Soziale Zukunft -  - E-Book

Soziale Zukunft E-Book

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Beschreibung

Was könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen für die Gestaltung einer sozialen Zukunft bedeuten? Die Meinungen für und wider ein existenzsicherndes Grundeinkommen für jeden Menschen, ob er arbeitet oder nicht, gehen weit auseinander. Doch die große Debatte um Sinn und Realisierbarkeit der »grandiosen Utopie" könnte für die Zukunftsfähigkeit einer modernen Gesellschaft wegweisend sein.

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Soziale Zukunft

Das bedingungslose Grundeinkommen

Die Debatte

Herausgegeben von Philip Kovce

Verlag Freies Geistesleben

Inhalt

Vorwort

Heinrich Alt: Gegen die Menschenwürde

Dieter Althaus: Mut zur Revolution

Jakob Augstein: Fairness ist Zufall

Daniel Binswanger: Frei von Arbeit?

Norbert Blüm: Wahnsinn mit Methode

Anke Domscheit-Berg: Anders arbeiten

Katja Gentinetta: Freiheit für alle – Verantwortung für alle anderen

Adrienne Goehler: Freiheit, Gleichheit, Grundeinkommen!

Gregor Gysi: Weder gleich noch gerecht

Rainer Hank: Elend der Fülle

Daniel Häni: Verantwortung vor!

Otfried Höffe: Arbeit für alle

Urs Jaeggi: Utopien realisieren

Katja Kipping: Teil der Lösung

Sascha Liebermann: Demokratische Konsequenz

Wolf Lotter: Mehr Faulheit wagen!

Julian Nida-Rümelin: Spaltung der Gesellschaft

Michael Opielka: Gesellschaft für alle

Timo Reuter: Im Herzen des Liberalismus

Frank Rieger: Automatisierungsgewinn

Enno Schmidt: Zeitgeist und Menschenbild

Oswald Sigg: Grundrecht der Zukunft

Ralf Stegner: Wider die menschliche Natur

Thomas Straubhaar: Neubau des Sozialstaats

Hans-Christian Ströbele: Grundrechte lassen sich nicht kürzen

Bernd Ulrich: Gesellschaftsvertrag wider die Angst

Philippe Van Parijs: Warum Linke sich nicht fürchten müssen

Sahra Wagenknecht: Gute Arbeit

Harald Welzer: Zeitenwende

Götz W. Werner: Ist der Mensch Mittel oder Zweck?

Anhang

Autorennotizen

Textnachweise

Literaturhinweise

Über den Autor

Impressum

Vorwort

Das bedingungslose Grundeinkommen bewegt die Gemüter. Ein Einkommen, das in existenzsichernder Höhe, ohne Arbeitszwang, als individueller Rechtsanspruch und ohne Bedürftigkeitsprüfung jedem Einzelnen gewährt wird, scheint den einen längst geboten und den anderen ganz und gar unvernünftig zu sein. So oder so offenbart das Grundeinkommen, dass wir angesichts von Individualisierung und Digitalisierung, von Autonomisierung und Automatisierung neu darüber nachdenken müssen, wie wir das Verhältnis von Arbeit und Einkommen, von Leistung und Verdienst gestalten wollen.

Seit der Unternehmer Götz W. Werner im Dezember 2004 im Lebensmagazin a tempo und im April 2005 im Wirtschaftsmagazin brand eins ein bedingungsloses Grundeinkommen forderte, erfreut sich die Idee wachsender Aufmerksamkeit. Unzählige Gesprächskreise und Bürgerinitiativen wurden inzwischen gegründet, Kolloquien und Kongresse veranstaltet, Bücher und Filme veröffentlicht. Während die Idee vor gut zehn Jahren den meisten schlicht noch nicht bekannt gewesen ist, so darf als erfolgreiche Alphabetisierung in Sachen Grundeinkommen gelten, dass heute kaum einer mehr keine Kenntnis davon besitzt. Nicht zuletzt die Schweizer Volksabstimmung über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens am 5. Juni 2016 verschaffte der Idee weltweit Gehör.

Von der regen Debatte, die das Für und Wider des Grundeinkommens auslotet, zeugt auch der vorliegende Band. Er versammelt 30 Texte von 30 Autoren, die sich wortgewandt an der Grundeinkommensdebatte beteiligen. Der Band bildet die Debatte damit keineswegs vollständig, wohl aber exemplarisch ab. Er lässt nicht nur Argumente dafür und dagegen, sondern außerdem den Tonfall der Debatte anklingen, die überraschende Übereinstimmungen ebenso bereithält wie ärgerliche Missverständnisse. Einige der hier abgedruckten Texte sind bereits andernorts erschienen und dürfen freundlicherweise erneut veröffentlicht werden, andere Texte wurden gleichermaßen freundlich gesondert für diesen Band verfasst.

