pferde, Teenager und erste Liebe
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Willow ist Ylvis Soulhorse: Die beiden sind ein unschlagbares Team. Ylvi verbringt so viel Zeit wie möglich mit der Schimmelstute und gemeinsam mit ihren Freunden vom Hollerhof erleben sie spannende Reitabenteuer.
Pferdegeschichte und Krimi - spannend bis zur letzten Seite!
Es kommt Besuch für Willow und Ylvi! Und zwar niemand Geringeres als Willows Besitzer Aiden! Er will sein Pferd vielleicht wieder zu sich zu nehmen. Und dann hat Aiden auch noch seine Nichte dabei, die nicht nur Interesse an Willow hat, sondern auch an Lukas … Ylvi kann es nicht fassen. Als plötzlich kleine Feuer rund um Birkenmoor und den Reiterhof gelegt werden, sind alle alarmiert. Kann Ylvi Willow auf dem Hollerhof halten und den Feuerteufel überführen?
Das Finale der beliebten Buchreihe über Pferde, Teenager und erste Liebe
»Soulhorse«:
Band 1: Mein Traumpferd und andere Katastrophen
Band 2: Mein Traumpferd, der Ausritt und jede Menge Wolfsgeheul
Band 3: Mein Traumpferd, der Feuerteufel und Herzen im Galopp
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Vita
»Psst!«
Kay unterdrückte ein Kichern, als ich mich im Sattel nach ihr umdrehte, mit den Augen rollte und den Zeigefinger an die Lippen legte.
Der Waldboden dämpfte die Schritte der Pferde. Nur ab und zu prustete eines von ihnen leise, als hätten auch sie begriffen, dass wir so lautlos wie möglich vorankommen wollten.
Neben uns raschelte etwas im Unterholz. Willow spitzte die Ohren und drehte den Kopf zur Seite, als ein Eichelhäher aus dem Gebüsch flog. Seine türkisfarbenen Federn glänzten in der Nachmittagssonne. Er schnarrte missbilligend und beschwerte sich über unser Eindringen.
Ich strich Willow beruhigend über den Hals, dann wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Obwohl wir Ende September hatten, war es immer noch warm, fast schon heiß. Der Regen von heute früh verdunstete in den letzten Pfützen auf dem Waldweg.
Mila schien meine Gedanken erraten zu haben. »Für diese Jahreszeit ist es echt zu warm.« Sie fächelte sich mit der flachen Hand Luft zu.
Kay nickte. »Das mit dem Klima macht einem ganz schön Angst, oder? Wenn demnächst die Herbstferien anfangen, können wir vielleicht noch baden gehen.« Sie schüttelte sich. »Gruselig! Dabei sollten wir mit heißem Tee oben im Stall sitzen und uns auf dem Sofa einkuscheln.«
»Apropos Tee trinken.« Mila warf einen Blick über die Schulter. »Wann sind wir denn endlich da?«
Kay ließ Mortimer anhalten und stieg ab. Sie holte ihr Handy aus der Tasche und scrollte rasch über den Bildschirm. »Wenn ich diese kryptische Beschreibung hier richtig verstehe, müssen wir als Nächstes zu den Tannen am See. Dahinter führt ein Pfad Richtung Birkenmoor. Irgendwo an der Abzweigung sollte es sein.«
»Das wird auch Zeit. Seit anderthalb Stunden schlagen wir uns jetzt durch den Wald.« Mila stöhnte. »Mein Magen knurrt so laut, dass man es bestimmt bis zum Hollerhof hört.«
Kay grinste und stieg wieder auf. »Mindestens. Ich glaube eher, bis zur Schule.«
Mila schnitt ihr eine Grimasse, musste dann aber auch schmunzeln. Langsam ritten wir weiter.
»Hey, da ist es ja schon«, raunte Kay kurz darauf.
Hier waren wir! Ausgerechnet!
Mehrere Tannen standen nah am Ufer und bildeten einen Halbkreis, so dicht beieinander, dass ich dahinter kaum etwas erkennen konnte. Ich lächelte. Auch wenn es mir vorkam wie eine halbe Ewigkeit, war es in Wirklichkeit erst im Frühling gewesen, dass ich Willow dort zum allerersten Mal gesehen hatte.
Sie war ausgerissen und ihr Anblick hatte mich sofort elektrisiert. Und nun, ein paar Monate später, waren wir zu einem Team zusammengewachsen. Zugegeben, die Eingewöhnungsphase war hart gewesen, aber all die Mühen, der Schweiß und, ja, auch die Tränen hatten sich gelohnt: Willow war einfach das perfekte Pferd für mich.
Ich schlang die Arme um ihren Hals und schmiegte mein Gesicht in die Mähne. Wie gut sie roch! Davon konnte ich einfach nie genug bekommen.
»Ylvi, wo bleibst du denn?«, flüsterte Kay. »Beeil dich! Sonst schaffen wir es nicht rechtzeitig. Dann kriege ich die Krise.«
»Das möchte ich sehen!« Ich grinste, ritt dann aber schnell hinter den beiden her.
Seit Kurzem hatten wir einen kleinen Wettbewerb mit Josse und Lukas laufen. Angefangen hatte alles mit Mila.
Sie hatte sich zu ihrem Geburtstag eine Schnitzeljagd ausgedacht, und wir mussten den Zeichen folgen, bis wir ihren Lieblingsplatz am Fluss erreicht hatten. Das Picknick dort war so lustig gewesen, dass wir einfach weitergemacht hatten. Alle paar Tage organisierten entweder wir Mädchen oder die beiden Jungs eine Route zu einem geheimen Picknickplatz. Dabei wurden es jedes Mal kniffliger und der Ort immer versteckter. Aber die Suche heute übertraf bisher alles.
Verstohlen blickte ich mich um. Lukas und Josse mussten ganz in der Nähe sein. Na ja, hoffentlich, wenn Kay die Zeichen richtig gedeutet hatte.
Lukas.
Beim Gedanken an ihn schoss ein warmer Pfeil durch meinen Körper.
Wir sahen uns zwar jeden Tag in der Schule, aber da hatten wir kaum Zeit, denn seit den Sommerferien war das Pensum deutlich gestiegen. Als hätten alle Lehrerinnen und Lehrer gleichzeitig beschlossen, dass von nun an Schluss sein sollte mit dem gemütlichen Leben! Allein diese Woche mussten wir vier Arbeiten schreiben. Puh! Zum Glück war heute Mittwoch und mit etwas Optimismus stand das Wochenende fast schon vor der Tür.
Mühsam zwängten wir uns mit den Pferden zwischen den Tannen hindurch.
»Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragte Mila skeptisch. »Kann man die Beschreibung auch anders verstehen?«
Kay hielt wieder an und schaute noch mal auf ihr Smartphone. »Nein, es muss da vorn sein.«
Ich ritt an ihr vorbei und stieg an einer schmalen Stelle des Pfads ab. Es war ganz still, nur der Wind rauschte über uns in den Baumwipfeln. Wo waren die Jungs denn? Bisher hatten wir am Picknickplatz immer auf die andere Gruppe gewartet. Wir waren doch pünktlich, auch wenn wir diesmal echt lange gebraucht hatten.
»Zeig mal her.« Ich streckte die Hand nach Kays Handy aus.
»Oho, spricht da wirklich die Frau, die sich letztes Wochenende im Einkaufszentrum verlaufen hat?« Kay grinste spöttisch, gab mir aber trotzdem ihr Smartphone.
»Da sind unendlich viele Geschäfte und die sehen alle gleich aus. Bäume sind was völlig anderes.« Ich tippte auf das Display. »Hinter den beiden Büschen geht es anscheinend weiter.«
»Das nimmst du ja wohl nicht ernst!«, sagte Kay. »Hallo? ›Das holde Haar weist dir den Weg‹?«
»Das ist der letzte Beweis, den wir gebraucht haben.« Mila zog die Stirn kraus. »Die beiden sind endgültig abgedreht.«
Hm. Die Stelle war gar nicht schlecht für ein Picknick. Wenn es nicht hier stattfand, dann konnte es zumindest nicht weit sein.
Da! Was war denn das?
Ich trat einen Schritt vor und sofort folgte Willow mir. Noch vor wenigen Wochen hätte ich von so einer Reaktion nur träumen können, doch seit dem Wanderritt in den Sommerferien waren wir ein Herz und eine Seele.
»Guckt mal.« Triumphierend zupfte ich ein paar hellgelbe Wollfäden von einem stacheligen Zweig und hielt sie hoch.
»Die könnten von jedem sein«, sagte Kay.
»Quatsch, das ist ein Zeichen! Wir müssen da lang.« Ich wartete die Antwort der beiden gar nicht erst ab, sondern ging weiter, nah an den Wacholdersträuchern vorbei. Die Zügel hielt ich lose in der Hand.
»Puh, das pikt«, hörte ich Kay hinter mir schimpfen.
»Picknick!«, johlte Mila jetzt und gab sich offensichtlich keine Mühe mehr, leise zu sein.
Womit sie recht hatte: Wir hatten in den letzten Minuten sowieso so viel Krach gemacht, dass wir Lukas und Josse bestimmt nicht mehr überraschen konnten.
Während ich noch den schmalen Durchgang zwischen den Büschen fixierte, traf mich ein kräftiger Wasserstrahl an der Schulter.
Uah, kalt!
Überrascht wich ich aus und stieß dabei gegen einen Ast.
»Autsch!«
»Hast du dir wehgetan?« Mila kam mit Gonzo im Schlepptau zu mir herüber.
»Nee.« Ich rieb mir über die Stirn. »Abgesehen von meinem Ego ist alles prima.«
Kaum hatte ich ausgesprochen, sprangen Josse und Lukas hinter einem dicken Baumstamm hervor.
»Cheeeeese!«, grölte Josse. Er hielt uns sein Handy entgegen und der Blitz leuchtete auf.
Mila zupfte mir ein Blatt aus dem Haar. Wir schauten uns an und fingen an zu kichern. Lukas kam auf mich zu und grinste. Dabei bekam er diese niedlichen Grübchen in den Wangen – und sofort begann es wie wild in meinem Magen zu kribbeln.
»Hi«, sagte ich. »Tolle Begrüßung!«
»Dachte ich mir, dass es dir gefällt.« Er trat noch einen Schritt näher an mich heran. Jetzt konnte ich die winzigen braunen Sprenkel in seinen grünen Augen erkennen. Puh! Wenn er noch näherkam, würde ich vor Aufregung garantiert in Ohnmacht fallen.
»Die habe ich von meinem Cousin ausgeliehen«, rief Josse in diesem Moment und lenkte uns beide ab. Er wedelte mit einer Wasserpistole aus Plastik herum und zielte damit auf Kay. Aber die ließ sich nicht überrumpeln. Mit zwei schnellen Handbewegungen entwand sie ihm die Pistole und spritzte das letzte bisschen Wasser auf sein T-Shirt.
»Wann gibt’s endlich Essen?«, fragte sie.
»Es ist angerichtet.« Lukas drehte sich schwungvoll um und wies mit einer angedeuteten Verbeugung auf zwei Baumstämme, die eine Art natürlichen Zaun bildeten. Dahinter waren auf einer kleinen Lichtung Kissen und Picknickdecken ausgebreitet, auf denen sich Berge an Essen türmten. »Cooler Platz, oder?«
Ich nickte, denn mein Hals war so trocken, dass ich gerade kein Wort herausbekam.
»Wow, wie habt ihr das denn alles hergeschafft?«, fragte Mila verblüfft.
Josse lächelte bloß. »Betriebsgeheimnis.«
Willow stupste mich an, als wollte sie sagen: Und? Worauf wartest du?
»Klar, jetzt bist du dran«, versicherte ich ihr, nahm ihr die Trense ab und halfterte sie auf. Ein umgefallener Baumstamm am Rand der Lichtung war perfekt geeignet als Anbindebalken.
Kay und Mila taten es mir nach und stellten Mortimer und Gonzo neben Sally und Peanut. Nachdem die Pferde ein paar Möhren bekommen hatten, setzten wir uns auf die Decken.
»Wow, da habt ihr die Latte aber hoch gehängt.« Mila warf Josse ein Marshmallow an die Stirn.
Geschickt fing er es auf und steckte es sich in den Mund.
Kay zog den Picknickkorb heran. »Also, für die Location bekommt ihr schon mal volle Punktzahl, das muss man euch lassen. Aber könnt ihr auch kulinarisch mit Milas Schnittchen vom letzten Mal mithalten?«
»Locker«, versprach Josse, doch Kay prustete ungläubig.
»Wenn ihr euch da mal nicht ein bisschen viel vorgenommen habt!«
Nach den ersten Bissen änderte sie offensichtlich ihre Meinung.
»Meine Güte, das habt ihr doch nicht alles selbst gemacht, oder?«, staunte sie und zeigte auf die Datteln im Speckmantel, die vegetarischen Pasteten und die veganen Muffins.
Josse hob die Hände. »Tja, wer kann, der kann.«
Lukas grinste. »Da hat sich Josses Kochkurs echt ausgezahlt.«
Kay riss die Augen auf. »Du hast extra einen Kochkurs belegt für unser Picknick?«
»Nicht ganz.« Josse zuckte mit den Schultern. »Ich hatte ein paar Stunden in der Schule. Den Rest habe ich aus dem Internet.«
»Okay, ich würde sagen: neun von zehn Punkten«, meinte Mila anerkennend und biss in ein Häppchen mit Tomate-Mozzarella-Füllung.
»Das ist locker eine Zehn«, widersprach Josse, und Lukas brummte zustimmend.