Es gibt sehr viele und sehr unterschiedliche Gründe, die für und gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen sprechen. Oftmals sind diese Gründe interessanter als der bloße Umstand, dass jemand nun dafür oder dagegen ist. Das bedingungslose Grundeinkommen erweist sich als eine Idee, die über sich selbst hinausweist: Das Grundeinkommen will nicht einfach umgesetzt werden, sondern ermöglicht, dass wir uns darüber abstimmen, wie wir künftig miteinander leben und arbeiten wollen. Das Grundeinkommen zeugt von einer offenen Zukunft, die wir gemeinsam gestalten können. Dieses Freiheitsversprechen führt aus der Phantasielosigkeit der alternativlosen Gegenwart hinaus.

Weihnachten 2016

Philip Kovce

Gegen die Menschenwürde

Von Heinrich Alt

Da soll noch einer behaupten, die Vorstände deutscher Unternehmen hätten keine Ideen mehr. Gab es jahrelang nur einen exotischen Protagonisten aus der Wirtschaft (den Gründer der Drogeriekette dm, Götz W. Werner), der dafür war, so breitet sich gegenwärtig die Idee wie ein Virus aus – fast wäre man versucht, mit Karl Marx zu sagen, ein Gespenst geht um in Europa: das bedingungslose Grundeinkommen. Die Vorstände Kaeser (Siemens) und Höttges (Telekom) haben sich inzwischen als Befürworter geoutet, wie viele andere folgen noch?

Hannah Arendt (1958) hat es schon geahnt, Ralf Dahrendorf (1980) war sich sicher: Der Arbeitsgesellschaft geht die Arbeit aus. Hintergrund der Sorge waren Innovationsschübe, verbunden mit einem Strukturwandel und der Befürchtung, Millionen wegrationalisierter Arbeitsplätze seien nicht zu kompensieren. «Arbeit 4 0.» ist jetzt die Chiffre, um das Thema wieder auf die Bühne zu ziehen. Digitalisierung und Automation werden die Produktion zumindest von Waren automatisch erledigen, die menschliche Arbeitskraft wird überflüssig. Wir entledigen uns der Sorge, Menschen sinnstiftend zu beschäftigen, wir schenken ihnen, wovon schon Aristoteles geschwärmt hat: die vita contemplativa.

Kein Streit mehr um «sozialverträglichen» Arbeitsplatzabbau, keine Tarifverhandlungen, keine Streiks mehr. Betriebsräte und Gleichstellungsbeauftragte werden nicht mehr gebraucht. Der Mensch arbeitet nur noch, wenn er Lust dazu hat. Seine Existenz, sein Überleben ist durch das Grundeinkommen gesichert. Keine asymmetrischen Arbeitsbeziehungen mehr. Der von Existenznöten befreite Bürger verhandelt auf Augenhöhe mit Arbeitgebern. Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsgeld, Kurzarbeit – vieles, was in der Vergangenheit Betriebe und Unternehmen unnötig belastet hat, fällt endlich weg. Schöne neue Arbeitswelt. Werden bei dieser süffigen Idee vielleicht nicht ein paar Kleinigkeiten übersehen?

Noch ist die Produktivität der arbeitenden Bevölkerung Quelle aller Wertschöpfung, nicht der Roboter. So berechtigt die Befürchtungen bei allen Innovationsschüben waren, immer lag ein Wahrnehmungsdilemma zugrunde: Wir sehen, was wegfällt, wir erkennen aber kaum, was Neues entsteht. Hannah Arendt ahnte nichts vom Silicon Valley und vom Handy, Dahrendorf kannte weder das Internet, noch Google oder Facebook. Wäre es nicht denkbar, dass Verteidigungsministerin von der Leyen bald mehr Menschen für Cybersicherheit braucht als durch «Industrie 4 0.» ihren Job verlieren?

Das Allzeithoch der Erwerbstätigkeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt, nicht nur gezählt in Köpfen, sondern auch in geleisteten Arbeitsstunden gemessen, widerspricht allen Prognosen einer Gesellschaft ohne Arbeit. Führen wir nicht auch eine Debatte mit umgekehrtem Vorzeichen? Der Wirtschaft fehlen Fachkräfte und die Demographie wird zur Gefahr. Wenn die Verfechter des Grundeinkommens ihre Idee ernst meinen, wären ein paar detailliertere Gedanken hilfreich, ohne auf die aberwitzigen Finanzierungsvorschläge einzugehen. Wie verhält es sich mit Rente und Krankenversicherung, wer zahlt Beiträge, wer nicht? Gibt es noch Unterhaltsverpflichtungen für eigene Kinder oder wird das eine Aufgabe der Gesamtgesellschaft? Bekommen Mieter und Wohnungseigentümer den gleichen Betrag?

Heißt Grundeinkommen letztlich nicht schlicht, dass sich die Wirtschaft jeder Verantwortung gegenüber den Erwerbsfähigen entledigt? Was ist mit denen, die sich nicht mit dem Grundeinkommen abfinden möchten, aber keine Arbeit finden, weil sie weniger qualifiziert, weniger produktiv, behindert oder älter sind? Rufen wir ihnen zu: «Ihr gehört leider zum überschüssigen Arbeitsangebot, aber da ihr auf der Welt seid, lassen wir euch nicht verhungern.» Ist das die humane Idee hinter dem Grundeinkommen? Meine Lebenserfahrung sagt mir, Arbeitslose leiden nicht darunter, wieder arbeiten zu müssen, sie leiden darunter, nicht arbeiten zu können. Woraus leiten sich Anerkennung und Status ab, wie bleibt man Vorbild für seine Kinder?

Was bedeutet das bedingungslose Grundeinkommen für unser Bildungssystem, gilt auch hier schon das Versprechen eines anstrengungslosen Glücks? Braucht es noch eine Schulpflicht, werden Noten noch ernst genommen? Wer jemals eine Werkstatt für behinderte Menschen besucht, mit ihnen gesprochen und sie bei der Arbeit gesehen hat, weiß: Arbeit ist mehr als Mühe und Last. Wer arbeitet, ist ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, wer arbeitet, gehört dazu. Soll Erwerbsarbeit zu einem Privileg für wenige werden? Werden diejenigen, die früher nicht arbeiten mussten, zu denen, die arbeiten dürfen, und die, die früher arbeiten mussten, zu denen, die nicht mehr arbeiten können?

Das bedingungslose Grundeinkommen mag sich paradiesisch für einige gegängelte Querdenker und Tagträumer anhören, für die überwiegende Mehrheit bleibt es eine Horrorvision. Wachstum und Strukturwandel in einer «freien» Marktwirtschaft führen nicht automatisch zu sozialem Zusammenhalt. Daher besteht ein Konsens für das Modell der sozialen Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung. Sie beinhaltet das Versprechen, Effizienz und Gerechtigkeit auszubalancieren.

Politik und Wirtschaft müssen auch denen Lebensperspektiven anbieten, die nur eingeschränkte Chancen auf Beschäftigung haben. Beteiligungsgerechtigkeit ist ein konstitutives Element unserer Wirtschaftsordnung und eine Frage der Menschenwürde. Jeder hat einen Anspruch auf wirtschaftliche Beteiligung. Jeder wird gebraucht. Kein Talent darf übersehen werden, wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen. Um seiner Selbstachtung willen erhält jeder das Angebot, seine Fähigkeiten zu entfalten und seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu bestreiten.

Wer gute Arbeit für viele will, muss sich auch ethisch schwierigen Abwägungen stellen: Wer wird als «erwerbsfähig» definiert, welcher Mindestlohn ist marktgerecht, welche Einkommensspreizung sind wir bereit zu akzeptieren? Zugegeben eine anstrengendere Übung als die Alimentation scheinbar Unproduktiver. Wir leben in prosperierenden, aber unsicheren Zeiten. Viele Menschen suchen nach Orientierung. Der Wettlauf in die Vergangenheit und Utopien sind keine überzeugenden Antworten. Es wäre wunderbar, wenn die Manager, die sich in Richtung Grundeinkommen verlaufen haben, zu ihrer Kernaufgabe zurückfänden, nämlich mit Kreativität und Tatkraft Dienstleistungs- und Produktionsprozesse so zu gestalten, dass im Sinne guter Arbeit möglichst viele mittun können. Menschen lediglich finanziell abzusichern, mag auch ehrenhaft sein, aber es hat weder etwas mit sozialer Marktwirtschaft noch mit der Menschenwürde zu tun.

Mut zur Revolution

Von Dieter Althaus

Kinderarmut, Altersarmut, Erwerbseinkommen, die nicht mehr existenzsichernd sind, und die Entwicklung hin zu einer Zwei-Klassen-Medizin stärken das Misstrauen in den Bestand der sozialen Sicherungssysteme. Und, was noch schlimmer ist, auch die Akzeptanz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung leidet darunter. Wir Politiker erwecken gerne die Hoffnung, es werde schon alles gut, und alles könne im Prinzip so bleiben, wie es ist. Stimmt das wirklich?

Welche Konzepte verfolgen wir, wenn wir davon sprechen, dass man «die soziale Marktwirtschaft erneuern» müsse? Es ist falsch, nach dem Motto «Die Rente ist sicher» eine nicht vorhandene Sicherheit vorzugaukeln. Es reicht auch nicht aus, nur die Herausforderungen aufzuzeigen, ohne eine konkrete Lösung anzubieten. Mit meinem Vorschlag eines Solidarischen Bürgergeldes habe ich ein Konzept eingebracht, das Antworten gibt.

Das Solidarische Bürgergeld ist ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe des soziokulturellen Existenzminimums für die Bevölkerung in Deutschland. Auf alle Einkünfte wird eine einheitliche Einkommensteuer von 25 Prozent erhoben. Die Steuerschuld wird mit dem Bürgergeld verrechnet. Das Bürgergeld sinkt mit wachsenden eigenen Einkünften. Ist die Steuerschuld höher als das Bürgergeld, wird tatsächlich Einkommensteuer an das Finanzamt bezahlt. Ist die Steuerschuld niedriger als das Bürgergeld oder fällt gar keine Einkommensteuer an, wird das Bürgergeld oder der entsprechende Anteil des Bürgergeldes als sogenannte Negativsteuer ausbezahlt.