Jetzt wurden sie aber übermütig!
»Der Salat fehlt, da sollten wir einen Punkt abziehen«, schaltete ich mich ein.
»Salat?« Lukas schaute mich ungläubig an. »Und das von dir! Ich fasse es nicht.« Blitzschnell beugte er sich vor und pikte mir in den Bauch.
Ich quiekte auf.
»Okay, ihr gebt es also zu«, verkündete Josse und klopfte mit einem Zweig gegen seinen Trinkbecher. »Nach vier Picknicks führen wir eindeutig in der Punktzahl.«
»Nie im Leben«, rief Mila. »Ihr habt höchstens einen minimalen Vorsprung. Ich habe die Statistik.«
Alle prusteten los, als sie uns eine Grafik auf ihrem Smartphone präsentierte.
»Du hast die extra für unsere Picknicks angelegt?«, fragte Kay.
»Klar, bei der Challenge geht es ja um was«, gab Mila zurück. »Das muss dokumentiert werden.«
Womit sie absolut recht hatte. Die Gruppe mit den besten Picknicks und den meisten Punkten hatte ab November ausgesorgt. Dann musste nämlich das Verliererteam bis zur neuen Picknicksaison im nächsten Jahr einmal pro Woche etwas Leckeres zu essen in den Stall mitbringen.
Wunderbare Aussichten! Jedenfalls wenn man zu den Gewinnerinnen zählte …
»Wenn wir so weitermachen, kommen wir in ein paar Monaten kaum noch auf die Pferde«, stöhnte Kay, was sie allerdings nicht davon abhielt, sich noch mal kräftig bei der Himbeermousse zu bedienen.
»Ach was …«, fing Mila an, da unterbrach sie ein Klingelton. Das Titellied von James Bond?
»Du hast ja wieder die Melodie geändert«, zog ich sie auf.
»Ist Mama«, flüsterte sie und tippte auf das Display. »Sie ist ein totaler Fan.«
Heute Morgen war Corinna schon früh zu einem Treffen mit ein paar Freundinnen in einem Wellness-Hotel aufgebrochen.
»Oh, das klingt ja nicht so gut«, sagte Mila nach ein paar Sekunden mitfühlend. »Wo bist du denn genau?« Sie lauschte und verzog dann das Gesicht zu einem breiten Grinsen. »Entspann dich, wir blamieren dich schon nicht.«
Blamieren? Kay und ich tauschten einen neugierigen Blick.
»Ist gut, ich mache mich gleich auf den Weg«, versprach Mila jetzt. »Dann schaffe ich es auf jeden Fall noch rechtzeitig, bevor sie ankommen.«
Oh, also erwartete Corinna Besuch? Das hatte Mila gar nicht erwähnt. Kay hob die Schultern. Offensichtlich konnte sie sich genauso wenig wie ich einen Reim darauf machen.
»Ich drücke dir die Daumen, dass es schnell geht. Bis nachher!« Mila beendete das Gespräch.
»Und?« Josse beugte sich vor. »Was wollte sie?«
»Ach, das hatte ich völlig vergessen zu erzählen«, meinte Mila. Sie nahm sich einen Gemüsespieß und tauchte das vorderste Möhrenstück in den Joghurt-Dip. »Die Besitzer von Willow haben sich angekündigt.«
Vor Schreck rutschte mir das Brötchen aus der Hand, in das ich gerade hatte hineinbeißen wollen. »Was? Etwa die Isherwoods? Aber …« Um mich herum verschwamm alles, und ich atmete ein paarmal tief durch, bevor ich weitersprechen konnte. »Aber Willows Besitzer … die leben doch in Florida.«
Warum tauchten die plötzlich auf dem Hollerhof auf? Ob sie wegen Willow hier waren? Was hatte das zu bedeuten?
»Kein Grund zur Panik«, meinte Mila sofort. »Aiden ist total nett, den habe ich schon mal getroffen. Mama sagt, dass er seine Nichte abgeholt hat.« Sie knabberte an ihrem Spieß. »Sie war wohl für ein paar Monate in einem Internat in der Schweiz. Und jetzt wollen die beiden noch bei uns vorbeischauen, bevor sie zurück in die Staaten fliegen.«
»Ach so.« Ein wenig beruhigter lehnte ich mich gegen einen Baumstamm. »Aber bitte denk nächstes Mal daran, dass du mich gleich vorwarnst.«
»Hey, das klingt echt harmlos.« Lukas stupste mich an.
Ich versuchte zurückzulächeln, aber ganz locker kam das wohl nicht rüber.
Das ist doch nur ein Spontanbesuch, versuchte ich mir einzureden. Wahrscheinlich machten die Isherwoods jetzt einfach zusammen Urlaub in Deutschland. Da war es nur verständlich, dass sie auch bei ihrem Pferd vorbeischauten. »Genau, es ist alles völlig entspannt«, versicherte Mila mir. »Deswegen habe ich es ja auch vergessen. Sonst hätte ich auf jeden Fall was gesagt.«
»Und warum müssen wir demnächst schon wieder los?«, wollte Lukas wissen.
»Mama steht auf der Autobahn im Stau.« Mila verdrehte die Augen. »Stellt euch das mal vor: Seit einem Vierteljahr überlegt sie, ob sie bei diesem Wellness-Tag mitmachen soll oder nicht, und nun das! Bestimmt traut sie sich jetzt wieder zwei Jahre nirgendwohin, weil sie Angst hat, dass nicht alles nach Plan läuft.«
»Das würde Corinna ähnlichsehen«, pflichtete Kay ihr bei.
Mila fing an, ihr Geschirr zusammenzuräumen. »Sie schafft es so schnell nicht nach Hause, deshalb muss ich zurück zum Hof und Aiden und seine Nichte in Empfang nehmen. Ihr könnt natürlich hierbleiben und weitermachen.«
»Ach Quatsch, ich komme mit.« Ich stand auf und sammelte meine Sachen ebenfalls ein.
Auch Kay, Josse und Lukas schlossen sich uns an.
»Das nächste Mal haben wir wieder mehr Zeit«, sagte Kay, als Lukas und Josse leise seufzten.
Lukas nickte. »Trotzdem ist es ein bisschen schade. Ich hatte eigentlich gedacht, dass unser Picknick etwas länger dauern würde.«
Josse schniefte scherzhaft. »Jo, bei der Arbeit, die wir uns gemacht haben!«
»Es war echt spitze.« Kay schnappte sich die letzte Dattel, bevor Mila die Dose in einer Satteltasche verstaute. »Ihr bekommt auf jeden Fall eine gute Punktzahl.«
Während wir zusammen den Rest des Picknicks wegräumten, fragte ich: »Wie lange bleibt Mr Isherwood denn hier?«
Mila fummelte umständlich am Verschluss von Josses Wanderrucksack herum und versuchte, gleichzeitig zu verhindern, dass ihr ein Stapel Dosen unterm Arm wegrutschte.