Das Solidarische Bürgergeld ist gleichzeitig auch eine Bürgergeldrente. Niemand ist mehr auf die Rentengrundsicherung angewiesen. Das Solidarische Bürgergeld für Minderjährige wird den Eltern ausbezahlt. Es ist ein Kinderbürgergeld, das das bisherige Kindergeld ersetzt und zu einer deutlichen Stärkung der materiellen Grundlagen der Familien in Deutschland beiträgt. Das Bürgergeld hilft ebenso, Angebote der außerhäuslichen Kinderbetreuung zu finanzieren wie es auch Familienarbeit honoriert.

Die Vorteile der Bürgergeld-Systematik liegen auf der Hand: Arbeit wird brutto billiger, weil die Lohnzusatzkosten für die Arbeitnehmer ganz und für die Arbeitgeber zur Hälfte wegfallen. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung hat festgestellt, dass das Solidarische Bürgergeld «zu massiven positiven Arbeitsplatzangebotseffekten» führt. Das Solidarische Bürgergeld als Mindesteinkommen ist wirkungsvoller als der Mindestlohn. Anders als der Mindestlohn, der nach Auffassung mancher Fachleute Beschäftigung gefährdet, werden durch das Solidarische Bürgergeld mehr Arbeitsplätze geschaffen. Aber auch finanziell haben die Arbeitnehmer von einem Mindesteinkommen mehr als von einem Mindestlohn.

Man schätzt, dass in Deutschland jährlich rund 50 Prozent mehr Arbeitsstunden an Familien- und ehrenamtlicher Arbeit geleistet werden als an Erwerbsarbeit. Wenn mit dem Solidarischen Bürgergeld nicht nur jede Erwerbsarbeit, sondern auch jede andere Arbeit zu einem existenzsichernden Einkommen führt, wird Arbeit auch umfassender definiert und geschätzt. Manche unproduktive Tätigkeit wird gut bezahlt, viel produktive Arbeit erfolgt unentgeltlich. Mir ist wichtig, dass auch sie existenzsichernd ist.

Millionen Mitbürger, die eigentlich bedürftig sind, erhalten keine sozialen Leistungen, weil sie sie – aus welchen Gründen auch immer (zum Beispiel Scham) – nicht beantragen. Andere erhalten Sozialleistungen, obwohl sie nicht bedürftig sind. Weil es in Abhängigkeit zu den eigenen Einkünften fordert (Einkommensteuer) und fördert (Negativsteuer/Bürgergeldauszahlung), ist das Solidarische Bürgergeld bedarfsgerecht. Das Kinderbürgergeld ist deutlich höher als das derzeitige Kindergeld, das das Existenzminimum eines Kindes nicht sichert. Das Solidarische Bürgergeld ist auch eine Grundrente und schützt damit vor Altersarmut. Die gesetzliche Rentenversicherung, private Altersvorsorge und Betriebsrenten sichern, dass der Zusammenhang von Alterslohn für Lebensleistung erhalten bleibt.

Wenn man in Deutschland eine Idee kaputt machen will, wirft man ihr vor, verfassungswidrig und nicht finanzierbar zu sein. Mehrere Studien weisen nach, dass das Solidarische Bürgergeld grundgesetzkonform umgesetzt werden kann und finanzierbar ist. Selbst der Sachverständigenrat der Bundesregierung bescheinigte dem Konzept, dass es prinzipiell umsetzbar und finanzierbar ist. Mit den typischen Totschlagargumenten muss mir also niemand kommen. Zumal ein Grundeinkommen verhindert, dass soziale Ängste geschürt werden. Demagogen haben wenig Chance, wenn jeder weiß, dass niemand unter das soziokulturelle Existenzminimum fällt.

Die Soziale Marktwirtschaft setzt auf die Risikobereitschaft des Einzelnen. Das Solidarische Bürgergeld stärkt die Bereitschaft, Risiko auch als Chance zu begreifen. Weil man nicht unter das Existenzminimum fällt, wird man eher bereit sein, ein Risiko einzugehen, kreativ zu sein. Statt Zwang und Kontrolle wird durch Vertrauen und Anreiz motiviert. Das Solidarische Bürgergeld ist kein Sofa, sondern ein Sprungbrett.

Da fast alle Parteien Grundeinkommensmodelle diskutieren; da der Sachverständigenrat der Bundesregierung sich intensiv, kritisch, aber auch differenziert mit diesem Thema auseinandergesetzt hat; da die Idee in der Bevölkerung auf immer mehr Zuspruch stößt, bleibt das Solidarische Bürgergeld auf der Tagesordnung der Politik. Wir brauchen den Mut zu einer sozialpolitischen Revolution, wenn uns die Zukunft Deutschlands am Herzen liegt.

Fairness ist Zufall

Von Jakob Augstein

Angela Merkel herrscht in der Dreifaltigkeit des modernen Kapitalismus: Einem Drittel von uns geht es gut, ein Drittel fühlt sich bedroht – und ein Drittel wird abgeschrieben. Wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, stürzt in die wachsende Masse derer, die die Ökonomen «Surplus-Bevölkerung» nennen: die Überflüssigen.