»Warte, ich helfe dir.« Mit zwei Sätzen war Lukas bei ihr und öffnete den Rucksack.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Mila mir und stopfte alles hinein. »Ich weiß gar nicht, wie lange Aidens Nichte Ferien hat. Oder ob sie überhaupt wieder zur Schule geht.«
»Ist ja auch nicht so wichtig.« Doch während wir unsere Pferde bereitmachten, hatte ich trotzdem ein mulmiges Gefühl. Willows Besitzer waren hier! Wahrscheinlich wirklich nur zu Besuch, sonst wäre Mila jetzt bestimmt nicht so locker. Dennoch: Mir wäre wohler gewesen, wenn die Isherwoods auf der anderen Seite des Atlantiks geblieben wären. Aber so oder so würde ich sie ja gleich kennenlernen, also brachte es überhaupt nichts, sich jetzt schon den Kopf über sie zu zerbrechen.
»Können wir?« Mila band Gonzo los. »Ich habe Mama versprochen, dass ich rechtzeitig da bin, damit sie nicht vor verschlossenen Türen stehen.«
»Wohnen sie bei euch?«, fragte Kay und führte Mortimer von der Lichtung.
»Nein, sie haben in irgendeinem Hotel in der Stadt eingecheckt«, sagte Mila, »aber keine Ahnung, wo.«
Ich trieb Willow ein wenig an und schloss zu Kay auf, sobald wir den breiten Hauptweg im Wald erreichten.
Sanft streichelte ich Willows Hals. Willow. Wenn sie bloß mein eigenes Pferd wäre! Dann würde ich mir jetzt überhaupt keine Gedanken über die Ankunft irgendwelcher Leute aus den USA machen. Apropos USA … War da nicht auch gerade Ben unterwegs?
»Hast du eigentlich mal wieder was von Ben gehört?«, fragte ich, um mich ein wenig abzulenken.
»Ja, neulich hatten wir einen Video-Call«, antwortete Kay. »Er reist gerade mit zwei Eseln durch Patagonien. Scheint ihm gutzugehen.«
Ah. Also nicht die USA, aber immerhin Südamerika, da lag ich ja nicht komplett daneben.
»Marlene hat neulich erwähnt, dass sie ihn vielleicht nächstes Jahr besuchen will.«
»Oh, davon hat Ben gar nichts erzählt.«
»Wahrscheinlich weiß er auch noch nichts davon. Sie wollte sich das noch mal gründlich überlegen.«
»Ich finde, Ben und Marlene waren echt ein süßes Paar.« Mila lächelte versonnen.
»Tja, leider hat Ben es vermasselt.« Kay seufzte.
»Das ist noch nicht gesagt«, widersprach ich. »Ich hab das Gefühl, sie nähern sich wieder an.«
»Wenn ich an all seine früheren Freundinnen denke, dann wäre das echt ein Gewinn«, sagte Kay trocken.
Ich straffte die Schultern und nahm die Zügel etwas auf, denn in diesem Moment tänzelte Willow an Sally vorbei, die das gar nicht mochte.
Willow war in guter Verfassung. Wahnsinn, wie weit wir im letzten halben Jahr gekommen waren! Von dem nervösen Pferd, das mich noch vor Ostern immer wieder fast über den Haufen gerannt hatte, war nichts mehr übriggeblieben. Auch wenn Willow bei Fremden immer noch zurückhaltend war, hatte sie sich mir gegenüber völlig gewandelt. Was wohl die Isherwoods zu ihr sagen würden?
Kurz darauf ritten wir hintereinander auf das windschiefe Tor mit dem Holzschild zu. »Willkommen auf dem Hollerhof« stand in schnörkeliger Schrift darauf.
Sobald ich das Schild sah, fühlte ich mich wieder deutlich entspannter. Das hier war der Hollerhof, nicht Birkenmoor. Alles war friedlich und vertraut – und meine Sorgen lösten sich förmlich in Luft auf.
Als hätte ein guter Geist meine Gedanken gehört, fuhr in diesem Moment Corinnas Kombi die Einfahrt herauf.
»Hey, du hast es ja doch noch rechtzeitig geschafft«, begrüßte Mila sie freudig.
Corinna lehnte sich aus dem offenen Fenster. »Das verdanke ich nur den Leuten von der Straßenmeisterei. Die haben die Autobahn im Nu freigeräumt.«
Sie parkte den Wagen und folgte uns zum Stall, wo wir abstiegen. Kay, Lukas und Josse sattelten zügig ihre Pferde ab und Mila holte sofort Gonzos Putzkasten aus der Sattelkammer. Ich dagegen hatte es nicht so eilig.
Zärtlich strich ich über Willows Kruppe. »Nach dem Ausritt hast du dir jetzt ein richtig feines Abendessen verdient.«
Willow schnaubte energisch. Anscheinend sah sie das genauso!
Mila legte den Hufkratzer zurück in den Putzkasten und wies auf das Tor. »Mama, du bist keine Sekunde zu früh gekommen.«
Ein dunkelblaues Auto bog um die Ecke und hielt neben Corinnas Kombi auf dem Parkplatz. Drei Leute stiegen aus.
Während ich den Gurt von Willows Sattel löste, sah ich immer wieder zu ihnen hin und musterte sie verstohlen. Der jüngere der beiden Männer und das Mädchen machten sich am Kofferraum zu schaffen. Der zweite Mann schlug die Beifahrertür des Wagens zu und winkte lächelnd, als er uns entdeckte. Er war groß, hatte dunkles Haar mit ziemlich vielen silbernen Strähnen darin und wirkte sportlich in seiner eleganten Windjacke.
Corinna strahlte und lief ihm entgegen. »Aiden! Ist das lange her!«
Die beiden umarmten sich herzlich, dann löste sich Aiden von Corinna. »Du bist keinen Tag älter geworden. Braut ihr hier irgendwo einen Zaubertrank oder wie machst du das?«
»Das ist nur die gute Landluft.«
»Die haben wir doch bei uns auch.«
Zuerst begrüßte er Mila und danach uns und erzählte dabei ausführlich von dem turbulenten Hinflug und der hindernisreichen Anreise aus der Schweiz. Hey, Moment mal! Er sprach ja fast ohne Akzent Deutsch. Das war mir zuerst gar nicht aufgefallen.
Anscheinend hatte er mir meine Verwunderung irgendwie am Gesicht abgelesen, denn er lächelte breit und erklärte: »Ich habe Verwandte in Deutschland und meine Frau kam ebenfalls von hier.«
Als der andere Mann auf uns zutrat, wandte Aiden sich an Corinna. »An Lewis erinnerst du dich doch noch, oder?«
»Natürlich.« Corinna trat auf Lewis zu und schüttelte ihm die Hand.
Lewis musste etliche Jahre jünger sein als Corinna und Aiden, allerdings war ich echt keine Expertin, was das Alter von Erwachsenen anging. Er war etwas kleiner als Aiden, hatte kurze hellbraune Haare und eine Haut, der man es ansah, dass er sich oft im Freien aufhielt. Kay zwinkerte Mila und mir unauffällig zu. Wetten, dass ich wusste, was sie gerade dachte? Mein Typ war er ja nicht, aber sie hatte recht: Er sah schon ziemlich gut aus.
»Ohne Lewis käme ich nicht klar«, erklärte Aiden uns. »Er ist meine rechte Hand und hilft mir bei allem, was anliegt.«
»Hi, nice to meet you«, sagte Lewis und lächelte uns an. Neugierig schaute er sich um. »I like this place.« Er deutete auf das Dach. »Is there really another floor?«
Mila nickte. »Yes, but wait until you see the ramp for the ponies!«
Hinter mir sog jemand scharf die Luft ein. Ich drehte mich um, konnte aber nicht herausfinden, wer es gewesen war. Lukas? Josse? Kay? Egal, denn nun kam zögernd auch das Mädchen auf uns zu. Willow spitzte neugierig die Ohren.
Sie war zierlich, wirkte aber trotzdem so, als könnte sie so schnell nichts umhauen. Ihre rotblonden Haare waren leicht gewellt und reichten ihr bis auf die Schultern und sie trug ein cooles Kapuzenkleid. So hätte sie glatt als Filmstar durchgehen können.
»Darf ich vorstellen: meine Nichte Harper.« Aiden winkte das Mädchen heran. »Come on, Harper, nicht so schüchtern!«
Harper lächelte uns scheu an. Sie musste etwa in unserem Alter sein, vielleicht auch ein bisschen älter.
»Hi.« Sie streckte zuerst mir die Hand hin und stellte sich dann dicht vor Willow. »Das ist aber ein schönes Pferd.«
Ihre Stimme war erstaunlich tief und sie sprach genauso gut Deutsch wie Aiden, nur ihr Akzent war ein klein wenig anders.
»Ja, finde ich auch.« Ich räusperte mich. »Das ist Willow.«
Anstatt zurückzuweichen, wie sie es sonst bei Fremden machte, trat Willow einen Schritt vor und senkte den Kopf. Nun stöberte sie auch noch mit ihrer Nase in Harpers Haaren herum!
»Ähm«, begann Lukas, verstummte dann aber wieder.
Wie gelähmt verfolgte ich, wie Harper langsam den Arm hob und Willow sanft über den Hals strich. Und Willow ließ sich das nur zu gern gefallen! Sie nahm den Kopf noch etwas tiefer und schmiegte sich an Harpers Sweatshirtkleid. War das meine Willow? Sonst war sie anderen gegenüber doch immer so zurückhaltend!
Dann riss ich mich zusammen. Hallo? Jetzt mal ganz cool bleiben! Es war doch toll, dass Willow so offen reagierte! Ein weiterer Beweis dafür, wie gut sie sich entwickelt hatte. Für Eifersucht gab es nun echt keinen Grund. »Sie mag es gern, wenn sie hinter den Ohren gekrault wird.«
»Oh, danke für den Tipp.«
Harper probierte es gleich aus und kicherte, als Willows Unterlippe anfing, behaglich zu zittern.
Jetzt trat auch Aiden zu uns und streckte die Hand nach Willow aus.
»Good girl«, sagte Aiden, und seine Stimme klang mit einem Mal ganz rau. »You are a good girl.« Sanft ließ er seine Hand über Willows Rücken gleiten. Er legte Harper einen Arm um die Schultern. »Ist dein zukünftiges Pferd nicht zauberhaft?«
Ich zuckte zurück. Was hatte er da gerade gesagt?
Einen Augenblick lang schienen alle die Luft anzuhalten.
Mir war, als hätte Aiden seine Faust in meinen Magen gerammt, aber ich schwankte nicht. Ich blieb einfach, wo ich war. Direkt neben Willow.
Corinna fand zuerst die Sprache wieder. »Ähm, zukünftiges Pferd?«
»Was soll das denn heißen?«, fragte Mila entsetzt.
Zum Glück übernahm sie das für mich! Ich war wie in Schockstarre und völlig unfähig, etwas zu sagen.
»Entschuldigt, jetzt falle ich mit der Tür ins Haus«, erwiderte Aiden. »Ich hatte geplant, dass wir Willow wieder mit zurück in die Staaten nehmen. Vielleicht können wir das ja gleich beim Essen in Ruhe besprechen.«
Das war zu viel für mich. Ich warf Aiden den Führstrick zu und rannte los.
»Ylvi, warte«, hörte ich Lukas und Mila hinter mir rufen.
Warten? Ganz bestimmt nicht! Nur weg hier, so schnell wie möglich weg!
In Lichtgeschwindigkeit radelte ich nach Hause. In Marlenes Zimmer oben im ersten Stock war es hell, und aus dem Wohnzimmer im Erdgeschoss hörte ich, wie Mama und Papa sich unterhielten. Leise schloss ich die Haustür hinter mir und zog die Reitstiefel aus, dann schlich ich auf Strümpfen die Treppe hoch. Ich hatte keine Lust, heute noch mit irgendjemandem zu sprechen.
Als ich mich aufs Bett warf, vibrierte das Smartphone in meiner Tasche. Mila. Lukas. Und kurz darauf auch Kay und Josse.
Ich stopfte das Handy unter ein paar Kissen und verkroch mich unter der Decke. Das war alles ein Albtraum, so ein verdammter Albtraum. Ein paar Minuten lang dachte ich gar nichts, fühlte mich einfach nur elend. Wie konnte das alles sein? Das Telefon hörte nicht auf zu vibrieren. Bestimmt machten sich die anderen Sorgen.
Als Lukas es das nächste Mal versuchte, ging ich ran.
»Hey, wie geht’s dir?«
»Na ja …«
»Okay, vergiss es, bescheuerte Frage.«
»Ich wünschte, ich hätte das eben nur geträumt.«
»Ylvi, das klärt sich auf. Mila will mit ihrer Mutter darüber sprechen.«
»Hat Aiden denn noch mehr gesagt?«
»Nee, die hatten alle drei Jetlag und sind, kurz nachdem du weg warst, in ihr Hotel gefahren. Corinna hat sie begleitet.« Wir schwiegen einen Augenblick, dann sagte Lukas: »Soll ich vorbeikommen?«
»Danke, aber weißt du … ich glaube, ich versuche gleich mal zu schlafen.«
»Klar, das verstehe ich.« Er gähnte. »Ist ja schon spät. Und morgen schreiben wir Mathe.«
Kurz war ich traurig, dass er nicht hartnäckiger war, aber das war natürlich albern.
Er gähnte wieder. »Das ist alles nur ein blödes Missverständnis.«
Schön, wenn wenigstens einer von uns zuversichtlich war. Also, ich nicht, so viel stand fest.