Als sich Regierung und Opposition zum neuerlichen Hartz-IV-Palaver trafen, ging es um ein paar Euro weniger für Zigaretten und ein paar Euro mehr für Mineralwasser. Nicht einmal darüber konnten sich die Parteien einigen. Dabei haben sie über die eigentliche Frage gar nicht geredet: Wie die systematische Entwürdigung von Millionen von Menschen beendet werden kann.

Hartz IV verstößt gegen das Grundgesetz. Das hatte das Bundesverfassungsgericht am 9. Februar 2009 festgestellt. Die höchsten Richter hatten das mit Artikel 1 begründet, der von der Würde des Menschen handelt, und mit Artikel 20, dem Sozialstaatsprinzip. Das sind keine Kleinigkeiten. Das Gericht befand, dass der deutsche Staat seinen Armen kein «menschenwürdiges Existenzminimum» garantiere und dass über die «physische Existenz» hinaus auch ein «Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben» zur Würde des Menschen gehöre. Das Gericht hat also daran erinnert, dass auch in der Ära der Globalisierung nicht die Dritte Welt der Maßstab für die Beantwortung der Frage ist, was wir uns unter einem Sozialstaat vorstellen. Es genügt nicht, wenn hier niemand verhungert.

Deutschland ist ein Land geworden, in dem solche Erinnerungen notwendig sind. Eine «rohe Bürgerlichkeit» hat der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer in seiner Stimmungsstudie Deutsche Zustände festgestellt. Wir haben das Bild eines Landes gesehen, das von Angst, Wut und Zynismus geprägt ist. Die Armut nimmt zu, in all ihren Formen: die soziale am unteren Rand der Gesellschaft, und die emotionale am oberen. Vom «eisigen Jargon der Verachtung» der Eliten sprach der Soziologe. Es ist Sarrazins Kälte, die sich breitgemacht hat in Deutschland.

Die verheerenden Hartz-IV-Gesetze, die das Wort Reform nicht verdienen, waren ein Schritt auf dem Weg in dieses frostharte Land. Hartz IV ist eine dauernde Perversion. Hartz IV macht aus ehrlichen Leuten, die Arbeit suchen, Spezialisten für Anträge und Ausnahmen und Rechtswege, Experten für Bedarfsgemeinschaften, Überbrückungsgelder und Regelsatzverordnungen. Diese Perversion muss ein Ende haben.

Der Sozialstaat hat einem Drittel seiner Bevölkerung gleichsam den Gesellschaftsvertrag gekündigt. Damit hat sich die Geschäftsgrundlage geändert. Die großen Parteien streiten um immer heiklere Verstrebungen, mit denen dieser sonderbare Sozialstaat gestützt werden soll, um immer irrsinnigere Regelungen, mit denen eine Gerechtigkeit im Einzelfall hergestellt werden soll, die im Ganzen längst verloren ist. Bald wird eine ausufernde Sozialstaatsbürokratie für die Frage zuständig sein, welches Kind Gitarrenunterricht bekommt und welches Flöte spielen darf.

Der Sozialstaat ist verdreht worden, es ist Zeit, ihn vom Kopf auf die Füße zu stellen. Zeit für das Grundeinkommen. 800Euro für jeden. Und es möge niemand mit dem Leistungsethos einer vergangenen Epoche kommen. Oder mit dem Einwand, das Grundeinkommen sei unfair gegenüber jenen, die schwer für ihr Geld arbeiten. Leistung und Fairness sind nun gerade nicht mehr die prägenden Prinzipien unseres Systems.

Es besteht zwischen Verdienst und Leistung keine Verbindung, und Fairness ist in diesem System Zufall. Der moderne Kapitalismus hat diese Werte über Bord gespült. Das Grundeinkommen aber gibt den Menschen ihre Würde zurück.

Frei von Arbeit?

Von Daniel Binswanger

Es wird gestritten über die Finanzierbarkeit, die Effekte auf die Zuwanderung, den Prozentsatz der Bevölkerung, der sich in die Hängematte legen würde. Im Kern geht es bei den Diskussionen um das bedingungslose Grundeinkommen jedoch um eine Wertefrage. Darin liegt die Provokation – oder die Verheißung. Die bürgerliche Welt ruht auf zwei ideellen Pfeilern: dem Freiheitsethos und dem Arbeitsethos. Indem das Grundeinkommen den Menschen gerade dadurch mehr Freiheit verspricht, dass es sie vom Zwang zu arbeiten entbindet, trifft es den bürgerlichen Wertekanon an einem neuralgischen Punkt.

Schon bei John Locke gründet das Eigentumsrecht darauf, dass der Mensch sich durch Arbeit ein Recht auf Besitz erwirbt. Der Eigentumsbegriff der Feudalgesellschaft – ein gottgegebenes Standesprivileg – wird dadurch zurückgewiesen. Das Bürgertum ist fleißig – und rechtfertigt dadurch seinen Machtanspruch. Es pocht auf seine Freiheitsrechte, weil es sich diese Rechte erarbeitet hat.

Arbeit wird in der Folge zum selbstverständlichen Medium der Selbstverwirklichung, zum natürlichen Bestreben des freien Bürgers. Auch Karl Marx steht auf dem Standpunkt, dass der Mensch sich allein durch Arbeit frei verwirklicht – nur dass durch die Arbeitsteilung im Industriezeitalter diese Selbstverwirklichung zur Selbstentfremdung werden und statt Freiheit de facto Zwang bedeuten kann.

Denn materielle Abhängigkeit macht unfrei. «Menschen in materieller Bedrängnis sind keine freien Menschen», sagte Franklin D. Roosevelt in einer seiner großen Reden. Niemand dürfte bestreiten: Wer auf ein Arbeitseinkommen angewiesen ist, ist in seiner Freiheit eingeschränkt. Wie viele Ausbildungen werden nicht gemacht, wie viele Lebenspläne nicht verwirklicht, weil stattdessen Geld verdient werden muss? Wenn der höchste bürgerliche Wert die Freiheit ist, warum soll es dann moralisch so unabdingbar sein, dass der Bürger ökonomischen Zwängen unterworfen bleibt?

Die Antwort ist in der Regel zweigleisig: einerseits, weil politische Unfreiheit (also staatliche Umverteilung) noch schlimmer sein soll als ökonomische Unfreiheit. Andererseits, weil der Zwang zur Lohnarbeit in Tat und Wahrheit doch eine Befreiung, eine Chance zur Selbstverwirklichung darstelle.

Das Problem mit dem zweiten Teil des Arguments liegt allerdings darin, dass es an einer elitären Verzerrung leidet. Es mag sein, dass es für den größeren Teil der Werktätigen letztlich ein Segen ist, wenn sie einem Erwerb nachgehen müssen. Es gibt aber eine Menge stumpfsinniger Tätigkeiten, die mit Selbstverwirklichung nun wirklich nichts zu tun haben und nur aus wirtschaftlichem Zwang erledigt werden. Haben diese Arbeitnehmer kein Recht auf Selbstbestimmung? Sind sie vom pursuit of happiness ausgeschlossen? Grundwerte sollten doch für alle Mitglieder der Gesellschaft gelten.

Das Dilemma wird in der Regel entschärft, indem es den Betroffenen selber angelastet wird, wenn sie einen bloßen Brotjob machen müssen. Sie haben sich auf dem freien Arbeitsmarkt eben nicht durchgesetzt. Aber es wird immer eine beträchtliche Gruppe von Verlierern geben, die durch Arbeit nicht befreit, sondern entmündigt werden. Die Behauptung, sie seien selber dafür verantwortlich, hat etwas Zynisches. Dient das Gerede von der Freiheit nur dazu, einen Teil der Bürger in einem Zwangssystem einzusperren?

Die Verlierer nehmen zu. Der Soziologe Richard Sennett hat sich schon früh dafür interessiert, unter welchen Bedingungen auch ein einfacher Job wie zum Beispiel Monteur an einem Fließband eine sinnvolle, erfüllende Tätigkeit sein kann. Er kam allerdings schon vor zwanzig Jahren zum Schluss, dass die Veränderungen der Arbeitswelt, in der auf niedriger Qualifikationsstufe immer weniger spezifische Kompetenz gefragt und immer weniger Autonomie zugestanden wird, Lohnarbeit zunehmend in «Bullshit-Jobs» verwandeln. Gleichzeitig nehmen die Arbeitszeiten seit den Achtzigerjahren wieder zu oder sinken jedenfalls kaum mehr. Bis Ende der Siebzigerjahre war es selbstverständlich, dass die Arbeitszeiten kontinuierlich fielen, das Leben jenseits der Berufswelt immer wichtiger wurde. Heute erscheint dieser Gedanke utopisch.

Die Harmonie von Arbeit und Freiheit, welche das Wertefundament unserer Gesellschaft bildet, dürfte mehr und mehr zu einem Privileg, für viele zur bloßen Illusion werden. Deshalb ist es eine so fürchterliche Provokation, wenn plötzlich die Schweizer Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen verkündet: Wir machen jetzt Ernst mit der bürgerlichen Freiheit – Freiheit vom Zwang zur Arbeit.

Wahnsinn mit Methode

Von Norbert Blüm

Ein Bürgergeld wird vorgeschlagen, wie immer wieder zu hören ist. Das ist der neueste Hit aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der Reformer, die alles anders machen wollen. Das Bürgergeld soll eine Pauschale sein, die der Staat an alle zahlt. Jeder bekommt einen Schlag aus der Gulaschkanone, die an die Stelle des Sozialstaates tritt.

Das Bürgergeld ist ein staatlicher Einheitslohn. Für die einen wird das ein Hungerlohn sein und für die anderen, die es nämlich gar nicht nötig haben, ein Trinkgeld. Ob Arm oder Reich: Vor dem Bürgergeld sind alle gleich. Das Bürgergeld ist die Dampfwalze, die den Sozialstaat plattmacht.