Aiden kam mir nicht wie ein Typ vor, der etwas sagte, was er nicht auch so meinte. Klar, ich hatte ihn nur wenige Minuten gesehen und kannte ihn überhaupt nicht. Doch auf mich hatte er zielstrebig gewirkt.
Wir wünschten uns eine gute Nacht und legten auf, und ich schrieb noch schnell eine Nachricht an unsere Gruppe.
Mila antwortete mir direkt.
»Ich spreche mit Mama!!«
»Danke!! Und …« Ich hielt inne. War das jetzt albern? Dann fragte ich doch: »Harper und Willow … sie ist nicht auf ihr geritten, oder?«
»Quatsch!! Es war gar nichts mehr.«
Jetzt war ich ein klein wenig beruhigter. »Ich versuche mal zu schlafen. Wir sprechen morgen.«
»Unbedingt! Drück dich!«
Ich schickte ihr noch ein Herz-Emoji, dann packte ich das Handy endgültig weg.
Auf einmal war mir eiskalt, also stand ich wieder auf und suchte im Schrank nach dem extrawarmen Pyjama. Eine Wärmflasche wäre perfekt gewesen, aber unten in der Küche Wasser heiß zu machen, war mir jetzt echt zu viel. Meine Arme und Beine fühlten sich an, als hingen Gewichte daran. Völlig erledigt kroch ich wieder ins Bett und nahm Zorro in den Arm. Mein Kuschelpferd von früher kam immer noch zum Einsatz, wenn es mir schlecht ging.
Es dauerte eine ganze Weile, aber irgendwann schlief ich erschöpft ein.
Direkt vor dem Fenster krächzte eine Krähe und weckte mich zehn Minuten vor dem Wecker. Im ersten Moment fühlte sich alles an wie immer: Ich freute mich darauf, Lukas in der Schule zu sehen. Die Sonne schien mir wohlig warm ins Gesicht. Und nachher würde ich mit Mila einen Ausritt machen, nur wir zwei.
Im nächsten Augenblick traf es mich wie ein Schlag: ein Ausritt? Auf Willow?
Sofort tauchten die Bilder von gestern Abend wieder auf. Aiden. Harper. Und ich hörte Aidens Stimme, als stünde er direkt neben meinem Bett. Ist dein zukünftiges Pferd nicht zauberhaft?
Das durfte einfach nicht wahr sein! Ich angelte nach dem Handy. Keine Nachricht von Mila. War das ein schlechtes Zeichen? Oder hatte ich das gestern falsch verstanden und sie hatte doch nicht mehr mit Corinna geredet?
Lustlos quälte ich mich aus dem Bett, griff mir irgendwelche Klamotten, machte eine Katzenwäsche im Bad und schlurfte die Treppe hinunter.
Bella begrüßte mich schwanzwedelnd, als hätten wir uns seit meiner Einschulung nicht mehr gesehen. Anstatt sie wie sonst ausgiebig zu kraulen, wuschelte ich ihr nur kurz durchs Fell und schlich zum Kühlschrank. Na toll! Jetzt war auch noch mein Lieblingssaft alle.
Mama verfolgte misstrauisch jede meiner Bewegungen.
»Hast du schlecht geschlafen?«, fragte sie. »Wann bist du überhaupt nach Hause gekommen? Du hast gar nicht mehr Gute Nacht gesagt.«
Marlene stöhnte. »Jetzt lass sie doch erst mal ankommen im Tag.«
Mama gab mir einen Kuss auf die Stirn, als ich mich zu ihnen an den Esstisch setzte. »Entschuldige, Schatz. Wie wäre es mit einer Portion Haferbrei?«
Flavia schob energisch ihre Schale von sich. »Fertig!«
»Du hast doch kaum was gegessen«, protestierte Mama, aber Flavia verkrümelte sich blitzschnell zu Bella unter den Tisch.
Hm, sollte mir das eine Warnung sein? Ein bisschen verbrannt roch es zwar schon aus dem Topf vor mir, aber ach! Ich riskierte es trotzdem. Mit drei Löffeln Honig und einem Haufen Tiefkühlhimbeeren schmeckte es sogar ganz gut, obwohl ich nicht wie sonst mit Appetit aß.
Mama beobachtete mich besorgt, stellte aber zum Glück keine weiteren Fragen. Ob das etwas mit Marlene zu tun hatte? Die warf ihr nämlich immer wieder warnende Blicke zu.
Papa raschelte mit der Zeitung. Fast alle Leute, die ich kannte, hatten irgendetwas im Internet abonniert, aber bei Mama und Papa kam immer noch die Zeitung morgens ins Haus.
Während ich in meinem total übernächtigten Zustand darum kämpfte, nicht mit der Nase voran in den Haferbrei zu kippen, erzählte Papa irgendwas von einem Brand in der Altstadt. Da konnte man mal sehen, wie nutzlos dieses Käseblatt war. Die wirklich weltbewegenden Dinge, wie zum Beispiel stinkreiche Pferdeentführer aus Florida, standen nicht drin.
»Ach«, meinte Mama. »War nicht vor ein paar Monaten schon mal Feueralarm? Und während der Sommerferien auch?«
Papa nickte. »Wahrscheinlich ein paar Jugendliche, denen langweilig war.«
»Papa!«, schimpfte Marlene sofort los. »Jetzt schieb nicht alles auf Jugendliche. Es kann doch auch ein gelangweilter Alter sein. Oder eine Alte«, fügte sie hinzu.
Papa faltete die Zeitung zusammen. »Du hast recht«, sagte er versöhnlich, »das ist natürlich auch möglich. Keine Vorurteile!«
Ich hörte ihnen nicht weiter zu, denn was interessierte es mich, ob irgendwo in der Stadt etwas brannte? Apropos brennen … Siedend heiß fiel mir etwas anderes ein. Mathe!
»Ich muss los.« Hastig schob ich den Stuhl zurück und brachte die Schale zur Spüle. »Wir schreiben gleich Mathe und ich muss mir vorher unbedingt noch was angucken.«
»Aber Ylvi«, rief Mama mir nach. »Du sollst doch in Ruhe lernen.«
»Hab ich ja auch«, antwortete ich von der Tür her und schlüpfte schnell nach draußen.
»Viel Glück«, wünschten mir Papa und Marlene gleichzeitig, Flavia juchzte und Bella kläffte zustimmend.
Sobald ich in die Klasse kam, stand Lukas von seinem Platz auf und guckte ganz besorgt. Mir schossen die Tränen in die Augen, aber ich hatte absolut keine Lust, vor der versammelten Klasse zu heulen, also wischte ich mir schnell mit dem Ärmel über das Gesicht und verzog mich zu meinem Platz in der vorletzten Reihe.