Das «arbeitslose» Grundeinkommen, welches Bürgergeld genannt wird, verstößt gegen alles, was wir über Gerechtigkeit und Solidarität gelernt haben. Es kämmt alle über den gleichen Kamm. Das Zeitalter der Gleichmacherei hat begonnen. Pauschalen verletzen das Gerechtigkeitsgefühl. Das musste die CDU/CSU mit ihrer Kopfpauschale bei der Bundestagswahl 2005 bitter erfahren. Einen Fehler einmal machen kann Pech sein. Ihn zu wiederholen ist jedoch Dummheit.

«Mehr Staat – mehr Nivellierung» galt früher als Teufelszeug in der CDU/CSU. Jetzt schlägt Dieter Althaus ein Bürgergeld vor. Das Bürgergeld verstößt gegen die Gerechtigkeit, weil die Gerechtigkeit verlangt, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Bürgergeld und Kopfpauschale dagegen behandeln Ungleiches gleich. Der Chauffeur und sein Chef zahlen die gleiche Pauschale und erhalten das gleiche Bürgergeld. Das widerspricht allem, was der gesunde Menschenverstand unter Gerechtigkeit versteht.

In der Sozialversicherung gilt das Prinzip der Gegenseitigkeit, das in der Rentenversicherung noch durch den Grundsatz der Äquivalenz präzisiert wird: Leistung für Gegenleistung, Rente für adäquaten Beitrag. Wer länger und höhere Beiträge zahlt, erhält eine höhere Rente als der, welcher kürzer und niedrigere Beiträge gezahlt hat. Die Rentenleistung entspricht proportional der Beitragsleistung. Dieser Zusammenhang entspricht der Leistungsgerechtigkeit und stützt die Leistungsbereitschaft in unserem Sozialsystem. Rente ist kein Altersalmosen, sondern Alterslohn für Lebensleistung. Das hat die Rentenversicherung von der Fürsorge unterschieden. Das alles soll jetzt annulliert werden.

Die Entkoppelung von Erwerbsarbeit und Sozialleistungen nimmt aus dem Sozialstaat den Anreiz zur Leistung. Das Bürgergeld unterminiert die Motivation zur Arbeit. Es wird im Gegenteil sogar den Ausschluss aus der Arbeit befördern, weil auch ohne Arbeit derjenige, der arbeiten könnte, ein staatliches Einkommen garantiert bekommt. Der Staat beschafft sich dabei noch ein gutes Gewissen. Schließlich wird ja niemand verhungern. Das allerdings reicht zur Rechtfertigung des Sozialstaates noch nicht aus. Der hat nicht nur mit Barmherzigkeit zu tun. Er ist auch der Gerechtigkeit verpflichtet.

Der Fürsorgestaat interessiert sich nicht für Arbeit und Leistung. Das Bürgergeld als bedingungsloses Grundeinkommen forciert den Ausschluss und den Ausstieg aus der Arbeit. Wer Arbeit und Einkommen trennt, erhöht die Fremdbestimmung und vergrößert die Abhängigkeit vom Geldgeber Staat.

Mit dem staatlichen Almosen wird außerdem der freie Fall der unteren Lohngruppen programmiert. Es gibt kein Halten mehr. Auf die unteren Lohngruppen muss fortan in den Unternehmen nicht mehr geachtet werden. Der Staat bezahlt einen Mindestlohn. Das Bürgergeld ist ein Pendant zur Lohnsubvention. Die Arbeitgeber können leichten Herzens Hungerlöhne zahlen. Mit Kombilöhnen wird bereits die neue Arbeitsteilung zwischen Staat und Wirtschaft geübt. Die also auszogen, wie zum Beispiel die CDU, weniger Staat zu schaffen, bringen das Gegenteil zustande. Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.

Die Einrichtung des Bürgergeldes wird mit dem Vorteil angepriesen, dass der Staat viele Milliarden spart, weil es keine weiteren Sozialleistungen gibt. Da werden sich Deutschlands Großverdiener aber freuen. Die Ersparnis kann gar nicht von den «Besserverdienenden» kommen, denn sie erhielten ja keine Sozialleistungen. Wo nichts ist, kann auch nichts gespart werden. Die Ersparnis kommt also von denen, die bis dahin höhere Sozialleistungen erhielten als das Bürgergeld, das die Sozialleistungen ersetzt.

Die Reichen bekommen eine Leistung, die sie gar nicht gefordert haben, und die Schwächeren verlieren eine Unterstützung, auf die sie angewiesen sind. Die einen erhalten also, was sie gar nicht wollen, und die anderen sparen – was sie nicht können. Es sparen die Ärmeren für die Reicheren. «Die Starken für die Schwachen», dieser Grundsatz galt bisher. Er wird jetzt umgedreht. Das ist eine Solidaritätsordnung für Geisterfahrer.

Mit der Ersparnis geht es im Übrigen auch nicht so schnell, wie die schnellen Erfinder des Bürgergeldes angeben, denn die Rentenversicherung muss vorerst weiter Rente bezahlen. Wer Beiträge gezahlt hat, hat nämlich einen eigentumsgeschützten Anspruch auf Rente, der nicht einfach annulliert werden kann. Also mit dem Übergang vom Sozialstaat zum Fürsorgestaat geht es nicht so glatt, wie seine Befürworter planen. Es wird so lange die alte Rente gezahlt, bis der letzte Beitragszahler die Tür zugemacht hat.

Gewinner der Einführung des Bürgergeldes werden die Privatversicherungen sein. Denn sie treten an die Stelle der Sozialversicherung. Diejenigen, denen das Bürgergeld für ihren Lebensstandard nicht ausreicht und die sich für die verlorene Sozialversicherung eine private Vorsorge leisten können, werden sich in die Obhut der Privatversicherung flüchten. Die Privaten erben die Kundschaft der Sozialversicherung, jedenfalls die bessergestellte. Das wird ein Milliardengeschäft für Allianz & Co. Hinter dem ganzen Getöse um das Bürgergeld steckt ein handfester Lobbyismus. Oberhalb des Bürgergeldniveaus können sich die Privatversicherungen austoben. Das ist ein Bombengeschäft!

Die kapitalgedeckte Sozialpolitik ist eine börsenorientierte Sozialpolitik. Diese schafft nicht mehr soziale Sicherheit, sondern ist allen Turbulenzen der Spekulation ausgesetzt. Der große Kladderadatsch der privatisierten Sozialpolitik steht noch bevor. Das Erdbeben der kapitalgedeckten Privatversicherung kündigt sich weltweit an. Große Pensionsfonds sind in Zahlungsunfähigkeit geraten oder davon gefährdet.

Die börsenorientierte Sozialpolitik ist das Quellgebiet für einen Finanzkapitalismus, der sich von Arbeit und Wertschöpfung weitgehend emanzipiert hat. Finanzströme umkreisen den Erdball ohne Ankerplatz für Investitionen. Investitionsloses Kapital vagabundiert auf den Finanzmärkten. «Arbeitsloses» Geld gibt es in Hülle und Fülle. Es liefert das Heizmaterial für Spekulationen. Hedgefonds sind Wettbüros, die an Unternehmensbestand und -entwicklung wenig interessiert sind, an den Arbeitsplätzen überhaupt nicht.

Diese Finanzvagabunden unterminieren eine personale Unternehmenskultur. Unter dem Ansturm des Finanzkapitals geraten die Unternehmen in Gefahr, zu virtuellen Gebilden degradiert zu werden. Das Management verwandelt sich zu Funktionären der Börse. Große Unternehmen entpuppen sich als eine Logistikabteilung, die vornehmlich einen Warenstrom organisiert, dessen Produkte anderswo hergestellt, lediglich zugeliefert, um dann unter dem Logo des Unternehmens verkauft zu werden. Den Rest macht das Marketing. Das wird nicht lange gut gehen. Aber dass ausgerechnet mit Hilfe der Finanzmittel des Sozialstaates Unternehmen ramponiert, Verlässlichkeit eliminiert und die Arbeit entwertet werden soll, zählt zu den Paradoxien der Zeit.

Es gehört zur Emanzipationsgeschichte der Arbeiterbewegung, dass der Sozialstaat sie aus der Obhut eines Obrigkeitsstaates befreite, indem er die Sozialversicherung als solidarische Selbsthilfe organisierte. Der Sozialversicherung liegt das Prinzip der Selbstverwaltung zugrunde, das zugegebenermaßen schwächer geworden ist und wieder stärker ausgebaut werden muss. Zwischen den Extremen der Staatsversorgung auf der einen und der privaten Alleinversorgung auf der anderen Seite muss eine selbstverwaltete Sozialversicherung als Institution der subsidiären Solidarität gestärkt werden. Weder Privatisierung noch Verstaatlichung ist der Weg, den die christliche Soziallehre weist. Es geht um die Renaissance der solidarischen Selbsthilfe, deren bevorzugte Instrumente Sozialversicherung und Tarifautonomie sind.

Das Bürgergeld weist in die entgegengesetzte Richtung. Seine Maxime ist: «Weg mit der Selbstverwaltung». Dafür: «Mehr Staat» und «Mehr Privatversicherung». Die Quintessenz dieser Entwicklung ist die Entleerung des gesellschaftlichen Raumes zwischen Staat und Individuum, in dem die Subsidiarität ihr Ordnungsfeld hat.

Auf dem Holzweg befindet sich ein Sozialstaat, der sich auf Armutsbekämpfung beschränkt und der Privatversicherung das «Rest»-Geschäft überlässt. (Bei diesem Rest geht es immerhin um ein paar hundert Milliarden.) So wird zwischen den Mühlsteinen von staatlichem Bürgergeld und privater Versicherung die Sozialversicherung zerrieben. Daran sind Neomarxisten und Neoliberale gleichermaßen interessiert, und so erklärt sich auch ihre merkwürdige Verlobung.