Er legte kurz den Arm um mich. »Alles okay? Du siehst total käsig aus.«
»Nein, schon gut. Ich hoffe einfach, dass du recht hast und alles nur ein riesengroßes Missverständnis ist.«
»Hast du schon etwas von Mila gehört?«
Mila, Kay und Josse gingen auf das andere Gymnasium in der Stadt, was die Kommunikation an Schultagen manchmal etwas kompliziert machte.
»Ja, gerade eben.« Ihre Nachricht hatte ich kurz vor dem Schultor bekommen.
»Und?«
»Corinna wollte um Mitternacht nicht mehr darüber sprechen. Sie war wohl etwas stinkig, dass Mila so lange auf sie gewartet hatte, obwohl heute Schule ist.«
»Soll ich Hockey absagen?«, fragte er. »Dann könnte ich mitkommen.«
»Ach Quatsch, ich erzähle dir alles hinterher. Mila und ich wollten sowieso ausreiten.« Wenn das überhaupt noch ging.
Vor lauter Aufregung vergaß ich völlig, dass ich noch den Hefteintrag zu Geometrie nachlesen wollte. Aber da klingelte es schon und unsere Klassenlehrerin kam mit den Arbeiten herein.
Es war ein einziges Desaster. Schon nach den ersten Aufgaben bekam ich bohrende Kopfschmerzen. Immer wieder schweiften meine Gedanken zu Willow ab und dazu, was jetzt aus uns beiden werden würde. Wie sollte ich mich so jemals konzentrieren? Die Zahlen verschwammen vor meinen Augen, und als ich zum Geodreieck griff, zitterte meine Hand.
Reiß dich gefälligst zusammen, ermahnte ich mich, du kriegst Panik, ohne zu wissen, was wirklich los ist.
Es half ja auch nichts. Ich musste einfach abwarten, bis ich nachher mit Corinna sprechen konnte.
Der Rest des Schultags verging quälend langsam, denn nach der verhauenen Mathe-Arbeit wurde es nicht besser, eher im Gegenteil: Papa hatte unsere Pausenbrote vertauscht und ich hatte Marlenes gruselige vegane Paste auf Vollkornbrot in der Brotdose – das ging gar nicht! Zum Schluss bekam ich noch eine Vier minus in Deutsch wieder. Na toll …
»Ich melde mich nachher mal«, verabschiedete ich mich endlich mittags von Lukas.
Er hob die gedrückten Daumen. »Viel Glück!«
Bei einem kurzen Zwischenstopp zu Hause schlüpfte ich in die Reitsachen. Seit dem Haferbrei heute Morgen hatte ich nichts mehr hinuntergebracht, aber jetzt merkte ich, wie hungrig ich war. Zum Glück war noch etwas von dem Auflauf von gestern übrig.
»Soll ich ihn dir nicht aufwärmen?«, fragte Mama, doch da klingelte schon ihr nächster Klavierschüler.
»Schmeckt auch kalt«, rief ich ihr nach, aber so, wie sie mich ansah, beruhigte sie das keineswegs.
»Wenn du nach Hause kommst, reden wir! Irgendetwas ist doch mit dir los.«
»Ist gut«, lenkte ich ein. Hoffentlich entpuppte sich alles nur als falscher Alarm! Dann würde ich Mama nachher schnell wieder beruhigen können. Es war einfacher, im Nachhinein davon zu erzählen, als ihr jetzt all meine Befürchtungen zu unterbreiten. Abgesehen davon würde sie sonst sowieso nur wiederholen, was die anderen mir gestern auch geschrieben hatten: Warte ab. Bestimmt ist das alles nur ein Missverständnis.
Willow stand mit Gonzo und den anderen auf der Weide, als ich auf den Hollerhof kam. Corinna war nirgends zu finden, und Mila würde leider erst etwas später aus der Schule kommen, daher beschloss ich, bei Willow zu warten, bis ich mehr erfahren würde.
»Hey, Süße«, lockte ich sie zu mir, und wie meistens in letzter Zeit kam sie geradewegs auf mich zu.
Ich duckte mich unter dem Zaun durch und lief zu ihr. Aufgewühlt schlang ich die Arme um ihren Hals und schmiegte mich an sie. Es war das Beste auf der Welt, ihr so nah zu sein. Sobald ich ihre Wärme spürte, wurde ich wieder ruhiger. Willow! Ich wollte sie nicht verlieren!
Eine Weile standen wir ganz still da. So lange war Willow noch nie ruhig bei mir gewesen, normalerweise wurde sie recht schnell ungeduldig und begann wieder zu grasen. Ich schloss die Augen und atmete ihren vertrauten Duft ein. Eine Biene summte ganz in der Nähe und über uns schossen ein paar Vögel zwitschernd durch die Luft.
»Hier steckst du«, sagte Mila plötzlich hinter uns. »Das dachte ich mir doch.«
Sie hatte ihren Rucksack dabei, daher fragte ich: »Kommst du direkt aus der Schule?«
»Ja, ich wollte zuerst zu dir.« Sie seufzte. »Mama ist noch unterwegs, aber sie müsste demnächst kommen.«
Sie begrüßte Gonzo und setzte sich dann dicht neben Willow ins Gras. »Ich brauche ja wohl nicht zu fragen, wie es dir geht.«
Ich löste mich von Willow und legte mich neben Mila auf den Bauch.
»Mama war echt überrumpelt gestern«, sagte sie. »Aiden hat ihr vorher keine Silbe davon erzählt, dass er Willow mitnehmen möchte.«
Ich zupfte einen Grashalm ab und zerlegte ihn konzentriert in gleich große Stücke. »Darf ich denn jetzt noch auf Willow reiten?«
»Na, das wäre ja noch schöner! Natürlich.« Mila stützte den Kopf in die Hände. »Bestimmt kommen sie nachher noch vorbei.«
Oje. Dann konnte Corinna bestimmt nicht mehr in Ruhe mit mir sprechen. Sie musste sich doch um ihre Gäste kümmern.
Mila hatte wie immer erraten, was in mir vorging. Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Mama ist wahrscheinlich wieder da.«
»Also los!« Ich sprang auf und ging noch mal zu Willow. Sie war ein kleines Stück weitergezogen, Seite an Seite mit ihrem besten Freund Gonzo. Der Anblick der beiden, wie sie so dicht nebeneinander grasten, versetzte mir einen Stich. Nicht nur ich würde Willow vielleicht verlieren, sondern auch sie müsste sich an eine andere Umgebung gewöhnen. Und sie würde ihre Pferdefreunde verlassen müssen!
»Das kann ich nicht zulassen«, flüsterte ich und streichelte sanft über ihren Hals. »Du gehörst doch zu uns, auf den Hollerhof.«
Sie schnaubte leise und zupfte das nächste Grasbüschel ab.
Corinna war tatsächlich im Stall und mistete gerade die große Ponybox im ersten Stock aus. Wir liefen die Rampe hinauf, und dabei war mir, als würden mir jeden Moment die Beine wegknicken.
Corinna sah auf und stellte sofort die Mistgabel an die Wand.
»Ylvi.« Sie kam auf mich zu und schloss mich in die Arme. »Ich kann mir vorstellen, wie es dir gerade geht.«
Sofort schossen mir Tränen in die Augen – schon wieder! Dabei fing ich doch sonst nicht so leicht zu weinen an!
Corinna löste sich von mir und sah mich mitfühlend an. »Das war ein furchtbarer Schreck gestern Abend, nicht wahr?«
Ich brachte nur ein Nicken zustande.
»Für mich auch«, gestand sie. »Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.«
Sie wandte sich ab und führte mich zum Sofa.
Das Sofa im ersten Stock war einer unserer absoluten Lieblingsplätze. Durch die niedrigen, großen Dachfenster hatten wir einen herrlichen Blick auf die Umgebung und waren hinter den Strohballen und Holzpfeilern dazu noch absolut ungestört. Und immer wenn ich hier ein bisschen Zeit verbrachte, ging es mir anschließend gut. Da konnte das Reiterstübchen auf Birkenmoor längst nicht mithalten.
Fast jeden Nachmittag trafen Kay, Josse, Mila und ich uns in unserer Ecke. Auch Lukas kam dazu, wenn er Zeit hatte. Er hatte Peanut ja noch auf Gut Birkenmoor stehen und oft half er dort mit. Im Gegensatz zu mir verstand er sich super mit dem Besitzer Hanno und lernte eine Menge bei ihm.
Mila zog sich einen Strohballen heran, während Corinna und ich uns aufs Sofa setzten. Mr Mouse schlich heran und sprang mit einem Satz auf Milas Schoß. Seine großen grünen Augen fixierten mich.
»Ihr wisst ja, woher Willow kommt«, begann Corinna.
Das war eines der wenigen Dinge, die ich über Willows Vergangenheit erfahren hatte. »Sie ist auf einem Gut in Florida aufgewachsen.«
»Richtig. Zu der Zeit habe ich bei Aiden und seiner Frau Yasmin auf dem Hof gearbeitet und die Pferde trainiert.«
»Und dort ist Willow geboren worden?«, vergewisserte Mila sich.
»Ja.« Corinnas Gesicht bekam einen verträumten Ausdruck. »Sie war das erste Fohlen, bei dessen Geburt ich dabei war.«
»Hast du dich seitdem immer um sie gekümmert?«, fragte ich.
»Schon, wenn ich in Florida war«, antwortete Corinna. »Ich bin ja einige Jahre lang zwischen den Staaten und Deutschland gependelt.«
»In der Zeit habe ich bei Papa gewohnt«, warf Mila ein.
»Genau, bis ich es irgendwann nicht mehr ausgehalten habe, dass ich so lange von dir getrennt war.« Corinna lächelte sie an. »Abgesehen davon: Das Training mit den Pferden war echt schön, aber irgendwann hat mir etwas Eigenes gefehlt.« Sie zupfte einen Strohhalm vom Sofa und spielte gedankenverloren damit herum. »Aiden und seine Frau Yasmin waren super.«
Ein Schatten legte sich über ihr Gesicht.
»Kurz nachdem ich gekündigt hatte, gab es einen furchtbaren Unfall. In einem der Ställe ist ein Feuer ausgebrochen.«
Mila schnappte nach Luft. »Das hast du nie erzählt!«
»Tja, über so etwas spricht man nicht so leicht.« Corinna fuhr sich über das Gesicht. »Bei dem Brand kam Yasmin ums Leben. Und zwar, als sie versuchte, Willow zu retten.«
Mir wurde eiskalt, aber bevor ich etwas sagen konnte, griff Corinna nach meiner Hand.
»Deshalb ist Willow für Aiden auch etwas ganz Besonderes, verstehst du? Yasmin hat sehr an ihr gehangen. Wir haben gestern noch lange darüber gesprochen und es ist ihm ernst damit.«
Mein Herz klopfte schneller. Es war also genauso schlimm, wie ich befürchtet hatte!
»Aiden möchte Willow wieder bei sich haben«, sagte Corinna mit fester Stimme.
Tränen liefen mir übers Gesicht, und diesmal versuchte ich gar nicht erst, sie zu unterdrücken. So schnell änderte sich alles! Eben noch war ich glücklich gewesen, wie gut Willow und ich zusammengewachsen waren – und jetzt war das plötzlich egal! Sie musste weg! Willow würde von hier fortgehen. Wie aus weiter Ferne hörte ich Corinna etwas sagen, dann nahm Mila mich in die Arme.
Corinna streichelte mir über die Haare. »Es tut mir furchtbar leid, Ylvi.«
»Kannst du nicht irgendetwas tun, Mama?«, flehte Mila.
Vorsichtig machte ich mich von ihr los und wischte mir ein paar feuchte Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Bitte, Corinna. Sprichst du noch mal mit Aiden?«
Sie zögerte.
»Willow hat sich hier total gut gemacht! Wenn Willow Aiden wirklich so am Herzen liegt, dann muss er doch sehen, was das Beste für sie ist.«
Corinna seufzte. »So einfach ist es leider nicht. Er möchte auch gern, dass Harper in Zukunft auf ihr reitet.«
»Die kann auch jedes andere Pferd nehmen!«, rief Mila empört.
Mein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Harper? Harper sollte auf Willow reiten? Deswegen war sie also mitgekommen. Dann würde sie sich künftig um Willow kümmern. Sie würde mit ihr kuscheln und ausreiten, sie beim Tierarzt und Hufschmied beruhigen und sie würde natürlich auch Unterricht auf ihr bekommen – all das, was bisher ich gemacht hatte!
Mila und Corinna strichen mir über den Rücken und versuchten, mich zu beruhigen. Irgendwann war ich völlig leergeweint. Einen Moment lag ich still da. Der weiche Samtbezug des Sofas schmiegte sich an meine Wange. Unter mir stampfte ein Pferd in seiner Box auf. Und nur wenige Meter weiter, drüben auf der Weide, stand Willow.
Ich atmete tief durch. Nein! So schnell wollte ich mich nicht geschlagen geben! Dafür hatte ich viel zu hart um Willow gekämpft! Wenn es irgendeine Chance gab, dass Corinna Aiden noch umstimmen konnte, dann mussten wir sie nutzen!
»Bitte versuch es wenigstens«, bettelte ich.
»Okay, ich werde noch mal mit Aiden reden«, willigte Corinna ein.
»Danke!«, flüsterte ich.
»Aiden ist in Ordnung. Ich bin sicher, ihn lässt es nicht kalt, dass du so an Willow hängst.« Corinna sah mich eindringlich an. »Aber versprechen kann ich dir trotzdem nichts.«
Das war klar. Immerhin würde sie es noch mal versuchen. Und so lange war nicht alles verloren!
Unten waren Schritte zu hören.
»Corinna?«